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Dieser Band enthält folgende Krimis von Alfred Bekker: Kubinke - Schlaf, mein Feind: Krimi Kommissar Jörgensen und das mörderische Wettrennen Kubinke und die Killer Burmester auf Killerjagd Der Mörder feuert. Sein Werkzeug ist eine Pistole mit ausgesetztem Schalldämpfer. Der Killer tritt dann an die Leiche heran. Mit dem Fuß dreht er den leblosen Körper auf den Rücken und richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des bereits toten Kriminalhauptkommissar Denner. Dann drückte er nochmals ab. Das Projektil spaltete den Schädel. Ein furchtbarer Anblick! Doch der Mörder wendet seinen Blick nicht ab. „Sicher ist sicher”, murmelte er. Ein neuer Fall für die Berliner Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier … Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
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Seitenzahl: 412
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Super Action Krimi Viererband 1021 - Vier großartige Thriller
Copyright
Kubinke - Schlaf, mein Feind: Krimi
Kommissar Jörgensen und das mörderische Wettrennen
Kubinke und die Killer
Burmester auf Killerjagd
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Dieser Band enthält folgende Krimis
von Alfred Bekker:
Kubinke - Schlaf, mein Feind: Krimi
Kommissar Jörgensen und das mörderische Wettrennen
Kubinke und die Killer
Burmester auf Killerjagd
Der Mörder feuert. Sein Werkzeug ist eine Pistole mit ausgesetztem Schalldämpfer. Der Killer tritt dann an die Leiche heran. Mit dem Fuß dreht er den leblosen Körper auf den Rücken und richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des bereits toten Kriminalhauptkommissar Denner. Dann drückte er nochmals ab. Das Projektil spaltete den Schädel. Ein furchtbarer Anblick! Doch der Mörder wendet seinen Blick nicht ab. „Sicher ist sicher”, murmelte er.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER TONY MASERO
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von ALFRED BEKKER
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Berlin im Nebel. Ein Toter am Spreeufer, die Augen geschlossen – und ein Ermittler, der weiß, dass dies kein gewöhnlicher Mord ist. Kriminalhauptkommissar Harry Kubinke und sein Team geraten in einen Strudel aus Gewalt, Verrat und internationaler Kriminalität. Während die Spuren zu russischen Oligarchen, skrupellosen Anwälten und einem geheimnisvollen Auftragskiller führen, wächst die Bedrohung: Der Killer schlägt immer wieder zu und hinterlässt keine Spuren – außer seinem Ritual. Als auch eine Zeugin verschwindet und ein Anschlag auf einen Staatsanwalt droht, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Wie tief reichen die Schatten in der Stadt? Und wie hoch ist der Preis für Gerechtigkeit?
Ein atmosphärischer Berlin-Krimi über Schuld, Macht und den Kampf gegen das Dunkel – spannend bis zur letzten Seite.
Irgendwann wird jeder von uns die Augen schließen.
Für immer.
Und manchmal ist es jemand anderes, der uns diesen letzten Dienst erweist – oder sich selbst damit einen Gefallen tut. Ich weiß, wovon ich spreche. In meinem Job als Kriminalhauptkommissar beim BKA in Berlin habe ich schon zu viele Tote gesehen, zu viele starre, glasige Blicke, die einen verfolgen, wenn man nachts nicht schlafen kann. Die meisten Kollegen reden nicht darüber. Ich auch nicht. Aber vergessen kann man es nicht.
Mein Name ist Harry Kubinke. Ich leite zusammen mit meinem Partner Rudi Meier eine Ermittlungsgruppe, die sich mit Fällen beschäftigt, bei denen das organisierte Verbrechen seine Finger im Spiel hat. Wir sind ein eingespieltes Team – Rudi, Stefan Carnavaro, Oliver „Ollie“ Medina und ich. Und unser Chef, Herr Kriminaldirektor Hoch, der morgens der Erste und abends der Letzte ist. Wir kennen uns gut. Aber wie das so ist: Jeder hat seine Geheimnisse. Und manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen.
An diesem Morgen war Berlin in einen grauen, nassen Nebel gehüllt, der die Stadt wie ein Tuch zudeckte. Ich holte Rudi an der Ecke ab, wie immer. Wir fuhren schweigend durch die Straßen, vorbei an Menschen, die sich in ihre Jacken duckten und an den Haltestellen auf die U-Bahn warteten. Es war einer dieser Tage, an denen man das Gefühl hatte, die Zeit würde stillstehen. Aber das stimmte natürlich nicht. Irgendwo in der Stadt war schon wieder etwas passiert. Und wir würden uns gleich darum kümmern müssen.
Das Telefon klingelte. Herr Hoch.
„Morgen, Kubinke. Sie und Meier fahren sofort zur Spreebank, Kreuzung Leuschnerdamm. Da ist eine Leiche gefunden worden. Die Kollegen von der Schutzpolizei sind schon vor Ort, aber das sieht nach einem Fall für uns aus. Und nehmen Sie Carnavaro und Medina mit, die sind schon unterwegs.“
„Verstanden, Chef.“
Ich legte auf und sah Rudi an. Er zuckte mit den Schultern. „Fängt ja gut an.“
Wir bogen in die Oranienstraße ein, dann weiter Richtung Spree. Der Nebel lag schwer auf dem Wasser. Blaulichter blitzten durch das Grau. Wir parkten den Porsche am Rand, stiegen aus und gingen zum Ufer. Ein Streifenwagen, ein Einsatzwagen der Kripo, Absperrband. Zwei uniformierte Kollegen, die uns kannten, winkten uns durch.
Die Leiche lag halb auf dem Pflaster, halb im feuchten Gras. Ein Mann, vielleicht Mitte vierzig, gut gekleidet, teure Schuhe, Mantel. Das Gesicht war blass, fast schon wächsern. Die Augen geschlossen.
Dr. Sühlke, unser Gerichtsmediziner, war schon da. Ein kleiner, rundlicher Mann mit grauem Haar und einer Vorliebe für schlechte Witze. Er sah auf, als wir uns näherten.
„Morgen, Harry. Morgen, Rudi. Der Tag fängt ja beschissen an, was?“
Ich nickte. „Was haben wir?“
„Männlich, etwa 45, keine Papiere. Schusswunde in der Brust, ziemlich sauber. Kein Kampf, keine Abwehrspuren. Und – das wird Sie interessieren – die Augen waren geschlossen, als ich ankam.“
Ich kniete mich neben den Toten. Der Mantel war geöffnet, darunter ein Hemd von einer Marke, die ich mir nicht leisten konnte. Die Hände lagen ruhig auf dem Bauch. Kein Blut, das sichtbar aus dem Mund oder der Nase gelaufen war. Ein sauberer Job.
„Wer hat ihn gefunden?“, fragte Rudi.
Einer der Uniformierten trat näher. „Jogger. Gegen sechs Uhr. Hat sofort die 110 gewählt. Wir haben die Gegend abgesperrt und auf Sie gewartet.“
Ich stand auf, sah mich um. Die Spree war in Nebel gehüllt, die Brücke ein paar Meter weiter war kaum zu erkennen. Ein paar Schaulustige hatten sich versammelt, wurden aber von den Kollegen auf Abstand gehalten.
„Hat jemand was gesehen?“, fragte ich.
Der Polizist schüttelte den Kopf. „Bis jetzt nichts. Aber wir fragen weiter.“
Stefan Carnavaro und Ollie Medina kamen jetzt an. Stefan, wie immer im Anzug, das Gesicht ernst, die Augen schmal. Ollie trug eine Lederjacke und sah aus, als hätte er die Nacht durchgemacht. Sie begrüßten uns knapp.
„Was haben wir?“, fragte Stefan.
„Mann, Mitte vierzig, sauber erschossen, keine Papiere, keine Zeugen“, fasste Rudi zusammen.
Ollie beugte sich über den Toten, musterte ihn. „Sieht aus wie ein Banker.“
„Oder ein Anwalt“, meinte Stefan. „Aber die Schuhe sind zu teuer für einen Anwalt.“
Ich sah zu Dr. Sühlke. „Irgendwas Auffälliges?“
Er schüttelte den Kopf. „Nichts, was ich auf den ersten Blick sagen könnte. Aber die Augen – die waren definitiv geschlossen, als ich kam. Nicht so, wie man das sonst sieht. Jemand hat sich die Mühe gemacht.“
Ich nickte. „Der Augenschließer?“
Rudi zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du, der ist wieder aktiv?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Wer weiß. Wir werden sehen.“
Wir ließen die Spurensicherung ihre Arbeit machen, gingen ein paar Schritte zur Seite. Stefan zog sein Notizbuch hervor, blätterte darin.
