Strukturiert Improvisiert - Urs Leuthard - E-Book

Strukturiert Improvisiert E-Book

Urs Leuthard

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Beschreibung

Was lässt Auftritte gelingen und Kommunikation erfolgreich sein? Gibt es bestimmte Prinzipien, die dem zugrunde liegen? Urs Leuthard hat als Moderator etwa 250 Arena- Sendungen beim SRF geleitet und mehrere hundert Gesprächsrunden und Einzelinterviews im politischen Umfeld geführt. Tinu Niederhauser, Schauspieler, trat in Hunderten von Improvisationstheater-Aufführungen auf. Seit 20 Jahren bietet er als Seminarleiter und Trainer seine Expertise zu Auftritts- und Gesprächskompetenz an. Aus dieser Praxis heraus haben die Autoren erforscht, was gute öffentliche Moderation und Kommunikation ausmacht. Dabei sind sie auf eine Erfolgsformel gestossen: Struktur + Improvisation = Flow. Natürlich braucht eine Rede, ein Interview, eine Gesprächsleitung eine gute Vorbereitung, eine Struktur. Aber so exzellent vorbereitet wir auch sind – wir müssen jederzeit bereit sein, die erarbeitete Struktur fallenzulassen und eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Nur so kann ein Auftritt zum Erfolg werden. Um diese optimale Mischung von Vorbereitung und Freiraum, von Struktur und Improvisation geht es Niederhauser und Leuthard. Vorbereitung ist dabei die Pflicht, Improvisation die Kür. Entstanden ist ein mit Fallbeispielen und Übungen angereichertes Buch für alle, die in Redesituationen vor Publikum erfolgreicher kommunizieren wollen.

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Urs Leuthard undTinu Niederhauser

Strukturiert Improvisiert

Frei reden. Sicher auftreten.Erfolgreich kommunizieren.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2023

(ISBN 978-3-907396-20-9)

© 2023 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel

Lektorat: Sigrid Weber, Freiburg i. Br.

Korrektorat: Ulrike Ebenritter, Gießen

Illustration Cover und Grafik: Nils Niederhauser, Lenzburg

Umschlaggestaltung: Grafik Weiss GmbH, Freiburg i. Br.

Gestaltung, Satz: Claudia Wild, Konstanz

Datenkonvertierung: Bookwire, Frankfurt a. M.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.

ISBN Druckausgabe 978-3-907396-20-9

ISBN E-Book 978-3-907396-21-6

www.nzz-libro.ch

NZZ Libro ist ein Imprint der Schwabe Verlagsgruppe AG.

Inhalt

Warum Sie dieses Buch lesen sollten

Teil I:

Strukturiert improvisiert in der Kommunikation

1Warum wir dieses Buch geschrieben haben

2Kurze Reflexion: Zwei Autoren, zwei Herangehensweisen

2.1Urs Leuthard: Der Fernsehmoderator auf der Suche nach dem inneren Spielraum

2.2Tinu Niederhauser: Der Kommunikationstrainer und der kostbare Stein aus Schweden

Ein Dialog: Reisetypologie

3Strukturieren: Ohne geht es nicht

3.1Warum brauchen wir Struktur und Vorbereitung?

3.2Logistische Vorbereitung

3.3Thematische Vorbereitung

3.4Strukturelle Vorbereitung

3.5Anfang und Schluss

3.6Rhythmus

3.7Kommunikationsebenen

3.8Notizen und Hilfsmittel

3.9Mentale und körperliche Vorbereitung

4Improvisieren: Ohne geht es erst recht nicht

4.1Improvisation im Theater

4.2Improvisation im Alltag

4.3Improvisation in der Kommunikation: Der Mut zum bedingungslosen JA

4.4Unterstützende Faktoren für gelingende Improvisation

Ein Dialog: Es ist mir ein Rätsel

5Strukturiert improvisieren: Magie ins Gespräch bringen

5.1Warum müssen wir strukturieren und improvisieren?

5.2Wie können wir strukturieren und improvisieren?

5.3Die eigene Formel für das Zusammenspiel von Struktur und Freiraum finden

5.4Die erweiterte Grundformel: «Interne Terroristen» verabschieden

5.5Das innere Team

6Freund und Feind: Was bei der strukturierten Improvisation hilft und was nicht

6.1Wie uns Selbstvertrauen und ein starker Selbstwert helfen

6.2Warum Erfahrung wichtig, aber nicht alles ist

6.3Warum Verhaltensänderungen so schwierig sind

6.4Was die Angst vor Status- und Gesichtsverlust auslöst

6.5Wie wir einen kontrollierten Kontrollverlust zulassen können

Ein Dialog: Das Amt für Zuversicht

7Was uns die Wissenschaft sagt

7.1Von Chaos und Ordnung

7.2Dem Glück und dem Zufall auf die Sprünge helfen

7.3Was wir schon als Babys lernen

7.4Von Antreibern und Erlaubern

7.5Können wir unseren Impulsen vertrauen?

Ein Dialog: Petri Heil!

Teil II:

Strukturieren und improvisieren als gelebte Praxis

8Sully Sullenberger und seine Landung auf dem Hudson River

9Wie Personen des öffentlichen Lebens strukturieren und improvisieren

9.1Warum auch in Führung und Management Improvisation gefragt ist (Suzanne Thoma, Topmanagerin)

9.2«Zu viel Wissen im Kopf und kein Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit» (Margrit Stamm, Erziehungswissenschaftlerin)

9.3Die Kraft der Visualisierung (Nino Schurter, Mountainbike-Weltmeister)

9.4Wie die Magie zwischen Orchester und Publikum entsteht (Lena-Lisa Wüstendörfer, Dirigentin)

9.5«Wenn ich alles im Griff hätte, würde ich sofort aufhören!» (Pater Martin Werlen, ehemaliger Abt)

10Der Weg entsteht, wenn man ihn geht. Ein Dialog zum Schluss

Teil III:

Praktische Übungen

11Der Selbsttest: Neige ich eher zur Struktur oder zur Improvisation?

