Superdiversität - Steven Vertovec - E-Book

Superdiversität E-Book

Steven Vertovec

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Beschreibung

Superdiversität erforscht die zunehmenden Diversifizierungsprozesse und die hochkomplexen sozialen Konfigurationen, durch die frühere Formen der Vielfalt in unseren modernen Gesellschaften nochmals potenziert werden. Migration spielt bei diesen Prozessen eine Schlüsselrolle, wie der international führende Sozialwissenschaftler Steven Vertovec in diesem bahnbrechenden Buch zeigt. Sie bringt nicht nur Veränderungen in allen sozialen, kulturellen, religiösen und sprachlichen Bereichen mit sich, sondern auch in der Art und Weise, wie diese mit Faktoren wie Geschlecht, Alter und ökonomischem wie rechtlichem Status zusammenwirken.

Im Mittelpunkt des von Vertovec entwickelten Konzepts der »Superdiversität« steht die Beziehung zwischen sozialer Kategorisierung und sozialer Organisation. Immer komplexere Kategorisierungen haben erhebliche Konsequenzen auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Sie erfordern eine Neubewertung sozialer Identitäten als mehrdimensional, wandelbar und durchlässig. Infolge des Klimawandels wird sich die Diversifizierung noch weiter verstärken, die Komplexität noch weiter erhöhen. Superdiversität liefert überzeugende Argumente für die Anerkennung dieser neuen Verhältnisse und fordert uns zum Umdenken auf.

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Cover

Titel

3Steven Vertovec

Superdiversität

Migration und soziale Komplexität

Aus dem Englischen von Alexandra Berlina

Suhrkamp

Impressum

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Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Superdiversity. Migration and Social Complexity bei Routledge.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der deutschen Erstausgabe, 2024.

Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024© 2023 Steven Vertovec

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umschlaggestaltung: Anzinger und Rasp, München

Umschlagabbildung: Kunstwerk und Foto von Chris Yates

eISBN 978-3-518-77892-0

www.suhrkamp.de

Widmung

5Für Lia

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Informationen zum Buch

7Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Inhalt

Danksagung

Notiz zur Übersetzung

1

Einleitung

2

Superdiversität und ihre Auswirkungen

3

Die vielen Bedeutungen von »Superdiversität«

4

Diversifizierungsprozesse

5

Reaktionen auf Diversifizierung

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Soziale Komplexität

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Schluss

Bibliographie

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

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9Danksagung

Dieses Buch ist längst überfällig, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ursprünglich sollte ich das Manuskript 2015 bei Routledge abliefern, konnte mein Versprechen aber aufgrund einer Familientragödie, die mich für eine lange Zeit aus dem Tritt brachte, nicht halten. Als ich das Buchprojekt wieder in Angriff nehmen konnte, hielten Managementaufgaben und eine Flut anderer Verpflichtungen mich immer wieder vom Recherchieren und Schreiben ab. Erst mit der Covid-Pandemie tat sich etwas Raum/Zeit auf und so machte ich mich wieder an die Arbeit. In der Zwischenzeit hatten sich meine Gedanken zu Superdiversität, Migration und sozialer Komplexität weiterentwickelt – nicht zuletzt angeregt durch die Diskussionen und Arbeiten an unserem Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften. Neben der Entwicklung meiner Ideen zu diesem Thema dokumentiert dieses Buch so auch die Rezeption des Konzepts in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft, wo es sich inzwischen verselbständigt hat.

In den über fünfzehn Jahren, die zwischen meiner ersten Ahnung des Konzepts und seiner jetzigen Ausgestaltung liegen, habe ich Hilfe, Rückmeldungen, Kritik und Ratschläge von vielen Menschen erhalten. Für den ursprünglich 2007 in Ethnic and Racial Studies erschienenen Artikel, der das Konzept in die akademische Sphäre einführte, kam diese Unterstützung vor allem von Robin Cohen, Alisdair Rogers, Susanne Wessendorf, Andreas Wimmer, Gerd Baumann, Danny Sriskandarajah, Sarah Kyambi, Dan Hiebert, David Ley sowie 10von den Mitarbeiter:innen und Studierenden des ESRC Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS) an der Universität Oxford. Bei der Datenverarbeitung half mir dort Alessio Cangiano. Ein gemeinsames Stipendium des Economic and Social Research Council (UK) und des Social Science Research Council (USA) hat meine Arbeit ebenfalls maßgeblich unterstützt. Auch die Diskussionen mit Teilnehmenden an Seminaren an der Harvard University und der University of British Columbia sowie an Konferenzen der Swedish Anthropological Association und der European Association of Social Anthropologists waren für mich von großem Nutzen.

Seitdem wurde die Arbeit an diesem Buch durch hervorragende Forschungsassistent:innen am Max-Planck-Institut unterstützt, insbesondere Wiebke Unger, Margherita Cusmano, Zeynep Bozkurt und Carolina Reiners. Wie bei praktisch allem rund um meine Arbeit als Gründungsdirektor eines Max-Planck-Instituts war Jutta Esser die Kraft, die alles stets zusammenhielt. Chris Kofri übernahm für die Veröffentlichung unentbehrliche Aufgaben. Auch Simone Dietrich, Renate Hägele, Ulrike Koecher, Norbert Winnige, Birgitt Sippel, Rami Higazi und Alexei Matveev aus dem Institut unterstützten mich bei der Forschung. Ein wechselndes, aber stets intellektuell dynamisches und äußerst interessantes Team von Doktorand:innen und Postdocs – die sich nie scheuten, ihren Chef zu kritisieren! – hielt mich kognitiv und argumentativ auf Trab.

Obwohl ich natürlich allein für die Ideen, Analysen, Interpretationen und ihre möglichen Schwachstellen in diesem Buch verantwortlich bin, wurde mein Denken zu meinem großen Glück von vielen herausragenden Köpfen geprägt. Bereits während meiner Studienzeit wurde ich von den wunderbaren Mentoren David Carrasco, Ninian Smart und J. Clyde Mitchell inspiriert und angeleitet. Seit meinen frühen Jahren als Wissenschaftler und bis heute schätze ich ganz besonders das Feedback, die Ideen und Ansichten meines Freundes und gelegentlichen Co-Autors Robin Cohen. Während meiner Jahre in Oxford, als das Konzept der Superdiversität Gestalt annahm, war ich von äußerst sachkundigen Expert:innen umgeben, die mein Denken stark beeinflussten, insbesondere Stephen Castles, 11Bridget Anderson, Nick Van Hear und Sarah Spencer. Seit ich meine Stelle am Max-Planck-Institut angetreten habe, durfte ich enorm von einer Gruppe befreundeter Wissenschaftler:innen profitieren, deren Ansichten ich regelmäßig und mit Freude bei idyllischen Zusammenkünften im Harnack-Haus in Berlin und auf Schloss Ringberg in Bayern einhole. Dazu gehören Ralph Grillo, Mary Waters, Phil Kasinitz, Nancy Foner, Dan Hiebert, Brenda Yeoh, Karen Schönwälder, Loren Landau, Thomas Hylland Eriksen, Marco Martiniello und der kürzlich verstorbene große Soziolinguist und Anthropologe Jan Blommaert. Auch Nando Sigona, Jenny Phillimore, Peter Scholten, Miles Hewstone, Ewa Morawska, Douglas Massey, Rogers Brubaker, Andreas Wimmer, Michèle Lamont, Paul Spoonley, Boris Nieswand, Matthias Koenig, Rainer Bauböck, Thomas Faist, Virginie Guiraudon, Ajay Gandhi, Phil Gorski, John Solomos, Jeremy Walton, Lucas Drouhot, Maria Schiller, Georg Diez und Van Tran halfen mir, meine Ideen zu entwickeln. Ebenso halfen mir die kontinuierliche Arbeit und die Ideen hervorragender ehemaliger Studierender, insbesondere Fran Meissner, Alan Gamlen, Susanne Wessendorf, Tilmann Heil und Sakura Yamamura. Bei Routledge trugen Chris Parry, Rebecca Brennan, Mihaela Diana Ciobotea und Alyson Claffey wesentlich dazu bei, dass diese Veröffentlichung zustande kam.

Neben meiner Anerkennung für die Arbeit der Übersetzerin Alexandra Berlina gilt mein besonderer Dank Ulrike Bialas, die viel Zeit und Mühe auf die Übersetzung von Begriffen, Konzepten und Argumenten verwandt hat. Mein Dank gilt auch Susanne Wessendorf, Fran Meissner und Paladia Ziss für die sorgfältige Lektüre und Bearbeitung des übersetzten Manuskripts sowie Renata Chabert Bravo, Tanita Engel und Joelle Arnoldi – und noch einmal ganz besonders Chris Kofri –, die fleißig dazu beigetragen haben, die Übersetzung für die Produktion vorzubereiten.

Ein Teil der Arbeit an diesem Buch wurde durch einen Advanced Grant (269784) des Europäischen Forschungsrats gefördert. Stimulierende Arbeitsumgebungen und anregende Diskussionen mit Studierenden und Kolleg:innen genoss ich in Seminaren am Max-Planck-Institut, an der Autonomen Universität Barcelona, der 12Universität Tübingen, der Universität Göttingen und während meiner Gastprofessuren an der Erasmus-Universität Rotterdam und der Monash University in Australien.

Einige Materialien wurden aus meinen früheren Veröffentlichungen übernommen, insbesondere: Kapitel2 – Vertovec 2007a; Kapitel3 – Vertovec 2019; Kapitel4 – Vertovec 2012; Vertovec 2017, Vertovec 2018, Vertovec 2020a; Kapitel5 – Vertovec 2019; Kapitel6 – Vertovec 2021; und Kapitel7 – Vertovec 2020b,c.

