Störungsspezifische Psychodramatherapie - Reinhard T. Krüger - E-Book

Störungsspezifische Psychodramatherapie E-Book

Reinhard T. Krüger

4,8

Beschreibung

Psychodramatherapie heilt dadurch, dass sie das Mentalisieren und die psychische Selbstorganisation des Menschen im Als-ob-Modus des äußeren Spielens verwirklicht. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis entwickelt der erfahrene Psychodramatherapeut und Psychiater Reinhard T. Krüger eine in sich systematische Theorie der störungsspezifischen Psychodramatherapie und Modelle für Therapieprozesse bei verschiedenen psychischen Erkrankungen. Krüger arbeitet das jeweils Besondere in der Therapie von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Traumafolgestörungen, Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Depressionen, suizidalen Krisen, Psychosen und Suchterkrankungen heraus. Das Vorgehen erläutert er anhand von 117 Fallbeispielen, die zum Teil ganze Therapieverläufe umfassen. Mit dieser Konzeptualisierung kann Psychodramatherapie sowohl in der Einzeltherapie wie in der Gruppentherapie eingesetzt werden.Durch die Systematik dieses Lehrbuchs werden die Erfahrungen und Erkenntnisse der Psychodramatherapie für Therapeuten und Therapeutinnen auch anderer Therapieschulen und für Berater und Beraterinnen in helfenden Berufen zugänglich. Sie finden Möglichkeiten therapeutischen Handelns, die ihre praktische Arbeit störungsspezifisch wirksamer und lebendiger machen.

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Reinhard T. Krüger

Störungsspezifische Psychodramatherapie

Theorie und Praxis

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 27 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99675-2

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Robert Delaunay, Rythme sans fin (un 1930) / bpk / Sprengel Museum Hannover / Michael Herling /Aline Gwose

© 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Inhalt

Vorwort

Vorbemerkung

1Was ist Psychodrama?

2Eine allgemeine Theorie der Psychodramatherapie

2.1Die Intuition der Therapeutin als handlungsleitender Prozess

2.2Der Regelkreis zwischen dem inneren Mentalisieren des Patienten und seiner Spielproduktion auf der äußeren Bühne

2.3Neurophysiologische Grundlagen des psychodramatischen Spiels

2.4Der Abstimmungs- und Einigungsprozess zwischen dem Patienten und der Therapeutin während des psychodramatischen Spiels

2.5Störungen in der therapeutischen Beziehung, Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand

2.6Folgen der Interpretation der Psychodramatherapie als mentalization-based treatment

2.6.1Psychodrama ist ein Therapieverfahren, das von der Anwendung im Format der Gruppentherapie unabhängig ist

2.6.2Im Psychodrama darf die Verbindung zwischen dem inneren Mentalisieren des Patienten und seinem äußeren psychodramatischen Spiel nicht reißen

2.6.3Die Anwendung der Psychodramatechniken wird einfacher

2.6.4Die Therapeutin denkt systemisch und prozessorientiert

2.6.5Die Gruppe ist als ein sich selbst organisierendes System zu verstehen

2.7Der individuumbezogene, direktive Leitungsstil und der systembezogene Leitungsstil

2.8Die mentalisations-basierte Psychodramatherapie und die rollentheoretisch begründete Psychodramatherapie

2.9Diskussion der Weiterentwicklung der rollentheoretischen Konzeptualisierung der Psychodramatherapie nach Schacht

3Der Prozess der Krankheitsentwicklung

3.1Symptomdiagnose und Prozessdiagnose

3.2Der kreative Prozess und seine vier verschiedenen Aspekte

3.2.1Der strukturelle Aspekt des Selbstorganisationsprozesses

3.2.2Der Aspekt der energetischen Austauschprozesse

3.2.3Der Aspekt der Handlung in kreativen Prozessen

3.2.4Der funktionelle Aspekt

3.3Die Störungen des Mentalisierens als Zweitdiagnose

4Persönlichkeitsstörungen und strukturelle Störungen

4.1Was sind Persönlichkeitsstörungen?

4.2Das Besondere in der Behandlung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen

4.3Das Besondere in der Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung

4.4Die strukturelle Störung als Grundproblem und Zusatzdiagnose von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

4.5Die ersten sechs Schritte der Behandlung im Überblick

4.6Das stellvertretende Mentalisieren durch die Doppelgänger-Technik im »normalen« psychodramatischen Spiel

4.7Die Repräsentation des Arbeitssystems der Ich-Zustände der Selbstorganisation mit Stühlen

4.8Problembewusstsein für die Dysfunktionalität der psychischen Selbstorganisation entwickeln

4.9Der spezielle therapeutische Zugang zu Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung

4.10Die Umwandlung der dysfunktionalen psychischen Selbstorganisation in einen frei-kreativen Prozess

4.11Ähnlichkeiten der Stühlearbeit in der Schematherapie und Unterschiede

4.12Die weniger störungsspezifischen Methoden der psychodramatischen Therapie von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen

4.13Die Arbeit mit den Ich-Zuständen der Therapeutin in chaotisierenden Beziehungen

4.14Der psychodramatische Umgang mit Störungen in der therapeutischen Beziehung

4.15Ähnlichkeiten und Unterschiede zum psychoanalytischen »Prinzip Antwort« und zum »komplementären Antworten« von Schacht

