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Ann Cleeves

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Beschreibung

Fair Isle, die einsamste Insel der Nordsee. Meilenweit erstreckt sich das Wasser um das Eiland. Hier kommt Detective Jimmy Perez her, hier leben seine Eltern. Und seine Verlobte Fran soll sie endlich kennenlernen. Doch statt eines harmonischen Familienwochenendes erwartet die beiden ein Albtraum. Am Morgen nach ihrer Verlobungsfeier wird die berühmte Leiterin der Vogelschutzwarte erstochen und mit Federn übersät aufgefunden. Ein Orkantief macht es unmöglich, Hilfe auf die sturmumtoste Insel zu holen. Perez ist auf sich allein gestellt, Fran versucht ihn zu unterstützen. Doch Angela hatte ihre dunklen Seiten und hat mit mehr als nur einem Männerherz gespielt. Da geschieht noch ein Mord in der Warte. Der Mörder muss mitten unter ihnen sein. Perez und Fran läuft die Zeit davon . . . Die Presse über Sturmwarnung: «Nicht nur die Handlung ist spannend, auch das Setting übertrifft alle Erwartungen. Die Atmosphäre auf Fair Isle und ihre Auswirkungen auf die Bewohner werden von Ann Cleeves perfekt dargestellt.» The Independent «Wie immer bei Ann Cleeves besticht Sturmwarnung durch eine starke Handlung und einen faszinierenden Hintergrund.» The Spectator «Sturmwarnung, das vierte Buch in Ann Cleeves' Shetland-Quartett, ist das beste und spannendste der Serie.» The Times

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Ann Cleeves

Sturmwarnung

Übersetzt von Tanja Handels

Über dieses Buch

Fair Isle, die einsamste Insel der Nordsee. Meilenweit erstreckt sich das Wasser um das Eiland. Hier kommt Detective Jimmy Perez her, hier leben seine Eltern. Und seine Verlobte Fran soll sie endlich kennenlernen. Doch statt eines harmonischen Familienwochenendes erwartet die beiden ein Albtraum.

Am Morgen nach ihrer Verlobungsfeier wird die berühmte Leiterin der Vogelschutzwarte erstochen und mit Federn übersät aufgefunden. Ein Orkantief macht es unmöglich, Hilfe auf die sturmumtoste Insel zu holen. Perez ist auf sich allein gestellt, Fran versucht ihn zu unterstützen. Doch Angela hatte ihre dunklen Seiten und hat mit mehr als nur einem Männerherz gespielt. Da geschieht noch ein Mord in der Warte. Der Mörder muss mitten unter ihnen sein. Perez und Fran läuft die Zeit davon . . .

Die Presse über STURMWARNUNG:

«Nicht nur die Handlung ist spannend, auch das Setting übertrifft alle Erwartungen. Die Atmosphäre auf Fair Isle und ihre Auswirkungen auf die Bewohner werden von Ann Cleeves perfekt dargestellt.» The Independent

«Wie immer bei Ann Cleeves besticht STURMWARNUNG durch eine starke Handlung und einen faszinierenden Hintergrund.» The Spectator

«STURMWARNUNG, das vierte Buch in Ann Cleeves’ Shetland-Quartett, ist das beste und spannendste der Serie.» The Times

Vita

Ann Cleeves, geboren in Herefordshire, arbeitete mit Anfang zwanzig zwei Jahre lang als Köchin auf Fair Isle. Heute lebt sie mit ihrer Familie in West Yorkshire und ist Mitglied des «Murder Squad», eines illustren Krimizirkels. Für «Die Nacht der Raben» wurde sie 2006 mit der weltweit wichtigsten Auszeichnung der Kriminalliteratur geehrt – dem «Duncan Lawrie Dagger Award».

Bei Wunderlich ist von ihr erschienen IM KALTEN LICHT DES FRÜHLINGS, bei rororo sind lieferbar: DER LÄNGSTE TAG und DIE NACHT DER RABEN.

Meinen klugen, geistreichen und unbändigen Töchtern

Kapitel 1

Fran kniff die Augen fest zu und drückte sich in ihren Sitz. Das kleine Flugzeug verlor so plötzlich an Höhe, als wollte es vom Himmel fallen, dann fing es sich kurz, um sich sofort wieder schräg zu legen wie auf der Achterbahn. Als Fran das nächste Mal aufsah, befanden sie sich dicht vor den grauen Klippen, so nah, dass sie die weißen Schlieren von Vogeldreck und die Nester der vergangenen Brutsaison darauf erkennen konnte. Unten brodelte das Meer. Sturmböen peitschten über das Wasser und schäumten weiße Gischt auf.

Warum tut der Pilot denn nichts? Und warum sitzt Jimmy einfach nur da und wartet seelenruhig darauf, dass wir alle sterben?

Sie stellte sich vor, wie das Flugzeug gegen die Felsen prallte: berstendes Metall, zerschellende Körper. Das würden sie niemals überleben. Ich hätte ein Testament machen sollen. Wer wird sich um Cassie kümmern? Plötzlich wurde ihr klar, dass sie gerade zum allerersten Mal ernsthaft um ihr Leben fürchtete, und blinde Panik ergriff Besitz von ihr, vernebelte ihr den Verstand und schaltete jeden klaren Gedanken aus.

Das Flugzeug schrammte um Haaresbreite am Rand der Klippe vorbei, dann hob es sich wieder ein wenig, und Perez fing an, ihr all die Orte zu zeigen, die ihm so vertraut waren: den Nordhafen, die Vogelschutzwarte im alten Leuchtturm an der Nordspitze, den Ward Hill. Fran hatte den Eindruck, dass der Pilot die Maschine noch immer nur mit Mühe gerade halten konnte und Perez sie lediglich abzulenken versuchte, während sie schlingernd und schwankend zur Landung ansetzten. Dann waren sie endlich unten und holperten die Rollbahn entlang.

Neil, der Pilot, blieb einen Moment regungslos sitzen, beide Hände am Steuerknüppel. Fran kam der Gedanke, dass er vielleicht ebenso große Angst ausgestanden hatte wie sie.

«Gut gemacht», sagte Perez.

«Na ja.» Neil deutete ein Grinsen an. «Wir müssen ja immer wieder für die Krankentransporte üben. Aber zwischendurch dachte ich schon, wir müssten umkehren.» Dann setzte er etwas nachdrücklicher hinzu: «Jetzt aber raus mit euch zwei beiden. Ich muss noch eine Ladung Touristen ausfliegen, laut Wettervorhersage wird es nachher noch schlimmer. Und ich habe keine Lust, die ganze Woche hier festzusitzen.»

Neben dem Rollfeld wartete ein Grüppchen Menschen, die sich mit aller Kraft gegen den Wind stemmten, um nicht den Halt zu verlieren. Das Gepäck der beiden Ankömmlinge war bereits ausgeladen, und Neil winkte den wartenden Passagieren zu, an Bord zu kommen. Fran merkte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Nach dem Flug in der stickigen Kabine kam es ihr draußen natürlich besonders kalt vor, doch ihr war klar, dass das Zittern auch ein Echo ihrer Angst war. Und der Anspannung, Perez’ Eltern, seinen Freunden zu begegnen, die auf der Insel auf sie warteten. Fair Isle war Teil seines Wesens. Hier war er aufgewachsen, hier lebte seine Familie bereits seit vielen Generationen. Was würden diese Menschen von ihr halten?

Sie hatte es sich in etwa so vorgestellt wie ein richtig schlimmes Bewerbungsgespräch; doch anstatt ruhig und gefasst mit einem Lächeln auf den Lippen hier anzukommen – an Charme mangelte es ihr sonst schließlich auch nicht –, steckte ihr der Flug noch in den Knochen und verwandelte sie in ein zitterndes, stammelndes Wrack.

Immerhin musste sie nicht sofort zu Höchstform auflaufen, denn Neil hatte seine Passagiere bereits ins Flugzeug geladen und rollte nun ans andere Ende der Start- und Landebahn, um sich für den Rückflug nach Tingwall auf der Hauptinsel von Shetland bereitzumachen. Der Lärm der Flugzeugmotoren war viel zu nah und viel zu laut und verhinderte jeden Smalltalk. Einen Augenblick lang wurde alles still, dann heulten die Triebwerke wieder auf, das Flugzeug ratterte an ihnen vorbei und erhob sich in die Luft. Von den kräftigen Böen hin und her geworfen, wirkte es schon jetzt so klein und zerbrechlich wie ein Kinderspielzeug. Es drehte hoch über ihren Köpfen und verschwand dann etwas weniger wacklig nach Norden. Fran spürte Erleichterung ringsum. Anscheinend war ihre Reaktion gar nicht so überängstlich ausgefallen. Sie war nicht bloß eine hysterische Frau aus dem Süden. Das Leben auf dieser Insel schien nicht leicht zu sein.

