Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts -  - E-Book

Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts E-Book

0,0

Beschreibung

Wandel ist normal: Boomphasen und Rationalisierungsprozesse in Schleswig-Holstein "Mit kurzem Wort: haben wir Chancen, und wo liegen diese?", fragt Ende der 1950er ein Bauer aus Ausacker und stellt damit die grundlegende Frage zum Strukturwandel. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verändern gesellschaftliche und ökonomische Umschichtungen die Lebens- und Arbeitswelt in Schleswig-Holstein: Wirtschaftswunder, gefolgt von Werften und Landwirtschaftskrise - das ist Strukturwandel auf den Punkt gebracht. Der zweite Band dieser Reihe legt den Fokus auf den Strukturwandel in Schleswig-Holstein nach 1945. Im Mittelpunkt stehen hierbei Landwirtschaft, Schwerindustrie und Tourismus, berücksichtigt werden außerdem infrastrukturelle Umschichtungen in der Region wie der Abzug der Bundeswehr oder die politischen Diskussionen um die Gestaltung der Schullandschaft. Der vorliegende Band ermöglicht darüber hinaus einen Überblick über die aktuelle Forschung zum Wandel, dessen Bedingungen und Wahrnehmungsmuster sowie Gestaltungsmöglichkeiten und Strategien beteiligter Akteure.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 490

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Uwe Danker/Thorsten Harbeke/Sebastian Lehmann (Hg.)Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Beiträge zur Zeit- und Regionalgeschichte

Herausgegeben von Uwe Danker, Robert Bohn und Sebastian Lehmann für das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) der Universität Flensburg

Band 2

Uwe Danker/Thorsten Harbeke/Sebastian Lehmann (Hg.)

Strukturwandel in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

© 2014 Wachholtz Verlag – Murmann Publishers, Neumünster/Hamburg

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Gesamtherstellung: Wachholtz Verlag

ISBN 978-3-529-09214-5

Besuchen Sie uns im Internet:

www.wachholtz-verlag.de

INHALT

Uwe Danker/Sebastian Lehmann

GROSSER WANDEL IM KLEINEN RAUM: STRUKTURWANDEL IN REGIONALHISTORISCHER PERSPEKTIVE – EINE EINFÜHRUNG IN BAND UND THEMA

Uwe Danker/Sebastian Lehmann

»STRUKTURWANDEL: SCHLESWIG-HOLSTEIN ALS LAND«

Quelle

»DER STRUKTURWANDEL DES DORFES«

Jaromír Balcar

LANDWIRTSCHAFT UND LÄNDLICHE LEBENSWELTEN IN WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 BILANZ, PROBLEME UND PERSPEKTIVEN DER FORSCHUNG

Claudia Ruge

»EUROPA UND UNSERE HEIMISCHE LANDWIRTSCHAFT« – LANDWIRTSCHAFTLICHER STRUKTURWANDEL IN SCHLESWIG-HOLSTEIN IM KONTEXT DER EUROPÄISCHEN INTEGRATION. EIN DISSERTATIONSPROJEKT

Stephan Gersteuer

STRUKTURWANDEL IN DER LANDWIRTSCHAFT AUS BERUFSSTÄNDISCHER PERSPEKTIVE

Quelle Landwirtschaft

»EIN AKUTES PROBLEM«

Stefan Grüner

STRUKTURWANDEL UND (SCHWER-)INDUSTRIE – FORSCHUNGSSTAND UND PERSPEKTIVEN

Ralf Ahrens

DIE BEWÄLTIGUNG INDUSTRIELLEN STRUKTURWANDELS IN EINER TRADITIONSBRANCHE: DER BUNDESDEUTSCHE MASCHINENBAU IN DEN »LANGEN SIEBZIGER JAHREN«

Stephanie Schmoliner

GEWERKSCHAFTSPOLITISCHE PERSPEKTIVEN AUF ZEITHISTORISCHE FORSCHUNG ZUM STRUKTURWANDEL DER INDUSTRIE

Quelle Schwerindustrie

»DER SCHIFFBAU DARF NICHT STERBEN«

Knut Franck

MILITÄRISCHE KONVERSION IM LÄNDLICHEN RAUM – DAS SCHEITERN DES PROJEKTES TARP/EGGEBEK

Quelle Bundeswehr

»ES IST KEINE FREUDE, GARNISON ZU SEIN!«

Hasso Spode

HISTORISCHE TOURISMUSFORSCHUNG ALS INTERDISZIPLINÄRES PROJEKT

Thorsten Harbeke

DER STRUKTURWANDEL IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN TOURISMUS (1950–1990)

Quelle Tourismus

GERHARD STOLTENBERG: »FREMDENVERKEHR IN SCHLESWIG-HOLSTEIN«

Volker Müller-Benedict

WANDLUNGSPROZESSE IM SCHULISCHEN BEREICH NACH 1945 AUS DER SICHT DER FORSCHUNG

Eva Nowottny

BUNDESDEUTSCHE BILDUNGSREFORMEN DER 1960ER UND 1970ER JAHRE: DIE FALLBEISPIELE SCHLESWIG-HOLSTEIN UND HESSEN. KONZEPT FÜR EINE KOMPARATISTISCH-REGIONALHISTORISCHE STUDIE

Matthias Heidn

STRUKTURWANDEL IN DER 2. HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS – FORSCHUNGSSTAND, PROJEKTE UND GEGENWARTSINTERESSE

Quelle Bildung

»DAS BEISPIEL DÖRFERGEMEINSCHAFTSSCHULE TODENBÜTTEL«

Hans Schultz Hansen

ABSCHLUSSKOMMENTAR

Susanne Royer

SCHLUSSWORTE ZUR TAGUNG »STRUKTURWANDEL IN DER 2. HÄLFTE DES 20. JAHRHUNDERTS – FORSCHUNGSSTAND, PROJEKTE UND GEGENWARTSINTERESSE«

UWE DANKER/SEBASTIAN LEHMANN

GROSSER WANDEL IM KLEINEN RAUM: STRUKTURWANDEL IN REGIONALHISTORISCHER PERSPEKTIVE – EINE EINFÜHRUNG IN BAND UND THEMA

1.

Wir beginnen mit Screenshots einer kleinen Multimedia-Animation, die aus einem in unserem Haus mitentwickelten Projekt stammt: www.vimu.info, das Virtuelle Museum zur Geschichte der Grenzregion. Wir sehen die multimedial aufbereitete Entwicklung der Beschäftigtenstruktur des bedeutendsten schwerindustriellen Betriebs in der Region, der Kieler Großwerft Howaldtswerke Deutsche Werft AG in Kiel in den Jahren 1952 bis 2003. Die Grafik zeigt die Gesamtzahl aller auf der Werft Beschäftigten, unterteilt in Arbeiter (blue-collar-worker), repräsentiert durch die Figur mit dem Schutzhelm und dem Stahlträger auf der linken Seite, und in Angestellte (white-collar-worker), dargestellt durch die Figur mit der Aktentasche in der Hand auf der rechten Bildseite. Die Größe der Figur verändert sich proportional zur jeweiligen Zahl. Die Animation läuft entlang einer Zeitachse durch die Jahre 1952 bis 2003, hier wiedergegeben nur einige Stichjahre.

Abbildung 1. Eine Reihe von Screenshots aus der Animation »Vom Blaumann zum Weißkittel« von der Internetseite vimu.info1

Besser als jede Tabelle und jeder Text verdeutlicht – so meinen wir – diese Animation den Strukturwandel in der Schwerindustrie, hier die konkreten Veränderungen in der Arbeitswelt im Schiffbau, eine der symbolträchtigsten Branchen der Region. Zu erkennen ist der Aufstieg HDWs zu einem Großbetrieb im Wirtschaftswunder, wir sehen die Boomphasen in den 1960er Jahren, indes setzen bereits Rationalisierungen ein. Das Ende des Schiffbaubooms im Gefolge der Ölkrise 1973/74 lässt sich ebenso deutlich ablesen wie die lange Zeit des Schrumpfungsprozesses. Zugleich ändert sich auch das Zahlenverhältnis Arbeiter-Angestellte dramatisch und spiegelt neue Produktionsweisen wider: Ein immer größerer Teil der Arbeit wird in den Büros und nicht mehr auf den Hellingen geleistet: Strukturwandel auf den Punkt gebracht. Und insbesondere gilt: Veränderte Arbeitswelten auf HDW, das ist eben jener »Große Wandel im kleinen Raum – Strukturwandel in regionalhistorischer Perspektive«.

2.

In industriellen und postindustriellen Gesellschaften bildet der Wandel gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen den »Normalfall«. Stagnation ist ebenso erklärungsbedürftig wie beschleunigter Wandel. Es geht daher – so Hans-Ulrich Wehler – »gar nicht um An- oder Abwesenheit von Wandel, sondern immer nur um den Grad oder das Ausmaß des Wandels«.2 – Wir kommen darauf noch einmal grundsätzlicher zurück. Jetzt sei nur festgehalten: Wandel ist normal.

Zudem ist Wandel ein normaler, nein zentraler, nein sogar der zentrale Erkenntnisgegenstand historischer Forschung schlechthin, denn wir Historiker und Historikerinnen suchen Veränderungen jeder Art zu beschreiben, zu erklären und zu verstehen; das gerade definiert unsere Profession.

Konferenz und Tagungsband sind interdisziplinär geprägt. Wenn wir von Strukturwandel sprechen, dann haben wir alle einen – gewiss zutreffenden, gleichwohl weichen, aus der Makroökonomie abgeleiteten, populären Begriff – von Struktur. Als Brücke wird er in dieser Allgemeinheit tragen, auch in diesem Band; indes sollten wir auch präzisere begriffliche Annäherungen erwähnen und gegebenenfalls auch nutzbar machen. Wir wollen zunächst den Begriff der Strukturen, wie er in unserer Disziplin verwendet wird, herleiten.

3.

Reinhart Koselleck, einer jener unsere Generationen prägenden, außergewöhnlichen Historiker, hat sich 1979 eingehend zum Spannungsverhältnis zwischen (historischem) »Ereignis und Struktur« geäußert.3

Beginnen wir mit dem Begriff des Ereignisses: Ein Ereignis sei, so Koselleck, »von bestimmbaren Subjekten ausgelöst oder erlitten«.4 Er definiert es – an anderer Stelle, hier in der Wiedergabe von Jürgen Kocka – als »Zusammenhang von Begebenheiten[,] der von den Zeitgenossen als Sinneinheit innerhalb eines Rahmens chronologischer Abfolge von Vorher und Nachher erfahren und insofern auch vom Historiker in Kategorien chronologischer Abfolge ›erzählt‹ werden kann«.5 Ereignisse würden also, so Kocka weiter, den »Erfahrungsraum« von »Beteiligten« nicht überschreiten.

