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Seit dem Massaker der Hamas am 7.12.2023 besucht Karoline Preisler, Juristin, Aktivistin und FDP-Mitglied, regelmäßig gewalttätige Anti-Israel-Demos, um dort wortlos am Rand stehend mit dem Schild "Rape is not Resistance" auf die israelischen Opfer sexualisierter Gewalt und die Geiseln aufmerksam zu machen. Sie wird regelmäßig bespuckt und tätlich angegriffen, sodass sie und ihre 4 Kinder mittlerweile unter Polizeischutz stehen. Trotz alltäglicher Morddrohungen lässt sich die mutige Einzelkämpferin ihr Engagement für die freie Meinungsäußerung aber nicht nehmen. Sie geht weiterhin nicht nur zu aggressiven Anti-Israel und Pro-Hamas-Demos mit ihrem Schild – und muss dabei immer von einer Gruppe Polizisten beschützt werden.
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Seitenzahl: 226
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Vorwort
Von Wut zum Mut
Vorwort
Prolog
So lange wie nötig und so lange mir möglich
Warum dieses Buch?
Meine Reise in ein traumatisiertes Land
Ankunft mitten im Angriff
Rede vor den Angehörigen der Geiseln
Unter Menschen
Freiheit – eine Annäherung
Warum Antisemitismus die Freiheit bedroht
Politische Lösungsansätze
Der Versuch, das Unverständliche zu verstehen
Das Hufeisen lebt
Ein Blick zurück
Linker Antisemitismus heute
Wer zählt zu den Semiten?
Antisemitismus heute
Wie alles begann: Meine Sozialisierung in der DDR
Wurzeln und Flügel
In den Fußstapfen meines Großvaters
Auf der Straße im Einsatz für Israel
Vorbereitungen
Freiheit als Gratwanderung
Ausstieg aus der Neonazi-Szene
Hold the line! – Für Freiheit einstehen
Extremismus, Versammlungsfreiheit und menschenrechtliche Verantwortung
Die Unterwanderung der Gesellschaft
Ausblick: Bitte mehr Entschlossenheit
Was wird bisher getan?
Meine Haltung
Bewegte Geschichte und Komplexität des Konflikts
Nachwort
Quellen
Dank
Impressum
Endnoten
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Cover
Karoline M. Preisler
Streit und Straßenkampf
Unterwegs für die Freiheit
Für den Polizisten Karsten Bonack damals und heute.
Für Sie ALLE in Uniform oder Talar.
Danke.
Das opportunistische Bürgertum in Deutschland neigt zum »Bücken«, weil es historisch nie wirklich gelernt hat, aufrecht zu gehen. Zwischen Obrigkeitsstaat, autoritärem Reflex und der tiefsitzenden Angst vor sozialem Abstieg hat sich ein Habitus der Anpassung etabliert, der Haltung eher simuliert als lebt. Der große Kulturtheoretiker Karl-Heinz Bohrer bestaunte die gebückten Karrieristen der Bonner Republik als eine Art groß gewordener »Mainzelmännchen«. Das Land der Täter machte sich klein, statt Vergangenheitsbewältigung wurde produktiv verdrängt. Das deutsche Bürgertum hat es nie geschafft, sich vom preußischen Duckmäusertum zu emanzipieren – es verbeugt sich lieber, als zu widersprechen. Dieser vorauseilende Gehorsam ist kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Taktik zur Statussicherung in einem Milieu, das moralische Konformität mit Intellekt verwechselt.
Der Shitbürger bückt sich nicht aus Not, sondern aus Opportunismus – er will dazugehören, koste es den aufrechten Gang. So entsteht ein intellektuell unterfütterter Konformismus, der Widerstand nicht unterdrückt, sondern überflüssig macht, weil ihn niemand mehr wagt.
Karoline Preisler steht. Und sie steht einsam. Und sie steht mutig und trotzt dem Zeitgeist, dem opportunistischen Müll von Kulturschaffenden, die wenig verhohlen Hamaspropaganda unterstützen. Sie steht für das NIE WIEDER, wo es in der Politik nur Lippenbekenntnis ist. Sie trotzt dem arabisch-palästinensischen Machismo und der Selbstauslöschungsvulgarität der Kopftuch-Aktivistinnen.