Kapitel 2

Jane zerrieb die Margarine stückchenweise zwischen den Fingern und gab sie auf das Mehl. Eigentlich war es ihr lieber, wenn die Scones nach Butter schmeckten, aber das Budget der Vogelwarte war begrenzt, und die Ausflügler waren ohnehin meist so hungrig, wenn sie zum Mittagessen kamen, dass sie den Unterschied kaum bemerken würden. Als Jane das Flugzeug über dem Haus hörte, hielt sie kurz inne und lächelte. Dann hatte es also doch starten können. Zum Glück. An Bord befand sich ein halbes Dutzend Vogelkundler, die in der Warte übernachtet hatten. Weniger Gäste, das bedeutete auch weniger Arbeit für sie als Köchin, zumal die Leute, wenn sie wegen schlechter Wetterbedingungen hier strandeten, ohnehin schnell nervös und unleidlich wurden. Es lag zwar ein gewisser Reiz darin, beispielsweise einem einflussreichen Geschäftsmann zu erklären, dass da auch mit Geld nichts zu wollen war – wenn ein Orkan bevorstand, verkehrten nun mal weder Schiff noch Flugzeug, egal, wie viel man dem Kapitän oder dem Piloten bot –, aber Jane mochte die Atmosphäre in der Warte nicht, wenn Gäste gegen ihren Willen dort festsaßen. Das hatte immer etwas von einer Geiselhaft, und die Leute reagierten auf ganz unterschiedliche Weise darauf. Manche fügten sich teilnahmslos in ihr Schicksal, andere wurden regelrecht wütend.

Jane goss Dickmilch in den Teig. Obwohl sie tagtäglich Scones buk und die Abläufe im Grunde im Schlaf beherrschte, hatte sie Mehl und Milch sorgfältig abgewogen. So war sie eben: vorsichtig und akkurat. Im Kühlschrank lag noch ein Stück uneingepackter Käse, der dringend aufgebraucht werden musste, den rieb sie jetzt und rührte ihn ebenfalls unter den Teig. Falls das Postschiff am nächsten Tag nicht auslaufen konnte, würde sie wohl Brot backen müssen. Die Tiefkühltruhe war fast leer. Jane drückte den Teig für die Scones flach, stach Kreise daraus aus und legte sie dicht nebeneinander auf das Backblech, damit sie auch gut aufgingen. Der Backofen war bereits vorgeheizt, und sie schob das Blech hinein. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie jemanden in einer grünen Windjacke am Fenster vorbeigehen. Die Mauern des alten Leuchtturms waren fast einen Meter dick, und die Gischt hatte Salzschlieren an den Scheiben hinterlassen, sodass man nicht viel erkennen konnte, doch Jane war sich sicher, dass es Angela sein musste, die von der Inspektion der Vogelfallen zurückkam.

Es war Janes zweite Saison in der Vogelwarte von Fair Isle. Im letzten Frühjahr war sie zum ersten Mal hierhergekommen. Sie hatte die Anzeige in einer Zeitschrift für ländliche Lebensart entdeckt und sich beworben, ohne lange nachzudenken. Ein Impuls, vielleicht die erste impulsive Handlung ihres Lebens. Darauf folgte eine Art Bewerbungsgespräch am Telefon.

«Und warum möchten Sie einen ganzen Sommer auf Fair Isle verbringen?»

Mit dieser Frage hatte Jane natürlich gerechnet, schließlich hatte sie selbst lange genug in der Personalverwaltung gearbeitet und zahllose Gespräche mit Bewerbern geführt. Ihre Antwort war ebenso neutral wie seriös ausgefallen: Sie brauche eine neue Herausforderung, eine Auszeit, um sich darüber klarzuwerden, wie ihre Zukunft aussehen solle. Schließlich ging es ja um eine befristete Anstellung, und sie hörte ihrem Gesprächspartner an, dass ihm kaum eine Wahl blieb. In wenigen Wochen begann die Saison, und die bereits engagierte Köchin hatte sich von heute auf morgen mit ihrem Freund nach Marokko abgesetzt. Eine ehrliche Antwort auf die Frage wäre um einiges komplizierter ausgefallen.

Meine Lebensgefährtin hat beschlossen, dass sie unbedingt Kinder will. Das macht mir Angst. Wieso bin ich ihr denn nicht genug? Ich dachte, wir sind glücklich mit unserem beschaulichen Leben, und jetzt sagt sie mir, dass ich sie langweile.

Die Entscheidung, nach Fair Isle zu gehen, war im Grunde nicht besser, wie sich als Kind unter der Bettdecke zu verstecken. Eine Flucht vor der Demütigung, vor der aufkeimenden Erkenntnis, dass Dee eine andere gefunden hatte, die ihren Kinderwunsch teilte, während Jane allein und fast ohne Freunde zurückblieb. Sobald sie die Zusage von der Vogelwarte hatte, kündigte Jane ihre Stelle im öffentlichen Dienst, und da sie noch einige Urlaubstage übrig hatte, konnte sie das Büro noch am Ende derselben Woche verlassen. Es hatte eine kleine Abschiedsfeier gegeben, Sekt, einen Kuchen. Einen Büchergutschein. Die Kollegen zeigten sich vor allem erstaunt. Sie schätzten Jane für ihre Vernunft und Zuverlässigkeit, ihren klaren Verstand. Ihre Karriere samt der unschätzbar wertvollen einkommensabhängigen Altersvorsorge einfach aufzugeben und alles hinzuwerfen, um auf einer Insel zu leben, die man eigentlich nur wegen ihrer Strickwaren kannte – das passte gar nicht zu ihr.

«Kannst du denn überhaupt kochen?», hatte sich eine Kollegin erkundigt, die sich anscheinend schwer vorstellen konnte, dass die allseits respektierte Personalmanagerin sich mit solch profanen Dingen abgab. Diese Frage war Jane auch in dem chaotischen Bewerbungsgespräch am Telefon gestellt worden.

In beiden Fällen hatte sie wahrheitsgemäß geantwortet: «Aber ja.» Dee, ihre Lebensgefährtin, hatte gern Gäste gehabt. Sie leitete eine unabhängige Filmproduktionsfirma, und am Wochenende wimmelte es bei ihnen im Haus von Menschen: Schauspieler, Produzenten, Drehbuchautoren. Bei all diesen Zusammenkünften war Jane für die Verpflegung zuständig gewesen, von den Kanapees für die legendären Mittsommerpartys bis hin zu mehrgängigen Abendessen für zwölf Personen. Die Überlegung, wer diese Aufgabe wohl in Zukunft übernehmen würde, war ihr ein winziger Trost gewesen, als sie mit ihrem riesigen Rollkoffer das Haus in Richmond verließ. Dees Neue, Flora, mit ihrem spitzen Gesicht und ihrem glänzenden Haar, konnte Jane sich beim besten Willen nicht mit einer Küchenschürze vorstellen.

Jane war nach Fair Isle gekommen, ohne zu wissen, was sie dort erwartete. Dass sie sich vorher kaum über die Insel informiert hatte, war ein Zeichen dafür, wie sehr sie neben sich stand. Unter normalen Umständen hätte sie im Internet recherchiert, wäre in die Bibliothek gegangen, hätte sich einen ganzen Ordner mit wichtigen Informationen zusammengestellt. Doch nun hatten sich ihre Vorbereitungen darauf beschränkt, zwei neue Kochbücher zu kaufen. Sie würde schließlich mit wenig Geld nahrhafte Mahlzeiten zubereiten müssen, und so weit ging die Persönlichkeitsveränderung dann doch nicht, dass sie vorsätzlich einen schlechten Start in ihrer neuen Stelle riskiert hätte.

Sie war mit dem Postschiff gekommen, mit der GoodShepherd. Es war ein sonniger Tag gewesen, mit leichtem Wind aus Südost, und Jane hatte an Deck gesessen und zugesehen, wie die Insel immer näher kam. Sie verspürte die Aufregung des Entdeckertums, und damals wie heute hatte sie das Gefühl, dass diese Annäherung einer beginnenden Liebe ähnelte. Die ersten, zärtlichen Blicke, das langsame Sichnäherkommen. Bei schönem Frühlingswetter war es nicht weiter schwierig, sich in die Insel zu verlieben. Die Klippen wimmelten nur so von Seevögeln, und Gilsetter, die grasgrün überzogene Ebene südlich der beiden Häfen, war ein einziges Blumenmeer. Jane hatte sich Hals über Kopf verliebt, sowohl in Fair Isle als auch in die Vogelwarte. Sie war in den umgebauten Gebäuden am alten Leuchtturm an der Nordspitze untergebracht, der inzwischen auf automatischen Betrieb umgestellt worden war und in erhabener Einsamkeit hoch oben auf den grauen Klippen thronte. Jane war in einem Vorort von London aufgewachsen und hätte es sich nie träumen lassen, jemals an einem so wilden, spektakulären Ort zu leben. Bestimmt würde sie hier jemand ganz anderes sein als die verschüchterte Frau, die sich nie gegen Dee hatte durchsetzen können. Die Küche war sofort zu ihrem Reich geworden. Sie war groß und weitläufig. Früher hatte der Leuchtturmwärter dort seine Stube gehabt, wovon noch ein offener Kamin und zwei große Fenster mit Blick aufs Meer zeugten. Gleich nach der Ankunft, noch bevor ihr Koffer ausgepackt war, hatte Jane in der Küche alles so angeordnet, wie sie es gern hatte. So früh im Jahr kamen noch keine Gäste, aber die Belegschaft musste schließlich auch verpflegt werden.

«Was soll es denn zum Abendessen geben?», hatte sie sich erkundigt, dabei die Ärmel ihrer Baumwollbluse hochgerollt und sich ihre lange blaue Lieblingsschürze umgebunden. Als sie keine Antwort auf ihre Frage erhielt, warf sie einen Blick in den Kühlschrank und in die Tiefkühltruhe. Im Kühlschrank fand sich eine mit Frischhaltefolie abgedeckte Metallschüssel mit Reis, in der Truhe geräucherter Schellfisch. Jane zauberte einen großen Topf Kedgeree mit richtiger Butter und hartgekochten Eiern, die sie in dicke Scheiben schnitt. Zum Essen setzten sich alle um den großen Tisch in der Küche. Die Gespräche drehten sich um die Nistgewohnheiten des Steinschmätzers und die Anzahl der gesichteten Seevögel. Niemand fragte Jane, warum sie beschlossen hatte, Köchin auf Fair Isle zu werden.