Strukturen dagegen, jetzt wieder Koselleck im Original, seien »Zusammenhänge«, die bezogen auf die Zeitebene »nicht in der strikten Abfolge von einmal erfahrenen Ereignissen aufgehen«. Sie kennzeichneten »mehr Dauer, größere Stetigkeit, Wandel allenthalben nur in längeren Fristen«. Als Beispiele nennt er »Verfassungsbauformen«, »Herrschaftsweisen«, »Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse«, »geographisch-räumliche Vorgegebenheiten«, »Gewohnheiten und Rechtssysteme«.6 Rekurrieren kann er auf die strukturgeschichtlichen Ansätze Werner Conzes und Otto Brunners und des den französischen Annales zuzurechnenden Referenzwerks Fernand Braudels über das Mittelmeer mit dem »Schlüsselbegriff« der »histoire des structures«.7

Oft erscheinen übrigens Strukturen als ein nicht klarer und unpräziser Begriff. Allgemein rückt man mit ihnen »Verhältnisse«, »Zustände«, »überindividuelle Entwicklungen und Prozesse« in den Fokus, »weniger die einzelnen Ereignisse und Personen«, es gehe folglich um die »Erfassung übergreifender Zusammenhänge« also »den gesamtgesellschaftlichen Prozeß«, so Kocka.8 Als teilweise redundante Schlüsselformulierung Kosellecks wollen wir deshalb folgendes, für die konkrete und methodisch relevante Unterscheidung9 durchaus hilfreiches Gegensatzpaar zitieren:

»Während Ereignisse von bestimmbaren Subjekten ausgelöst oder erlitten werden, sind Strukturen als solche überindividuell und intersubjektiv«.10

Beispielsweise gebe es langfristige Entwicklungen, die stattfänden unabhängig davon, ob sie gefördert oder bekämpft würden, etwa der industrielle Aufschwung nach der im eigentlichen Anliegen gescheiterten Revolution 1848.

Wir können schließen: Derart definierte Strukturen werden vom (zeitgenössischen) Individuum nicht in hinreichender Tiefenschärfe erkannt. Strukturen weisen, wie Kocka es formuliert, aus dem »zeitlichen Erfahrungsraum mitlebender Zeitgenossen hinaus «, können nicht »erzählt werden«, lassen sich nicht Gruppen oder Personen zuordnen, sind nicht in eine zeitliche Ordnung des Vorher und Nachher einzuordnen.11 Wir wollen folgern: Ein gewisser Abstand kann nützlich sein. Erst eine – zeitlich wie inhaltlich – distanzierte und – durch Theorie – sensibilisierte historische Perspektive wird den tieferen Einblick in strukturellen Wandel gewährleisten können.

Und ein Zweites ist mit Koselleck zu beachten: Der »Prozeßcharakter der neuzeitlichen Geschichte« scheint ohne »wechselseitige Erklärung von Ereignissen durch Strukturen und umgekehrt« nicht möglich.12 So ähnlich betont Kocka, Ereignisse, wären gewiss auch »von Strukturen bedingt[,] ohne doch aus diesen voll ableitbar zu sein.«13 Indes subsumiert er unter Strukturen zudem so abstrakte Systeme wie »kollektive Mentalitäten«, »Religions- und Wertesysteme«, »Generationsabfolgen«, stabile »Freund-Feind-Konstellationen«, »Schulsysteme« und »internationale Beziehungen«,14 was der eben zitierten koselleckschen Abgrenzung entspricht, aber doch in ein weites, auch intellektuell zu eroberndes Feld führt.

Jedenfalls wollen wir festhalten: Es gilt, die gegenseitige Interdependenz von Ereignis und Struktur nicht zugunsten eines der Begriffe aus dem Auge zu verlieren.

In jenem bereits mehrfach zitierten und wissenschaftshistorisch bedeutsamen Aufsatz Jürgen Kockas aus dem Jahr 1975 geht es um nicht weniger als die Neufundierung der Geschichtswissenschaft. Eingangs formuliert er dort, es gehe schlicht um die Frage, »ob ›Sozialgeschichte‹ überhaupt (oder nur) als Teilbereich der Geschichtswissenschaft gefaßt werden soll oder ob sie nicht besser (oder auch) als eine oder gar die gegenwärtig einzig legitimierbare Form von Gesamtgeschichte, als auf die Totalität des historischen Prozesses gerichtete ›Gesellschaftsgeschichte‹ betrieben werden sollte, innerhalb der dann eine Reihe von interdependenten Teildisziplinen (Politikgeschichte, Sozialgeschichte im engeren Sinn, Wirtschaftsgeschichte, Ideengeschichte etc.) ihren Platz finden könnten; es liegt auf der Hand, daß damit die Frage nach dem Begriff von Geschichtswissenschaft überhaupt gestellt ist.«15

Diese Frage der Perspektiven – weg von politischer Herrschaftsgeschichte – sei dabei nicht nur für Fachwissenschaft relevant, sondern auch für die Gesamtgesellschaft von Belang und schlicht ein Nachvollzug der seit Ende des 18. Jahrhunderts vollzogenen Trennung von Staat und Gesellschaft, insbesondere jener mit industrieller Revolution und sozialer Frage (Differenz Individuum und – in Schutzfunktion versagendem – Staat) eingetretenen Gründung der Gesellschaftswissenschaften in Abgrenzung von Staatswissenschaften.16

Daraus wächst in diesem wissenschaftshistorisch bedeutsamen Aufsatz sein Plädoyer für eine Gesellschaftsgeschichte: »Gesucht wäre also eine – vor allem strukturgeschichtliche Betrachtungsweisen verwendende, doch keineswegs in diesen aufgehende – sozialgeschichtlich orientierte Interpretation der allgemeinen Geschichte, die häufig auch als ›Sozialgeschichte‹ bezeichnet wird, für die hier aber der Begriff der ›Gesellschaftsgeschichte‹ vorgeschlagen wird.«17

Der theoretische Rahmen dieser Gesellschaftsgeschichte müsse18

–Kriterien für Relevanzentscheidungen liefern

–»Hypothesen zur Verknüpfung der Wirklichkeitsbereiche« bereitstellen »Kausale und funktionale Beziehungen« erklären helfen

–Periodisierungsangebote enthalten

–begriffliche Instrumente für Vergleiche von Gesellschaften liefern

–Anschlussfähigkeit für spezifische Theorien enthalten.

Soweit eine, wie wir glauben, auch heute noch Gewinn bringende Neulektüre des Beitrags von Jürgen Kocka. Vor diesem Hintergrund plädiert Kocka dafür, »deutsche und vergleichende Gesellschaftsgeschichte […] im Rahmen historisch-komparativer Modernisierungs-Theorien darzustellen«.19

Womit wir bei der Frage nach soziologischen Theorieangeboten für unser Themenfeld angelangt wären. Und die beginnen – historisch.

Ausgehend von der Deskription des europäischen Industrialisierungsprozesses – oder besser: der national phasenverschoben erlebten Industrialisierungsprozesse in Europa – wird die Drei-Sektoren-Hypothese in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhoben zum quasi allgemein akzeptierten Entwicklungsgesetz: Empirisch belegbar und allerorten auf dieser Welt drücke sich Modernisierung in einem typischen makroökonomischen Verlauf aus, und zwar in der an Wertschöpfungsanteil oder Beschäftigungsbedeutung gemessenen Verlagerung der Dominanz vom primären – nämlich traditionellen landwirtschaftlichen – Sektor zunächst auf den sekundären – also industriellen (Produktions-) Sektor – und schließlich auf den siegreichen tertiären – den Dienstleistungssektor. Der einflussreiche Soziologe Talcott Parsons erklärte 1969/1971 dieses Entwicklungsmodell zur »evolutionäre[n] Universalie«20, wobei er das Modell, wie Wolfgang Zapf es formuliert, als einen »Prozess der Differenzierung, Statusanhebung, Wertegeneralisierung und Inklusion« begriff.21

Unter anderem wurde die Drei-Sektoren-Hypothese entwickelt von Clark 1940, verfeinert von Fourastié 1949 oder Rostov 1960 mit der Ergänzung um fünf »Wachstumsstadien«: die traditionelle Gesellschaft, die Anlaufphase, der wirtschaftliche Aufstieg im take-off, die Reifephase, der Massenkonsum und als 6. Stufe, noch eher prognostisch, die Suche nach Lebensqualität. Huntington definierte eine Reihe formaler Merkmale von Modernisierung: sie sei revolutionär, multidimensional (bedeute also nicht nur Wachstum oder wirtschaftliche Entwicklung), sie sei systemisch (betont wird der Zusammenhang zwischen Wandel von Ökonomie, Politik/Herrschaft und Wertvorstellungen, eine Korrelation, die seit Ingleharts 1995 vorgelegter Studie als empirisch belegt gilt), schließlich sei Modernisierung – wie schon gesagt – global irreversibel und progressiv.22

In allen ihren Ausprägungen enthält die soziologische Modernisierungstheorie offenbar vier Kernelemente, die – Johannes Berger folgend23 – der Erwähnung Wert scheinen:

–Modernisierung sei eine interne, nicht oktroyierte Leistung der jeweiligen Gesellschaft, die sich in Industrialisierung, Bürokratisierung, Demokratisierung, Bildungsexpansion, Säkularisierung (und weiterem) ausdrücke

–die genannten Teilprozesse seien sich wechselseitig unterstützende »Züge der Modernisierung«

–Nachzüglergesellschaften würden nicht von Vorläufergesellschaften behindert, eher gelte das Gegenteil

–Modernisierungsprozesse konvergierten im Ziel, das allerdings nicht klar konturiert erscheine.

In seiner tatsächlichen Komplexität lässt sich der soziologische Ansatz, Moderniserung resp. gerichteten und strukturellen Wandel theoretisch abzubilden, hier nicht vorstellen; so simpel, wie es hier scheinen mag, ist er keineswegs.

Es sei nicht verschwiegen: Modernisierungstheorien standen allerdings immer unter Ideologieverdacht, konnte es nicht scheinen, sie würden den »›Sieg des Westens‹« nicht nur behaupten, sondern auch propagieren;24 und haftete diesem Übertragungs-Modell von Entwicklung gegenüber der Dritten Welt nicht etwas Imperialistisches an? – Als spätkapitalistische Theorie in den 1970ern totgesagt, auch im kulturwissenschaftlich geprägten Modell der Postmoderne nicht mehr vorgesehen, überlebte der Modernisierungsansatz gleichwohl.

Zu den soziologischen Hauptvertretern25 – etwa Lerner, Eisenstadt, Lipset oder Talcott Parsons mit seinem hoch abstrakten Beitrag – zählt auch der Deutsche Wolfgang Zapf. Als Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Soziologie ausgerechnet im Wendejahr 1990 und ausgerechnet zum Thema Modernisierung hält er damals einen beachtenswerten Eröffnungsvortrag, der den programmatischen Begriff einer »Modernisierung moderner Gesellschaften« einbrachte.26 Zapfs verfeinertes Konzept der »weitergehenden Modernisierung« (»ongoing modernization« oder »neo-modernization«)27 enthält nun auch theoretische Erklärungsangebote für Wandlungsprozesse innerhalb moderner (und modernster) Gesellschaften.

Ein auf Parsons Bedingungsgeflecht und auf eine Reihe theoretischer Verfeinerungen der 1980er Jahre basierender Schlüsselsatz aus Zapfs Rede sei zitiert:

»Nach meiner Auffassung ist eine konflikttheoretisch und innovationstheoretisch ›gehärtete‹ Modernisierungstheorie der geeignete Ansatz, um die Umbrüche im Osten sowie Gegenwartsprobleme und Zukunftschancen im Westen zu verstehen. Konkurrenzdemokratie, Marktwirtschaft und Wohlstandsgesellschaft mit Wohlfahrtsstaat und Massenkonsum sind die Basisinstitutionen, innerhalb derer um Innovation gekämpft wird.«28

Es geht Zapf, wie er 1996 propagiert, nicht zuletzt auch um »Bemühungen der modernen Gesellschaften selbst, durch Innovationen und Reformen ihre Herausforderungen zu bewältigen.«29 – Damit wird wohl klar: Das soziologische Modell der »ongoing modernization« kann für unser Interesse an strukturellem Wandel der vergangenen Jahrzehnte von erheblicher Bedeutung sein!