„Der Mann sieht nicht aus wie jemand, der hier zufällig erschossen wurde“, sagte er. „Das ist kein Straßenstrich, kein Drogendealer, kein Obdachloser. Das ist jemand, den man gezielt hierher gebracht hat.“
„Oder der hierher kommen sollte“, ergänzte Ollie.
Ich sah mich um. Der Nebel hatte etwas Unwirkliches. Die Geräusche der Stadt waren gedämpft, als kämen sie aus weiter Ferne.
„Wir brauchen einen Namen“, sagte ich. „Ohne den kommen wir nicht weiter.“
Rudi nickte. „Vielleicht hat er ein Handy dabei.“
Wir ließen einen Kollegen von der Spurensicherung die Taschen durchsuchen. Nach ein paar Minuten kam er mit einem Smartphone zurück, das noch eingeschaltet war.
„Kein Code“, sagte er. „Da hat es jemand eilig gehabt.“
Ich nahm das Handy, öffnete die Kontakte. Viele Anrufe, viele Nachrichten. Ich scrollte durch die letzten Einträge. Ein Name tauchte immer wieder auf: Dr. M. Kessler.
„Sagt euch das was?“, fragte ich.
Stefan schüttelte den Kopf. „Vielleicht ein Arzt.“
„Oder ein Anwalt“, warf Ollie ein.
Ich speicherte die Nummer ab, schickte sie an Walter Stein, unseren Innendienstler. „Lass das mal laufen“, sagte ich ins Telefon. „Wir brauchen alles zu diesem Dr. Kessler.“
Walter versprach, sich zu melden.
Wir warteten. Die Spurensicherung fand keine Brieftasche, keine Papiere, kein Portemonnaie. Der Mann war offenbar gezielt seiner Identität beraubt worden.
„Das ist professionell“, sagte Stefan. „Kein Amateur.“
„Und die Augen?“, fragte Ollie leise. „Das ist doch nicht normal.“
Ich nickte. „Nein. Das ist nicht normal.“
Wir fuhren zurück ins Präsidium. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, aber die Stadt war immer noch grau und schwer. Im Büro wartete schon Herr Hoch auf uns. Er stand am Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Was haben Sie?“, fragte er, ohne sich umzudrehen.
Ich berichtete ihm, was wir wussten. Nicht viel. Ein Toter, keine Papiere, ein Handy, ein Name.
Herr Hoch drehte sich um. Sein Gesicht war ernst, die Augen müde.
„Ich habe gerade mit dem LKA telefoniert. Es gab in den letzten Wochen zwei weitere Morde in Hamburg und Frankfurt, die nach demselben Muster abgelaufen sind. Männer, Mitte vierzig, gut gekleidet, sauber erschossen, keine Papiere, die Augen geschlossen.“
Ich sah Rudi an. Er runzelte die Stirn.
„Das ist ein Serienkiller“, sagte Stefan leise.
„Oder ein Auftragsmörder, der ein Ritual hat“, ergänzte Ollie.
Herr Hoch nickte. „Die Kollegen vom LKA sind dran, aber sie kommen nicht weiter. Vielleicht haben wir mehr Glück.“
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, ließ mir einen Kaffee bringen. Die Tasse war heiß, der Kaffee stark. Ich trank einen Schluck, sah auf das Handy des Toten. Walter hatte schon geantwortet.
„Dr. Markus Kessler. Anwalt, Wirtschaftsstrafrecht. Große Kanzlei am Gendarmenmarkt. Vertritt vor allem Banken und Investmentfirmen.“
„Das passt“, sagte Rudi. „Der Tote sieht aus wie ein Banker.“
Ich rief die Kanzlei an. Eine Sekretärin meldete sich, höflich und distanziert. Ich nannte meinen Namen, bat um Auskunft.
„Ich fürchte, Herr Dr. Kessler ist heute nicht im Haus“, sagte sie. „Kann ich etwas ausrichten?“
„Wir haben einen Toten gefunden, der mehrfach mit Herrn Kessler telefoniert hat. Können Sie mir sagen, ob einer Ihrer Mandanten vermisst wird?“
„Einen Moment, ich verbinde Sie mit unserem Managing Partner.“
Es dauerte eine Weile. Dann meldete sich eine tiefe, ruhige Stimme.
„Hier spricht Dr. Thomas Riedel. Was kann ich für Sie tun?“
Ich stellte mich vor, erklärte die Situation.
„Wir haben heute Morgen einen Mann gefunden, der offenbar mit Ihrem Kollegen Dr. Kessler in Kontakt stand. Wir brauchen einen Namen.“
Dr. Riedel zögerte. „Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht helfen. Herr Kessler ist diskret. Er gibt keine Mandantendaten heraus, ohne Rücksprache.“
„Das ist jetzt ein Mordfall, Dr. Riedel. Diskretion ist schön und gut, aber wenn Sie uns nicht helfen, machen Sie sich strafbar.“
Stille am anderen Ende.
„Ich werde Herrn Kessler informieren und Sie zurückrufen“, sagte er schließlich.
Ich legte auf, sah zu Rudi.
„Das dauert“, sagte ich. „Die werden erst ihren eigenen Anwalt fragen.“
Stefan kam herein, setzte sich auf die Schreibtischkante.
„Ich habe mit der Spurensicherung gesprochen. Keine Fingerabdrücke, keine DNA, keine Schuhabdrücke. Der Täter war vorsichtig.“
„Und die Augen?“, fragte ich.
Stefan zuckte mit den Schultern. „Keine Spuren. Vielleicht Handschuhe.“
Ollie kam mit einem Ausdruck herein. „Ich habe die letzten Anrufe des Toten durchgesehen. Kurz vor seinem Tod hat er eine Nummer gewählt, die auf einen Prepaid-Anschluss läuft. Kein Name, keine Adresse.“
Ich sah auf die Nummer. Sie war mir nicht bekannt.
„Lass sie von Walter orten“, sagte ich.
Ollie nickte, verschwand wieder.
Die Stunden vergingen. Wir warteten auf den Rückruf der Kanzlei, auf Walters Ergebnisse, auf irgendetwas, das uns weiterbrachte. Ich trank Kaffee, rauchte eine Zigarette am Fenster, sah auf den grauen Himmel.
Gegen Mittag meldete sich Walter.
„Harry, ich habe die Nummer geortet. Sie wurde heute Morgen um sieben Uhr zuletzt in der Nähe des Ostbahnhofs eingeloggt. Seitdem ist sie aus.“
„Danke, Walter. Irgendwas zu Kessler?“
„Ja. Er hat gestern Abend einen Termin im Hotel Adlon gehabt. Mit einem Mandanten namens Viktor Kramnik. Russischer Geschäftsmann, lebt seit fünf Jahren in Berlin, investiert in Immobilien. Nicht ganz sauber, wenn du mich fragst.“
Ich notierte den Namen. „Adresse?“
Walter gab sie mir durch.
Ich rief Rudi, Stefan und Ollie zusammen.
„Wir fahren zu Kramnik“, sagte ich. „Vielleicht weiß er, wer unser Toter ist.“
Kramnik wohnte in einer Villa am Grunewald, mit hohen Mauern und einer Einfahrt, die von Kameras überwacht wurde. Wir klingelten, wurden von einem Sicherheitsmann eingelassen. Im Haus roch es nach Leder und Zigarren. Kramnik erwartete uns im Salon, ein großer, breitschultriger Mann mit grauem Haar und eisblauen Augen.
„Was kann ich für die Polizei tun?“, fragte er mit leichtem Akzent.
Ich stellte uns vor, erklärte, warum wir hier waren.
Kramnik hörte aufmerksam zu, dann schüttelte er den Kopf.
„Ich kenne niemanden, der heute Nacht gestorben ist.“
„Sie hatten gestern Abend einen Termin mit Dr. Kessler“, sagte Stefan.
Kramnik nickte. „Ja. Wir haben über eine Immobilienübernahme gesprochen. Nichts Illegales.“
„Kennen Sie diesen Mann?“ Ich zeigte ihm ein Foto des Toten.
Kramnik sah es sich an, schüttelte den Kopf. „Nie gesehen.“
Ich glaubte ihm nicht. Aber ich konnte es ihm nicht beweisen.
„Wissen Sie, ob Dr. Kessler heute im Büro ist?“, fragte ich.
Kramnik zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
Wir verabschiedeten uns. Als wir das Haus verließen, sagte Rudi leise: „Der weiß mehr, als er sagt.“
Ich nickte. „Aber wir brauchen Beweise.“
Zurück im Präsidium wartete eine Nachricht von Dr. Riedel auf mich.
