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Strand Thriller Trio Band 1 – Drei Krimis in einem Band von Alfred Bekker & A. F. Morland & Pete Hackett Der Umfang dieses Buchs entspricht 360 Taschenbuchseiten. Drei Kriminalromane der Sonderklasse: hart, überraschend und actionreich. Dieses Buch enthält folgende Krimis: Pete Hackett: Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig A. F. Morland: Abserviert von zarter Hand Alfred Bekker (Henry Rohmer): Undercover-Mission Henry Rohmer ist das Pseudonym des bekannten Fantasy- und Jugendbuchautors Alfred Bekker, der darüber hinaus an zahlreichen Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X mitschrieb.
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Seitenzahl: 548
Veröffentlichungsjahr: 2021
Strand Thriller Trio Band 1 – Drei Krimis in einem Band
Alfred Bekker et al.
Published by Alfred Bekker, 2021.
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Strand Thriller Trio Band 1 – Drei Krimis in einem Band
Copyright
Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig
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Abserviert von zarter Hand
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Undercover-Mission
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About the Author
About the Publisher
von Alfred Bekker & A. F. Morland & Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 360 Taschenbuchseiten.
Drei Kriminalromane der Sonderklasse: hart, überraschend und actionreich.
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Pete Hackett: Trevellian und die Blutspur in den Raubtierkäfig
A. F. Morland: Abserviert von zarter Hand
Alfred Bekker (Henry Rohmer): Undercover-Mission
––––––––
Henry Rohmer ist das Pseudonym des bekannten Fantasy- und Jugendbuchautors Alfred Bekker, der darüber hinaus an zahlreichen Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X mitschrieb.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Authors
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Alle Rechte vorbehalten.
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Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 109 Taschenbuchseiten.
Verschwundene Kinder in verschiedenen Städten der USA rufen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker auf den Plan. Die Spur führt zu einem Zirkus. Als sich ein Mitarbeiter verdächtig macht, wollen die G-men ihn festnehmen. Aber dem Verdächtigen gelingt die Flucht. Gleichzeitig bekommen es die Agenten mit einer Schutzgeld-Erpresserbande zu tun.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Milo und ich lauerten in dem Laden in der Bleecker Street. Es war ein Computergeschäft. Es ernährte gerade seinen Inhaber und dessen Familie so recht und schlecht. Jetzt aber wollten einige unliebsame Zeitgenossen mitkassieren. Zehn Prozent der Einnahmen, oder sie würden den Laden kurz und klein schlagen. Das war die Forderung.
Da dahinter die Mafia vermutet wurde, hatte das FBI den Fall übernommen. Mr. McKee, Special Agent in Charge und Chef des FBI New York, hatte Milo und mir die Sache übertragen.
Es war nach 19 Uhr. In die Hochhäuserschluchten Südmanhattans senkte sich die Abenddämmerung. Die Ladentür ging auf. Die Glocke bimmelte. Zwei Burschen, um die zwanzig, in Lederjacken mit Ohrringen und verschiedenen Gesichtspiercings, betraten den Verkaufsraum. Die Glocke bimmelte. Sie läutete das Unheil ein ...
Das Unheil für die beiden Knaben, die nicht säen, die nur ernten wollten.
Von der Straße erklangen Motorengeräusch, Gehupe und Geschrei. Autoreifen quietschten, weil eine Ampel auf grün schaltete und der eine oder andere Möchtegern-Schumacher einen Kavaliersstart hinlegte.
Die Geräusche versanken zu einem verworrenen Lärm, als die Tür wieder zufiel.
Ich konnte Mr. Joseph Plummer gut beobachten. Der 63-jährige Ladeninhaber zog den Kopf zwischen die Schultern. Unruhe flackerte in seinen Augen. Nervös begann er seine Hände zu kneten.
Die beiden schlenderten zur Ladentheke. Sie grinsten. Einer sagte: „Na, Opa, wie sieht es aus? Hast du dir unser Angebot überlegt? Du gibst uns zehn Prozent von dem, was du heute eingenommen hast, und dafür beschützen wir deinen Laden. Das ist doch fair. Findest du nicht?“
„Ja – ja“, kam es von Plummer. Seine Stimme klang zerrinnend. Seine Lippen zitterten. „Aber Sie wissen doch selbst, Gentlemen, dass kleine Läden wie meiner ...“
Der Sprecher von eben winkte ab. „Ja oder nein, Opa. Zehn Prozent, oder wir machen hier Kleinholz. Du hast noch eine Minute Zeit, es dir zu überlegen. Sobald sie abgelaufen ist, hast du ein gewaltiges Problem am Hals, wenn du nicht deine Kasse öffnest.“
Milo kam hinter einem großen Aufsteller für CDs zum Vorschein. Seine Stimme erklang: „Aber nicht doch, Jungs. Weshalb so garstig zu Mr. Plummer? Ihr müsst doch einsehen, dass der Ertrag aus dem Laden gerade für ihn und seine Familie reicht.“
Die beiden waren herumgezuckt. Sie nahmen Front zu Milo ein. Ihre Gestalten hatten sich leicht nach vorne gekrümmt. Sie schüttelten ihre Überraschung ab. Einer, seine Haare waren kurz geschoren und weißblond gefärbt, zischte aggressiv: „Was bist du denn für einer?“
„Ich bin Opas guter Geist“, versetzte Milo gelassen. „Ich will euch ins Gewissen reden, Jungs. Habt ein Einsehen, lasst Opa in Ruhe und seid friedlich.“
Der Blondgefärbte stieß hervor: „Dir brennt wohl das Hemd, Mister. Entweder bist du so blöd, oder du bist vermessen. Willst du dich ...“
Ich trat am Ende der Verkaufstheke hinter einem Regal mit Handbüchern für PC-Anwender hervor und rief: „Er ist so vermessen, Leute. Aber er kann eben nicht aus seiner Haut. Manchmal ist es echt schlimm mit diesem Bruder Leichtfuß.“
Jetzt wirbelten sie zu mir herum. Entgeistert starrten sie mich an. Und diesmal war es nicht der Blondgefärbte, der Laut gab, es war sein Gefährte, dessen Haare schwarz waren und der sie mit Hilfe von viel Gel glatt nach hinten geklatscht hatte. Er schnappte sinniger Weise: „Noch einer! Verdammt, Toby, der Alte hat die Polizei eingeschaltet. Heh, ihr seid doch Bullen?“
Herausfordernd schaute er mich an.
Ich erwiderte: „Mein Freund sagte es doch schon, Junge. Er ist Opas guter Geist, und ich bin der Schutzengel Opas.“ Dann wurde ich schlagartig ernst. „Schutzgelderpressung, Freunde. Ihr wisst, dass das ein Verbrechen ist?“
Wie auf ein geheimes Kommando griffen sie unter ihre Lederjacken. Als ihre Hände wieder zum Vorschein kamen, hielten sie die Röhrengriffe von Schlagfedern umklammert. Gekonnt ließen sie die ineinander geschobenen Stahlfedern aus der Metallhülle schnellen. Kurze Zeit hing das metallische Schaben in der Luft.
„Das solltet ihr euch zweimal überlegen“, hörte ich Milo rufen. „Es könnte sich strafmaßerhöhend auswirken. Wir sind vom FBI, Jungs. Ja, Opa hat uns eingeschaltet. Und das ist gut so. Also lasst die Totschläger fallen und stimmt uns gnädig.“
„Einen Dreck werden wir!“, fauchte der Blondgefärbte. Er stieß sich ab und griff Milo an.
Sein Kumpan wandte sich mir zu. Mit zum Schlag erhobener Feder kam er. Ich wartete ihn ab. Dass ich ruhig stehen blieb, schien ihn doch ziemlich zu irritieren. Er stockte im Schritt, sein Mund hatte sich böse verkniffen, unsere Blicke kreuzten sich, dann aber schlug er zu.
Nun, ich will es kurz machen. Solche Angriffe abzuwehren hatten wir viele hundert Mal in Quantico geübt. Er war nicht schnell genug, und ich konnte seinen Schlag berechnen. Ich wich behände aus, erwischte sein Handgelenk und drehte ihm blitzschnell den Arm auf den Rücken. Er stand auf den Zehenspitzen, machte das Kreuz hohl, um dem Schmerz in seinem Schultergelenk entgegenzuwirken und brüllte auf. Seine Hand öffnete sich, die Schlagfeder schepperte auf den Boden.
Ich schaute über die Schulter des Knaben und wurde Zeuge, wie Milo seinen Gegner mit einem gekonnten Hüftwurf auf die Bretter legte. Ich sah nur durch die Luft wirbelnde Beine, dann folgte der trockene Aufschlag. Blondy krachte ungebremst auf den verlängerten Rücken, ächzte, und lag schließlich flach. Der Aufprall hatte ihm die Luft aus den Lungen gepresst. Er schnappte nach Luft wie ich nach einem 10 000-Meter-Lauf. Nein! Er japste wie ein Erstickender. Seine Augen quollen aus den Höhlen, unartikulierte Laut drangen aus seiner Kehle.
Milo entwand ihm den Totschläger, dann packte er ihn an der Hemdbrust, zog seinen Oberkörper in die Höhe und versetzte ihm mit der flachen Hand einen kräftigen Schlag auf den Rücken.
Rasselnd atmete der Bursche durch. Dann kam der Hustenanfall, weil sich seine Lungen schlagartig mit Sauerstoff füllten und überfordert wurden. Der Anfall schüttelte ihn und trieb ihm die Tränen in die Augen.