Maurice meinte später, ihnen sei es vorgekommen, als wäre Mary Poppins persönlich aufgetaucht und hätte das Regiment übernommen. Sie hätten gleich gewusst, dass es gutgehen würde. Diese Bemerkung bedeutete Jane viel.

Der Duft sagte ihr, dass die Scones bald fertig waren. Sie nahm das Blech aus dem Ofen, stellte es auf den Tisch, zog die Scones auseinander, damit sie auch von innen gar wurden, und schob sie zurück in den Ofen. Dann stellte sie die Eieruhr auf drei Minuten, obwohl das eigentlich gar nicht nötig war. In dieser Küche brannte nichts an. Nicht, solange Jane zuständig war.

Die Tür ging auf, und Maurice kam herein. Er trug ein Flanellhemd und eine graue Strickjacke, dazu Lederpantoffeln und eine an den Knien ausgebeulte Cordhose – der Inbegriff des leicht verstaubten Akademikers, der er gewesen war, bevor er seiner frisch angetrauten und sehr viel jüngeren Ehefrau Angela auf die Insel gefolgt war. Jane schaltete reflexartig den Wasserkocher ein. Das Ehepaar hatte zwar eine eigene Wohnung in der Vogelwarte, doch Maurice kam morgens meist auf einen Kaffee in die große Küche hinunter. Jane besaß eine Pressfilterkanne und ließ sich echten Bohnenkaffee aus Lerwick kommen. Maurice war der Einzige, mit dem sie diesen Luxus teilte.

«Das Flugzeug ist gut weggekommen», sagte er.

«Ja, ich hab’s gehört.» Sie schwieg einen Moment, um das Kaffeepulver in die Kanne zu geben, und nahm die Scones im selben Moment aus dem Ofen, als die Eieruhr klingelte. «Wie viele Gäste sind denn jetzt noch da?»

Maurice hatte die Abreisenden samt Gepäck in seinem Landrover zum Flugplatz gebracht. «Nur noch vier», sagte er. «Ron und Sue Johns sind auch gleich mitgeflogen. Sie haben die Wettervorhersage gehört und wollten nicht riskieren, hier festzusitzen.»

Jane schob die fertigen Scones zum Auskühlen auf ein Gitterblech. Gedankenverloren nahm Maurice sich einen, brach ihn entzwei und strich Butter darauf.

«Heute ist Jimmy Perez angekommen, mit seiner neuen Freundin», berichtete er mit vollem Mund. «James und Mary waren am Flugplatz, um sie abzuholen. Armes Ding! Sie war kreidebleich, als sie aus dem Flugzeug stieg. Kann man ihr nicht verdenken. So ein Flug hätte mir auch ganz schön zugesetzt.»

Maurice war der Hausverwalter der Vogelwarte, einer wissenschaftlichen Einrichtung mit angeschlossenem Gästehaus für Gastforscher, aber auch für Touristen, die die entlegenste bewohnte Insel Großbritanniens kennenlernen wollten. Den ganzen September durch hatten sich die Vogelkundler hier die Klinke in die Hand gegeben. Die Vogelzüge erreichten in diesem Monat ihren Höhepunkt, und der starke Ostwind, der fast eine Woche lang anhielt, hatte zwei neue Arten hergeführt, die in Großbritannien noch nie gesichtet worden waren, und dazu noch eine Handvoll weniger bedeutsamer Seltenheiten. Jetzt, Mitte Oktober, warnten die Meteorologen vor kräftigem Westwind, und die Warte war fast entvölkert. Maurice hatte sich an seiner Universität frühpensionieren lassen, um sich hier als besserer Herbergsvater zu betätigen. Jane hatte keine Ahnung, wie es ihm damit ging, und wäre auch nie auf die Idee gekommen, ihn danach zu fragen.

Dafür wusste sie umso besser, dass ein großer Reiz des Insellebens für ihn im Klatsch und Tratsch lag. Vermutlich unterschied sich das kaum von den leicht gehässigen Lästereien im Dozentenzimmer eines kleineren akademischen Instituts. Maurice schien völlig mühelos über sämtliche Vorgänge auf der Insel auf dem Laufenden zu sein. Jane hingegen hielt sich von den Inselbewohnern eher fern. Sie kannte und mochte Mary Perez und ließ sich an ihrem freien Tag sogar hin und wieder zum Mittagessen nach Springfield einladen, aber enge Freundinnen waren sie trotzdem nicht.

«Jimmy Perez ist doch bei der Polizei, nicht?» Eigentlich interessierte das Thema sie ja nicht weiter. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Noch eine halbe Stunde bis zum Mittagessen. Sie zündete das Gas unter einem großen Topf Suppe an, rührte einmal um und verschloss ihn dann wieder mit dem Deckel.

«Stimmt. Als vor zwei Jahren ein Hof hier frei wurde, hatte Mary ja gehofft, er würde wieder nach Hause kommen, aber er ist dann doch in Lerwick geblieben. Wenn er keinen Sohn bekommt, ist er bald der letzte Perez auf den Shetland-Inseln. Es gab immer einen Perez auf Fair Isle, seit der erste im Krieg mit der Spanischen Armada an Land gespült wurde.»

«Eine Tochter kann den Namen doch auch behalten und weitergeben», wandte Jane scharf ein. In ihren Augen sollte gerade Maurice eigentlich etwas mehr Sensibilität für Geschlechterklischees an den Tag legen. Neue Gäste gingen erst einmal automatisch davon aus, dass Maurice der Vogelwart und seine Frau Angela für die Zimmerbuchungen und die Hausverwaltung verantwortlich war. Dabei war Angela die Wissenschaftlerin. Sie kletterte auf den Klippen herum, um Eissturmvögel und Lummen zu beringen, sie fuhr mit dem Schlauchboot hinaus, um Seevögel zu zählen, während er Anrufe entgegennahm, sich um das Hauspersonal kümmerte und Toilettenpapier nachbestellte. Und Angela hatte auch nach der Heirat ihren Mädchennamen behalten, aus beruflichen Gründen.

Maurice lächelte. «Sicher, aber für James und Mary wäre es trotzdem nicht dasselbe. Vor allem nicht für James. Er findet es schlimm genug, dass Jimmy nicht hier ist, um die Good Shepherd zu übernehmen, und wünscht sich nichts sehnlicher als einen Enkel.»

Jane verzog sich ins Esszimmer, um die Tische zu decken.

 

Angela stieß erst dazu, als alle anderen schon beim Essen saßen. Jane hatte sie schon häufiger verdächtigt, mit Absicht zu spät zu kommen, um sich in Szene zu setzen. Heute allerdings waren kaum genug Leute da, um ihren Auftritt zu würdigen: nur vier Gäste, Maurice’ Tochter Poppy sowie die übrige Belegschaft der Warte, die wahrlich an Angelas theatralische Anwandlungen gewöhnt war. Und natürlich Maurice, der sie ohnehin anbetete und kein bisschen mit seiner Rolle an ihrer Seite zu hadern schien, solange er sie nur glücklich sah.

Angela hatte sich einen Teller von der Suppe aufgefüllt, die immer noch auf dem Herd köchelte; jetzt stand sie da und musterte die anderen. Sie war zwanzig Jahre jünger als Maurice, groß und durchtrainiert. Sie hatte langes schwarzes Haar, das ihr fast bis zum Po reichte. Heute hatte sie es mit einem Kamm hochgesteckt. Es war ihr Markenzeichen. Seit einiger Zeit moderierte sie regelmäßig die naturkundlichen Sendungen der BBC, und die Fernsehzuschauer erinnerten sich vor allem an ihr Haar. Jane vermutete, dass Maurice sich geschmeichelt fühlte, weil die junge und berühmte Angela ihm ihre Gunst geschenkt hatte. Für Angela hatte er seine Frau verlassen, die seine Wäsche gewaschen, für ihn gekocht und seine inzwischen erwachsenen Kinder großgezogen hatte – wobei man zumindest bei Poppy noch nicht unbedingt von Erwachsensein reden konnte. Jane war der verlassenen Ehefrau nie begegnet, hegte aber großes Mitgefühl für sie.

Eigentlich hatte sie erwartet, dass Angela sich an den Tisch setzen und das Gespräch ebenso rasch wie gekonnt auf irgendein Thema lenken würde, das sie interessierte. So lief das normalerweise. Doch Angela blieb einfach stehen, und erst da merkte Jane, dass die Vogelwartin wütend war, so zornig, dass die Suppenschüssel in ihren Händen zitterte. Sie stellte die Schüssel vorsichtig ab, und die Gespräche im Raum verstummten nach und nach. Draußen war es immer stürmischer geworden. Selbst durch die Doppelverglasung der Fenster konnte man die Wellen hören, die sich an den Felsen brachen. Die Gischt spritzte wie der Speichel eines Riesen bis über den Rand der Klippe.

«Wer war im Vogelzimmer?» Angelas Stimme klang gepresst, war im Grunde nicht mehr als ein Flüstern, doch ihr Zorn war nicht zu überhören. Nur Maurice schien nichts zu merken. Er wischte seine Schüssel mit einem Stück Brot aus und hob dann den Kopf.

«Wieso? Gibt’s Probleme?»

«Jemand hat an meiner Arbeit herumgepfuscht.»

«Ich war nur kurz am Computer, um die Reservierungen einzusehen. Roger rief an und wollte wissen, ob wir nächsten Juni noch eine Gruppe unterbringen können, und der Rechner in der Wohnung hat aus irgendeinem Grund gestreikt.»