Diese mutige Frau steht allein – und riskiert dabei buchstäblich ihre eigene Haut. Der Hass, der ihr entgegenschlägt, die Bedrohungen, die Schmähungen, das Anspucken durch Barbaren: Karoline Preisler wird zur Projektionsfläche all dessen, was an Migration und Integration in diesem Land scheitern kann. Sie steht da – für ein ganzes Land. Zumindest für jenen Teil, der »Nie wieder« ernst meint und nicht will, dass Deutschland durch Hass, Hetze und migrationspolitisches Versagen erneut »judenfrei« zu werden droht. Karoline Preisler ist eine stille Heldin – unaufgeregt in ihrer Haltung, konsequent in ihrem Handeln und gerade deshalb auf Polizeischutz angewiesen.
In einer freien, postmodernen Welt wie der unseren braucht die Politik einen archimedischen Punkt, das Grundgesetz liefert die Leitplanke. Dieser archimedische Punkt sollte sein, dass die kichernden Kinder mit und ohne Kippa, die in einer Berliner Synagoge durch die Gänge laufen, geschützt von etlichen Sicherheitsleuten und Polizeibeamten, wenigstens ein paar Stunden in Ruhe und Frieden und Sicherheit verbringen können.
Der archimedisch-ethische Punkt wäre, dass wir die Gesellschaft wieder so rekonstruieren, dass diese Kinder keine Angst mehr haben, zur Schule zu gehen. Dass junge Frauen keine Angst mehr haben, stolz ihren Davidstern zu tragen. Dass niemand mehr damit rechnen muss, angespuckt oder bedroht zu werden, der Hebräisch spricht. Karoline Preisler denkt und lebt diesen Punkt.
Die Sicherheit des jüdischen Lebens ist längst nicht mehr selbstverständlich. Schlimmer, es ist leider selbstverständlich geworden, dass ein entspanntes jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich ist. Unser Appeasement rollt voran, und die freie Gesellschaft verliert ihr Gesicht, selbst Buchläden boykottieren mittlerweile Kritik an Antisemitismus. Die Kunstwelt hat sich, von löblichen Ausnahmen abgesehen, für moralisch bankrott erklärt und ist zu einer Art BDS-PR geworden. Zum Ende vielleicht ein ästhetisches Argument: Die letzte Documenta, dieser naive Traum eines Dritte-Welt-Ladens mit ein bisschen sozialistischer Folklore (und einem auf bizarre Art fast rassistisch anmutenden Folklorismus des globalen Südens), diese Documenta hat einer weit entwickelten Gesellschaft wie der deutschen nichts anzubieten, außer eben Kitsch.
Freiheit ist nichts für Sonntagsreden. Freiheit muss verteidigt werden, gerade in Zeiten, in denen Barbaren und deren schwachmatige Verklärer die Freiheit jüdischer Kinder, Eltern, Senioren massiv einschränken. Diese leben in Angst. Wir müssen ein »Nie wieder« auch dadurch garantieren, dass wir handeln und alle Hamasfreunde, antisemitischen Hetzer und gewalttätigen Israelhasser mit ausländischer Staatsbürgerschaft rausschmeißen – und die mit inländischer ins Gefängnis stecken oder mit harten Strafen zur Räson bringen. Jedes schwule jüdische Paar soll ohne Angst die Sonnenallee herunterschlendern können. Das ist unsere Staatsräson. Auch, weil wir eine freie Gesellschaft wollen.
Die Tatsache, dass Preislers Engagement Schutz braucht, ist ein Warnsignal. Elie Wiesel sagte einst: Das Judentum ist wie der Kanarienvogel im Bergwerk – es spürt als Erstes, wenn die Luft vergiftet ist. Der Westen wird gerade vergiftet – durch die Akzeptanz der Hamaspropaganda und Teile einer arabisch-muslimischen Migration, die an etlichen Wochenenden in Berlin wieder gezeigt hat, wie fremd ihr die Werte des Westens sind. Die Ignoranz weiter Teile der Medien gegenüber dieser mutigen Aktivistin steht in direktem Verhältnis zum Bedürfnis vieler migrantischer wie biodeutscher Journalisten, sich mit der zynischen Propaganda der Hamas gemein zu machen – sei es aus ideologischer Verirrung oder aus moralischer Feigheit. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, wie auch der Staat Israel, hat nur wenige aufrichtige Freunde.
