Südafrika - Christoph Marx - E-Book

Südafrika E-Book

Christoph Marx

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Beschreibung

Südafrika blickt auf eine jahrtausendealte Geschichte zurück und gilt als Ursprungsort der Menschheit. Mit dem Eintreffen der ersten Schiffe der niederländischen Ostindien-Handelskompanie begann die Kolonialgeschichte Südafrikas, die Zwangseinwanderung von Sklaven und die systematische Unterwerfung der indigenen Bevölkerung. Die Apartheidpolitik des 20. Jahrhunderts bedeutete eine weitere Verschärfung des Rassismus, der zur Grundlage der Staatsordnung wurde. Christoph Marx vermittelt gut lesbar die grundlegenden Informationen zur Geschichte des Landes bis in die unmittelbare Gegenwart. Dabei legt er einen Schwerpunkt auf die politische Ereignisgeschichte vor allem des 20. Jahrhunderts und einen weiteren auf die ungemein facettenreiche Wirtschafts-, Kultur- und Sozialgeschichte.

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Christoph Marx

Südafrika

Geschichte und Gegenwart

2., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dem Andenken an meine Mutter, Hildegard Marx, gewidmet.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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2. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-041004-6

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-041005-3

epub:        ISBN 978-3-17-041006-0

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhalt

 

 

Vorbemerkung zur verwendeten Terminologie

1   Die Frühzeit und die langen Konstanten der Geschichte

2   Die Zeit der Vereinigten Ostindischen Kompanie

3   Der Zusammenbruch der VOC-Herrschaft und die Konflikte an der Ostgrenze

4   

Frontiers

und Aufbrüche

5   Freihandelsimperialismus und Siedlerbeteiligung

6   Eroberung und Unterwerfung 1877–1902

7   Die Übergangszeit nach dem Burenkrieg

8   Konkurrierende Nationalismen (1910–1948)

9   Südafrikas Zeitalter der Extreme: Die erste Phase der Apartheid 1948–1966

10 Der Sicherheitsstaat: Die Apartheid in der Defensive, 1966–1989

11 Der Übergang zur Demokratie

12 Neuanfang und Kontinuität: Von Mandela zu Mbeki 1994–2008

13 Zuma und »State Capture«

14 Ausblick: Cyril Ramaphosa als Hoffnungsträger

Auswahlbibliografie

Abbildungsverzeichnis

Vorbemerkung zur verwendeten Terminologie

 

 

Wer über Südafrikas Bevölkerungsgruppen schreibt, betritt ein vermintes Feld, da durch die rassistischen Konnotationen viele Benennungen historisch belastet sind. Die hier benutzten Begriffe sind ausdrücklich in einem neutralen Sinn und im Hinblick auf Verständlichkeit und gute Lesbarkeit des Textes benutzt worden; Bewertungen sind damit nicht impliziert. Im Deutschen hat sich der Begriff »Bure« ohne die im Englischen negativen Konnotationen eingebürgert, sodass er hier durchgehend verwendet wird. Die Selbstbezeichnung der Buren als »Afrikaner«, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert in Südafrika durchgesetzt hat, unterscheidet sich im deutschen Schriftbild nicht von »Afrikaner« für die schwarze Mehrheit. Für letztere wurde darum der Begriff »Schwarze« als deutsche Übersetzung von »Black« benutzt, das seit der Black Consciousness-Bewegung eine allgemein verwendete Selbstbezeichnung geworden ist. Reserviert man Afrikaner nur für die bantusprachige Mehrheit, wie dies in der Fachliteratur üblich ist, schließt man die anderen Bevölkerungsgruppen aus, als handle es sich z. B. bei den Coloureds nicht auch um Afrikaner. Der Name Coloureds wird in diesem Text ohne Verlegenheitsanführungszeichen geschrieben und folgt damit der Verwendung durch die damit gemeinte Bevölkerung selbst. Der Begriff »Inder« wird der Einfachheit halber benutzt, um komplizierte, wenn auch politisch korrekte Beschreibungen wie »Südafrikaner südasiatischer Herkunft« zu vermeiden. Begriffe werden einzig um der Lesbarkeit willen in männlicher Form benutzt, wobei, wenn z. B. von Bauern die Rede ist, selbstverständlich Bäuerinnen mit gemeint sind.

1          Die Frühzeit und die langen Konstanten der Geschichte

 

 

1.1       Die Wiege der Menschheit

Im November 1924 erhielt ein 32-jähriger Professor für Anatomie an der University of the Witwatersrand im südafrikanischen Johannesburg einen fossilen Kinderschädel zugesandt. Nach dessen eingehender Untersuchung verkündete er im Februar 1925, dass der Schädel einer bisher unbekannten Hominidenart zuzurechnen sei, die er Australopithecus (der Affe des Südens) nannte. Mit dieser Erkenntnis revolutionierte der gebürtige Australier Raymond Dart das Bild von der Frühgeschichte der Menschheit. Bis dahin hatte die Gelehrtenwelt vermutet, dass der Ursprung der Menschheit in Europa oder in Asien lag. Darts Entdeckung war lange umstritten, doch spätere Funde bestätigten, dass die Vorläufer des Homo Sapiens aus Afrika stammten. Mittlerweile hat sich das Bild jedoch erheblich differenziert, da man zahlreiche Arten von Hominiden gefunden hat, von denen einige als Vorläufer des Homo Sapiens in Frage kommen. Sie lebten in besonders großer Zahl und Vielfalt im südlichen und östlichen Afrika und breiteten sich von dort vor ca. 2 Millionen Jahren in andere Teile der Welt aus.

Seit den 1950er Jahren begannen südafrikanische Paläoanthropologen, in einem Gebiet westlich der Hauptstadt Pretoria systematisch fossilierte Knochen auszugraben und zu untersuchen. Mit Hilfe neu entwickelter Datierungstechniken gelang es ihnen, hunderte von Knochenfunden auf einen Zeitraum zu bestimmen, der ein bis zwei Millionen Jahre zurückreichte. Damit wurde die Evolutionsgeschichte des Menschen erheblich ausgeweitet. Die Dichte der Funde belegt mittlerweile, dass der Ursprung der Menschheit in Afrika zu suchen ist, d. h. ungeachtet der Ausbreitung von Vorläufern des Homo Sapiens in andere Weltregionen fand die eigentliche Weiterentwicklung vom Australopithecus über den Homo Erectus zum Homo Sapiens vor ca. 200 000 Jahren im südlichen Afrika statt. Vor ca. 70 000 Jahren begannen diese Menschen, sich auch außerhalb Afrikas auszubreiten. Dies gelang ihnen aufgrund ihres spezifischen Entwicklungspfades, denn der Homo Sapiens entwickelte sich aus derjenigen Vorform des Menschen, die sich nicht mehr biologisch durch Mutation an wechselnde Habitate anpasste, sondern kulturell, indem sie Werkzeuge nutzte und soziale Techniken des Überlebens intensivierte.

In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung große Fortschritte gemacht, als neue Funde das Bild der menschlichen Evolution erheblich erweiterten und differenzierten. So entdeckte im August 2008 der damals neunjährige Matthew Berger einen Knochen, über den eine bis dahin unbekannte Spezies identifiziert werden konnte, die Australopithecus sediba getauft wurde. Im Mai 2010 wurde mit dem Homo gautengensis eine weitere neue Spezies gefunden, die bereits der Gattung Mensch zuzurechnen ist. Diese südafrikanischen Funde sind weitere Belege für die These, dass sich die Vorgeschichte des Menschen offensichtlich im südlichen und östlichen Afrika abspielte und dass die Gattung Homo Sapiens sich von hier aus über den Globus ausbreitete.

Schon die Australopithecinen benutzten Werkzeuge, allerdings wenig systematisch. Erst die frühen Vertreter der Gattung Homo entwickelten Werkzeuge, die sie ursprünglich eher zufällig entdeckt haben dürften, zielgerichtet weiter. Die Kulturentwicklung beginnt nicht erst mit dem Homo Sapiens, die Steinzeit reicht viel weiter als bis zu dessen erstem Auftreten vor 70 000 Jahren zurück. Lernen ist bis zu dieser Zeit noch mit der biologischen Weiterentwicklung zum Homo Sapiens, insbesondere mit dem Wachstum des Gehirns, eng verknüpft. Beim Homo Sapiens konnte jedoch die kulturelle Entwicklung, nachdem die biologische Evolution weitgehend abgeschlossen war, ihrer Eigendynamik folgen. Menschen zeichneten sich fortan dadurch aus, dass sie als gesellschaftliche Wesen auftraten, die miteinander über Sprache und Symbolsysteme kommunizierten.

Den Zeitraum, da die Vorläufer des heutigen Menschen zum ersten Mal Steine benutzten, die sie bald zu Faustkeilen und anderen einfachen Werkzeugen bearbeiteten, nennt man die frühe Steinzeit, die auf den Zeitraum zwischen 2,5 Millionen und 250 000 Jahren berechnet wird. Die Funde in Südafrika zählen zu den ältesten, denn sie beziehen neben den frühen Vorläufern des Homo Sapiens sogar die Australopithecinen mit ein. Funde entsprechender Werkzeuge in Europa können auf eine Zeit datiert werden, die im Gegensatz dazu »nur« etwa 600 000 Jahre zurückreicht. In den langen Jahrtausenden der frühen Steinzeit wurden die Werkzeuge allmählich nicht nur feiner, sondern differenzierten sich für spezifische Zwecke aus. Diese Entwicklung setzte sich in der mittleren Steinzeit fort, die vor etwa 25 000 Jahren endete. In dieser Zeit lebten die Vorläufer des Homo Sapiens bereits in Höhlen und hatten eine größere Mobilität entwickelt, weil sie entdeckt hatten, dass sich Wasser in den Schalen von Straußeneiern transportieren ließ. Bereits für die Zeit vor 77 000 Jahren, also noch vor dem Erscheinen des Homo Sapiens, ist die Nutzung des Feuers durch Ablagerungen von Asche nachgewiesen ebenso wie die erste Benutzung von Symbolen. Dabei handelte es sich um Ornamente auf Muschelschalen, die möglicherweise Kennzeichen von Gruppenzugehörigkeit waren. Keinesfalls darf man für einen so riesigen Zeitraum von einer Siedlungskontinuität in dem Sinn sprechen, dass in derselben Region ortsfeste Gruppen und ihre Nachkommen von der Frühzeit des Menschen bis in die jüngere Vergangenheit gelebt hätten. Es führt keine gerade und nachweisbare Linie von den Menschen der Altsteinzeit zu den rezenten Buschleuten, die ihre kulturellen Spuren in den Felsmalereien hinterlassen haben.