5Traumafolgestörungen

5.1Das Besondere an der Traumatherapie

5.2Definitionen einer Traumafolgestörung und einer traumatisierenden Situation

5.3Symptome bei Traumafolgestörungen

5.4Das Dissoziieren als zentrales Kennzeichen von Traumafolgestörungen

5.5Der Therapeut als Zeuge der Wahrheit

5.6Die sechs Phasen der psychodramatischen Traumatherapie

5.7Traumaspezifische Diagnostik

5.8Traumaspezifische Krisenintervention

5.9Selbststabilisierung und dazugehörige Techniken

5.10Die Traumaverarbeitung

5.10.1Die Traumaerfahrung durch Handeln zu einer Geschichte verarbeiten

5.10.2Die vier funktionellen Arbeitsräume der Traumaverarbeitung

5.10.3Traumaverarbeitung mithilfe von Hilfs-Therapeuten

5.10.4Der Informations- und Regieraum

5.10.5Der sichere Ort

5.10.6Der Beobachtungs- und Erzählraum

5.10.7Der Handlungsraum zwischen Opfer und Täter

5.10.8Die Verarbeitung der Traumaexpositionssitzung

5.10.9Zur Kontraindikation des Rollentausches mit dem Täter

5.10.10Die Traumaverarbeitung mithilfe der Tischbühne in der Einzeltherapie

5.10.11Traumaverarbeitung in der Gruppentherapie

5.11Die Integration der inneren Umstellung in die Beziehungen

5.12Sekundäre Traumatisierung

5.13Das natürliche Selbstheilungssystem des Menschen

5.14Die therapeutische Nachentwicklung des natürlichen Selbstheilungssystems

5.15Die therapeutische Beziehung

5.16Sekundäre Traumatisierung und Burn-out der Therapeutin

5.17Konzepte der psychodramatischen Traumatherapie bei anderen Psychodramatikerinnen und Psychodramatikern

5.17.1Peter Felix Kellermann (2000, S. 23–40): The Therapeutic Aspects of Psychodrama with Traumatized People

5.17.2Marcia Karp (2000, S. 63–82): Psychodrama of Rape and Torture: A Sixteen-year Follow-up Case Study

5.17.3Eva Roine (2000, S. 83–96): The Use of Psychodrama with Trauma Victims

5.17.4Anne Bannister (2000, S. 97–113): Prisoners of the Familiy: Psychodrama with Abused Children

5.17.5Clark Baim (2000, S. 155–175): Time’s Distorted Mirror: Trauma Work with Adult Male Sex Offenders

5.17.6Jörg Burmeister (2000, S. 198–225): Psychodrama with Survivors of Traffic Accidents

6Angststörungen

6.1Die gesellschaftlichen Bedingungen von Ängsten

6.2Was sind Angststörungen?

6.3Die besondere Psychodynamik von Patienten mit Panikattacken als Hindernis in der Therapie

6.4Die Einleitung der Behandlung von Patienten mit Panikattacken

6.5Die sieben Phasen der Therapie von Menschen mit Panikattacken

6.6Die störungsspezifische Therapie eines Patienten mit sozialer Phobie

6.7Krisenintervention bei Prüfungsangst

6.8Die Therapie von Angststörungen in der Gruppentherapie

6.9Das Vorgehen anderer Psychodramatherapeuten in der Therapie von Angststörungen

6.9.1Die Therapie eines Patienten mit sozialer Phobie durch Moreno

6.9.2Die Behandlung von isolierten Phobien

6.9.3Der therapeutische Umgang mit Panikattacken bei anderen Psychodramatikern

7Zwangsstörungen

7.1Zwangsgedanken und Zwangshandlungen und ihre psychodynamische Funktion

7.2Die Behandlung der dysfunktionalen psychischen Selbstorganisation in den Zwangssymptomen

7.3Die Behandlung von Zwangsgedanken ohne Zwangshandlungen

7.4Selbststabilisierung und Ich-Stärkung durch Rollenspiele

8Depressionen

8.1Was ist eine Depression?

8.2Die verschiedenen Formen der Depression

8.3Die Therapie von Depressionen bei Aktualkonflikten

8.4Die Therapie von Depressionen infolge neurotischer Konflikte

8.4.1Das Grundprinzip der psychodramatischen Therapie von Menschen mit neurotischer Depression

8.4.2Die neun Schritte der Therapie bei einer neurotischen Depression

8.4.3Die probatorische, systemisch gerechte Beziehungsverwirklichung

8.4.4Die Integration der inneren Umstellung in andere Beziehungen

8.4.5Systemisches Denken durch Rollentausch

8.4.6Das Mitspielen der Therapeutin als Hilfs-Ich im psychodramatischen Dialog

8.4.7Die Behandlung in der Gruppentherapie

8.4.8Die Therapie von Depressionen bei Ablösungskonflikten

8.4.9Die Therapie verlängerter Trauerreaktionen

8.5Die Therapie von Depressionen bei Menschen mit Identitätskonflikten bei strukturellen Störungen