Teil 1: Eins aus drei

Teil 2: Skalierungsfragen

Auswertung

12Übungen für besseres Strukturieren

Arbeitssetting optimieren

Inhalte systematisieren mit der Clustering-Methode

Absicht und Botschaft klar formulieren

Reden und Präsentationen auf den Punkt bringen

Einen Moderationsplan erstellen

Eine rhetorische Klammer setzen

13Übungen für besseres Improvisieren

Erweiterung der Rollendefinition

Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten schärfen

Schlagfertigkeit trainieren

Sprechdenken

Impulstraining

Das unvorbereitete Interview

Brainfucking

Wort für Wort, Satz für Satz

Assoziationsfähigkeit

14Übungen für strukturiertes Improvisieren

Mindmapping

Bogenschiessen

Jonglieren

Spiegel spiegeln

Mehrfachkonzentration

Stegreifstrukturen

Argumentationsstrategien

Messbar – nicht messbar

Arbeit mit Antreibern und Erlaubern

15Feedback und Beobachtung

Beobachtungspunkte für Moderierende

Beobachtungspunkte für öffentliche Auftritte

Danksagung

Verzeichnis

Webseite

Literatur- und Quellenverzeichnis

Über die Autoren

Inhalt für Unstrukturierte

Warum Sie dieses Buch lesen sollten

Sie ärgern sich über Menschen, die ihre Rede vom Blatt ablesen? Oder vielleicht über sich selbst, weil auch Sie nicht frei reden können?

Sie kommen als Seminarleiter immer noch nicht von der PowerPoint-Präsentation los, weil sie Ihnen die nötige Sicherheit verleiht?

Sie fragen sich, wie Sie als Journalistin Ihre Fragen im Blick haben und gleichzeitig dem Gegenüber aufmerksam zuhören können?

Sie sitzen als Lehrperson jedes Wochenende am Vorbereiten der kommenden Schulwoche und möchten den Vorbereitungsaufwand deutlich reduzieren?

Sie werden als Fachperson zu einem Podium eingeladen und sind in Versuchung, Ihre Statements auswendig zu lernen, damit Sie ja nichts vergessen?

Sie fragen sich als Managerin, wie Sie mit Ihren Mitarbeitern besser kommunizieren können?

Oder Sie möchten wissen, warum Sie Ihren Kindern trotz klarer Regeln immer wieder etwas durchgehen lassen?

Wenn diese Fragen für Sie ein Thema sind, sollten Sie unser Buch lesen. Nicht dass wir auf alles die richtige Antwort hätten. Aber Sie werden viel Inspiration bekommen. Wir glauben nicht an die einfachen und vermeintlich sicheren Rezepte für eine perfekte Kommunikation – denn die gibt es nicht. Aber wir glauben daran, dass das Verständnis über grundsätzliche Fragen der Kommunikation (und des Lebens!) Wege weisen kann, wie Sie besser und erfolgreicher kommunizieren können. Bei uns geht es um umfassendere Fragen, um Spannungsfelder wie Ordnung und Chaos, Sicherheit und Freiheit, Kopf und Bauch. Und wie Sie alle diese scheinbaren Gegensätze gewinnbringend vereinen können.

Im ersten Teil des Buchs beschreiben wir, warum Vorbereitung und Improvisation je für sich zentrale Elemente jeder professionellen Kommunikation sind. Und wir zeigen, wie Sie die beiden Elemente erfolgreich zusammenbringen können. Der zweite Teil weitet das Thema aus – schliesslich sind Vorbereitung oder Struktur und Improvisation oder Intuition nicht nur in der Kommunikation wichtig. Wir haben mit unterschiedlichen Persönlichkeiten über ihren Umgang mit den beiden Grundprinzipien gesprochen. Im dritten Teil bieten wir Ihnen, neben einem Selbsttest, eine bunte Palette von Übungen an. Es ist ja noch keine Meisterin vom Himmel gefallen.

Wenn Sie sich noch weiter ins Thema vertiefen wollen: Auf unserer Webseite (www.kommunikationsbuch.ch) finden Sie weitere Informationen und Anregungen, Videobeispiele und Feedbacks von Leserinnen und Lesern.

Teil I:

Strukturiert improvisiert in der Kommunikation

1Warum wir dieses Buch geschrieben haben

Wir Autoren kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Tinu war zuerst Schauspieler und Regisseur und hat sich dann als Coach und Trainer für Auftritts- und Gesprächskompetenz selbstständig gemacht. Urs wurde nach einem Psychologiestudium politischer Journalist und Moderator von Gesprächssendungen. Wenn wir unsere Erfahrungen zusammennehmen, haben wir Hunderte von Diskussionssendungen moderiert, Interviews geführt, Seminare und Coachings zur Auftrittskompetenz gegeben und standen unzählige Male improvisierend auf der Bühne und vor der Kamera. Um den Klischees gerecht zu werden: Der Schauspieler Tinu ist ein eher spontaner Mensch, der sich schwertut mit Ordnung aller Art. Der Journalist Urs dagegen mag Strukturen und lässt sich eher ungern ins Ungewisse fallen.