«Das war aber kein Computerdokument. Es war die Rohfassung eines Artikels. Handgeschrieben.» Angela sprach so laut, dass alle im Raum sie hören konnten. Jane fand die Vorstellung seltsam, dass Angela etwas von Hand schrieb. Das tat sie sonst nur, wenn sie unterwegs war und gar keine andere Möglichkeit hatte, sich Notizen zu machen. Die Vogelwartin war der modernen Technik komplett verfallen. Selbst die täglichen Sichtungsberichte gab sie abends direkt in den Laptop ein. «Der Artikel ist weg», fuhr Angela fort. «Jemand muss ihn gestohlen haben.» Ihr Blick schweifte durch den Raum, erfasste auch die vier Gäste, die am Nebentisch saßen, und ihre Stimme wurde noch etwas lauter. «Jemand muss ihn mir gestohlen haben.»

Kapitel 3

Perez hatte Fran das Haus seiner Eltern genau geschildert. Er hatte ihr die Küche mit dem Blick auf den Südhafen beschrieben, den großen alten Herd mit den Stangen darüber, an denen man im Winter die Kleider zum Trocknen aufhängte, die grüne Wachstuchtischdecke mit den kleinen grauen Blättern, die Aquarelle seiner Mutter an den Wänden. Er hatte ihr von seiner Kindheit auf Fair Isle erzählt und sich seinerseits angehört, wie sie in London aufgewachsen war – Gespräche, wie sie frisch Verliebte am Anfang einer Beziehung führen und die jeden Außenstehenden zu Tode langweilen.

«Wahrscheinlich wird meine Mutter ihre Bilder abhängen», hatte er gemeint. «Es ist ihr sicher unangenehm, wenn eine echte Künstlerin sie sieht.»

Und das war Fran inzwischen wohl: eine echte Künstlerin. Die Leute gaben Bilder bei ihr in Auftrag, ihre Werke wurden in Galerien gezeigt. Jetzt war sie froh zu sehen, dass Mary ihre Aquarelle an den Wänden gelassen hatte. Es waren kleine, zarte Bilder, die ganz und gar nicht Frans eigenem Stil entsprachen und sie dennoch faszinierten, weil sie die kleinen Details des Inselalltags festhielten, die man leicht übersah. Da gab es ein verfallenes Mäuerchen, an dem ein paar Büschel Schafwolle hängen geblieben waren, ein anderes Bild zeigte ein Grab auf dem Friedhof. Fran sah es sich genauer an, doch der Grabstein war von der Seite gemalt, die Inschrift aus dieser Perspektive verborgen. Neben Marys Inselbildern hingen farbenfrohe Drucke und Plakate, die von den spanischen Wurzeln der Familie Perez kündeten. Der Legende nach war Jimmys Ahnherr nach dem Kentern der Gran Grifón, eines Schiffs der Armada, an der Küste von Fair Isle an Land gespült worden. Vermutlich entsprach das auch den Tatsachen. Zumindest das Wrack aus dem sechzehnten Jahrhundert existierte wirklich, es lag vor der Insel auf Grund und stellte eine große Attraktion für Taucher dar. Und wie sonst sollte man den ungewöhnlichen Nachnamen und den südländischen Teint von Vater und Sohn erklären?

Das Haus kam den Vorstellungen, die Fran sich davon gemacht hatte, sehr nahe, entsprach ihnen aber nicht ganz: Irgendwie wirkte es kleiner und enger, und so hatte sie das merkwürdige Gefühl, in einem Paralleluniversum gelandet zu sein. Sie saß am Tisch, hörte sich an, was Mary und James erzählten, und kam sich dabei vor wie eine Statistin an einem Filmset, die nicht dazugehört und nichts zur eigentlichen Handlung beiträgt.

Ob ich mich hier immer so fühlen werde? Als würde ich nicht dazugehören?

Sie hatten schon länger nicht mehr darüber gesprochen, doch Fran hatte das Gefühl, dass Perez vielleicht eines Tages hierher zurückkehren wollte. Der Gedanke hatte ihr gefallen; sie fand es aufregend, an einen der abgelegensten Winkel des Landes zu ziehen und an eine Familientradition anzuknüpfen, die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückreichte. Inzwischen war sie allerdings nicht mehr so überzeugt, ob das auch funktionieren würde.

Mary hatte das Gespräch auf die Hochzeitsvorbereitungen gebracht. Ihr Sohn wollte seine Engländerin im kommenden Mai heiraten, und Mary ging anscheinend davon aus, dass Fran schon ganz aufgeregt war und die Pläne für den großen Tag nur zu gern mit ihr besprechen wollte. Doch Fran war bereits einmal verheiratet gewesen. Sie hatte eine Tochter, Cassie, die diese Woche bei ihrem Vater auf dessen großem Anwesen in Brae verbrachte. Und sosehr Fran Jimmy Perez auch heiraten wollte, so wenig Begeisterung brachte sie für die Einzelheiten der Zeremonie auf. Sie hatte auch gar nicht damit gerechnet, dass eine Frau wie Mary über Blumen, Einladungen und den Kopfschmuck der Braut in Wallung geraten würde. Mary war als Inselkrankenschwester nach Fair Isle gekommen und packte seit ihrer Heirat überall auf dem Hof an, wo Arbeit anfiel. Sie war eine robuste, pragmatische Frau. Aber Jimmy war ihr einziger Sohn, und vielleicht wollte sie Fran eine Freude machen, indem sie sich so für ihren großen Tag engagierte. Anscheinend war ihr viel daran gelegen, sich mit der neuen Schwiegertochter anzufreunden.

«Wir wollten eigentlich in Lerwick heiraten», sagte Fran. «Eine standesamtliche Trauung in aller Stille. Schließlich ist es für uns beide schon das zweite Mal. Und anschließend ein Fest mit Freunden und Verwandten.»

James mischte sich ein. «Aber hier müsst ihr auch feiern, für die Leute, die nicht nach Mainland kommen können. Und deine Familie wird unsere Insel ja auch sehen wollen. Ein traditionelles hame-farin’. Schließlich ist das hier Jimmys Heimat.»

«Natürlich», erwiderte Fran, obwohl es ihr nie in den Sinn gekommen war, auf Fair Isle auch noch eine Feier zu veranstalten. Sie fragte sich, wie ihre Eltern den Flug oder die Überfahrt mit dem Schiff wohl verkraften würden. Und konnte sie es wirklich verantworten, Cassie einer solchen Gefahr auszusetzen? Wenn sie ihre Hochzeit tatsächlich auf der Insel feiern wollten, musste sie zumindest ein paar ihrer Freunde aus London einladen, die sich sonst ausgeschlossen fühlen würden. Aber wie würden sie das alles finden? Und wo sollten sie unterkommen?

«Wir dachten, wir könnten vielleicht schon diese Woche ein kleines Fest ausrichten, um eure Verlobung zu feiern», sagte Mary.

«Das wäre schön. Aber ich möchte wirklich nicht, dass ihr euch so viele Umstände macht.» Fran sah hilfesuchend zu Perez hinüber, der zu alldem noch kein einziges Wort gesagt hatte. Auch jetzt zuckte er nur leicht mit den Schultern, und Fran begriff, dass es vermutlich längst beschlossene Sache war. Kein Einwand ihrerseits würde noch etwas daran ändern.

«Natürlich nicht hier.» Mary lächelte sie an. «Wir haben ja viel zu wenig Platz. Zu einem richtigen Fair-Isle-Fest gehören Tanz und Musik, das geht hier alles nicht. Aber wir könnten vielleicht die Vogelwarte mieten. Im Speisesaal ist Platz genug zum Tanzen, und Jane kann für uns kochen.»

«Jane?» Fran erschien es am gefahrlosesten, sich auf die nebensächlicheren Aspekte zu konzentrieren.

«Sie ist in der Warte die Küchenchefin. Eine phantastische Köchin.»

«Fein», sagte Fran. Was blieb ihr auch anderes übrig? Ach, Jimmy, dachte sie bei sich. Ich weiß wirklich nicht, ob ich hier leben könnte, nicht einmal mit dir. Laut sagte sie, an seine Mutter gewandt: «Und wann soll dieses Fest stattfinden?»

«Ich habe die Vogelwarte für morgen Abend reserviert. Natürlich ganz unverbindlich», setzte Mary hastig hinzu. «Ich wollte das erst mit euch besprechen.»

«Fein», wiederholte Fran und biss innerlich die Zähne zusammen.

 

Nach dem Mittagessen hatte sie das Gefühl, sie würde auf der Stelle durchdrehen, wenn sie noch länger drinnen hockte. Sie hatte Mary beim Abwasch geholfen, und anschließend hatten sie sich mit einem Kaffee ins Wohnzimmer gesetzt, wo große Fenster nach Süden hin über ebene Felder aufs Wasser gingen. Jimmys Vater war Laienprediger in der örtlichen Presbyterianergemeinde und zog sich bald in das kleine Gästezimmer zurück, das ihm als Arbeitszimmer diente, um seine Sonntagspredigt vorzubereiten. So saßen sie zu dritt eine Zeitlang schweigend da, wie gebannt von den gewaltigen Wellen, die vom Südhafen herandonnerten und an den Felsen brachen. Es hatte aufgehört zu regnen, doch Fran schien es, als hätte der Wind deutlich zugenommen. Sogar durch die dicken Mauern des Hauses drang sein Lärmen, ein unerbittliches Heulen, das an ihren Nerven zerrte und ihre Anspannung noch vergrößerte. Dicht vor dem Fenster kämpfte eine Silbermöwe verbissen gegen den Wind an. Fran musste wieder an das Flugzeug denken; ihr wurde ein bisschen schwummerig. Rasch griff sie nach ihrer Tasse, trank den letzten Rest Kaffee und fragte sich: Was ist eigentlich los mit Jimmy? Seit wir hier sind, hat er kaum ein Wort gesagt. Bereut er etwa, dass er nicht hierher zurückgekommen ist, als er die Möglichkeit dazu hatte? Da hatten wir uns gerade kennengelernt. Ob er mir die Schuld daran gibt? Ob er wieder zurück nach Hause will?