Karoline Preisler gehört dazu. Wir stehen in tiefer Dankbarkeit in ihrer Schuld.
Dr. Ulf Poschardt
Autor des Buches »Shitbürgertum« (WESTEND-Verlag)
Jüdinnen und Juden leben in einer Welt, in der Wut zu unserem allgegenwärtigen Begleiter geworden ist. Doch wir leben auch in einer Zeit, in der dieses Gefühl aus der gesamten Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist. Politische Debatten werden nicht nüchtern, nicht faktenbasiert geführt, sondern sind oft von Empörung getragen. In den sozialen Medien ist Wut zum Motor geworden, der Aufmerksamkeit generiert und Diskurse befeuert. Die Menschen in diesem Land sind wütend über steigende Preise, über politische Entscheidungen oder über gesellschaftliche Veränderungen. Viele von ihnen sind wütend über den Hass, den sie erleben oder beobachten. Dieser Hass ist längst nicht mehr nur ein Randphänomen, sondern hat alle gesellschaftlichen Schichten erreicht. Nur über den Tsunami an Antisemitismus, den die jüdische Gemeinschaft weltweit und alle, die sich solidarisch mit ihr zeigen, erlebt, sind viele von ihnen nicht wütend genug.
Wut ist ein starkes Gefühl. Sie kann lähmen, sie kann spalten und sie kann zerstören. Doch sie kann auch produktiv genutzt werden. Etwa als Antrieb, etwas zu verändern. Wut allein aber reicht nicht. Wer nur wütend bleibt, verliert sich im Gefühl; wird davon absorbiert. Erst wenn aus der Wut der Mut wird, zu handeln, entsteht Bewegung. Es ist kein Zufall, dass man nur den ersten Buchstaben drehen muss: Aus Wut wird Mut. Und genau darum geht es: Wut über Ungerechtigkeit, über Diskriminierung, über Antisemitismus ist nicht viel wert, wenn sie nicht in Mut verwandelt wird. In den Mut, aufzustehen, Verantwortung zu übernehmen und das eigene Leben für das einzusetzen, was man für richtig hält.
Karoline Preisler ist ein eindrucksvolles Beispiel für diesen Mut. Sie hat sich entschieden, nicht zu schweigen, nicht wegzuschauen, nicht das bequeme Leben zu wählen. Ihre Stimme gegen Antisemitismus und für eine offene, demokratische Gesellschaft erhebt sie klar, unmissverständlich und mit einer Konsequenz, die ihresgleichen sucht. Dieser Mut ist nicht abstrakt. Er kostet etwas. Er kostet persönliche Freiheit, weil man ständig mit Anfeindungen und Bedrohungen rechnen muss. Er kostet Sicherheit, weil auch die Familie ins Visier von Hasserfüllten geraten kann. Und er kostet Kraft, weil jeder öffentliche Auftritt, jede Stellungnahme, jede Weigerung nachzugeben aufs Neue fordert, Haltung zu zeigen, wo andere längst aufgegeben hätten.
Genau diesen Mut braucht unsere Gesellschaft heute dringender denn je. Denn Antisemitismus ist kein Problem einer Minderheit. Er ist eine Bedrohung, die uns alle betrifft. Er richtet sich gegen Jüdinnen und Juden, trifft aber im Kern unsere Demokratie, unsere Werte und unsere Freiheit. Wer diesen Antisemitismus duldet, duldet auch die Aushöhlung einer offenen Gesellschaft.
Deshalb brauchen wir Menschen wie Karoline Preisler, die Wut in Mut verwandeln, die nicht verstummen, sondern lauter werden, je größer der Druck wird. Ihr Beispiel zeigt uns, dass Zivilcourage nicht darin besteht, keine Angst zu haben. Zivilcourage heißt, trotz Angst zu handeln. Es ist diese Haltung, die unsere Gesellschaft stärkt und die uns die Kraft gibt, der Welle des Antisemitismus zu begegnen, die heute so viele Bereiche unseres Lebens erreicht.