Gemeinsam war uns aber immer die Neugier, die Grundprinzipien von gelungenen Auftritten und erfolgreicher Kommunikation zu erforschen. So unterschiedlich unsere Wege und Charaktere auch sind, so haben wir doch beide gelernt, dass für jeden professionellen Auftritt gilt: Nichts geht ohne Vorbereitung – aber Vorbereitung allein ist nichts. Vorbereitung und Struktur sind unabdingbar, und doch müssen wir bei einer Rede, einem Interview, einem Seminar oder einer Gesprächsführung jederzeit bereit sein, eine andere Richtung einzuschlagen. Nur so kann ein Auftritt zum Erfolg werden. Warum ist das so?

Wenn wir etwas vorbereiten und strukturieren, agieren wir immer aus der eigenen Perspektive. Oder, um mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun zu sprechen: Wir sind im Senden-Modus. Vorbereitete Interviewfragen, ein Input-Referat usw. – das spiegelt unsere Sicht der Dinge. Natürlich machen wir uns Gedanken, was das Publikum hören möchte oder die Interviewpartnerin sagen könnte. Aber wir wissen es letztlich nicht. Deshalb ist der Teil der Vorbereitung immer einseitig. Wenn wir mehr wollen, müssen wir die Reaktionen des Publikums, die Antworten des Gesprächspartners, atmosphärische Signale einbeziehen. Das geht nur, wenn wir zuhören, zuschauen, alle Antennen ausgefahren haben. Und dann müssen wir natürlich auch darauf reagieren können, was vom Publikum oder den Gesprächspartnerinnen und -partnern kommt. Erst dann ist eine Interaktion möglich. Damit sind wir bei der Improvisation. Erst mit der Improvisation ist eine tatsächliche Kommunikation – nämlich als Dialog und Interaktion – möglich.

Ein guter Auftritt, ein gutes Gespräch ist mehr als nur Informationsvermittlung, es geht um die Art und Weise, wie wir miteinander in Beziehung treten, wie wir uns gegenseitig zuhören und Raum geben, damit im Moment des Gesprächs etwas Neues entstehen kann. Es geht letztlich um Magic Moments – die Magie des Hier und Jetzt. Darin entscheidet sich, ob ein Auftritt ganz okay ist (weil man seine Vorbereitung, seine Struktur wie geplant durchgezogen hat) oder ob er spannend, berührend, beeindruckend, im besten Fall berauschend wird.

Die Frage ist: Wie viel Vorbereitung und Struktur braucht es dazu? Ab wann ist es zu viel? Und wie kann ich frei genug im Kopf sein, um das Unerwartete zuzulassen, zu improvisieren?

Dieses Buch zeigt, wie das gelingen kann. Es richtet sich an Vorbereitungsperfektionistinnen, die mehr kommunikativen Spielraum brauchen. An improvisierende Chaoten, die nach einer kreativen Struktur suchen. Und an alle dazwischen.

Im Zentrum steht die Frage, wie wir uns gut vorbereiten und erfolgreich improvisieren können. Das Zusammenspiel dieser beiden Prinzipien nennen wir «strukturierte Improvisation» oder eben «strukturiert improvisiert», wie es im Titel dieses Buchs heisst. Wie finden wir die optimale Mischung von Vorbereitung und Freiraum, von Struktur und Improvisation? Für diese Mischung gibt es keine feste Formel – sie hängt von der Person ab, aber auch vom Umfeld und vom Ziel. Die Struktur, die Vorbereitung ist dabei die Pflicht, die Improvisation die Kür. Oder anders gesagt: Die Improvisation ist der riskante Teil einer Hochseilübung, die Struktur ist das Sicherheitsnetz darunter.

Das Buch geht aber noch einen Schritt weiter. Es zeigt, dass strukturierte Improvisation ein Erfolgsprinzip für viele weitere Bereiche im Leben ist: in der Führungsarbeit, in der Erziehung, im Sport, sogar in Beziehungen. Überall geht es darum, vorbereitet und strukturiert zu agieren, um dann offen und kreativ auf den Moment, auf spontan entstehende, unerwartete Situationen reagieren zu können. Oder wie es die Dirigentin Lena-Lisa Wüstendörfer im Interview (siehe Teil II des Buchs) beschreibt: Technische Perfektion ist Voraussetzung, aber der Zauber der Musik entsteht erst, wenn sich das ganze Orchester auf den Moment (und das Publikum) einlässt.

Schon als Säuglinge agieren wir im Spannungsfeld von Explorationsbedürfnis (Was gibt es alles neu zu entdecken?) und Sicherheitsbedürfnis (Wo ist die Mama, der Papa?). Der Säugling kann sich nur optimal entwickeln, wenn er beides hat: Abenteuer und Schutz, Improvisation und Struktur. Diese Bedürfnisse begleiten uns offensichtlich ein Leben lang – und brauchen ein optimales Zusammenspiel.

Wie lebenswichtig es ist, beide Prinzipien zu beherrschen, belegen auch Erfahrungen aus Extremsituationen. Zum Beispiel am 15. Januar 2009. Chesley Sullenberger ist, wie jeder Pilot und jede Pilotin, ein strukturierter Mensch, der sich akribisch vorbereitet (Checklisten!). Als aber an diesem Tag kurz nach dem Start in New York ein Gänseschwarm beide Triebwerke seiner A320 lahmlegte, reagierte er absolut intuitiv und machte etwas, was in keiner Checkliste stand: Er landete das Flugzeug mitten in der Stadt auf dem Hudson River und rettete damit allen 155 Personen an Bord das Leben.