Blicken wir noch weiter über die Fachgrenzen hinweg und fragen, welchen Beitrag die ökonomischen Wissenschaften für unsere Fragen an den Strukturwandel liefern können, so wird schnell deutlich, dass vor allem klare Definitionen, Begriffe und empirische Befunde im Portfolio sind.

Grundsätzlich entnehmen wir den Begriff des »sektoralen Strukturwandels« auf der Basis der »Drei-Sektoren-Hypothese« als den Wandel von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und des Grundmodells von Strukturwandel von William Baumol (1967).30 Bereits die Einteilung in Sektoren ist allerdings nicht ohne Probleme, die hier nur angedeutet werden können. Ein Hinweis auf die IT-Branche und die Schwierigkeit, sie einem einzigen Sektor (Industrie oder Dienstleistung?) eindeutig zuzuordnen, mag hier ausreichen.

Ein weiterer Grundbegriff ist der »intrasektorale Strukturwandel«, also »Veränderungen der Arbeitsteilung innerhalb eines volkswirtschaftlichen Sektors«,31 wie sich beispielsweise ganz eindrucksvoll in der eingangs gezeigten Animation zur Veränderung der Beschäftigtenstruktur der Kieler Howaldtswerke AG ablesen lässt.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es sich beim sektoralen Strukturwandel also um eine anteilsmäßige Verschiebung der Bruttowertschöpfungsbeiträge (Produktionsstruktur) oder der Beschäftigtenzahlen (Beschäftigtenstruktur) einzelner Sektoren handelt. Beide Kennziffern liefern die Basisdaten für sektoralen Strukturwandel, wobei die Entwicklung der Beschäftigtenstruktur am aussagekräftigsten zu sein scheint, wenn wir dabei sozialen Wandel mitdenken.

Ein wichtiger Faktor des Strukturwandels ist neben der Tiefe auch die Geschwindigkeit des Wandels, die sich durch Strukturindikatoren messen lässt und offenbar abhängig ist von gesamtwirtschaftlichem Wachstum und Konjunkturverläufen. Dabei existieren allerdings bezogen auf die Bundesrepublik gegensätzliche Thesen: Demnach beschleunigen Rezessionen Strukturwandel mit ziemlicher Sicherheit, hohe Wachstumsraten mutmaßlich aber auch.32

Einig ist jedoch die Perspektive der meisten ökonomischen Betrachtungen: Es geht in erster Linie um Ursachenmodelle und Erklärungsansätze für Strukturwandel. Dies sind nur zum Teil unsere Fragestellungen. Nutzen können wir sie gleichwohl.

4.

Die methodischen Folgerungen, die aus unserer Sicht zu ziehen sind, wenn Strukturwandel zum historischen Forschungsgegenstand erhoben wird, lauten:

1.Seien es Struktur und Ereignis, seien es Sektor, Bereich und Branche oder seien es angemessene Gruppenkonstruktionen, definierte Modelle von Region oder Bereitstellung von Indikatoren: Begriffliche Schärfe und entsprechende konzeptionelle Einordnungen liefern die Basis kritisierbaren wissenschaftlichen Arbeitens, auch wenn Nachbarschaftsdisziplinen tangiert werden.

2.Wir plädieren ausdrücklich für eine explizite Einordnung in das wissenschaftliche Konzept der Gesellschaftsgeschichte, das wir keineswegs für überholt halten. Jedenfalls für dieses Themenspektrum ist eine theoriegeleitete, gesellschaftswissenschaftlich orientierte und bewährte Methodik angemessen.

3.Daraus folgt für uns weiterhin das Anliegen, die modernisierte Modernisierungstheorie, das soziologische Modell der ›ongoing modernization‹ für historische Forschung – die übrigens Wandel zu ihrem Kerngegenstand erhoben hat – nutzbar zu machen.

4.Ohne Empirie, ohne quellengesättigte Forschung und Narration bewegt sich indes in unserem Fach nichts. Wir betonen nicht nur das Vetorecht der Quellen, sondern plädieren ausdrücklich für das Unterfangen, theoriekonforme Hypothesen, Beobachtungen und Einordnungen empirisch zu hinterfragen und zu belegen.

5.Und schließlich geht es um Menschen, Kollektive verschiedener Art, um ihre Erfahrungen, ihr Handeln, ihr Erdulden, ihr Orientieren, ihr Erinnern. Der erfahrungsgeschichtliche Ansatz, übrigens oft gerade von den Vertretern der Gesellschaftsgeschichte denunziert, erfährt seit einiger Zeit eine Renaissance gerade bei Fragen nach Prozessen des Wandels, der beschleunigten Veränderung.33 Zu recht, wie wir meinen.

Nachzuliefern ist ein schlüssiger Begriff der Region. Regionen lassen sich allgemein als »Räume variabler Größe unterhalb staatlicher Ebene« definieren.34 Ohne hier die lange Entwicklung von der Territorien- bzw. der diskreditierten Heimatgeschichte über die vor allem auf politische Zusammenhänge fokussierte Landesgeschichte hin zur modernen Regionalgeschichte rekapitulieren zu wollen, ist es gleichwohl kein Zufall, dass die Regionalgeschichte im Zusammenhang mit der Entfaltung der Sozialgeschichte als neues historisches Paradigma entwickelt wurde. So sei, wie Sidney Pollard herausstrich, die Region »die wesentliche operative territoriale Einheit für die Industrialisierung«35 gewesen. Die Erforschung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte konnte sich nicht mehr an politisch-administrativen Räumen orientieren, wie dies noch die Landesgeschichte forderte. Es mussten andere, flexiblere Auffassungen des Raums gefunden werden, um die entscheidenden Faktoren für Entwicklungen identifizieren zu können. So ist der regionalgeschichtliche Ansatz eng mit der Analyse ökonomischen und sozialen Wandels verknüpft.

Gleichwohl greift zu kurz, wer die Region als räumlich analytisches Konzept allein der historischen Sozialwissenschaft zuordnet. Mit dem »spatial turn« in der Historiografie wird (nach Edward Soja) der Raum nicht mehr allein als »Container«, ein Behältnis für Menschen oder Traditionen aufgefasst, sondern vielmehr als kulturelles Konstrukt.36 Räume existieren nicht, sondern werden konstruiert, und zwar durch »Kommunikation und Interaktion« (Wolfgang Weber).37 Sie müssen bezogen sein auf wirtschaftliche, soziale, kulturelle, mentale – wie auch immer geartete – Inhalte vor einem bestimmten Zeithorizont. Die Region ist abhängig von der Forschungsfrage und damit auch von der Forscherperspektive und seinem Erkenntnisinteresse. Als solche beinhaltet sie auch immer subjektive Anteile.

So lassen sich beispielsweise die nordfriesischen Inseln im 18. Jahrhundert als eine Seefahrerregion konstruieren. Im 20. Jahrhundert liegt eher der Begriff der Tourismusregion näher, wobei sich hier der geografische Raum deutlich anders gestaltet, weil hier nun auch das Festland miteinbezogen wird – etwas, was für die Seefahrerregion nicht gilt.

Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, den grob als »Nordfriesland« zu umreißenden geografischen Raum zu konstruieren, indem man ihn nach definierten Merkmalen einordnet, beispielsweise – wie Wolfgang Emer und Uwe Horst es ausdrücken – nach »kultureller (Sprache und Dialekt, Konfessionen, Bauformen), ökonomischer (Produktionsprofil, Spezifika von Handel und Gewerbe), naturräumlicher oder politisch-administrativer Art«.38

Eben jener Konstruktionscharakter anhand definierter Merkmale liefert die Anschlussfähigkeit der Regionalgeschichte für komparative, also vergleichende Ansätze. So ist es möglich und sinnvoll, Nordfriesland mit dem Baskenland unter dem Aspekt der Seefahrerregion zu vergleichen. Oder aber mit anderen Tourismusregionen wie beispielsweise in der Schweiz.

Bei der Analyse des Strukturwandels und seiner Folgen besitzt der komparativ einordnende Ansatz der Regionalgeschichte besondere Relevanz, denn auf diese Weise lassen sich Faktoren benennen, analysieren und generalisierende Aussagen treffen: Was sind beschleunigende, was verzögernde Faktoren des Wandels? Erst im Vergleich erhalten Entwicklungen, erhält der Wandel Kontur und wird analytisch greifbar.

Darauf aufbauend ist uns methodisch wichtig: Forschung sollte nie isoliert betrieben werden. Wer regionalen Strukturwandel historisch analysieren will, sollte rekurrieren auf gewichtige regionale Referenzprojekte und Forschungsvorhaben. Zu nennen sind hier solche Projekte und Vorhaben, die die Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik in den Blick genommen haben:

–»Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960« unter der Leitung von Ulrich Herbert, Lutz Niethammer und Alexander Plato39

–ebenso wie das Projekt unter dem Titel »Gesellschaft in Westfalen. Kontinuität und Wandel 1930–1960« des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte40

–»Gesellschaft und Politik in Bayern 1949–1973« des Münchener Instituts für Zeitgeschichte41.

Interessant ist auch eine 2003 in einer ersten internationalen Konferenz dokumentierte Forschungskooperation der Universität Bochum mit der Universität Lille III, die einen »regionalgeschichtliche[n] transdisziplinäre[n] Vergleich« der Ruhrregion mit der Region Nord-Pas-de-Calais zum Gegenstand hat.42 Wichtig zu erwähnen ist ebenfalls das von den Hamburger Kollegen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte umrissene Forschungsfeld »Hamburg in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts«, das eine ganze Reihe zum Teil sehr unterschiedlicher Projekte zur Hamburger Zeitgeschichte bündelt, die neben einer zeitlichen Nähe mit unserem Forschungsprogramm auch verbindet, dass sie einem Ansatz verpflichtet sind, welcher Zeitgeschichte explizit als Vorgeschichte der Gegenwart sieht.43

Die Beachtung dieser Referenzprojekte ordnet neue regionale Vorhaben wie beispielsweise den ›Fall Schleswig-Holstein‹ in die Sozialgeschichte der Bundesrepublik ein und wird vor der Entdeckung scheinbarer ›Sonderwege‹ schützen. Vor allem im Rahmen der erwähnten Forschungsprojekte hat die regionalgeschichtliche Forschung außerhalb Schleswig-Holsteins zum Strukturwandel insbesondere in den 1950er bis 1970er Jahre grundlegende Erkenntnisse vorgelegt, die in vielfacher Weise Anschluss- und Fortsetzungsmöglichkeiten bieten.

Ein letzter methodischer Gedanke: Für uns ist Geschichte, also auch jedes Produkt unserer Forschung, Konstruktion. Historisches Denken, historische Konstruktionsarbeit findet im Kopf statt, und zwar bei aller Verständnistiefe gegenwärtig. Die Fragen der Historikerinnen und Historiker resultieren aus gegenwärtigen und oft gegenwartsrelevanten Interessen. Der unmittelbare Gegenwartsbezug ist folglich evident, er sollte allerdings den fragenden Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auch stets bewusst sein, was wir nicht in jedem Fall unterstellen dürfen.