Ich griff mit der Linken unter meine Jacke und nahm ein Paar Handschellen von meinem Gürtel. Zwei Lidschläge später schlossen sie sich um die Handgelenke des Burschen, den ich überwältigt hatte. Ich versetzte ihm einen Stoß in den Rücken, der ihn zwei Schritte vorwärts taumeln ließ, und sagte: „Du bist verhaftet. Wie ist dein Name? Für wen arbeitest du?“
„Du kannst mich mal, Bulle!“, kreischte er und wirbelte geduckt herum. Sein Bein schnellte hoch. Er schien die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Oder gehörte er zur Spezies der ganz besonders Jähzornigen und Unbelehrbaren? Jedenfalls wollte er seinen Tritt bei mir an einer ganz besonders empfindlichen Stelle platzieren.
Und wieder hatte er Pech.
Ich fing sein Bein mit beiden Händen ab, drehte es ein wenig herum und stieß es zurück. Der Bursche schien einen Sekundenbruchteil schräg in der Luft zu hängen, dann krachte er mit sattem Schlag auf den Rücken. Dabei fiel er auf seine gefesselten Hände und quetschte sie, denn er brüllte wie am Spieß und strampelte mit den Beinen.
Milo hatte Blondy ebenfalls Handschellen angelegt und zerrte ihn nun auf die Beine. „Manche müssen eben erst mit dem Kopf gegen die Wand rennen, um zu begreifen“, knurrte Milo, und es klang absolut humorlos. „Ich muss wohl nicht besonders betonen, dass du verhaftet bist, Dumpfbacke.“
Der Blondgefärbte knirschte mit den Zähnen.
Ich half meinem Gegner auf die Beine. Sein Widerstandsgeist schien nur noch auf Sparflamme zu brennen. Mit gesenktem Kopf stand er da und stierte mich gehässig an. Aber das beeindruckte mich wenig.
„Haben Sie ein Telefon?“, fragte ich Joseph Plummer, der noch völlig im Banne des Geschehens stand. Er stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Ich wiederholte meine Frage. Und nun kam auch wieder Leben in seine Gestalt. Er griff unter den Tresen und stellte den Apparat auf das Pult. „Bitte ...“
Ich wählte die Nummer des Field Office. Gleich darauf hatte ich Jay Kronburg an der Strippe. Ich klärte ihn mit knappen Worten auf, dann bat ich ihn, zwei Kollegen vorbeizuschicken, damit sie unsere beiden Schutzgelderpresser abholten.
Von der Federal Plaza bis zur Bleecker Street war es nur ein Katzensprung. Jay versprach mir, dass die beiden Kollegen innerhalb der nächsten Viertelstunde antanzen würden.
Ich legte auf.
Mr. Plummer hatte seine Sprache wieder gefunden. „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, G-men. Ich habe keinen Schlaf mehr gefunden, seit diese Kerle zum ersten Mal bei mir aufgetaucht sind. Meine Frau ist fast gestorben vor Angst. Ich – ich ...“
Er brach ab, griff erneut unter die Theke und hielt mir zwei rechteckige Papierstücke hin, die aussahen wie Eintrittskarten. „Das sind Freikarten für den Zirkus, der ab Montag in New York gastiert. Bitte, G-men, nehmen Sie sie. Es ist nur eine kleine Aufmerksamkeit. Bitte ...“
„Freu dich nur nicht zu früh, Opa!“, knirschte Dumpfbacke Blondy, der nach Milos Bodycheck am Boden fast erstickt wäre. „Du kriegst dein Fett schon noch.“
„Darüber unterhalten wir uns im Field Office“, versprach Milo. „Dein Hinweis sagt mir nämlich, dass ihr nicht in eigener Regie arbeitet.“
Der Knabe biss sich auf die Unterlippe.
„Nehmen Sie die Karten und besuchen Sie zusammen mit Ihrem Partner den Zirkus, G-men“, drängte Plummer. „Es ist ein persönliches Geschenk und hat nichts mit Ihrem Job zu tun.“
Warum sollten wir uns nicht mal Manegenluft um die Nase wehen lassen? Als ich das letzte Mal einen Zirkus besuchte, war ich zehn. Das war also schon einige Jährchen her. Also nahm ich die Karten. In den Ruf der Vorteilsannahme im Amt oder der Bestechlichkeit würde uns das sicher nicht bringen.
Ich bedankte mich.
Wir hatten uns mit den beiden Festgenommenen in das kleine Büro zurückgezogen, in dem Joseph Plummer seine Bücher führte. Die beiden Schutzgelderpresser hockten auf gepolsterten Stühlen und schwiegen verbissen.
Milo lehnte an der Wand und hatte die Arme vor der Brust überkreuzt. Ich hockte auf der Kante des Schreibtisches und stützte meinen Oberkörper mit den Armen nach hinten ab. Mr. Plummer hatte sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt. Fahrig strich er sich immer wieder über das Gesicht. Er hatte Angst. Die Drohung des Blondgefärbten, der uns ebenso wenig wie sein Gefährte seinen Namen nicht verraten wollte, war nicht ohne Wirkung auf den Computerhändler geblieben.
„Wenn euch unsere Verhörspezialisten in die Mangel nehmen, wird es weniger gemütlich für euch“, sagte ich und schaute die Burschen abwechselnd an. „Die kriegen aus euch ...“
Ich brach ab, als die Ladenglocke bimmelte.
Plummer war zusammengezuckt und wollte sich unwillkürlich erheben.
„Ich sehe nach“, erklärte ich, glitt vom Schreibtisch und ging zur Tür.
Kaum, dass ich sie geöffnet hatte und meine Gestalt das Türrechteck ausfüllte, vernahm ich im Laden eine laute Verwünschung, und dann bimmelte die Glocke wieder.
„Da war noch einer!“, schrie ich. „Er ist wie der Blitz zur Tür hinaus!“
Ich spurtete schon los. Sogleich schlug wieder die Türglocke an. Aber diesmal erreichte das nervtötende Gebimmel nur den Rand meines Bewusstsein.
Hinter mir wurde die Ladentür vom Schließmechanismus langsam zugezogen. Ich schaute nach links, dann nach rechts, und ich sah den Burschen den Gehsteig entlangflitzen. Plötzlich sprang er zwischen zwei parkende Autos, fegte über die Straße und gestikulierte wild mit den Armen.
Ein Motor wurde gestartet und heulte auf. Die Scheinwerfer gingen an und wurden aufgeblendet.
Ich rannte schräg über die Straße im spitzen Winkel auf den Fliehenden und einen Ford zu, der sein Ziel zu sein schien. Meine Absätze klapperten rhythmisch auf dem Asphalt. Der Boy in der Lederjacke sprintete um den Ford herum und riss die Tür auf. Er warf sich auf den Beifahrersitz. Sein Kumpan gab Gas und ließ die Kupplung sausen. Der Ford schoss mit durchdrehenden Rädern aus der Parklücke und direkt auf mich zu. Die Tür auf der Beifahrerseite flog krachend zu.
Ich hielt an, als wäre ich gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Die Scheinwerfer blendeten mich. Meine Rechte zuckte zum Holster, in dem die SIG Sauer steckte. Aber den Gedanken an die Pistole ließ ich augenblicklich sausen. Der Wagen war nur noch wenige Yards von mir entfernt, und ich wäre samt der SIG unter die Räder gekommen, hätte ich jetzt nicht gehandelt.
Ich schnellte zur Seite, kam mit beiden Beinen gleichzeitig auf, federte in den Knien und vollführte sogleich den zweiten Sprung, der mich gegen einen geparkten Simca trieb.
Gäbe es die olympische Disziplin des Zweisprungs, hätte ich mit meiner Leistung Gold für Amerika geholt.
Dort, wo ich eben noch gestanden hatte, jagte der Ford dahin, und ich würde mich wohl jetzt noch in der Luft befinden, hätte er mich erwischt.
Das Fahrzeug befand sich fast auf der linken Fahrspur. Ein Auto kam jetzt entgegen. Ich hatte die SIG in der Faust und zielte auf das rechte Hinterrad. Zum Schuss kam ich nicht, denn der Fahrer riss den Ford nach rechts. Er übersteuerte wohl, denn der Wagen kam ins Schleudern. Die Pneus kreischten gottserbärmlich. Und dann gab es einen fürchterlichen Schlag, als er eines der am Straßenrand abgestellten Fahrzeuge rammte. Es klirrte, ein Stück Metall rutschte scheppernd auf der Straße dahin, dann stieg eine Dampfwolke hoch und hüllte den Ford ein. Der Kühler war geplatzt!
Die Türen des Wagen flogen auf. Die beiden Kerle sprangen heraus. In der Hand des einen sah ich eine Pistole. Der Wagen, der dem Ford entgegengekommen war, wurde abrupt abgebremst. Der Fahrer wollte aussteigen. „Drin bleiben!“, brüllte ich. „Gehen Sie in ...“
... Deckung!, wollte ich schreien, aber da krachte schon die Pistole. Ich hatte mich kurz vorher abgedrückt und stand nun am Heck des Simca. Die Scheibe der Fahrertür wies ein kleines Loch auf, von dem aus die Sprünge nach allen Seiten verliefen.
„Waffe runter! FBI!“ Meine Stimme überschlug sich fast.
Aber die beiden Gangster ergriffen schon auf Schusters Rappen die Flucht. Sie rannten in Richtung Bowery.