Wir sind überzeugt, auch aus eigener Erfahrung: Wer in seinem beruflichen und privaten Alltag die richtige Mischung von Struktur und Improvisation findet, kann erfolgreicher kommunizieren, intensivere Gespräche führen, entwickelt mehr Selbstvertrauen in exponierten Situationen, erlebt magische Momente und führt im besten Fall ein entspannteres, gelassenes Leben.

2Kurze Reflexion: Zwei Autoren, zwei Herangehensweisen

Wir lesen gern kommunikationstheoretische Abhandlungen. Aber in erster Linie sind wir Praktiker. Unser Buch basiert auf jahrzehntelanger Erfahrung in der professionellen Kommunikation. Wie wichtig strukturierte Improvisation ist, haben wir selbst erlebt – und zum Teil erlernen müssen. Im Folgenden ein kleiner Einblick in unsere Erfahrungen.

2.1Urs Leuthard: Der Fernsehmoderator auf der Suche nach dem inneren Spielraum

Ein unerfahrener Moderator sucht Sicherheit, indem er sich minutiös vorbereitet. Nach einiger Zeit merkt er, dass das vermeintliche «Erfolgsrezept» untauglich ist. Wie befreit er sich aus dieser Vorbereitungsfalle?

«Als ich im Mai 2002 meine neue Stelle als Moderator und Redaktionsleiter der Arena, der wichtigsten Politiksendung der Schweiz, antrat, war ich erst fünf Jahre im Journalismus tätig und hatte gerade mal zwei Jahre Moderationserfahrung beim Privatfernsehen. Die Akteurinnen und Akteure aus Bundesbern hatte ich bis dahin als News- und Wirtschaftsjournalist eher zufällig kennengelernt – wenn überhaupt. Und beim Schweizer Fernsehen war ich ebenfalls neu. Kurz: Ich war ein Greenhorn und meine erste Sendung, wissend, dass Publikum und Presse mich interessiert-kritisch begutachten würden, bereitete mir schlaflose Nächte.

Dass ich diese Sendung dennoch einigermassen erfolgreich über die Bühne brachte, lag zum einen an der unschätzbaren Hilfe meiner erfahrenen Produzentin, zum anderen an meiner akribischen Vorbereitung. Ich plante die 90 Minuten bis ins kleinste Detail, kannte die politischen Haltungen und Äusserungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in- und auswendig und hatte mir nicht nur jede Frage, die ich stellen wollte, sondern auch diverse Varianten von Entgegnungen auf mögliche Antworten meiner Gäste notiert. Kurz: Ich hatte alles bereits vor der Sendung so im Griff, wie das nur irgendwie möglich war.

Dieses ‹Erfolgsrezept› behielt ich die nächsten Monate bei. Nach etwa einem Jahr begann ich mich jedoch zunehmend zu fragen, warum ich mit keiner der bisherigen Sendungen wirklich zufrieden war. Klar, die Kritiken waren wohlwollend, ich fühlte mich immer sicherer. Auch die Feedbacks der Gäste waren meist gut, man schätzte insbesondere meine penible Vorbereitung. Trotzdem blieb oft ein schales Gefühl – mir fehlte das Überraschungsmoment, das Neue, Weiterführende. Und meistens wusste ich nach den Sendungen nicht mehr richtig, was meine Gäste genau gesagt hatten.

Lag es am Konzept der Sendung? An den Politikerinnen und Politikern, die immer wieder das Gleiche, Erwartbare von sich gaben? Oder lag es an mir? In der Arbeit mit meinem Moderationscoach und Freund Tinu Niederhauser merkte ich bald: Meine intensive Vorbereitung schützte mich zwar recht gut vor unangenehmen Überraschungen, verunmöglichte aber auch positive Überraschungen. Denn ich wusste ja genau, wie die Sendung von der ersten bis zur letzten Minute ablaufen würde. Drohte mal jemand aus meinem Konzept auszubrechen, brachte ich sie oder ihn ganz schnell wieder zurück auf den richtigen Pfad – sprich: auf meine vorbereitete Struktur. Mir wurde allmählich klar, dass mir mein Bedürfnis nach grösstmöglicher Sicherheit jegliche Kreativität und Spontaneität genommen hatte und mich auch daran hinderte, den Diskussionsgästen wirklich zuzuhören. Denn das hätte ja bedeutet, meine vorgespurte Struktur verlassen und möglicherweise improvisieren zu müssen. Und das hatte in meiner akribischen Vorbereitung keinen Platz.

Im Rückblick war dieser Weg bis dahin nicht falsch, vielleicht sogar der einzig mögliche. Gerade in den ersten Sendungen war ich schlicht im Überlebensmodus, und ohne diese penible Vorbereitung und Planung hätte ich, mit meiner geringen Erfahrung, die Sendung vermutlich an die Wand gefahren. Aber nun war der Zeitpunkt gekommen, meine Moderation und mich selbst weiterzuentwickeln. Ich musste lernen, dass Vorbereitung und Struktur zwar ein zentraler Bestandteil einer jeden professionellen Gesprächsführung sind, aber eben nicht der einzige. Ich musste lernen, meinen Griff um die Sendung zu lockern, sie etwas aus der Hand zu geben, um mehr Freiraum, mehr Kreativität, mehr Spontaneität zuzulassen. Vor allem musste ich lernen, meinen Gästen besser zuzuhören und mir die Möglichkeit zu geben, auf das, was sie sagen, spontan zu reagieren – auch wenn es in meinem Plan nicht vorgesehen war.