„Herr Kubinke, ich habe mit Herrn Kessler gesprochen. Er kennt den Toten nicht. Aber einer unserer Mandanten, Herr Viktor Kramnik, hat sich heute Morgen gemeldet und gefragt, ob wir etwas von einem Vorfall an der Spree wissen. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ich starrte auf die Nachricht. Kramnik wusste Bescheid. Aber warum leugnete er?
Ich rief Walter an. „Lass Kramnik rund um die Uhr beobachten. Und check die Kameras am Spreeufer. Vielleicht hat jemand etwas aufgenommen.“
Walter versprach, sich zu kümmern.
Am Abend saßen wir im Büro, müde, hungrig, ratlos. Der Fall war wie ein Knoten, den niemand lösen konnte.
Stefan stand am Fenster, starrte in die Dunkelheit.
„Vielleicht ist es doch der Augenschließer“, sagte er leise. „Ein Profi. Jemand, der für Geld tötet. Und der seinen Opfern die Augen schließt, weil er den Tod nicht sehen will.“
Ich sah ihn an. „Oder weil er sich selbst beruhigen muss. Weil er weiß, dass er etwas Unwiderrufliches getan hat.“
Ollie lachte bitter. „Oder weil er einfach ein verdammter Psycho ist.“
Wir schwiegen.
Draußen begann es zu regnen. Das Wasser rann an den Scheiben herunter, verzerrte die Lichter der Stadt.
Ich dachte an den Toten am Ufer, an seine geschlossenen Augen, an das leise Geräusch, mit dem der Killer ihm den letzten Frieden geschenkt hatte.
Und ich wusste: Das war erst der Anfang.
Der Regen hatte aufgehört, aber der Nebel blieb. Berlin lag wie unter einer Glasglocke, die Geräusche der Stadt waren dumpf und fern, als wir am nächsten Morgen wieder im Präsidium ankamen. Die Nacht hatte ich kaum geschlafen. Immer wieder war mir das Gesicht des Toten vor Augen erschienen, die geschlossenen Lider, die seltsame Ruhe, die von ihm ausging. Es war, als hätte jemand alles Unheil der Welt mit einem einzigen Handgriff weggewischt – und doch wusste ich, dass genau das Gegenteil der Fall war.
Rudi saß schon an seinem Schreibtisch, als ich kam. Er hatte sich einen Kaffee gemacht, aber der Becher stand noch voll da, dampfte vor sich hin. Er starrte auf den Bildschirm, auf dem die Fotos vom Tatort zu sehen waren.
„Morgen“, sagte ich und ließ mich auf meinen Stuhl fallen.
„Morgen“, brummte er. „Walter hat sich gemeldet. Die Kameras am Spreeufer...“
Ich hob die Augenbrauen. „Und?“
„Nichts. Die eine, die auf den Weg zeigt, war beschlagen. Die andere ist seit einer Woche außer Betrieb. Und die Privathäuser, die was sehen könnten, haben entweder keine Kameras oder die Aufnahmen werden nach zwölf Stunden überschrieben.“
Ich stöhnte. „War ja klar.“
Rudi schob mir einen Zettel zu. „Dafür hat Walter noch was anderes gefunden. Die Nummer, die der Tote zuletzt gewählt hat – die Prepaid-Nummer. Die ist auf einen gewissen Lukas Renz registriert. Falscher Name, aber die SIM wurde gestern Nachmittag in einem Kiosk in Neukölln gekauft. Walter hat die Verkäuferin befragt. Sie erinnert sich an einen Mann, etwa Ende dreißig, schlank, dunkle Haare, Bart. Hat bar bezahlt, war höflich, unauffällig.“
„Klingt wie die Hälfte aller Männer in Berlin“, murmelte ich.
„Wenigstens haben wir jetzt einen Phantomzeichner dran.“
Ich nickte. „Und was ist mit Kramnik?“
Rudi grinste schief. „Der hat gestern Abend Besuch bekommen. Ein Mann, etwa Mitte vierzig, teurer Anzug, Glatze. Kam mit dem Taxi, blieb eine halbe Stunde, ist dann wieder verschwunden. Die Kollegen haben das Kennzeichen des Taxis. Walter lässt gerade den Fahrer suchen.“
Ich trank einen Schluck Kaffee. „Was ist mit dem Handy des Toten?“
„Da sind ein paar interessante Nachrichten drauf“, sagte Rudi. „Meistens belangloses Zeug, aber gestern Abend, kurz vor seinem Tod, hat er eine SMS bekommen: 'Treffen Spreeufer 22:00. Allein.' Absender die Prepaid-Nummer.“
Ich runzelte die Stirn. „Das war eine Falle.“
Rudi nickte. „Sieht so aus.“
Ich lehnte mich zurück. „Also. Jemand lockt unseren Toten ans Ufer, erschießt ihn, nimmt die Papiere, schließt ihm die Augen – und verschwindet spurlos.“
„Und Kramnik weiß mehr, als er sagt.“
Ich stand auf, ging zum Fenster. Die Stadt lag grau und schwer unter dem Himmel. Ich hatte das Gefühl, dass wir gegen einen unsichtbaren Feind kämpften, der immer einen Schritt voraus war.
Gegen zehn Uhr kam Walter Stein zu uns ins Büro. Er war blass, die Augen gerötet, als hätte er die Nacht durchgearbeitet. Er hielt einen Ausdruck in der Hand.
„Ich habe den Taxifahrer gefunden“, sagte er, ohne Begrüßung. „Er erinnert sich an den Fahrgast. Glatze, Anzug, Akzent – russisch oder polnisch, meint er. Der Mann hat sich am Kudamm absetzen lassen, ist dann in ein Hotel gegangen. Das Hotel Bellevue.“
Ich nahm ihm den Ausdruck ab. „Name?“
„Er hat sich als Pavel Ivanov eingetragen. Russischer Pass. Aber ich habe das Foto gesehen – das ist ein gefälschter Ausweis. Der Mann ist nicht Ivanov. Ich habe das Bild durch die Datenbank laufen lassen. Treffer: Sergej Karpov, ehemaliger FSB, jetzt freier Sicherheitsberater. Lebt seit zwei Jahren in Berlin. Wird von den Russen gesucht, weil er angeblich mit Oligarchen Geschäfte gemacht hat, die nicht genehm waren.“
Rudi pfiff leise durch die Zähne. „Das wird ja immer schöner.“
Walter nickte. „Karpov ist gefährlich. Hat eine Akte wie ein Telefonbuch. Und er hat Kontakte zu Kramnik.“
Ich setzte mich wieder. „Also. Unser Toter wird von jemandem ans Ufer gelockt, der mit Kramnik und Karpov zu tun hat. Und Karpov ist ein Profi.“
„Vielleicht ist er der Augenschließer“, warf Rudi ein.
Walter schüttelte den Kopf. „Die Morde in Hamburg und Frankfurt – da gibt es Zeugen, die einen anderen Mann gesehen haben. Größer, breiter, kein Bart. Aber es könnte sein, dass Karpov den Kontakt hergestellt hat.“
Ich dachte nach. „Wir müssen Kramnik und Karpov unter Druck setzen. Vielleicht wissen sie, wer unser Toter ist.“
Walter nickte. „Ich habe schon einen Antrag auf Durchsuchung gestellt. Und ich habe einen Kollegen beim BND angerufen. Die haben Karpov auf dem Schirm.“
Ich sah auf die Uhr. „Dann fahren wir jetzt ins Hotel Bellevue.“
Das Hotel Bellevue lag am Rande des Tiergartens, ein alter Kasten mit viel Marmor und Messing, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wir zeigten an der Rezeption unsere Ausweise, wurden höflich, aber misstrauisch behandelt. Der Portier führte uns in den dritten Stock, wo Karpov ein Zimmer gemietet hatte.
Wir klopften. Keine Antwort.
Rudi nickte dem Portier zu, der mit einer Chipkarte die Tür öffnete.
Das Zimmer war leer. Das Bett war gemacht, die Fenster geschlossen. Auf dem Tisch lag ein Zettel, daneben eine leere Kaffeetasse.
Ich ging zum Fenster, öffnete es. Draußen war ein schmaler Balkon, von dem aus man auf den Tiergarten sehen konnte. Keine Spur von Karpov.
Rudi durchsuchte das Bad, Walter sah sich die Schränke an.
„Nichts“, sagte er. „Der Mann ist weg.“
Ich nahm den Zettel vom Tisch. Darauf stand in sauberer Handschrift: „Wir sehen uns wieder.“
Ich reichte ihn Rudi. „Das ist eine Botschaft.“
„An wen?“
„An uns.“
Walter sah auf die Uhr. „Karpov wusste, dass wir kommen.“
Ich nickte. „Jemand hat ihn gewarnt.“
Wir fuhren zurück ins Präsidium. Ich war schlecht gelaunt. Wir hatten nichts in der Hand, keinen Namen, kein Motiv, keinen Verdächtigen. Nur einen Toten mit geschlossenen Augen und einen russischen Ex-Agenten, der uns zum Narren hielt.