Es war wohl überflüssig, ihnen hinterherzubrüllen, dass sie stehenbleiben sollten. Ringsum flogen die Fenster der Häuser auf. Der Bums, als der Ford gegen den geparkten Wagen prallte, brachte die Neugierigen auf den Plan. Den Schuss hatte wohl niemand als solchen identifiziert. Schaulustige kamen auch aus den Läden und Wohnhäusern. Autos, die sich aus beiden Richtungen näherten, mussten anhalten, weil zum einen der Ford die eine Fahrspur blockierte und auf der Gegenfahrbahn der Wagen stand, dessen Fahrer ich aufgefordert hatte, sitzen zu bleiben. Ein wütendes Hupkonzert füllte die abendliche Straße.
Ich sprintete hinter den beiden Gangstern her. Als sie in die Bowery einbogen, wusste ich, dass ich verloren hatte. Dennoch rannte ich weiter. Atemlos kam ich an der Ecke Bleecker Street/Bowery an. Fahrzeugkolonnen wälzten sich nach Norden und Süden.
Die beiden Flüchtlinge waren verschwunden, als hätte sie die Erde verschluckt. Ich schaute mir die Augen nach ihnen aus, aber ich konnte sie nirgends entdecken. Wahrscheinlich waren sie in eines der Häuser gelaufen und hatten es durch den Hinterausgang wieder verlassen.
Sei‘s drum!, durchzuckte es mich. Die beiden Knaben, die wir in Plummers Laden überwältigten, waren uns sicher. Und sie würden uns Namen nennen, wenn wir sie tüchtig in die Mangel nahmen. Wenn ich sage „in die Mangel nehmen“, dann meine ich natürlich das Kreuzverhör und nicht irgendeine mittelalterliche Tortur. Nur die ausgekochtesten und hartgesottensten Gesetzesbrecher hielten unseren Spezialisten stand. Die beiden Lederjacken-Boys jedoch hielt ich für blutige Anfänger.
Ich holsterte die SIG und machte mich auf den Rückweg.
Sirenengeheul trieb mir entgegen. Ein Patrolcar kam mit viel Getöse die Straße herauf. Die Lichter auf dem Dach schleuderten rote und blaue Reflexe in die sich verdichtende Dämmerung.
Als ich den Laden Plummers erreichte, kam auch das Polizeifahrzeug zum Stehen. Zwei Cops sprangen heraus ...
Ich ging in das Geschäft.
„Es waren zwei, die in einem Ford warteten“, klärte ich Milo auf, der die beiden Gangster bewacht hatte. „Sie haben auf der Straße für Kleinholz gesorgt und sind mir auf der Bowery entkommen.“
„Ich habe einen Schuss gehört“, kam es von Milo.
„Nun, die Kugel galt mir, aber der Knabe schoss eine Fahrkarte. – Ich gehe hinaus, um die Cops aufzuklären und mir die Zulassungsnummer des Ford aufzuschreiben. Gib du auf die beiden Acht, Milo. Die sind im Stande, und rennen uns samt den Handschellen fort.“
Ich ging wieder hinaus!
„Weshalb habt ihr die beiden nicht selbst zur Federal Plaza gebracht?“, fragte mich einer der beiden Kollegen, die Jay Kronburg in Trab gesetzt hatte, damit sie die beiden jungen Gangster abholten.
Milo antwortete an meiner Stelle: „Du wirst es nicht glauben, Kollege, aber wir sind den Katzensprung vom Federal Building bis in die Bleecker Street gelaufen. Und wie sähe es aus, wenn wir die beiden wie zwei Schafhammel durch die Straßen treiben würden?“
Der Agent grinste. Dann übernahmen er und sein Partner die beiden Sünder und bugsierten sie hinaus. Gleich darauf waren Dumpfbacke Blondy und der Schwarzhaarige in einem Dienstbuick verstaut. Der Wagen fuhr an. Giftige Blicke der beiden Strolche trafen Milo und mich wie Pfeilspitzen. Wir standen auf dem Gehsteig und beobachteten den Abtransport.
„Wenn Blicke töten könnten ...“, rezitierte Milo. Er grinste mich an. „Der Zirkus wird uns entschädigen, Partner. Manegenzauber, Akrobatinnen, Magic-Assistentinnen. Hoh, das Agenten-Auge wird erfreut sein.“
„Und die schmutzigen Gedanken werden schweifen“, schmunzelte ich. „Sie werden zu ergründen versuchen, wie es wohl unter den wippenden Röckchen und engen Hemdchen aussehen mag und ...“
„... Agent Trevellian wird der Mund wässrig werden wie einem hungrigen Straßenköter, dem jemand ein Steak hinhält.“
„Ha, ha“, machte ich. „Seit wann heißt du denn Trevellian?“
Unser flapsiger Dialog wurde unterbrochen, als Joseph Plummer an uns herantrat und anhob: „Ich werde wohl keine Ruhe vor den Schuften haben, G-men. Der Blonde hat es ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht. Die beiden, die fliehen konnten, werden sich rächen. Gütiger Gott, es war ein Fehler, dass ich mich an die Polizei gewandt habe.“
Er stöhnte die letzten Worte geradezu.
„Sie bekommen Polizeischutz“, versprach ich.
Plummer schaute skeptisch. „Ewig kann mich die Polizei auch nicht beschützen“, knurrte er.
„Wir haben der Bande heute einen ziemlichen Dämpfer versetzt“, gab Milo zu verstehen. „Das wird sie in dieser Straße zurückhaltend werden lassen. Vielleicht verziehen sich die Halunken sogar aus New York, um irgendwo unterzutauchen, weil sie befürchten müssen, dass ihre Kumpel singen.“
Die Cops hatten einen Abschleppwagen in die Bleecker Street zitiert. Bis er kam, regelten sie den Verkehr. Ich hatte mir die Zulassungsnummer des Ford notiert.
Milo und ich machten uns auf den Weg zur Federal Plaza. Wir benötigten etwa 20 Minuten. Mit dem Auto hätten wir sicherlich mindestens ebenso lange gebraucht. Denn um diese Zeit glich New York, was den Verkehr anbetraf, einem Tollhaus.
Wir überlegten, ob wir die beiden Schutzgelderpresser noch an diesem Abend ins Gebet nehmen oder ob wir sie ein wenig schmoren lassen sollten. Wir kamen zu keinem Ergebnis und beschlossen, zunächst einmal Mister McKee Bericht zu erstatten.
Die Enttäuschung war groß, als wir feststellten, dass Mandy schon Feierabend gemacht hatte. Das bedeutete, dass der Kaffeehahn für uns zugedreht war.
Der Chef war noch da.
Er war überhaupt fast immer da. Manchmal fragte ich mich, ob er sich vielleicht ein Klappbett ins Building geschmuggelt hatte, das er aufschlug, wenn seine Agenten nach Hause gingen, um die Beine unter den Tisch zu strecken und den Herrgott einen guten Mann sein zu lassen.
Mit dem für Mr. McKee typischem feinen Lächeln forderte er uns auf, an seinem Konferenztisch Platz zu nehmen, dann beglückwünschte er uns zu unserem Erfolg.
„Es war nur ein halber, Sir“, schränkte Milo ein. „Zwei der Kerle sind uns vor der Nase davongelaufen.“
„Mir“, gestand ich und tippte mit dem Daumen gegen meine Brust, „sind sie vor der Nase davongelaufen. Aber wir kriegen sie. Dessen bin ich mir sicher.“
„Denken Sie, dass die Burschen aus eigenem Antrieb tätig waren?“, fragte Mr. McKee. „Normalerweise geht Schutzgelderpressung im größeren Stil vonstatten, und es steckt in der Regel eine Mafia dahinter.“
„Das ist natürlich nicht auszuschließen“, räumte ich ein. „Nun, Sir, wir haben zwei der Kerle. Und wir haben die Zulassungsnummer des Ford.“ Ich schaute Milo an. „Ich denke, wir sollten die beiden doch noch ein wenig ausquetschen, Partner. Was meinst du?“
Der Chef winkte ab. „Das hat Zeit, G-men.“ Er griff nach der Zeitung, die seitlich auf seinem Schreibtisch lag. Es war die Abendpost. Die Seite, die er uns zeigen wollte, hatte er schon aufgeblättert. Er hielt sie so, dass uns die Schlagzeile in die Augen sprang.
14-jährige spurlos verschwunden!, konnte ich lesen. Das mysteriöse Verschwinden Jugendlicher setzt sich in New York fort. Ist ein irrer Mörder am Werk?
„Mord ist nicht unser Metier“, sagte Milo.
„Könnte es aber werden“, versetzte Mr. McKee. „Vor einem Vierteljahr fing es an. Ein dreizehnjähriger Schüler verschwand in Minneapolis. Er tauchte nie wieder auf. Zwei Wochen später ein ähnlicher Fall in Milwaukee. Es waren ein zwölfjähriger und eine vierzehnjährige. St. Louis war der nächste Schauplatz. Diesmal waren es zwei dreizehnjährige. Indianapolis, Cincinnati, Philadelphia und jetzt New York. Es geschieht immer im Abstand von etwa zwei Wochen. Die zuständigen Polizeibehörden sind überzeugt davon, dass die Kinder ermordet wurden und ein und derselbe Täter dahinter steckt.“
„Gibt es irgendeinen Anhaltspunkt?“, wollte ich wissen. „Jeder Entführer und Mörder hinterlässt doch irgendeine Spur, einen Hinweis.“
„Nichts“, erklärte Mr. McKee. „Die Polizei tappt im Dunkeln. Es ist, als hätten sich die verschwundenen Personen in Luft aufgelöst.“
„Wann und wo verschwand die vierzehnjährige hier in New York?“, fragte Milo.