Heute, nach mehreren Hundert Arena-Sendungen und vielen anderen politischen Gesprächsrunden, Interviews und öffentlichen Auftritten, bin ich überzeugt, dass der Schlüssel zu einem guten Gespräch, einer spannenden Rede und einem gelungenen Auftritt in der richtigen Mischung zwischen Vorbereitung und Spontaneität, Struktur und Improvisation, Ordnung und Chaos liegt. Keine Frage: Ich muss genau wissen, worum es geht, muss mir meine Fragen und Aussagen gut überlegen und vorbereitet sein auf gewisse Antworten (oder Nicht-Antworten). Aber ebenso muss ich bereit sein, in jeder Phase des Gesprächs meine Vorbereitung über den Haufen zu werfen, wenn eine überraschende Antwort oder unerwartete Reaktion meines Gegenübers kommt. Das ist die wirkliche Kunst von Auftritten und Gesprächsführung. Und wenn das gelingt, kann das zu einer tiefen Befriedigung für alle Beteiligten führen – das Gegenüber, das Publikum und den Moderator bzw. die Moderatorin.

Wenn ich heute eine Sendung, ein Gespräch oder ein Interview vorbereite, beschäftige ich mich nicht nur mit dem Thema, den Fragen und der Struktur. Sondern ich frage mich auch, wie ich mich vorbereiten kann, um richtig zuzuhören, offen zu sein für Irritationen und Störungen, bereit zu sein für alles andere, was ich nicht vorbereitet habe. Das heisst dann vielleicht, in den Vorbereitungsgesprächen mit den Gästen nicht alles gleich zu erfragen, um Raum für Überraschungen zu geben. Am Abend davor mit der Vorbereitung aufzuhören und früher ins Bett zu gehen, damit ich wirklich ausgeschlafen bin. Oder vor der Sendung einen langen Spaziergang zu machen und den Kopf auszulüften. All dies, damit ich empfänglicher bin, mich auf Unvorbereitetes tatsächlich einzulassen und zu improvisieren.

Tatsächlich habe ich bei vielen Auftritten der vergangenen Jahre mit den unterschiedlichsten Gästen immer wieder die Erfahrung gemacht, wie entscheidend der Faktor Improvisation ist. Beispiel eins: In einer der grossen Live-Abstimmungssendungen zu den Eidgenössischen Vorlagen wollte ich einmal, wie vorab geplant, von meinem Moderationspult zum einige Meter entfernten Pult meiner Moderationskolleginnen hinübergehen und dort genau zur vollen Stunde zur Resultate-Übersicht übergeben. In dem Moment, als ich losging, realisierte ich, dass das andere Pult leer war. In den wenigen Sekunden bis zum – leeren – Pult improvisierte ich aus dem Stegreif, erklärte, dass die Kolleginnen wohl noch die aktuellsten Resultate aufbereiten würden, und machte dann, als ich neben dem leeren Pult stand, das eine oder andere Witzchen. Nach einer gefühlten Ewigkeit (in Wirklichkeit dauerte es wahrscheinlich weniger als eine Minute) tauchten die Kollegen auf und konnten übernehmen. Das wirklich Interessante passierte aber danach: Ich bekam so viele positive Zuschauerreaktionen auf eine Abstimmungssendung wie nie zuvor. Das zeigte mir einmal mehr, dass die magischen Momente eines Auftritts dann entstehen, wenn etwas Ungeplantes passiert, wenn man sich darauf einlässt und sich im besten Fall sogar darüber freut.

Ein zweites Beispiel: In einem Interview mit einem der einflussreichsten Politiker wollte ich über die enormen Ausgaben zur Bewältigung der Covid-Pandemie und den Umgang mit den entstandenen Schulden reden. Weil ich mir angewöhnt hatte, solche Interviews mit einer kurzen persönlichen Frage zu beginnen (darüber später im Buch mehr), wollte ich zu Beginn wissen, ob es ihm nach seiner kürzlichen Covid-Infektion wieder gut geht. Seine Antwort: Ja, aber er wünsche niemandem, das durchzumachen, was er erlebt habe. Eigentlich wollte ich nach der Einstiegsfrage gleich zum Thema des Interviews übergehen, aber seine Antwort verlangte geradezu nach einer Nachfrage: Was war denn so schlimm? Worauf er kurz erzählte, dass es ihm sehr schlecht gegangen sei und er fast alle heftigen Symptome der Corona-Erkrankung durchgemacht habe. Dieser Gesprächsanfang gab dem ganzen Gespräch eine eigene Färbung und führte ebenfalls dazu, dass ich sehr viele positive Reaktionen bekam. Ich wage mir nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte ich an meinem ursprünglichen Plan, nach der Einstiegsfrage direkt zum eigentlichen Thema überzugehen, festgehalten.

Entscheidend bei dieser Erfahrung und in vielen anderen Situationen war für mich die Erkenntnis, wie wichtig das gleichrangige Nebeneinander von guter Vorbereitung und Improvisation ist. Nur so kann professionelle Kommunikation gelingen.»

2.2Tinu Niederhauser: Der Kommunikationstrainer und der kostbare Stein aus Schweden

Eine zu rigide Vorbereitung verhindert das freie Sprechen vor Publikum. Der Kommunikationstrainer sucht deshalb zusammen mit seiner Kundin nach alternativen, überraschenden Zugängen, ihre Rolle als Referentin neu zu definieren. Dabei müssen beide auf der grünen Wiese neu beginnen.