Im Büro wartete eine Nachricht von Dr. Sühlke auf uns.
„Obduktion ist durch. Der Tote war etwa seit Mitternacht tot. Schuss in die Brust, Herz durchschlagen, sofort tot. Keine Drogen, kein Alkohol. Hände sauber, keine Abwehrspuren. Die Kugel stammt aus einer Glock 17, Standardkaliber. Keine besonderen Merkmale. Und – das wird Sie interessieren – unter den Fingernägeln des Toten waren Reste von Latex. Der Täter hat ihm die Augen mit Handschuhen geschlossen.“
Ich las die Nachricht zweimal. „Latex. Also Handschuhe. Der Täter wollte keine Spuren hinterlassen.“
Rudi nickte. „Ein Profi.“
Ich rief Sühlke an. „Gab es sonst noch was?“
„Ja“, sagte er. „Der Mann hatte eine alte Narbe am rechten Oberschenkel. Sieht aus wie eine Operationsnarbe. Und am linken Handgelenk eine Tätowierung. Ein kleiner Stern.“
Ich notierte es. „Danke, Sühlke.“
Ich legte auf, sah zu Rudi. „Eine Tätowierung. Vielleicht bringt uns das weiter.“
Walter kam herein. „Ich habe die Datenbank nach Männern mit Stern-Tattoo am linken Handgelenk durchsucht. Es gibt ein paar Dutzend, aber einer passt ins Profil: Janosch Wenz, 44, gebürtig aus Dresden, zuletzt wohnhaft in Berlin. War früher im Sicherheitsdienst, dann in einer Investmentfirma. Wurde vor drei Monaten entlassen, weil er angeblich Firmengelder veruntreut hat. Seitdem verschwunden.“
Ich sah auf das Foto. Es war unser Toter.
„Das ist er“, sagte ich.
Walter nickte. „Ich habe noch mehr. Wenz war vor seiner Zeit im Sicherheitsdienst bei der Bundeswehr. Fallschirmjäger. Die Narbe am Oberschenkel stammt von einer alten Schussverletzung.“
Ich lehnte mich zurück. „Also. Janosch Wenz, Ex-Bundeswehr, Ex-Sicherheitsdienst, Investmentfirma, veruntreute Gelder, untergetaucht. Und jetzt tot am Spreeufer.“
Rudi runzelte die Stirn. „Was hat er mit Kramnik zu tun?“
Walter zuckte die Schultern. „Vielleicht hat er für ihn gearbeitet.“
Ich dachte nach. „Oder er hat ihn erpresst.“
Wir beschlossen, Kramnik noch einmal zu besuchen. Diesmal wollten wir nicht höflich sein.
Die Villa lag im Sonnenschein, der Nebel hatte sich verzogen. Wir wurden vom Sicherheitsdienst durchgelassen, mussten unsere Waffen am Eingang abgeben. Kramnik erwartete uns im Arbeitszimmer, ein Glas Whisky in der Hand.
„Schon wieder die Polizei“, sagte er, ohne aufzusehen.
Ich setzte mich ihm gegenüber, sah ihm in die Augen.
„Herr Kramnik, wir wissen jetzt, wer der Tote ist. Janosch Wenz. Er hat für Sie gearbeitet.“
Kramnik verzog keine Miene. „Viele Menschen arbeiten für mich.“
„Wenz hat Sie erpresst. Er wusste von Ihren Geschäften mit Karpov.“
Kramnik lachte leise. „Sie haben eine blühende Fantasie, Herr Kommissar.“
Ich lehnte mich vor. „Wenz ist tot. Er wurde erschossen. Die Augen geschlossen. Das ist kein Zufall. Das ist eine Botschaft.“
Kramnik schwieg.
Rudi beugte sich vor. „Wer hat Wenz getötet?“
Kramnik sah ihn an. „Wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen sagen.“
Ich glaubte ihm kein Wort.
„Karpov war gestern Abend bei Ihnen“, sagte ich. „Er ist jetzt verschwunden. Wo ist er?“
Kramnik zuckte die Schultern. „Ich habe keine Ahnung.“
Ich stand auf. „Wir werden Sie beobachten, Herr Kramnik. Und wenn Sie irgendetwas wissen, rufen Sie mich an.“
Er lächelte. „Natürlich, Herr Kommissar.“
Zurück im Präsidium wartete eine neue Nachricht auf uns. Walter hatte die letzten Bewegungen von Wenz' Handy rekonstruiert. Am Abend vor seinem Tod hatte er sich mit jemandem in einer Bar in Mitte getroffen. Die Überwachungskamera hatte das Gespräch aufgezeichnet.
Wir sahen uns die Aufnahmen an. Wenz saß an der Theke, trank Bier, wirkte nervös. Ein Mann setzte sich zu ihm – groß, kräftig, dunkle Haare, Bart. Er trug eine Lederjacke. Sie sprachen leise, Wenz schien zu bitten, der andere schüttelte den Kopf.
„Das ist der Mann aus dem Kiosk“, sagte Walter.
Ich nickte. „Der, der die Prepaid-Karte gekauft hat.“
Wir ließen das Bild scharfstellen. Das Gesicht war undeutlich, aber die Umrisse stimmten.
„Wir müssen ihn finden“, sagte ich.
Rudi nickte. „Und zwar schnell.“
Am Abend saßen wir wieder im Büro. Die Stadt war dunkel, der Regen hatte wieder eingesetzt. Ich starrte auf die Fotos, die Akten, die Notizen. Wir hatten einen Toten, einen russischen Ex-Agenten, einen Investmenthai und einen Unbekannten mit Bart.
Und irgendwo da draußen war jemand, der seinen Opfern die Augen schloss, als wollte er ihnen den letzten Frieden schenken – oder sich selbst von ihrer Schuld befreien.
Ich dachte an Stefan Carnavaro, der einmal gesagt hatte: „Ich bin ein Fanatiker der Gerechtigkeit.“ Vielleicht war das der einzige Weg, in diesem Job zu überleben – an irgendetwas zu glauben. Oder wenigstens so zu tun.
Ich wusste nur eins: Der Fall war noch lange nicht zu Ende.
Und der Augenschließer war noch da draußen.
Der nächste Tag begann, wie der letzte geendet hatte: mit Regen. Grau, gleichförmig, unaufhörlich. Die Tropfen liefen an den Fensterscheiben des Präsidiums herab, als wollten sie die Welt draußen auslöschen. Ich saß an meinem Schreibtisch, starrte auf die Fotos von Janosch Wenz, die Akten, die wir in der Nacht noch einmal durchgegangen waren. Rudi kam mit zwei Pappbechern Kaffee herein, stellte einen vor mich hin und ließ sich auf den Stuhl nebenan fallen.
„Schlechte Nachrichten“, sagte er. „Walter hat die Überwachungskameras aus der Bar weiter ausgewertet. Der Typ mit dem Bart – der, der mit Wenz gesprochen hat – ist nach dem Treffen raus und direkt in einen Lieferwagen gestiegen. Keine Nummernschilder, keine Aufschrift. Der Wagen ist auf keiner anderen Kamera aufgetaucht.“
Ich nahm einen Schluck Kaffee. „Das war geplant. Der wusste, dass er beobachtet wird.“
Rudi nickte. „Und noch was: Die Prepaid-Nummer, von der die SMS an Wenz kam, wurde gestern Nacht wieder aktiviert. Für genau drei Minuten. Dann war sie wieder tot.“
Ich sah auf. „Wo?“
„In der Nähe vom Ostbahnhof. Walter hat die Funkzellen gecheckt. Aber da laufen nachts Hunderte Leute herum.“
„Vielleicht wollte uns jemand etwas zeigen“, murmelte ich.
Rudi zog die Augenbrauen hoch. „Oder er wollte sehen, ob wir ihn schon auf dem Schirm haben.“
Ich lehnte mich zurück, massierte mir die Schläfen. „Wir drehen uns im Kreis.“
„Noch nicht ganz“, sagte Rudi. „Stefan hat ein paar Kontakte beim LKA angezapft. Es gibt einen alten Fall, der vielleicht passt. Vor vier Jahren, in Hamburg: Ein Mann, erschossen, keine Papiere, Augen geschlossen. Damals hat niemand das Muster erkannt. Aber die Kugel stammte aus einer Glock 17. Und das Opfer hatte Kontakte zu russischen Geschäftsleuten.“
Ich richtete mich auf. „Gibt es Fotos vom Tatort?“
„Schon unterwegs“, sagte Rudi. „Walter schickt sie gleich.“
Zehn Minuten später standen Stefan Carnavaro und Ollie Medina in unserem Büro. Stefan war, wie immer, makellos gekleidet, aber die dunklen Ringe unter seinen Augen verrieten, dass auch er kaum geschlafen hatte. Ollie sah aus, als hätte er die Nacht auf der Couch verbracht – was vermutlich auch stimmte.