Da stand Perez auf und hielt ihr die Hand hin, um sie ebenfalls auf die Füße zu ziehen. «Komm, wir gehen ein bisschen spazieren. Ich möchte dir die Insel zeigen.»

«Bist du noch bei Trost?», rief Mary. «Bei dem Wetter willst du mit ihr spazieren gehen?»

«Wir gehen zum Leuchtturm und sprechen mit Jane das Essen für morgen Abend durch.» Sein Grinsen zeigte, dass er ganz genau wusste, wie unnötig das war: Seine Mutter hatte das alles sicher längst geklärt. «Außerdem soll es laut Wetterbericht ab heute Abend noch schlimmer werden. Wenn wir jetzt nicht gehen, haben wir vielleicht gar keine Gelegenheit mehr.»

 

Draußen vor der Küchentür streiften sie Stiefel und Regenjacken über. Es war windgeschützt im Eingang, doch Fran schmeckte bereits Salz auf den Lippen, und kaum trat sie einen Schritt vor das Haus, nahm ihr eine Windböe den Atem und wehte sie beinahe um. Perez lachte und legte fest den Arm um sie.

Sie gingen nach Norden, und Perez zeigte ihr die Orte, die ihm besonders wichtig waren: «Hier haben früher Ingirid und Jerry gewohnt. Ich habe manchmal auf ihre drei Töchter aufgepasst, obwohl ich kaum älter war als sie. Die sind mir vielleicht auf der Nase rumgetanzt! Inzwischen versorgen Windräder die Insel mit Strom. Als ich klein war, hatte noch jeder Hof seinen eigenen Generator. Abends, wenn sie alle eingeschaltet wurden, hörte man das Brummen auf der ganzen Insel. Das da drüben an der Böschung ist das Haus von Jimmy Myers. Und da kommt Margo von der Post zurück.»

Sie gingen in den kleinen Laden, um Schokolade und ein paar Postkarten zu kaufen, die Fran ihren Lieben in England schicken wollte – vorausgesetzt, dass die Post bei dem Wetter überhaupt abgeholt werden konnte. Niemand sprach über etwas anderes als den aufziehenden Sturm. Die Ladenbesitzerin, eine Frau mittleren Alters in handgestrickter Wolljacke, beugte sich über die Theke. «Gibt’s schon Neuigkeiten vom Postschiff, Jimmy?» Und als er den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: «Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass sie morgen auslaufen, und eben habe ich das letzte Brot verkauft. Ein Glück, dass ich genug Trockenhefe bestellt habe. Mit Bier sieht es auch schlecht aus. Wollen wir hoffen, dass die Leute sich einen ordentlichen Vorrat angelegt haben.»

Nach Norden zu wurden die Häuser spärlicher. Sie erreichten eine Anhöhe, und Fran sah die Straße, die sich unter ihnen entlangschlängelte, den Berg und den Flugplatz auf der einen, ebenes Weideland auf der anderen Seite. Rechts von ihnen erhob sich steil der Sheep Rock, der weit ins Meer hinausragte und Fair Isle seine unverkennbare Silhouette gab, die sowohl von der Hauptinsel Mainland als auch von der Northlink-Fähre sofort ins Auge fiel.

«Was ist das denn?» Fran war stehengeblieben und drehte sich mit dem Rücken zum Wind. Eigentlich hatte sie geglaubt, ganz gut in Form zu sein, doch diese Wanderung strengte sie sehr an, und sie war froh über den Vorwand, eine Pause einlegen zu können. Sie deutete auf einen Käfig aus Maschendraht, der oben auf der Mauer angebracht war. Er war wie ein Trichter geformt, und am schmaleren Ende war eine Holzkiste befestigt.

«Eine Helgoland-Falle. Die Vogelkundler von der Warte fangen damit Vögel, um sie zu beringen. Hier gibt es seit den fünfziger Jahren naturkundliche Forschungen; anfangs ein paar Holzbaracken am Nordhafen. Die beiden Gründer waren ehemalige Kriegsgefangene, deren großer Traum es war, nach ihrer Rückkehr eine Station zur Erforschung von Vögeln und Pflanzen einzurichten. Als der Leuchtturm an der Nordspitze automatisiert wurde, gab es eine riesige Benefizaktion, um das nötige Geld aufzutreiben und die Nebengebäude zu einer modernen Vogelwarte umzubauen. Im Frühjahr gibt es auch Seminare für Botaniker, aber um diese Jahreszeit ist sie fest in der Hand der Vogelbeobachter. Zeitweise fällt man hier auf Schritt und Tritt über irgendwelche Typen mit Feldstechern und Fernrohren, die hinter seltenen Vögeln her sind.» Perez schwieg einen Moment. «Richtige Fanatiker sind das.»

«Wie ist denn das Verhältnis zwischen den Leuten aus der Warte und den Inselbewohnern? Kommen sie miteinander klar?»

«In der Regel schon. Wir sind ja alle mit der Vogelwarte groß geworden und waren auch mit dem Umbau des Leuchtturms einverstanden. Er liegt so weit von den übrigen Häusern entfernt, dass da ohnehin kein Mensch wohnen wollte. Und für den Laden, das Schiff und das Postamt ist es ein hübscher Zusatzverdienst. Hin und wieder gibt es Beschwerden, weil Touristen Mauern beschädigt oder Felder zertrampelt haben, wenn sie auf den Grundstücken der Anwohner unterwegs waren, aber ein Sturm wie dieser richtet sehr viel mehr Schaden an als eine Horde Vogelkundler. Maurice und Angela leiten die Warte jetzt seit fünf Jahren, und die Anwohner scheinen sie zu mögen.»

«Hat deine Mutter nicht von einer Jane gesprochen?»

«Jane ist die Köchin. Sie ist so tüchtig, dass einem angst und bange werden kann. Die ganze Insel feiert inzwischen ihre Feste dort, weil Jane so gut kocht.»

Perez setzte sich wieder in Bewegung. Vor ihnen befand sich eine Bucht, die auf der einen Seite von Sandstrand, auf der anderen von Felsen und Kies gesäumt wurde.

«Das ist der Nordhafen, wo die Good Shepherd anlegt», sagte Perez. «Im Sommer liegt sie hier vertäut, aber jetzt hat man sie auf die Slip gezogen. Na komm. Nicht müde werden. Wir haben noch ein ganzes Stück Weg vor uns.»

Nachdem sie auf der einspurigen Straße um eine Kurve gebogen waren, standen sie schließlich unvermittelt vor dem Leuchtturm: Er ragte hinter einer Reihe weißgetünchter Häuschen auf. Der Komplex wurde von einer niedrigen, ebenfalls weißgetünchten Steinmauer umschlossen; auf einer Seite des asphaltierten Innenhofs waren Wäscheleinen gespannt.

Fran war von dem langen Weg durch den Wind ganz erschöpft. Das Wetter war noch sehr viel trüber geworden, und das Licht in den kleinen Fenstern wirkte umso anheimelnder.

Sie freute sich auf einen Tee, ein Kaminfeuer und ein bisschen Ruhe vor dem erbarmungslosen Heulen des Sturms, hatte aber einige Bedenken, ob sie es zu Fuß zurück ans andere Ende der Insel schaffen würde.

Perez öffnete die Tür zu einer Veranda, die mit Haken für Wanderkleidung und einer Bank voller Stiefel und Schuhe ausgestattet war. Es roch nach nassen Gummistiefeln, gebrauchten Socken und Wachsjacken. Von drinnen waren laute Stimmen zu hören.

«Es tut mir leid, aber das geht wirklich nicht.» Eine entschiedene Frauenstimme; sie schien daran gewöhnt zu sein, dass man auf sie hörte. Eine gebildete Engländerin. «Du hättest heute früh das Flugzeug nehmen können. Wir haben allen erklärt, dass das Boot morgen vermutlich nicht fahren wird. Und die Besatzung setzt ganz bestimmt nicht ihr Leben aufs Spiel, weil du dich plötzlich langweilst.»

Fran dachte sich, dass das wohl Jane sein musste, die Köchin. Zumindest klang die Frau, die da sprach, so tüchtig, dass einem angst und bange werden konnte.

«Von dem Flugzeug hat mir keiner was gesagt!» Noch eine weibliche Stimme, jünger und mit dem quengelnden Unterton eines verwöhnten Teenagers.

«Es wurde beim Frühstück verkündet.»

«Du weißt genau, dass ich nie mitfrühstücke. Ihr hättet es mir doch sagen können. Wieso hat mein Vater mir nichts davon gesagt?»

«Es hätte nichts gebracht. Die verfügbaren Plätze waren alle schon vergeben.»

«O Mann!» Ein trotziger Wutschrei, doch Fran glaubte, echte Panik darin zu hören, dieselbe Panik, die sie selbst verspürt hatte, als sie glaubte, das Flugzeug würde abstürzen. «Ich hasse diesen beschissenen Ort! Wenn ich noch einen Tag länger hierbleiben muss, krieg ich echt die Krise!»

