Straße nach überallhin - Roger Zelazny - E-Book

Straße nach überallhin E-Book

Roger Zelazny

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Beschreibung

Red Dorakeen hat sich einen mächtigen Feind gemacht. Kreuz und quer flieht er vor dessen Attentätern durch die Epochen der Menschheitsgeschichte – denn die »Straße nach überallhin« ermöglicht es ihm, von der unvorstellbar fernen Vergangenheit bis in die weite Zukunft zu reisen.  Dieser vergessene Schatz der Science-Fiction lässt seine Leser:innen auf jeder Seite von Neuem staunen, rätseln und mitfiebern – Zelaznys besondere Erzählweise bietet ein absolut außergewöhnliches Leseerlebnis.

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Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Jakob Schmidt

Neu übersetzte Ausgabe

© Roger Zelazny 1979

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Roadmarks«, Del Rey/Ballantine Books, Westminster (USA) 1979

© der deutschsprachigen Ausgabe: Piper Verlag GmbH, München 2023

© Nachwort: Uwe Anton 2023

Erstmals erschienen im Moewig Verlag, München 1981

Redaktion: Catherine Beck

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Guter Punkt, München, Stephanie Gauger unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock und iStock / Getty Images Plus

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

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Nachwort von Uwe Anton

Immer in Bewegung bleiben: Roger Zelaznys Straße nach überallhin

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Ron Bounds, Bobbie Armbruster und Gary & Uschi Klüpfel – mit glücklichen Erinnerungen ans Oktoberfest.

2

»Halt an!«, schrie Leila.

Randy fuhr sofort rechts ran und bremste. Der Himmel pulsierte und nahm schließlich einen perlmuttfarbenen Dämmerungston an.

»Fahr an der Böschung entlang rückwärts.«

Er nickte und legte den Rückwärtsgang ein.

»Du meinst wegen der Leute dort? Wir können auch einfach zurücklaufen …«

»Ich will sie mir genauer ansehen, bevor wir aussteigen.«

»Okay«, sagte er, während sie langsam rückwärtsholperten.

Sie drehte sich um und betrachtete das ziemlich mitgenommene graue Fahrzeug. Zwei Gestalten saßen darin. Anscheinend waren sie beide weißhaarig, aber das Licht mochte ihr einen Streich spielen. Und anscheinend beobachteten die beiden sie.

»Gleich wird die Fahrertür aufgehen«, sagte sie leise.

Die Fahrertür öffnete sich.

»Und jetzt die andere.«

Die andere Tür öffnete sich.

»Der alte Mann ist gefahren, die alte Frau ist Beifahrerin …«

Ein alter Mann und eine alte Frau stiegen aus, wobei sie die Türen hinter sich offen ließen. Sie trugen zerschlissene Wickelkleidung, die von Schärpen gehalten wurde.

»Halt an«, sagte sie. »Lass uns aussteigen, zurückgehen und ihnen helfen. Ihre Verteilerkappe hat sich gelöst.«

»Gehört das zu deiner Vision?«

»Nein«, sagte sie.

Sie öffnete die Tür, stieg aus und ging zurück. Er tat es ihr nach. Als er sich den beiden näherte, war sein erster Eindruck, dass der Mann zu alt zum Fahren war. Vornübergebeugt lehnte er an seinem Auto. Seine freie Hand zitterte leicht; sie war ausgedörrt und fleckig, klauenartig. Sein Gesicht war von tiefen Falten durchfurcht, die Brauen so weiß wie sein Haar. Dann fiel sein Blick auf Randy und blieb an ihm haften – seine Augen waren grün und schienen fast zu blitzen. In ihnen lag eine wache Aufmerksamkeit, die er dem Mann von drei Meter weiter weg nicht angemerkt hätte. Randy lächelte ihn an, aber der Mann zeigte keine Reaktion.

Inzwischen war Leila an die alte Frau herangetreten und sprach in einer Randy unbekannten Sprache mit ihr.