«Die bestens ausgebildete Ökonomin, eine Schwedin mit sehr viel Berufs- und Lebenserfahrung, stand am Abgrund. Was sie jahrelang gekonnt umgehen konnte, ein Auftritt vor Publikum, war nicht mehr zu vermeiden. Am Telefon beschrieb sie mir ihre Situation in den düstersten Farben. Vor einem halben Jahr war sie in ihrer Firma zur Chefin einer grossen Abteilung befördert worden. Das hatte unter anderem zur Folge, dass sie das Fachreferat an einer jährlich stattfindenden grossen Fachtagung übernehmen musste. Eine anspruchsvolle und wichtige Sache. Viel Prominenz und noch schlimmer: sehr viele Kolleginnen und Kollegen wurden im Publikum erwartet. Dumm nur, dass die kompetente Ökonomin vor Jahren beschlossen hatte, dass sie einfach nicht vor Publikum sprechen kann, bei dieser Aufgabe immer versagen und so ihr Gesicht und ihren Ruf als Spezialistin verlieren wird.

Eine Woche später machten wir uns an die Arbeit. Schnell wurde klar, woher ihre grosse Abneigung, geradezu Panik vor Auftritten kam. Im Studium musste sie vor ihren Kommilitoninnen Referate zu ökonomischen Fragestellungen halten. Der Dozent sass hinten im Publikum, schüttelte immer wieder missbilligend den Kopf und gab am Schluss eine vernichtende Kritik von sich. Das dadurch ausgelöste Gefühl der Inkompetenz, des Versagens und der Abwertung war es, was zu dem starken Gefühl der Ohnmacht in Auftrittssituationen geführt hat. Die Strategie, die sich die Ökonomin aneignete, um mit dieser für sie toxischen Situation umzugehen, war die der totalen Kontrolle. Jeder Satz, den sie vor Publikum sprach, musste hundertfach überdacht, absolut präzise und widerspruchsfrei formuliert werden. Ihre Referate hatte sie, sofern sie sich nicht vermeiden liessen, bis ins letzte Detail ausformuliert, redigiert, geprobt und schliesslich auswendig vor Publikum vorgetragen.

Wir beschlossen, ganz bei null anzufangen. Die erste und wichtigste Entscheidung war, dass wir es gleich mit der freien Rede versuchen wollten – und damit dem Gegenteil dessen, was sie bis dato gemacht hatte. Dazu gehörte, ganz auf schriftliche Formulierungen zu verzichten und das Referat mündlich zu entwickeln. Zuerst erzählte sie mir ihr Vorhaben bei einem langen Spaziergang. Zurück im Trainingsraum entwickelten wir dann auf dem Flipchart eine einfache Struktur: die Einleitung, den Hauptteil mit einer starken Kernbotschaft und zum Schluss eine wirkungsvolle Pointe.

Bereits beim zweiten Training war es so weit: Die Ökonomin schaffte es, das Referat von gut dreissig Minuten Länge als Ganzes und ohne Manuskript zu halten. Noch gab es den einen oder anderen ‹Holperer›. Diese Momente galt es jedoch nicht zu vermeiden, sondern als Wesen der mündlichen Sprache zu akzeptieren. Sekundenbruchteile entscheiden, in welche Richtung sich ein Gedanke weiterentwickelt. Entscheidend dabei: Er muss im Moment des Sprechakts neu gedacht werden. Für meine Perfektionistin war dies schwer auszuhalten: Jede noch so kleine Pause taxierte sie für sich als Fehler. Erst als ich ihr eine Aufzeichnung vorspielte, die ich ohne ihr Wissen bei einer Feedbacksituation erstellt hatte, konnte sie selbst feststellen, dass es gerade dieses Arhythmische war, die kleinen Denkpausen, die ihre Sprache so lebendig machten.

Der Erfolg, den die Referentin ein paar Wochen später feiern konnte, war immens. Die Feedbacks überwältigend, das Glücksgefühl der Befreiung ebenso. Ein gutes Jahr später haben wir uns wiedergetroffen. Dabei wurde ich mit einem wunderschönen Stein beschenkt, den meine Kundin an der Küste Schwedens gefunden hat. Dies sei der Stein, der ihr beim freien Sprechen vor Publikum vom Herzen gefallen sei. Er hat noch heute einen besonderen Platz in meinem Trainingsraum.»

Ein Dialog: Reisetypologie

Emilie:

Es war einfach nur super.

Kim:

Erzähl.

Emilie:

Vietnam und Kambodscha: einfach unglaublich faszinierend, alles ist so anders als bei uns!

Kim:

Was war für dich so speziell?

Emilie:

Am meisten hat es mich gefreut, dass alles aufgegangen ist.

Kim:

Alles aufgegangen?

Emilie:

Ich habe gehofft, dass alles so funktioniert, wie ich es gebucht habe.

Kim:

Du hast die ganzen drei Wochen im Voraus gebucht?

Emilie:

Das mache ich immer so. Ich plane meine Reisen absolut minutiös: Ich buche die Hotels, den Transport und wenn möglich auch gleich die Guides.

Kim:

Du überlässt also nichts dem Zufall?

Emilie:

So ist es.

Kim:

Faszinierend.

Emilie:

Faszinierend, warum?

Kim:

Weil ich genau das Gegenteil mache. Ich plane so wenig wie nur möglich und lasse mich beim Reisen vom Moment und von den Begegnungen treiben.

Emilie:

Wie? Du buchst nur einen Flug und schaust dann, wo’s langgeht?

Kim:

Ziemlich genau so bin ich unterwegs.

Emilie:

Und du hast keine schlechten Erfahrungen gemacht damit?

Kim:

Im Gegenteil: Ich bin immer wieder von unglaublich gastfreundlichen Menschen aufgenommen worden.