13Notiz zur Übersetzung

Wenn eine Übersetzerin in einem soziologischen Text ein Wort wie race oder einen Ausdruck wie mixed marriage antrifft, liegt die Herausforderung nicht nur in politischer Sensibilität, sondern vor allem in wissenschaftlicher Genauigkeit. Nicht nur würde ich auf Deutsch auf keinen Fall von Rasse oder Mischehe reden wollen – diese Begriffe bedeuten auch etwas ganz anderes als die englischen. Wie die Social-Justice-Trainerin Anna von Rath und die Kulturwissenschaftlerin Lucy Gasser in einem gemeinsamen Essay schreiben, wird im Deutschen »der Begriff Rasse nach wie vor mit etwas Biologischem verbunden, als würde es ›echte‹ Menschenrassen geben. Die gibt es natürlich nicht, und dennoch können wir nicht ganz auf ein Wort verzichten, das gelebte Realitäten abbildet, die durch Rassismus strukturiert sind. Menschen, die sich mit den englischsprachigen Diskursen zu race, racism und critical whiteness auseinandergesetzt haben, wissen, dass diese auf soziale Konstruktionen verweisen sollen.« (Gasser und Rath 2020)

Der Autor dieses Buches und ich hielten es daher für die beste Lösung, solche Begriffe auf Englisch beizubehalten. Das Wort »Rassifizierung« hingegen verweist auch im Deutschen auf die Konstruiertheit der Kategorie. Auch einige Schlüsseltermini aus anderen thematischen Feldern bleiben Englisch: So hat right-wing in Bezug auf die USA etwas andere politische Konnotationen als »rechts«, die auch mit Varianten wie »rechtskonservativ« nicht genau zu treffen sind.

Es ist vielleicht erwähnenswert, dass diese Strategie nicht auf grundsätzlicher Vorliebe für Anglizismen beruht, sondern auf einer 14Präferenz für Originalausdrücke in wissenschaftlicher Literatur, wenn es für sie kein genaues Äquivalent gibt. So behalte ich oft Bewusstsein und Umwelt, wenn ich ins Englische übersetze – sowie eben multiracial und Third Space in meinen Übersetzungen ins Deutsche.

»Weiß« und »Schwarz« als Beschreibungen von race werden großgeschrieben, außer in Zitaten mit Kleinschreibung. Alle angeführten Zitate wurden von mir übersetzt. Es wird mit Doppelpunkt gegendert, wobei »:« für alle Möglichkeiten zwischen und jenseits von männlich und weiblich stehen soll.

Alexandra Berlina

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Einleitung

1985 hielt der einflussreiche amerikanische Anthropologe Clifford Geertz eine der angesehenen Tanner Lectures über menschliche Werte. In seiner Vorlesung mit dem Titel The Uses of Diversity ging es nicht nur um bestimmte empirische Bedingungen, die sich weltweit veränderten, sondern auch darum, wie diese Bedingungen aufgefasst werden. Laut Geertz wurde die Welt immer vernetzter und mobiler (in den 1980er Jahren noch eine recht neue Idee), so dass »Kulturen« nicht mehr an bestimmten Orten verankert werden konnten (wenn dies denn überhaupt jemals möglich gewesen war). In diesem Zusammenhang sei jegliche Vorstellung von sozialen Unterschieden überholt, wenn sie auf festen und begrenzten Identitätskategorien beruhte. Geertz betonte dabei, dass diese Trends die Menschen nicht davon abhielten, andere aufgrund von Ethnozentrismus und groben Stereotypen zu diskriminieren. Angesichts dieser Tatsachen sei eine konzeptionelle Neuorientierung in Bezug auf soziale Unterschiede erforderlich, die unser Denken gründlich verändern könne, so Geertz. »Indem wir unsere Vorstellungskraft stärken und das erfassen, was vor uns liegt, können wir die Vielfalt und ihre Erforschung nutzen« (1986, S. 274).

Die globalen Trends, von denen Geertz in den 1980er Jahren sprach, haben sich bis heute fortgesetzt, wobei sich die Geschwindigkeiten, Formen, Faktoren und Ergebnisse lokal unterscheiden. Weltweit diversifizieren sich Gesellschaften tiefgreifend. Diese Diversifizierung ist in sich äußerst divers – ja, man könnte von vielen 16verflochtenen, sich überschneidenden und gegenseitig bedingenden Diversifizierungen sprechen: angefangen mit der verzerrten Globalisierung neoliberaler Praktiken und der Verbreitung von Konsumgütern, populären Medien und Kommunikationsformen über die Übertragung von Ideen, Politiken und sozialen Bewegungen bis hin zur Vervielfältigung von Lebensstilen, Familienstrukturen, Identitäten, Moralvorstellungen und sozialen Praktiken. Die globale Migration ist eine Schlüsselkomponente der Diversifizierungsprozesse. Das liegt vor allem daran, dass Migrant:innen in der Regel Neues in die Gesellschaft ihrer Ankunftsländer bringen. Dabei beeinflussen sie soziale Kategorien wie race, Ethnizität und Nationalität, tragen neue stilistische, kulinarische und künstlerische Ausdrucksformen zum kulturellen Korpus bei, erweitern sprachliche und semiotische Praktiken, vergrößern das Spektrum sowie die Ausprägungen religiöser Traditionen und erweitern oder initiieren soziale und politische Initiativen. Diversifizierung ist zudem naturgemäß mit vielen Arten von Ungleichheit verbunden. Wer oder was sich durch Diversifizierung verändert, wird durch die Muster der sozialen Schichtung bestimmt – und bestimmt diese seinerseits gleichzeitig mit. Die Diversifizierung ist somit einer der wichtigsten sozialen Prozesse unserer Zeit. Wenn wir die Zukunft betrachten, die durch den Klimawandel stark beeinflusst werden wird, so ist klar, dass Diversifizierung Gesellschaften weltweit weiterhin prägen wird – und zwar wiederum auf ungleiche und ungerechte Weise, da einige Menschen, je nach Kombination ihrer Merkmale, weitaus stärker unter den Klimafolgen leiden werden als andere.

Der Begriff »Superdiversität« wurde entwickelt, um den multidimensionalen Charakter von Diversifizierungsprozessen zu beschreiben und um zu verdeutlichen, wie diese Prozesse soziale Muster und Schichtungen bedingen. Er wurde von mir als Mittel konzipiert, um über Forschung zu modernen Migrationsprozessen und -folgen nachzudenken, und wird auch noch immer von anderen weitgehend so verwendet. Zudem bietet er die Möglichkeit, weitere parallele Formen der Diversifizierung zu berücksichtigen. Es handelt sich bei Superdiversität und Diversifizierung um Konzepte, die auf 17die fortlaufende Entstehung von immer komplexeren Gesellschaften hinweisen. Was verbirgt sich hinter der Idee der Superdiversität? Was bringen Diversifizierungsprozesse mit sich? Und wie können wir die Zunahme neuer Formen sozialer Komplexität verstehen? Dies sind einige der Kernfragen, denen sich das vorliegende Buch widmet.

Was steht auf dem Spiel?

Diversifizierung bringt eine grundlegende Form des sozialen Wandels mit sich. Mit dieser Aussage stütze ich mich auf wichtige akademische Arbeiten zur Idee der sozialen Transformation – einer Umgestaltung, die sich über wirtschaftliche, politische, soziale und kulturelle Bereiche sowie über Makro- und Mikroskalen erstreckt (siehe Smelser 1998, Wiltshire 2001, Rosenau 2003, Castles 2001, 2010). Wenn wir von sozialem Wandel sprechen, meinen wir weitreichende Veränderungen darin, wie Gesellschaften organisiert sind und wie wir über sie denken. Mit der Diversifizierung der Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen – von Nationalstaat, Stadt und Stadtteil bis hin zum Klassenzimmer, dem Arbeitsplatz und dem Park – unterliegen inhärente Merkmale des Sozialen einem Wandel. Dazu gehören die Art und Weise, wie wir einander begrifflich kategorisieren, unsere Einstellungen gegenüber den »Anderen«, die Interaktionen und Praktiken, die durch Begegnungen mit Anderen entstehen oder reproduziert werden, und die gesellschaftlichen Positionen, die sowohl all diese Faktoren untermauern als auch sich aus ihnen entwickeln. Die Diversifizierung und die Dynamik der Vielfalt bewirken Veränderungen im Kern der sozialen Strukturen und Beziehungen. Aus diesen Gründen müssen wir Geertz folgen und die Untersuchung von Diversifizierung und Diversität als einen der grundlegendsten Bereiche der sozialwissenschaftlichen Forschung betrachten. Es geht hier darum, wie wir als intrinsisch verschiedenartige Menschen zusammenleben, leben können und leben werden.