»Wenn ich mal einen Blick unter die Motorhaube werfen dürfte, kann ich vielleicht helfen«, bot Randy sich an.

Als der Mann nicht antwortete, wiederholte er die Worte auf Foretalk. Auch das entlockte dem Alten keine Reaktion. Anscheinend war der Mann damit beschäftigt, sein Gesicht, seine Kleidung, seine Bewegungen zu studieren. Randy fühlte sich unter diesem seltsam prüfenden Blick unwohl. Er warf Leila einen Hilfe suchenden Blick zu.

»Alles in Ordnung«, sagte sie. »Mach die Motorhaube auf und reparier den Wagen. Sie verstehen nicht, wie er funktioniert. Ich erkläre ihnen gerade, was Treibstoff ist.«

Als er sich vorbeugte, um die Motorhaube zu öffnen, sah Randy, wie Leila der alten Frau ein dickes Bündel Geld überreichte. Als die Motorhaube sich ein paar Zentimeter hob, wich der Mann zurück. Dann hatte Randy sie ganz geöffnet und hörte einen kurzen Ausruf aus seiner Richtung.

Ja. Die Verteilerkappe hatte sich gelockert. Er befestigte sie wieder dort, wo sie hingehörte. Dann ließ er den Blick kurz über den Rest des Motors wandern, mit dem anscheinend alles in Ordnung war.

»Würden Sie jetzt bitte versuchen, den Wagen anzulassen, mein Herr?«, fragte er.

Als er aufblickte, lächelte der Mann ihn an.

»Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mich verstehen, aber ich wäre dankbar, wenn Sie versuchen, den Motor anzulassen«, sagte Randy. Und dann, als sich der andere Mann weder von der Stelle rührte noch antwortete, sagte er: »Dann mache ich es.«

Randy ging um den Mann herum und warf einen Blick in den Wagen. Der Schlüssel steckte noch. Er stieg ein und drehte ihn im Zündschloss. Kurz darauf sprang der Motor an. Er schaltete ihn wieder ab und stieg aus. Dann erwiderte er das Lächeln des alten Mannes und nickte. »Das hätten wir.«

Der Mann sprang unvermittelt vor und schloss ihn fest in die Arme. Er war überraschend kräftig, und sein Atem war sehr heiß.

»Name, dein Name, guter Mann?«, fragte er.

»Randy. Ich bin Randy – Dorakeen«, antwortete er und löste sich aus dem Griff des Mannes.

»Dorakeen. Guter Name«, sagte der Mann.

Leila hatte das Fahrzeug inzwischen umrundet und stand nun hinter ihnen. Die alte Frau war ihr gefolgt.

»Sie kommen jetzt zurecht«, sagte sie. »Komm! Wir müssen weiter – zur letzten Ausfahrt Babylon.«

Sie flüsterte dem Mann etwas zu, worauf dieser nickte. Dann nahm sie die alte Frau für einen langen Moment in die Arme, bevor sie sich von ihr löste und zurück in Richtung Auto ging. Randy folgte ihr rasch. Als er sich noch einmal umsah, war das andere Paar bereits wieder eingestiegen. Er hörte, wie der Motor ansprang. Dann fuhr der Wagen auf die Straße und war verschwunden. Im selben Moment ging die Sonne auf, und ihm fiel auf, dass Leila weinte. Erfüllt von seltsamen Gefühlen wandte er den Blick ab.

1

Red Dorakeen befand sich auf einem ruhigen Stück der Straße, einem geraden, totenstillen und leicht glitzernden Abschnitt. Zwei futuristische Fahrzeuge waren vor mehreren Stunden mit fantastischer Geschwindigkeit an ihm vorbeigezogen, und er hatte einen Vierspänner und dann einen einsamen Reiter überholt. Er blieb mit seinem blauen Dodge-Pick-up auf der rechten Spur und fuhr konstant hundert Stundenkilometer, während er auf seiner Zigarre herumkaute und vor sich hin summte.

Der Himmel war von einem sehr blassen Blau, und ein breites, helles Band verlief von Osten nach Westen darüber. Es war kein Staub zu sehen, und keine Insekten klatschten gegen die Windschutzscheibe.