„Gestern Abend, zwischen acht Uhr fünfundvierzig und neun Uhr fünfzehn, in der Nähe des Central Park. Sie wohnt bei ihren Eltern in der siebzigsten Straße West und wollte eine Freundin in der sechsundsiebzigsten Straße besuchen. Dort ist sie nie angekommen.“
„Vielleicht ist sie von zu Hause ausgerissen“, wandte Milo ein. „Viele Jugendliche kommen mit ihren Eltern aus diesem oder jenem Grund nicht zurecht ...“
Der Chef wiegte den Kopf. „Natürlich, das kommt immer wieder vor. Aber Cindy Hanson ist ein hochintelligentes Mädchen, und ihre Eltern hatten nie das geringste Problem mit ihr. Es gibt auch keinen Mann, zu dem sie möglicherweise gelaufen sein könnte. Cindys Wunsch war es, später einmal Ärztin zu werden. Sie verbrachte ihre Freizeit vor Schulbüchern. Nein, Milo, sie ist nicht der Typ, der von zu Hause wegrennt.“
Diese Erklärung sagte mir, dass der Chef schon eine Reihe von Nachforschungen angestellt hatte.
„Haben die Jungs vom Police Departement schon irgendwelche Erkenntnisse gewonnen?“, fragte ich.
„Nein. Man hat eine Sonderkommission gebildet. Es gibt bisher aber nicht die geringste Spur.“
„Also ist möglicherweise in Profi am Werk“, warf Milo hin.
Der SAC nickte. „Derjenige, der gegebenenfalls dahinter steckt, arbeitet überregional“, meinte er. „Es kann sich um einen Serienmörder handeln. Es kann aber auch Menschenhandel im Spiel sein. Es gibt einige Möglichkeiten, wohin die Kinder verschwunden sein können. Wir werden uns darum kümmern müssen, Jesse, Milo.“
Ich gab ihm recht. Skrupellose Gangster konnten die Mädchen und Jungs irgendwo festhalten und zur Prostitution zwingen. Ich dachte an Kinderpornografie und an andere perverse Möglichkeiten, mit Kindern Geld zu verdienen.
In meinem Hals bildet sich ein Kloß beim Gedanken daran.
„Werden Sie Milo und mich mit dem Fall der verschwundenen Cindy Hansen betrauen, Sir?“, fragte ich mit belegter Stimme.
„Ja.“ Mr. McKee nickte mehrmals, um seine Bestätigung zu unterstreichen. „Finden Sie heraus, wo das Girl abgeblieben ist. Dann lösen sich wahrscheinlich die Fälle in den anderen Städten von selbst.“
„Wo setzen wir an?“, fragte Milo, als wir uns in unserem gemeinsamen Büro befanden.
„Bei Cindy Hansens Eltern und bei der Freundin. Und wir sollten keine unnötige Zeit verstreichen lassen.“
„Feierabend ade“, seufzte Milo ergeben.
Tom und Stella Hansen wohnten in einem Mehrfamiliengebäude in der 70th Straße im 4. Stock.
Sie baten uns einzutreten.
Die beiden Leute waren nervliche Wracks. Die Sorge um ihre Tochter Cindy zerfraß sie regelrecht.
Sie konnten uns allerdings nichts sagen, was wir nicht schon gewusst hätten. Dass Cindy ein braves Mädchen war, dass sie sich hinter ihren Büchern verkroch und dass sie lediglich Kontakt mit Ann Duncan unterhielt, einer Mitschülerin mit denselben Interessen.
Die Leute baten uns, als wir uns verabschiedeten, alles zu unternehmen, um etwas über das Schicksal Cindys herauszufinden.
Dies konnten wir guten Gewissens versprechen. Wir wollten alles Erdenkliche tun. Wie erfolgreich wir sein würden, das stand natürlich in den Sternen.
Wir fuhren in die 76th Straße. Ann Duncan wohnte nur einen Steinwurf vom Central Park entfernt. Auf meine Frage, wann Cindy bei ihr sein wollte, antwortete das hübsche Girl: „Um einundzwanzig Uhr. Als sie um einundzwanzig Uhr dreißig noch nicht eingetroffen war, rief ich bei Cindys Eltern an. Sie war rechtzeitig von zu Hause weggegangen. Ich – ich wusste gleich, dass etwas nicht stimmte. Großer Gott. Cindy wollte mir bei den Matheaufgaben helfen. Ich – ich ...“
Anns Beherrschung brach. Das Girl fing an zu weinen. Seine Psyche versagte ganz einfach. Es schluchzte hemmungslos.
Milo sagte: „Du brauchst dir keinen Vorwurf zu machen, Kleine. Kein Mensch auf der Welt konnte ahnen, dass Cindy zwischen ihrer und deiner Wohnung spurlos verschwindet.“
Anns Mutter nahm ihre Tochter in die Arme.
Wir verließen die Wohnung. Ratlos hockten wir im Wagen. An uns floss der Verkehr vorbei. „Heute wird es wohl kaum noch viel Zweck haben, irgendetwas anzufangen“, maulte Milo. „Was hältst du davon, wenn wir ein paar Stunden schlafen?“
„Sehr viel.“
Ich startete den Motor, fuhr an und lenkte den Sportwagen den Central Park West hinunter. Stellenweise war der Central Park gut von den Laternen an den Straßen und Gehwegen ausgeleuchtet. Dann lag er wieder in Dunkelheit, die nur von den Lichtern New Yorks aufgeweicht wurde. Südlich der Strawberry Fields, jenseits des West Drives, erhob sich ein hoher Mast. Dicke Taue, die sich nach allen Seiten strafften, hielten ihn. Lastwagen und Wohnwagen zeichneten sich durch die Dunkelheit ab. In vielen der Wohnwagen brannte noch Licht.
„Der Zirkus“, murmelte Milo. „Werden wir die Zeit haben, die Freikarten zu nutzen?“
„Wir werden es sehen“, antwortete ich.
Ich fuhr Milo zu seiner Wohnung. Dann trug mich mein roter Flitzer nach Hause.
Ich schaltete den Fernseher ein und machte es mir auf der Couch bequem. Eine Viertelstunde etwa schaute ich gelangweilt zu, wie sich zwei Autos eine wilde Verfolgungsjagd lieferten, dann war es Zeit für die Nachrichten.
Die Nachrichtensprecherin berichtete auch vom Verschwinden Cindy Hansens. Ein Bild von dem Girl wurde eingeblendet. Es war ein hübsches, blondes Mädchen, das strahlend lächelte. Schließlich berichtete die Fernsehdame auch von den Fällen in Minneapolis, Milwaukee, St. Louis, Indianapolis, Cincinnati und Philadelphia. Sie fügte hinzu, dass die Polizeibehörden der verschiedenen Staaten und Städte eng zusammenarbeiteten, da man davon ausgehe, dass dem Verschwinden der Kinder Kapitalverbrechen zugrunde liegen und es sich in jedem der Fälle um ein und denselben Täter handelt.
Gedankenvoll ging ich schließlich ins Bett.
Tags darauf saßen wir Toby Fly im Vernehmungsraum gegenüber. Es war der Blondgefärbte. Ja, er hatte uns zumindest seinen Namen verraten. Eine junge Angestellte saß vor dem Computer, um seine Aussage zu tippen.
Auch der Name des anderen Burschen war bekannt. Er hieß Ronny Stiller.
Der Ford war auf Ronny Stiller zugelassen. Also brachte uns diese Erkenntnis nicht weiter. Die Hoffnung, über die Zulassungsnummer den Namen und die Anschrift eines weiteren der Burschen herauszufinden, war zerplatzt.
„Also, Toby“, begann ich. „Dann mal raus mit der Sprache: Wer waren die beiden anderen Burschen, die im Auto warteten.“
„Fix und Foxy, Bulle“, griente Fly. „Heh, das ist doch alles Bullshit! Wir wollten uns einen Spaß mit dem Alten erlauben. Na schön, vielleicht war er ein wenig derb, aber ...“
„Jetzt weiß ich auch, weshalb sich mein Partner halbtot lachte, nachdem deine Kumpel ihn beinahe mit dem Ford niederwalzten und einer ihm heißes Blei schickte“, stieß Milo sarkastisch hervor. „Es war ein Spaß.“
Toby Fly hob die Brauen. Er schwieg.
„Arbeitet ihr auf eigene Rechnung, Spaßvogel, oder hat euch jemand zu Plummer geschickt?“ So begann ich wieder zu fragen.
„Dreimal darfst du raten, Bulle.“
Milo stieß wütend die Luft durch die Nase aus. Ich hörte es ganz deutlich.
„Nun, dann gehe ich mal davon aus, dass ihr für ein Syndikat arbeitet. Das wird auf jeden Fall strafmaßerschwerend sein. Es fällt nämlich unter die Kategorie Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. – Wie heißt der Mann, von dem ihr die Aufträge bekommt? Habt ihr außer Joseph Plummer weitere Geschäftsleute erpresst?“
„Ich sage nichts – gar nichts. Ich habe keine Ahnung, wer dich vor dem Laden über den Haufen fahren wollte und auf dich geschossen hat. Wir wollten Plummer etwas erschrecken, weil er mir mal ein defektes CD-Laufwerk verkaufte und es nicht mehr zurücknehmen wollte. Das ist alles. Und jetzt will ich, dass man mir einen Anwalt stellt. Ich kann darauf bestehen.“
„Hast du denn überhaupt einen Computer?“, fuhr Milo den dreisten Burschen an.