Die Erforschung von Diversifizierung und Vielfalt ist sicherlich nicht neu, ebenso wenig wie das Phänomen höchst diverser Gesellschaften. Seit der Antike waren die meisten Gesellschaften, vor allem 18Imperien, in der Vergangenheit äußerst divers – sprachlich, religiös und in Bezug auf das, was wir heute als Ethnizität bezeichnen (siehe unter anderem Grillo 1998, Greatrex und Mitchell 2000, Hoerder 2002, Heather 2010, McInerney 2014, Blanton 2015, Vertovec 2015b). 1986 erklärte der renommierte Historiker William McNeill, »Polyethnizität« kennzeichne fast alle Gesellschaften der Geschichte. Ferner schrieb er, die Vorstellung von Gesellschaften als tatsächlich oder idealerweise »homogen« (sei es in Bezug auf Ethnie, race, Sprache oder Religion) sei als eine Art historische Anomalie entstanden, und zwar aufgrund der modernistischen Bestrebungen zur Nationenbildung, insbesondere in Westeuropa seit etwa 1750. Dennoch hat solch eine Annahme von Homogenität als Norm und Diversität als Ausnahme lange Zeit nicht nur nationale Narrative und Politiken geprägt, sondern auch sozialwissenschaftliche Paradigmen (zusammen mit dem »Containermodell« von Nationalstaaten, auf dem der »methodologische Nationalismus« basiert; vgl. Beck 2000, 2002, 2004, Wimmer und Glick Schiller 2002). Dementsprechend gibt es zahlreiche soziologische Studien darüber, was Diversität, also eine Abweichung von einem Idealzustand, mit Gesellschaften »anstellt«. Dazu gehören bekannte (und kritisierte) Studien, die Diversität als Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt (Putnam 2007), als Hindernis für politische und wirtschaftliche Entwicklung (Alesina und Ferrara 2005) oder als bedeutenden, wenn nicht gar problematischen Faktor bei der Umverteilung von öffentlichen Gütern (Singh und vom Hau 2016) betrachten. Dem stehen positivere Ansichten gegenüber, die aber ebenfalls auf einer Diversität-als-Ausnahme-Prämisse beruhen, wie etwa, dass mehr Diversität zu Kreativität und Innovation in städtischer Umgebung anrege (Florida 2002) und Managementteams effektiver, problemlösungsorientierter mache (Page 2007). Zudem liegt die Überzeugung, Diversifizierung sei eine Bedrohung für homogene Nationalstaaten, auch einem Großteil des rechten Nationalismus zugrunde – seit langem schon, aber in jüngster Zeit scheinbar immer mehr.

Obwohl nur wenige Gesellschaften jemals wirklich »homogen« gewesen sind, hat die Idee der homogenen Nation zweifellos eine zentrale Rolle bei der Schaffung von hierarchischen sozialen Struk19turen und Systemen der Ungleichheit gespielt und Menschen, die als außerhalb der homogenen Norm kategorisiert wurden, erheblich beeinträchtigt. Daher bildet sie auch die Grundlage der meisten nationalen Diskurse und Politiken zur sozialen »Integration« (Favell 2022). Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, warum die Dynamik der sozialen Kategorisierung berücksichtigt werden muss, wenn man verstehen will, wie Gesellschaften (wiederum bis auf die Mikroebene) organisiert und reproduziert werden. Dies ist besonders wichtig in Zeiten wie heute, wenn viele Arten der Diversifizierung in raschem Tempo fortschreiten oder sich sogar intensivieren.

Einige Jahre lang leitete ich an der Universität Oxford einen Graduiertenkurs über die Anthropologie der kulturellen Komplexität. Dazu gehörte eine kritische Bestandsaufnahme des Denkens über historische und kulturübergreifende Formen der sozialen Organisation sowie Überlegungen zu den Phänomenen und Prozessen, die in sogenannten pluralen Gesellschaften, Grenzkulturen, Synkretismus und Kreolisierung, global-lokalen Beziehungen, Diaspora und Transnationalismus eine Rolle spielen. Während meine Studierenden und ich ein breites Spektrum an einschlägiger Literatur untersuchten, wurde mit jedem Semester deutlicher: Was wir als gesellschaftliche und kulturelle Komplexität bezeichnen, umfasst nicht nur Machtstrukturen und soziale Beziehungen, sondern auch Vorstellungen, die Menschen über das Wesen von Gruppen und Identitäten konstruieren und umsetzen. Es sind sowohl die Gesellschaftsordnung als auch die sozialen Kategorien, die zusammen eine immer komplexere soziale Dynamik sowie Formen der Stratifizierung hervorbringen. Diese Sichtweise zieht sich durch das gesamte Buch und wird vor allem in den letzten Kapiteln theoretisch weiterentwickelt.

Noch einmal: Gerade heute ist es besonders wichtig, Diversifizierung und Formen der Vielfalt zu untersuchen. Im 21. Jahrhundert ist »die Welt in mehreren Dimensionen und auf vielen Ebenen sehr viel diverser, geprägt von der Salienz der Unterschiede und ihrer dynamischen Überschneidungen« (Jones und Dovidio 2018, S. 45). Die Gründe dafür sind zahlreich, darunter:

20Weltweit diversifizieren sich Gesellschaften – in Bezug auf Ethnie/race, Sprache, Religion und zahlreiche andere Merkmale, und zwar nicht zuletzt durch Migration;

In vielen Ländern diversifiziert sich die Bevölkerung auch unabhängig von Migration, und zwar durch natürliches demografisches Wachstum im Rahmen der bestehenden Kategorien und durch einen deutlichen Zuwachs an Menschen, die sich mit einem mixed background identifizieren;

Es gibt mehr Beweise für und öffentliche Besorgnis über wachsende soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten in Bezug auf Ressourcen, Chancen, Finanzen, Repräsentation und relativen sozialen Status – und darüber, wie unverhältnismäßig diese in Bezug auf Kategorien sozialer Unterschiede verteilt sind;

Rasche Diversifizierung fördert bekanntermaßen die Unterstützung für rechte Parteien, wobei gleichzeitig (laut akademischen Studien und öffentlichen Meinungsumfragen) diversitätsfreundliche Einstellungen stabil auf hohem Niveau bleiben. Solche widersprüchlichen Trends und Einstellungsmuster tragen zu einer zunehmenden sozialen und politischen Fragmentierung von Gesellschaften bei;

Während in immer mehr Städten auf der ganzen Welt eine landesweite Minderheit zu einer lokalen Mehrheit wird (von manchen, ob richtig oder falsch, sei dahingestellt, als Majority-Minority-Phänomen bezeichnet), wird der städtische Alltag mit komplexen Formen von Diversität heute oft als gewöhnlich und »normal« empfunden.

Das Konzept der Superdiversität soll die Überschneidungen der verschiedenen Merkmale verstehen helfen, die die heutigen Diversifizierungsprozesse kennzeichnen. Angesichts der neuen Modalitäten, Varianten und Auswirkungen der Diversifizierung können Forschende, politische Entscheidungsträger:innen, Fachleute und die breite Öffentlichkeit mithilfe neuer Begrifflichkeiten besser begreifen, was um sie herum geschieht. Damit ist das Konzept als ein Korrektiv zu den 21bestehenden Ansätzen entstanden, das besser zu einer sich verändernden Realität passt.

Das Konzept der Superdiversität

Multikulturalismus, Interkulturalität und Diversität selbst, als normatives Konzept und Politikbegriff, sind als Ideen seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit präsent. Sie haben viel bewirkt, nicht zuletzt indem sie einen Blick auf die Darstellung von Unterschieden in der Gesellschaft ermöglichten. Auch in sozialpolitischen Maßnahmen und institutionellen Praktiken wurden diese Konzepte (mehr oder weniger wirksam) eingesetzt. Jedem davon – oder zumindest ihren prominenten Interpretationen – liegt die Prämisse zugrunde, dass man soziale Unterschiede »managen« kann oder sollte, in der Regel von oben nach unten (also seitens einer staatlichen Behörde oder öffentlichen Organisation). Oft wurde kritisiert, dass jeder dieser Begriffe auf einer eher flachen, homogenisierenden oder eindimensionalen Sichtweise von Unterschied basiert oder diese zumindest repliziert. Es wird also suggeriert, dass jede Person zu einer bestimmten Gruppe gehört und ganz allein diese Gruppe in einer Organisation oder Tätigkeit repräsentieren kann. Ein britischer Beamter hat diese Einstellung mit treffender Ironie zusammengefasst, als er sagte: »Wenn Sie glauben, dass ich in Ihrem Vorstand für Diversität sorge, liegen Sie falsch. Ich bin mittleren Alters, arbeite im höheren Management und habe einen Oxbridge-Abschluss. Die Tatsache, dass ich Asiate bin, macht keinen Unterschied. Im Vorstand einer Wohltätigkeitsorganisation bin ich nur einer mehr von der üblichen Sorte« (in Fanshawe und Sriskandarajah 2010, S. 25). Was hier kritisiert wird, ist die Gleichsetzung von Kategorien: Ethnie wird als gleichwertig mit Gender behandelt, Gender wiederum als gleichwertig mit Sexualität oder Behinderung usw. Auch Fragen unterschiedlicher sozialer Positionen und Machtverhältnisse werden bei diesen Herangehensweisen an Unterschiedlichkeit oft ausgeklammert. Die Debatten über das Für und Wider von Multikulturalismus, Interkulturalität und Diversität gehen sowohl im akademischen als auch im institutionellen 22Bereich weiter (siehe zum Beispiel Vertovec 2012; Meer et al. 2016; Grillo 2018; Carlsson und Pijpers 2021; Loh 2022).