Anlehnen wollen wir uns an das auf Hockerts zurückgehende, von Döring-Manteuffel und Raphael aufgenommene Plädoyer für eine »gegenwartsnahe Zeitgeschichte«, also für einen Perspektivwechsel, Zeitgeschichte nicht mehr als »Nachgeschichte vergangener«, sondern als die »Vorgeschichte gegenwärtiger Problemlagen« zu betrachten.44 Dies ist im übrigen auch ein Mittel gegen einen falsch verstandenen, weil ideologisierten Ansatz der Modernisierungstheorie: Nimmt man die erwähnte gegenwartsnahe, problemorientierte Perspektive ein, so fällt es unter Umständen leichter, drohenden Fallen entgehen, beispielsweise die Geschichte der Bundesrepublik (oder bundesrepublikanischer Regionen) von 1945 aus betrachtet als eine reine Erfolgsgeschichte wahrzunehmen.45

Wenn man dies ernst nimmt, liegt unser Konferenzansatz nah: diejenigen miteinzubeziehen, die mit gegenwärtigen Problemlagen zu tun haben, aktuelle Akteure und ihre Perspektive auf zeithistorische Forschung.

Wir tun dies bezogen auf fünf aus unserer Sicht besonders exemplarische Teilbereiche, die allesamt eine hohe Veränderungsrelevanz besitzen und für jene fünf inhaltlichen Säulen stehen, welche das IZRG-Forschungsprogramm »Strukturwandel: Schleswig-Holstein als Land« umfasst. Es handelt sich um:

–Landwirtschaft als – abseits volkswirtschaftlicher Relevanz – mental prägender Sektor des ländlich strukturierten Bundeslandes

–Schwerindustrie, insbesondere die im Küstenland bedeutsame Leitindustrie Schiffbau

–Tourismus als der für den Tertiärsektor repräsentative Bereich

–Bildung als Handlungsfeld und Katalysator von hoher gesellschaftlicher Relevanz gerade im Flächenland Schleswig-Holstein

–Bundeswehr als außerkonjunktureller Antrieb des Strukturwandels und Modernisierungsfaktor in der ländlichen Gesellschaft.

Konkret wird das Forschungsprogramm im folgenden Beitrag dieses Bands vorgestellt.

6.

Funktion eines Einführungsbeitrags ist es auch, den Rahmen des Bands abzustecken und auf Grenzen hinzuweisen. Keineswegs erheben wir den Anspruch, eine umfassende Bestandsaufnahme des Strukturwandels seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs weder regional geschweige denn überregional vorzunehmen. Es werden in diesem Band auch nicht alle Fragen beantwortet werden können, die wir angerissen haben und die in den fünf Teilbereichen vertieft aufgeworfen werden. Für die dem Band zugrundeliegende Tagung »Strukturwandel in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – Forschungsstand, Projekt und Gegenwartsinteresse« (13.–14.5.2011, Flensburg/Sønderborg) hatten wir uns eine Reihe von Zielen gesetzt:

–Wir wollten 1. Strukturwandel in den fünf Teilbereichen Landwirtschaft, (Schwer-)Industrie, Tourismus, Bildung und Bundeswehr konturieren, also eine Bestandsaufnahme darüber machen, welche Fragen in der Forschung verfolgt wurden und werden, welche Ergebnisse vorliegen und welche Forschungslücken bestehen.

–Wir wollten uns 2. exemplarisch aktuelle Forschungsprojekte aus allen Teilbereichen ansehen und darüber diskutieren, welche Erkenntnisse zeithistorische Forschungen auf dem jeweiligen Gebiet leisten können und worin der heuristische Wert eines Ansatzes liegt, der den »Strukturwandel« in den Blick nimmt.

–Wir wollten uns 3. mit der besonderen Gegenwartsrelevanz zeithistorischer Forschungen beschäftigen. Um diesen Blick zu schärfen, versuchten wir die Perspektive aktueller Akteure einzubeziehen: Lassen sich am wissenschaftlichen Diskurs Beobachtungen machen beziehungsweise Erkenntnisse ableiten, die für gegenwärtiges Handeln und zukünftiges Planen sinnvoll nutzbar sind? In welcher Form kann Zeitgeschichtsforschung eventuell zu einer Verbreiterung des Horizonts im aktuellen Geschehen beitragen? Zugleich gilt es, die Wissenschaft für gegenwartsbezogene Blickwinkel und Problemlagen zu sensibilisieren. Das erwies sich als gefährliches, aber deshalb uns herausforderndes Terrain: Wir wollten es trotzdem wagen und diese Konferenz nutzen, mit den »Experten aus der Praxis« und der Politik in Kommunikation zu treten.

Das weist auf einen letzten sehr wichtigen Aspekt der erwähnten Tagung: Sie war grenzüberschreitend angelegt, sie stellte eine Kooperation zwischen deutschen und dänischen Kollegen dar und fand im deutschen Flensburg und im dänischen Sønderborg statt. Diese Kooperation hat sich nicht nur als fruchtbar in der gelungenen Zusammenarbeit bei der Vorbereitung erwiesen, sondern spiegelt den regionalgeschichtlichen Ansatz wider, den die beiden Veranstalter, das Institut for Grænseregionsforskning und das Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte verfolgen.

Der Band spiegelt – soweit dies möglich war – die Tagung wider.46 Ein Großteil der Referentinnen und Referenten folgte der Einladung zum Abdruck ihrer zum Teil stark erweiterten Vorträge, andere Beiträgerinnen und Beiträger konnten wir zusätzlich zur Mitarbeit gewinnen. Ihnen allen sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Die inhaltlichen Beiträge wurden durch von den Herausgebern als jeweils bestimmte Aspekte besonders auf den Punkt bringend ausgewählte, exemplarische Quellen ergänzt, die zudem kurz erläuternd eingeleitet sind.

Den Auftakt macht eine etwas ausführlichere Vorstellung des IZRG-Forschungsprogramms »Strukturwandel: Schleswig-Holstein als Land«, bisher unveröffentlicht und den Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem Strukturwandel in der Region charakterisierend. Ergänzt wird der einführende Teil des Bands durch den zeitgenössischen Quellen-Beitrag des Lehrers und Landwirts Johannes »Hanns« Buisman zum »Strukturwandel des Dorfes« (1956).

In den ersten thematischen Teilbereich führt Jaromír Balcar umfassend ein, skizziert Probleme, Bilanzen und Perspektiven des Themas »Landwirtschaft und ländliche Lebenswelten in Westdeutschland« und kommt zu dem Schluss, dass der von den Bewohnern der ländlichen Räume geleistete Beitrag zur »Fundamentalliberalisierung« der westdeutschen Gesellschaft in der Forschung bisher stiefmütterlich behandelt wurde. Er plädiert dafür, als neue Leitperspektive den Blick auf eine peasant culture zu werfen.

Basierend auf einem Dissertationsprojekt skizziert Claudia Ruge die Hauptentwicklungslinien der europäischen Agrarpolitik und deren Einfluss auf den kleinen, hier den schleswig-holsteinischen Raum. Dabei geht es vor allem um Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster von Landwirten auf den durch die Europäisierung beschleunigten Strukturwandel in der Landwirtschaft, beispielhaft vorgestellt anhand der Berichterstattung des Verbandsorgans »Das Bauernblatt für Schleswig-Holstein und Hamburg«, welches die Autorin als Quelle für zeithistorische Forschung vorstellt.

An unserer Konferenz nahmen dankenswerter Weise auch Verbandsvertreter teil, die als aktuelle Akteure ihre Perspektive auf gegenwärtige Aspekte des Strukturwandels in einzelnen Sektoren formulierten und Hinweise für zeithistorische Fragestellungen lieferten. Ihre ebenfalls in diesem Band publizierten Diskussionsbeiträge stellen in gewisser Weise also auch aktuelle Quellen des Strukturwandels dar. Stephan Gersteuer, Generalsekretär des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes, schilderte Bezugsrahmen, Sichtweisen und Entscheidungszwänge heute aktiver bäuerlicher Betriebe im fortgesetzten Wandel. Wir dokumentieren seine Präsentation.

Diesen ersten inhaltlichen Block schließt eine Quelle ab, die – von Claudia Ruge kurz eingeleitet – exemplarisch wichtige Aspekte des Strukturwandels in der Landwirtschaft beleuchtet. Es handelt sich dabei um den Leserbrief eines Landwirts, der aus seiner Sicht die Grundprobleme des Wandels formuliert.

Stefan Grüner bietet einen umfassenden Überblick über den Forschungsstand und die Forschungsperspektiven zum Zusammenhang von Strukturwandel und Schwerindustrie. Er fragt dabei nach der Rolle des industriellen Sektors im wirtschaftlichen Strukturwandel sowie nach den strukturellen Wandlungsprozessen innerhalb des Sektors, ordnet den Fall Deutschland in den internationalen Vergleich ein und wirft einen Blick auf die bisherige Forschung zu Folgen, Wahrnehmungen und Verarbeitungsstrategien des industriellen Strukturwandels.

Ralf Ahrens beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Maschinenbaubranche, einer Schlüsselindustrie für die deutsche Exportwirtschaft, mit allerdings gegen den allgemeinen Trend des »Niedergangs der Traditionsindustrien« laufenden Entwicklungen, etwa bei der Zahl der Beschäftigten. Aspekte eines wirtschaftlichen Strukturwandels sind jedoch auch hier zu beobachten und Ahrens zeigt in seinem Aufsatz, der einer der ersten geschichtswissenschaftlichen Darstellungen dazu überhaupt ist, wie die Branche beispielsweise auf die Anforderungen technologischen Wandels, aber auch auf gesamtwirtschaftliche Krisenerscheinungen und Wandlungsprozesse reagierte. Der Maschinenbau stellt hierbei das Paradebeispiel für den ansonsten nur schwer zu definierenden unternehmerischen Mittelstand dar.

Der Block wird abgeschlossen durch eine von Sebastian Lehmann und Thorsten Harbeke eingeleitete Bildquelle, einem Plakat der IG Metall anlässlich der drohenden Schließung der Lübecker Flenderwerft im Jahr 2002.

Truppenabbau als Auslöser von Strukturwandel steht im Mittelpunkt von Knut Francks Beitrag über das Beispiel Tarp/Eggebek nach dem Abzug des Marinefliegergeschwaders und dem damit einhergehenden Prozess der Konversion. Der Autor schildert die lokalen Diskurse zur Umwandlung der ehemaligen militärischen Liegenschaften für eine langfristig tragfähige wirtschaftliche Nutzung, beispielsweise in Form so genannter Bioenergieparks. Pointiert werden anhand des Streits, der in der Gemeinde Eggebek über die Nachnutzung des Geländes entbrannte, die Schwierigkeiten kommunaler Entscheidungsfindung im Rahmen der kleinteiligen schleswig-holsteinischen Kommunallandschaft erzählt.

Ebenfalls die Perspektive der betroffenen Bevölkerung transportiert die zum Thema Bundeswehr ausgewählte und von Sebastian Lehmann eingeführte Quelle – dabei geht es allerdings um die Aufbauphase der Bundeswehr und die Probleme, die durch den Aufbau einer Garnison entstehen, dargestellt am Beispiel des schleswig-holsteinischen Boostedt bei Neumünster.