Der Begriff der Steinzeit ist eine relative archäologische Datierung und bezieht sich auf erhaltene Artefakte aus Stein. Aus diesem Grund ist es möglich, dass Bevölkerungen, die Steinwerkzeuge benutzten, zur gleichen Zeit und im selben Gebiet lebten, wie Menschen, die bereits Metallverarbeitung kannten. Dies gilt für das südliche Afrika für die letzten 2000 Jahre, da die Khoisan keine Metalle bearbeiteten, ihre bantusprachigen Nachbarn jedoch sehr wohl.

Selbst für die späte Steinzeit gibt es nur ungefähre Zeitangaben, da die Entwicklungen regional höchst unterschiedlich verliefen. Die »neolitische Revolution« mit der Herausbildung von Ackerbau und Viehzucht sowie der Entstehung der ersten städtischen Siedlungen ist nur regional datierbar. Die späte Steinzeit brachte im südlichen Afrika neue technische Erfindungen, vor allem mit dem Aufkommen von Pfeil und Bogen und besonders fein gearbeiteten, sehr kleinen Steinwerkzeugen. Etwa 10 000 Jahre vor unserer Zeit nimmt die Zahl der spätsteinzeitlichen Fundorte im südlichen Afrika stark zu, was auf ein rasches Bevölkerungswachstum hinweist. Dies hat auch mit der letzten Eiszeit zu tun, die im südlichen Afrika in Form eines feuchteren Klimas und damit einhergehender größerer Pflanzen- und Tiervielfalt zum Ausdruck kam. Wir wissen aus den archäologischen Funden viel über die frühe Geschichte der Technologie, doch erst ab den Felsbildern, deren älteste etwa 20 000 Jahre alt sind, lässt sich eine Kontinuität der Bevölkerung annehmen und vermuten, dass die Schöpfer dieser Bilder möglicherweise die Vorfahren der heutigen Khoisan waren. Doch bevor auf die Bevölkerung Südafrikas in historisch greifbarer Zeit eingegangen wird, soll in aller Kürze ihr Lebensraum vorgestellt werden.

1.2       Der menschliche Lebensraum Südafrika

Als südliches Afrika wird der Raum südlich der Flüsse Sambesi und Kunene bezeichnet, als Südafrika dagegen das Gebiet, das heute die Republik Südafrika ausmacht. Letzteres ist 1,2 Millionen km2 groß und erstreckt sich zwischen dem 35. und dem 22. Grad südlicher Breite. Südafrika liegt darum in zwei unterschiedlichen Klimazonen, was erhebliche Auswirkungen auf Bevölkerungsverteilung und Wirtschaftsentwicklung hatte. Der größte, nördlichere Teil des Landes ist Sommerregenzone, weshalb die Hauptniederschläge im südlichen Sommer, nämlich zwischen November und März fallen, während sich die Winter durch wolkenlose Himmel auszeichnen. Obwohl die Tageshöchsttemperaturen diejenigen eines mitteleuropäischen Frühlingstages erreichen können, haben die fehlenden Wolken in der Nacht starke Abkühlungen zur Folge. Daraus resultieren erhebliche tägliche Temperaturschwanken, die im Zentrum des Landes gelegentlich bis zu 30° C. ausmachen können. Den klimatischen Bedingungen sind auch die Hauptnahrungspflanzen angepasst, die die Afrikaner in der vorkolonialen Zeit anbauten, vor allem Hirse und Sorghum. Das Sommerregengebiet lässt sich seinerseits in zwei Großregionen unterteilen, zunächst den Küstenstreifen am Indischen Ozean zwischen dem heutigen Mosambik und der Hafenstadt Port Elizabeth. Dieses Gebiet liegt zwischen dem Meer und Gebirgszügen, die parallel zur Küste verlaufen und bei Lesotho, einem Enklavenstaat mitten im heutigen Südafrika, alpine Höhen von mehr als 3000 Meter erreichen. Dadurch kommt es zu Steigungsregen, zumal die Ostküste von den Monsunwinden des Indischen Ozeans erreicht wird. Zahlreiche kleinere Flüsse haben sich tief in die Hügellandschaft eingegraben, die dadurch außerordentlich stark gegliedert ist. Der größte dieser Flüsse ist der Tugela, der lange Zeit die Südgrenze des Zulureiches bildete. Die Region zeichnete sich schon in vorkolonialer Zeit durch eine vergleichsweise dichte Besiedlung aus.

Die zweite Region, das Landesinnere Südafrikas, bezeichnet man als Highveld, eine typisch südafrikanische bilinguale Wortbildung – ein Hochland, das aus leicht hügeligen Ebenen besteht, die bis zu 2000 Meter über dem Meeresspiegel liegen und dadurch frei von den meisten tropischen Infektionskrankheiten wie Malaria oder Tsetse sind. Im Zentrum des südlichen Afrikas erstreckt sich mit der Kalahari eine große Wüste, die den größten Teil des heutigen Botswana einnimmt. Es ist im Wesentlichen den Monsunregen zu verdanken, dass die Kalahari nicht bis zur Ostküste reicht. Das Niederschlagsgefälle von Ost nach West hat Auswirkungen auf die menschlichen Lebensformen, denn die westlichen Regionen sind sehr dünn besiedelt, während im Osten, vor allem in Flusstälern, größere Bevölkerungsdichten erreicht werden. Die 50 cm-Niederschlagsgrenze im Jahresdurchschnitt zieht sich durch dieses Gebiet, jenseits derer landwirtschaftlicher Anbau mit großen Risiken behaftet ist.

Die Menschen, die das Highveld bewohnen, gehören der Sprachgruppe der Tswana-Sotho an, was sich auch in den Namen der beiden Nachbarstaaten Südafrikas, Botswana und Lesotho, wiederfindet. Das Highveld wird durch zwei große Flusssysteme gegliedert, nämlich den Limpopo, der die Nordgrenze des heutigen Südafrika bildet und in Mosambik in den Indischen Ozean mündet. Das andere, größere Flusssystem, der Oranje und sein wichtigster Nebenfluss, der wegen seines schlammigen Wassers der »fahle Fluss« (Vaal River) genannt wird, erstreckt sich entlang des Südrands der Kalahari zum Atlantik. Sein letzter Abschnitt bildet heute die Staatsgrenze zu Namibia. Insgesamt ist jedoch das Highveld weniger mit Wasserläufen gesegnet als die Ostküste und häufiger von Dürren bedroht. Wegen Stromschnellen und Wasserfällen, aber auch aufgrund des stark variierenden Wasserstandes ist keiner der südafrikanischen Flüsse schiffbar.

Ähnlich wie nach Osten wird das Highveld auch nach Süden durch eine Bergkette vom Küstenstreifen getrennt. Im Unterschied zum Rest des Landes gehört die Südküste zu einer anderen Klimazone. Sie ist nämlich von einem mediterranen Klima mit Winterregen (Juni bis August) und heißen, trockenen Sommern geprägt. Diese Zone reicht etwa von Port Elizabeth bis ans Kap der Guten Hoffnung und einige hundert Kilometer an der Atlantikküste nach Norden. Da sich die Wolken, die vom Indischen Ozean kommen, an dem parallel zur Südküste verlaufenden Gebirge abregnen, bleibt das Land nördlich davon entsprechend trocken: die große Halbwüste der Karoo, die einen beträchtlichen Teil des Northern, Western und Eastern Cape ausmacht. Weil der Süden durch die Karoo und die nördlich daran anschließende Kalahari vom subtropischen Afrika getrennt ist, konnte sich hier eine eigene ökologische Zone herausbilden, die kleinste von insgesamt sechs botanischen Provinzen der Erde, die aber die höchste Artenvielfalt aufweist. Dies betrifft vor allem kleine Strauchgewächse, den sogenannten fynbos (wörtl.: Feinbusch), zu dem etwa der Rooibos (Rotbusch) zählt, aus dem Tee gewonnen wird, der sich mittlerweile in Europa großer Beliebtheit erfreut. Vor allem aber gab es keine domestizierte indigene Nahrungspflanze, die in dieser Region gedieh, weshalb das Siedlungsgebiet der bantusprachigen Afrikaner, die auch Bodenbau betrieben, auf das Sommerregengebiet beschränkt blieb. Dagegen siedelten die als Viehzüchter lebenden Khoikhoi weiter westlich bis zur Atlantikküste.

1.3       Die KhoiSan

Die steinzeitlichen Bewohner des südlichen Afrikas weisen für die letzten etwa 20 000 Jahre eine Siedlungskontinuität auf, wofür ihre Felsbilder die Hauptbelege sind, die man im gesamten südlichen Afrika heute noch bewundern kann. So geht das, was man über die gesellschaftlichen Strukturen der Khoisan weiß, auf die Beschreibungen zurück, die andere über sie hinterlassen haben, da diese Bevölkerung keine Schrift benutzte. Es ist immer problematisch, Aussagen zu treffen, die von rezenten Beobachtungen ausgehen und diese auf frühere Zeiten projizieren, weil uns für deren Rekonstruktion die Daten fehlen. Gleichwohl kann man mit einiger Vorsicht aufgrund archäologischer Funde einiges über Strukturen aussagen, die eine lange Dauer aufwiesen. Die Aufmerksamkeit für die langen Zeitdauern in der Geschichte geht auf den französischen Historiker Fernand Braudel zurück. Er hat in seinem berühmten Buch über das Mittelmeer verschiedene Phasen der historischen Entwicklung unterschieden, wobei die »longue durée« Jahrhunderte überspannende, fast stillstehende, weil von ökologischen Naturbedingungen bestimmte Strukturen erfasst. Im südlichen Afrika können solche langdauernden Strukturen neben relativ kurzfristigen Änderungen stehen. So ist die geschlechtliche Arbeitsteilung der Afrikaner offenbar eine solche Konstante, während die Anbauprodukte, Schmuckgegenstände und Kleidung, Literatur und politische Einrichtungen einem rascheren Wandel unterliegen. Beharrung und Innovation finden sich oft gleichzeitig in einer Gesellschaft. Wenn man stabile Strukturen beschreibt, impliziert dies also nicht, dass die beschriebenen Gesellschaften statisch und traditionsverhaftet wären. Auch in Europa gibt es solche Konstanten, etwa bei den Verwandtschaftssystemen, doch kann man von langen Zeitdauern auch in anderen Regionen der Welt ausgehen.