Emilie:

Faszinierend.

Kim:

Allerdings.

Emilie:

Faszinierend vor allem, dass wir beim Reisen so unterschiedlich unterwegs sind …

Kim:

… und uns bei der Arbeit trotzdem so gut verstehen.

Emilie:

So ist es.

3Strukturieren: Ohne geht es nicht

Wann immer wir einen Auftritt vor uns haben – sei es eine Rede, ein Interview, eine Seminarleitung, vielleicht auch nur eine kurze Ansprache bei einem Familienfest –, ist eine Vorbereitung unverzichtbar, und zwar in vierfacher Hinsicht. Wir sollten erstens die Rahmenbedingungen abklären (logistische Vorbereitung), uns zweitens in den Inhalt einarbeiten (thematische Vorbereitung), drittens dem Auftritt eine Struktur, eine Dramaturgie geben (strukturelle Vorbereitung) und viertens uns selbst auf den Auftritt vorbereiten (mentale Vorbereitung). Dazu erfahren Sie in den folgenden Kapiteln mehr.

3.1Warum brauchen wir Struktur und Vorbereitung?

Struktur, Ordnung und exakte Vorbereitung werden gern als Gegenteil von Kreativität gesehen. Tatsächlich ist das aber, auch wenn es vielleicht im ersten Moment paradox klingt, die Basis dafür, dass wir kreativ sein und improvisieren können. Denn Improvisation ohne Struktur funktioniert nicht. Erst die Struktur schafft die Voraussetzung dafür, dass wir mit der Dynamik des Unvorhergesehen umgehen können. Wenn Urs eine politische Gesprächsrunde leitet, kann er überraschende Äusserungen viel besser aufgreifen oder eine unerwartete Wendung im Gespräch zulassen, wenn er sich im Thema und in der vorbereiteten Struktur sicher fühlt. Nur so weiss er, wie er die Fäden wieder aufnehmen kann, wenn er sie, dem Gesprächsverlauf zuliebe, vorher aus der Hand gegeben hat.

Ordnung und Struktur sind für die meisten Menschen die Voraussetzung für Produktivität und Kreativität. Wer kennt es nicht: Hin und wieder müssen wir erst einmal den Schreibtisch aufräumen, bevor wir richtig loslegen können. Oder wir machen uns einen Plan oder eine To-do-Liste für den kommenden Tag, damit lässt sich leichter arbeiten und vorwärtskommen.

Noch allgemeiner gesagt: Ordnung und Struktur, und damit auch Vorbereitung, sind so etwas wie eine Grundvoraussetzung fürs Leben. Der Persönlichkeitspsychologe Alexander Stahlmann sagte es in einer Radiosendung zu «Ordnung und Chaos» so: «Als Menschen versuchen wir fast in jeder Lebenslage, Ordnung in unser Leben zu bringen.»

In der Kommunikation geben uns Struktur und Vorbereitung Orientierung. Meistens müssen wir uns zuerst darüber klar werden, worüber wir reden wollen, was das Ziel des Interviews oder des Seminars ist. Wenn Urs einen Politiker interviewt, geht es in der Vorbereitung zuerst einmal darum, den Rahmen abzustecken: Was sind die zentralen Fragen? Wo gibt es Fragezeichen in der Argumentation des Politikers? Oder auch: Welche Fragen bzw. Antworten interessieren das Publikum am meisten?

Struktur und Vorbereitung heisst immer auch: Reduktion und damit Fokussierung. Wenn Tinu mit Kommunikationsverantwortlichen von Firmen ein Seminar über Auftrittskompetenz macht, dann könnte er über dieses Thema tausend Dinge sagen und tage- und wochenlang mit den Teilnehmenden üben. Das ist aber weder zeitlich machbar noch sinnvoll für den Lernerfolg. Tinu muss sich also fragen: Welche Botschaften sind zentral, welche Übungen für die Teilnehmenden am wirksamsten? Erst damit wird ein Thema greifbar und verständlich. Wer schon ein Seminar erlebt habt, bei dem Dutzende Themenbereiche angerissen, aber nicht vertieft wurden, weiss, wovon wir reden. Das Gleiche gilt für ausufernde Gesprächsrunden und dahinplätschernde Interviews.

Fokussierung ist auch für die inhaltliche Vertiefung eines Themas zentral. Wir wollen ja kompetent wirken. Das funktioniert nur, wenn wir bei der Vorbereitung Zeit in die eigene Themenkompetenz investieren. Begnügen wir uns mit dem Ergebnis einer kurzen Internetrecherche, dürfte unser Auftritt ziemlich langweilig werden. Vertiefung heisst, das Thema, das wir im Fokussierungsschritt eingegrenzt haben, inhaltlich zu durchdringen, die wichtigen Stichworte und Fragen dazu zu kennen sowie Querverbindungen zu verwandten Fragestellungen ziehen zu können.

Struktur und Vorbereitung geben uns aber auch Sicherheit. Denn schliesslich exponieren wir uns mit jedem Auftritt und wollen uns nicht blamieren. Je geringer unsere Erfahrung, je relevanter der Auftritt, je grösser das Publikum, desto wichtiger ist dieser Sicherheitsaspekt. Wenn wir gut vorbereitet sind und unserem Auftritt eine durchdachte Struktur gegeben haben, fühlen wir uns sicherer, und das hat entscheidende Auswirkungen auf der verbalen, nonverbalen und atmosphärischen Ebene: Wir kommunizieren klarer, wir treten bestimmter auf und vermitteln so auch dem Publikum oder dem kommunikativen Gegenüber Sicherheit. Das Ganze funktioniert übrigens auch in der Wechselwirkung: Wenn Sie als Referentin Sicherheit ausstrahlen, ist das Publikum zufriedener, angeregter und interessierter, was wiederum auf Sie als Referentin zurückwirkt.