Hasso Spode stellt in einem Übersichtsbeitrag die Historische Tourismusforschung als »interdisziplinäres Projekt« vor und erzählt dabei die Geschichte eines seit jeher nicht selten stiefmütterlich behandelten, in seiner Leistungsfähigkeit jedoch gewiss zumeist unterschätzen Zweigs der Historiographie, denn schließlich handele es sich beim Tourismus um ein Schlüsselphänomen der Moderne. Spode plädiert für eine angemessene Wahrnehmung des Potentials der Historischen Tourismusforschung, die wichtige Forschungslücken füllen könne.

Thorsten Harbeke stellt sein Dissertationsprojekt zum Strukturwandel im Bereich Tourismus vor. Ausgehend von der Entstehung der so genannten Ferienzentren wird die wichtigste Modernisierungsphase des schleswig-holsteinischen Fremdenverkehrs in den 1960er und 1970er Jahren konturiert und um Überlegungen zum Tourismus als regionalhistorischem Forschungsfeld erweitert. Nach einer kurzen Schilderung der Entwicklung des Fremdenverkehrs in dem Land im Untersuchungszeitraum zwischen 1950 und 1989 stellt der Autor drei für die Untersuchung des touristischen Strukturwandels wichtige Themenfelder heraus: Tourismuspolitik, Fremdenverkehrsverbände sowie Tourismuswerbung.

In der von Harbeke eingeleiteten Quelle kommt Gerhard Stoltenberg, von 1971 bis 1982 schleswig-holsteinischer Ministerpräsident, mit einer Rede zum Thema »Tourismuspolitik« zu Wort, in der er aus (christdemokratischer) politischer Perspektive die Wandlungsprozesse der Fremdenverkehrswirtschaft umreißt und dabei auf den Zusammenhang von Tourismus und Sozialpolitik verweist.

Zum fünften Themenfeld des Bandes, »Bildung und Strukturwandel«, liefert Volker Müller-Benedict einen Überblicksbeitrag zu den schulischen Wandlungsprozessen nach 1945. Er kommt zu dem Ergebnis, dass sich ein tiefgreifender Strukturwandel der Schülerschaft vor einer nahezu unveränderten Schulstruktur vollzog. Im Vergleich böte die aktuelle Situation allerdings ähnlich wesentliche Herausforderungen wie das Jahr 1970 hinsichtlich des Veränderungsdrucks auf die Bereiche Schule und Bildung.

Konkretisiert wird der Zusammenhang von Schulstruktur und Strukturwandel in dem Text von Eva Nowottny, die mit ihrer sehr engagierten und sachkundigen Projektskizze zur vergleichenden Bildungsgeschichte Schleswig-Holsteins und Hessens Anregungen für komparativ ausgerichtete Forschungsansätze geben will.

Der Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Matthias Heidn, konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Herleitung von Fragestellungen, die aus seiner Perspektive zeithistorische Forschungsprojekte im einschlägigen Kontext leiten könnten.

Vervollständigt wird das Themenfeld durch eine sehr exemplarische Quelle: Auszüge aus der Festschrift zur Einrichtung der Dörfergemeinschaftsschule Todenbüttel aus dem Jahr 1971.

Den Band schließen ab die Beiträge zweier Kommentatoren, die über staatliche und disziplinäre Grenzen hinweg den Blick auf die Tagung geworfen haben und ihre Perspektive auf die Vorträge und die daraus entstandenen Diskussionen referieren – Hans Schultz Hansen als Historiker an der Syddansk Universitet und Susanne Royer als Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Flensburg.

Endnoten

1http://www.vimu.info/multimedia.jsp?id=for_28_6_mm_belegschaft&lang=de.

2Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Modernisierungstheorie und Geschichte. In: ders.: Die Gegenwart als Geschichte: Essays, München 1995, S. 13–59, hier S. 28.

3Reinhart Koselleck: Darstellung, Ereignis und Struktur, in: ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1979, S. 144–157.

4Ebd., S. 147.

5Jürgen Kocka: Sozialgeschichte, Strukturgeschichte, Gesellschaftsgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 15 (1975), S. 1–42, hier S. 22.

6Koselleck 1979, S. 146f.

7Vgl. Kocka 1975, S. 19.

8Ebd., S. 20.

9Skeptisch dagegen ebd., S. 22: »Eine scharfe Trennung von Strukturen und Nicht-Strukturen (Ereignissen, Entscheidungen und Handlungen) in der Geschichte ist sowohl theoretisch-begrifflich wie auch in der Praxis historischer Arbeit äußerst schwierig und problematisch.«

10Koselleck 1979, S. 147.

11Kocka 1975, S. 22f.

12Koselleck 1979, S. 150.

13Kocka 1975, S. 22.

14Ebd., S. 25.

15Ebd., S. 1f.

16Vgl. ebd., S. 3–7.

17Ebd., S. 36.

18Vgl. ebd., S. 37f.

19Ebd., S. 39.

20Johannes Berger: Was behauptet die Modernisierungstheorie wirklich – und was wird ihr bloß unterstellt?, in: Leviathan 24 (1996), S. 44–62, hier S. 57.

21Wolfgang Zapf: Die Modernisierungstheorie und unterschiedliche Pfade der Entwicklung, in: Leviathan 24 (1996), S. 63–77, hier S. 64.

22Vgl. Berger 1996, S. 46–51, sich auf Ronald Inglehart: Changing Values, Economic Development and Political Change, in: International Social Science Journal 145 (1995), S. 379–404 beziehend.

23Berger 1996, S. 46f.

24Vgl. ebd., S. 45.

25Vgl. ebd., S. 46f.

26Wolfgang Zapf: Modernisierung und Modernisierungstheorien, in: ders. (Hrsg.): Die Modernisierung moderner Gesellschaften. Verhandlungen des 25. Soziologentages in Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 1991, S. 23–39, hier: 23.

27Ebd., S. 32, 35f.

28Ebd., S. 35. Hervorhebung im Original.

29Ebd., S. 63.

30Vgl. Gwen Jane Pelka: Wachstum und Strukturwandel. Marburg 2005, S. 18.

31Ebd., S. 168.

32Vgl. Ambrosius 1996, S. 179.

33Vgl. Lutz Raphael: Jenseits von Strukturwandel oder Ereignis? Neuere Sichtweisen und Schwierigkeiten der Historiker im Umgang mit Wandel und Innovation, in: Historische Anthropologie: Kultur, Gesellschaft, Alltag, 17 (2009), S. 110–120, hier: 116.

34Dietmar Schiersner: Alter Zopf oder neue Chance? Regionalgeschichte in Historiographie und Geschichtsunterricht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 62 (2011) Heft 1/2, S. 50–60, hier S. 61.

35Sidney Pollard (Hrsg.): Region und Industrialisierung. Studien zur Rolle der Region in der Wirtschaftsgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Göttingen 1980, S. 12.

36Vgl. Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hrsg.): Spatial turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2008.

37Vgl. Wolfgang Weber: Die Bildung von Regionen durch Kommunikation. Aspekte einer neuen historischen Perspektive, in: Carl A. Hoffmann/Rolf Kießling (Hrsg.): Kommunikation und Region. Konstanz 2001, S. 43–67.

38Wolfgang Emer/Uwe Horst: Die Region im Geschichtsunterricht. Zur Theorie und Praxis eines didaktischen Konzepts, in: Jochen Altenberend (Hrsg.): Ein Haus für die Geschichte. Festschrift für Reinhard Vogelsang, Bielefeld 2004, S. 489–514, hier S. 497.

39Vgl. Lutz Niethammer (Hrsg.): »Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll.« Faschismuserfahrungen im Ruhrgebiet (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Bd. 1). Berlin/Bonn 1983; ders. (Hrsg.): »Hinterher merkt man, daß es richtig war, daß es schiefgegangen ist.« Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Bd. 2). Berlin/Bonn 1983; ders./Alexander Plato (Hrsg.): »Wir kriegen jetzt andere Zeiten. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960, Bd. 3), Berlin/Bonn 1985.

40Das auf insgesamt 17 Teilprojekte ausgelegte Projekt fand unter anderem publizistischen Ausdruck in den beiden Sammelbänden Matthias Frese/Michael Prinz (Hrsg.): Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert. Regionale und vergleichende Perspektiven. Paderborn 1996; ders./Julia Paulus/Karl Teppe (Hrsg.): Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik. Paderborn 2003.

41Vgl. Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hrsg.): Die Erschließung des Landes 1949 bis 1973 (Bayern im Bund, Bd. 1), München 2001; Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hrsg.): Gesellschaft im Wandel 1949 bis 1973 (Bayern im Bund, Bd. 2), München 2002; Thomas Schlemmer/Hans Woller (Hrsg.): Politik und Kultur im föderativen Staat 1949 bis 1973 (Bayern im Bund, Bd. 3), München 2004; Dietmar Süß: Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976 (Bayern im Bund, Bd. 4), München 2004; Jaromír Balcar: Politik auf dem Land. Studien zur bayerischen Provinz 1945 bis 1972 (Bayern im Bund, Bd. 5), München 2004; Thomas Schlemmer: Industriemoderne in der Provinz. Die Region Ingolstadt zwischen Neubeginn, Boom und Krise 1945 bis 1975 (Bayern im Bund, Bd. 6), München 2009; Stefan Grüner: Geplantes »Wirtschaftswunder«?: Industrie- und Strukturpolitik in Bayern 1945 bis 1973 (Bayern im Bund, Bd. 7), München 2009.

42Vgl. Jean-François Eck/Peter Friedemann/Stefan Goch/Karl Lauschke/Nathalie Piquet: Strukturwandel im Vergleich. Konferenzbericht der Tagung »Strukturwandel im regionalgesellschaftlichen Vergleich« an der Universität Charles-de-Gaulles/Lille III, Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 31 (2004), S. 267–275, hier S. 273.

43Vgl. Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.): Zeitgeschichte in Hamburg 2010, Hamburg 2011, S. 117–120.

44Hans Günter Hockerts: Rezension von: Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 5 [15.05.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/05/15019.html [zuletzt aufgerufen: 15.10.2013].

45Vgl. Christoph Classen: Buchpreis: Essay Kategorie Zeitgeschichte. [17.07.2007|, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?pn=texte&id=920 [zuletzt aufgerufen 15.10.2013].

46Vgl. den Tagungsbericht Strukturwandel in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – Forschungsstand, Projekte und Gegenwartsinteresse. 13.05.2011–14.05.2011, Flensburg/Sønderborg, in: H-Soz-u-Kult, 30.06.2011 [URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3701, zuletzt aufgerufen: 15.9.2013].

UWE DANKER/SEBASTIAN LEHMANN

»STRUKTURWANDEL: SCHLESWIG-HOLSTEIN ALS LAND«1

»Schleswig-Holstein – Land im Aufbau«2, »Zwischen gestern und morgen«3, »Ein Land verändert sein Gesicht«4 oder »Eine Region im Wandel«5. Bereits seit den 1950er Jahren bemühten Publikationen zum Land Schleswig-Holstein zumeist dynamische Bilder des Wandels, um die hier stattfindenden sozioökonomischen Entwicklungsprozesse auf den Punkt zu bringen. Dieser Metaphorik begegnet man bis heute. Bislang existieren auf die Region bezogen jedoch keine wissenschaftlichen Studien, geschweige denn umfassende historische Forschungsprojekte, in denen der strukturelle Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft genauer untersucht und dargestellt worden ist. Die Auflösung dieses Desiderats wird den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer ›Geschichte Schleswig-Holsteins als (Bundes-) Land‹ bilden. In der nachfolgenden Skizze für ein Forschungsprogramm des IZRG soll dieser Ansatz, der neben Aspekten der Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte auch kultur-, erfahrungs- und mentalitätsgeschichtliche Dimensionen umfasst, begründet und erläutert werden.