Karoline Preisler erinnert uns auch daran, dass Mut ansteckend sein kann. Wer sieht, dass eine Einzelne aufsteht, gewinnt selbst leichter die Kraft, es ihr gleichzutun. Ihre Geschichte macht deutlich: Antisemitismus ist nicht allein das Problem von Jüdinnen und Juden. Er ist das Problem aller, die in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft leben wollen. Und deshalb ist der Mut, ihn zu bekämpfen, nicht allein eine jüdische Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche.
Dieses Buch ist Ausdruck einer solchen Haltung. Es zeigt, dass wir Wut nicht verdrängen müssen, sondern verwandeln können in die Energie, die wir brauchen, um etwas zu bewegen. Es ist ein Zeugnis davon, dass Mut einen hohen Preis haben mag, dass er aber unbezahlbar ist für die Zukunft unserer Demokratie.
Mögen die Leserinnen und Leser sich von diesem Mut anstecken lassen und selbst den Schritt von der Wut zum Mut wagen.
Hanna Veiler
Präsidentin der European Union of Jewish Students (EUJS)
Eine Frau steht Woche für Woche auf der Straße. Mit einem Schild und einem Strauß Blumen. Auf dem Schild steht »RAPE IS NOT RESISTANCE«, »Vergewaltigung ist kein Widerstand«. Sollte eigentlich selbstverständlich sein. Überall. Die Frau brüllt keine Parolen. Sie skandiert nicht hysterisch irgendwelche Vernichtungsfantasien, sie steht einfach nur da und hält ihr Schild hoch. Sie provoziert dennoch.
Diese Frau bin ich, Karoline Preisler. Nach Aussagen zahlreicher Beobachter derzeit wohl Deutschlands bekannteste Demonstrantin. Mein Anliegen: Lasst endlich die Geiseln, die am 7. Oktober 2023 von der Hamas in den Gazastreifen entführt wurden, frei. »UNTIL THE LAST HOSTAGE« steht auf einem weiteren Schild. Bis zur letzten Geisel.
Es geht um Menschenleben. Viele der Geiseln vom 7. Oktober 2023 wurden mittlerweile bestialisch ermordet oder sind ihren Verletzungen erlegen. Beim Verfassen dieser Zeilen befinden sich noch ca. 50 Geiseln in der Gewalt der als terroristische Vereinigung eingestuften Hamas1. Wie viele davon noch leben, wissen wir nicht.
Sechs Tage nach meiner »Markierung« als Hamasziel stand ich am Fenster meiner Wohnung in Berlin und sah auf die Straße. Ich war besorgt, obwohl an diesem Tag dort nichts ungewöhnlich war. Passanten zogen vorbei. Eine Frau gab ihrem kleinen Sohn im Vorbeigehen einen flüchtigen Kuss auf den Kopf, der daraufhin unbefangen lachend vorauslief. Ein Mann mit Rauhaardackel blieb kurz stehen und schaute in Richtung Himmel, wie wohl das Wetter werden würde. Fahrräder kreuzten die Straße. Irgendwo schien jemand zu grillen. Es roch jedenfalls danach, und darüber hinaus roch es ein bisschen nach dem Basilikum auf meiner Fensterbank. Ein ganz normaler Tag in einer deutschen Großstadt, so hätte man denken können. Und doch drang in dieser harmlosen Szenerie der Gedanke in meinen Kopf, dass nun ich und meine Kinder in dieser scheinbaren Normalität im eigenen Land zur Zielscheibe geworden waren. Durch meine Aktionen. Durch mein Eintreten für die israelischen Geiseln in den Händen der Hamas. Das machte mir Angst. Diese Angst gefiel mir zwar nicht, aber kein Mensch wird sich von einem mulmigen Gefühl freimachen können, wenn man selbst und die eigene Familie zum Feind einer international operierenden Terrororganisation ernannt wurde.