Er fuhr mit heruntergekurbelten Fenstern und hielt sich mit der linken Hand oben im Türrahmen fest. Er trug eine ausgebleichte Basecap, den Schirm tief ins Gesicht gezogen. Den Kopf hatte er zum Ausgleich leicht in den Nacken gelegt, und die grünen Augen im Schatten der Mütze waren halb geschlossen. Sein rötlicher Bart war ein bisschen dunkler als sein Haar.

Ein winziger Klecks tauchte vor ihm auf, der schnell größer wurde: ein zerbeulter schwarzer VW. Als sie auf einer Höhe waren, erklang die Hupe des anderen Wagens, und der VW fuhr an den Straßenrand und kam zum Stehen.

Red warf einen Blick in seinen Seitenspiegel, trat auf die Bremse und zog nach rechts. Als er langsamer wurde, begann der Himmel zu pulsieren – blau, grau, blau, grau –, und bei jedem verblassenden Aufblitzen verschwand das helle Band.

Als er ganz zum Stehen kam, war er von klarer Abendluft umgeben. Irgendwo in der Ferne zirpten Grillen, und eine kühle Brise wehte. Er öffnete die Tür, stieg aus der Fahrerkabine, zog dabei seinen Zündschlüssel aus dem Schloss und steckte ihn ein. Er trug Levi’s und Kampfstiefel, eine braune Skiweste über dem Khaki-Arbeitshemd und einen breiten Gürtel mit verzierter Schnalle. Er drehte seine Schirmmütze herum und hielt inne, um sich seine Zigarre anzuzünden, bevor er zu Fuß an der Böschung entlang zurückging.

Man konnte die Straße unmöglich überqueren, ohne den nahezu sicheren Tod zu riskieren. Deshalb blieb er auf der Höhe des VWs auf der anderen Straßenseite stehen. Im selben Moment öffnete sich die Tür des Wagens, und ein kleiner Mann mit schmalem Schnurrbart kam zum Vorschein.

»Red!«, rief er. »Red? …«

»Was gibt’s, Adolf?«, brüllte er ihm zu. »Suchst du immer noch den Ort, wo du gewonnen hast?«

»Hör mal, Red«, sagte der andere. »Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen sollte, weil ich mich nicht entscheiden kann, ob ich dich zu sehr hasse oder ob ich trotzdem das Gefühl habe, dass ich dir etwas schuldig bin. Aber andererseits bin ich mir auch nicht sicher, ob meine Information dir schadet oder nützt. Von daher gleicht sich das wohl alles aus. Ich sage es dir. Ich war vor einer Weile ein sehr großes Stück weiter unten auf der Straße, und an der Ausfahrt mit dem Schild mit dem blauen Zikkurat habe ich etwas gesehen …«

»Der blaue Zikkurat?«

»Der blaue Zikkurat. Ich habe gesehen, wie du dich dort überschlagen hast. Ich habe deinen Truck brennen sehen.«

Red Dorakeen schwieg für eine Weile. Dann lachte er.

»Der Tod«, sage er, »wird sicher verwirrt sein, falls er mir demnächst begegnet. Er wird sagen: Was macht dieser Mann in Themistokles’ Athen, wo er doch an der letzten Ausfahrt Babylon eine Verabredung mit mir hat?« Seine massige Gestalt wurde von einem erneuten Lachen erschüttert. Dann atmete er eine blaue Rauchwolke aus und hob den rechten Arm zu einem spöttischen Gruß. »Aber danke. Vielleicht ist es gut für mich, das zu wissen.« Er drehte sich um und ging in Richtung seines Trucks.

»Eines noch«, rief ihm der andere nach.

Er hielt inne und wandte den Kopf. »Und das wäre?«

»Du hättest ein großer Mann sein können. Lebwohl!«

»Auf Wiedersehen«, antwortete Red auf Deutsch.