Take-out:

In der Kommunikation geben uns Struktur und Vorbereitung Orientierung, Fokus, inhaltliche Tiefe und Sicherheit. Erst durch die Vorbereitung können wir mit der Dynamik des Unvorhergesehenen umgehen.

3.2Logistische Vorbereitung

Bevor wir uns dem Inhalt zuwenden, sollten wir einige Rahmenbedingungen klären, die wiederum Auswirkungen auf die inhaltliche Vorbereitung haben.

Themendefinition

Ist das Thema klar? Habe ich, zum Beispiel für eine Keynote-Rede, einen klaren Auftrag bekommen? Wenn ich ein Interview fürs TV führe: Steht das Thema bereits fest oder muss ich das mit den Gästen noch klären? Kann ich das Thema allein setzen oder muss ich mich mit den Gesprächspartnern, dem Publikum, den Auftraggebern usw. absprechen?

Ein Beispiel: Urs wollte im Anschluss an eine Medienkonferenz des Bundesrats ein Interview mit einem der Bundesräte führen. Er klärte das mit dem Kommunikationsverantwortlichen des Bundesrats, aber ohne genau auf das Thema einzugehen, weil es für ihn (vermeintlich) klar und durch die Medienkonferenz vorgegeben war. Nach der Medienkonferenz erwartete Urs den Bundesrat im Studio, der dann als Erstes fragte: «Worüber reden wir im Interview?» Die ersten fünf Minuten des Interviewtermins gingen dann dafür drauf, zu klären, worum es ging und worum nicht.

Ein anderes Beispiel: Tinu erhielt von einer Verwaltungseinheit den Auftrag, ein Medientraining für die Mitarbeitenden durchzuführen. Er bereitete sich entsprechend vor, merkte dann aber zu Beginn des Trainings, dass Medienauftritte für die meisten Teilnehmenden gar nicht zum Stellenprofil gehörten. Die ganze Vorbereitung war für die Katz, er musste improvisieren.

Publikum

Wer ist unser Zielpublikum? Über welchen Wissensstand verfügt es? Welche Erwartungen haben die Teilnehmenden? Es geht darum, die Kommunikation möglichst adressatengerecht und verständlich aufzubereiten. Das ist einfacher bei einer kleinen, homogenen Gruppe, bei der man sehr spezifisches Wissen voraussetzen kann. Schwieriger wird es bei einem grossen heterogenen Publikum. Je grösser das Publikum, desto mehr gilt die Faustregel: Bleib einfach und verständlich, am besten so, dass es auch ein Zehnjähriger verstehen würde. Auch macht es einen Unterschied, ob man eine Rede vor 10 oder vor 300 Personen hält, und einen noch grösseren, ob man ein Seminar für 5 oder 25 Teilnehmende vorbereitet.

Es kann auch nicht schaden, abzuklären, welche «Reizthemen» oder «Reizworte» es beim Publikum gibt. Urs wurde einst von einem Branchenverband für ein Referat über seine journalistische Arbeit angefragt. Weil ihn der Name des Verbands an ein Hundefutter erinnerte, machte er zu Beginn einen Witz darüber. Die Reaktion des Publikums: eisiges Schweigen. Es dauerte seine Zeit, bis er das Publikum wieder auf seine Seite gebracht hatte.

Auftraggeber

Welche Erwartungen hat der Auftraggeber? Was ist das Ziel einer Veranstaltung oder eines Auftritts? Bei einem öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen wie SRF müssen z. B. auch Konzessionsbestimmungen und publizistische Leitlinien berücksichtigt werden – nicht nur während eines Gesprächs, sondern auch schon davor. Ist die Auftraggeberin eine Firma, ein Branchenverband oder eine Ausbildungsinstitution, hilft die sorgfältige Klärung der Erwartungen, um Enttäuschungen und Missverständnisse zu vermeiden.

Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass Auftraggeber oft keine klaren Erwartungen haben. Es heisst dann: «Machen Sie einfach mal was!» In diesem Fall heisst es, mit Nachdruck nachzufragen, um den Auftrag genau zu klären.

Eigene Rolle

In welcher Rolle, mit welcher Haltung agieren Sie? Wenn Sie als CEO einer Unternehmung eine Rede für Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten, ist die Rolle klar. Trotzdem stellt sich die Frage, ob Sie als Chefin klare Ansagen machen wollen oder ob Sie an einem Austausch auf Augenhöhe interessiert sind. Dementsprechend sollten Sie Ihre Rede, Ihre Haltung, Ihren Anspruch anpassen.

Sehr unterschiedliche Rollen können Sie einnehmen, wenn Sie ein Interview führen oder eine Gesprächsrunde leiten. Möchten Sie der etwas «naive» Fragesteller sein, der sich als Sprachrohr eines breiten Publikums versteht? Oder sind Sie die hartnäckige investigative Rechercheurin, die die Gesprächsteilnehmer zu Geständnissen bringen will? Möglicherweise wollen Sie aber ein Gespräch auf Augenhöhe, bei dem beide Seiten ihre Erfahrungen einbringen. Je nach Rolle müssen Sie sich anders vorbereiten und das Gespräch unterschiedlich strukturieren. Und vor allem gehen Sie mit einer unterschiedlichen Haltung ins Gespräch.

Ort/Setting