Obwohl über ihren Ursprung und ihre Herkunft nichts weiter bekannt ist, so kann als sicher gelten, dass die Khoisan in kleinen Gruppen weit verstreut im ganzen südlichen Afrika lebten. Ihre Sprachen waren soweit miteinander verwandt, dass die linguistische Bezeichnung dafür auch auf die Bevölkerung selbst angewandt wird: KhoiSan. Wie die Schreibweise schon andeutet, umfasst sie zwei große Bevölkerungsgruppen, die allerdings keine klar voneinander trennbaren politischen oder kulturellen Einheiten bilden, nämlich die San und die Khoikhoi. Sie unterscheiden sich weniger kulturell, als vielmehr in erster Linie durch ihre Wirtschaftsweise, wobei der Wechsel von der einen zur anderen Lebensweise möglich war.

Die eine dieser Gruppen nennt man San oder mit einer älteren Bezeichnung Buschleute, womit ihre Zeitgenossen die Lebensform charakterisierten. Denn Buschleute lebten vor der Kolonialzeit nicht in festen Dörfern oder anderen Siedlungen, die sich von der Wildnis, eben dem Busch, deutlich abgrenzen ließen. Ihren Nachbarn erschienen sie als Bewohner der Wildnis, weil sie sich von dem ernährten, was sie in der Natur fanden. Die Ethnologen sprechen von Wildbeutern, die sich ihre Nahrung durch Jagen und Sammeln sicherten. Neben der Jagd auf Tiere, wozu in den Küstengebieten auch das Sammeln von Meeresfrüchten gehörte, ernährten sich diese Menschen von wild wachsenden Pflanzen. Diese Lebensweise erforderte neben einer hohen Mobilität das Leben in kleinen Gruppen, um die Risiken im Fall von Dürrezeiten oder ausbleibendem Jagdglück so gering wie möglich zu halten. Auch wenn sich die verschiedenen kleineren Gruppen, die selten mehr als 20 Menschen umfassten, zu bestimmten Jahreszeiten zu Festen und Ritualen zusammenfanden, so waren diese größeren Treffen doch zu kurz und die größeren Einheiten zu instabil, um dauerhafte soziale Hierarchien zu begründen. Sie kannten auch nicht die komplexen Verwandtschaftsstrukturen und Heiratsmuster, die man bei anderen Völkern findet. Die stark egalitären Buschleute, bei denen auch die Geschlechter gleichberechtigt waren und es keine Oberhäupter gab, lebten über das ganze südliche Afrika verteilt, denn sie konnten bis zur Ankunft der Weißen in unmittelbarer Nähe des Tafelbergs Großwild jagen, viele von ihnen ernährten sich von Muscheln und Langusten aus dem Meer. Letzteres belegt, dass die letzten heute noch als Wildbeuter lebenden Buschleute in Botswana und Namibia nur einen Ausschnitt der vielfältigen früheren Lebensformen repräsentieren, die den ökologischen Gegebenheiten der jeweiligen Region angepasst waren.

Die Khoikhoi, deren Name nichts anderes bedeutet als »die Menschen der Menschen« oder »die wahren Menschen«, setzten sich mit dieser Bezeichnung von den San ab. Diese Selbstbezeichnung weist darauf hin, dass sie sich für etwas Besseres hielten und den Unterschied in der Lebensweise als ein kulturelles Gefälle bewerteten. Worin unterschieden sich nun die Khoikhoi von den Buschleuten? Biologisch oder auch sprachlich gab es keine Unterschiede, wohl aber hinsichtlich der Wirtschaftsform. Denn die Khoikhoi waren zwar, was ihre pflanzliche Nahrung betraf, Sammler, jagten aber nur gelegentlich, da sie Tiere domestiziert hatten und somit Viehzüchter waren. Die Tiere, die die Khoikhoi in teilweise riesigen Herden hielten, waren die einheimischen Fettschwanzschafe, die kaum Wolle lieferten, dafür aber Fleisch und Fett, mit dem sich die Khoikhoi zum Schutz vor Sonnenbrand und Insektenstichen einrieben. Später übernahmen sie von ihren bantusprachigen Nachbarn Ziegen und Rinder. Als die Weißen erstmals in Südafrika an Land gingen, trafen sie auf Khoikhoi mit riesigen Rinderherden. Da diese mit ihren Herden wanderten, meist periodisch von Sommer- zu Winterweiden (Transhumanz), hatten sie vergleichsweise lockere Sozialverbände. Ebenso waren ihre Behausungen auf Mobilität abgestimmt. Sie legten aus Gras geflochtene Matten über ein halbkugelförmiges Gestell aus Stangen, die in den Boden gerammt wurden. Die Khoikhoi kleideten sich zum Schutz vor der winterlichen Kälte in sogenannte Karosse, Mäntel, die sie aus den Fellen von Rindern nähten.

Zwar kannten sie Oberhäupter, doch war deren Macht begrenzt, auch waren die ethnischen Gruppen zahlenmäßig nicht sehr groß, da die Mobilität für diese Bevölkerung wichtig war. Weil die Khoikhoi keine Nahrungspflanzen anbauten, konnten sie das Winterregengebiet Südafrikas nutzen, den äußersten Süden und Südwesten, wo die Weißen zuerst an Land gingen; gleichzeitig war ihre Wirtschaft fragil. Eine Tierseuche oder eine Naturkatastrophe konnte die Herden dezimieren und die Khoikhoi zur Lebensweise der Buschleute zwingen. Tatsächlich waren die Übergänge zwischen beiden Bevölkerungsgruppen fließend. Soweit sich dies rekonstruieren lässt, kam es periodisch zu solchen dürrebedingten Herdenverlusten und der, zuweilen gewaltsamen, Aneignung von Tieren, um damit neue Herden aufzubauen. Allerdings ist es aufgrund der fast ausschließlich archäologischen Daten über die frühe Geschichte der Region nicht möglich, eine belastbare Chronologie für die frühen Jahrhunderte zu entwickeln.

Abb. 1: Khoikhoi in einer Abbildung des 17. Jahrhunderts.

Im Osten lebten die Khoisan in enger Nachbarschaft zu bantusprachigen Afrikanern. Gerade die San wirkten aufgrund ihrer Pflanzenkenntnisse und Trancetechniken oft als religiöse Spezialisten und Heiler. Diesem, nicht immer konfliktfreien, Zusammenleben über Jahrhunderte hinweg war es zu verdanken, dass die südlichsten Bantuvölker von den Khoisansprachen die charakteristischen Schnalzlaute adaptierten. Möglicherweise äfften die Europäer diese ihnen unverständlichen Sprachen in dem Namen nach, mit dem sie die Khoikhoi belegten: Hottentotten.

1.4       Die bantusprachige Bevölkerung

Jenseits der Klimagrenze, an der Ostküste und auf dem Highveld, lebten Völker, die sich sprachlich und kulturell deutlich von den Khoikhoi abhoben, wobei auch optisch ein Unterschied aufgrund der im Allgemeinen helleren Hautfarbe der KhoiSan erkennbar war, der allerdings nicht mit einem Rassenunterschied gleichzusetzen ist. Die Archäologie konnte zweifelsfrei Siedlungsformen, wie sie typisch für die heutige bantusprachige Bevölkerung sind, seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. nachweisen. Diese Menschen waren offenbar in früher, nicht genau datierbarer, Zeit aus dem Norden zugewandert, wobei von mindestens zwei Zuwanderungswellen ausgegangen werden muss. Auch wenn unbekannt bleibt, welche Sprache die Menschen während dieser Jahrhunderte gesprochen haben, so kann man zumindest davon ausgehen, dass ihre Lebensweise in vielem derjenigen ähnelte, die Europäer seit dem 16. Jahrhundert direkt beobachteten und beschrieben. Im 19. Jahrhundert erfand der aus Deutschland stammende Linguist Wilhelm Bleeck für eine Gruppe eng miteinander verwandter afrikanischer Sprachen die Sammelbezeichnung »Bantu«, was nichts anderes als Menschen heißt. Die Bantusprachen haben ihren Ursprung im heutigen Kamerun, von wo sie sich über den ganzen afrikanischen Kontinent südlich des Äquators ausbreiteten. Ob dieser Vorgang als eine Art Völkerwanderung zu begreifen ist, wie man früher glaubte, wird mittlerweile bezweifelt, da auch eine Verbreitung der Sprache unabhängig von der Wanderung von Menschen denkbar ist, etwa durch Handelsbeziehungen. Im Unterschied zu den KhoiSan betrieben die Bantusprecher neben der Viehzucht auch den Anbau von Nahrungspflanzen. Darum lebten sie in festen Siedlungen, die allerdings von Zeit zu Zeit kleinräumig verlegt wurden, um den Böden Gelegenheit zur Regeneration zu geben.