Kapitel 4

Perez lag im Gästezimmer seiner Eltern, das früher einmal sein Kinderzimmer gewesen war, und war hellwach. Fran neben ihm schlief tief und fest. Die Zimmerverteilung hatte seinen Eltern vermutlich einiges Kopfzerbrechen bereitet. Das zweite Gästezimmer war winzig und beherbergte inzwischen einen Schreibtisch, den Computer und eine gewaltige metallene Hängeregistratur, die Mary sich gesichert hatte, als sie aus dem Sekretariat der Grundschule ausgemistet wurde. Da hatte nicht einmal mehr ein Klappbett Platz. Perez hatte bereits damit gerechnet, die Nächte auf dem Sofa im Wohnzimmer zu verbringen. Er kannte schließlich die strengen moralischen Ansichten seines Vaters. Doch falls es tatsächlich Diskussionen darüber gegeben hatte, ob Fran und er nun im selben Bett schlafen durften oder nicht, hatte Mary sich ganz offensichtlich durchgesetzt. Sie hatte gar nicht erst versucht, ihren Triumph zu verbergen, als sie ihnen das Zimmer unterm Dach gezeigt hatte.

«Hat sich ganz schön verändert, was, Jimmy? Kein Vergleich zu früher, als du noch hier gewohnt hast.»

Das Zimmer war ihnen zu Ehren neu eingerichtet worden. Ein neues Doppelbett, neue Vorhänge mit großen blauen Blüten und passende Bettbezüge. Auf der alten Kommode lagen zwei sorgfältig gefaltete blaue Handtücher. Anscheinend sah seine Mutter sich Schöner-Wohnen-Shows im Nachmittagsfernsehen an, wenn das schlechte Wetter sie von der Arbeit draußen abhielt.

Während er so dalag und dem Wind lauschte, der an den Dachziegeln zerrte, fiel Perez plötzlich die erste Frau ein, mit der er geschlafen hatte. Wie aus dem Nichts stand ihm ihr Bild vor Augen, erstaunlich lebendig. Sie war bereits eine Frau gewesen, während er noch ein Junge war. Beate. Eine junge Studentin aus Deutschland, die an einem Projekt des National Trust for Scotland teilgenommen und einen Sommermonat lang mit den übrigen Teilnehmern im Puffin, der alten umgebauten Fischhandlung, kampiert hatte. Perez war damals sechzehn und verbrachte die großen Ferien zu Hause. Sie war einundzwanzig.

Es war das Jahr gewesen, als die Bauarbeiten am Nordhafen stattfanden, das Jahr, in dem Kenneth Williamson als Untermieter bei seinen Eltern in Springfield lebte. Die Studenten halfen auf der Baustelle mit. Eines Abends gab es ein Grillfest im Puffin, zu dem auch Perez eingeladen war. Er erinnerte sich noch an die vielen Flaschen mit deutschem Bier, die reihenweise im Schatten der Hütte standen, an den Geruch von verbranntem Grillfleisch. Er saß im Gras und unterhielt sich mit der jungen Frau, und plötzlich fiel ihm auf, dass sie ihn irgendwie seltsam ansah. Sie hielt die Augen halb geschlossen und wiegte sich ganz leicht hin und her, als hätte sie sich, dachte er jetzt im Rückblick, in einem erotischen Traum verloren.

«Ich will schwimmen gehen», sagte sie dann und riss die Augen wieder weit auf. «Wo kann man denn hier schwimmen?»

Die anderen Studenten waren inzwischen sturzbetrunken und grölten Lieder in Sprachen, die Perez nicht verstand. Er führte sie nach Gunglesund im Westen der Insel, wo es zwischen den Felsen einen natürlichen See gab. Bei starker Flut füllte er sich mit Wasser, das von der Sonne erwärmt wurde und längst nicht so kalt war wie das Meer – allerdings immer noch kalt genug, dass die Kinder kreischten, wenn sie das erste Mal hineinsprangen.

Beate hatte nicht gekreischt. Stattdessen streifte sie ganz selbstverständlich all ihre Kleider ab und ließ sich ins Wasser gleiten. Sie hatte kleine Brüste, einen flachen, braungebrannten Bauch und darunter ein helleres Dreieck vom Bikinihöschen. Ihre Schamhaare waren dunkler, als er erwartet hätte. Sie kraulte mit trägen Schwimmzügen von ihm weg.

Die Sonne, die sich auf dem Wasser spiegelte, blendete ihn, er fühlte sich wie benommen. Es war die Zeit des simmer dim, und es herrschte ein eigentümliches Dämmerlicht, als hätte sich die Sonne einen Augenblick lang verfinstert und käme gerade erst wieder hervor.

«Kommst du nicht mit rein?», rief Beate und drehte sich zu ihm um. Es klang ein wenig ungeduldig. Fast wie ein Befehl.

Er hatte kurz gezögert. Was, wenn jemand kam? Außerdem war ihm bereits klar, dass mehr von ihm erwartet wurde als ein gemeinsames nächtliches Bad. Sie hatte ihn den ganzen Abend begehrlich beäugt, seit er im Puffin angekommen war. Er zog sich aus.

Später bereiteten sie sich ein Lager aus Kleidern auf einem großen flachen Stein, der, als die Sonne tiefer stand, im Schatten lag. Ihre Gier nach seinem Körper machte ihm Angst und schmeichelte ihm zugleich. Und sie erregte ihn. Natürlich tat sie das – es war der heimliche Traum eines jeden jungen Mannes.

Als er in jener Nacht nach Hause kam, schliefen alle schon. Ein Teil von ihm hatte fast damit gerechnet, dass sein Vater irgendwann in der Zimmertür stehen und ihm eine flammende Predigt über die Sünde halten würde. Jimmy Perez ging davon aus, dass alle Welt merken müsste, was ihm Einschneidendes geschehen war. Doch seine Familie schlief tief und fest, und am nächsten Morgen machte seine Mutter ihm Frühstück wie immer.

Monatelang verzehrte er sich nach Beate. Während die Studenten noch im Puffin wohnten, trieb er sich so oft wie möglich dort herum, doch sie schenkte ihm nicht mehr oder weniger Beachtung als den anderen Jungs von der Insel. Die raubtierhafte Gier in ihren Augen war Belustigung gewichen. «Das war doch nichts, Jimmy», sagte sie zu ihm, als ihr seine Anbetung schließlich auf die Nerven ging. «Ein bisschen Spaß an einem Sommerabend.» Nachdem sie abgereist war, wurden seine Träume um einiges wilder. Doch trotz allem waren sie nie nur körperlich: In all seinen Phantasien waren sie ein Paar, lebten zusammen in einer bohemehaften Einzimmerwohnung in der Stadt oder gingen Hand in Hand einen mondhellen Strand entlang.

Anscheinend hatte der Sturm nun doch einen Ziegel vom Dach gerissen, der krachend unten im Garten zerschellte. Der Lärm ging im Heulen des Windes unter, reichte aber, um Perez abrupt in die Gegenwart zurückzuholen. Schon damals, dachte er, war ich süchtig nach Gefühlen. Ich wollte unbedingt geliebt werden. Neben ihm drehte sich Fran auf die andere Seite.

Er fragte sich, ob es vielleicht doch ein Fehler gewesen war, sie hierherzubringen. Fran war eine unabhängige Frau, sie musste es doch schrecklich finden, wie seine Eltern sich in sein Leben einmischten. Welches Recht hatten sie auch, so selbstverständlich über ihre Hochzeit zu entscheiden? Bald würden die ersten Andeutungen kommen, ob es nicht Zeit für ein zweites Kind wäre. Ihr solltet lieber nicht zu lange damit warten. Vielleicht wird es ja nicht gleich ein Junge. Perez wollte sich lieber nicht vorstellen, wie Fran darauf reagieren würde.

Der Sturm machte alles ungleich schlimmer. Bei so einem Wetter fingen selbst die Inselbewohner an zu zanken wie die Kleinkinder, obwohl sie an solche extremen Witterungsbedingungen gewöhnt waren. Die meisten verließen die Insel oft monatelang nicht, doch bei gutem Wetter hatten sie wenigstens theoretisch die Möglichkeit zu gehen, wann immer sie wollten. Im Sommer verkehrte das Postschiff dreimal pro Woche, und es gab regelmäßige Flüge. Im Notfall konnte man sogar ein Flugzeug chartern. Jetzt aber saßen sie genauso fest wie die Touristen. Die Kinder, die auf die Anderson High School in Lerwick gingen, würden nicht rechtzeitig zum Beginn der Herbstferien nach Hause kommen können und fehlten ihren Eltern. Perez hätte bis zum Frühjahr warten sollen, bevor er Fran mit hierher nahm. Dann hätte auch Cassie mitkommen können, und sie hätten die Insel von ihrer besten Seite kennengelernt.

Die Wanderung an die Nordspitze hatte Fran anscheinend sehr erschöpft; sie schlief wie ein Stein. Er spürte ihr Haar an seiner nackten Schulter.

Maurice hatte sie am späten Nachmittag nach Springfield zurückgefahren. Sie hatten sich zu dritt auf den Vordersitz seines Landrovers gezwängt und waren schon nach dem kurzen Weg vom Leuchtturm bis zum Wagen ganz windzerzaust und außer Atem gewesen. Perez hatte den Verwalter der Vogelwarte immer für einen gelassenen Mann gehalten, der kaum aus der Ruhe zu bringen war, doch diesmal schien die allgemeine Anspannung sogar ihn angesteckt zu haben. Er wirkte schweigsam und bedrückt, und der freundliche Smalltalk, an den sich Perez von früheren Begegnungen erinnerte, blieb aus.