Das Konzept der Superdiversität ist im Wesentlichen als Kritik an der britischen Vorstellung des Multikulturalismus entstanden. Schon viele Jahre bevor ich diesen Begriff entwickelte, hatte ich über eine Reihe von Problemen geschrieben, die mit der Idee des Multikulturalismus verbunden sind (darunter Vertovec 1996b, 1998). Wie auch viele Kolleg:innen fand ich, dass multikulturelle Rahmenkonzepte recht behäbige, essenzialistische und begrenzte Vorstellungen von ethnischen Gruppen und Kulturen förderten, eine Art internen Kolonialismus – wenn nicht gar einen Wettbewerb zwischen den Ethnien – schafften und Ungleichheit nicht angemessen berücksichtigten. Darüber hinaus ignorierten multikulturalistische Sichtweisen auf die britische Gesellschaft die realen Veränderungen, die sich in Bezug auf neue, nichtbritische Bevölkerungsgruppen vollzogen. Die öffentliche Diskussion über Multikulturalismus konzentrierte sich fast ausschließlich auf asiatische (hier: indische, pakistanische und bangladeschische) sowie West Indian (vor allem jamaikanische, aber auch trinidadische, barbadische, guyanische und andere karibische) Kategorien. Jahrzehntelang hatten diese Gruppen tatsächlich die größten Teile der Post-Migrations-Bevölkerung gebildet. In den frühen 2000ern waren jedoch erhebliche Veränderungen in Bezug auf Migration und Bevölkerung im Gange.

Ein wichtiger Anstoß für die Entwicklung des Konzepts der Superdiversität kam, als ich Anfang der 2000er eine kleine Grafik in The Economist sah. Darin wurde der Zustrom von Migrant:innen in das Vereinigte Königreich zwischen 1993 und 2002 nach den folgenden Herkunftsländern sortiert: Vereinigtes Königreich (für zurückkehrende Migrant:innen), EU (hier ging es vor allem um Arbeitnehmerfreizügigkeit), Altes Commonwealth (insbesondere Kanada, Australien und Neuseeland), Neues Commonwealth (Länder, die nach dem Zweiten Weltkrieg unabhängig wurden, insbesondere Indien, Pakistan und mehrere karibische Staaten) sowie »Sonstige« (also der Rest der Welt). Von den 1950ern bis in die 1970er waren es vor allem Menschen aus den neuen Commonwealth-Staaten, die 23nach Großbritannien kamen; danach erfolgte die Zuwanderung in dieser Kategorie hauptsächlich über den Weg der Familienzusammenführung. Die Grafik in The Economist zeigte relativ stabile und gleichmäßige Zahlen für Anfang bis Mitte der 1990er Jahre, und zwar 20- bis 30000 Zuwanderungen pro Jahr in jeder Kategorie. Doch ab etwa 1997 wuchs die Kategorie »Sonstige« massiv an und belief sich 2002 auf etwa 200000 Einwander:innen. Mir war klar, dass man das Verständnis der Diversität in der britischen Gesellschaft umdenken musste. Ich war neugierig und wollte folgende Fragen untersuchen: Wer sind diese »Sonstigen«, was prägt ihre Migration, was sind ihre Merkmale, welche Auswirkungen hat diese Migrationsverschiebung auf die britische Gesellschaft, und wie könnte sie das Verständnis von Migrant:innen und Ethnizität verändern? Die Erforschung dieser Themen mündete in einem Working Paper (Vertovec 2006), das schließlich zu einem Zeitschriftenartikel heranreifte (Vertovec 2007a, hier als Kapitel2 wiedergegeben).

In erster Linie bietet das Konzept der Superdiversität also eine Möglichkeit, Multidimensionalität und Intersektionalität im Hinblick auf neue Migrationsmuster zu überdenken. Dabei möchte ich erstens auf die zunehmende Mobilität von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund hinweisen, die durch differenziertere Kategorien repräsentiert werden. Es gibt nicht nur mehr kleinere Kohorten aus einer größeren Anzahl von Herkunftsländern, sondern auch sich verändernde Ströme von Menschen, die ein breites Spektrum an Nationalitäten, Ethnien, Sprachen, Religionen, Genderidentitäten, Altersverhältnissen, Humankapital, transnationalen Praktiken sowie, was besonders wichtig ist, Migrationskanälen und Rechtsstatus aufweisen. Zweitens will ich die wechselnden Kombinationen dieser Hintergründe und Kategorien betonen, wodurch ganze Kohorten von Migrant:innen durch bestimmte Überschneidungen charakterisiert werden. Zum Beispiel waren 2007 (zum Zeitpunkt der Verfassung meines Originalartikels) 71 % der Philippiner:innen im Vereinigten Königreich junge Frauen mit einem Arbeitsvisum im Gesundheitswesen, während es sich bei 71 % der Menschen aus Algerien um ältere Männer handelte, zumeist Asylbewerber mit Arbeitsverbot. 24Multikulturalismus und Diversität nur unter dem Gesichtspunkt ethnischer Gruppen zu betrachten, schien in diesem Kontext unangemessen. Einer der Hauptgründe, einen multidimensionalen Ansatz zu betonen, besteht in der Notwendigkeit, Unterschiede und Diversität als »ein dynamisches Zusammenspiel von Variablen unter einer zunehmenden Zahl neuer, kleiner, verstreuter, transnational vernetzter, sozioökonomisch differenzierter und rechtlich stratifizierter Einwander:innen« zu sehen (Vertovec 2007a, S. 1024).

Das Konzept der Superdiversität wurde erschaffen, um diese wichtigen Verschiebungen in den Migrationsmustern und ihre sozialen Ergebnisse zu beschreiben. An sich erklärt es noch nicht, warum diese Veränderungen eingetreten sind, sondern regt vielmehr zur Suche nach Erklärungen an (siehe Kapitel3). Wie ich bereits an anderer Stelle geschrieben habe:

Zunächst muss ich betonen, dass Superdiversität keine Theorie ist. Unter einer Theorie verstehe ich eine Erklärung dafür, wie etwas funktioniert (inhärente Beziehungen oder Kausalitäten). Es handelt sich auch nicht um eine Hypothese (also eine zu prüfende Theorie). Als Urheber des Begriffs (Vertovec 2007a) habe ich Superdiversität immer in erster Linie als ein beschreibendes Konzept verstanden, das für den speziellen Zweck geschaffen wurde, eine Reihe von beobachteten Phänomenen miteinander zu verknüpfen, die gemeinsam in Erscheinung treten und frühere Phänomene ablösen (supersede, daher die Vorsilbe »super-«). Der Begriff Superdiversität wurde also entwickelt, um die Aufmerksamkeit auf komplexe – und eventuell neue – Muster bei Migrationsphänomenen der letzten drei Jahrzehnte zu lenken. (Vertovec 2017, S. 1575)

Der mehrdimensionale Aspekt ist hier entscheidend, nicht zuletzt um einem häufigen Missverständnis entgegenzuwirken, und zwar, dass Superdiversität eine Art Schwelle suggeriere. Ich bin oft gefragt worden: »Wann genau wird Diversität zu Superdiversität?« Wie ich in Kapitel3 beschreibe, wird häufig angenommen, Superdiversität 25würde lediglich mehr ethnische Pluralität innerhalb eines Staats oder einer Stadt bedeuten. Dieses Missverständnis wird von Ralph Grillo (2015) als Superdiversity Lite bezeichnet. Im Gegensatz dazu steht Superdiversity Heavy, die von mir ursprünglich intendierte Bedeutung, die sich auf neue, komplexe Konfigurationen mehrerer Kategorien der Migrant:innen bezieht. Der Unterschied zwischen Diversität und Superdiversität ist also keine Frage der Quantität, sondern des gemeinsamen Auftretens und der gegenseitigen Beeinflussung vieler Kategorien.

Im Zuge des wachsenden Interesses an Superdiversität haben Forschende auch einen ähnlichen Begriff vorgeschlagen, nämlich den der »Hyperdiversität«. Dies war das zentrale Konzept des EU-finanzierten DiverCities-Projekts. Vom inzwieschen verstorbenen Ronald van Kempen initiiert, untersuchte es den Beitrag urbaner Diversität zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und der wirtschaftlichen Entwicklung. Das Projektteam griff das Konzept der Superdiversität auf und nutzte es als Sprungbrett für seine Arbeit (Oosterlynck et al. 2019). Den Begriff »Hyper-Diversität« schlugen sie vor, um den Akzent etwas anders zu setzen: Bei der Beschreibung städtischer Pluralität sollten nicht nur die (migrationsbedingten) Ethnizitäten, sondern auch andere Aspekte der Lebensstile, Einstellungen und Aktivitäten analysiert werden (Taşan-Kok 2017). Das Projekt war durchaus spannend und brachte viele wertvolle Erkenntnisse hervor. Und doch bleibe ich gegenüber seinem zentralen Konzept skeptisch. Diese Skepsis (nicht nur in Bezug auf das DiverCities-Projekt, sondern auch auf andere Verwendungen des Begriffs »Hyperdiversität«) wurde von Fran Meissner und mir wie folgt erklärt:

In einigen Bereichen wird von zunehmender »Hyperdiversität« gesprochen (oder dieser Begriff synonym mit Superdiversität verwendet). Wir finden dies nicht hilfreich, und zwar aus zwei Gründen. Erstens vermittelt das Wort Hyperdiversität die Vorstellung, es gehe lediglich um »mehr Diversität« in Bezug auf die Ethnizität. Dies ist ein eindimensionales Modell, das am Hauptargument der Superdiversität vorbeigeht (und zwar, dass sich mehrere Dimen26sionen der Migrationsströme gleichzeitig verändern). Zweitens kann die Vorsilbe »Hyper-« ein Zuviel suggerieren, einen Mangel an Kontrolle, etwas Negatives und Unerwünschtes (wie »Hyperaktivität« oder »Hyperinflation«). Auch in dieser Hinsicht bevorzugen wir den Modifikator »Super-«, und zwar in Anlehnung an supersede – ablösen. Es geht hier um etwas Neues, das jenseits dessen liegt, was sie ablöst. (Meissner und Vertovec 2015, S. 5)

Während ich mich weiterhin vom Begriff »Hyperdiversität« distanziere und an der Superdiversität als Kernkonzept und -ansatz festhalte, teile ich mit dem DiverCities-Team doch ein gemeinsames Anliegen. Und zwar müssen wir erkennen, dass jeder Mensch nicht nur eine Identität hat, sondern diversen Kategorien angehört – in Bezug auf Gender, Ethnizität, soziale Klasse, sexuelle Orientierung, eventuelle Behinderung(en) und andere Identitätsdimensionen. All diese Achsen überschneiden sich und interagieren auf vielfältige Weise und mit unterschiedlichen Auswirkungen. Diese Perspektive bildet sozusagen den »langen Arm des Anti-Essenzialismus«.