Die bantusprachigen Afrikaner, die sich heute in Südafrika als Blacks oder Africans bezeichnen und die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, betrieben eine Wirtschaftsform, die im Gegensatz zu den Khoikhoi stabile Verhältnisse beförderte, da Anbau und Viehzucht sich nicht nur wechselseitig ergänzten, sondern es auch ermöglichten, Dürrezeiten oder Viehkrankheiten leichter zu überstehen. Eine doppelte Ernährungsgrundlage erlaubte zudem eine größere Bevölkerungsdichte und damit tragfähigere politische Einrichtungen als bei den Khoikhoi. Die bantusprachigen Afrikaner bauten vor allem Getreide an, ursprünglich vor allem Hirse und Sorghum, das sie seit dem 18. Jahrhundert allmählich durch den ertragreicheren, aber auch weniger dürreresistenten Mais ergänzten, der von den Portugiesen aus Amerika an die afrikanische Ostküste transferiert wurde. Daneben pflanzten sie zahlreiche Gemüsesorten an, die eine ausgeglichene Ernährung sicherstellten. Die Böden wurden mit Hacken bearbeitet, denn Pflüge wurden erst von den Europäern eingeführt – nicht immer zum Vorteil der Böden. Der Anbau war die Aufgabe der Frauen, die mit Getreidesorten experimentierten und mehrere Pflanzensorten auf einem Feld anbauten. Das »Durcheinander« verschiedener Nutzpflanzen auf demselben Feld wirkte auf die an monokulturellen Anbau gewöhnten Europäer oft verwirrend und fremdartig. Doch war diese Art des Anbaus sinnvoll, weil sich die Pflanzen wechselseitig ergänzten. Kürbisse und Melonen etwa verhinderten mit ihren großen Blättern die Austrocknung der Böden, was dem Mais, der viel Wasser benötigt, zugutekam. Mischkulturen schützten überdies die Pflanzen vor Schädlingsbefall und Krankheiten.

Während im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung die Frauen für den Anbau von Nahrungspflanzen zuständig waren, oblag den Männern die Viehzucht. Dahinter verbarg sich eine Asymmetrie, da den Rindern eine große soziale Bedeutung zukam. Der Reichtum und damit das soziale Prestige bemaßen sich an der Zahl der Rinder, ihrer Gesundheit und ihren ästhetischen Qualitäten, weswegen zuweilen die Hörner junger Rinder in bestimmter Weise gebogen wurden. Während aus dem Getreide, das die Frauen ernteten, Bier gebraut wurde, was nicht nur für das gesellige Leben bedeutsam war, sondern das aufgrund seines Stärkegehalts als ein Grundnahrungsmittel galt und auch den Ahnen geopfert wurde, dienten die Rinder neben ihrem Wert als Statussymbol den Männern als Voraussetzung zur Eheschließung. Um eine Frau heiraten zu können, wurde im Vorfeld mit deren Familie ausgehandelt, wie viele Rinder der Bräutigam zu entrichten hatte. Doch ging diese Abgabe von Rindern über eine rein ökonomische Bedeutung hinaus, weswegen die Übersetzung von Lobola mit »Brautpreis« inadäquat ist. Denn beides, die Heirat wie die Abgabe der Rinder dienten dazu, Bündnisse zwischen den Familien zu besiegeln. Eine Ehe einzugehen hatte demnach, wie in Europa vor dem 19. Jahrhundert, eher in Ausnahmefällen mit Liebesbeziehungen zu tun, dafür aber viel mit Familienpolitik und Kooperationen größeren Stils. Diejenigen, die große Rinderherden besaßen, konnten polygame Haushalte gründen. Da die Oberhäupter, die Chiefs, meist die größten Rinderbesitzer waren, dienten ihnen Eheschließungen als politisches Mittel, um Allianzen aufzubauen. Eine Ehe erfüllte in diesem Kontext eine wichtige symbolische Funktion. Dies führt nun zu einem weiteren wichtigen Thema, nämlich der Familienstruktur, da diese sich von der westeuropäischen wesentlich unterschied.

Während sich in Westeuropa seit der Karolingerzeit die »gattenzentrierte Familie« entwickelte, wie der Wiener Mediävist Michael Mitterauer sie nennt, galt für große Teile der Welt das System der sogenannten Lineage-Strukturen. Damit ist gemeint, dass die Familie als ein langes generationenübergreifendes Band zu verstehen ist, eine Linie, die von der jüngsten lebenden Generation über die älteren bis zu den bereits verstorbenen Ahnen führt. Ein wichtiger Unterschied zu den europäischen Verwandtschaftssystemen lag darin, dass es sich im südlichen Afrika um »unilineale« Strukturen handelte, d. h. nur die Abstammung über einen Elternteil für die Selbstverortung in der Gesellschaft, die »Identität«, von Bedeutung war. Dies bedeutet natürlich nicht, dass man zu anderen Verwandten keine emotionalen Beziehungen aufbaute, sondern die Lineage war im Wesentlichen ein strukturierendes Merkmal und hatte wichtige rechtliche Konsequenzen. Gesellschaften, die über die väterliche Linie verwandtschaftlich organisiert waren und die im südlichen Afrika vorherrschten, nennt man patrilineare Deszendenzsysteme.

Alle Kinder leiteten ihre Herkunft in einer solchen Gesellschaft ausschließlich über den Vater, den Großvater usw. ab, d. h. sie hatten eine Reihe von bereits verstorbenen Ahnen, die für sie die entscheidenden Mittler im Jenseits darstellten. Zwar kannten die bantusprachigen Gesellschaften Südafrikas einen quasi-monotheistischen Schöpfergott, doch näherten sie sich ihm immer über ihre Ahnen, an die sie sich wandten, wenn der Regen ausblieb, Krankheiten und anderes Unheil sie heimsuchten. Das Individuum war stärker als in der gattenzentrierten Familie in ein Netz wechselseitiger Verpflichtungen und in eine Identität als Angehöriger der Lineage eingebunden. So waren Eheschließungen Verbindungen zwischen Lineages. Dies erklärt auch, weshalb die älteren Männer als diejenigen mit dem höchsten Sozialprestige und der größten Nähe zu den Ahnen die Heiratsverhandlungen führten. Eine junge Frau zog zu ihrem Mann, verlor dadurch aber nicht die Zugehörigkeit zu ihrer eigenen Lineage. Faktisch blieb sie immer eine Fremde in der Familie ihres Mannes, im Gegensatz zu ihren eigenen Kindern, die der Lineage ihres Vaters durch ihre Geburt angehörten. Darum wurden vor allem Frauen, insbesondere unfruchtbare, verwitwete und alte, Opfer von Hexereivorwürfen. Denn Hexerei oder Schadenszauber wurde vor allem denjenigen unterstellt, deren Loyalität eher ihrer eigenen Lineage als derjenigen ihres Ehemannes galt. Umgekehrt war die Verbindung zweier Lineages aber auch Grundlage für Bündnisse und übergreifende Solidarität.

Während eine Lineage in der Regel vier Generationen umfasste, gab es darüber hinausgehende größere Einheiten. Die Erinnerung an einen mythischen Urahnen, der häufig als eine Art Gründerheros memoriert wurde, ließ alle, die sich in ihrer Abstammung auf ihn bezogen, als eine große Verwandtschaftsgruppe erscheinen, die aus verschiedenen Lineages zusammengesetzt war. Häufig werden diese übergreifenden Einheiten in der ethnologischen Literatur als Clans bezeichnet, in denen meist ein Exogamiegebot galt, d. h. die Angehörigen eines Clans durften nicht untereinander heiraten. Komplizierte Heiratsregeln banden die Clans aneinander, indem etwa Angehörige von Clan A Frauen aus Clan B heirateten, Männer aus Clan B dagegen Frauen aus Clan C etc. Die Gesamtheit der Clans, die in ein solches Regelwerk integriert waren, bezeichnen die Ethnologen als Stamm, Volk oder Ethnie. Solche Verwandtschaftssysteme waren »segmentäre« Strukturen, da die Verwandtschaftseinheiten alle ein ähnliches Muster aufwiesen und als Segmente im Verhältnis zueinander standen wie die Waben eines Bienenstocks.

Auch wenn die bantusprachige Bevölkerung des südlichen Afrikas über Lineagestrukturen organisiert war, gab es daneben ein weiteres Prinzip der sozialen Organisation, das ebenso wichtig war und für Außenstehende die Sozialstrukturen sehr kompliziert erscheinen lässt, nämlich die politische Organisation über Chiefs. Ethnische Gruppen sind darum in der historisch bekannten Zeit seit etwa 1500 nicht primär als Kulturgemeinschaften fassbar, sondern als politische Gemeinwesen mit einem Chief an der Spitze. Die Loyalität zu einem bestimmten Chief war die Grundlage ethnischer Identität, die sich darum auch wechseln ließ. Der Apartheidstaat hat später den Begriff »Bantu« essentialisiert und diese Völker als klar umgrenzte, nicht nur sprachlich, sondern über distinkte Kulturen identifizierbare Ethnien gefasst.

Südafrika war wie der gesamte Kontinent lange Zeit unterbevölkert, d. h. Land gab es im Überfluss, sodass Landbesitz und Territorialität keine Grundlage für politische Herrschaft boten wie etwa im frühneuzeitlichen Europa. Vielmehr war die Herrschaft über Menschen entscheidend, d. h. die Macht der Chiefs hing von der Zahl ihrer Anhänger und Krieger ab. Aus diesem Grund war ein Chief wohl beraten, sich der Loyalität der Bevölkerung zu versichern, was sich etwa in der politischen Kultur niederschlug. Eine der wichtigsten Tugenden eines Chiefs war Großzügigkeit im Sinn von Freigiebigkeit. Beliebte Chiefs konnten wie Magneten wirken, wodurch ihr Chiefdom an Macht und Ansehen gewann. Ein wichtiges Mittel dazu war, Menschen aufzunehmen, die durch Dürre oder Tierkrankheiten verarmt waren. Der Chief wies ihnen Land zur Nutzung zu und lieh ihnen aus seinen eigenen Beständen Rinder, mit denen sie eine neue Herde aufbauen konnten. Diese Großzügigkeit war freilich an Gegenleistungen geknüpft, wozu Gefolgschaftstreue und Loyalität zählten. Man nennt dieses System von Abhängigkeiten »Rinderpatronage«, was erneut die große Bedeutung des Rinderbesitzes unterstreicht. Denn nur Männer, die Rinder besaßen, konnten heiraten, sodass ein Chief den Rinderbesitz als eine Art politische Stellschraube und Mittel der Disziplinierung nutzen konnte.

