Susanna im Bade - Wolfgang Herles - E-Book

Susanna im Bade E-Book

Wolfgang Herles

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Beschreibung

Hans Achberg ist süchtig nach Schönheit. Als Kunstsammler hat er sich auf Bilder spezialisiert, die schöne Frauen zeigen, und auch als Mann verehrt er bildschöne Frauen. Als er bei der Biennale in Venedig auf die Kunstagentin Susan Palmer trifft, ist es um ihn geschehen. Aber Achberg hat Probleme. Erstens zeigt sich das lebendige Kunstwerk Susan eher unzugänglich, zweitens behauptet eine Erpresserin, von Achbergs unversteuertem Geld in Liechtenstein zu wissen. Als zwei seiner Freunde, ebenfalls mit Kontakten zu Susan und Schwarzgeld in der Schweiz, zu Tode kommen, muss Achberg eine Entscheidung treffen: Richtet ihn die Kunst zugrunde oder hilft sie ihm zu leben?

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Seitenzahl: 277

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Wolfgang Herles

Susanna im Bade

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

MottoEinsZweiDreiVierFünfSechsSiebenAchtNeunZehnDankInhalt

Was der Sammler besitzt, dient nicht nur der Genugtuung, sondern auch der Vergeltung.

 

Werner Muensterberger, Sammeln. Eine unbändige Leidenschaft

 

Mittlerweile wissen wir, dass der Anblick eines geliebten Bildes, genauso wie der Anblick eines geliebten Menschen, nicht nur den orbitofrontalen Cortex aktiviert, der auf Schönheit reagiert, sondern auch die dopaminergen Neuronen an der Hirnbasis, wenn eine Belohnung zu erwarten ist. Diese Neuronen sprechen auf das Bild eines Liebesobjekts an, sei es ein Mensch oder ein Gemälde – ganz ähnlich, wie die Neuronen eines Kokainabhängigen reagieren, der Kokain sieht.

 

Eric Kandel, Das Zeitalter der Erkenntnis

Eins

Jeff Wall: Ivan Sayers, costume historian, lectures at the Women’s Club, Vancouver, Virginia Newton-Moss wears a British Ensemble c. 1910, from Sayers’ collection, 2011, 190 × 230 cm, Inkjet print

Am selben Tag, an dem Hans Achberg zum ersten Mal mit Klara Salzheber schlafen wird, verliert er sich in die schwarze Lady.

Ein Schleier lässt Augen ahnen, die kühn sind und klar. Ihr Kleid: rabenschwarz, bis zu den Knöcheln fallend, am Stehkragen geschlossen, stark tailliert. In der Körpermitte weist ein Dreieck aus Spitze pfeilförmig zum Schoß. Der rechte, fast gestreckte Arm setzt einen schwarzen Schirm graziös aufs Parkett, die linke Hand hält an feiner Kette eine Tasche, schwarz wie der turbanartige Hut, das Haar, die Halskette aus walnussgroßen Kugeln, Handschuhe und Schuhe. Leichter Ausfallschritt.

Schräg links hinter der Frau redet ein Mann mit beiden Händen. Weißer Vollbart und Fliege. Vor hellblauem Hemd hängt die Brille, eine zu lange beige Altherrenhose wirft Falten. Der Historiker. Er referiert. In den Spiegelfeldern im Hintergrund ist sein Publikum zu erkennen. Er sammelt Kostüme. Die schwarze Lady degradiert ihn zur Randfigur.

Ohne diese von hinten beleuchtete Fotografie, die Lightbox von Jeff Wall, ohne die Frau im viktorianischen Kostüm, ist Achbergs Sammlung nicht mehr denkbar. Er weiß es in dem Moment, in dem er sie zum ersten Mal sieht. Doch verbietet er sich jeden weiteren Gedanken daran.

Es ist Achbergs siebte oder achte Biennale, die erste ohne Kaufabsichten. Er will nicht einmal hören, wer für wie viel die Finger wovon nicht lassen kann. Er reißt sich los von der Lady in Black und verlässt den Palazzo delle Esposizioni.

Vor den Giardini liegt die eisgraue Yacht des Roman Abramowitsch. Spekulanten wie er erniedrigen die Kunst, denkt Achberg, der nicht mehr mithalten kann und nicht mehr dazugehören will.

Die schwarze Lady geht ihm trotzdem nicht aus dem Sinn.

*

In der Madonna speisen sie Bärentatzenkrebse, Meeresspinnen, kleine, Peverasse genannte Miesmuscheln, lange, schmale wie Klappmesser geformte cape longhe aus dem Schlick der Lagune, dazu risoto nero, das auf Venezianisch nur mit einem t geschrieben wird.

Klara ist mit den Kerlen verabredet, die sie wenigstens drei, vier Mal im Jahr trifft, auf der Frieze in London, auf der Art Basel, auf der einen oder anderen Vernissage, und eben auch alle zwei Jahre in Venedig.