Red stieg in die Fahrerkabine und ließ den Motor an. Schon bald war der Himmel wieder blau.

2

Während sich die Morgendämmerung über die stille, zersplitterte Skyline emporarbeitete, regte Strangulena sich auf ihrer Barke auf dem East River. Langsam und behutsam schob sie die Felle beiseite, unter denen sie mit dem anderen zusammenlag, und strich sich eine Strähne lohfarbenen Haars aus der Stirn. Ihre Fingerspitzen berührten die empfindlichen Stellen an ihrem Hals, den Schultern und Brüsten, wo die Spuren, die ihr eifriger Liebhaber hinterlassen hatte, bereits sichtbar wurden. Lächelnd bewegte sie die Finger und drehte sich langsam auf die rechte Seite.

Toba, so schwer und dunkel wie die weichende Nacht, grinste sie an, die Wange auf die rechte Handfläche gestützt.

»Ihr Götter! Schläfst du denn nie?«, fragte sie.

»Nicht bei einer Dame, die über hundert Liebhaber stranguliert hat, nachdem sie neben ihr eingeschlafen sind.«

Sie kniff die Augen zusammen.

»Dann hast du es gewusst! Die ganze Zeit hast du es gewusst! Du hast mich an der Nase herumgeführt!«

»Gott und Amphetamine sei Dank, ja!«

Sie lächelte und streckte sich.

»Du hast großes Glück. Genau genommen warte ich normalerweise nicht, bis jemand einnickt. Normalerweise wähle ich einen ganz bestimmten Moment, sodass sie sozusagen gleichzeitig kommen und gehen. Du wärst nur deshalb erst jetzt dran gewesen, weil ich in dem Moment von der Architektur um uns herum abgelenkt war. Allerdings …«

Sie streckte die Hand aus und machte sich an der Kontrolleinheit zu schaffen. Leise setzte sich die Barke in Bewegung.

Sie drehte sich auf die andere Seite.

»Sieh nur, wie das Licht auf die Ruinen Manhattans fällt! Wie sehr ich Ruinen liebe!« Plötzlich setzte sie sich auf und hob ein längliches Rechteck aus geschnitztem und poliertem Holz in die Höhe. Sie hielt es auf Armeslänge und sah hindurch. »Die Gebäudegruppe dort drüben … ist das nicht eine schöne Komposition?«

Toba erhob sich und beugte sich vor, sodass sein Kinn über ihre linke Schulter strich.

»Sie ist … äh … interessant.«

Sie hielt eine kleine Kamera in der linken Hand, sah durch sie hindurch, dann durch den Holzrahmen, beugte sich vor, lehnte sich nach hinten, drückte auf einen Knopf.

»Hab sie.«

Sie legte Rahmen und Kamera rechts von sich ab.

»Ich könnte mein ganzes Leben damit verbringen, mir malerische Ruinen anzusehen. Genau genommen mache ich das auch. Die meiste Zeit. Vom Wasser her sehen sie immer am besten aus. Ist dir das auch schon mal aufgefallen?«

»Jetzt, wo du es erwähnst …«

»Du warst einfach zu schön, um wahr zu sein, weißt du? Im Lumpen gekleidet im Müll am Ufer rumstochernd, ungewaschen und ungebildet, ein Produkt des Verfalls der Zivilisation – genau dort, wo ich gerade vorbeigetrieben bin. Du hast mich reingelegt. Was bist du? Ein Archäologe?«

»Nun ja …«

»Und du wusstest von mir. Halt den rechten Arm weiter oben, aber heb den Kopf.«

Sie rollte sich auf den Bauch, hob selbst den rechten Arm und umfasste seine Hand.

»Alles klar, Mister Toba. Jetzt drück, als hinge dein Leben davon ab. Tut es vielleicht auch.«

»Hör mal, meine Dame …«

Sein Arm wurde heruntergedrückt. Er griff fester zu, hielt dagegen. Für einen Moment brachte er die Bewegung zum Stillstand. Er biss die Zähne zusammen, beugte sich nach links.