Nun ist Chief eine Verlegenheitsvokabel, die eine größere Einheitlichkeit der politischen und sozialen Ordnung suggeriert als tatsächlich existierte. Denn in kaum zwei afrikanischen Gesellschaften war die Stellung des Chiefs die gleiche, sondern es gab zahlreiche Varianten. Viele Chiefs waren eher Clanoberhäupter und genossen kaum über ihre eigene Siedlung hinaus Autorität, während andere Chiefs große Gebiete kontrollierten.

Ausgrabungen deuten darauf hin, dass im ersten nachchristlichen Jahrtausend die Chiefdoms meist klein waren, kaum über Marktbeziehungen miteinander verkehrten, sondern ökonomisch weitgehend Selbstversorger waren. Es gab nur eine geringe berufliche Spezialisierung und keine institutionalisierten Märkte. Nur in wenigen, aber historisch greifbaren, Fällen wuchsen solche Chiefdoms zu größeren Einheiten, die man als Königreiche bezeichnen könnte.

In der Nähe von Lydenburg in der heutigen Provinz Mpumalanga wurden Terrakotta-Köpfe gefunden, die sogenannten Lydenburg Heads, die aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. stammen und auf eine weit entwickelte Kultur hindeuten. Leider ist die Fundstätte durch die unprofessionellen Grabungsmethoden archäologischer Amateure so sehr zerstört worden, dass man über den historischen Kontext des Fundes bislang nicht viel weiß. Wichtiger ist indes eine Entwicklung etwa 400 Jahre später, die aufgrund professioneller Ausgrabungen weitaus besser rekonstruierbar ist. Die tiefgreifenden Veränderungen der sozialen und politischen Strukturen in dieser Zeit ließen vermuten, dass eine Zuwanderungswelle aus dem Norden die Ursache dafür war. Denn etwa ab 1000 n. Chr. wurde die Rinderhaltung intensiver und das Central Cattle Pattern setzte sich als allgemeines Siedlungsmuster im gesamten Land durch.

Aus den Siedlungsstrukturen um 1000 n. Chr. lässt sich im Norden des heutigen Südafrika eine allmähliche Änderung im Verhältnis der Chiefs zueinander ablesen, denn es kam unter ihnen zu einer Hierarchisierung. Sie waren nicht mehr einfach Nachbarn, sondern einander über- oder untergeordnet. Am östlichen Rand der Kalahari entdeckten die Archäologen, dass erstmals größere Siedlungen inmitten kleinerer entstanden. Ihre Anordnung ließ den Schluss zu, dass sich eine dreigliedrige Hierarchie einspielte: Eine große Siedlung als Zentrum, mittlere als Unterzentren und zahlreiche kleinere Weiler, die wie Trabanten um die größeren angeordnet waren. Dies ist ein deutlicher Hinweis auf politische Zentralisierung, d. h. einem Chief gelang es, sich zum Oberherrn über die übrigen aufzuschwingen und größere Gebiete unter seiner Herrschaft zu einigen.

Besonders signifikant ist dies in Mapungubwe im äußersten Norden Südafrikas, unweit des Zusammenflusses von Sashe und Limpopo, der heute die Staatsgrenze zu Simbabwe bildet. Denn in dieser archäologischen Fundstätte änderte sich sogar das Central Cattle Pattern. Der Chief entfernte sich weiter als bis dahin üblich von der Bevölkerung, als er sich im wahrsten Sinn des Wortes über sie erhob und seinen Wohnsitz auf einen großen Felsen verlagerte. Gräber mit Beigaben aus Gold, darunter das berühmt gewordene goldene Rhinozeros, dokumentieren, dass es sich hier um eine viel stärker akzentuierte Schichtung der Gesellschaft handelte, als für die Zeit davor archäologisch nachweisbar war. Mapungubwe war eingespannt in die Handelsnetze des Indischen Ozeans, worauf Handelswaren und Artefakte hindeuten, die auf dem Felsen von Mapungubwe gefunden wurden. Die Güter, die die Chiefs von Mapungubwe erreichten, waren knappe Prestigegüter. Sie konnten den Machtzuwachs der Glücklichen, die den Handel unter ihre Kontrolle brachten, erheblich befördern. Glasperlen dienten der Schmuckherstellung, Baumwoll- und Seidenstoffe der Distinktion durch prachtvolle Kleidung. Zu den Handelswaren, die die Afrikaner anboten, zählte neben Elfenbein und Tierhäuten vor allem Gold, das westlich von Mapungubwe gefördert wurde.

Mapungubwe wurde in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verlassen und vermutlich hat sich der Schwerpunkt dieses Reiches um einige hundert Kilometer nach Nordosten verlagert, wo mit den großen steinernen Anlagen von Great Zimbabwe ein neues Reichszentrum entstand. Die weitere Entwicklung betraf folglich nicht mehr Südafrika, doch ist festzuhalten, dass die vermutete Ursache für die Zentralisierung im Fernhandel lag, denn dies war ein Element, das einzelnen Chiefs neue Machtchancen eröffnete. Den Grund für die politischen Zentralisierungen hat man lange in endogenem ökonomischem Wachstum oder umgekehrt in ökologischen Krisen gesehen, da man den Afrikanern als historisch Handelnden dadurch besser gerecht zu werden glaubte. Doch spricht vieles dafür, dass der Fernhandel die entscheidende Variable war, die den Aufstieg einzelner Chiefs ermöglichte. Die Verbindung von Fernhandel und Zentralisierung lässt sich wiederholt in der südafrikanischen Geschichte feststellen.

Erst 500 Jahre nach Mapungubwe liegen erneut Nachrichten über die vorkolonialen afrikanischen Chiefdoms vor. Portugiesische Schiffbrüchige, deren Segelschiffe in den tückischen Unterströmungen an der südafrikanischen Felsenküste aufgelaufen waren, hielten sich einige Zeit bei der bantusprachigen Bevölkerung der Xhosa auf. Dieses etwa 70 000 bis 100 000 Menschen zählende südlichste Bantuvolk lebte direkt an der Grenze des Sommerregengebiets und bildete offenbar eine weitere Ausnahme von der Regel kleiner Chiefdoms, denn im 16. Jahrhundert entstand ein Xhosa-Königreich, d. h. auch hier hatte ein Prozess politischer Zentralisierung stattgefunden, ohne dass die Gründe dafür bekannt sind. Etwa 200 Jahre später setzte ein Zerfall in kleinere Chiefdoms ein, wobei alle Chiefs Angehörige der Königsfamilie, des Tshawe-Clans, blieben. Die Identität der Xhosa-Bevölkerung bemaß sich nach der politischen Loyalität zu einem der Angehörigen des Tshawe-Clans.

Die dünne Besiedlung sowie die Ausweichmöglichkeiten für unzufriedene Chiefs und ihre Anhänger erklären, warum die wenigen Königreiche, von denen wir wissen, instabil waren und, wie etwa dasjenige der Xhosa, dazu tendierten, sich aufzuspalten. Die zentripetalen Kräfte dagegen, die überhaupt zur Entstehung zentralisierter Formen von Herrschaft führten, sind weniger klar eruierbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit aber spielte der Handel eine ganz entscheidende Rolle, denn überall da, wo sich Zentralisierungen aufgrund archäologischer oder schriftlicher Quellen rekonstruieren lassen, waren die Handelsbeziehungen weitaus intensiver als sonst üblich. Bei den Waren handelte es sich nicht um Lebensmittel und nur in untergeordnetem Maß um Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Metallwerkzeuge u. a., sondern um Prestigegüter, die insbesondere den Chiefs zugutekamen. Da es im südlichen Afrika keine spezialisierten Händler wie etwa in Westafrika gab, konnten die Chiefs den Handel weitgehend kontrollieren und monopolisieren. Das Fehlen von Marktbeziehungen zwischen den Chiefdoms ist die Ursache, warum die kleinen Chiefdoms über so lange Zeit der Regelfall blieben. Erst mit einer wachsenden ökonomischen Ungleichheit, mit erhöhten Wettbewerbschancen derjenigen, die Zugang zu knappen und wertvollen Gütern hatten, war die Voraussetzung für großräumigen Herrschaftsausbau gegeben.

1.5       Erste Kontakte mit Europäern

Wie bereits im Zusammenhang mit der Entstehung eines Xhosa-Reiches angedeutet, waren die Portugiesen die ersten Europäer in der Region. Im Jahr 1486 tauchte erstmals ein europäisches Schiff in den Gewässern des südlichen Afrikas auf. Seit dem frühen 15. Jahrhundert hatten sich die Portugiesen entlang der Küste Afrikas in die Weiten des Atlantiks vorgetastet. Nach Überwindung vieler, nicht zuletzt psychologischer, Hürden erreichte der Seefahrer Bartholomeo Dias Ende des 15. Jahrhunderts den Südatlantik. Von einem heftigen Sturm weit nach Süden getrieben, steuerte er sein Schiff nach Osten, um die afrikanische Küste wieder zu erreichen, die er jedoch nicht mehr fand. Ihm wurde klar, dass er über die Südspitze des Kontinents hinausgefahren war, und er wendete sein Schiff in Richtung Norden, wo er östlich der heutigen Stadt Port Elizabeth die afrikanische Südküste erreichte. Erst auf der Rückfahrt erblickte er das Kap, die felsige Südwestspitze des Kontinents, das er aufgrund seiner Erfahrungen »Kap der Stürme« taufte. Nachdem er, nach Portugal zurückgekehrt, seinem Auftraggeber, König Johann II., die frohe Kunde überbracht hatte, benannte dieser es um in »Kap der Guten Hoffnung«, weil den Portugiesen nunmehr der Seeweg nach Indien offenstand. Mit der ersten Fahrt Vasco da Gamas 1498 begann die dauerhafte portugiesische Präsenz im Indischen Ozean und damit ein regelmäßiger Schiffsverkehr um die Südspitze Afrikas. Es war den Portugiesen gelungen, die Seidenstraße, an deren westlichem Ende das immer mächtiger werdende Osmanische Reich den Handel kontrollierte, zu umgehen und die in Europa begehrten Gewürze direkt bei den Erzeugern in Asien einzukaufen. Dies weckte bei anderen Europäern Begehrlichkeiten. Portugal wurde durch die Vereinigung seiner Krone mit derjenigen Spaniens von 1580–1640 in die Auseinandersetzungen der Habsburger mit ihren europäischen Rivalen und Feinden hineingezogen. Diese richteten ihre Angriffe, die die spanischen Habsburger und ihr überseeisches, ressourcenstarkes Reich treffen sollten, seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vermehrt auch gegen Portugal. Erste Erkundungsfahrten der Niederländer und Engländer zeigten, dass es für sie nur dann im Indischen Ozean Betätigungsfelder geben konnte, wenn die Aktivitäten der verschiedenen Interessengruppen und Kaufleute koordiniert wurden, da Portugal sich mit bewaffneter Macht gegen das Eindringen anderer Europäer zur Wehr setzte.