„Nicht mal darüber gebe ich dir ohne anwaltschaftlichen Rat Auskunft, Bulle.“
„Du kriegst deinen Anwalt, Dumpfbacke“, nickte Milo. „Und wenn er sein Examen nicht gerade in der Lotterie gewonnen hat, wird er dir raten, den Mund aufzumachen, um das Beste für dich herauszuholen. Es fördert nämlich nicht gerade das Renommee eines Rechtsanwalts, wenn er einen Burschen zu vertreten hat, den am Ende die volle Härte des Gesetzes trifft. Du verstehst?“
„Wegen der Dumpfbacke werde ich mich beschweren“, maulte Fly.
„Es ist weit weniger aggressiv als Bulle, mein Junge“, versetzte Milo kalt.
„Rutsch mir den Buckel runter, Bulle!“, fauchte Toby Fly unbeeindruckt.
Bei diesem Burschen war Hopfen und Malz verloren.
Wir ließen ihn abführen.
Dann wurde Ronny Stiller in das Vernehmungszimmer dirigiert. Auch ihm stellte ich die Frage nach seinen Kumpels.
„Welchen Bonus kriege ich, wenn ich rede?“, kam sogleich die Gegenfrage.
„Nun, wir können mit der Staatsanwaltschaft darüber sprechen“, versetzte ich. „Da ist sicher was für dich drin, wenn du dich nicht gerade eines Kapitalverbrechens schuldig gemacht hast.“
Sein Blick wechselte unablässig zwischen mir und Milo. Schließlich nickte er. „In Ordnung. Es ist mir klar, dass ihr mir keine festen Zusagen machen könnt. Also, die beiden heißen Max Hollow und Jimmy Humphrey. Beide wohnen in Kips Bay. Hollow in der neunundzwanzigsten Straße, Humphrey in der siebenundzwanzigsten.“
„Für wen arbeitet ihr?“
„Das wissen wir selbst nicht. Jimmy steht mit dem Burschen in Verbindung. Er bekommt von ihm die Aufträge und das Geld, das Jimmy mit uns zu teilen hat.“
„Welche Läden habt ihr noch erpresst?“
„So ziemlich jeden in der Größenordnung von Plummers Laden zwischen Bleecker Street und Spring Street. Die meisten haben gezahlt. Der einzige, der es wagte, sich an die Polizei zu wenden, war Plummer.“
„Wart nur ihr vier am Werk, oder sind noch weitere Kerle wie du für den Burschen im Hintergrund tätig?“
Stiller zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Es interessierte mich auch nicht. Solange das Geld stimmte ...“
Ich diktierte der Schreibkraft die Aussagen, und sie hämmerte fleißig in die Tastatur.
Dann wandte ich mich wieder an Stiller: „Okay, Mister. Nenn mir die Geschäfte, die ihr erpresst habt. Und sag mir die Hausnummern in der siebenundzwanzigsten und neunundzwanzigsten Straße, unter denen wir Hollow und Humphrey finden.“
Unruhig knetete Stiller seine Hände. „Könnte ich eine Zigarette haben?“
„Tut mir leid“, erwiderte ich. „Nichtraucher.“
Der junge Gangster seufzte. „Wenn Humphrey zu einem Mafioso Kontakt hat und es herauskommt, dass ich gesungen habe, muss ich um mein Leben fürchten. Haben Sie daran gedacht, Trevellian? Ich werde nicht mal im Knast meines Lebens sicher sein.“
„Wir werden deinen Namen nicht ins Spiel bringen.“
„Spätestens in der Gerichtsverhandlung kommt es ans Tageslicht. Und dann ...“
„Die Justiz wird für deine Sicherheit sorgen. Also, welche Geschäfte wurden erpresst, und wo genau wohnen Hollow und Humphrey?“
Stiller ging in sich. Dann nannte er uns die Namen einer ganzen Reihe von Läden. Die Schreibkraft ließ die Finger fliegen. Und schließlich nannte uns der Gangster noch die Hausnummern in der 27th und der 29th Straße.
Wir konnten fürs Erste zufrieden sein.
Stiller unterschrieb das Protokoll, von dem wir einige Mehrfertigungen ausdrucken ließen, dann ließen wir ihn in die Zelle zurückbringen.
„Vernünftiger Bursche“, meinte Milo lakonisch.
Ich nickte. „Fahren wir nach Kips Bay, Milo. Und wenn wir Humphrey und Hollow kassiert haben, müssen wir die Läden abklappern und die Besitzer dazu bewegen, auszusagen.“
Wir verließen das Vernehmungszimmer, gaben von unserem Büro aus telefonisch Mandy Bescheid, dass wir uns nach Kips Bay begaben, dann fuhren wir mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage.
Wir stürzten uns ins Verkehrsgetümmel des Big Apple.
Es war ein Haus aus dem 19. Jahrhundert, in dem sich das Apartment Jimmy Humphreys in der 27th Street befand. Sechs Stufen führten zur Haustür empor. Rechts neben der Treppe standen ein halbes Dutzend überquellender Mülltonnen. Rings um die Tonnen herum sah es aus, als hätten hier Schweine gewühlt. Das Treppengeländer war rostig. Nur noch vereinzelte Spuren der ehemals grünen Farbe waren zu erkennen.
Einen Portier gab es nicht in dem Gebäude. Ebenso wenig einen Aufzug. Also klapperten wir Stockwerk für Stockwerk ab und sahen in der 3. Etage an einer zerkratzten Korridortür ein Schild mit dem Namen des Burschen, den wir hops nehmen wollten.
Da wir davon ausgingen, dass er bewaffnet war und von der Waffe auch rücksichtslos Gebrauch machen würde, bauten wir uns im Schutz der Wand zu beiden Seiten der Korridortür auf. Milo legte den Finger auf die Glocke.
Der schrille Ton, den sie auslöste, ging uns sogar im Treppenhaus durch Mark und Bein. In der Wohnung aber rührte sich nichts. Selbst wenn Humphrey noch schlafen sollte – die Klingel konnte wahrscheinlich sogar einen Toten ins Leben zurückholen.
Milo läutete Sturm.
Nichts!
„Schließ auf, Partner“, knurrte ich.
Milo holte sein Einbruchswerkzeug aus der Jackentasche. Es war nur ein einfaches Zylinderschloss, das Milos Fingerfertigkeit nichts entgegenzusetzen hatte.
Wir betraten die Wohnung. Das heißt natürlich nicht, dass wir einfach hineinmarschierten. Wir machten es schulmäßig. Während Milo sicherte, wirbelte ich um den Türstock, die Hand mit der P226 erhoben, die Waffe von rechts nach links schwenkend. Ich ging, als keine Gefahr erkennbar war, zur ersten Tür links, öffnete sie und stieß sie auf. Als sich auch hier nichts Bedrohliches abzeichnete, trat ich unter die Tür und sicherte Milos Eintritt.
Muffige, abgestandene Luft stieg mir in die Nase. In unseren Fäusten lagen die Pistolen. Wir konnten nicht ausschließen, dass Humphrey nur darauf wartete, dass wir in den Flur kamen. Dass die Kerle keine Scheu hatten, auf G-men zu schießen, davon konnte ich ein Lied singen.
Im hinteren Zimmer rechts fanden wir Humphrey. Er war so tot, wie ein Mann nur sein kann, dem aus nächster Nähe zwei Kugeln ins Herz geschossen werden.
Jimmy Humphrey lag am Boden. Das Blut auf dem PVC-Belag war eingetrocknet. Zeugnis dafür, dass Humphrey wahrscheinlich gestern Abend nach der missglückten Schutzgelderpressung noch ermordet worden war.
„Er muss seinen Mörder arglos in die Wohnung gelassen haben“, gab Milo zu verstehen.
„Ja, anders kann es nicht sein, nachdem nichts auf ein gewaltsames Eindringen hindeutet. Wahrscheinlich hat er seinem Auftraggeber von dem missglückten Einsatz in Plummers Laden berichtet, und der kam selbst oder schickte einen Killer, um Humphrey mundtot zu machen.“
„Ich verständige die Mordkommission.“ Milo griff in die Tasche und angelte sein Handy heraus.
Ich schaute mich in dem Raum um. Es war eine Wohnküche. Milos Stimme erklang, als er einen Kollegen vom NYPD an der Strippe hatte. Natürlich hütete ich mich, irgendetwas anzulangen oder gar die Lage des Toten zu verändern. Dafür waren die Jungs von der Spurensicherung da.
Einer jähen Eingebung folgend ging ich aus dem Apartment und läutete an der Nachbarwohnung. Ein Mann, der nur Hose und Unterhemd trug, öffnete mir. Er hatte gerötete, wässrige Augen und blinzelte mich an.