Perspektiven

In industriellen und postindustriellen Gesellschaften bildet der Wandel gesellschaftlicher und ökonomischer Strukturen den »Normalfall«. Stagnation ist ebenso erklärungsbedürftig wie beschleunigter Wandel. Es geht daher – nach Hans-Ulrich Wehler – »gar nicht um An- oder Abwesenheit von Wandel, sondern immer nur um den Grad oder das Ausmaß des Wandels«.6 Ausgehend von einer theoretisch abgesicherten, projektbezogenen Arbeitsdefinition7 begreifen wir Strukturwandel als beschleunigten, tief greifenden und unumkehrbaren Wandel grundlegender sozialer und ökonomischer Strukturen. In dieser Sichtweise ist der Begriff des Strukturwandels auf Aspekte sozialen Wandels hin erweitert und wird von uns dementsprechend gebraucht. Derartige Wandlungsprozesse lassen sich empirisch belegen, in ihren Ursachen, Verläufen und Folgen beschreiben und historisch einordnen. Sektorale Produktionszahlen, technologische Entwicklungen oder strukturplanerische Konzepte können dafür erste Anhaltspunkte liefern. Jenseits davon hat struktureller Wandel jedoch auch ganz konkrete Auswirkungen für diejenigen, die davon ›beansprucht‹ werden, sei es durch umfassende Veränderungen der Arbeits- und Lebensformen oder sich wandelnde Selbstwahrnehmungen infolge des Auseinanderbrechens traditioneller Milieus.

Fragestellungen

Wir fragen nach Strukturen ebenso wie nach ›Betroffenheit‹, wollen Ansätze der ›modernen‹ Gesellschafts- ebenso wie der ›klassischen‹ Sozialgeschichte nutzbar machen. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach Ursachen, Verläufen und Folgen des Strukturwandels: Erstens sind die internen und externen Bedingungsfaktoren für sozioökonomischen Wandel, die Quellen des Modernisierungsdrucks zu benennen und einzuordnen. Zweitens gilt es, den Wandel zu beschreiben, also zu ermitteln, in welcher Form, in welchem Ausmaß, in welchen Sektoren und in welcher Tiefe der Wandel Schleswig-Holstein betraf. Weiterhin stellt sich die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten der Wandlungsprozesse: Inwieweit ›geschieht‹ Wandel, inwieweit lässt sich dieser steuern oder beeinflussend begleiten? Bedeutsam ist drittens die Analyse der Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster sowie der Verarbeitungsstrategien des sozioökonomischen Wandels durch die Betroffenen. In welcher Form wird struktureller Wandel von welchen Gruppen erfahren, welche Folgen hat dies real und auch für die Selbstwahrnehmung respektive Rollenidentität? Welche Strategien zur Verarbeitung der Wandlungsprozesse lassen sich erkennen, wie sind sie zu interpretieren? Wie und in welchem Ausmaß verändert der Strukturwandel ein in weiten Teilen ländlich-kleinstädtisch geprägtes Land, wie ›verkraftet‹ dessen regionale Gesellschaft den Wandel? Zu analysieren ist die zu vermutende Diskrepanz zwischen dem, was sich in gesamtgesellschaftlicher Perspektive als »normale Beanspruchung« (Wehler) ausnimmt, und den mitunter radikalen Folgen, welche der Wandel für einzelne Gruppen und Milieus bringt.

Aufgliederung in Teilthemen

Eine umfassende und flächendeckende Gesamtschau des Strukturwandels in Schleswig-Holstein in allen seinen Einzelbereichen ist aus forschungspraktischen Gründen nicht leistbar. Die nach Möglichkeit jeweils doppelt angelegte exemplarische Analyse relevanter Kernbereiche wird es aber möglich machen, übergreifende Indikatoren des Strukturwandels herauszuarbeiten (Makroebene) und so die wesentlichen Ursachen, Verläufe, Folgen und perspektivischen Wahrnehmungen der Wandlungsprozesse mit der entsprechenden Tiefenschärfe bis hinab auf die Ebene ›Dorf‹ oder ›Betrieb‹ (Mikroebene) zu analysieren. Will man den Wandel in Schleswig-Holstein beschreiben, bieten sich die folgenden exemplarischen Teilthemen an, die – eng aufeinander bezogen – besondere Veränderungsrelevanz besitzen:

–Landwirtschaft als der jenseits aller volkswirtschaftlichen Bedeutung prägende Sektor des ländlich strukturierten Bundeslandes Schleswig-Holstein

–Schwerindustrie, allen voran die im Küstenland Schleswig-Holstein zentrale und auch symbolisch bedeutsame Leitindustrie Schiffbau

–Tourismus als der für den Tertiärsektor des Landes im hohen Maße repräsentative Bereich

–Bildung als Handlungsfeld und Katalysator von hoher gesellschaftlicher Relevanz – gerade – im Flächenland Schleswig-Holstein

–Bundeswehr als außerkonjunktureller Antrieb des Strukturwandels und Modernisierungsfaktor in der ländlichen Gesellschaft.

Jedes der fünf Themen besitzt für sich genommen zentrale Bedeutung für die Entwicklung des Bundeslandes Schleswig-Holstein und liefert exemplarisch Erkenntnisse für das Verständnis des Strukturwandels in der Region.

–So sind beispielsweise in den ›klassischen‹ Bereichen Landwirtschaft und Schwerindustrie die milieuspezifischen Bindungen und Selbstbilder als besonders stark und bedeutungsgeladen zu veranschlagen, weshalb Strukturwandel dort oftmals als besonders einschneidend wahrgenommen wurde.

–So traf der Einbruch des Massentourismus in Schleswig-Holstein sowohl davon nahezu noch unberührte Regionen als auch traditionelle Urlaubsorte mit nachhaltigen Auswirkungen für die Wirtschaftsstruktur und die mittelbar oder unmittelbar Betroffenen, etwa wenn – wie auf Amrum – innerhalb einer Generation die Grundstückspreise um das 1000-fache stiegen.

–So steht das Handlungsfeld der Bildung für die Analyse der Antworten auf Modernisierungsdruck, nämlich des Versuchs (regionaler) politischer Steuerung, deren Umsetzungsreichweite, den Grad ihrer Akzeptanz und den tatsächlichen Wandel etwa im Bereich der Mobilität der neue Bildungsangebote wahrnehmenden Generationen.

–So lassen sich am Beispiel der Bundeswehr strukturpolitische Planungskalküle, regionalwirtschaftliche Hoffnungen und Abwehrreaktionen der von Wandlungsprozessen erfassten Milieus in einer für die Untersuchungsregion sehr relevanten und exemplarischen Form analysieren.

Periodisierung

Zäsursetzungen und Periodisierungen werden bei dem Forschungsvorhaben nach der jeweiligen Themenstellung variieren. Obgleich aus wirtschaftshistorischer Perspektive der Zeitraum zwischen den späten 1940er und frühen 1970er Jahren als eine nahezu geschlossene Boomphase charakterisiert wird,8 sind beispielsweise Anfang der 1970er wesentliche Strukturveränderungen in der Landwirtschaft bereits (zum Teil seit mehr als einem Jahrzehnt) nahezu abgeschlossen, während sich der Strukturwandel in der Schwerindustrie erst in Ansätzen ankündigt und beispielsweise in der Werftindustrie erst nach der Ölkrise voll durchschlägt.9 Im Bildungssektor mündet der sich in den späten 1950er Jahren aufbauende Modernisierungsdruck in der als »Bildungsoffensive« apostrophierten Reformphase Anfang der 1960er Jahre bis zur Mitte der 1970er Jahre.10 Die für den gesellschaftlichen Wandel in Schleswig-Holstein bedeutsame »Schwelle zum Massentourismus« wird in der Regel auf die frühen 1960er Jahre datiert,11 während die Aufbauphase der Bundeswehr mit ihren raumwirksamen Effekten bis in die Mitte der 1970er Jahre reicht.12 Im Kern konzentriert sich die Erforschung »Schleswig-Holsteins als Land« auf die 1960er und 1970er Jahre als eine Phase ›dynamischen‹ Wandels.13

Geographische Eingrenzung

Den Untersuchungsraum bildet das Land Schleswig-Holstein. Moderne regionalhistorische Forschung geht gern komparatistisch vor. In unserem Falle böte sich der Blick in die Nachbarregionen Süddänemark und nördliches Niedersachsen an, die für den Betrachtungszeitraum historische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen aufweisen, die Vergleiche ermöglichen.14 Unter Einbeziehung der Ergebnisse der nachfolgend genannten Referenzprojekte und der Berücksichtigung wichtiger Anschlussmöglichkeiten für einzelne Projekte und Teilprojekte ist das Erkenntnisinteresse des Gesamtvorhabens jedoch nicht auf Komparatistik angelegt, sondern konzentriert sich auf die Kernregion. Einzelne geographische Schwerpunkte begründen sich aus den einzelnen Projektthemen, wobei sich durchaus Konvergenzen verschiedener Projekte ergeben können, methodisch jedoch nicht notwendig erscheinen.

Das hier skizzierte Forschungsprogramm konzentriert sich also in seinen in der Ausbaustufe bis zu zehn Forschungsvorhaben auf Schleswig-Holstein, wird intern über zahlreiche Bezüge und Verknüpfungen verfügen, sozusagen ein Gesamtprodukt liefern, zudem nach außen anschlussfähig sein, ohne aber komparatistisch andere – im Übrigen im Betrachtungszeitraum sehr strukturverschiedene – Nachbarregionen einzubeziehen.

Referenzprojekte und Forschungsstand

Wir nehmen Bezug auf gewichtige regionale Referenzprojekte und Forschungsvorhaben, die die Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik in den Blick genommen haben. Das Projekt »Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930–1960« unter der Leitung von Ulrich Herbert, Lutz Niethammer und Alexander Plato ist zu nennen, ebenso wie das Projekt des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte unter dem Titel »Gesellschaft in Westfalen. Kontinuität und Wandel 1930–1960«. Besondere Relevanz besitzt das Projekt »Gesellschaft und Politik in Bayern 1949–1973« des Münchener Instituts für Zeitgeschichte. Die Beachtung dieser Referenzprojekte ordnet den ›Fall Schleswig-Holstein‹ in die Sozialgeschichte der Bundesrepublik ein und wird vor der Entdeckung scheinbarer ›Sonderwege‹ schützen.