Dann wurde er herumgerissen, und seine Hand knallte aufs Deck.

Sie lächelte auf ihn herab.

»Willst du es noch mal mit links probieren?«

»Nein danke. Hör mal, ich glaube alles, was ich über dich gehört habe … Du hast … äh … einen exotischen Geschmack und bist stark genug, um deine Wünsche zu befriedigen. Eine, die kriegt, was sie will, muss man einfach bewundern. Jedenfalls konnte ich anders kein Treffen mit dir arrangieren. Ich habe ein einmaliges Angebot für dich, das du dir auf keinen Fall entgehen lassen darfst.«

»Hat es mit einer guten Ruine zu tun?«

»Das kannst du mir glauben!«, sagte er hastig.

»Und mit einem guten Mann?«

»Einem der besten!«

Sie nahm seine Hand und zog ihn mit einem Ruck auf die Füße.

»Schnell! Sieh dir an, wie das Sonnenlicht auf den geborstenen Turm dort fällt!«

»Das ist allerdings ein Ding!«

»Wie heißt er?«

»Dorakeen. Red Dorakeen.«

»Das klingt vertraut …«

»Er ist schon ziemlich lange hier unterwegs.«

»Ist er schön anzusehen?«

»Das musst du noch fragen?«

»Ich könnte eine neue Barke brauchen, mit Elfenbein-Einlegearbeiten …«

»Sag kein Wort mehr. He! Da fällt das Sonnenlicht durch die Reste der Brücke!«

»Schnell! Die Kamera – du kannst dich wirklich glücklich schätzen, Toba.«

»Als ob ich das nicht wüsste!«

1

Als er den winzigen, im Sonnenlicht glänzenden Fleck im Rückspiegel auftauchen sah, fluchte Red Dorakeen leise.

»Was ist los?«, erklang eine rauchige Stimme aus dem Armaturenbrett.

»Hä? Ich wusste gar nicht, dass ich dich angelassen habe.«

Seine rechte Hand bewegte sich auf den Schalter zu, doch dann ließ er sie sinken.

»Das hast du auch nicht. Ich habe mich selbst aktiviert.«

»Wie hast du das hinbekommen?«

»Erinnerst du dich daran, dass ich letzten Monat beim Kartenspielen eine Wartung von dir gewonnen habe? Es war genug Guthaben übrig, um ein paar zusätzliche Schaltkreise installieren zu lassen. Ich war der Meinung, dass es an der Zeit sei, meinen Horizont zu erweitern.«

»Willst du damit sagen, dass du mich einen ganzen Monat lang belauscht hast?«

»Ja. Du führst viele Selbstgespräche. Das ist lustig.«

»Dagegen müssen wir etwas unternehmen.«

»Du könntest aufhören, mit mir Karten zu spielen. Ich wiederhole – was ist los?«

»Ein Polizeiwagen. Nähert sich schnell. Vielleicht fährt er einfach an mir vorbei. Vielleicht auch nicht.«

»Ich wette, ich kann ihn plattmachen. Willst du einen Kampf?«

»Nein, zum Teufel. Halt die Füße still, Fleurs. Für manche Dinge muss man sich einfach Zeit nehmen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Ich habe es nicht eilig. Wenn ich scheitere, versuche ich es noch mal. Oder ich versuche etwas anderes.«

Sein Blick wanderte wieder zum Rückspiegel. Das glänzende, tropfenförmige Fahrzeug war nun groß auf der Überholspur zu sehen und holte weiter auf, obwohl es anscheinend etwas langsamer geworden war.

»Ich verstehe es immer noch nicht.«

Er riss mit dem Daumen ein Streichholz an und hielt es sich an die Zigarre.

»Ich weiß. Mach dir keine Gedanken darüber – und falls es zu einer Diskussion kommt, halte dich raus.«

»Verstanden.«

Er warf einen Blick zur Seite. Das Fahrzeug war jetzt auf seiner Höhe und hatte die Geschwindigkeit angepasst. Er seufzte.