«Stimmt irgendwas nicht?» Perez bereute die Frage schon, als er sie stellte. Er war im Urlaub. Falls es tatsächlich Probleme in der Vogelwarte gab, ging ihn das wirklich nichts an. Fran grinste, während der Landrover über einen Weiderost holperte. Du kannst es wirklich nicht lassen, was? Sie betrachtete seine Neugier als eine Art chronisches Leiden und war überzeugt, dass er nur Polizist geworden war, um sich mit Fug und Recht in das Leben anderer Leute einmischen zu dürfen.

Maurice ließ sich Zeit mit der Antwort. «Familienstreitigkeiten», sagte er schließlich. «Vermutlich gibt sich das aber ganz von selbst wieder.» Er stammte aus Birmingham, hatte immer noch einen leichten Midlands-Akzent. Einen Moment lang herrschte Schweigen, während Maurice sich ganz darauf konzentrierte, den Wagen auf der Straße zu halten. Dann fuhr er fort, den Blick weiter stur geradeaus. «Es ist wegen Poppy, meiner Jüngsten. Sie war schon immer schwierig. Meine Exfrau dachte, ein paar Wochen hier auf der Insel könnten sie vielleicht etwas zur Ruhe bringen, sie von schlechtem Umgang zu Hause fernhalten, aber es läuft überhaupt nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Poppy will unbedingt weg, was natürlich nicht geht. Bei den Plätzen im Flugzeug hatten die Gäste Vorrang, die zurück nach Hause wollten. Poppy fühlt sich hier wie im Gefängnis. Sie will einfach nicht einsehen, dass wir absolut nichts tun können. Und jetzt macht sie uns allen das Leben schwer. Besonders Angela.»

Das alles ging Perez jetzt im Bett wieder durch den Kopf. Er dachte an die Probleme innerhalb einer Familie, fragte sich, ob Frans Tochter Cassie ihn wohl auch als bösen Stiefvater betrachten würde, wenn sie erst einmal verheiratet waren, und wie es sein würde, ein eigenes Kind zu haben. Er liebte Cassie so sehr, dass es ihm manchmal schier den Atem nahm. Seine erste Ehe war unter anderem daran gescheitert, dass seine Frau ihr gemeinsames Kind verloren hatte, als die Schwangerschaft bereits weit fortgeschritten war. Hätte das Kind, ein Mädchen, überlebt, wäre es heute etwa so alt wie Cassie. Was würde geschehen, wenn Fran und er ein eigenes Kind bekamen? Würde Cassie sich zurückgesetzt oder vernachlässigt fühlen?

Irgendwann musste er wohl doch eingeschlafen sein, denn als er aufwachte, fiel graues Licht zum Fenster herein, und Regentropfen prasselten wie kleine Geschosse an die Scheiben.

Später ging er mit seinem Vater nach draußen, um die Schäden zu begutachten. Ein paar Ziegel fehlten, das Dach des Schuppens, der früher einmal eine Kuh beherbergt hatte, war abgedeckt. Insgesamt nicht allzu besorgniserregend. Als sie durchnässt und zerzaust vom salz- und sandgetränkten Wind wieder in die Küche kamen, war auch Fran aufgestanden. Sie saß im Bademantel seiner Mutter am Küchentisch und wärmte sich die Hände an einem Becher Kaffee. Die beiden Frauen plauderten angeregt, und Perez, der noch auf der Veranda stand, um die Schuhe auszuziehen, hörte sie kichern. Sarah, seine erste Frau, war bei ihren Besuchen auf der Insel nie so entspannt gewesen. Er spürte, wie sich seine Laune besserte. Vielleicht ging ja doch alles gut. Fran war schließlich stark genug, um mit seinen Eltern fertigzuwerden. Die Frage, ob sie vielleicht eines Tages auf Fair Isle leben würden, schob er einstweilen beiseite.

Sie verbrachten den Tag weitgehend im Haus. Mary arbeitete an ihrer Strickmaschine, die in einer Ecke des Wohnzimmers stand. Den ganzen Vormittag sauste und klapperte es, wenn sie die Wolle auf ihrem Schlitten über die Nadeln zog. Fran hatte sich in ein Buch vertieft. Im Kamin flackerte ein Feuer aus Treibholz und Kohle, im Schornstein heulte der Wind. Am späten Nachmittag ging Fran nach oben, um sich für das Fest umzuziehen.

«Komm mit, Jimmy. Du musst mir sagen, was ich anziehen soll.»

Und während die blauweißen Vorhänge den Sturm draußen aussperrten, liebten sie sich so leise wie möglich, wie zwei Teenager, die die ganze Zeit ein Ohr spitzen, ob die Eltern auch nicht unversehens ins Zimmer kommen.

Später breitete Fran ihre Kleider auf dem Bett aus. «Also, was soll ich anziehen, Jimmy? Machen die Leute sich hier chic?»

Er schüttelte den Kopf; ihre plötzliche Unsicherheit verwirrte ihn. Sie sah immer hinreißend aus, egal, was sie anzog. Und bei den Inselfesten gab es ohnehin keine Kleiderordnung.

«Im Ernst, Jimmy. Ich will, dass sie mich mögen. Ich will, dass du stolz auf mich sein kannst.»

Schließlich entschied sie sich für einen langen Jeansrock, ein leuchtend rotes, durchgeknöpftes Oberteil und flache blaue Schuhe. Sie betrachtete sich lange im Spiegel und nickte dann zufrieden. «Nicht zu elegant, aber doch chic genug, damit sie sehen, dass ich mir Mühe gegeben habe.»

Mary wollte möglichst früh am Leuchtturm sein, um die eintreffenden Gäste willkommen zu heißen. Auch sie wirkte ein wenig angespannt auf Perez. Eigentlich war sie ganz und gar nicht schüchtern, im Gegenteil, doch es schien sie zu verunsichern, in der Vogelwarte und nicht in den eigenen vier Wänden die Gastgeberin zu spielen. Vielleicht wollte sie aber auch nur, dass der Abend besonders schön wurde.

Die Gäste würden mit dem Auto kommen – bei diesem Wetter ging niemand die fünf Kilometer zu Fuß nach Norden. Perez überlegte, wie sich das wohl auswirken würde. An einem Ort wie diesem, wo die Polizei sich nur im Notfall oder zu Vorträgen in der Grundschule blicken ließ, hielt sich normalerweise kaum jemand an Vorschriften über Alkohol am Steuer; doch sie wussten natürlich alle, womit er sein Geld verdiente. Vermutlich gab es genügend Antialkoholiker auf der Insel, die die anderen sicher nach Hause bringen würden. Mary beispielsweise trank nie mehr als ein kleines Glas Wein zum Anstoßen, und sie konnten sicher noch ein, zwei Leute in ihrem Wagen mitnehmen.

In der Warte waren die Tische bereits aus dem Speisesaal geräumt, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Beim Umbau der einstigen Räumlichkeiten des Leuchtturmwärters hatte man etliche Wände eingerissen und große Gemeinschaftsräume daraus gemacht. Jane war in der Küche beschäftigt, und Perez ging zu ihr hinein, um ihr noch einmal für all die Mühe zu danken. Sie gab ihm lächelnd die Hand, schien aber nicht ganz bei der Sache zu sein.

«Dann servieren wir das Essen also gegen neun, wie üblich.»

«Wie läuft es denn so in der Warte?» Perez kam sich vor wie ein altes Weib, ganz versessen auf Klatsch und Tratsch. Das war doch lächerlich. Wieso konnte er sich nicht auf seine eigenen Belange konzentrieren? Seine heimliche Hoffnung auf weitere Informationen über Maurice und seine schwierige Teenager-Tochter wurde enttäuscht. Damit hätte er eigentlich rechnen können: Jane war diskret.

«Wir hatten eine sehr gute Saison», erwiderte sie mit knappem Lächeln.

Draußen waren die Musiker eingetroffen. Der Geiger stimmte seine Fiddle, dann begannen sie mit dem ersten Reel, und Perez wippte unwillkürlich im Takt mit. Von der Küche aus sah er Fran, die von einem Grüppchen Inselbewohner umringt war. Sie hielt den Kopf ein wenig schräg und lauschte ihnen aufmerksam, mit aufgerissenen Augen, als wäre sie völlig fasziniert von dem, was sie hörte. Dann sagte sie ihrerseits etwas, und alle lachten.

Natürlich werden sie ganz begeistert von ihr sein. Sie meistert das alles so gut. Sie werden gar nicht anders können, als sie zu mögen.

Dann ging er zu ihr, nahm sie bei der Hand und führte sie zum ersten Tanz auf die Tanzfläche. Er wusste schließlich, was von ihm erwartet wurde.

Kapitel 5

Am Nachmittag vor dem Fest hatte Jane sich in ihr Zimmer im hinteren Teil der Vogelwarte zurückgezogen. Sie liebte diesen Raum, der sie mit seiner hohen Decke und dem schmalen Fenster ein bisschen an eine Klosterzelle erinnerte. Ein schmales Bett fand sich darin, ein Kleiderschrank mit integrierter Kommode und außerdem ein kleines Waschbecken. Auf dem Nachttisch stand ihr Rundfunkgerät, wie sie es noch immer bei sich nannte (ein Erbe ihrer äußerst altmodischen Eltern), das immer auf den Kultursender Radio4 gestellt war, auf dem Fensterbrett eine Reihe von Büchern, mit den Rücken nach vorn, wie im Regal. Und auf der Kommode stapelten sich die Kreuzworträtsel aus der Times, die ihre Schwester jede Woche für sie ausschnitt und ihr mit der Post schickte. Diese Kreuzworträtsel waren das Einzige, was Jane in ihrer Abgeschiedenheit wirklich fehlte. Einen Moment lang fragte sie sich flüchtig, ob man als Nonne in einer strengen Ordensgemeinschaft wohl Kreuzworträtsel lösen durfte, und überlegte dann, ob in weniger fortschrittlichen Zeiten wohl viele lesbische Frauen ins Kloster gegangen waren. Wahrscheinlich war es der einzige Weg, sich einer Ehe und der Mutterschaft zu entziehen.