„FBI“, stellte ich mich vor. „Special Agent Trevellian. Ist Ihnen gestern Abend oder in der Nacht in Jim Humphreys Wohnung etwas Verdächtiges aufgefallen? Hatte Humphrey Besuch? Hörten Sie Schüsse?“
Eine Frau keifte im Hintergrund des Wohnungsflurs: „Das dürfen Sie Hank nicht fragen, G-man. Er war um acht Uhr schon besoffen wie ein ganzer Indianerstamm. Der hat jetzt noch mindestens zwei Promille im Blut.“
Der Bursche zuckte herum und wollte böse werden. Ich schob ihn einfach zur Seite und er verschluckte sich fast. „Ist Ihnen in Humphreys Wohnung in der Nacht etwas verdächtig vorgekommen, Mrs. – äh ...“
„Hardin“, sagte sie etwas schrill. „Nein. Das heißt, ich hörte Jimmy gegen zehn Uhr in seine Wohnung gehen.“
„War er allein?“
„Ich denke schon. Ich weiß es nicht.“
„Und dann?“
„Dann bin ich ins Bett gegangen und habe geschlafen.“
„Und gehört haben Sie nichts? Schüsse vielleicht?“
„Wurde denn in Jimmys Wohnung geschossen?“
Ich blieb ihr die Antwort schuldig. „Nichts für ungut“, sagte ich und versetzte Hank mit den zwei Promille – so seine Frau – einen kameradschaftlichen Klaps auf den nackten Oberarm. Dann kehrte ich in die Wohnung Humphreys zurück.
„Die Kollegen vom Homicide Squad werden gleich eintrudeln“, empfing mich Milo. „Hast du was in Erfahrung gebracht?“
„Außer dass Humphrey gegen zehn Uhr nach Hause kam – nichts.“
„Das ist nicht viel.“
„Das ist so gut wie gar nichts“, versetzte ich düster.
Mrs. Hardin aus der Nachbarwohnung schien nichts eiligeres zu tun zu haben, als die gesamte Hausbewohnerschaft zu informieren, dass sich in Jimmy Humphreys Wohnung zwei FBI-Agenten herumtrieben und einer von ihnen – also ich – seltsame Fragen stellte.
Nach und nach fanden sich an die zwei Dutzend Männer, Frauen und Kinder vor der Korridortür ein. Da sie nicht alle Platz fanden, mussten einige auf die nach oben und unten führenden Treppen ausweichen. Das Treppenhaus war jedenfalls hoffnungslos verstopft.
„Wer wohnt über Humphreys Wohnung?“, hörte ich Milo fragen. Er hatte sich im Wohnungsflur aufgebaut und verhinderte, dass die Leute in das Apartment drängten.
„Ich!“, rief eine Frau.
„Können Sie irgendwelche Aussagen machen? Haben Sie in der Nacht Schüsse gehört?“
Sie verneinte.
Ein Mann schrie: „Ich wohne in der Wohnung drunter. Ich hab auch nichts gehört oder gesehen.“
Das sagte mir, dass der Mörder einen Schalldämpfer auf die Pistole geschraubt hatte. Und noch eins wurde mir klar: Humphrey musste den Killer, der ihn schließlich ermordete, erwartet haben. Denn die Klingel wäre sicherlich in der Nachbarwohnung, wie auch in den Wohnungen drunter und drüber zu hören gewesen. Sie verursachte Geräusche wie eine Alarmanlage.
Humphrey hatte nach meiner Vermutung vorher mit dem Killer telefoniert. Und dann hatte er ihn erwartet und ihm die Tür geöffnet, ohne dass der Mörder die Klingel benutzen musste.
Zwanzig Minuten später tauchten die Kollegen von der Mordkommission und der Spurensicherung auf.
Wir verabschiedeten uns, nachdem wir den Einsatzleiter gebeten hatten, uns über die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen und ballistischen Analysen und natürlich auch der Spurenauswertung in Kenntnis zu setzen. Ich gab ihm meine Visitenkarte.
Wir fuhren in die 29th Straße, Nummer 102.
Auch der Wohnblock, in dem Max Hollow wohnte, hatte schon bessere Zeiten gesehen. Große Flecken Putz waren von der Fassade abgefallen. Die Wände des Treppenhauses waren mit allen möglichen Sprüchen und Zeichnungen vollgekritzelt. Es roch nach Moder und Bohnerwachs im Treppenhaus. In manchen Ecken zogen sich verstaubte Spinnweben. In den verstaubten Schirmen der Plastiklampen lagen tote Fliegen und Nachtschmetterlinge.
„Wie kann man sich in einer solchen Katakombe nur wohlfühlen“, knurrte Milo, während unter unserem Gewicht die Stufen knarrten und ächzten, als würden wir ihnen Schmerzen zufügen.
Das Apartment Hollows lag in der 3. Etage. Auch Hollow öffnete uns nicht. Also drangen wir auch in diese Wohnung ein.
Unsere Befürchtung, auch hier nur noch einen Toten zu finden, erfüllte sich nicht. Aber eine Kommode und der Kleiderschrank standen offen, einige Kleidungsstücke lagen verstreut herum.
„Sieht nach einem überstürzten Aufbruch aus“, meinte Milo.
„Ja“, nickte ich. „Es besteht die Chance, dass Hollow noch unter den Lebenden weilt. Wenn es zutrifft, dass nur Jimmy Humphrey Kontakt zum Hintermann der Schutzgelderpressung hatte, dann musste auch nur er zum Schweigen gebracht werden. Hollow hat es wahrscheinlich vorgezogen, sich aus New York zu verabschieden. Denn er wird sich denken können, dass seine Kumpane uns seinen Namen verraten.“
„Oder man hat ihm eine Karriere in Aussicht gestellt und der Preis dafür war, dass er seinen Kumpel Jimmy in die Hölle schicken musste.“
„Das schließe ich aus. Der Drahtzieher wird sich hüten, Hollow seine Identität zu verraten, wo er doch davon ausgehen muss, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis wir Mäxchen haben.“
„Ziehen wir Resümee, Partner“, knurrte Milo und schaute finster drein. „Wir sind so schlau wie vorher.“
„Du hast die segensreiche Gabe, deinen Partner so richtig zu motivieren, Milo. – Well. Es ist so. Fahren wir ins Building und reden wir noch einmal mit Stiller. Vielleicht kann er uns einen Tipp geben, wohin sich Max Hollow verkrümelt haben könnte.“
Stiller konnte uns den gewünschten Hinweis nicht geben. Er wurde bleich, als ich ihn vor die Tatsache stellte, dass Jimmy Humphrey eiskalt ermordet worden war.
Anschließend widmeten wir uns noch einmal Toby Fly. Auch sein Gesicht entfärbte sich, als er von Humphreys Ermordung hörte, dann aber fand er sehr schnell zu seiner alten Unverfrorenheit und Kaltschnäuzigkeit zurück und erregte sich: „Wer ist Humphrey? Ich kenne den Burschen nicht. Er wurde ermordet. Na fein. Aber warum erzählt ihr mir den Scheiß?“
„Nun, es sollte dich zum Denken anregen, Fly“, erwiderte ich. „Aber da du Jimmy ja nicht kennst, haben wir unser Ziel wohl verfehlt. Eine schöne Zeit noch, Fly. Lass sie dir nicht zu lang werden.“
Er spuckte Gift und Galle, als ihn der Wärter wieder aus dem Vernehmungsraum bugsierte.
„Wo setzen wir an?“, kam es von Milo.
„Wir werden die Fahndung nach Hollow auf die Schiene bringen. Und dann müssen wir warten. Beschäftigen wir uns in der Zwischenzeit mit den verschwundenen Kindern.“
„Und wo bitte willst du hier den Hebel ansetzen?“, schnaubte Milo.
„Wir fangen in Minneapolis an, surfen nach Milwaukee, St. Louis, Indianapolis, Cincinnati und Philadelphia und schließlich nach New York.“
Milo schaute mich an, als zweifelte er an meinem Verstand. „Surfen? Am Computer?“ Plötzlich aber glitt der Schimmer des Begreifens über sein Gesicht. „Der Zirkus, der in New York gastiert, hat dich auf die Idee gebracht, stimmt‘s? Kulturelle Angebote, Aktivitäten, Freizeitangebote. Richtig, Partner. Den Versuch ist‘s wert.“
An den Zirkus hatte ich zwar nicht gedacht. Ich wollte eigentlich die Zentralcomputer der Polizeidienststellen der jeweiligen Städte in Anspruch nehmen, um vielleicht dort Hinweise auf ein mögliches Täterprofil, die Handschrift des oder der Täter und so weiter und so fort zu erhalten.
Nach Milos Verbalerguss war ich wie elektrisiert. Zirkusse, Volksfeste, Musikgruppen, Varietés und eine ganze Reihe anderes „fahrendes Volk“ waren im Lande unterwegs. Die Kinder waren immer im Abstand von etwa zwei Wochen verschwunden. Und sie verschwanden immer nur in großen Städten.
In New York war ein Zirkus eingetroffen. Und just zu diesem Zeitpunkt verschwand eine 14-jährige.
Das konnte Zufall sein – ebenso gut aber auch die heiße Spur, die wir suchten.
Himmel, Milos Idee hatte was für sich. „Kulturelle Angebote, Aktivitäten, Freizeitangebote“, wiederholte ich. „Komm!“
Wir marschierten in unser Büro. Ich fuhr meinen PC hoch. Milo den seinen. „Wenn die Maschine nichts hergibt, rufen wir einfach bei den Verwaltungen der betroffenen Städte an“, sagte ich, indes ich zuschaute, wie wie sich das Bild im Monitor aufbaute.
Ich klickte schließlich den Internet Explorer her und gab in die Suchmaschine das Wort Milwaukee ein. Über die Stadt schien es eine Million Beiträge zu geben. Ich brauchte die Internetadresse der Stadt. Nun, nach einiger Fleißarbeit hatte ich über einen Link die Homepage Milwaukees auf dem Monitor.