Kaspar, siebzig, in tadellosem Zustand. Die einzige Zügellosigkeit, die er sich gestattet, sind die wild auftrumpfenden Augenbrauen in einem Gesicht von wie immer gesunder Farbe. Sein bayerischer Bariton rollt vertraut. Liz fehlt. Liz, die sich Venedig nie hat nehmen lassen. Sie habe zu viel am Hals, behauptet Kaspar.

Linus schmückt sich mit einer fernöstlichen Köstlichkeit namens Lu. Meerspinnendünn. Er hat um die Hüften herum zugelegt. Der Raboso del Piave funkelt mit seinem Gesicht um die Wette.

Und dann ist da Hans. Wer es nicht streng nimmt, darf sein Haar für sandfarben halten. Klara nimmt es nicht streng. Grau sind allein die Jeans zum azurblauen Sakko über dem weißen Hemd. Geht dieser so unversehrt wirkende Mann tatsächlich schon auf die Sechzig zu?

Von Hans stammt der Satz, wonach wahre Schönheit nicht vergehe, sondern von der Oberfläche nach innen wandere. Schönheit – letztlich ein Charakterzug. Das hat sich Klara gemerkt. Ist es Fügung, dass sie und Hans im selben Jahr im Stich gelassen worden sind? Ob einer verscheidet oder sich scheiden lässt, ist nicht völlig verschieden. Man wird verlassen, vom Gegangenen wie vom Genommenen. Es mag sogar vorkommen, dass der Verduftete schmerzlicher vermisst wird als der Verschiedene.

Zur vergangenen Biennale hat Arnfried noch gelebt, ist aber, geschwächt von der Chemotherapie, nicht mehr in Venedig gewesen. Auch Hans ist damals allein nach Venedig gereist und hat Astrids Abwesenheit damit begründet, sie brenne nun einmal nicht für die Kunst; aber da ist wohl auch alles andere schon erloschen gewesen. Die Firma hatte er bereits verkauft, um sein Dasein ganz der Kunst zu widmen.

Der brillante Schwärmer kann von Ausstellungen so anschaulich erzählen, dass man sie schon selbst gesehen zu haben glaubt. Heute allerdings scheint er neben sich zu sitzen. Seine Augen berichten von schwierigen Abenteuern, findet Klara.

Und die Liebe?

Eine Frage, die sie ihm nicht ersparen kann.

Welche Liebe?

Das hört sich ganz so an, als habe er am Verlassensein noch immer zu tragen. Klara fährt ihm mit der Hand durchs Haar. Er erkundigt sich leider nicht nach dem Stand ihrer Dinge.

Die Kerle nehmen den deutschen Pavillon durch, lassen kein gutes Haar an ihm, haben nichts als Spott übrig für die Rieseneinbauküche, wie Kaspar die Installation nennt. Klara hält sie für souverän und selbstironisch. So kommentiere sich das Land der Schnäppchenjäger und Heimwerker. Die Kerle aber bevorzugen Humor der skandinavischen Sorte. Im Pavillon der nordischen Länder lümmeln schwule Jünglinge auf coolen Designermöbeln, an den Wänden Gegenwartskunst, unvermeidliche Mapplethorpe-Schwänze, gerahmte Männerhöschen. Im Pool dümpelt die Figur einer Leiche.

Ein Sammler nach dem Besuch der Steuerfahndung, erklärt Hans.

Linus legt nach. Ob jemand den Unterschied kenne zwischen einem Konservativen und einem Liberalen? Er gibt die Antwort: Ein Konservativer sei ein Liberaler nach einem Raubüberfall.

Linus wartet.

Kaspar, endlich: Und ein Liberaler?

Ein Liberaler ist ein Konservativer nach einer Hausdurchsuchung.

Selten so gelacht, sagt Klara.

Die Kerle wollen sich nicht mehr beruhigen.

Kaspar brüstet sich damit, den Leiter des für ihn zuständigen Finanzamts abgeworben zu haben.

Ich zahle. Sie marschieren ins Gefängnis. Aber ich besuche Sie dort. Versprochen.

Die Kerle lachen wie besoffen.

Klara kann einiges vertragen. Aber sie mag es nicht, wenn die Verwöhnten bei ihrem Kampf gegen Steuergesetze wie Veteranen vom Krieg schwadronieren und sich wie Widerstandshelden aufführen.

Muss das sein? Doch nicht in Venedig.

Sie alle profitieren von Stiftungs- und Steuersparmodellen. Kaspar hat sich ein von Richard Meier entworfenes Museum hinstellen lassen, das Journalisten gern als oberbayerisches Pendant der Getty-Foundation bezeichnen. Bitte! Ist das nichts auf der Hühnerleiter zur Unsterblichkeit? Klara will sich selbst nicht beklagen. Über ihre ArtHotels setzt sie manches von der Steuer ab, was ihre private Sammlung bereichert. So genau sieht keiner hin.