Rückblickend wird mir dies besonders klar: Als Postdoc und junger Wissenschaftler im Vereinigten Königreich der 1990er und der frühen 2000er gehörte ich zu einem intellektuellen Umfeld, dessen Konzepte und Ansätze zu Migration und sozialem Unterschied eine antiessenzialistische Methodik gemeinsam hatten. Der Begriff Essenzialismus (der manchmal auch zu einer Art Schimpfwort oder Anschuldigung wurde: siehe Grillo 1998, S. 195-200) wurde für die Darstellung einer sozialen Kategorie mit harten Grenzen und einer unveränderlichen, ontologischen Qualität verwandt – einer Essenz –, die alle Vertreter:innen dieser Kategorie teilen sollten (siehe Sayer 1997). Die Kritik an essenzialistischen (insbesondere genderspezifischen) Vorstellungen war zu dieser Zeit zentral für viele feministische Theorien (z.B. Witt 1995, Grillo 1995; siehe auch Mikkola 2017). Der Antiessenzialismus als Haltung gegen vereinfachende und eindimensionale soziale Kategorisierung ist auch Teil zahlreicher anderer Schlüsselkonzepte, die seit den 1990er Jahren entwickelt wurden, wie zum Beispiel: Intersektionalität (Crenshaw 1991); segmented assimila27tion (Portes und Zhou 1993); ethnic options (Waters 1990); Postethnizität (Hollinger 1995); Bindestrich-Identität (zum Beispiel Verkuyten 2004); Kreolisierung (zum Beispiel Hannerz 1987); Hybridität (zum Beispiel Werbner und Modood 1997); Third Space (Bhabha 1994); between two cultures (zum Beispiel Watson 1997); Bikulturalismus, duale Identität (zum Beispiel Yamada and Singelis 1999); multiculture (zum Beispiel Gilroy 1993); bright vs. blurred social boundaries (Alba 2005); Transnationalismus (zum Beispiel Glick Schilller et al. 1992); Diaspora (zum Beispiel Cohen 1997) und Kosmopolitismus (zum Beispiel Vertovec und Cohen 2002). All dies sind wichtige Vorläufer, wenn nicht gar direkte Anregungen für die Idee der Superdiversität. Wie auch diese Konzepte basiert das der Superdiversität auf der Sicht, dass keine einzelne Kategorie strikt begrenzt und ontologisch essenziell ist, dass nicht eine Kategorie das Leben der Menschen, ihre soziale Position und die gesellschaftlichen Strukturen um sie herum bestimmt, sondern ein Zusammenwirken mehrerer offener Kategorien in ständigem Wandel.

Diese früheren antiessenzialistischen Konzepte halfen mir, die hier beschriebenen Veränderungen der globalen Migrationsströme zu durchdenken. Doch keines schien genau das zu beschreiben, was ich fassen wollte. Ich wollte ihre Erkenntnisse würdigen, aber auch klar auf die Veränderungen hinweisen, die ich in den britischen Migrationsdaten beobachten konnte. Vor allem wollte ich die Intersektionalität erfassen (speziell im Hinblick auf Migration, nicht nur auf Kategorien wie Gender, Ethnie und Klasse, denen sich die Literatur bis dahin vorzugsweise widmete) – und auch neue Konfigurationen von Merkmalen rund um Migration untersuchen. Der Begriff Superdiversität wurde entwickelt, um diese Prozesse und Phänomene zu erfassen und einen Beitrag zum Korpus der soziologischen Konzepte und Publikationen zu leisten.

Das beträchtliche Interesse der Gesellschaftswissenschaften an diesem Begriff war nicht völlig überraschend (auch wenn einige Interpretationen recht unerwartet ausfielen; siehe Kapitel3). Je weiter wir ins 21. Jahrhundert vordringen, umso öfter haben Forschende immer komplexere Trends beobachtet und nach Wegen gesucht, sie zu be28schreiben und zu theoretisieren. Der prominente, inzwischen verstorbene deutsche Soziologe Ulrich Beck sprach von der »Superdiversität der Städte und Gesellschaften des 21. Jahrhunderts« und wies darauf hin, dass ihr Anstieg »sowohl unvermeidlich (aufgrund globaler Migrations-, Informations-, Kapital- und Risikoströme) als auch politisch herausfordernd« sei (2011, S. 53). Er fügte jedoch hinzu:

In diesem Sinne haben sich die kulturellen, sozialen und politischen Landschaften der Diversität in den letzten Jahrzehnten radikal verändert, aber wir nutzen immer noch alte Landkarten um uns zu orientieren. In anderen Worten lautet meine These: Wir haben nicht einmal eine Sprache, um die heutige Superdiversität in der Welt zu beschreiben, zu konzeptualisieren, zu begreifen, zu erklären und zu erforschen. [Ibid., Hervorhebung im Original]

So war Superdiversität ein generatives Konzept und hat Arbeiten in den unterschiedlichsten Bereichen angeregt. Bis Juni 2022 wurde laut Google Scholar der ursprüngliche Artikel in der Zeitschrift Ethnic and Racial Studies (Vertovec 2007a) über 7200 Mal zitiert; das COMPAS-Working Paper zur Superdiversität (Vertovec 2006), auf dem dieser Artikel basiert, wurde über 850 Mal zitiert. Diese Zitate finden sich in Fachzeitschriften verschiedener Disziplinen, darunter Soziologie, Anthropologie, Geografie, Politikwissenschaft, Soziolinguistik und Geschichte, insbesondere in den Forschungsbereichen Migrationsstudien und Sozialpolitik. Neben Artikeln wurde auch mindestens ein Dutzend Bücher über Superdiversität veröffentlicht, unter anderem On Superdiversity (Ramadan 2011), Superdiversity in the Heart of Europe (Geldof 2016), Diversity and Super-diversity (de Fina et al. 2017) und The Routledge Handbook of Language and Superdiversity (Creese und Blackledge 2018a).

Wie Beck richtigerweise anmerkt, liegt das Interesse am Konzept der Superdiversität vor allem daran, dass Wissenschaftler:innen nach einer Sprache und nach Denkansätzen suchen, um die aktuellen und emergenten Arten und Formen sozialer Komplexität in all ihrer Verwobenheit besser zu beschreiben. Wie Angela Creese und Adrian 29Blackledge (2018b, S. xxiii) feststellen: »[Der Begriff der] Superdiversität beschreibt nicht nur die Diversifizierung der Diversität als Ergebnis der jüngsten Migration, sondern hat das Potenzial, eine interdisziplinäre Perspektive auf die Komplexität sozialer und kultureller Welten im Wandel zu bieten.« Um den Ansatz und die Einsichten des Konzepts weiterzuentwickeln, setzt dieses Buch bei der Diskussion des Begriffs und seiner Verwendung an und geht dann zu verwandten Formen der Diversifizierung über. Es befasst sich mit Reaktionen auf Diversifizierungs- und Superdiversitätsprozesse sowie mit emergenten Merkmalen sozialer Komplexität im weiteren Sinne. Durch all diese Themen ziehen sich Fragen zur Diversifizierung, Kategorisierung und Gestaltung multipler Kategorien, zu sich gegenseitig bedingenden Prozessen, sozialer Schichtung und Ungleichheit. So soll jedes Kapitel etwas zu unserem umfassenderen Verständnis jener Prozesse beitragen, die die voneinander abhängigen Bereiche der sozialen Kategorisierungen und sozialen Formationen immer komplexer machen.

Kapitelzusammenfassungen

Das für dieses Buch zusammengestellte Material ist vielseitig und ist mit dem Vorhaben verbunden, viele Ansätze und Disziplinen zu vereinigen. Diese Art der Synthese greift auf langjährige Erfahrung zurück, zunächst durch ein frühes Studium der Anthropologie und des multidisziplinären Bereichs der Religionswissenschaft. Darauf folgten mehrere Postdoc-Stipendien und Stellen an Universitätsinstituten für Anthropologie, Geographie sowie Soziologie – und zwar in amerikanischen, britischen und deutschen intellektuellen Umgebungen. Schließlich durfte ich als Gründungsdirektor dreier großer interdisziplinärer Einrichtungen einiges über die gegenseitige Befruchtung von Disziplinen lernen. Zu diesen Einrichtungen gehören das Transnational Communities Programme des britischen Economic and Social Research Council (ESRC), das ESRC Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS) sowie das Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften. 30Obwohl es sicherlich keinen Königsweg zur Interdisziplinarität gibt, haben diese Erfahrungen mir doch geholfen, Verbindungen herzustellen, zwischen den Bereichen zu »übersetzen« und gemeinsame konzeptionelle Rahmen für mehrere sozialwissenschaftliche Felder zu entwickeln. Puristisch Gesinnte mögen wenig damit anfangen können, dass ich unterschiedliche Methoden, Terminologien und Theorien vermische, aber ich bin überzeugt: Nur so können wir den aktuellen komplexen gesellschaftlichen Prozessen, Formen und Dynamiken gerecht werden.