8.6Die Therapie von psychosenahen Depressionen

8.6.1Die therapeutische Verständigung durch stellvertretendes Mentalisieren

8.6.2Die imaginative probatorische Verwirklichung von Suizidfantasien

8.6.3Das gemeinsame therapeutische Mentalisieren des Handelns im Alltag

8.6.4Das Aktivieren des Mentalisierens durch die Arbeit mit nächtlichen Träumen

8.6.5Die Geburt des Ichs

8.6.6Die Integration der inneren Umstellung in die inneren Beziehungsbilder

8.6.7Grenzen der Therapie bei psychosenahen Depressionen

8.7Medikation mit Psychopharmaka

8.8Suizidale Krisen

8.8.1Das Einbetten des suizidalen Impulses in den dazugehörigen Konflikt

8.8.2Die Begegnung mit dem Tod als Weckruf und Anstoß zum Neubeginn

8.8.3Die Einengung des Denkens im präsuizidalen Syndroms

8.8.4Kriterien und Fragen zur Einschätzung der Suizidalität

8.8.5Therapeutische Interventionen bei suizidaler Gefährdung

9Psychotische Erkrankungen

9.1Das Besondere in der störungsspezifischen Therapie von psychotisch erkrankten Menschen, Morenos Geheimnis

9.2Die Psychodynamik der psychotischen Dekompensation

9.3Die Blockade der therapeutischen Beziehung in der klassischen psychiatrischen Begegnung

9.4Die drei Modi des Mentalisierens in der Psychose

9.5Die transmodale Beziehungsgestaltung in der Therapie

9.6Die fünf Schritte des therapeutischen Vorgehens

9.6.1Der Doppelgängerdialog

9.6.2Die medikamentöse Behandlung

9.6.3Das Symbolisieren des Gegensatzes zwischen Alltagslogik und Traumlogik

9.6.4Die Anwendung der Hilfswelt-Methode beim Hören von Stimmen

9.6.5Die Anwendung der Hilfs-Welt-Methode bei Größenwahn

9.7Die Integration der fragmentierten Selbstorganisation

9.7.1Die Umwandlung eines Depersonalisationsprozesses in eine Ich-Leistung

9.7.2Die Integration einer fragmentierten Selbstorganisation durch das Spiel mit Handpuppen

9.8Die theoretischen und praktischen Erkenntnisse von Moreno und Casson

9.9Gruppentherapie mit psychotisch erkrankten Menschen

10Suchterkrankungen

10.1Das Besondere in der Psychotherapie von Suchtkranken

10.2Die Definition von Sucht und Abhängigkeit

10.3Epidemiologische Zahlen und Behandlungsstatistiken

10.4Diagnostik und suchtspezifische Symptome

10.5Die Psychodynamik der Suchtentwicklung

10.6Die sieben Phasen der Suchttherapie

10.6.1Die Motivationsphase und die Informationsphase

10.6.2Die Abstinenzentscheidung und der körperliche Entzug

10.6.3Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe

10.6.4Die Phase der psychischen Entwöhnung

10.6.5Die Integration der inneren Umstellung in die gegenwärtigen Beziehungen

10.6.6Die Mitbehandlung einer psychischen Zweiterkrankung

10.7Das Herausarbeiten des persönlichen Tiefpunkts und die Kapitulation

10.8Die transmodale therapeutische Beziehung

10.9Gruppentherapie

10.10Rückfallprophylaxe

10.11Tablettenabhängigkeit und Drogenabhängigkeit

10.12Nicht-substanzgebundene Suchterkrankungen

10.12.1Das Erfassen der persönlichen idealen Suchtszene

10.12.2Glücksspielsucht und Essstörungen

10.12.3Sexsucht und Pornosucht

10.12.4Internetspielsucht

10.13Kodependenz und sekundäre Traumatisierung von Bezugspersonen

11Krankheitswertiges abweichendes Verhalten

11.1Das Besondere in der Behandlung von Menschen mit krankheitswertigem abweichendem Verhalten

11.2Fallbeispiel eines Patienten mit Fetischismushandlungen

11.3Die Psychodynamik von Patienten mit krankheitswertigem abweichendem Verhalten

11.4Der störungsspezifische Zugang zum Symptom von Fetischismushandlungen

11.5Die Integration des Als-ob-Modus in das krankheitswertige abweichende Verhalten

11.6Fetischismushandlungen als Beziehungsersatz

11.7Abstinenzversuch und psychische Entwöhnungsbehandlung bei Fetischismushandlungen

Literatur

Personenregister

Stichwortregister

Vorwort

Während der letzten fünfzig Jahre hat sich das Arbeiten mit Psychodrama über die ganze Welt ausgebreitet. Die Methode wurde in der Lehre weitergegeben, und die Menschen erlebten sie in Aktion. Die meisten Psychodramatherapeutinnen und -therapeuten haben ihre Erfahrungen aber nicht dem schriftlichen Wort anvertraut. Deshalb gibt es ein Defizit in der theoretischen Konzeptualisierung der therapeutischen Arbeit. Solange Psychodramatikerinnen und Psychodramatiker nicht anfangen, im Detail zu beschreiben, was sie tun, und die Theorie formulieren, auf der ihre praktische Arbeit beruht, werden sie den Wert dieser Arbeit nicht klar aufzeigen können.