Fragen gingen mir durch den Kopf: Was mache ich hier eigentlich und warum? Ist es wirklich meine Aufgabe, mich auf die Straße zu stellen und mich für die Geiseln einzusetzen? Meine Pflicht sogar vielleicht? Wie lange muss ich mit meiner Familie durchhalten, die Feindseligkeiten aushalten? Und nun auch noch mit dem Schlimmsten rechnen: Das Ziel der militant islamistischen Hamas zu werden, die international von 41 Staaten als terroristische Vereinigung eingestuft wird.
Was war in diesen letzten sechs Tagen geschehen? Ein Minderjähriger hatte mutmaßlich von Ali Ibn Mohammad Musa Ami [Name geändert] meine Kontaktdaten mit dem Befehl erhalten, meine Wohnadresse zu streuen und zur Jagd auf meine Kinder und mich aufzurufen. Wie unsagbar schäbig! Perfiderweise hatte der Minderjährige mir von Angesicht zu Angesicht bei einer Kundgebung in Berlin gegenübergestanden und eine unmissverständliche Morddrohung gegen mich und meine Kinder öffentlich angekündigt. Sie haben richtig gelesen: Meine Familie sollte ermordet werden, und diese Nachricht wurde mir durch einen Minderjährigen überbracht. Mitten in Berlin. Auf offener Straße und unter vielen Zeugen. Der Auftraggeber der Botschaft muss sich bewusst gewesen sein, dass die Polizei in solch einem Fall machtlos war, sie konnte nur seine Personalien feststellen.
Der Countdown lief. Ich musste von der Kundgebung weg, so schnell wie möglich nach Hause. Meine Kinder retten! Ich musste meine Lieben schneller in Sicherheit bringen, als die Hamas sie ermorden würde. Ich musste die Tür hinter uns schließen und verriegeln. Aber würde das reichen? Wie lange würden wir uns schützen können, wenn man uns heute oder morgen angriffe?
Heftige Anfeindungen treffen unsere Familie nicht unvorbereitet. Wir haben ein sogenanntes Notfallprotokoll für diese Fälle. Ich bin Politikerin, ich vertrete schon immer klar meine Standpunkte und stand von daher schon häufig auf verschiedenen Feindeslisten. Die Gefahr, die mit solchen Listen einhergeht, ist auch meinen Kindern bewusst. Damit wir im Fall der Fälle keine Zeit verlieren, haben wir das »Notfallprotokoll«. Aber es ist schlimm, geradezu grotesk, dass wir in einem funktionierenden Rechtsstaat, einer vielfach bewährten Demokratie, in einem vermeintlich sicheren Land im Europa des 21. Jahrhunderts, solche Vorbereitungen treffen müssen.
Ich erspare Ihnen die Einzelheiten unserer Notfallliste, aber eines ist sicher: Wir haben an alles gedacht und alles durchgespielt. Ich startete also das »Protokoll«. Ich informierte die Kinder, die Helfer und vergewisserte mich noch aus dem Streifenwagen mit Blaulicht, der durch die vollgestopften Straßen Berlins fegte, dass es den Kindern gut ging, dass die Kinder in Sicherheit waren. Noch waren sie das. Und ich war schneller zu Hause als die Hamas vor unserer Tür. Gott sei Dank!