Obwohl ich auch Forschung in Ländern wie Trinidad, Singapur und Südafrika betrieben habe, bin ich mir durchaus bewusst, dass die meisten Beispiele in diesem Buch aus europäischen und nordamerikanischen Kontexten stammen. Dieser Fokus auf den globalen Norden bringt sicherlich Einschränkungen mit sich, wenn nicht gar Nachteile. Ich kann jedoch nur mit Zuversicht über Kontexte schreiben, die ich am besten kenne. Ich versuche so weit wie möglich auch auf Literatur aus dem globalen Süden hinzuweisen: Schließlich sind die meisten der von mir erörterten Prozesse und Phänomene auch in diesen Teilen der Welt zu finden. In jedem Fall steht es mir nicht zu, diesen Orten konzeptionelle Rahmen aufzudrängen. Vielmehr hoffe ich, dass lokale Stimmen meine Ideen in Kontexten, die sie besser kennen, weiterhin ausgiebig nutzen und kritisieren. Das hat mit dem Konzept der Superdiversität, welches von Wissenschaftler:innen des globalen Südens umfänglich aufgegriffen wurde, auch bereits stattgefunden.

Im Folgenden werde ich die einzelnen Kapitel zusammenfassen. Da ich keineswegs davon ausgehen kann, dass die Leserschaft dieses Buches den Originalartikel in Ethnic and Racial Studies, der das Feld geprägt hat, kennt, wird dieser in vollem Umfang als Kapitel2 wiedergegeben. Der Rest des Buches bezieht sich zu einem großen Teil auf diese Erstveröffentlichung, was den Abdruck erforderlich macht. Der Artikel führt das Konzept der Superdiversität ein – als eine Möglichkeit, die Veränderungen in der Art der Vielfalt (sei es in Bezug auf ihre Formen oder Darstellungen) zu verstehen. Auf Daten aus dem Vereinigten Königreich gestützt, untersuche ich darin Verschie31bungen in Migrant:innenpopulationen nach Schlüsselkategorien wie Herkunftsland, Gender, Alter, Sprache, Religion und Rechtsstatus. Die fluktuierenden Kombinationen dieser Kategorien in den verschiedenen Gruppen haben die soziale Konfiguration Londons und Großbritanniens verändert. Die emergente Natur der von Migration angetriebenen Diversifizierung hat die vorangegangenen Konfigurationen der Diversität in Großbritannien abgelöst, it superseded them – daher das Wort Superdiversität. Der Artikel zeigt nicht nur diese Veränderungen auf, sondern macht auch auf einige Herausforderungen aufmerksam, die dieser Wandel für bestimmte Forschungsbereiche und für Sozialpolitik mit sich bringt.

Wie bereits erwähnt, hat dieser 2007 in Ethnic and Racial Studies erschienene Artikel mit seinem Konzept der Superdiversität in den Sozialwissenschaften, insbesondere in Europa, schnell an Bedeutung gewonnen. Innerhalb weniger Jahre wurde er zum meistzitierten Artikel in der Geschichte dieser führenden Fachzeitschrift und bleibt es auch weiterhin. Dabei wurde das Konzept auf verschiedene Weise verstanden, verwendet, missbraucht, kritisiert und als Sprungbrett für weitere theoretische und methodologische Entwicklungen genutzt. Kapitel3 gibt einen Überblick über die vielen Bedeutungen von Superdiversität, wie sie in der mittlerweile beträchtlichen soziologischen Literatur zu finden sind, und typologisiert dabei acht Hauptarten, in denen Superdiversität benutzt worden ist: als Bezeichnung für sehr viel Diversität; als Kontext oder Kulisse für Forschungsstudien; als Bezeichnung für mehr ethnische Gruppen; als Aufforderung, in der Sozialanalyse über die Ethnizität hinauszugehen; als mehrdimensionale Neukonfiguration sozialer Kategorien; als Grundlage für eine methodologische Neubewertung eines Fachgebiets oder einer Disziplin; als Möglichkeit der Auseinandersetzung mit emergenten sozialen Komplexitäten (im Zusammenhang mit Globalisierung, Migration, ethnischen Kategorien und neuen sozialen Formationen) und als Ausgangspunkt für die Erörterung eines Teilbereichs der Politik und Staatsführung.

Besondere Aufmerksamkeit wird in Kapitel3 der Soziolinguistik gewidmet, in der ein ganz neues Feld der »soziolinguistischen Su32perdiversität« entstanden ist, sowie der Geschichtswissenschaft, in der Expert:innen über die »Neuheit« und die Auswirkungen der Superdiversität debattieren. Ich gehe auch auf einige wichtige Kritikpunkte ein, die im Zusammenhang mit dem Konzept geäußert wurden, insbesondere im Hinblick auf Ideen von race und Rassismus, Macht und Kolonialismus sowie das akademische Unterfangen als solches. Auch wenn sie manchmal auf einem Missverständnis des Begriffs beruhen, sind dies wertvolle und nützliche Gespräche, die geführt werden sollten. Zumindest scheint es, das Konzept der Superdiversität habe »mit all dem semantischen Atem und den definitorischen Verästelungen, die es kennzeichnen, eine interpretatorische Tür geöffnet und einen analytischen Rahmen ermöglicht, der sich von dem Rest unterscheidet« (López Peláez et al. 2022, S. 161).

Einige Forschende, darunter ich und meine Kollegin Fran Meissner, sehen Superdiversität nicht nur als einen emergenten sozialen Zustand, sondern als eine Vielzahl verwobener und sich gegenseitig bedingender Diversifizierungsprozesse. In Kapitel4 werden einige davon beschrieben, und zwar insbesondere migrations- und demografisch bedingte Modalitäten. Migrationsbedingte Diversifizierung findet statt, weil sich die internationalen Migrationsströme in den letzten dreißig Jahren stark verändert haben. Die Gründe für Mobilität werden zunehmend komplexer und umfassen vielfältige, gemischte und kumulative Ursachen aus dem politischen, sozialen, wirtschaftlichen, demografischen und ökologischen Bereich. Immer mehr Menschen aus immer mehr Ländern überqueren Grenzen; dabei werden die Migrationskategorien und Fragen des Rechtsstatus immer komplizierter und verwirrender. Sie dienen dazu, Migrant:innen in ihren Zielländern zu beeinträchtigen, zu klassifizieren und zu stratifizieren, womit Ungleichheit verschärft wird. Aber auch ohne Migration diversifizieren sich viele Länder demografisch oder im Hinblick auf offizielle Kategorien wie race und Ethnizität. Die demografische Zusammensetzung von Städten (vor allem im globalen Norden, aber auch im Süden) wird immer vielfältiger, während wirtschaftliche Hierarchien weitgehend bestehen bleiben. Weitere wichtige Merkmale des demografischen Wandels sind: die unterschied33lichen ethnoracial Profile verschiedener Alterskohorten; der deutliche Anstieg der Anzahl von Menschen, die sich als mixed bezeichnen, eine Entwicklung, durch die offizielle Kategorien als solche in Frage gestellt werden; und die Verbreitung von Sprachen und innovativen Sprachpraktiken an bestimmten Orten, die zu neuen Formen der Diskriminierung, aber auch zu spannenden, wenn nicht gar faszinierenden Formen der Kommunikation führen.

Wie reagieren Menschen auf die Diversifizierung und Superdiversität um sich herum? In Kapitel5 werden einige der wichtigsten öffentlichen Reaktionen untersucht. Darunter auch ein scheinbares Paradoxon: Umfragen zufolge akzeptieren viele Menschen im Allgemeinen das aktuelle Ausmaß an Vielfalt in ihrem Land oder in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld oder schätzen es sogar, äußern sich aber besorgt über einen Zuwachs an Diversität. Das Kapitel geht in diesem Zusammenhang der Frage nach: Was wissen, denken und verstehen Menschen tatsächlich über die Diversifizierung ihrer Gesellschaften, und wie nehmen sie diese wahr, wie reagieren sie sozial und politisch? Was ist es an der zunehmenden Diversifizierung, das negative Reaktionen hervorruft? Ein Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen liegt in sozialen Kategorisierungen, also darin, wie Menschen Kategorien konstruieren, um der sozialen Welt einen Sinn zu geben, und wie sie andere dabei einordnen. Im Zentrum dieser Kategorisierungen stehen häufig folgende Prämissen oder Anschauungen: Gruppismus (die Annahme, dass die Gesellschaft aus begrenzten, festen, in sich homogenen Gruppen besteht), singuläre Zugehörigkeit (die Überzeugung, dass jeder Mensch in erster Linie der einen oder anderen bedeutenden Gruppe angehört), Kulturalismus (die Ansicht, dass Kulturen saubere, separate Pakete unveränderlicher Merkmale sind) und Rassifizierung (die Vorstellung von Kultur und Gruppenzugehörigkeit als »natürlich« oder genetisch bedingt). Diese Prämissen unterstützen die Annahme, es müsse eine Schwelle geben, bei deren Überschreitung ein »Zuviel« an Diversität unerwünschte Folgen mit sich bringt. Dies ist ein zentraler Grund für Ängste im Zusammenhang mit Diversifizierung. Kapitel5 betrachtet aber auch mehrere prominente Theorien zu negativen Reaktionen der Öffent34lichkeit auf Diversifizierung – Reaktionen, die häufig von rechten Politiker:innen geschürt und instrumentalisiert werden. Aber auch das Entstehen positiver Einstellungen gegenüber der Diversifizierung wird untersucht, insbesondere im Hinblick auf die bereits bewährten Ideen der Kontakttheorie. Die Forschung zeigt, dass die Einstellung gegenüber Unterschieden sich selbst bei anfänglich negativer Reaktion mit der Zeit und mit zunehmendem Kontakt deutlich verbessert. Wichtige Ergebnisse aus 46 Ländern illustrieren, dass schon die bloße Wahrnehmung der Diversifizierung dazu beiträgt, grobe Konzeptualisierungen und Stereotypen abzubauen, was nach und nach zu positiveren sozialen Beziehungen führt.