„Was gibt’s?“, fragte Stefan.
Ich zeigte ihm die Ausdrucke, die Walter geschickt hatte. „Hamburg, 2018. Opfer: Pawel Sidorow, angeblich Immobilienmakler, tatsächlich aber Verbindungsmann für russische Investoren. Erschossen, keine Papiere, Augen geschlossen. Kugel aus einer Glock 17.“
Stefan blätterte durch die Fotos, hielt inne. „Das ist ein Ritual. Keine Frage.“
„Und der Täter ist Profi“, ergänzte Ollie. „Keine Spuren, keine Zeugen, kein Motiv, das sich nachweisen ließ.“
Rudi warf einen Blick auf die Akte. „Was ist mit Karpov?“
„Der war zu der Zeit nachweislich in Hamburg“, sagte Stefan. „Aber er hat ein Alibi. War auf einer Konferenz, Dutzende Zeugen.“
Ich runzelte die Stirn. „Vielleicht hat er den Kontakt hergestellt, wie jetzt bei Wenz.“
Ollie kratzte sich am Kinn. „Oder er ist der Mittelsmann für jemanden, der im Hintergrund bleibt.“
Ich sah Stefan an. „Was ist mit Kramnik?“
Stefan schüttelte den Kopf. „Der hält dicht. Aber ich habe einen Kollegen beim BKA in Wiesbaden angerufen. Die haben ihn schon länger auf dem Schirm. Verdacht auf Geldwäsche, Kontakte zu Oligarchen, aber nie etwas nachweisbar.“
Rudi stieß einen leisen Pfiff aus. „Das ist eine Liga, in der wir sonst selten spielen.“
Ich nickte. „Aber jetzt haben wir einen Toten. Und einen Killer, der ein Ritual hat.“
Gegen Mittag meldete sich Walter Stein. „Ich habe was Interessantes. Die Prepaid-Nummer wurde gestern Nacht für einen Anruf benutzt – genau 42 Sekunden. Angerufen wurde eine Nummer, die auf einen gewissen Dr. Thomas Riedel läuft.“
Ich hob den Kopf. „Der Managing Partner der Kanzlei, die Kramnik vertritt.“
Walter bestätigte. „Ja. Ich habe die Verbindung gecheckt. Das Gespräch wurde nicht aufgezeichnet, aber es gibt eine Notiz im System: Riedel hat kurz nach dem Anruf sein Büro verlassen und ist für zwei Stunden verschwunden.“
Rudi starrte mich an. „Das ist kein Zufall.“
Ich griff zum Telefon, wählte die Nummer der Kanzlei. Die Sekretärin war höflich, aber distanziert. „Herr Dr. Riedel ist außer Haus. Soll ich ihm etwas ausrichten?“
„Nein, danke“, sagte ich. „Ich versuche es später noch einmal.“
Ich legte auf und sah zu den anderen. „Wir müssen mit Riedel sprechen. Sofort.“
Wir fuhren zur Kanzlei am Gendarmenmarkt. Das Gebäude war modern, viel Glas und Stahl, eine Empfangshalle, in der es nach teurem Parfum roch. Die Sekretärin führte uns in einen Konferenzraum, bat uns, Platz zu nehmen. „Herr Dr. Riedel kommt gleich.“
Wir warteten. Nach zehn Minuten betrat Riedel den Raum. Er war ein Mann Mitte fünfzig, schlank, graue Haare, maßgeschneiderter Anzug. Er wirkte angespannt, als er uns die Hand schüttelte.
„Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“
Ich zeigte ihm das Foto von Janosch Wenz. „Kennen Sie diesen Mann?“
Riedel war Profi. Er ließ sich nichts anmerken. „Nein. Sollte ich?“
„Er wurde gestern Nacht ermordet. Er hatte mehrfach Kontakt zu Ihrer Kanzlei. Und gestern Nacht wurden Sie von einer Prepaid-Nummer angerufen, die mit dem Fall zu tun hat.“
Riedel lächelte dünn. „Ich bekomme viele Anrufe, Herr Kubinke.“
„Aber nicht alle führen dazu, dass Sie Ihr Büro für zwei Stunden verlassen“, warf Rudi ein.
Riedel schwieg einen Moment. Dann sagte er: „Ich hatte einen dringenden Termin.“
„Mit wem?“, fragte Stefan.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Mandantenschutz.“
Ich lehnte mich vor. „Herr Dr. Riedel, wir ermitteln in einem Mordfall. Wenn Sie uns nicht helfen, machen Sie sich strafbar.“
Riedel sah mich an, seine Augen waren kalt. „Ich weiß, wie weit ich gehen kann, Herr Kubinke. Und ich weiß auch, wann ich einen Anwalt brauche.“
Ich stand auf. „Das werden Sie vielleicht bald.“
Wir verließen die Kanzlei, ohne eine Antwort zu haben.
Zurück im Präsidium. Walter wartete schon auf uns. „Ich habe die Bewegungen von Riedels Handy nachverfolgt. Nach dem Anruf ist er mit dem Wagen in den Westen gefahren, zu einem Bürogebäude in Charlottenburg. Das Gebäude gehört einer Firma namens Euronet Consulting. Auf dem Papier eine IT-Beratung, aber dahinter steckt ein Briefkastenunternehmen auf Zypern.“
Rudi runzelte die Stirn. „Wer ist der Geschäftsführer?“
Walter grinste schief. „Ein gewisser Sergej Karpov.“
Ich schlug mit der Faust auf den Tisch. „Das ist es. Riedel trifft sich mit Karpov, nachdem er von der Prepaid-Nummer angerufen wurde.“
Stefan nickte. „Vielleicht hat der Killer Kontakt zu Karpov. Oder er ist es selbst.“
Ollie schüttelte den Kopf. „Die Zeugen aus Hamburg und Frankfurt haben einen anderen Mann gesehen. Aber Karpov könnte der Drahtzieher sein.“
Ich dachte nach. „Wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für Euronet Consulting.“
Walter nickte. „Ich kümmere mich darum.“
Am Nachmittag standen wir vor dem Bürogebäude in Charlottenburg. Es war ein unscheinbarer Bau aus den 70ern, graue Fassade, abgeblätterte Farbe. Wir zeigten den Durchsuchungsbeschluss, wurden von einem Hausmeister hereingelassen. Das Büro von Euronet Consulting lag im dritten Stock. Die Tür war verschlossen, aber Walter hatte einen Schlüsseldienst bestellt.
Drinnen roch es nach Staub und abgestandenem Kaffee. Zwei Schreibtische, ein paar Computer, leere Aktenschränke. Keine persönlichen Gegenstände, keine Fotos, keine Akten.
Rudi durchsuchte die Schubladen, Stefan sah sich die Computer an. „Alle frisch gelöscht“, sagte er. „Jemand hat die Festplatten gestern Abend überschrieben.“
Ich ging zum Fenster. Von hier aus konnte man die Straße sehen, den Regen, die Autos, die vorbeifuhren. Es war, als hätte jemand alle Spuren beseitigt.
Walter kam mit einem Umschlag zurück. „Das lag im Papierkorb.“ Er reichte mir einen Briefumschlag, auf dem in krakeliger Schrift ein Name stand: „K. J. Gänsler“.
Ich starrte auf die Buchstaben. „Das kommt mir bekannt vor.“
Rudi nickte. „Walter, check mal, ob der Name irgendwo in Verbindung mit Karpov oder Kramnik auftaucht.“
Walter verschwand mit dem Umschlag.
Zurück im Präsidium. Es war schon dunkel, als Walter uns wieder zusammenrief.
„Ich habe was. K. J. Gänsler – das ist Kim-Jacqueline Gänsler. Sie ist vor zwei Jahren nach Berlin gezogen, arbeitet als Dolmetscherin für Russisch und Englisch. Sie hat mehrfach für Kramnik und Karpov gearbeitet. Und – das ist interessant – sie war vor drei Tagen im selben Hotel wie Karpov.“
Ich sah Stefan an. „Vielleicht ist sie der Schlüssel.“
Walter fuhr fort. „Gänsler wohnt in Prenzlauer Berg, in einer kleinen Wohnung. Sie ist nicht vorbestraft, aber sie hat eine interessante Vergangenheit. Ihr Vater war Offizier bei der NVA, nach der Wende in dubiose Geschäfte verwickelt. Sie hat Kontakte zu mehreren ehemaligen Geheimdienstlern.“
Rudi grinste schief. „Das wird ja immer besser.“
Ich stand auf. „Wir fahren zu ihr.“
Die Wohnung lag in einem Altbau, vierter Stock, kein Aufzug. Wir klingelten, hörten Schritte, dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Eine Frau, vielleicht Mitte dreißig, blonde Haare, schmale Gestalt, sah uns an.