»Halt mich an oder fahr weiter, verdammt noch mal!«, brummte er. »Wir sind beide zu alt für Spielchen!«

Wie zur Antwort heulte eine Sirene auf. Eine Kugel stieg über das glänzende Dach empor und fing an zu blinken wie ein glühendes Auge.

Red lenkte das Auto an den Straßenrand. Erneut begann der Himmel zu pulsieren, wurde abwechselnd dunkel und hell, dunkler und heller. Als das Fahrzeug zum Stehen kam, hing dicht über dem Horizont zu seiner Rechten die Morgensonne, das Gras war frostblass, und Vögel zwitscherten. Das glänzende Fahrzeug hielt vor ihm. Beide Türen öffneten sich, und zwei Beamte in grauen Tuniken stiegen aus und kamen auf ihn zu. Er schaltete den Motor ab, saß ganz still da und atmete eine große Rauchwolke aus.

Der Fahrer des anderen Fahrzeugs trat an Reds Tür. Sein Begleiter ging zum Heck des Wagens. Der Erste der beiden blickte zu Red herein. Er lächelte leise.

»Da soll mich doch einer!«, sagte er.

»Hi, Tony!«

»Ich wusste nicht, dass du das bist, Red. Ich hoffe, dass du nichts allzu Scheußliches planst.«

Red zuckte mit den Schultern.

»Ach, ein bisschen hier was, ein bisschen dort was.«

»Tony«, erklang eine Stimme von hinten. »Sieh dir das hier mal an.«

»Ähm … ich muss dich darum bitten auszusteigen, Red.«

»Klar.«

Er öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen.

»Was ist?«, fragte Tony, während er zu dem anderen nach hinten ging.

»Sieh mal.«

Er hatte die Plane an einer Ecke gelöst und abgehoben. Nun machte er sich daran, sie weiter zu lösen. »Die Dinger kenne ich! Das sind C-20-Gewehre, M-1 nennt man die.«

»Ja, ich weiß. Siehst du das da hinten? Browning-Automatik. Und das da ist eine Kiste Handgranaten. Und eine Menge Munition.«

Tony seufzte und drehte sich zu Red um.

»Sag nichts. Lass mich raten«, sagte er. »Ich weiß genau, wohin du unterwegs bist. Du glaubst immer noch, dass die Griechen die Schlacht von Marathon gewinnen sollten, und du willst ihnen unter die Arme greifen.«

Red verzog das Gesicht.

»Wie hast du das erraten?«

»Man hat dich schon zweimal dabei erwischt.«

»Und ihr habt mich gerade angehalten – bei einer zufälligen Kontrolle?«

»So ist es.«

»Du willst behaupten, niemand hat euch einen Tipp gegeben?«

Der Beamte zögerte und wandte kurz den Blick ab.

»So ist es.«

Ein Grinsen formte sich um Reds Zigarre.

»Okay. Ihr habt mich mit dem Zeug erwischt. Was macht ihr jetzt?«

»Zuerst einmal beschlagnahmen wir das alles. Du kannst uns dabei helfen, es in unseren Van zu schaffen.«

»Bekomme ich eine Quittung?«

»Verdammt noch mal, Red! Weißt du, wie ernst das ist, was du hier treibst?«

»Jau.«

»Zugegebenermaßen, uns passiert nichts, auch wenn du die Sache wirklich durchziehst. Du würdest allerdings eine weitere Abzweigung erschaffen. Oder eine neue Ausfahrt.«

»Und was ist daran so schlimm?«

»Wer weiß, wer dann in Zukunft auf der Straße unterwegs ist.«

»Hier sind schon eine Menge komischer Fische unterwegs, Tony. Sieh dir mal uns an.«

»Aber bei dir wissen wir, woran wir sind. Alle kennen dich. Wozu brauchst du überhaupt diese verdammte neue Abzweigung?«

»Weil es schon einmal so war, aber jetzt ist diese Nebenstraße versperrt. Ich versuche, eine bestimmte Kombination von Umständen wiederherzustellen.«

»An die erinnere ich mich nicht.«

»Du bist jung, Tony.«

»Ich verstehe dich nicht, Red. Komm, hilf mir mit den Waffen.«

»Okay.«

Sie machten sich daran, die Sachen ins andere Auto zu bringen.