Es gibt viele verschiedene Bücher über die praktische Ausübung des Psychodramas. Was macht das Besondere dieses neuen Werks aus? Ich denke an zwei Aspekte. Der Schwerpunkt des Buchs ist die störungsspezifische Anwendung der Psychodramatechniken bei einzelnen psychischen Störungen. Andererseits betont der Autor die Bedeutung kreativen Mentalisierens innerhalb des therapeutischen Prozesses. Zusammengenommen machen diese beiden Aspekte das Buch einzigartig und innovativ. Es ist ein lang erwarteter Beitrag zur Psychodramaliteratur und wird, wie ich hoffe, die Akzeptanz des Psychodramas als realisierbare alternative Psychotherapiemethode innerhalb der Psychiatrie und Psychotherapie erweitern.

Obwohl Psychodrama als therapeutisches Verfahren bei seelischen Krankheiten entstanden ist, wird es heute im klinischen Alltag eher selten angewandt. Ein Grund dafür mag sein, dass Psychodramatiker sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten relativ wenig mit den Mechanismen auseinandergesetzt haben, mit denen sie durch Psychodramatherapie die bekannten therapeutisch positiven Wirkungen erreichen. Es wurden zwar viele Vorgehensweisen der Psychodramatherapie beschrieben. Diese Vorgehensweisen wurden aber nicht abgeleitet von einer in sich systematischen, übergeordneten Theorie der Psychodramatechniken, auch wurden sie in ihrer jeweils speziellen Art ihrer Anwendung nicht auf die verschiedenen psychischen Störungen bezogen. Deshalb war es bisher für Psychodramatiker und Psychodramatikerinnen schwer, zu überprüfen, ob ihre Patienten für Psychodramatherapie geeignet sind, und die Indikation für bestimmte psychodramatische Vorgehensweisen zu stellen. Auch war es schwer möglich, die Ergebnisse der Psychodramatherapie mit denen anderer Forschungen und anderer Behandlungsmethoden zu vergleichen. Diese Lücke in der Psychodramaliteratur wird durch dieses Buch geschlossen. Es wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der diagnostischen Einordnung der Patienten und spezifischen psychodramatischen Vorgehensweisen. Durch die Darstellung dieses Zusammenhangs kann das Buch helfen, das Wissen um die besonderen therapeutischen Möglichkeiten des Psychodramas in die Wissenschaft seelischer Gesundheit und den Kumulationsprozess von Wissen in die Zusammenarbeit mit Institutionen einzubringen. Gleichzeitig macht das Buch es den Psychodramatikerinnen und -dramatikern leichter, neues Wissen aus anderen Bereichen der Psychiatrie und Psychotherapie in die Psychodramatherapie zu übernehmen.

Dieses Werk liefert einen großen Beitrag zur Erklärung des Werts der psychodramatherapeutischen Arbeit an den inneren Beziehungsbildern und am Mentalisieren des Menschen. Moreno schrieb: »Psychodrama is a way to change the world in the here and now using the fundamental rules of imagination without falling into the abyss of illusion, hallucination and delusion« (J. L. Moreno »Magic Charter of Psychodrama«, 1972). Psychodrama legt als eine imaginationsbasierte Methode den Schwerpunkt auf die Fähigkeit des Menschen zur symbolischen Repräsentation der inneren Welt im Spiel, ganz ähnlich wie wir es in unseren Träumen und im freien Spiel tun. Das Konzept des »Als-ob« hat einen zentralen Platz in den Methoden und der Philosophie des Psychodramas. Tatsächlich benutzt das Rollenspiel die wohlüberlegte zeitliche und räumliche Verzerrung und den Einsatz von Hilfs-Ichs, Aufwärmübungen und Requisiten sowie die Fähigkeit des Protagonisten, zu mentalisieren. Das Rollenspiel ermutigt Gruppenteilnehmer, Situationen aus der Vergangenheit so darzustellen, »als ob« diese Ereignisse in der Gegenwart stattfänden. Sie berichten von unbelebten Objekten, »als ob« diese lebendig wären, und sie sprechen zu anderen Gruppenmitgliedern, »als ob« sie alte Bekannte wären oder bedeutsame Personen aus ihrem Leben. Wichtig ist aber, zu erklären, wie solche psychodramatischen Handlungstechniken helfen, den therapeutischen Prozess voranzubringen. Dieses Buch verfeinert unser Verständnis, wie die Welt des »Als-ob« im Psychodrama bei den verschiedenen Klientinnen und Klienten genutzt werden kann, das auch bei denen, die die Welt des »Als-ob« nicht so leicht betreten können.