All diese Themen, die Superdiversität zum Ausdruck bringen – sich verändernde Migrationskonfigurationen, Varianten der Diversifizierung, Modi der sozialen Kategorisierung und kontrastierende Reaktionen darauf –, machen die Gesellschaft insgesamt komplexer. Als Antwort auf die von Beck (2011, 53) formulierte Herausforderung, eine Sprache zu finden, »um die heutige Superdiversität in der Welt zu beschreiben, zu konzeptualisieren, zu begreifen, zu erklären und zu erforschen«, untersucht Kapitel6 mögliche Betrachtungsweisen der sozialen Komplexität. In der Anthropologie wird Komplexität seit langem als ein evolutionäres Merkmal sozialer Organisation betrachtet: im Laufe der Zeit werden Gesellschaften immer komplexer (insbesondere immer stratifizierter und rollendifferenzierter). Einige Anthropologen, namentlich Fredrik Barth, Ulf Hannerz und Thomas Hylland Eriksen, haben jedoch auch komplexe menschliche Bedeutungen – die auf unterschiedlichen sozialen Positionen beruhen – als grundlegende Komponenten sozialer Komplexität hervorgehoben. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse greift das Kapitel auf einige zentrale Begriffe der Komplexitätsforschung zurück (wie Multikausalität, Nichtlinearität und Emergenz), bevor es sich wieder mit Bedeutungen befasst – in diesem Fall mit der Idee sozialer Unterschiede und sozialer Kategorisierung. Vor allem an Beispielen aus den Bereichen race und Ethnizität, Gender und Sexualität, Religion und Sprache können wir beobachten, wie viele grundlegende soziale Kategorien aufgelöst, neu gebildet, vermischt und vervielfältigt wer35den – auf eine Art und Weise, die nicht nur Gesellschaften komplexer macht, sondern auch Strukturen komplexer Ungleichheit erschafft.

Diese Prozesse finden online und offline statt, und zwar nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Individuum. Daher wird am Ende des Kapitels die Theorie der komplexen sozialen Identität dargestellt, wie sie in der heutigen Sozialpsychologie Verwendung findet. Dabei geht es darum, inwiefern sich Individuen ihrer eigenen multiplen Identitätskategorien bewusst sind. Umfangreiche Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet zeigen: Wenn sich Menschen weniger auf einzelne essenzialistische Identifikationskategorien verlassen und die eigene Identitätskomplexität sehen, entwickeln sie häufiger positive Einstellungen und Interaktionen mit anderen. Unter den Bedingungen zunehmender Superdiversität birgt diese Erkenntnis viel Potenzial für die Abschwächung negativer Reaktionen auf Diversifizierung und die Verbesserung sozialer Beziehungen im Allgemeinen. Vielleicht spricht der Schriftsteller Suketu Mehta von ähnlichen Hoffnungen, wenn er schreibt:

Wir teilen die Menschen in große Kategorien ein: Schwarze, Weiße, Migrant:innen, Transsexuelle, Feminist:innen, Polizist:innen, Demokrat:innen, Republikaner:innen […]. Und dann muss jedes Mitglied solch einer Kategorie die Last der Klassifizierung mit sich schleppen. Innerhalb jeder Gruppe sollen wir austauschbar sein. Der einzelne Mensch ist aber komplex […]. Diversität, oder Heterogenität, wird uns retten. (2021)

Das abschließende Kapitel7 fasst zentrale Diskussionen und Punkte aus dem gesamten Buch zusammen. Sie werden relevant bleiben, denn Superdiversität, Diversifizierung und ihre Verbindungen zur sozialen Schichtung werden in einer vom Klimawandel und von seinen Auswirkungen auf die globale Migration geprägten Zukunft fortbestehen, wenn nicht gar wachsen. Ein besseres Verständnis der sozialen Komplexität wird für die Zukunft der Sozialwissenschaften entscheidend sein. Eine wichtige Grundlage für ein solches Verständnis ist die Anerkennung sozialer Kategorien als vielfältig, flexibel und durch36lässig – im Gegensatz zu Sichtweisen, die auf Gruppismus, singulärer Zugehörigkeit, Kulturalismus, Rassifizierung und Sprachgebundenheit basieren. Eine offenere Perspektive kann nicht nur im akademischen Bereich, sondern auch im öffentlichen Leben gefördert werden. Ein solcher Ansatz kann in Informationskampagnen sowie in Politik und politischer Repräsentation verfolgt werden, um das Umdenken in Bezug auf soziale Kategorien zu unterstützen. Um ein differenzierteres Verständnis sozialer Kategorien in immer komplexeren Kontexten der Superdiversität zu fördern, sollten wir Gruppenkategorien nicht gänzlich abschaffen, sondern das Bewusstsein für Kategorien-Plus fördern – das heißt, die Erkenntnis, dass Individuen immer Teil von mehr als einer Kategorie sind und dass jede Kategorie Menschen mit mehr als einer Identität umfasst.

Superdiversität ist ein Konzept, das vor allem das Bewusstsein für die Diversifizierung der Gesellschaften schärfen und in Bezug darauf Interpretationshilfe bieten soll. Die geschilderten Trends sind höchst relevant dafür, wie Gesellschaften und soziale Strukturen funktionieren (können) und wie Menschen miteinander umgehen (können). Um es mit Geertz zu sagen: Die Art und Weise, wie wir Unterschiede konzipieren und denken, kann und muss erhebliche Auswirkungen haben; es geht hier nicht »nur« um Begrifflichkeiten. Es ist zu hoffen, dass das Konzept der Superdiversität zusammen mit den anderen in diesem Buch vorgestellten Ideen einen positiven Beitrag leisten kann.

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Superdiversität und ihre Auswirkungen

Auf einer Mahnwache am Trafalgar Square für die Opfer der Terroranschläge vom 7. Juli 2005 – darunter Migrant:innen aus über zwanzig Ländern, während mutmaßliche Täter:innen aus weiteren sechs Ländern kamen – erklärte Bürgermeister Ken Livingstone, in London sei »die Welt in einer Stadt versammelt« und lebe »in Harmonie, als Beispiel für alle« (in Freedland 2005). Die Idee »der Welt in einer Stadt« (the world in one city) war auch der Titel eines Sonderteils in The Guardian, der den »kosmopolitischsten Ort der Welt« feierte, an dem »so viele verschiedene Arten von Menschen zusammenzuleben versuchen wie noch nie« (Benedictus und Godwin 2005, S. 2). Eine von der Greater London Authority durchgeführte Analyse der Volkszählung von 2001 (GLA2005a), in der die Präsenz von Menschen aus 179 Nationen in der Hauptstadt untersucht wurde, hieß ebenfalls The World in One City. Die erfolgreiche Londoner Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 verwendete ebenfalls den gleichen Slogan und behauptete: »2012 wird dank unserer multikulturellen Diversität jede Nation, die an den Spielen teilnimmt, vor Ort ebenso enthusiastische Fans finden wie in ihrer Heimat.«

Die ethnische und herkunftsbezogene Vielfalt Londons ist tatsächlich bemerkenswert und zeigt sich auch in anderen Teilen des Landes. Die Konzentration auf Ethnizität oder das Herkunftsland führt jedoch zu einer irreführenden, eindimensionalen Einschätzung der heutigen Diversität, zumal diese beiden Kategorien oft verwirrenderweise austauschbar verwendet werden. In den letzten zehn Jahren hat die 38Einwanderung nach Großbritannien eine transformative »Diversifizierung der Diversität« (vergleiche Hollinger 1995, Martiniello 2004) mit sich gebracht, und zwar nicht nur in Bezug auf mehr Ethnien und Herkunftsländer – auch andere wichtige Variablen, die bewirken, wo, wie und mit wem Menschen leben, haben sich vervielfacht.

In den letzten zehn Jahren haben die Zunahme und die sich gegenseitig bedingenden Auswirkungen zusätzlicher Variablen gezeigt, dass es nicht ausreicht, Diversität nur unter dem Gesichtspunkt der ethnischen Zugehörigkeit zu betrachten, wie es sowohl in der Sozialwissenschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit regelmäßig der Fall ist. Diese zusätzlichen Variablen umfassen einen unterschiedlichen Einwanderungsstatus und die damit verbundenen Ansprüche und Einschränkungen von Rechten, unterschiedliche Arbeitsmarkterfahrungen, Gender- und Altersprofile, räumliche Verteilungsmuster und Reaktionen von lokalen Dienstleister:innen und Einwohner:innen. Selten werden diese Faktoren nebeneinander beschrieben. Ihr Zusammenspiel wird hier als Superdiversität zusammengefasst.

Mit dem Begriff Superdiversität möchte ich erstens betonen, dass nicht nur mehr Menschen aus mehr Orten zugewandert sind, sondern dass durch die Einwanderung in das Vereinigte Königreich in den letzten zehn Jahren auch bedeutende neue Verbindungen und Wechselwirkungen von Variablen entstanden sind. Diese Prozesse und ihre Ergebnisse übersteigen das, was wir normalerweise – im öffentlichen Diskurs, in Politik und in der Fachliteratur – unter Diversität in Großbritannien verstehen. Zweitens will dieser Artikel Sozialwissenschaftler:innen und politische Entscheidungsträger:innen aufrufen (oder sie darin bestärken), die Verbindung von ethnischer Zugehörigkeit mit einer Reihe anderer Variablen zu berücksichtigen, wenn sie das Wesen verschiedener »Gemeinschaften«, ihre Zusammensetzung, ihre Entwicklung, ihre Interaktionen und ihren Bedarf an öffentlichen Dienstleistungen betrachten.