Vor allem im Rahmen der erwähnten Forschungsprojekte hat die regionalgeschichtliche Forschung außerhalb Schleswig-Holsteins zum Strukturwandel insbesondere in den 1950er bis 1970er Jahren grundlegende Erkenntnisse vorgelegt, die in vielfacher Weise Anschluss- und Fortsetzungsmöglichkeiten bieten. Entsprechendes lässt sich – wenn auch mit zum Teil starken Einschränkungen – für die fünf Teilbereiche feststellen.15 Der schleswig-holsteinische Forschungsstand ist hingegen äußerst disparat; lediglich Nachbardisziplinen haben vereinzelte Beiträge zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Bundeslands geliefert.16 Das Fehlen einer umfassenden Überblicksdarstellung konnte auch nicht durch einen erweiterten Abschnitt des Handbuchs zur Landesgeschichte17 oder das Erscheinen des damit verbundenen Historischen Atlas18 kompensiert werden. Das gilt auch für regionale Darstellungen19 sowie für die jeweiligen Themenbereiche der skizzierten Projekte20.

Programmstruktur: Makro- und Mikrostudien

Das übergreifende Thema »Strukturwandel: Schleswig-Holstein als Land« bildet die forschungsprogrammatische Klammer für die einzelnen Projekte, die sich jeweils mit einem Teilthema auseinandersetzen. Die skizzierten übergreifenden Fragestellungen garantieren die Vergleichbarkeit und Einordnung der jeweiligen Einzelergebnisse. In ihrer jeweiligen Struktur, im Umfang und den zeitlichen Abläufen besitzen die Einzelprojekte hingegen ein hohes Maß an Flexibilität.

Immer bezogen auf die Gesamtfragestellungen der Modernisierung Schleswig-Holsteins als Bundesland entwickeln die Projekte »Landwirtschaft«, »Schwerindustrie«, »Tourismus«, »Bildung« und »Bundeswehr« themenspezifische Perspektiven und Fragestellungen. Pro Thema werden nach Möglichkeit jeweils zwei aufeinander bezogene, miteinander verknüpfte und einander ergänzende Studien – etwa in Form von Qualifikationsarbeiten – aufgelegt. Jeweils ein Vorhaben wird auf der Makro-Ebene angesiedelt sein; es legt – unter anderem – empirischen Grund. Ergänzen und präzisieren wird die Ergebnisse die jeweils zweite Studie, die konkret und detailliert das Thema auf der Mikroebene untersucht, sei es die Ebene der Gemeinde, des Betriebs oder der Garnison.

Die Themen »Landwirtschaft«, »Schwerindustrie«, »Tourismus«, »Bildung« und »Bundeswehr« bilden eigenständige Projekte. Grundlage für die Ausgestaltung des Forschungsprogramms und den Ablauf der einzelnen Projekte wird indes – wie bisher – die für das IZRG spezifische Projektkultur sein: Ein intensiver Austausch und konkurrenzfreie Kooperation der Ausführenden untereinander sowie die teamorientierte Zusammenarbeit der Betreuer.21

Die Projekte sind durch die Fragestellungen eng miteinander verzahnt und inhaltlich aufeinander bezogen. Die Synthese ihrer Ergebnisse macht den Strukturwandel im nördlichsten Bundesland umfassend beschreib- und erklärbar. Auf dieser Basis wird es möglich sein, eine zeithistorische Geschichte Schleswig-Holsteins als Bundesland zu schreiben.

Projektskizze Strukturwandel 1: Landwirtschaft in Schleswig-Holstein

Forschungsgegenstand

»Bauer zu sein, war irgendwie umweht vom Mythos, etwas Besonderes zu tun, und zwar deshalb, weil er mit der Natur umzugehen hatte und für das ›tägliche Brot‹ sorgte. Diese Wurzeln im Mythischen haben der späteren Entwicklung der Landwirtschaft aber nichts genützt. […] In Klixbüll gab es 1960 noch etwa 60 Bauern, nur wenige im Nebenerwerb. Heute sind es nur noch etwa 20 Betriebe, die durchgehalten haben.« So bringt 1992 der Altenteiler Andreas Thomsen, ehemaliger Landwirt, Interessenvertreter und Bürgermeister von Klixbüll in Nordfriesland, in seinen Lebenserinnerungen subjektive Erfahrung und objektive Daten des landwirtschaftlichen Strukturwandels zusammen.22 Auf die Region bezogen hieß das: Arbeitete 1950 noch jeder vierte berufstätige Schleswig-Holsteiner in der Landwirtschaft, war es vierzig Jahre später nur noch einer von zwanzig. Weitere Zahlen verdeutlichen den volkswirtschaftlichen Bedeutungsschwund: Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von fast 20% auf weniger als 4%. Schlagworte wie Landflucht, (Über-) Mechanisierung, Produktionssteigerung, Agrarsubventionierung und Höfesterben liefern die Hinweise für den tief in die sozialen Strukturen eingreifenden Wandlungsprozess in der Landwirtschaft, in dessen Verlauf sich Selbstbilder und Fremdwahrnehmungen fundamental wandelten – mitunter von Repräsentanten des ›Nährstandes‹ zu – überspitzt formuliert – »einer besonderen Kategorie von Arbeitern im öffentlichen Dienst«23.

Fragestellungen und Einordnung

Es geht bei der Untersuchung des landwirtschaftlichen Strukturwandels in Schleswig-Holstein um die Beschreibung, Analyse und Bewertung der sektoralen Wandlungsprozesse. Wie verläuft der säkulare Strukturwandel in der Landwirtschaft unter den spezifischen, regional sehr differenzierten, schleswig-holsteinischen Bedingungen? Welche Steuerungsprozesse lassen sich erkennen beziehungsweise wie wird der Strukturwandel durch Politik und Verbände vermittelt, begleitet und eventuell abgefedert? Das insbesondere für Westküste und Nordhälfte Schleswig-Holsteins eine zentrale Rolle spielende »Programm Nord« wird dabei im Vordergrund stehen, wobei sich neben den empirisch belegbaren Auswirkungen dieses auf Jahrzehnte angelegten staatlichen Groß-Förderprojekts auch Fragen nach der lokalen Realisation und Rezeption der Maßnahmen stellen. Zugleich geht es auch um Entwicklungen, an deren Anfang das »alte, agrarisch geprägte Dorf« und an deren Ende die »entbäuerlichte Landgemeinde«24 steht. Gefragt wird also auch nach der Auflösung des dörflichen Sozialgefüges und nachbarschaftlicher Strukturen sowie nach einer schleichenden Urbanisierung des ländlichen Raums. Besondere Relevanz besitzt die Frage nach der Integration von »Fremden«, seien es Flüchtlinge im Gefolge des Zweiten Weltkriegs, seien es – Jahrzehnte später – zuziehende Städter. Neben empirisch abgesicherter Beschreibung und methodisch konturierter Analyse dieser Wandlungsprozesse geht es immer auch um die Untersuchung der Wahrnehmungen und der Verarbeitungsstrategien der Betroffenen: Wie bewerten sie – etwa bäuerliche Familien, landwirtschaftliche Arbeitskräfte, Dorfbewohner – die allgemeinen Entwicklungsprozesse und wie fügen sich darin ihre eigenen Erfahrungen und Biografien ein? Schreibt sich der landwirtschaftliche Strukturwandel aus der Sicht der Landwirte beispielsweise in erster Linie auch persönlich als Geschichte des Verlusts – oder des schier endlosen Wachsens? Vor dem Schleswig-Holstein-spezifischen Phänomen der ›Landvolkbewegung‹ und dem Umstand, dass Bauern vornehmlich als ›Opfer‹ des Strukturwandels verstanden werden, stellen sich zudem spannende Fragen nach dem »Ankommen« der Landbevölkerung in der Demokratie.25

Das Projekt zum »Strukturwandel in der Landwirtschaft« bildet einen Eckpfeiler für die Erforschung »Schleswig-Holsteins als Land«. Tiefe und Ausmaß des Wandels sind in jeder Hinsicht als beträchtlich zu veranschlagen, weshalb die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft im nördlichsten Bundesland nicht nur exemplarische Bedeutung entfalten, sondern deren Erforschung auch wesentliche Erkenntnisse zur Beantwortung der Gesamtfragestellungen des Forschungsprogramms liefern wird.

Forschungsstand und Quellensituation26

Eine ganze Reihe von agrarhistorischen und agrarsoziologischen Untersuchungen diskutiert (zumeist in langfristiger Perspektive) Transformationsprozesse und Modernisierungsschübe in der Landwirtschaft, wobei zumeist das Untersuchungsobjekt »Dorf« Ausgangs- und Fluchtpunkt der Forschungen bildet.27 Relevant sind nicht zuletzt die Beiträge aus einschlägigen Referenzprojekten. Dazu gehören beispielsweise die Untersuchungen von Exner28 und Balcar29, aber auch die bei Münkel30 versammelten Beiträge. Angesichts des Befundes, dass der landwirtschaftliche Strukturwandel starken regionalen Differenzen unterlag,31 fallen die regionalen Forschungslücken in Schleswig-Holstein umso stärker ins Gewicht. Neben der Arbeit von Langlet-Ruck32, der einzigen wissenschaftlichen Studie, die sich in Teilen mit den hier skizzierten Fragestellungen für Schleswig-Holstein auseinandersetzt, liegt bisher vor allem der Forschungsaufriss von Danker vor.33 Einzelne Aspekte, wie beispielsweise das »Programm Nord«, sind zum Teil etwas intensiver, wenn auch keineswegs abschließend erforscht.34

Die Perspektiven von Politik und Verbänden werden verhältnismäßig einfach quellenmäßig festzumachen sein – neben den Akten liegt auch umfangreiches publizistisches Material vor. Schwerer zu erfassen ist die Perspektive ›von unten‹, weshalb in diesem Projekt erfahrungsgeschichtliche Quellenformen, die methodisch anspruchsvoll zu erheben sind, eine wichtige Rolle spielen werden.

Projektskizze Strukturwandel 2: Schwerindustrie in Schleswig-Holstein

Forschungsgegenstand

»Ihr könnt doch unseren Betrieb nicht kaputtgehen lassen, das geht doch nicht!«35 – So reagierten Hüttenarbeiter auf die Schließung des Hochofenwerks in Lübeck-Herrenwyk 1981. Was ihnen so unvorstellbar erschien, war nichts anderes als der ganz unmittelbare und konkrete Ausdruck jenes Strukturwandels in der Schwerindustrie, der in den 1970er und 1980er Jahren – für die betroffenen Arbeitnehmer schmerzhaft spürbar – europaweit stattfand. Neben der Montanindustrie betraf dies vor allem auch die metallverarbeitende Industrie und den Schiffbau, zwei für die Untersuchungsregion markante und sehr relevante Bereiche des industriellen Sektors. Das gilt insbesondere für den Schiffbau, dem Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg 1979 den gleichen Stellenwert für das Küstenland Schleswig-Holstein verlieh wie der Kohle und dem Stahl für das Ruhrgebiet – zu einem Zeitpunkt, an dem Krisenerscheinungen wie Nachfrageeinbrüche, massiver Arbeitsplatzabbau und Werkstilllegungen bereits nahten. Allein im Bereich des Schiffbaus sanken die Beschäftigtenzahlen von 1960 von fast 28.000 auf 15.000 im Jahr 1980. Werftenhilfeprogramme und massive Stützungsmaßnahmen der öffentlichen Hand konnten die Wandlungsprozesse nur verlangsamen, die Folgen für die Betroffenen zumindest ansatzweise abfedern.