Seit meiner ersten persönlichen Erfahrung mit Psychodrama war ich beeindruckt von der Schnelligkeit des Prozesses, in dem die »Als-ob«-Qualität des Rollenspiels sich in ein sehr reales Gefühl emotionaler Entlastung verwandelte. Fast noch stärker war aber das Gefühl, dass eine solche Abreaktion von aufgebauter Spannung oft von einer Art Ermächtigung begleitet war, einer Empfindung, ein Geheimnis entschlüsselt zu haben, und von einem Gefühl von »Nun kann ich der sein, der ich bin«. Wenn ich später begabte Psychodramatherapeutinnen und -therapeuten beobachtet habe, war ich oft erstaunt. Ihre Sensibilität, ihr intuitives Geschick und ihre kreative Nutzung dramatischer Kunst waren außergewöhnlich. Es sah fast magisch aus, so kam es mir vor. Aber sie sagten: »Nein, das kann man lernen. Auch du kannst das lernen!« Und so begann ich mein mühsames Training. Auch nach vielen Jahren hatte ich aber noch immer eine Menge Fragen, wie es funktionierte und was die einzelnen Konzepte des Psychodramas bedeuteten. Ich versuchte, Morenos Bücher zu lesen, und diskutierte stundenlang mit Zerka Moreno über die verschiedenen Seiten der therapeutischen Aspekte des Psychodramas. Mit der Zeit schrieb ich selbst über den einen oder anderen Aspekt, um mir klar zu werden, was während einer psychodramatischen Therapiestunde passierte. Eine meiner Schlussfolgerungen war, dass für Menschen, die ein spezifisches Trauma erlitten hatten, Psychodrama ganz besonders effektiv zu sein schien. Aber ich beobachtete auch, dass Psychodrama nicht jedem in gleicher Weise helfen kann. Während Psychodrama für viele Menschen an verschiedenen Wendepunkten ihres Lebens passend sein mag, gab es andere, die die imaginative Welt des Rollenspiels nicht betreten konnten oder große Schwierigkeiten damit hatten. Deshalb spüre ich, dass es einen Bedarf gibt, weiter zu forschen und Psychodrama zu untersuchen.

Auf diesem Hintergrund ist dieses Buch ein Schritt in die richtige Richtung. Es schafft ein neues Verständnis der psychodramatischen Wissenschaft durch einen Autor mit bedeutsamer Erfahrung in Psychodramatherapie. Dieser Band vermittelt in der Psychodramatherapie eine zuverlässige konzeptionelle Basis für das eigene therapeutische Handeln und wird neue Diskussionen über den Beitrag Morenos zum Prozess der Entwicklung der Psychotherapie anregen.

Peter Felix Kellermann

Vorbemerkung

Meine Patientinnen und Patienten haben mir durch die menschlichen Begegnungen, ihre Mitarbeit in den Therapien und durch ihre therapeutischen Prozesse geholfen, zu erkennen, wie Heilung in der Psychodramatherapie geschehen kann. Ich danke ihnen sehr. Ich habe in den Fallbeispielen dieses Buchs, die aus 40 Jahren psychiatrisch-psychotherapeutischer Tätigkeit stammen, die Namen der Patienten und auch einige Sachverhalte so verändert, dass die Anonymität der Patienten gewahrt ist, und von vielen auch die Zustimmung zur Veröffentlichung eingeholt.

Von Grete Leutz lernte ich ab 1971 den intuitionsgeleiteten, prozessorientierten Leitungsstil, von Heike Straub erhielt ich wichtige Anregungen für die therapeutischen Anwendungen des Psychodramas. Karl Peter Kisker lehrte mich, als Psychiater in der Begegnung mit Patienten menschenbezogen und nicht symptombezogen zu denken und zu arbeiten. Karlfried Graf Dürckheim half mir mit seiner existenzialpsychologischen Arbeit, zu erkennen, dass Heilung mehr ist als die Summe der einzelnen Mechanismen, die zur Heilung führen (Krüger, 1997, S. 11 f.). Viele Gedanken zu den Inhalten dieses Buchs entstanden in der Auseinandersetzung mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern und mit Ko-Leiterinnen und Ko-Leitern in Fort- und Weiterbildungsseminaren und mit Psychodramafreundinnen und Psychodramafreunden, in den letzten Jahren auch in Fortbildungsseminaren in Budapest, die durch die Zusammenarbeit mit Teodóra Tomcsányi zustande kamen. Meine 40-jährige Mitarbeit im Moreno-Institut Überlingen und meine 25-jährige Redaktionsarbeit in der Zeitschrift »Psychodrama« und der »Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie«, zurzeit herausgegeben von Christian Stadler und Sabine Spitzer, haben mich Fragen stellen und Antworten finden lassen. Stefan Gunkel hat mitgearbeitet an den Kapiteln 1, 2, 3 und 5, an anderen Kapiteln waren beteiligt Gudrun Beckmann, Hans Benzinger, Günter Büchner, Krisztina Czáky-Pallavicini, Alfred Hinz, Birgit Koerdt-Brüning, Annelie Kolbe-Krüger, Volker Kollenbaum, Eva Kulcsár, Zsusza Marlok, Anne Möhring, Marén Möhring, Cameron Paul, Alfons Rothfeld, Gudrun Runge, Szofia Sáfrán, Kristina Scheuffgen, Ingrid Sturm, Gabor Török, Gunhild Warbende, Kurt Weber und Birgit Zilch-Purucker. Günter Barke danke ich für die Erstellung der Abbildungen.

Die Frage der gendergerechten Formulierung wurde in diesem Buch, um den Lesefluss nicht zu stören, oft so gelöst, dass in den einzelnen Kapiteln entweder von der Therapeutin und dem Patienten oder aber von dem Therapeuten und der Patientin gesprochen wird.