Nun stand ich besorgt am Fenster im zweiten Stock meines Wohnhauses, schaute heraus, wartete. Üblicherweise stirbt in diesem Haus ja eher das Basilikum auf meiner Fensterbank als ein Bewohner. Das würde ich gelassen hinnehmen. Aber in dieser Situation war mir gewiss nicht nach Scherzen zumute. Sie konnten zu uns kommen und mich würden sogenannte Terrorfreunde erwarten. Heute, morgen und vielleicht auch erst nächste Woche. Wer würde das schon so genau wissen können? Eine grausame Drohung stand im Raum. Eine Todesdrohung. Und mit ihr kamen Fragen in mir hoch: Ist es meine Aufgabe, als Nichtjüdin gegen Antisemitismus Stellung zu beziehen? Ist es meine Aufgabe, als unbeteiligte Frau für Frauen in Notsituationen einzustehen? Muss es wirklich sein, Überzeugungen auch Gewalttätern gegenüber nicht aufzugeben? Und wie lange muss ich mit meiner Familie dem Druck standhalten? Schließlich fand ich eine Antwort darauf: So lange es nötig ist und so lange es mir möglich ist, werde ich nicht müde, unsere durch das Grundgesetz geschützten Werte – die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Meinungs- und Redefreiheit, politische Teilhabe und Selbstbestimmung –, das Wohlergehen der Juden in der ganzen Welt und nicht zuletzt unsere Freiheit zu verteidigen. Konkret bin ich davon betroffen, da auf den Demos Erwartungen an die Gesellschaft formuliert werden, wie zum Beispiel »We are all Palestinians«, »Wir sind alle Palästinenser«. Es wird gefordert, dass Frauen sich züchtiger kleiden, sie sich den Männern unterordnen, auf politische Teilhabe verzichten und Aufgaben erfüllen, die ihnen von Männern zugeteilt werden. Christen und Juden werden aufgefordert zu konvertieren. Der 7. Oktober 2023 wird als legitimer Akt dargestellt, die Taten als Befreiungsschlag. Ich habe hierzu eine andere Auffassung und bestehe darauf, diese äußern zu können. Das ist meine – und unsere – Freiheit.
Vor Ihnen liegt mein neuestes Buch. Es beruht unter anderem auf Erfahrungen, die ich seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas, sammele und die mein politisches Leben in Deutschland beschreiben. Namen anderer Beteiligter und Zeitangaben habe ich allerdings im Text verändert. Ein Persönlichkeitsrecht. Auch Straftäter haben Anspruch auf den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte. Das unterscheidet uns von Terroristen. Außerdem sind manche Strafverfahren zum Zeitpunkt meines Schreibens dieses Buches noch nicht abgeschlossen. Lassen wir die Gerichte ihre Arbeit machen und ich erzähle Ihnen unterdessen, was ich bisher erlebt habe.
Vor dem Haus hielt die Polizei die Stellung. Ich hielt die Stellung im Haus. Die Todesdrohung wurde also auch von der Polizei ernst genommen. Aber wie lange würde man uns tatsächlich schützen können? Ich spüre: Diesen Tag werde ich nie vergessen. Er hat mich zu einer kämpfenden, zähen und noch durchsetzungsstärkeren Frau gemacht. Was aber noch viel wichtiger zu erwähnen ist: Er hat mich nicht etwa zu einer ängstlichen, verbitterten oder gar hassenden Frau werden lassen. Ich liebe dieses Leben, meine Lieben und alle Menschen guten Willens auf dieser Welt. Ich liebe auch das Leben als Politikerin. Ich weiß, dass mein starkes Engagement eine Wirkung in der Gesellschaft hinterlassen wird. Das wissen auch die Hamasunterstützer. Deshalb stellen sie sich gegen mich, deshalb drohen sie mir und meiner Familie, deshalb wollen sie Menschen wie mich auslöschen. Ich musste mit Worten und Taten zurückschlagen, und ich musste dabei siegreich sein.
Ich war von Beginn an keineswegs naiv. Es wird nur ein Etappensieg sein. Wir können die Bedrohung nicht dauerhaft ausschalten, aber wir können weiterhin kämpfen. Meine Kinder und ich reden selbstverständlich über die Gefahren. Wir haben einen Insiderwitz in unserer Familie, denn es existierte bis vor Kurzem noch aus früheren Tagen eine hohe Lebensversicherung auf meinen Namen. Im Falle meines Todes war dort der Vater meiner Kinder abgesichert. Wir leben nicht mehr zusammen. Er hat unsere Familie vor Jahren verlassen. Die Kinder und ich scherzten manchmal, dass er sich im Falle meines Todes bei ihnen blicken lassen würde, um den Geldsegen in Empfang zu nehmen. Doch das ist Galgenhumor, denn jetzt habe ich das Schicksal herausgefordert und die Lebensversicherung sogar gekündigt.