„Kim-Jacqueline Gänsler?“
Sie nickte, musterte unsere Ausweise.
„Wir müssen mit Ihnen sprechen“, sagte ich.
Sie ließ uns ein, führte uns in ein kleines, ordentliches Wohnzimmer. Bücherregale, ein Laptop auf dem Tisch, eine Tasse Tee.
„Worum geht es?“
Ich zeigte ihr das Foto von Janosch Wenz. „Kennen Sie diesen Mann?“
Sie sah das Bild an, verzog keine Miene. „Nein.“
„Sie haben für Kramnik und Karpov gearbeitet.“
Sie zuckte die Schultern. „Ich bin Dolmetscherin. Ich arbeite für viele Leute.“
Rudi trat einen Schritt näher. „Sie waren vor drei Tagen im Hotel Bellevue. Zusammen mit Sergej Karpov.“
Sie sah ihn an, dann nickte sie langsam. „Ich habe für ihn übersetzt. Ein Geschäftstreffen.“
„Mit wem?“
Sie schwieg.
Ich lehnte mich vor. „Frau Gänsler, es geht um Mord. Wenn Sie uns nicht helfen, machen Sie sich strafbar.“
Sie sah auf ihre Hände. „Ich weiß nicht, was Sie hören wollen. Ich habe für Karpov übersetzt. Mehr nicht.“
Stefan musterte sie. „Kennen Sie eine Prepaid-Nummer, die in den letzten Tagen mehrfach mit Kramnik und Karpov in Kontakt war?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich benutze mein eigenes Handy.“
Ich stand auf. „Wir werden Ihr Handy mitnehmen. Und Ihren Laptop.“
Sie nickte, wirkte plötzlich müde. „Machen Sie, was Sie müssen.“
Zurück im Präsidium ließ Walter die Geräte auswerten. Es dauerte bis in die Nacht, aber schließlich fand er, was wir suchten.
„Da ist eine Nachricht auf dem Handy von Gänsler. Gelöscht, aber wiederhergestellt. Sie stammt von einer Nummer, die mit der Prepaid-Nummer übereinstimmt, die Wenz benutzt hat.“
Ich las die Nachricht: „Treffen Spreeufer 22:00. Allein.“
Rudi sah mich an. „Sie hat die Nachricht weitergeleitet.“
Ich nickte. „Sie ist der Lockvogel.“
Walter ergänzte: „Und noch was. Auf dem Laptop ist ein verschlüsselter Ordner. Ich arbeite dran.“
Es war nach Mitternacht, als ich endlich nach Hause kam. Ich saß im Dunkeln, starrte auf die Stadt, die im Regen glitzerte. Wir hatten einen Namen, ein Motiv, einen Verdacht. Aber der Augenschließer war noch immer frei.
Ich dachte an Janosch Wenz, an seine geschlossenen Augen, an den Mann im Lieferwagen, an Karpov, an Kramnik, an Kim-Jacqueline Gänsler.
Und ich wusste: Das Netz zog sich zu. Aber ob wir den Killer fangen würden, bevor er wieder zuschlug – das stand auf einem anderen Blatt.
Der Regen trommelte gegen die Scheiben. Irgendwo in der Stadt schloss jemand die Augen. Für immer.
Der Morgen begann mit einem Anruf von Walter Stein, noch bevor ich meinen ersten Kaffee getrunken hatte. Seine Stimme klang rau, als hätte er die Nacht durchgearbeitet. „Harry, ich hab’s geknackt. Der verschlüsselte Ordner auf Kim-Jacqueline Gänslers Laptop – da ist was drin, das ihr sehen müsst.“
„Ich bin in zwanzig Minuten da“, versprach ich. Rudi, der gerade seinen Mantel überzog, warf mir einen fragenden Blick zu. „Gänsler?“, fragte er. Ich nickte nur und wir fuhren los.
Das Präsidium war um diese Uhrzeit noch ruhig, die Flure leer, das Licht in Walters Büro jedoch brannte schon. Er saß vor drei Bildschirmen, auf denen unzählige Fenster offen waren. Kaffee dampfte in einem Becher, der aussah, als hätte er schon bessere Tage gesehen.
„Setzt euch“, sagte Walter, ohne aufzusehen. „Ich hab die Verschlüsselung geknackt. War gar nicht so einfach, aber sie hat einen Fehler gemacht – ein altes Passwort, das sie auch für ihren E-Mail-Account benutzt. Manche Leute lernen’s nie.“
Er klickte ein paar Mal, dann öffnete sich ein Ordner mit dem Namen „Notizen“. Darin: Dutzende Textdateien, manche nur ein paar Zeilen, andere mehrere Seiten lang. Walter öffnete die erste.
„Das hier ist von vor einem Monat. Sie hat alles protokolliert, was sie für Karpov und Kramnik gemacht hat. Übersetzungen, Treffen, sogar private Gespräche. Sie war sehr gewissenhaft.“
Ich las mit, während Walter scrollte. Die Namen sprangen mir entgegen: Kramnik, Karpov, Wenz, Sidorow – der Tote aus Hamburg. Und noch andere, die ich nicht kannte. Immer wieder tauchten Hinweise auf Treffen auf, auf Geldtransfers, auf „Probleme“, die gelöst werden mussten.
Rudi beugte sich vor. „Was ist das hier?“, fragte er und deutete auf eine Zeile: „K. hat S. gebeten, sich um das Problem W. zu kümmern. Treffen am Spreeufer, 22:00. Ich soll die Nachricht weiterleiten.“
Walter nickte. „K. ist Karpov, S. ist vermutlich der Killer, W. ist Wenz. Gänsler war der Bote.“
Ich fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog. „Weiter.“
Walter scrollte. „Hier – zwei Wochen früher: ‚S. hat in Hamburg einen Job erledigt. K. sagt, es war sauber. Keine Spuren.‘ Und noch eins: ‚K. will, dass ich S. in Zukunft direkt kontaktiere, wenn es neue Probleme gibt.‘“
Rudi schüttelte den Kopf. „Sie hat alles dokumentiert. Warum?“
Walter zuckte die Schultern. „Vielleicht als Versicherung. Falls sie selbst irgendwann unter Druck gerät.“
Ich dachte nach. „Hat sie irgendwo den Namen von S. ausgeschrieben?“
Walter schüttelte den Kopf. „Nicht direkt. Aber sie hat eine Datei mit dem Titel ‚S-Profil‘. Die ist interessant.“
Er öffnete die Datei. Darin: eine Liste von Merkmalen. „Männlich, ca. 40, groß, kräftig, Bart, spricht akzentfrei Deutsch, aber auch Russisch. Trägt Handschuhe, benutzt verschiedene Waffen, bevorzugt Glock 17. Ritual: schließt den Opfern die Augen. Keine persönlichen Gespräche, keine Namen. Kontakt nur über Prepaid-Handys.“
Rudi pfiff leise. „Das ist unser Mann.“
Ich nickte. „Aber wir haben immer noch keinen Namen.“
Walter klickte weiter. „Doch, vielleicht. Hier ist eine Notiz von vor drei Tagen: ‚S. will abtauchen. K. ist nervös, will ihn nicht verlieren. Neuer Treffpunkt: alter Güterbahnhof, Friedrichshain, 23:00.‘“
Ich sprang auf. „Das war vorgestern. Vielleicht gibt es Kameras.“
Walter nickte. „Ich hab schon Kollegen hingeschickt. Die werten die Aufnahmen aus.“
Rudi sah mich an. „Wir sollten Gänsler noch einmal befragen.“
Ich nickte. „Diesmal nehmen wir sie richtig in die Mangel.“
Kim-Jacqueline Gänsler saß in einem kargen Vernehmungsraum, die Hände gefaltet, der Blick auf den Tisch gerichtet. Sie wirkte kleiner, verletzlicher als gestern in ihrer Wohnung. Als wir eintraten, hob sie den Kopf, ihre Augen waren gerötet.
Ich setzte mich ihr gegenüber, Rudi neben mich. „Frau Gänsler, wir wissen, dass Sie mehr wissen, als Sie sagen. Wir haben Ihre Notizen gelesen.“
Sie zuckte zusammen, sagte aber nichts.