»Du weißt, dass du damit aufhören musst.«

»Ich weiß, dass es Teil deiner Arbeit ist, so etwas im Blick zu behalten, ja.«

»Aber dir ist das scheißegal. Mal angenommen, du öffnest das Tor zu einem wirklich üblen Ort, voller gefährlicher, bösartiger Geschöpfe, die über die Fähigkeit verfügen, die Straße zu bereisen? Dann wären wir alle in Schwierigkeiten. Warum lasst ihr es nicht einfach?«

»Ich bin auf der Suche nach etwas, das ich anders nicht finden kann.«

»Kannst du mir vielleicht auch sagen, was?«

»Nein, das kann ich nicht. Es ist eine persönliche Angelegenheit.«

»Du bist bereit, es allen, die hier auf der Straße unterwegs sind, nur aus einer selbstsüchtigen kleinen Laune heraus zu versauen?«

»Jau.«

»Warum frage ich so was überhaupt. Ich kenne dich seit vierzig Jahren. Wie viele sind es für dich?«

»Fünf oder sechs Jahre. Vielleicht auch dreißig. Ich weiß es nicht. Machst du zwischendurch viel Büroarbeit?«

»Zu viel.«

»Das bringt dich vielleicht auf so komische Gedanken über neue Abzweigungen.«

»Genau genommen habe ich mir mit der Zeit einiges an Theorie darüber angeeignet, und die Sache ist mit Sicherheit komplizierter, als du denkst.«

»Papperlapapp! Es war schon einmal so, dann kann es auch wieder so werden.«

»Wenn du meinst, aber wir lassen dich trotzdem nicht einfach irgendwelchen Blödsinn machen.«

»Die Leute tun das täglich. Wozu ist man sonst auf der Straße unterwegs? Wo sie auch hingehen, auf die eine oder andere Art verändern sie das Wegenetz.«

Tonys Zähne klapperten.

»Ich weiß, und das allein schon macht einem Angst. Das müsste alles besser überwacht werden, man sollte Kontrollstellen einrichten …«

»Aber die Straße gibt es seit jeher und auch diejenigen von uns, die sie bereisen können. Die Welt nimmt ihren Lauf, die Straße nimmt ihren Lauf – von der Schöpfung bis zur Zerstörung, Amen, besser wissen wir es auch nicht. Worum geht es dir also?«

»Ich kenne dich seit vierzig Jahren – oder seit dreißig oder fünf oder sechs. Du hast dich nicht verändert. Ich dringe einfach nicht zu dir durch. Okay. Den Verkehr können wir größtenteils nicht kontrollieren, kleine Veränderungen nicht verhindern. Wir können allerdings die Augen nach großen Sachen offenhalten, und das tun wir auch. Und du hast immer mit den großen Sachen zu schaffen. Ich will nur nett sein und dich mit einer Verwarnung davonkommen lassen.«

»Mehr kannst du sowieso nicht tun, und das weißt du auch. Du hast keine Beweise dafür, wohin ich mit meiner Ausrüstung unterwegs war. Du kannst sie beschlagnahmen, du kannst mir Vorträge halten, du kannst mir das Leben für eine Weile schwer machen. Aber auf Dauer ändert das nichts – und du weißt ebenso gut wie ich, dass du mir hier nur Märchen auftischst. Hier geht es nicht um Politik oder darum, den Frieden zu wahren oder so was. Ihr schikaniert mich, und zwar mich persönlich, aus einem bestimmten Grund. Jemand hat es auf mich abgesehen, und ich wusste gern, wer und warum.«

Tony lief rot an. Sein Partner kam mit der Kiste Handgranaten an ihnen vorbei.

»Du wirst paranoid, Red«, sagte er schließlich.