Aber der Internetbeauftragte der Stadt schien ein fleißiger Mann zu sein. Er hielt die Homepage auf dem Laufenden, und ich sah nur ein Kultur- und Freizeitangebot, das sich auf die nächste Zukunft beschränkte.
Ähnlich erging es Milo mit Minneapolis.
St. Louis brachte auch kein anderes Ergebnis.
„Wie heißt der Zirkus, der gerade in New York sein Zelt aufschlägt?“, fragte Milo.
Ich holte die Freikarten aus meiner Brieftasche. „Zirkus Morinetti.“
„Thanks.“ Ich hörte Milo auf den Tasten herumhacken. Dann: „Da haben wir ihn. Und da haben wir auch den Tournee-Plan.“
Er klickte mit der Maus.
Ich erhob mich und ging auf Milos Seite, um ihm über die Schulter zu blicken.
Es dauerte ein wenig, dann stand das Bild. Wir lasen. Und schließlich staute ich den Atem.
Anfang Juni gastierte der Zirkus in Minneapolis. Zehn Tage später in Milwaukee. Zwei Wochen nach Milwaukee in St. Louis ...
Indianapolis, Cincinnati und Philadelphia waren die letzten drei Stationen. Und jetzt war der Zirkus in New York.
Und immer zu der Zeit, in der der Zirkus in den jeweiligen Städten gastierte, verschwanden dort die Kinder.
„Milo“, sagte ich und legte meinem Freund und Partner die Rechte auf die Schulter, „du kriegst den großen Preis der Nation. Ich danke Gott, dass du mir manchmal geistig nicht folgen kannst. Dein Unvermögen hat uns auf die Spur des Rätsels gebracht.“
„Immer diese Verbalattacken!“, murrte Milo. „Ich denke, es war deine Idee ...“
„Na, wenn du meinst. Dann heimse ich eben die Lorbeeren ein.“ Dann aber wurde ich ernst. „Komm“, drängte ich. „Wir fahren zum Central Park.“
Dort waren die Zirkusleute eben dabei, die riesige Plane auf die Konstruktion aus Masten und Stahlseilen zu hieven und auseinanderzufalten.
Obwohl es nicht gerade warm war, arbeiteten viele der Burschen mit nackten Oberkörpern. Sie schwitzten Blut und Wasser, wie man so schön sagt.
Ich erkundigte mich, wo ich den Direktor antreffen könnte.
Der Mann, den ich fragte, musterte mich misstrauisch. „Kommt ihr von der Stadtverwaltung?“
„Wieso, habt ihr mit den Kommunalbeamten ab und an mal Ärger?“
„Sie sind lästiger als Hundeflöhe“, grummelte der Bursche. Dann deutete er auf einen Wohnwagen in der Überzeugung, es uns gegeben zu haben. „Klopfen Sie dort mal an. Da residiert Mr. O'Bannion.“
„Ist er ein Ire?“
„Wäre er ein Schotte, hieß er sicher McBannion“, grunzte der Mann genervt und stapfte davon.
„Unfreundliche Welt“, sagte Milo resigniert. Dann marschierte er neben mir her um bezeichneten Wohnwagen.
Mr. O'Bannion bat uns, einzutreten. Der Wohnwagen war ausgerüstet wie ein richtiges Büro. Es gab sogar einen Besuchertisch mit vier Stühlen aus Metall und dicker Polsterung. Da war auch ein Computer, und an ihm saß eine ausgesprochen hübsche Frau Mitte der 20. Sie lächelte uns an.
O'Bannion war ein typischer Ire. Auf seinem Kopf schien ein Brand ausgebrochen zu sein, so rot waren seine Haare. Sein Gesicht war von Sonnensprossen übersät. Sogar seine Handrücken waren voll davon. Er war wohl um die 35.
Zunächst einmal wiesen wir uns aus.
O'Bannion bat uns, Platz zu nehmen. „Das FBI hatte ich noch nie hier“, grinste er ohne eine Spur von Unsicherheit. „Was darf‘s sein?“
„Wir haben uns Ihren Tournee-Plan angesehen, O'Bannion“, begann ich vorsichtig und studierte dabei sein Gesicht. Er saß mir genau gegenüber. O'Bannion hielt meinem Blick stand.
„Was ist daran gesetzeswidrig?“, lachte er auf und seine wasserhellen Augen blitzten.
„Nichts.“ Mir war nicht nach Lachen zumute. „Minneapolis, Milwaukee, St. Louis, Indianapolis, Cincinnati und Philadelphia waren Ihre letzten Stationen.“
„Yeah, planmäßig. Nun spucken Sie‘s schon aus, G-men! Was liegt vor, das wichtig genug ist, das FBI auf den Plan zu rufen?“
„Okay, O'Bannion“, mischte sich Milo ein. „An jedem Ort, den Sie seit Juni mit Ihrem Zirkus besuchten, verschwanden während der Zeit Ihres Gastspiels Kinder auf Nimmerwiedersehen. Und in New York ist ebenfalls schon ein vierzehnjähriges Girl verschwunden. Wann sind Sie hier angekommen?“
„Vor drei Tagen.“ O'Bannion schaute ziemlich fassungslos aus der Wäsche.
Von der Sekretärin vernahm ich einen erschreckten Ton. Ich schaute zu ihr hin, auch Milo hatte den Blick auf sie gerichtet.
„Schrecklich“, flüsterte sie mit allen Anzeichen des Entsetzens. „Kinder – spurlos verschwunden“, stammelte sie.
„Ja, als hätten sie sich in Rauch aufgelöst“, sagte Milo. Er fixierte wieder den Direktor. „Und ausgerechnet immer dann, wenn Sie mit Ihrem Zirkus gastierten.“
„Gütiger Gott“, entrang es sich O'Bannion, „das kann Zufall sein, G-men. Sie – Sie denken doch nicht, dass ich ...“
„Wie viele Leute beschäftigen Sie?“, fragte ich.
„Mit den Artisten und allen anderen Künstlern so an die sechzig.“
„Können Sie für all diese Leute die Hand ins Feuer legen?“
„Das kann kein Mensch“, keuchte er. Die Finger seiner Rechten tasteten fahrig über sein Kinn. Er setzte zweimal an, dann sagte er: „Ich kenne die Leute alle, G-men. Ich habe sie selbst eingestellt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Killer unter ihnen befindet. Beim besten Willen nicht.“
„Wir werden jeden Ihrer Leute verhören, O'Bannion“, sagte ich. Nach kurzer Überlegung fügte ich hinzu: „Es wird sich sehr schnell herumsprechen, dass das FBI aufgekreuzt ist. Und der Grund für unsere Aktion wird sicherlich auch nicht geheim bleiben. Sollte einer Ihrer Leute plötzlich das Handtuch werfen, informieren Sie uns sofort. Klar?“
„Und jetzt bitte ich Sie, uns ein wenig herumzuführen, O'Bannion“, äußerte Milo.
Der Direktor erhob sich. Er mutete an wie ein Mann, der eine Version vom Untergang der Welt vor Augen hatte. Es wollte ihm wohl nicht in den Kopf, dass mit seinem Zirkus vielleicht ein Serienmörder reiste. Es überstieg ganz einfach seinen Verstand ...
Diesen Eindruck vermittelte er zumindest.
Das Geschrei der Arbeiter, die das Zelt aufstellten, empfing uns. Bei dieser Arbeit war noch echte Muskelkraft gefordert. Die Burschen arbeiteten nach dem „Hauruck-System“.
Kleinere Zelte standen bereits. In zwei Wagen, die an ausrangierte Eisenbahnwaggons erinnerten, die jedoch auf Gummirädern fuhren wie ein Auto, waren die Raubtiere untergebracht. Die Vorderfronten dieser beiden Waggons waren mit dicken Eisenstäben gesichert. Während der Fahrt wurden die Gitterwände mit einer stabilen Holzabdeckung versehen, auf die mit großen, farbigen Buchstaben „Zirkus Morinetti“ geschrieben war. Diese Blende war jetzt hochgeklappt, so dass wir die Raubtiere sehen konnten. Es waren insgesamt vier Löwen, drei Tiger und ein schwarzer Puma. Träge lagen sie in ihren Käfigen und beachteten uns nicht.
Wir schauten uns alles an. In einem der kleineren Zelte waren ein halbes Dutzend Elefanten untergebracht, in einem anderen Vollblutpferde.