„Sie haben für Karpov und Kramnik gearbeitet. Sie haben Nachrichten weitergeleitet, Treffen organisiert. Sie wissen, wer S. ist.“
Sie schwieg.
Rudi beugte sich vor. „Sie sind in Gefahr, Frau Gänsler. Sie sind nur ein Werkzeug für diese Leute. Wenn Sie nicht kooperieren, werden Sie am Ende genauso enden wie Wenz.“
Sie sah auf, Tränen glänzten in ihren Augen. „Ich wollte das nicht. Ich wollte nur meinen Job machen. Übersetzen, organisieren. Ich wusste nicht, dass...“
Ich unterbrach sie. „Dass Menschen sterben? Sie haben es gewusst. Sie haben es dokumentiert. Sie haben gewusst, dass S. ein Killer ist.“
Sie schluckte. „Sie haben mir Angst gemacht. Karpov hat gesagt, wenn ich nicht tue, was er verlangt, passiert mir was. Oder meiner Mutter. Sie lebt allein, sie ist krank. Ich hatte keine Wahl.“
Ich nickte. „Sie haben die Wahl, jetzt mit uns zu reden. Wer ist S.?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Er hat nie einen Namen genannt. Immer nur S. Oder ‚der Mann‘. Er ist gefährlich. Eiskalt. Ich habe ihn ein paar Mal gesehen. Er hat nie gelächelt. Nie gezögert.“
Rudi legte ihr einen Ausdruck der Notiz vor. „Sie haben geschrieben, dass Karpov nervös ist, weil S. abtauchen will. Warum?“
Sie zögerte. „Weil S. zu viel weiß. Er kennt alle Geschäfte, alle Namen. Wenn er redet, sind Karpov und Kramnik geliefert.“
Ich dachte nach. „Hat S. jemals über seine Vergangenheit gesprochen? Einen Hinweis gegeben, woher er kommt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nie. Er war wie ein Geist. Kam, erledigte seinen Job, verschwand wieder.“
Ich wechselte einen Blick mit Rudi. „Wir brauchen mehr. Einen Anhaltspunkt. Irgendetwas.“
Sie schloss die Augen, atmete tief durch. „Einmal... hat er telefoniert, als ich im Nebenraum war. Ich habe nur ein Wort verstanden. ‚Leipzig‘. Mehr nicht. Aber es klang wichtig.“
Ich notierte es. „Leipzig. Gut. Noch etwas?“
Sie schüttelte den Kopf.
Ich stand auf. „Wir werden Sie in Schutzhaft nehmen. Sie bleiben hier, bis wir S. haben.“
Sie nickte, Tränen liefen ihr über die Wangen.
Zurück im Büro. Walter hatte inzwischen die Aufnahmen vom Güterbahnhof ausgewertet. Er zeigte uns die Bilder: Ein Mann, groß, kräftig, Bart, dunkle Jacke, Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er stieg aus einem Lieferwagen, traf sich mit einem anderen Mann – Karpov. Sie redeten kurz, dann verschwand S. im Dunkeln.
„Das ist unser Mann“, sagte Rudi.
Walter nickte. „Ich habe die Bilder durch die Gesichtserkennung laufen lassen. Kein Treffer. Aber – und das ist interessant – der Lieferwagen ist auf einen Autoverleih in Leipzig zugelassen.“
Ich richtete mich auf. „Leipzig. Das passt zu Gänslers Hinweis.“
Walter fuhr fort: „Der Wagen wurde mit einem gefälschten Ausweis gemietet. Aber die Kamera im Büro hat ein Foto gemacht. Ich habe es mit dem Bild vom Güterbahnhof verglichen – das ist derselbe Mann.“
Rudi grinste. „Jetzt haben wir ihn.“
Ich nickte. „Fahrzeugnummer?“
Walter las vor: „L-AB 4721. Der Wagen wurde gestern in Berlin zurückgegeben. Aber der Mieter hat einen weiteren Wagen gebucht – diesmal einen Kombi, wieder mit gefälschtem Ausweis. Abholung heute, 14 Uhr.“
Ich sah auf die Uhr. Es war 11:30.
„Wir haben noch Zeit. Wo wird der Wagen abgeholt?“
Walter gab uns die Adresse. „Autoverleih Ost, Landsberger Allee.“
Ich stand auf. „Wir fahren hin. Diesmal kriegen wir ihn.“
Wir organisierten ein Team, informierten Stefan und Ollie. In zivil, mit Westen unter den Jacken, bezogen wir Stellung am Autoverleih. Die Straße war belebt, der Regen hatte aufgehört, aber der Himmel blieb grau.
Um 13:55 fuhr ein Taxi vor. Ein Mann stieg aus – groß, kräftig, Bart, Mütze. Er ging zum Schalter, zeigte Papiere vor, wartete. Ich erkannte ihn von den Fotos.
Ich gab das Zeichen. Stefan und Ollie kamen von der Seite, Rudi und ich von vorn. Als der Mann den Schlüssel entgegennahm und sich umdrehte, standen wir vor ihm.
„Kriminalpolizei. Keine Bewegung.“
Er erstarrte, dann zuckte er – und ich sah, wie seine Hand zur Jacke fuhr. Ich war schneller, packte ihn am Arm, drehte ihn herum. Er wehrte sich, aber Stefan und Ollie waren sofort zur Stelle. Gemeinsam rangen wir ihn zu Boden, legten ihm Handschellen an.
Er sagte kein Wort, als wir ihn abführten. Nur seine Augen blitzten kalt.
Im Präsidium wurde er durchsucht. In seiner Jacke fanden wir ein Prepaid-Handy, in der Tasche einen gefälschten Ausweis auf den Namen „Sven Berger“. In der Socke ein Klappmesser. Keine Waffe.
Im Vernehmungsraum saß er ruhig, die Hände auf dem Tisch, den Blick geradeaus. Ich setzte mich ihm gegenüber, Rudi neben mich.
„Wie heißen Sie wirklich?“
Er schwieg.
„Sie sind verdächtig, mindestens drei Morde begangen zu haben. Wenz, Sidorow, und vermutlich noch mehr. Sie werden beschuldigt, im Auftrag von Karpov und Kramnik Menschen getötet zu haben.“
Er sah mich an, sein Blick war leer.
„Sie haben Ihren Opfern die Augen geschlossen. Warum?“
Ein Zucken um seine Mundwinkel.
Rudi lehnte sich vor. „Sie sind erledigt. Wir haben Zeugen, Notizen, Fotos, Videos. Sie kommen nicht mehr raus.“
Er sah Rudi an, dann mich. „Sie wissen nichts“, sagte er leise. Seine Stimme war tief, ruhig.
Ich holte die Notizen von Gänsler hervor, legte sie auf den Tisch. „Das ist Ihre Handschrift. Das ist Ihr Werk. Sie können jetzt reden, oder Sie werden für immer schweigen.“
Er starrte auf die Blätter, dann sah er auf. „Ich habe getan, was getan werden musste.“
Ich spürte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief.
„Warum die Augen?“, fragte ich noch einmal.
Er lächelte kalt. „Weil niemand den Tod sehen will. Nicht einmal ich.“
Er sagte nichts weiter. Kein Name, kein Geständnis, keine Reue. Aber die Beweise reichten. Die Notizen, die Fotos, die Aussagen von Gänsler, die Verbindung zu Karpov und Kramnik – sie alle waren Teil eines Netzes, das sich nun um ihn schloss.
Karpov wurde noch am selben Tag festgenommen, Kramnik versuchte zu fliehen, wurde aber an der Grenze aufgehalten. Kim-Jacqueline Gänsler kam in ein Zeugenschutzprogramm. Sie würde noch lange mit ihren Erinnerungen kämpfen müssen.
Am Abend saßen Rudi und ich in unserem Büro, erschöpft, aber erleichtert. Draußen hatte der Regen wieder begonnen. Ich sah hinaus, auf die nassen Straßen, auf das Licht der Laternen, das sich im Asphalt spiegelte.
„Glaubst du, er hat wirklich geglaubt, das Richtige zu tun?“, fragte Rudi leise.
Ich zuckte die Schultern. „Vielleicht. Vielleicht wollte er nur nicht, dass ihn jemand ansieht, wenn er tötet.“
Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte Rudi: „Manchmal frage ich mich, wie viele von uns am Ende die Augen wirklich geschlossen bekommen.“
Ich lächelte müde. „Vielleicht ist das der einzige Trost, den wir haben.“
Der Regen trommelte gegen die Scheiben. Irgendwo in der Stadt schloss jemand die Augen. Für immer.