»Oh-oh. Gibst du mir vielleicht einen Tipp?« Er sah dem anderen in die Augen, während er ein Streichholz an der Munitionskiste anzündete und es an seine Zigarre hielt. »Wer könnte es sein?«

Tony warf seinem Partner einen Blick zu. »Komm! Laden wir das restliche Zeug ein«, sagte er.

Sie brauchten noch zehn Minuten, um die Waffen zu verladen. Als sie damit fertig waren, durfte Red zurück in seinen Truck.

»Okay. Denk dran, du bist gewarnt«, sagte Tony.

Red nickte.

»… und pass auf dich auf.«

Red nickte wieder, diesmal langsamer.

»Danke.«

Er beobachtete, wie sie in ihr glänzendes Fahrzeug einstiegen und davonrasten.

»Worum ging es bei der Sache?«

»Er hat mir bloß einen Gefallen getan, Fleurs. Er ist mich suchen gekommen, um mir mitzuteilen, dass wir in Schwierigkeiten stecken.«

»Was für Schwierigkeiten?«

»Darüber muss ich noch nachdenken. Wo ist die nächste Raststätte?«

»Nicht allzu weit voraus.«

»Du fährst.«

»Okay.«

Mit einem Ruck setzte sich der Truck in Bewegung.

2

Der Marquis de Sade folgte Sundoc in das gewaltige Gebäude.

»Ich weiß das sehr zu schätzen«, sagte er, »und ich wüsste es auch zu schätzen, wenn Sie Chadwick gegenüber nichts davon erwähnten, weil er nämlich glaubt, ich wäre damit beschäftigt, einen Haufen schauderhafter Manuskripte zu lesen. Seit ich von Baron Cuviers Spekulationen gehört habe, frage ich mich so manches, hege gewisse Wünsche. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich einmal einen zu sehen bekommen würde.«

Sundoc lachte leise und führte ihn in das riesige Laboratorium.

»Das kann ich gut nachvollziehen. Keine Sorge, ich gebe gern mit meiner Arbeit an.«

Sie näherten sich der großen Grube in der Mitte des Saals und traten an das Geländer, von dem sie umgeben war.

Sundoc machte eine Bewegung mit der Rechten, und der Bereich zu ihren Füßen wurde von Licht geflutet.

Er stand da wie eine gewaltige Statue, wie eine ungewöhnlich gut gearbeitete Requisite aus einem B-Movie, wie eine unvermittelt fleischgewordene Neurose …

Und dann bewegte er sich. Er scharrte mit den Füßen über den Boden und senkte den Kopf, wandte sich von dem Licht ab. An seinem Hinterkopf wurde ein Streifen schimmernden Metalls sichtbar, dann ein weiterer, der entlang seiner Wirbelsäule verlief.

»Hässlich wie nur was«, sagte Sundoc.

Der Marquis schüttelte den Kopf.

»Bei Gottes Zahnfüllungen! Er ist wunderschön!«, sagte er leise. »Sagen Sie mir bitte noch mal seinen Namen.«

»Tyrannosaurus Rex.«

»Passend. Ja, wirklich passend! Wunderbar!«

Über eine Minute lang stand er da, ohne sich zu regen. Dann fragte er: »Wie sind Sie an eines dieser wunderschönen Tiere herangekommen? Man ließ mich glauben, dass sie nur in der extrem fernen Vergangenheit existieren.«

»Das ist wahr. Ich bin ziemlich lange mit einem fusionsgetriebenen Schiff über der Straße geflogen, um so weit zurückzugelangen.«

»Also erstreckt sich die Straße tatsächlich bis in jene Urzeiten zurück … erstaunlich! Und wie haben Sie etwas von solcher Größe, von solcher Kraft transportiert?«

»Habe ich nicht. Das Team, das ich geschickt habe, hat einen davon betäubt und eine Gewebeprobe in eine Zeit vor etwa fünfzehn Jahren gebracht. Dieses Exemplar wurde aus jener Probe geklont – es handelt sich also um einen künstlich gezogenen Zwilling des Originals.«