„Die Artisten, Tierpfleger und Dompteure arbeiten mit beim Aufbau des Zeltes“, erklärte O'Bannion. „Wenn der Zirkus wieder auf die Reise geht, fahren sie die Trucks und oder fungieren als Beifahrer. Hier macht jeder so ziemlich alles. Im Winter, wenn der Zirkus im Quartier bleibt, müssen wir viele der Leute entlassen. Aber im Frühjahr, wenn die Saison wieder beginnt, holen wir sie zurück.“
„Haben Sie in den vergangenen Monaten neue Leute eingestellt?“, erkundigte sich Milo. „Ich meine, zusätzlich zu Ihrem Stammpersonal.“
O'Bannion überlegte nicht lange. „Drei oder vier Neuzugänge hatten wir. Ich müsste nachsehen. Aber das ist kein Problem.“ Plötzlich hielt der Direktor an. „Wir stehen ständig unter Zeitdruck, G-men. Am Montag soll die erste Vorstellung stattfinden. Insgesamt geben wir fünf Vorstellungen. Im Zeitalter des Fernsehens und der Computertechnik ist es schwer, Leute in den Zirkus zu kriegen. Wir sind auf die Einnahmen angewiesen. Und weil das so ist, möchte ich Sie bitten, Ihre Ermittlungen so zu führen, dass der Zirkus keinen Ausfall hat.“
„Sicher“, nickte ich. „Wir werden zunächst mal die Spreu vom Weizen trennen, O'Bannion. Deshalb brauchen wir die Namen der Leute, die Sie in den vergangenen vier oder fünf Monaten neu eingestellt haben. Mit ihnen beginnen wir. Übrigens haben wir Freikarten für Ihren Zirkus. Wir werden wohl mal eine Vorstellung besuchen.“
„Kehren wir in mein Büro zurück. Ich lasse Ihnen von Gina die Namen ‘raussuchen.“
„Gina“, echote Milo. „Ist das die hübsche Lady, die vor dem Computer saß?“
O'Bannion nickte. „Sie ist meine Lebensgefährtin, G-man.“ Er sprach es mit Nachdruck und starrte Milo dabei zwingend an. „Und das seit gut fünf Jahren.“
„Glückwunsch“, griente Milo.
Wenig später hatten wir die Namen. Es waren vier. Rice Yester, Emmy Carter, Daniel Clum und Will Gilbert.
„Rice Yester und Emmy Carter führen eine Nummer mit Wurfmessern und Lassotricks vor“, gab O'Bannion zu verstehen. „Dan Clum ist als Arbeiter eingestellt. Zelte ausmisten, Pferde striegeln, Autos waschen, und natürlich arbeitet er beim Aufbau der Zelte und Zäune mit.“
„Und Gilbert?“, fragte ich. „Was macht er?“
„Er ist bei den Raubtieren. Er füttert sie, hält die Käfige sauber, baut die Gänge auf, durch die die Raubtiere in die Manege gelangen. Wir mussten ihn einstellen, weil sein Vorgänger nach einem Herzinfarkt starb.“
„Gibt es Personalakten von den Leuten, die Sie beschäftigen?“
Diese Frage stellte ich der schönen Gina. Sie nickte. „Natürlich, G-man. Wir wollen doch wissen, mit wem wir es zu tun haben. Rice Yester und Emmy Carter arbeiteten vorher bei einem Schausteller und traten auf Volksfesten auf. Dan Clum war arbeitslos, nachdem die Braunkohlengrube, in der er arbeitete, dicht gemacht hat. Will Gilbert war in einem Zoo als Raubtierwärter beschäftigt.“
„Ich hätte gerne die Akten der vier“, erklärte ich.
Sie zog einen Schreibtischschub auf. Ich sah eine ganze Reihe von Hängeheftern. Gina suchte die vier, die ich wollte, heraus und reichte sie mir.
„Sie bekommen die Akten natürlich wieder“, sagte ich und lächelte ihr zu. „Wir werden die Vergangenheit der vier Leutchen etwas durchleuchten und dann bringen wir Ihnen die Hefter wieder.“ Ich schaute O'Bannion an. „Und dann werden wir die Leute befragen müssen, O'Bannion. Sie werden die Ausfälle aber sicherlich verschmerzen.“
Er verzog säuerlich das Gesicht.
Wir verließen den Wagen.
Als wir zum Wagen stapften, sagte Milo: „Wie kommt ein hässlicher Vogel wie dieser O'Bannion zu so einer Frau?“
Ich zuckte mit den Schultern. Grinsend erwiderte ich: „Vielleicht verfügt er über die berühmten inneren Werte ...“
„Ja, das muss es wohl sein. Irgendeinen Vorzug muss er haben. Wäre sie hässlich, würde ich sagen, es nicht ihre Schönheit, die ihn an sie bindet, sondern seine eigene.“
Ich schaute Milo verblüfft von der Seite an. „Wie meinst du das?“
„Mit seinem Aussehen bekäme er wohl keine andere. So aber ...“
Ich lachte belustigt. „Deine Philosophien sind wieder einmal umwerfend, Milo. Ja, natürlich ...“
Da sah ich etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Achtung!“, stieß ich hervor und versetzte Milo einen kräftigen Stoß. Ich machte einen Satz zur Seite und griff nach der SIG!
Keine zehn Schritte vom Wagen entfernt parkte ein metallic-blauer Chevy. Das Fenster auf der Fahrerseite war heruntergelassen. Am Steuer saß ein Mann. Er hielt ein Handy vor dem Gesicht, seine Lippen bewegten sich. Schließlich nickte er, seine Hand mit dem Handy sank nach unten. Er startete den Motor.
Ich sagte gerade lachend: „Deine Philosophien sind wieder einmal umwerfend, Milo. Ja, natürlich ...“
Der Mister wandte uns das Gesicht zu. Ich stutzte. Der Bursche kam mir bekannt vor. Sein Arm kam hoch – und ich sah die Pistole in seiner Faust.
„Achtung!“ Milo taumelte unter meinem derben Stoß zur Seite und strauchelte. Die vier Hängehefter, die ich trug, flatterten zu Boden. Ich flog wie von einem Katapult geschleudert durch die Luft und riss die SIG aus dem Holster.
Im allerletzten Augenblick.
Die Pistole donnerte. Der Schuss ging fehl – dank meiner Reaktion. Die Hand mit der Waffe ruckte herum. Die Mündung wies auf mich. Ich warf mich zur Seite. Im Fliegen feuerte ich. Unsere Schüsse krachten gleichzeitig. Die Detonationen vermischten sich. Der Chevy fuhr an. Meine Kugel hieb in den Holm zwischen Fahrer- und Hecktür.
„Das ist Hollow!“, schrie ich und feuerte erneut.
Auch Milos Waffe brüllte auf.
Der Chevy aber machte schon einen Satz nach vorn, als Hollow Vollgas gab und die durchdrehenden Räder plötzlich griffen. Unsere Kugeln stanzten lediglich zwei weitere Löcher in die Karosserie.
Dreck flog unter den Rädern nach hinten. Denn der Untergrund, auf dem der Chevy fuhr, bestand aus Rasen. Er wühlte richtige Furchen in das satte Grün. Schließlich raste er auf einen Verbindungsweg zwischen West Drive und East Drive, und verschwand um eine Kurve hinter dichtem Gebüsch.
Den Zirkusleuten war die Schießerei natürlich nicht verborgen geblieben. Das „Hauruck-Geschrei“ war verstummt.
Ich stieß die SIG ins Holster und raffte die herumliegenden Schnellhefter vom Boden auf. Milo war zu dem unbefestigten Weg gerannt, auf dem der Chevyfahrer die Flucht ergriffen hatte. Ich rannte zum Wagen. Indes ich über den Rasen hetzte, holte ich meinen Schlüsselbund aus der Tasche und betätigte die ferngesteuerte Zentralverriegelung.
Dann klemmte ich mich hinters Steuer und ließ an. Der Wagen bäumte sich auf, als ich anfuhr. Nach einem engen Bogen hielt ich neben Milo auf dem Weg. Er riss die Tür auf und warf sich auf den Beifahrersitz. Noch ehe er die Tür schließen konnte, gab ich Stoff.
Der Weg war holprig. Die Stoßdämpfer mussten einiges ertragen. Ein Spaziergänger stand einige Meter weit in der Wiese neben dem Weg und drohte in die Richtung, in die der Chevy abgehauen war. Der Mann wirbelte herum, weil ein zweiter Verrückter mit einem roten Sportwagen den Weg unsicher machte, und drohte auch mir mit der erhobenen Faust.
Nun, der Mann hatte sicher allen Grund dazu.
Der Chevy war 150 Yards vor uns. Hollow riss ihn in die Kurve und bog in den East Drive ein. Er jagte nach Norden in Richtung Transverse Road No. 2. Ich setzte sämtliche Pferdestärken ein, die unter der Motorhaube des Wagen verpackt waren. Der Motor röhrte wie ein Dammhirsch. Aber auch Hollow holte alles aus dem Chevy heraus. Wahrscheinlich hatte er das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten. Er überholte in halsbrecherischer Art und Weise einen Toyota, musste ihn schneiden, weil ein Wagen entgegenkam, und geriet fast ins Schleudern. Aber der Gangster fing das Fahrzeug gekonnt ab und raste weiter.
Der Vorsprung vergrößerte sich wieder ein wenig. Denn ich musste abbremsen, weil ich an dem Toyota wegen eines weiteren entgegenkommenden Wagens nicht vorbei konnte.
Als ich schließlich an ihm vorbeizog, zeigte mir der Fahrer den hochgestreckten Mittelfinger.
Der Chevy bog nach links in die Transverse Road No. 2 ein. Der Fahrer wollte in den Westteil Manhattans.
Hier war der Verkehr schon um einiges ausgeprägter als auf dem Drive. Hollow fuhr einen waghalsigen Slalom. Ein Seitenspiegel flog, prallte auf die Straße, wurde hochgeschleudert und krachte in eine Windschutzscheibe.
Der Fahrer des demolierten Wagens trat erschreckt auf den Stempel. Die Räder blockierten, nachdem sie einige Meter über den Asphalt radierten.
Hinterherfahrende Autos stoppten.
Ich verließ die Road nach rechts und raste wieder über weichen Rasen. Der Belvedere Lake und das Belvedere Castle schienen rechter Hand an uns vorbeizufliegen. Milo und ich wurden durch und durch geschüttelt.