In beiden protestantischen Ländern sorgten die Machteliten dafür, dass die Kaufleute sich in Monopolgesellschaften zusammenschlossen, um einerseits die Preise für ihre Waren stabilisieren und manipulieren zu können und um andererseits die Ressourcen zu bündeln. Denn die Fahrten in den Indischen Ozean konnten nur von gut bewaffneten Flottenverbänden unternommen werden. Im Jahr 1600 gründete Elisabeth I. durch einen Erlass die englische East India Company und zwei Jahre später bildete sich in den Niederlanden die Vereinigte Ostindische Kompanie (VOC). Aufgrund ihrer weitaus stärkeren Kapitalausstattung konnte sich die VOC in Südostasien festsetzen. Es gelang ihr, den Zugang zu den Molukken, den Banda-Inseln und Ceylon (Sri Lanka), wo Nelken, Muskat und Zimt angebaut wurden, zu monopolisieren und sich lukrative Gebiete in Südindien und auf Sumatra zu sichern, wo Pfeffer produziert wurde. Verwaltet wurde das weitgespannte seegestützte Reich der Niederländer, das aus einem Netzwerk von Handelsstationen bestand, durch eine Zentrale auf der Insel Java. Diese Stadt nannte die VOC nach den Batavern, einem von den Römern erwähnten, im Rheinmündungsgebiet ansässigen Germanenstamm, den man für die unmittelbaren Vorfahren der Niederländer hielt, Batavia, das heutige Jakarta.

Für viele Ostindiensegler, zu denen später noch die Franzosen und gelegentlich Skandinavier hinzukamen, war die Südwestecke Afrikas eine beliebte Anlaufstation, da man dort frisches Wasser aufnehmen und den Khoikhoi Schlachtvieh abkaufen konnte. Im Gegenzug erhielten diese von den Europäern Kupfer und Eisen, Metalle, die sie bis dahin nur in unzureichendem Maß bei den Völkern des Landesinnern erwerben konnten, sowie Tabak, der sich rasch unter ihnen ausbreitete, da sie bis dahin hauptsächlich eine lokale Art des Marihuanas, Dagga (ausgesprochen: dacha), gekannt hatten. Diese Kontakte verliefen nicht immer friedlich, sondern es kam schon bei den ersten Landgängen der Portugiesen gelegentlich zu gewalttätigen Konfrontationen.

Im frühen 17. Jahrhundert häuften sich die europäischen Schiffe, die vor allem in der dafür besonders gut geeigneten Bucht ankerten, die unterhalb des schon von weitem sichtbaren Tafelberges lag. Die Idee, dort eine dauerhafte Lebensmittelstation zu gründen, hatte mit der Vitaminmangelkrankheit Skorbut zu tun, die zahlreiche Todesopfer unter den Schiffsbesatzungen forderte, sodass viele Seeleute längere Zeit auf dem südafrikanischen Festland zur Erholung zubringen mussten, bevor sie in der Lage waren, ihre gefährliche Fahrt fortzusetzen.

2          Die Zeit der Vereinigten Ostindischen Kompanie

 

 

2.1       Die Gründung der Kapkolonie

Als 1651 der erste Niederländisch-Englische Krieg ausbrach, sahen die Niederländer den Zeitpunkt für eine Präventivmaßnahme gekommen, um zu verhindern, dass die Engländer sich in der Tafelbucht festsetzten. Der Oberkaufmann Jan van Riebeeck wurde mit drei Schiffen ausgesandt, um eine Lebensmittelstation zu gründen. Er sollte einen Gemüsegarten anlegen und die Schiffsbesatzungen künftig mit frischer Nahrung sowie mit Trinkwasser versorgen. Die Khoikhoi bemerkten, dass die Europäer diesmal nicht nur kurzzeitig an Land gingen, sondern bleiben wollten. Darauf reagierten sie feindselig, da das Gebiet um die Tafelbucht und auf der Kaphalbinsel wegen der guten Bewässerung ein begehrtes Weidegebiet für ihre Tiere war. So war das erste Gebäude, das die Weißen im südlichen Afrika errichteten, eine Festung.

Die Versorgungsstation war keineswegs allein den Schiffen der VOC vorbehalten, sondern zu manchen Zeiten lagen mehr Schiffe aus anderen europäischen Ländern vor Kapstadt auf Reede als niederländische. Zwischen 1688, als der niederländische Statthalter Wilhelm III. in der Glorious Revolution König von England wurde, und 1781 waren die beiden Länder enge Bündnispartner. Für die VOC war dies eine lukrative Einnahmequelle, weil sie sich die Versorgung gut bezahlen ließ. Auch die freien Bewohner Kapstadts konnten tüchtig verdienen, wenn sie Kneipen und Unterkünfte für die Schiffsbesatzungen unterhielten. Wegen der geringen Zahl freier Siedler dauerte es etwa 30 Jahre, bis die Kapkolonie von Getreideimporten aus Batavia unabhängig wurde und ihrerseits Überschüsse produzierte, die sie an die Schiffsbesatzungen verkaufen konnte.

Zunächst sollten Angestellte der VOC den Anbau der Nahrungspflanzen übernehmen, doch erkannten die stets besorgt auf ihre Kosten blickenden Direktoren der Kompanie, dass sich dies mit freien Farmern besser bewerkstelligen ließ, solange die Kompanie ihr Monopol sichern konnte. Ehemalige Angestellte durften sich als sogenannte Freibürger (Vryburger) im Land niederlassen und Parzellen bewirtschaften. Allerdings mussten sie ihre Produkte an die Kompanie veräußern, die sie ihrerseits an die niederländischen und andere europäische Schiffe weiterverkaufte. Die Parzellen konnten sie, oft auf Kredit, als Eigentum erwerben und erhielten von der Kompanie Besitztitel.

Die Kapkolonie war von der Dynamik ihrer gesellschaftlichen Entwicklung stärker geprägt als von ihren staatlichen Institutionen, die kaum lenkend eingriffen. Die VOC als kommerzielles Unternehmen wollte ihre Ausgaben so gering wie möglich halten, obwohl sie sich von einer Aktiengesellschaft durch die weitreichenden staatlichen Hoheitsaufgaben unterschied, die ihr die Republik der Niederlande eingeräumt hatte, um möglichst effektiv in Asien agieren zu können. In Südafrika erwiesen sich die VOC-Vertreter durchweg eher als kleinliche Pfennigfuchser denn als energische Staatengründer. Die Expansion der Kolonie war ursprünglich überhaupt nicht vorgesehen, weil das ganze Unternehmen nur als Lebensmittelstation geplant war. Hier machten sich bald nicht beabsichtigte Folgen ihres Vorgehens bemerkbar, denn als die VOC den Anbau an Farmer übergab, setzte sie genau die Dynamik in Gang, die am Ende zu einer großen Flächenkolonie führte. Außer Kosten brachte sie der Kompanie aber kaum etwas ein.

Kapstadt wuchs gewissermaßen aus dem Fort heraus. Die Festung, ursprünglich nahe am Strand gelegen, beherbergte zunächst die gesamte europäische Siedlerschaft mitsamt Gouverneur und Soldaten sowie die Gebäude und Magazine der VOC. Doch schon nach wenigen Jahren wurde sie zu klein und die ersten Bewohner begannen, in der näheren Umgebung Häuser zu errichten. Bis zum Ende der VOC-Herrschaft blieb sie der Mittelpunkt der politischen und administrativen Ordnung: Residenz des Gouverneurs, Sitz der Verwaltung und Kaserne. Eine erste einfache Konstruktion aus Holz und Erdwällen wurde schon nach wenigen Jahren durch ein imposanteres Steingebäude mit Wassergraben und dem Grundriss eines fünfzackigen Sterns ersetzt. Dieses Gebäude kann man noch heute in Kapstadt besichtigen.