Reinhard T. Krüger

1 Was ist Psychodrama?

Jakob Levy Moreno (1889–1974), der die Soziometrie und das Psychodrama entwickelte, wanderte als Psychiater 1925 aus Wien in die USA aus. Er ist einer der Väter der Gruppentherapie und hat deren Entstehung in den USA ab 1931 maßgeblich vorangetrieben. Dabei ist Gruppentherapie nach Moreno nicht gleichzusetzen mit Psychodrama (Moreno, 1959, S. 69 f.). Moreno verstand unter »Gruppentherapie« ganz allgemein »nur« eine Gruppenarbeit, in der »die psychotherapeutische Gesundheit der Gruppe und ihrer Mitglieder das unmittelbare und einzige Ziel ist« (Moreno, 1959, S. 53). In diesem Sinne war Moreno ab 1932 tätig in schon bestehenden Gruppen von sozialen Einrichtungen wie Schulen, Wohnheimen und Gefängnissen. Er hat dort die Mitarbeiter supervidiert, organisatorisch beraten und mithilfe von soziometrischen Untersuchungsmethoden (Moreno, 1974) und Rollenspielen soziotherapeutisch gearbeitet. 1936 gründete er eine kleine psychiatrische Klinik in Beacon/New York. Zu dieser Zeit stand die Entwicklung der Psychotherapie weltweit noch in ihren Anfängen. In seinem 12-Betten-Sanatorium behandelte Moreno seine Patientinnen und Patienten nach den Grundprinzipien der therapeutischen Gemeinschaft. Er integrierte in die Behandlung seiner psychisch kranken Patientinnen und Patienten seine früheren Wiener Erfahrungen mit dem Rollenspiel mit Kindern, mit dem Stegreiftheater von Erwachsenen (Moreno, 1970) und die Erkenntnisse aus seiner Arbeit in sozialen Einrichtungen in den USA. Psychotherapeutisch arbeitete Moreno in seiner Klinik vorwiegend im Einzelsetting (Straub, 2010, S. 28) (siehe Kap. 2.6.1). Dabei wandte er Rollenspiele an, mit denen er die Patienten in eigenen Rollen und in den Rollen anderer, zunächst noch ohne Rollentausch, ihre inneren Welten auf der Bühne ausgestalten ließ (Moreno, 1945, S. 11 ff.; 1959, S. 221 ff.). Hilfs-Therapeuten unterstützten die Patienten dabei als Mitspieler in den jeweiligen Gegenrollen. Erst später integrierte Moreno auch den Rollentausch zwischen dem Protagonisten und einem Hilfs-Ich in seine therapeutische Arbeit (Moreno, 1959, S. 210). Das war die Geburtsstunde des Psychodramas als Psychotherapiemethode, so wie wir es heute kennen.

Die Psychoanalyse hat die Welt um die Erkenntnis des Unbewussten bereichert und Techniken entwickelt, die das Unbewusste aufdecken. Das Neue an der Familientherapie ist die systemische Sichtweise. Bei der Verhaltenstherapie steht das zielgerichtete Lernen von neuen Denk- und Handlungsmöglichkeiten im Vordergrund.

Zentraler Gedanke

Psychodrama hingegen ist inneres Mentalisieren und psychische Selbstorganisation durch äußeres Spielen auf der Zimmerbühne oder Tischbühne.

Wichtige Definition

Ich definiere Mentalisieren als die halb bewusste, halb unbewusste innere psychische Prozessarbeit, mit der der Mensch sich selbst und andere situationsbezogen versteht, mit der er Konflikte verarbeitet, nach angemessenen bzw. neuen Konfliktlösungen sucht und seine Handlungen plant.

Dabei unterscheide ich das Mentalisieren als Prozess, mentalizing, von der Mentalisierung, Mentalization, als dem Ergebnis des Mentalisierens. »Mentalisierung hängt unauflöslich mit der Entwicklung des Selbst zusammen, mit seiner zunehmend differenzierteren inneren Organisation und seiner Teilnahme an der menschlichen Gesellschaft« (Fonagy, Gergely, Jurist und Target, 2004, S. 10 f.). Psychodramatherapeutinnen lassen ihre Patienten die Prozesse ihres Mentalisierens nach außen auf die Bühne bringen (Moreno, 1965, S. 212 und 1959, S. 111; Buer, 1980, S. 99; Seidel, 1989, S. 197; Holmes, 1992; Kellermann, 1996, S. 98; von Ameln, 2013, S. 9) und ihre Konflikte dort mithilfe der Therapeutin im Als-ob-Modus des äußeren psychodramatischen Spiels innerlich verarbeiten und probatorisch zu Ende »denken« bzw. mentalisieren (siehe Kap. 2.2). Deshalb gehört Psychodrama zur Gruppe der mentalisations-basierten Behandlungsmethoden (mentalization-based treatment, MBT).

Das Konzept des Mentalisierens wird von seinen Urhebern angesehen als integrativer Bezugspunkt und Konzept zur Verbesserung und Verfeinerung der therapeutischen Arbeit in allen Psychotherapiemethoden (Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. 7 f.). »Wir mentalisieren, wenn wir in uns selbst oder in anderen mentale Zustände wahrnehmen – wenn wir zum Beispiel über Gefühle nachdenken. […] Genauer gesagt, wir definieren Mentalisieren als imaginatives Wahrnehmen oder als Interpretieren von Verhalten als verbunden mit intentionalen mentalen Zuständen« (Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. xi). »Wir mentalisieren meist schnell und, ohne dass uns das bewusst ist. […] Mentalisieren ermöglicht, soziale Situationen zu verstehen und vorherzusagen sowie eigene Affekte zu modulieren« (Brockmann und Kirsch, 2010, S. 279). »Gekonntes Mentalisieren allein löst nicht Probleme und befreit nicht von Störungen, sondern steigert die Fähigkeiten der Betroffenen, das zu tun« (Williams, Fonagy, Target, Fearon et al., 2006, zitiert nach Allen, Fonagy und Bateman, 2008, S. 7).