Mich beschäftigen Antisemitismus, der Kampf für die Freiheit, für die Demokratie und für faire Berichterstattung. Das treibt mich an, das leitet mich bei meiner politischen Arbeit. Ich gehe zu antisemitischen Demonstrationen sowie Kundgebungen mit linksextremen oder islamistischen Parolen. Jede meiner politischen Handlungen wird von Dritten kommentiert. Das ist Teil meiner Idee, Debatten anzuregen. Das gehört meinem Verständnis nach nun mal zum Leben einer engagierten Politikerin dazu. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes nahmen die Politiker sogar in die Pflicht. Pflichterfüllung ist mir wichtig. Doch ich bin schockiert, wie einfältig die mir entgegengehaltene Propaganda oft ist. Wie abstoßend diese Slogans auf den Demonstrationen formuliert sind. Wie menschenverachtend über Andersdenkende oder Andersgläubige in Deutschland inzwischen gesprochen wird. Nicht erst, wenn Gewalt angedroht wird, muss unsere Gesellschaft ein deutliches Stoppzeichen setzen. Jederzeit ist jetzt. Deshalb dieses Buch.
Meine Israelreise Anfang Juni 2025 war erhellend und erschütternd zugleich. Ich war in Nir Oz, in der Knesset, beim israelischen Präsidenten, im Rape Crisis Center2 bei ZAKA3, beim deutschen Botschafter in Tel Aviv, beim Abt der Jerusalemer Dormitio Abtei Nikodemus Schnabel, traf zudem viele Menschen zu spontanen Gesprächen auf der Straße und konnte mir somit mein eigenes Bild von dem Land und der Lage vor Ort in Israel sowie den Menschen dort machen.
Ich konnte leider nicht auf dem Platz der Geiseln eine Rede halten. Doch die Bestandteile meiner Rede hielt ich unzählige Male in Interviews und auch gegenüber den Geiselfamilien. Mir wurde Wertschätzung entgegengebracht. Insgesamt habe ich viel Zustimmung für mein Engagement und rührend viel Dank für meine Worte erhalten.
Die Begegnungen mit Angehörigen waren ergreifend. Ich dachte, ich wüsste ungefähr, was mich erwartet. Doch bei dem Treffen mit der aus dem Gazastreifen nach Israel zurückgekehrten Geisel Doron Steinbrecher fehlten mir die Worte. Ich hätte gerne geheult. Das wäre allerdings neben der traumatisierten Frau, die die grausame Geiselhaft der Hamas überlebt hat, absolut unangemessen gewesen. Also riss ich mich zusammen. Sie bekundete ihre Dankbarkeit für meine Arbeit, dabei sah ich es als meine Aufgabe, sie zu schützen und ihr unsere Solidarität zu bekunden. Ich hörte und spürte vor Ort immer wieder: Die Geiselfamilien setzen viel Hoffnung in mich und durch mich in uns Deutsche insgesamt.
Meine Reise war direkt zu Beginn schon aufregend aufgrund der sehr gründlichen Kontrollen am Schalter der El Al. Ich war nervös, doch irgendwer hatte mich beim Check-in erspäht und offenbar erkannt. Daraufhin kam das El-Al-Personal nacheinander auf mich zu und begrüßte mich. Alle sprachen zunächst auf Hebräisch auf mich ein, bis sie bemerkten, dass ich Hebräisch nicht gut verstand. Sofort wurde auf Englisch umgestellt und es kam zu sehr herzlichen Momenten: »Willkommen!«, »Darf ich Sie umarmen?«, »Danke für Ihre Arbeit«.
Beim Warten auf das Boarding in der Lounge wiederholte sich diese Herzlichkeit, denn nun kamen die ersten Fluggäste auf mich zu und begrüßten mich. Inzwischen hatten sich auch Leute über Instagram gemeldet. Nachrichten ploppten auf meinem Handy auf: »Kommen Sie jederzeit zu uns.« Ein schwuler Mann merkte an: »Jetzt ist Pride, sind Sie noch in Israel? Mein Mann und ich, wir würden uns freuen, Sie zu sehen.« Es war also schon in der Abflughalle des BER in Berlin sehr emotional. So wunderbar begrüßt – fast könnte man sagen »beseelt« –, stieg ich ins Flugzeug.