Wirtschaftlich war in den frühen Jahren der Garten das Herzstück der kleinen Siedlung. Dort bauten Sklaven, von deren rechtlichem und sozialem Status im folgenden Abschnitt ausführlich die Rede sein wird, Obst und Gemüse für die Schiffsbesatzungen an, was ja schließlich der Daseinszweck der ganzen Unternehmung war. Direkt vor dem Garten wurde die Unterkunft der Sklaven errichtet, die heute das kulturhistorische Museum der Stadt beherbergt. Gegenüber stand das Krankenhaus, in dem die Skorbutkranken gepflegt wurden, die mit jedem Schiff hier ankamen. Zwischen dem Kranken- und dem Sklavenhaus befand sich eine Gracht, denn Kapstadt wurde wie viele niederländische Kolonialstädte, etwa Batavia oder Neu-Amsterdam (heute New York), mit Grachten versehen. In Kapstadt dienten sie der Kanalisierung der zahlreichen, sich vom Tafelberg ergießenden Bäche. Einer von ihnen wurde sogar in Form einer Wasserleitung auf eine künstlich angelegte Mole geführt, um die Wasserfässer der Schiffe direkt befüllen zu können. Die Grachten existieren noch heute, verlaufen aber unterirdisch, weil sie seit dem 19. Jahrhundert mit dem heutigen Straßennetz überbaut wurden. Kapstadt unterschied sich von zeitgenössischen europäischen Städten dadurch, dass es nicht ummauert war. Jedoch versuchte bereits der Koloniegründer Jan van Riebeeck, mit einer Dornenhecke die Kaphalbinsel vom Rest des Kontinents zu trennen, um die Khoikhoi fernzuhalten, die immer wieder des Viehdiebstahls bezichtigt wurden. Erst ab dem späteren 18. Jahrhunderts bildeten sich wohlhabendere und ärmere Viertel heraus; bis dahin wohnte Arm und Reich noch Seite an Seite. Bis zum Ende der VOC-Herrschaft 1795 hatte die Stadt mit ihren ca. 15 000 Einwohnern allenfalls die Größe einer Kleinstadt nach heutigen Maßstäben erreicht, wobei die Hälfte der Einwohner Sklaven waren.

Sämtlicher Handel wurde über das Monopol der VOC abgewickelt, weshalb die Bewohner Kapstadts sich auf Dienstleistungen, Handwerk und Kleingewerbe konzentrierten, da sich der Anbau von Lebensmitteln bald ins Umland verlagerte. Selbst der Kompaniegarten verwandelte sich im Lauf des 18. Jahrhunderts in einen reinen Ziergarten, in dem exotische Pflanzen aus Asien die Spaziergänger erfreuten. Schiffsladungen wurden von der VOC-Regierung öffentlich versteigert. Weil es keine festen Läden gab, waren der Handel und die Versorgung der Stadt von Lieferungen abhängig, die sporadisch erfolgten und zeitlich nicht zu kalkulieren waren.

Die Kolonialregierung der VOC in Kapstadt gab den Interessen der Kompanie stets Priorität vor denjenigen der Siedler. Aus VOC-Sicht war das nur zu verständlich, hatte sie doch die Siedlung am Tafelberg einzig zur Versorgung ihrer Ostindien-Segler gegründet. Dennoch war sie immer mit einer negativen Bilanz konfrontiert, denn Südafrika lieferte weder Gewürze noch wertvolle Stoffe, weder Edelhölzer noch wichtige Rohstoffe für das niederländische Gewerbe. Aus der Perspektive der Siedler dagegen war das VOC-Regiment ein Ärgernis, da seine Monopole ihre eigenen wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten beschränkten.

Die kleine Kolonie am Kap der Guten Hoffnung wurde vom javanischen Batavia aus regiert. Bis 1735 gehörte sie administrativ zum Raum des Indischen Ozeans, erst danach wurde die Kolonie direkt den Heren XVII, dem obersten Leitungsgremium der VOC in den Niederlanden, unterstellt. Die Heren XVII waren 17 Delegierte der verschiedenen »Kammern« der VOC, in denen die Städte und Provinzen der Niederlande repräsentiert waren, und nominell die höchste Autorität der Kompanie. Doch aufgrund der Kommunikationsprobleme im Zeitalter der Segelschiffe genoss der Generalgouverneur in Batavia weitreichende Autonomie, auch wenn er seine Entscheidungen im Einvernehmen mit dem ebenfalls dort ansässigen Indienrat der VOC traf. Ihm unterstand das gesamte, weit gespannte Handelsreich der VOC im Raum des Indischen Ozeans, das von Kapstadt bis Nagasaki in Japan reichte. Es umschloss zahlreiche Faktoreien in Indien und auf Ceylon ebenso wie die eher prekären Handelsposten an den Küsten Vietnams und Chinas. Wenn es für die Kapkolonie also eine wirksame Autorität gab, musste sie eher auf Java als in Nordwesteuropa gesucht werden. Doch was für Batavia im Verhältnis zu den Heren XVII galt, bestimmte auch die Beziehungen zwischen Kapstadt und Batavia: Weil die Wege so weit waren und Befehle wie Nachrichten so langsam übermittelt wurden, konnte, ja musste der Gouverneur weitgehend selbstständig entscheiden. Nur eigens ausgesandte Generalkommissare sowie die Admiräle der Ostindienflotten übten eine gelegentliche Kontrolle aus. An der Spitze der Kolonie stand in den Anfangsjahren der Kommandant, dessen Amt unter van Riebeecks Nachfolger Simon van der Stel (Amtszeit 1679–1699) im Jahr 1690 zum Gouverneur aufgewertet wurde. Im 18. Jahrhundert wurden vorzugsweise Männer mit militärischer Erfahrung zu Gouverneuren ernannt, schließlich sollten sie gegenüber den Schiffen und Schiffsgeschwadern anderer europäischer Länder bewaffnete Macht demonstrieren. Das VOC-System in der Kapkolonie war die verkleinerte Kopie dessen, was die VOC in Batavia für den ganzen Indischen Ozean aufbaute. Ähnlich wie der gesamte Handel des niederländischen Kolonialreiches durch Batavia geschleust wurde, fungierte Kapstadt für Südafrika als das Nadelöhr eines von der VOC kontrollierten Handelsmonopols. Wie der Generalgouverneur ohne den Indienrat keine Entscheidungen treffen konnte, so war auch der Gouverneur der Kapkolonie kein Autokrat, sondern an den Politischen Rat gebunden. Dieser war jedoch aus ihm untergebenen Angestellten der VOC zusammengesetzt. Ähnliches galt für den Justizrat, den obersten Gerichtshof, sowie die ihm untergeordneten Gerichte und andere zentrale Einrichtungen wie das Waisenhaus. In allen Gremien mit Ausnahme des Politischen Rates war auch eine Minderheit von Bürgern vertreten, die allerdings von der Regierung berufen und nicht frei gewählt wurde. Diese Verwaltungsstruktur wurde überwuchert von einem Geflecht personaler Beziehungen und Abhängigkeiten, das vom Gouverneur und den hohen Beamten in die subalternen Gruppen der VOC hineinreichte. Das Ergebnis war Vetternwirtschaft und Korruption, die in der Kapkolonie wie in der gesamten VOC im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer stärker um sich griffen.

Die Rechtsordnung Südafrikas beruhte auf dem römisch-holländischen Recht, wozu die spezifischen Rechtsartikel kamen, die die VOC in ihrem Einflussbereich im Indischen Ozean, vor allem in Batavia, entwickelt hatte. In der Kapkolonie galten zusätzlich noch die vom Politischen Rat erlassenen Rechtsverordnungen, die sogenannten Plakkaten, eine ergänzende lokale Rechtsgrundlage. Oberste Zuständigkeit für das Recht hatte der Fiscaal, dessen Amt nach dem des Gouverneurs und seines Stellvertreters den dritthöchsten Rang in der Kolonie beanspruchte. Er war unabhängig, weil er direkt an die Heren XVII berichten konnte und von ihnen Weisungen erhielt, d. h. er musste nicht über den Gouverneur oder über Batavia kommunizieren. Seine Funktion war die eines Staatsanwalts und Anklägers. Das Amt bot Chancen für den Aufbau einer unabhängigen Machtstellung, wobei der Fiscaal auch über zahlreiche Bereicherungsmöglichkeiten verfügte. Die eigentliche Rechtsprechung oblag dem Justizrat, dessen Vorsitz zuerst der Gouverneur, später sein Stellvertreter innehatte. Dieses Gericht war für Strafprozesse und alle schwerwiegenden Fälle zuständig, in denen es um einen Streitwert von mehr als 100 Rixdollar (Reichstaler) ging. Daneben gab es einen Gerichtshof für Bagatellfälle, aber keine eigenen Sklavengerichte. Denn Sklaven und Bürger wurden von denselben Gerichten be- und verurteilt. In den Distrikten im Hinterland war der Landdrost als oberster Verwaltungsbeamter der VOC auch der Vorsitzende der lokalen Gerichte, die sich aus den gewählten Heemraden – meist wohlhabende Farmer – konstituierten. Diese Lokalgerichte unterstanden jedoch den Weisungen und der Aufsicht des Justizrates. Sie durften zudem nur Fälle von untergeordneter Bedeutung und von einem Streitwert bis zu 50 Rixdollar behandeln. Die Möglichkeiten des Landdrost wie des Fiscaal, Verhaftungen vorzunehmen, waren eingeschränkt und wurden vom Justizrat kontrolliert. Ebenso wurde die Folter als Befragungsmethode eher selten angewandt, galt aber wie in Europa prinzipiell als legitim.

Die umfassende Kontrolle von oben schloss kirchliche Angelegenheiten ein. Da nur die Reformierte Kirche zugelassen war und die Prediger und Pastoren Angestellte der Kompanie waren, verfügte die Kirche im Gegensatz zu den Niederlanden selbst über keinerlei Autonomie. Vor allem die Gemeinden hatten keine Möglichkeit, ihren Pastor selbst zu wählen. Kapstadt besaß keine Stadtrechte, es galt sogar für lange Zeit nicht einmal als Stadt. Die Verwaltung war streng zentralistisch, eine kommunale Autonomie existierte nicht.

Die VOC erließ kurz nach der Koloniegründung ein ausdrückliches Verbot, die indigene Bevölkerung zu versklaven, da sie fürchtete, dass Übergriffe zu Racheakten und teuren Konflikten führen könnten. Die Heren XVII wiesen van Riebeeck an, die Khoisan als Fremde zu behandeln, die nicht der Kapkolonie angehörten und aus der Gesellschaft der niederländischen Siedlung ausgeschlossen bleiben sollten. Vielmehr sollte er ihnen als externen Handelspartnern begegnen, mit denen der Kommandant wie mit einer auswärtigen Macht Verträge abschließen konnte.