Die Schlichtheit des Zimmers gefiel ihr sehr. Als sie im Winter, als die Warte für Gäste geschlossen blieb, für drei Monate zurück in den Süden, nach England, gegangen war, hatte sie vor allem diesen kargen Raum vermisst. Weihnachten hatte sie bei ihrer Schwester und deren Familie verbracht, und das fröhliche Chaos dort, die quäkenden Kinder zwischen Bergen von Geschenkpapier und Schokolade, hatten sie an den Rand des Wahnsinns getrieben. Jeden Abend war sie ins Bett gefallen, betäubt vom Alkohol, den sie brauchte, um nicht durchzudrehen, und hatte von ihrem Zimmer in der Vogelwarte geträumt, von den gestärkten weißen Laken und den leeren weißen Wänden.

Es war vier Uhr, die ruhige Phase, wenn das Geschirr vom Mittagessen aufgeräumt war und das Abendessen noch nicht serviert werden musste. Jane hatte das Essen für die Gäste bereits vorbereitet: Ein Schmortopf garte im Ofen vor sich hin, die Kartoffeln lagen bereits gewaschen bereit, um später ebenfalls auf ein Blech zu kommen. Heute sollte es eine einfache Mahlzeit geben, weil später noch das Fest der Familie Perez stattfand. Bald würde sie wieder in die Küche zurückmüssen, um das Buffet vorzubereiten, doch auch dafür war das meiste bereits getan. Sie streifte die Schuhe ab und legte sich aufs Bett, um sich ein halbes Stündchen auszuruhen. Es war ein Moment völliger Zufriedenheit. Sie genoss den Kontrast zwischen dem Sturm, der draußen tobte, und der friedlichen Ruhe in ihrem Zimmer.

Später, als sie gerade das Essen für das Buffet auf große Platten verteilte und mit Frischhaltefolie abdeckte, stand plötzlich Angela in der Küche. Jane hatte das Radio eingeschaltet, um die Fünf-Uhr-Nachrichten zu hören, doch als sie Angela kommen sah, schaltete sie es aus. Angela befasste sich grundsätzlich nicht mit Haushaltsbelangen, und sie in der Küche zu sehen, war ungewöhnlich. Ihr Lebensraum war die freie Natur. Sie schritt wie eine Amazone über den Berg, das Fernrohr samt Stativ über der Schulter, den Feldstecher um den Hals. Drinnen wirkte sie immer rastlos, wie eingesperrt.

Jane vermutete, dass es um Poppy ging. Sie mochten Maurice’ jüngste Tochter beide nicht sonderlich – das war so ziemlich das Einzige, was sie gemeinsam hatten. Vielleicht hatte Angela ja eine Idee, wie man das Mädchen bändigen konnte. Doch die Vogelwartin hatte etwas völlig anderes im Sinn.

«Ich würde gern mit dir reden», sagte sie. «Über nächstes Jahr.»

Jane schaute von der Platte mit den Pasteten auf. «Gerne.» Ein wenig erstaunt war sie schon: Normalerweise überließ Angela Maurice die Verwaltung des Hauspersonals. «Ich könnte nächste Saison vielleicht schon etwas früher kommen. Die Küche sollte einmal gründlich gereinigt werden, und sobald die ersten Gäste da sind, kommen wir nicht mehr dazu. Außerdem könnte ich schon einiges vorbacken und die Tiefkühltruhe auffüllen. Das nimmt den Druck weg, wenn die erste Invasion anrückt.» Als Angela nicht gleich antwortete, fuhr sie fort: «Ihr braucht mir für diese Zeit natürlich nicht mein volles Gehalt zu zahlen.» Im Grunde hätte Jane auch ganz umsonst gearbeitet, doch ihr war klar, dass so ein Angebot dann doch sonderbar auf Angela gewirkt hätte. Sie malte sich aus, wie sie die paar Wochen vor Beginn der Saison genießen würde, stellte sich vor, wie die Küche aussehen würde, wenn sie von oben bis unten geputzt war: die glänzenden roten Fliesen, Herd und Speisekammer blitzeblank.

Angela sah sie lange an. «Darum geht es ja gerade. Es kann sein, dass wir dich nächstes Jahr gar nicht mehr brauchen.»

«Ihr braucht keine Köchin mehr?» Jane begriff nicht. Sie spürte, wie sie in Panik geriet. Fassungslos starrte sie die jüngere Frau an. Angela trug ihr Haar heute offen, es fiel ihr wie ein schwarzer Umhang über den Rücken.

«Natürlich brauchen wir eine Köchin. Nur eben nicht dich.» Angela klang belustigt und ein wenig ungeduldig. Sie hatte Besseres zu tun.

«Das verstehe ich nicht.» Das zumindest entsprach der Wahrheit. Jane war sich sicher, dass man in der Vogelwarte noch nie eine so gute Köchin wie sie beschäftigt hatte. Um das zu wissen, brauchte sie weder die Komplimente der Gäste noch Maurice’ Kommentare nach einer besonders hektischen Woche: Ich weiß wirklich nicht, was wir ohne dich anfangen würden. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie wir hier klargekommen sind, bevor du da warst.

«Der Vorsitzende des Trägervereins möchte, dass wir seine Patentochter einstellen. Sie hat gerade ihre Gastronomieausbildung abgeschlossen und ist hervorragend qualifiziert.»

«Dann kann sie mir ja zur Hand gehen.» Jane sagte es, obwohl sie ganz genau wusste, wie nervenaufreibend das sein würde. Sie schätzte Hilfen, die taten, was man ihnen sagte, die sich damit begnügten, das Gemüse zu putzen und sich auf die einfachen Dinge zu konzentrieren. Eine Küchenhilfe, die glaubte, alles besser zu wissen, war wirklich das Letzte, was sie brauchen konnte. Am liebsten hatte sie die Küche ohnehin für sich allein. Sie war sehr erleichtert gewesen, als das letzte Küchenmädchen, eine fröhliche Orkadierin namens Mandy, vergangene Woche mit der Good Shepherd abgereist war.

«Das haben wir auch vorgeschlagen», erwiderte Angela in selbstgefälligem Ton. «Aber es kommt leider nicht in Frage.»

«Das ist doch wohl Maurice’ Entscheidung und nicht die des Vereinsvorsitzenden.»

«Theoretisch schon.» Angela lächelte. «Aber Christopher hat sich erboten, der Warte eine stattliche Summe zu spenden. Das Geld würde uns erlauben, die Bibliothek rundum zu aktualisieren und endlich den alten Bürocomputer auszutauschen. Unter diesen Umständen können wir sein Angebot, uns auch noch eine neue Köchin zu verschaffen, unmöglich ausschlagen.»

Christopher Miles besaß eine eigene Firma im Norden Englands. Jane hatte ihn nur einmal kurz kennengelernt, als der Trägerverein seine jährliche Mitgliederversammlung auf der Insel abhielt. Seine Begeisterung gefiel ihr, und er hatte überhaupt nicht wichtigtuerisch auf sie gewirkt. Vetternwirtschaft passte nicht zu ihm. Sie vermutete, dass der Vorschlag, seine Patentochter einzustellen, von Angela gekommen war, um sich die großzügige Schenkung auch wirklich zu sichern.

«Und was sagt Maurice dazu?»

«Wie ich schon sagte, es ist im Grunde nicht an Maurice, das zu entscheiden. Wir alle sind beim Trägerverein angestellt.» Sie musterte Jane. «Du hast doch sowieso nur einen befristeten Vertrag. Wir sind keineswegs verpflichtet, dich jedes Jahr wieder zu beschäftigen. Du bist eine gebildete Frau. Ich hätte eigentlich gedacht, dass dich die Arbeit hier längst langweilt.»

Damit drehte sie sich um und marschierte mit wehendem Haar aus der Küche.

Jane füllte wie in Trance eine weitere Platte mit Quiche-Stücken. Es dauerte ein paar Minuten, bis sie bemerkte, dass sie weinte.

 

Normalerweise genoss Jane die Tanzveranstaltungen im Leuchtturm. Das erinnerte sie ein wenig an Dees Feste, früher, in ihrem Haus. Dees Filmfreunde begeisterten sich zwar eher nicht für Fiddle und Akkordeon und tanzten auch weder den Eightsome Reel noch den Dashing White Sergeant, doch hier wie dort hatte Jane das Gefühl, die Veranstaltung im Griff zu haben. Es freute sie zu sehen, dass die Gäste sich amüsierten, und zu wissen, dass das an ihren Kochkünsten und ihrem Organisationstalent lag.

Jetzt war sie fest entschlossen, Angela nicht merken zu lassen, wie aufgewühlt sie war. Es war schließlich ein Fest, das durfte man auf keinen Fall verderben. Und wieso sollte sie dieser arroganten und manipulativen Frau auch nur den leisesten Triumph gönnen? Maurice würde nicht zulassen, dass Angela sie feuerte, davon war Jane überzeugt. Sie erleichterte ihm schließlich das Leben, und Maurice hatte es gern bequem.