Da ich auf Einladung der Journalisten Sarah Maria Sander und Alon David nach Israel flog und einer von ihnen auch mein Ticket bezahlt hatte, saß ich – für mich eher ungewöhnlich – in der Businessclass. Beim Einstieg mussten also viele Fluggäste an mir vorbei, und es war nun ein bisschen wie ein sogenannter »Candystorm«, weil viele voller Zuneigung winkten oder mich mit Handschlag begrüßten. Diese ungewohnte Prominenz berührte mich sehr und tat – nach allem, was in den Monaten zuvor auf Demonstrationen geschehen und auf mich persönlich im Nachgang eingeprasselt war – richtig gut. Neugierig und in bester Stimmung kam ich also am Flughafen Tel Aviv an und prallte erneut mit der harten Realität zusammen: Die Sirenen heulten laut auf. Raketenalarm!
Ich war noch nicht durch die Sicherheitskontrollen durch, hatte noch gar keine Ahnung, wie das überhaupt im Falle eines Angriffs alles läuft in Israel. Als der Alarm ertönte und alle Leute losliefen, griff ich instinktiv zum Smartphone und versuchte, telefonisch Kontakt zu den beiden Journalisten aufzunehmen, die hinter der Schranke auf mich warteten. Ich rief ins Telefon: »Ich habe keine Ahnung, was hier los ist und was ich machen soll.« Die Antwort kam prompt und war recht simpel: »Lauf einfach mit den anderen, die kennen das alle hier, die wissen Bescheid, wo ihr Schutzräume findet.« Und so war es. Dass ich jetzt rennen musste, begriff ich sehr schnell. Ich lief also den Massen hinterher, die sich in Bewegung setzten. Nach diesem ersten Aufreger betrat ich beherzt israelischen Boden. Ich freute mich auf das, was mich draußen erwarten würde.
Am allerersten Tag meiner Reise hatte ich einen Termin bei Steffen Seibert, dem ehemaligen Pressesprecher unter Bundeskanzlerin Merkel und jetzigen deutschen Botschafter in Israel. Es war der zweite Tag des jüdischen Shawuot-Festes in Israel und ein Montag. Die Deutsche Botschaft war nur mit halber Besetzung aktiv, da es ein wichtiger Feiertag in Israel ist, aber sie arbeitete dennoch. Es roch nach frisch aufgebrühtem Kaffee, nach Hitze und Meer.
Botschafter Seibert war mir gegenüber betont höflich. Ich war dankbar für den Termin, wollte aber auch meine Kritikpunkte am bisherigen Regierungshandeln und meine Fragen speziell an die Deutsche Botschaft in Tel Aviv nicht verbergen. Ich denke, er fand allerdings meine Kritik an der Arbeit der Deutschen Botschaft in Bezug auf die deutschen Geiseln unangemessen. Denn ich bin der Auffassung, dass die deutsche Forderung nach Freilassung der Geiseln zu wenig sichtbar ist. Dass Steffen Seibert sehr deutlich immer wieder Position gegen Netanjahus Regierung bezieht, aber zu oft an deutlichen Worten über die Hamas und die Geiselentführer spart. Mir fehlt zu oft eine Differenzierung zwischen populistischen Positionen in der israelischen Politik und den berechtigten Interessen der Bevölkerung an Sicherheit. Er erklärte mir, dass man in Deutschland noch nie Namen von Geiseln bekannt gegeben hätte. Man halte sich, was die Personendaten von Geiseln angehe, immer bedeckt. Davon weiche man auch jetzt nicht ab. Mir ging durch den Kopf, dass es aber nun seit Jahrzehnten das Internet gibt und alle Menschen, die es nutzen, die Namen inzwischen schon kennen. Ich hatte dazu vorab einen kritischen Post auf X veröffentlicht, in dem ich schrieb: »So ein Land sind wir.« Weil Deutschland gerade zuvor Deutsche mit palästinensischen Wurzeln und deren Familien aus dem Gazastreifen herausgeholt hatte. Wenn man es schafft, diese Deutschen aus dem Gazastreifen zu holen, dann hat man doch zuvor sowohl mit der Regierung in Israel als auch mit der Hamas bzw. mit den Behörden im Gazastreifen gesprochen und könnte sich entsprechend auch gegenüber Jüdinnen und Juden mit deutschem Pass verhalten. Das hatte eine gewisse Unlogik.