Übung 1Erkunden Sie einmal selbst als Leserin oder Leser in einem kleinen Experiment die therapeutische Wirkung eines der Grundprinzipien des Mentalisierens durch das psychodramatische Spiel, die Veräußerlichung der Innenwelt des Patienten durch Szenenaufbau: Repräsentieren Sie in Ihrem Therapiezimmer den vom Patienten spontan berichteten Beziehungskonflikt oder sein Problem, seine Symptomszene, außen auf der Bühne mit zwei leeren Stühlen (siehe Abb. 1). Stellen Sie dazu neben den Stuhl Ihres Patienten einen Stuhl für seine innere Selbstrepräsentanz in seinem Konflikt und diesem gegenüber einen anderen Stuhl für seine innere Objektrepräsentanz des dazugehörigen Konfliktpartners. Führen Sie dann mit dem Patienten rein verbal ein ganz normales therapeutisches Gespräch über seinen Konflikt. Zeigen Sie dabei aber mit Ihrer Hand jeweils auf den leeren Stuhl seiner Selbstrepräsentanz, wenn Sie mit ihm über sein eigenes Denken, Fühlen und Handeln in seinem Konflikt reden, oder auf den leeren Stuhl seiner Objektrepräsentanz, wenn Sie mit ihm über seinen Konfliktpartner reden.

Sie trennen durch das Aufstellen des inneren Beziehungskonflikts des Patienten mit Stühlen die Szene seines inneren Beziehungsbildes außen räumlich sichtbar von der Interaktion der therapeutischen Beziehung und betrachten mit dem Patienten gemeinsam Schulter an Schulter seine Interaktion in seinem inneren Beziehungskonflikt aus der Sicht eines Beobachters. Sie wechseln mit ihm dadurch in die Metaperspektive zu seinem Konflikt und verwirklichen die Psychodramatechnik des Spiegelns. Sie werden merken, dass sich durch diese Szenentrennung die Qualität Ihrer Beziehung mit dem Patienten tendenziell verändert: 1. Der Patient blickt von außen auf die Interaktion in seinem inneren Beziehungsbild und sitzt seinem als Stuhl repräsentierten Konfliktgegner direkt gegenüber. Das aktualisiert diesem gegenüber seinen Affekt. 2. Er sieht weniger die Therapeutin an, fühlt sich dadurch freier, sich mit sich selbst und den Interaktionen in seinem Beziehungskonflikt zu beschäftigen, und zentriert seine Aufmerksamkeit weniger darauf, ob und wie er von der Therapeutin verstanden wird. 3. Dadurch dass er seinen inneren Beziehungskonflikt von außen ansieht, ergänzt er seine individuumzentrierte Sicht in dem Konflikt potenziell um eine systemische Sichtweise. 4. Die äußere räumliche Trennung der beiden Interaktionsräume erleichtert es, diese auch im inneren Denken zu trennen. Das entmischt die beiden Szenen und vermindert den Konfliktdruck in der Interaktion zwischen der Therapeutin und dem Patienten. 5. Ihr Gespräch mit dem Patienten bleibt in dieser Therapiestunde mehr auf diesen einen Konflikt fokussiert. 6. Durch den gemeinsamen Blick auf das Dritte, das aber der Innenraum des Patienten ist, kreieren Sie mit dem Patienten einen gemeinsamen Fantasieraum, treten mit ihm innerlich in diesen ein und erforschen darin Schulter an Schulter die Interaktionen in seinem Beziehungskonflikt. Dabei vollziehen Sie als Therapeutin innerlich doppelnd, ohne äußerlich zu doppeln (Krüger, 2013, S. 220), das Mentalisieren des Patienten in seinem Konflikt mit, stellen sich die Dinge mit ihm zusammen vor, spüren ihnen nach und benennen sie. Das verlangsamt die Arbeit an dem Konflikt und fördert die innere Konfliktverarbeitung des Patienten. 7. Sie fühlen sich als Therapeutin bei der gemeinsamen verbalen Arbeit an dem Konflikt des Patienten freier und kreativer, als wenn Sie in dem Gespräch in der Gesicht-zu-Gesicht-Position alles, was der Patient sagt, in sich speichern und verarbeiten müssten. Ich nutze die zwei Stühle für die Symptomszene, wie in der Abbildung 1 dargestellt, in fast jedem Therapiegespräch, auch im Erstgespräch. Sie gehören zur dauerhaften Einrichtung meines Therapiezimmers.

Abbildung 1: Die räumliche Trennung der Interaktion in der Symptomszene des Patienten von der Interaktion in der therapeutischen Beziehung durch ihre Repräsentation mit zwei Stühlen

Zentraler Gedanke

Die Tradition Morenos aufrechtzuerhalten ist, um mit den Worten des Komponisten Gustav Mahler (1860–1911) zu sprechen, »die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche«. Das Verständnis des Psychodramas als mentalisations-basierte Psychotherapiemethode differenziert und erweitert die Theorie und Praxis der Psychodramatherapie.