Fragestellungen und Einordnung

Im Mittelpunkt des Projekts steht eine Bestandsaufnahme des Strukturwandels in der Schwerindustrie Schleswig-Holsteins, die sich nach der Hochphase von den späten 1950er bis in die 1970er Jahre in weiten Teilen als ein Prozess der Ent-Industrialisierung schreiben lässt. Betroffen waren im Land neben dem Schiffbau insbesondere in Kiel, Flensburg, Rendsburg, Büsum und Husum vor allem die stahlerzeugenden beziehungsweise stahlverarbeitenden Industriebetriebe in Büdelsdorf, Lübeck und Neumünster. Wesentliche Fragen stellen sich nach der Form der politischen Begleitung und Steuerung dieses Prozesses in regionaler Perspektive. Erhebliche Relevanz besitzt dabei auch die Frage nach den Veränderungen der industriellen Beziehungen vor dem Hintergrund des sich vollziehenden Strukturwandels. Wie verschieben sich die Positionen von Arbeitgebern und Gewerkschaften? Neben einer Skizzierung der Gesamtentwicklung steht im Mittelpunkt der Betrachtung der Betrieb als soziales Gefüge: die Konturierung (inner-)betrieblicher Akteursgruppen, ihrer Interessen und Selbstbilder bezogen auf Zielvorstellungen und Lebensentwürfe. (Schwer-)Industrielle Arbeit beinhaltet insbesondere in traditionsstarken Betrieben zumeist ein hohes Maß an milieuspezifischer, bisweilen auch betriebsinterner Bindung mit erheblicher Identität stiftender Bedeutung. Bis ins jeweilige Management reichende Gruppen des Schiffbaus und der Stahlindustrie können in den Betrachtungs- und Analysehorizont geholt werden, weil – ähnlich wohl nur in der Landwirtschaft oder im Bergbau – ›klassenüberschreitende‹ traditionelle Prägungen unterstellt werden dürfen. In diesem Zusammenhang geht es insbesondere auch um die Entwicklung und Auflösung traditioneller Arbeitermilieus, wie sie sich beispielsweise auf dem Kieler Ostufer oder in Lübeck-Herrenwyk lokalisieren lassen. Es ist zu fragen nach den (auch retrospektiven) Wahrnehmungs- und Verarbeitungsstrategien derjenigen, für die der Strukturwandel den Verlust planbarer Zukunft bedeutete. Das gilt insbesondere für den Bereich des Schiffbaus, wo lange zum Teil stark überdurchschnittliche Löhne erzielt werden konnten und das Selbstbild privilegierter Arbeiter besonderes Identifikationspotential erzeugte. Wichtig sind dabei ebenfalls Fragen nach Rolle und Integration von ›Gastarbeitern‹ und ihrer Familien.

Der Bereich der Schwerindustrie mit dem markanten, das Erscheinungsbild des Küstenlandes maßgeblich konturierenden Schiffbau, jedoch auch den prägenden Stahl-Unternehmen in Lübeck, Büdelsdorf-Rendsburg und Neumünster, bildet ein zentrales Feld des Strukturwandels, an dem sich wesentliche Entwicklungen und Fragestellungen exemplarisch nachvollziehen lassen und der für eine Geschichte »Schleswig-Holsteins als Land« unverzichtbar ist.

Forschungsstand und Quellensituation36

Regional ist der industrielle Strukturwandel in der Bundesrepublik zum Teil sehr ausführlich erforscht worden. Dies gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen und den dortigen montan- und schwerindustriellen Bereich.37 Methodisch wie inhaltlich ragen neben Arbeiten von Werner Abelshauser, Dietmar Petzina und Klaus Tenfelde38 die Beiträge Ulrich Herberts für das Projekt »Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960« heraus.39 Herbert hat durch die Zusammenführung erfahrungsgeschichtlicher Befunde mit den Ergebnissen konventioneller Quellenrecherchen wesentliche Erkenntnisfortschritte erzielen können – Ansätze, die, methodensicher durchgeführt, auch für die Untersuchungsregion wichtig und erkenntnisreich zu sein versprechen.

Die Erforschung des industriellen Strukturwandels in Schleswig-Holstein ist bisher bestenfalls ansatzweise erfolgt.40 Ausnahmen bilden dabei der bundesweite Relevanz entfaltende Streik der schleswig-holsteinischen Metallarbeiter um die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1956/5741 sowie die regionale Geschichte der Metallarbeiterbewegung nach 1945.42 In facettenreicher Form hat die Geschichtswerkstatt in Lübeck-Herrenwyk die Geschichte des Hochofenwerks dokumentiert.43 Für viele Betriebe der Schwerindustrie liegen zum Teil gewichtige Festschriften vor, die jedoch wegen ihres genretypischen Charakters vor allem grobe Orientierung bieten können.44 Für die Ahlmann Carlshütte AG kann zusätzlich auf eine fundierte Biographie der Unternehmerin Käthe Ahlmann zurückgegriffen werden.45 Ausführlich dokumentiert sind auch die politischen Debatten zur Schiffbaukrise im Land.46 Firmenarchive schwerindustrieller Großbetriebe sowie Archive von Unternehmensverbänden und Gewerkschaften bieten reichliches Quellenmaterial für die Bearbeitung der skizzierten Fragestellungen.

Projektskizze Strukturwandel 3: Tourismus in Schleswig-Holstein

Forschungsgegenstand

Nur eine Sorge plage ihn, offenbarte sich im Sommer 1970 der Stellvertretende Bürgermeister des kleinen schleswig-holsteinischen Ostseebads Sierksdorf Geberbauer gegenüber dem Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«: »Daß der Ulbricht eines Tages die Grenzen und den Strand aufmacht und dann alle rübergehen, weil’s da billiger ist.«47 Dies sollte zwar noch fast zwei Jahrzehnte auf sich warten lassen, bereits im folgenden Jahr kam jedoch eine Entwicklung zu ihrem scheinbar vorläufigen Ende, die als eine Phase des beschleunigten Strukturwandels in Schleswig-Holstein zu begreifen ist, zumindest jedoch in ein strukturpolitisches Umdenken mündete: 1971 stoppte die Landesregierung die finanzielle Förderung von insgesamt 15 sich in Planung befindlichen Urlaubszentren entlang der Ost- und Nordseeküste, welche die industriell anmutenden Bettenburgen in Weißenhäuser Strand, Burgtiefe auf Fehmarn, Heiligenhafen oder ›Damp 2000‹ ergänzen sollten. Bis dahin hatten zahlreiche Orte in Schleswig-Holstein den Wandel vom Fischerdorf zum touristischen Zentrum im Zeitraffer durchlaufen, insbesondere im ›Zonenrandgebiet‹ großzügig gefördert mit öffentlichen Mitteln. Schleswig-Holstein hatte bereits wesentlichen und sehr frühen Anteil an dem in der Bundesrepublik einsetzenden Massentourismus, nicht zuletzt auch aufgrund des Verschwindens der Konkurrenz traditioneller Ostseebäder hinter dem ›Eisernen Vorhang‹, weshalb das Tourismusgewerbe im Nachkriegs-Schleswig-Holstein erstaunlich schnell expandierte. Bereits 1953 wurden die Gästezahlen der Vorkriegszeit übertroffen, 1964 sogar um das Dreifache. Zwischen 1955 und 1975 vervierfachte sich die Zahl der jährlichen Übernachtungen auf 20 Millionen.

Fragestellungen und Einordnung

Es gilt, den Wandlungsprozess Schleswig-Holsteins vom ›Flüchtlingsland‹ zum »Ferienland« (Eigenwerbung) empirisch abgesichert nachzuvollziehen, zu beschreiben und in seinen Auswirkungen zu analysieren. Mitzuberücksichtigen ist auch das Spannungsverhältnis zwischen tatsächlicher ökonomischer Relevanz der ›weißen Industrie‹ in Schleswig-Holstein48 und der Rolle des Tourismus in den strukturpolitischen Planungen der Landesregierung. Zudem sind die Tourismuskonzepte auf den verschiedenen Ebenen Land, Region und Kommune im Wandel und durchaus von differierenden Interessen getragenem Wechselspiel zu analysieren und auf ihre Abstimmung hin zu überprüfen. Anknüpfend an neuere Forschungen stellen sich Fragen nach der Selbstinszenierung Schleswig-Holsteins als Urlaubsland, wobei auch Aspekte der ikonografischen Präsentation beispielsweise anhand von Broschüren und Werbeplakaten Berücksichtigung finden werden. Es ist nach den tatsächlichen wirtschaftlichen Effekten in den schleswig-holsteinischen Touristenzentren zu fragen und – auf der Mikroebene Urlaubsort – nach den Akteursgruppen und ihrer Form der Teilhabe: Wer profitierte in welcher Form von den ›Gästen‹? Zu denken ist neben rein ökonomischen Aspekten auch an den Ausbau der materiellen Infrastruktur, vom Straßenausbau bis hin zur Diversifizierung des Waren- und Informationsangebots am Ort mit den entsprechenden Auswirkungen auf Lebensstil und Konsumverhalten auch der Einheimischen. Zudem stellen sich wichtige kultur- und mentalitätsgeschichtliche Fragen wie die nach der kulturellen Eigenständigkeit in den Urlaubsgebieten und nach der Berechtigung von Warnungen vor einer drohenden ›Folklorisierung‹ regionaler Identitäten. Welche Folgen hat die schleswig-holsteinische Ausprägung des Massentourismus für die Selbstwahrnehmung der ›Heimgesuchten‹? Dabei bieten sich bezogen auf die Untersuchungsregion Vergleiche zwischen traditionellen und ›neuen‹ Tourismusorten an.

Forschungsgegenstand und Forschungsperspektiven fügen sich ein in die Gesamtfragestellung des Forschungsprogramms zum Strukturwandel im Land Schleswig-Holstein, indem sie sich auf die Kernfragen der Modernisierung des Landes richten. Der Fremdenverkehr bildet einen für das Land sehr repräsentativen und für einige Regionen volkswirtschaftlich nicht unbedeutenden Anteil am Tertiärsektor, ohne den das schleswig-holsteinische Einholen üblicher wirtschaftsstruktureller Daten der postindustriellen Gesellschaft nicht gelungen wäre.

Forschungsstand und Quellensituation49

Die überregionale Forschung zum Tourismus in der Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, wobei allerdings die Untersuchung des sozialen Wandels in den deutschen Reiseregionen infolge des Massentourismus nach wie vor ein Desiderat darstellt.50

Für die Untersuchungsregion Schleswig-Holstein fehlt hingegen eine auch nur in Ansätzen befriedigende wissenschaftliche Überblicksdarstellung zum Thema Fremdenverkehr – eine Lücke, die auch nicht durch einschlägige Handbücher51 oder Populärdarstellungen52 gefüllt wird. Zwar liegen erste Einführungen vor, die jedoch zumeist den Zeitraum (weit) vor 1945 im Blick haben.53 Gleiches gilt für Untersuchungen zu Teilregionen.54 Für unseren Betrachtungszeitraum (mit einem Schwerpunkt auf die Zeit von den späten 1950er Jahren bis zum Fall der Mauer) liegen vor allem kleinere Studien und Qualifikationsarbeiten der Nachbarwissenschaften mit zumeist regionalem oder lokalem Schwerpunkt vor.55

Die Quellensituation präsentiert sich uneinheitlich. Basisdaten existieren größtenteils in publizierter Form oder sind relativ leicht zu erheben. Während strukturpolitische Wirtschaftsplanung und Fremdenverkehrsförderung bis hinunter auf die Landkreisebene in aller Regel archivalisch gut erschlossen sind,56