Ein Großteil des Materials und der Daten in diesem Artikel ist sicherlich nicht neu und den Fachleuten auf diesem Gebiet bekannt; hoffentlich von Wert ist jedoch ihre Zusammen- und Gegenüberstellung, die eine Neukonzeption von Vielfalt ermöglicht. Meine Sichtweise 39stützt sich auf mehrere frühere Ansätze zur Diversität, insbesondere in Bezug auf: multiethnische Interaktionsbereiche (vor allem Lamphere 1992 und Sanjek 1998), Hypersegregation beziehungsweise den gleichzeitigen Einfluss verschiedener Dimensionen ethnischer wohnräumlicher Konzentration (Massey und Denton 1989), die »vielschichtige Erfahrung« von Minderheiten innerhalb ungleicher Machtstrukturen und sozialer Lagen (Harzig und Juteau 2003) sowie Vorstellungen von Pluralismus, die berücksichtigen, dass verschiedene ethnische Gruppen sich in ihrem Rechts- und Integrationsstatus unterscheiden (Kuper und Smith 1969). Besonders beeinflusst haben mich auch Ideen zur kulturellen Komplexität, wie sie von Fredrik Barth (1989, 1993) und Ulf Hannerz (1992) entwickelt wurden, insbesondere ihre Überlegungen zu Formen des kulturellen Zusammenfließens (cultural confluence), zur Koexistenz mehrerer historischer Strömungen und dazu, wie Individuen in komplexen Kontexten mit verschiedenen Perspektiven miteinander in Beziehung treten.

Die Variablen der Superdiversität selbst sind wie gesagt nicht neu, ebenso wenig wie viele ihrer Korrelationen. Wie in diesem Artikel beschrieben, erfordern ihr wachsendes Ausmaß, ihre historisch und politikbedingten multiplen Konfigurationen sowie das Zusammenspiel dieser Variablen jedoch eine begriffliche Unterscheidung. Superdiversität wird als zusammenfassende Bezeichnung vorgeschlagen. Ob nun mit diesem Terminus oder einem anderen, eine mehrdimensionale Perspektive auf Diversität ist auf jeden Fall von großem Nutzen, sowohl um über »die ethnische Gruppe als Analyseeinheit oder einziger Untersuchungsgegenstand« (Glick Schiller et al. 2006, S. 613) hinauszugehen als auch um das Zusammenwirken von Faktoren zu erkennen, die das Leben der Menschen beeinflussen.

Eric Fong und Kumiko Shibuya (2005, S. 286) deuten darauf hin, dass »die in der Vergangenheit entwickelten Theorien sich heute nur noch begrenzt eignen, die Beziehungen zwischen mehreren Gruppen zu untersuchen«. Dabei verweisen sie auf Veränderungen der sozialen, geografischen und wirtschaftlichen Bedingungen in nordamerikanischen Städten und auf Diversifizierungsmuster innerhalb ethnischer Gruppen. Der vorliegende Artikel geht in eine ähnliche 40Richtung. Im ersten Teil wird eine Vielzahl von Daten präsentiert, die auf die Emergenz von Superdiversität hinweisen (während hier insbesondere auf Entwicklungen in London hingewiesen wird, sind ähnliche Variablen, Dimensionen und Dynamiken in vielen anderen Teilen des Vereinigten Königreichs zu beobachten). Anschließend werden einige Implikationen der Superdiversität in Bezug auf sozialwissenschaftliche Theorien und Methoden beschrieben – sowie einige Herausforderungen, die mit ihr für bestimmte Bereiche der öffentlichen Politikgestaltung und -umsetzung einhergehen.

Diversität in Großbritannien

Diversität ist in Großbritannien natürlich eine endemische Erscheinung. Peter Ackroyds (2000) monumentales Werk London: The Biography beschreibt die lange Geschichte einer Stadt mit vielen verschiedenen Einwander:innen. Das römische Londinium war voller Verwalter, Händler, Soldaten und Sklav:innen aus Gallien, Griechenland, Deutschland, Italien und Nordafrika. »Seit dem zehnten Jahrhundert«, schreibt Ackroyd (ibid., S. 702), »war die Stadt bevölkert von Kymren und Belgen, von Resten der gallischen Legionen, von Ostsachsen und Merciern, von Dänen, Norwegern und Schweden, von Franken und Jüten und Angeln, die sich alle zu einem besonderen Londoner Stamm vermischten.«

Im späten 12. Jahrhundert beschwerten sich Einheimische in ganz Großbritannien darüber, dass alle möglichen Fremdlinge ihre eigenen Bräuche praktizierten, und zu Beginn des 16. Jahrhunderts kulminierte diese Intoleranz in Ausschreitungen, bei denen Geschäfte und Häuser von Ausländer:innen abgebrannt wurden. Mitte des 18. Jahrhunderts führte die Diversität zu einem Kampf zwischen Menschen mit »kulturell kosmopolitischen« Ansichten und solchen mit populistischen, fremdenfeindlichen Einstellungen (Statt 1995). Romantische Dichter des 19. Jahrhunderts wie Wordsworth beschrieben die Heterogenität der Londoner Bevölkerung, während Samuel Smiles in seinem Buch The Huguenots aus dem Jahr 1880 London »eine der am vielfältigsten zusammengesetzten Bevölkerungen der Welt« zuschrieb 41(in Holmes 1997, S. 10). Wie Michael Keith (2005, S. 49-50) feststellt, gibt es in der Tat keinen Zeitpunkt in der Geschichte Londons, an dem kulturelle Unterschiede nicht eine bedeutende Rolle im Stadtleben gespielt hätten.

Im 19. und 20. Jahrhundert stellten irische und osteuropäisch-jüdische Einwander:innen bedeutende Ströme dar. Doch war es die massive Einwanderung afrikanisch-karibischer und südasiatischer (also nichtweißer) Menschen in der Nachkriegszeit, die eine Reihe von Veränderungen der Politik auslöste: Britische Entscheidungsträger:innen reagierten mit verschiedenen Diversitätsmanagement-Strategien, die später als Multikulturalismus bezeichnet wurden.

Damit basiert der größte Teil des Diskurses, der Politik und des öffentlichen Verständnisses von Migration und Multikulturalismus im Großbritannien der letzten dreißig Jahre auf Erfahrungen von Menschen, die zwischen den 1950er und den 1970er Jahren aus Jamaika, Trinidad, Guyana und von anderen westindischen Inseln sowie aus Indien, Pakistan und dem heutigen Bangladesch kamen. Dabei handelte es sich um große Zuwanderungsströme aus den ehemaligen britischen Kolonien, deren Einreiserechte in den 1960er und frühen 1970er Jahren schrittweise eingeschränkt wurden, bis nur noch Angehörige von bereits eingewanderten Menschen einreisen durften. Die Staatsbürgerschaft und alle damit verbundenen bürgerlichen, politischen und sozialen Rechte erhielten die meisten dieser Migrant:innen im Rahmen postkolonialer Regelungen (Hansen und Weil 2001). Nach und nach organisierten sich große Gemeinschaften, insbesondere durch die Gründung von Gemeindeverbänden und Gotteshäusern.

Politiken des Multikulturalismus zielten auf die Förderung von Toleranz und Respekt für kollektive Identitäten. Communities und ihre kulturellen Aktivitäten wurden unterstützt; es wurde auf Diversität am Arbeitsplatz geachtet; positive Bilder in den Medien und anderen öffentlichen Räumen wurden gefördert; öffentliche Dienstleistungen (darunter Bildung, Gesundheit, Polizei und Gerichte) wurden angepasst, um kulturbedingten Unterschieden in Werten, Sprache und sozialer Praxis Rechnung zu tragen. Die meisten dieser politischen 42Maßnahmen und Ziele, die seit den 1960er Jahren entwickelt wurden, gelten auch heute noch. Unterdessen wird Multikulturalismus nach wie vor hauptsächlich in Bezug auf die afro-karibischen und südasiatischen Gemeinschaften der britischen Bürger:innen verstanden.

Neue, kleinere, weniger organisierte, rechtlich ausdifferenzierte Gruppen und Migrant:innen ohne Staatsbürgerschaft haben kaum Beachtung oder einen Platz auf der öffentlichen Agenda gefunden (vergleiche Kofman 1998). Dabei hat gerade der Zuwachs dieser Gruppen die soziale Landschaft in Großbritannien in den letzten Jahren radikal verändert. Es ist an der Zeit, das Wesen der Diversität hierzulande neu zu bewerten – sowohl sozialwissenschaftlich als auch gesellschaftlich-politisch.

Neue Einwander:innen und die emergente Superdiversität

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich die Zuwanderung – und damit auch die Art der Diversität – im Vereinigten Königreich dramatisch verändert. Seit Anfang der 1990er Jahre ist ein deutlicher Anstieg der Nettozuwanderung und eine Diversifizierung der Herkunftsländer zu verzeichnen. Dieser Wandel ging mit ganzen sechs parlamentarischen Maßnahmen einher: den Asylum and Immigration Acts von 1993, 1996 und 1999, dem Nationality, Immigration and Asylum Act 2002, dem Asylum and Immigration Act 2004 und dem Immigration, Asylum and Nationality Bill 2005