Seit ich das Psychodrama kennenlernte, beschäftigten mich die beiden Fragen: Wie wirkt Psychodrama? Wie geschieht Heilung?« Zunächst entdeckte ich die Analogie zwischen der Arbeit der zentralen Psychodramatechniken und der Arbeit der Mechanismen der nächtlichen Traumarbeit (Krüger, 1978, siehe Abb. 2, Kreis C). Später entwickelte ich ein in sich systematisches theoretisches Konzept für die kreative Prozessarbeit durch Psychodrama (Krüger, 1997). Dieses beschrieb mit noch anderen Begriffen schon damals das Psychodrama als Methode des Mentalisierens durch psychodramatisches Spiel. In diesem Buch fasse ich zunächst die 1997 ausgearbeiteten Gedanken zusammen, erweitere sie und passe sie begrifflich an den heutigen wissenschaftlichen Diskurs an. Anschließend begründe ich auf dieser theoretischen Grundlage das jeweilige störungsspezifische psychodramatherapeutische Vorgehen bei verschiedenen Krankheitsgruppen und entwickle es weiter. Dabei wird deutlich werden, dass Psychodramatherapeutinnen und Psychodramatherapeuten wegen der Zentrierung ihrer Aufmerksamkeit auf das Mentalisieren der Patientinnen und Patienten das Psychodrama in der Einzeltherapie ebenso nutzen können wie in der Gruppentherapie (siehe Kap. 2.6.1).

2 Eine allgemeine Theorie der Psychodramatherapie

2.1 Die Intuition der Therapeutin als handlungsleitender Prozess

Wenn Sie als Leser oder Leserin dieses Buch in die Hand nehmen, haben Sie wahrscheinlich Fragen und möchten zum Beispiel gern wissen: »Was macht das Psychodrama zu einer Psychotherapiemethode? Wie wirkt Psychodrama therapeutisch?« Fragen sind kostbar. Ich stelle mir Ihr fragendes Ich als Ihren »inneren Sokrates« vor. Sie erinnern sich: Sokrates war der Philosoph, der gesagt hat: »Ich weiß, dass ich nicht weiß!« Aus dieser inneren Haltung heraus hat er seine Gesprächspartner zu neuen Erkenntnissen geführt. Wenn er auf dem Marktplatz von Athen zum Beispiel mit einem Mann über das Thema Freundschaft diskutierte, fragte er neugierig und scheinbar naiv wie ein Kind nach: »Was ist denn Freundschaft?« Durch die Fragen des Sokrates merkte sein Gesprächspartner, dass er eigentlich gar nicht wusste, was er selbst unter Freundschaft versteht. Daraufhin hat Sokrates zusammen mit seinem Gesprächspartner, gleichsam Schulter an Schulter diesen doppelnd, überlegt, wie sie beide zusammen den Begriff »Freundschaft« verstehen wollen. Sokrates nannte sein Vorgehen »Hebammenkunst«. Eigentlich gibt es in jedem Menschen diese naiv fragende Instanz, den inneren Sokrates. Sicher ist es kein Zufall, dass Moreno einmal gesagt hat: »Ich hatte zwei Lehrer, Jesus und Sokrates« (Yablonsky, 1986, S. 241 f.).

Im Folgenden stelle ich mir vor, dass Ihr innerer Sokrates mit einer Psychodramatherapeutin über Psychodramatherapie diskutiert. Ihr Sokrates fragt diese: »Was ist eigentlich handlungsleitend in Ihrer Arbeit? Wie kommen Sie dazu, jeweils gerade in dieser Situation eine bestimmte Psychodramatechnik einzusetzen?« Die Therapeutin: »Ich folge meiner Intuition.« Sokrates: »Was ist diese Intuition?« Therapeutin: »Ich bin Praktikerin. Über Psychodrama soll man nicht reden, das muss man machen!« Sokrates: »Das ist wunderbar! Und wie machen Sie das, wenn Sie Ihrer Intuition folgend Psychodrama machen?« Die Therapeutin: »Wie ich meiner Intuition folge? Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.« Sokrates: »Und wenn Sie jetzt darüber nachdenken würden? Finden Sie dann eine Antwort?« Die Therapeutin: »Da läuft etwas in mir ab. Aber wie ich das mache? Ich glaube, das kann man nicht erklären!« Sokrates: »Ja! Fantastisch! Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Ich merke, Sie wissen mehr, als ich anfangs dachte!«

Die Antwort der Therapeutin scheint zwar nicht besonders ergiebig zu sein, sie ist aus prozesspsychologischer Sicht aber stimmig und weiterführend. Denn es ist richtig:

Zentraler Gedanke

Der durch Intuition gewonnene Handlungsimpuls der Therapeutin, eine Psychodramatechnik einzusetzen, ist das Ergebnis eines systemischen, halb bewussten, halb unbewussten Abstimmungs- und Einigungsprozesses zwischen der Therapeutin und ihrem Patienten. Dabei ist der innere Prozess, der diesem intuitiven Impuls der Therapeutin zugrunde liegt, ein hochkomplexes Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Gerade dieses »Mehr« ist sein Geheimnis.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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