Der Regen hatte in der Nacht nachgelassen, aber die Stadt war noch immer von einer feuchten Kälte durchdrungen, die sich in jede Ritze schob. Ich war früh im Präsidium, zu früh für einen normalen Tag, aber nach der Festnahme des Mannes, den wir nur „S“ nannten, war an Schlaf ohnehin nicht zu denken gewesen. Rudi kam kurz nach mir, mit zerzausten Haaren und einem Ausdruck im Gesicht, als hätte er einen Alptraum gehabt, der nicht enden wollte.
„Morgen, Harry.“ Er stellte zwei Becher Kaffee auf den Tisch, ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen. „Hast du schon was von Walter gehört?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht seit gestern Abend. Aber ich hab das Gefühl, das war noch nicht alles.“
Rudi nickte. „Ich auch. Der Typ – S, oder wie auch immer er heißt – der hat noch was in der Hinterhand. Ich hab’s in seinen Augen gesehen.“
Ich nahm einen Schluck Kaffee, spürte, wie das Koffein langsam meine Gedanken ordnete. „Wir müssen ihn zum Reden bringen. Heute. Bevor die Anwälte von Karpov und Kramnik hier alles lahmlegen.“
Rudi starrte auf die Akten, die sich auf meinem Schreibtisch stapelten. „Oder bevor irgendwer da draußen merkt, dass der Augenschließer nicht mehr frei ist.“
Walter Stein kam gegen acht ins Büro. Er sah aus, als hätte er im Serverraum übernachtet, aber seine Augen funkelten vor Energie.
„Ich hab die Daten vom Handy unseres Mannes ausgewertet“, sagte er, ohne Begrüßung. „Und ich hab was gefunden.“
Rudi und ich sprangen fast gleichzeitig auf. „Was?“
Walter hielt ein ausgedrucktes Protokoll hoch. „Das Handy war fast immer im Flugmodus, aber es gibt ein paar Zeitfenster, in denen es kurz online war. Jedes Mal wurde eine verschlüsselte Nachricht gesendet – immer an dieselbe Adresse im Darknet. Ich hab die Nachrichten extrahiert. Sie sind mit einer ziemlich ausgefuchsten Verschlüsselung gesichert, aber ich arbeite dran.“
Ich runzelte die Stirn. „Was für Nachrichten?“
Walter zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich Statusmeldungen. Oder Auftragsbestätigungen. Aber das Interessante ist: Die letzte Nachricht wurde vor weniger als zwölf Stunden verschickt.“
Rudi starrte ihn an. „Das heißt, irgendwer weiß schon, dass er geschnappt wurde?“
Walter nickte. „Oder wird es bald wissen.“
Ich fühlte, wie sich ein Knoten in meinem Magen bildete. „Wir müssen das Präsidium sichern. Und Gänsler. Wenn die Organisation merkt, dass der Augenschließer weg ist, könnten sie versuchen, Spuren zu verwischen. Oder Zeugen zu beseitigen.“
Walter nickte. „Ich informiere die IT, dass alle Zugänge überwacht werden. Und ich setze eine Warnung an alle Kollegen raus.“
Wir gingen in den Vernehmungsraum. Der Mann, den wir S. nannten, saß ruhig auf dem Stuhl, die Hände gefaltet, den Blick auf einen Punkt irgendwo im Nichts gerichtet. Er hatte die Nacht in einer Zelle verbracht, unter ständiger Beobachtung. Kein Wort, kein Laut, nur dieses leere, undurchdringliche Gesicht.
Ich setzte mich ihm gegenüber, Rudi blieb stehen, die Arme verschränkt.
„Sie wissen, warum Sie hier sind“, begann ich ruhig. „Sie wissen auch, dass Sie keine Chance haben. Wir haben Ihre Notizen, die Aussagen von Gänsler, die Verbindung zu Karpov und Kramnik. Sie sind erledigt.“
Er blinzelte nicht einmal.
„Aber Sie können sich entscheiden, wie das hier weitergeht“, fuhr ich fort. „Sie können schweigen und für den Rest Ihres Lebens in Einzelhaft verschwinden. Oder Sie reden – und vielleicht gibt es einen Deal.“
Er sah mich an, seine Augen kalt wie Eis. „Sie glauben, Sie haben gewonnen.“
Rudi trat einen Schritt näher. „Wir wissen, dass Sie nicht allein gearbeitet haben. Wer ist Ihr Auftraggeber? Wer steckt hinter der Organisation?“
Ein winziges Lächeln zuckte um seine Lippen. „Sie verstehen nichts.“
Ich lehnte mich vor. „Erklären Sie es uns.“
Er schwieg.
Ich wechselte einen Blick mit Rudi. Dann zog ich einen Umschlag aus meiner Jackentasche, legte ihn auf den Tisch. „Das ist Ihr Leben, S. Oder wie immer Sie heißen. Jeder Mord, jede Spur, jedes Opfer. Sie können das alles mit ins Grab nehmen – oder Sie können uns helfen, damit wenigstens ein Teil davon aufhört.“
Er starrte auf den Umschlag, dann sah er mich an. „Warum sollte ich?“
„Weil Sie sonst genauso enden wie Ihre Opfer“, sagte Rudi leise. „Vergessen. Namenlos. Mit geschlossenen Augen.“
Die Tür öffnete sich, und Herr Hoch trat ein. Sein Gesicht war angespannt, seine Stimme leise. „Wir haben ein Problem. Kim-Jacqueline Gänsler ist verschwunden.“
Mir rutschte das Herz in die Hose. „Was?“
„Sie war heute Morgen nicht mehr in ihrem Zimmer. Die Wache hat nichts bemerkt. Keine Kameraaufnahmen, keine Spuren.“
Rudi fluchte leise. „Jemand hat sie rausgeholt. Oder sie ist freiwillig gegangen.“
Herr Hoch nickte. „Wir haben alle Ausgänge überprüft. Es gibt keine Hinweise auf einen gewaltsamen Zugriff. Aber eine Kollegin hat gesehen, wie sie gestern Abend mit einer Frau gesprochen hat – groß, blond, Sonnenbrille. Sie haben sich in der Cafeteria getroffen, dann ist Gänsler auf ihr Zimmer gegangen.“
Ich starrte auf den Tisch. „Das ist eine Warnung. Die Organisation weiß, dass wir sie haben.“
S. lächelte kalt. „Sie sind zu langsam.“
Ich sprang auf. „Wer ist die Frau?“
Er schwieg.
Rudi packte ihn am Kragen. „Wer ist sie?“
Er sah Rudi an, als wäre er ein Insekt. „Sie werden sie nicht finden.“
Ich trat zurück, zwang mich zur Ruhe. „Walter, geh alle Kameras durch. Finde raus, wer die Frau war. Und check alle Verbindungen von Gänsler – Freunde, Familie, alte Kontakte.“
Walter nickte und verschwand.
Die nächsten Stunden waren ein einziger Albtraum. Wir durchkämmten das Präsidium, befragten jeden, der Gänsler gesehen hatte. Die Kollegen von der IT fanden einen Zugang im System, der von außen gekommen war – jemand hatte sich in die Überwachungskameras gehackt, die Aufnahmen gelöscht, die Protokolle manipuliert.
„Das ist professionell“, sagte Walter. „Da steckt jemand dahinter, der weiß, was er tut.“
Ich starrte auf die Bilder, die wir rekonstruieren konnten. Die Frau war auf mehreren Aufnahmen zu sehen – groß, schlank, blond, Sonnenbrille, Mantel. Sie bewegte sich sicher, wusste genau, wo die Kameras waren.
Rudi knurrte: „Die hat das schon öfter gemacht.“
Walter nickte. „Ich hab ein Bild, auf dem man ihr Gesicht halb sieht. Ich lass es durch die Datenbank laufen.“
Gegen Mittag kam die Nachricht, die alles veränderte. Walter stürmte ins Büro, ein Ausdruck in der Hand.
„Ich hab sie! Die Frau heißt Julia Markova. Russischer Pass, aber auch deutsche Staatsbürgerschaft. Sie ist als Dolmetscherin und Beraterin für verschiedene Firmen unterwegs – und sie hat Kontakte zu Karpov.“
Ich fühlte, wie sich alles zusammenfügte. „Sie ist der Schlüssel. Sie hat Gänsler rausgeholt.“
Walter nickte. „Und noch was: Markova hat gestern Abend einen Wagen gemietet. Ziel: Leipzig.“
Rudi starrte ihn an. „Leipzig. Das ist kein Zufall.“
Ich griff zum Telefon, rief die Kollegen in Leipzig an. „Wir brauchen jede Streife, jede Kamera, alles, was ihr habt. Julia Markova, blond, groß, unterwegs mit Kim-Jacqueline Gänsler. Sie dürfen nicht aus der Stadt raus.“