Mit der Gründung der Kolonie änderten sich die Beziehungen rasch, neben den bis dahin zentralen Handel trat nun die Konkurrenz um Land. Denn die VOC belegte die Kaphalbinsel mit Beschlag, sodass die lokalen Khoikhoi ihre bisherigen Weidegründe verloren. Seit 1652 nahmen die Europäer dauerhaft Land in Besitz, um es zu bebauen. Dies führte zu Konfrontationen, wobei die Khoikhoi aufgrund ihrer instabilen politischen Strukturen militärische Anfangserfolge, wie etwa bei einem Angriff auf die europäische Siedlung im Jahr 1659, nicht fortsetzen konnten. Allmählich gewannen die Europäer die Oberhand, zumal sie über Feuerwaffen und vor allem eine bessere Organisation verfügten.

Als sich die Niederländer fest eingerichtet hatten, nahm die Zahl der Schiffe zu, die in der Tafelbucht Halt machten, und damit wuchs auch die Nachfrage nach Fleisch. Dies wiederum hatte zur Folge, dass die Khoikhoi immer schneller ihre Herden verloren, die sie gegen Verbrauchsgüter, wie Tabak, Kleidung oder Metallgegenstände, eintauschten. Zwar gaben die Khoikhoi ihre Rinder nur zögerlich her, weil ihnen bewusst war, dass die Gegengaben der Weißen keineswegs adäquat waren, doch spielten die Niederländer verschiedene Khoikhoi-Gruppen gegeneinander aus und lockten Herdenbesitzer aus dem Landesinneren an die Küste, um dort Handel zu treiben. Die in Küstennähe lebenden Khoikhoi waren nämlich ob des rapiden Rückgangs ihrer Herden alarmiert und gingen europäischen Händlern aus dem Weg. Doch ihre Chiefs wurden nun immer stärker unter die Kontrolle der Kompanie gebracht, was sich in der zeremoniellen Verleihung von Amtsstäben durch den Gouverneur manifestierte. Zudem reagierte Jan van Riebeeck auf die fortgesetzten Diebstähle der Khoikhoi, die freilich andere Eigentumsvorstellungen hatten als die Europäer, indem er Chiefs als Geiseln nahm, um die gestohlenen Güter zurückzuerhalten. Auf diese Weise verschlechterten sich allmählich die Beziehungen und wurden von nachhaltigem Misstrauen gefärbt.

Die VOC begründete ihren Anspruch auf die Kapkolonie mit dem Recht des Eroberers, wodurch die Khoikhoi das Land verloren hätten. Tatsächlich war es ein Prozess gradueller Ausbreitung der Kolonie und der Verdrängung und Unterwerfung der Khoikhoi. In dessen Verlauf kam es zu erstaunlich wenigen kriegerischen Konfrontationen mit den Khoisan, was deren militärische Schwäche belegt, die ihnen offenkundig nur zu bewusst war. So wurden die Khoisan im Lauf der Jahrzehnte immer stärker in die Kolonialgesellschaft hineingezwungen, jedoch ohne ihre rechtliche Stellung formal zu ändern. Bezeichnenderweise äußerte sich die VOC in der Folgezeit dazu gar nicht, was den Schluss zulässt, dass sie die Angleichung der Khoisan an die Position von Sklaven akzeptierte, ohne diesen Schritt rechtlich abzusegnen. Man hielt aus nicht mehr zu rekonstruierenden Gründen lieber an einer Fiktion fest und schuf eine juristische Grauzone.

Als Simon van der Stel 1679 das Kommando über die Kolonie übernahm, gingen die Angriffe vermehrt von den Niederländern aus, die mit verschiedenen Strafaktionen auf tatsächliche oder vermeintliche Übergriffe der Khoikhoi reagierten. Weil die Khoikhoi politisch keine Einheit bildeten, hatten die Niederländer selten Probleme, Verbündete unter ihnen zu finden. Einzelne Chiefs, wie Dorha von den Chainouqua, profitierten davon, weil sie als Mittelsmänner den Viehhandel mit dem Landesinneren organisierten, was der VOC sehr zupass kam.

Im Hinterland pflegte die VOC einen administrativen Minimalismus, indem sie die Zahl der Distrikte so klein wie nur irgend möglich hielt. Darum umfassten sie riesige Territorien, die mit einer Handvoll Personen verwaltet werden mussten. Der höchstrangige Amtsträger in den Distrikten war der Landdrost, ein von Kapstadt ausgesandter Beamter der VOC. Ihm oblagen die Verwaltung, die Rechtsprechung sowie das Oberkommando über die Siedlermiliz und die gelegentlich vorhandenen regulären Truppen. Letztere waren gegen Ende des 18. Jahrhunderts meist farbige Soldaten, die sogenannten Kappanduren, die in Kapstadt stationiert und bei den Weißen besonders verhasst waren, weil sie die Bewaffnung von Nicht-Weißen generell ablehnten. Die zahlreichen Zuständigkeiten des Landdrosts setzten sich bei den ihm untergeordneten Veldkornets fort, die die Unterbezirke verwalteten. Im Gegensatz zum Landdrost wurden sie aus den Reihen der lokalen Notablen gewählt und vom Politischen Rat anschließend ernannt. Diese Universalämter legen beredtes Zeugnis von der marginalen Verwaltung und dem Sparzwang der Kolonialregierung ab. Dem Landdrost stand ein repräsentatives Amts- und Residenzgebäude zu, um das herum sich im Lauf der Jahrzehnte ein kleiner Weiler bildete, mit einer Kirche, einer Schule und kleinen Läden und Handwerksbetrieben. Doch blieben diese Siedlungen winzig und auf die Kolonie bezogen Ausnahmen. Denn der überwiegende Teil der Kolonie war von der Siedlungsstruktur der weit verstreuten Einzelfarmen geprägt, während sich Dörfer oder kleinstädtische Zentren erst im 19. Jahrhundert entwickeln sollten.

Mit wachsender Entfernung von Kapstadt waren die lokalen Vorgänge von der VOC und dem Politischen Rat kaum noch kontrollierbar. Die Veldkornets etwa waren meist einflussreiche und wohlhabende Farmer, die vergleichsweise autonom handeln konnten. Es kam verschiedentlich zu Konflikten zwischen den von Kapstadt entsandten Landdrosten und der lokalen Bevölkerung, wobei die VOC nur über unzureichende Mittel verfügte, ihre Autorität durchzusetzen. Wenn es einem Landdrost nicht gelang, sich in die lokalen Sozialbeziehungen so zu integrieren, dass er über Patronage und die Kooperation mit wichtigen Personen seine Macht festigen konnte, war er bei etwaigen Konfrontationen auf seinen Sekretär und die Handvoll Soldaten angewiesen, die ihm zur Seite gestellt waren.

Mit Simon van der Stel, der insgesamt 20 Jahre als Kommandant die Kolonie verwaltete, stabilisierte sich zwar die Ordnung, doch breitete sich die für die frühe Neuzeit übliche Patronage und Korruption auch am Kap der guten Hoffnung aus. Patronage war der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhielt, ein personales Geflecht von Abhängigkeiten und wechselseitigen Verpflichtungen geschäftlicher wie freundschaftlicher Art, die die realen Machtverhältnisse stärker prägten als die formalen Hierarchien. Van der Stel selbst war Sohn eines niederländischen Vaters und einer asiatischen Mutter, was in der Kolonialwelt der VOC eher die Regel als die Ausnahme war. Als ausgesprochen tatkräftiger Kommandant mit autoritärem Temperament eignete er sich wertvolle Grundstücke an, etwa die Weinfarm Groot Constantia am Fuß des Tafelberges, die den einzigen qualitativ hochwertigen und exportierbaren Wein produzierte. Van der Stel versuchte, eine regelrechte Vorherrschaft seiner Familie zu etablieren.

Zwar konnte er bewirken, dass sein Sohn Willem Adriaan zu seinem Nachfolger (1699–1707) ernannt wurde, doch vermengte dieser Amt und Privatinteressen in einer Weise, dass es zum Streit mit einflussreichen Siedlern kam. Hatte die Kolonie in den ersten Jahrzehnten noch mit Getreide aus Batavia unterstützt werden müssen, produzierte sie nun Überschüsse, was vor allem der Ansiedlung von Hugenotten Ende des 17. Jahrhunderts zu verdanken war. Der Gouverneur nutzte seine Stellung, um die Produkte aus seinen eigenen riesigen Latifundien bevorzugt zu verkaufen, sodass die Farmer das Nachsehen hatten. Allen Drohungen und Repressalien zum Trotz gelang es seinen Gegnern, als ihre Eingaben an der Arroganz des Gouverneurs abgeprallt waren, eine Delegation nach Amsterdam zu schicken. Dort wurden sie bei der VOC-Führung vorstellig und erhoben schwere Vorwürfe wegen Amtsmissbrauchs. Es war ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der VOC, als deren Führung einen Gouverneur seines Amtes enthob. Danach war die Macht der Familie van der Stel gebrochen, obwohl die folgenden Generationen weiter als Großgrundbesitzer in der Kolonie wohnen blieben. Doch hielt die VOC ihre Monopole aufrecht, die die Freibürger als größten Missstand und Haupthindernis der wirtschaftlichen Entwicklung der Kolonie betrachteten.

Die Produktion von Lebensmitteln durch »Freibürger« funktionierte zunächst nicht, da die Farmer zu wenige Arbeitskräfte hatten. Die Kompanie verbot ihnen, die ortsansässige afrikanische Bevölkerung zur Arbeit zu zwingen, weil sie ökonomisch teure Konflikte vermeiden wollte. In den Anfangsjahren setzten sich wirtschaftlich gescheiterte Freibürger sogar ab und reisten mit heimfahrenden Segelschiffen nach Europa zurück. Deshalb beantragte van Riebeeck, Sklaven ins Land zu holen, womit ein Sklavenhandel begann, der von 1658 bis ins frühe 19. Jahrhundert andauerte. Die Sklaven wurden aus dem gesamten Raum des niederländischen Handelsreiches im Indischen Ozean nach Südafrika verschleppt, was fatale Folgen für die weitere Entwicklung der Gesellschaft haben sollte.

2.2       Die Entstehung einer Sklavereigesellschaft