Während Linus einem Bärentatzenkrebs den Panzer auskratzt, versteigt er sich zu dem Satz, neuerdings denke er sogar daran, auszuwandern.

Bullshit! Wohin denn?

Warum nicht nach China. Der Zuversicht hinterher, die Zuversicht sei zuerst ausgewandert.

Das will selbst die schweigsame Lu an seiner Seite nicht gelten lassen. Ihrer Erinnerung nach herrsche in China nicht Zuversicht, sondern eine Partei.

Bravo!, sagt Klara.

Nach dem Essen lehnen es Kaspar und Linus ab, ein Taxiboot zu rufen, sondern bestehen darauf, über die Rialtobrücke zu Fuß ins Hotel nach San Marco zu gehen. Sie nehmen Lu in die Mitte und ziehen davon. Auf Klaras vom Biennale-Rundgang angegriffene Füße nimmt nur Hans Rücksicht. Er schlägt vor, sie huckepack zu nehmen. Charmant, doch auch eine Anspielung auf ihre Gewichtsklasse. Sie ist nicht gerade ein Floh. Sie streift die Schuhe ab, die Hans tragen darf. Beim Barfußgehen zeigt sich buchstäblich, wie dünnhäutig sie geworden ist. Sie nimmt ihn bei der Hand; er scheint nichts Aufregendes daran zu finden.

Er habe sich gerade vernarrt, gesteht er, in eine Lightbox von Jeff Wall.

Schön für dich.

Weil Hans seine Verliebtheit wie einen Hut in die Luft geworfen hat, muss Klara ihn in den Hüftspeck kneifen. Wenn sie ihn richtig versteht, ist er einer aufregenden Synthese aus Lady Chatterley und Mona Lisa verfallen.

Malt Klara sich Hans schön? Und wenn schon. Einer Sammlerin darf ein Sammler gefallen. Beas Einwand – er sammelt Frauen, Ma – will sie nicht akzeptieren. Es kommt weniger darauf an, was einer sammelt, als darauf, wie er es tut. Abgesehen davon, kann es nicht angehen, dass sie sich ihren Mann von den Töchtern genehmigen lässt. Wenigstens Tina findet Hans ganz nett. Anyway.

Endlich ist das Grand Hotel Monaco erreicht. Vor zwei Jahren hat auch Hans hier logiert. Er behauptet, kein Zimmer bekommen zu haben. Klara vermutet eher Kostengründe. Das Excelsior auf dem Lido dürfte nicht ganz so teuer sein.

Sie schlägt einen Absacker an der Bar vor. Kaspar, Linus und Lu sind schon da, wollen aber gleich ins Bett. Solange Hans ihrer Einladung folgt, ist ihr das recht. Der Barkeeper genehmigt einen letzten Drink.

Wir können auch nach oben gehen, sagt sie.

Er glaube, es sei vernünftiger, ein Taxiboot zu bestellen, sagt Hans.

Als es anlegt, stehen sie auf dem Steg am Canal Grande und Klara sagt: Wir werden uns doch zum Abschied nicht gleich küssen wollen.

Das kann er ihr jetzt nicht mehr abschlagen.

Ihre Lippen sind noch geschürzt, als seine sich längst gelöst haben. Der Bootsführer streckt einen Arm aus, um Hans an Bord zu helfen. Klara allerdings ist ihm einen Schritt voraus.

*

Was auch immer geschieht, Achberg wird es akzeptieren. Auf Klaras breite Schwimmerschultern fällt neuerdings glattes, blondes Haar, das ihrem fast faltenfreien, ebenmäßigen, wenn auch ein wenig derbem Gesicht durchaus jugendlichen Schwung verleiht. Fünfundfünfzig ist sie. Sie trägt ein Kleines Schwarzes, was nicht wörtlich zu nehmen ist. Klaras Kleider sind niemals klein. In jeder Hinsicht ein großzügiges Wesen, kann sie sich einen tiefen Ausschnitt leisten.

Klaras Kopf ist auf seine Brust gesunken. Doch die Fahrt über die Lagune erfrischt. Im Excelsior kann von Anlehnungsbedürftigkeit keine Rede mehr sein. Trittsicher ineinander gehakt geben die beiden bereits auf der Treppe zur Halle hinauf das Bild eines versierten Ehepaars ab.

Im Zimmer reißt Klara sofort das Fenster auf.

Sie habe Lust auf schwimmen. Ein Tag ohne schwimmen sei kein guter Tag.

Es ist die letzte Mai-Nacht und Achberg das Wasser entschieden zu kalt. Klara kennt kein Erbarmen.

Sicher hast du auch keine Badehose dabei, sagt sie. Sonst noch eine Ausrede?

Sie verschwindet ins Bad, kehrt nach wenigen Augenblicken im Bademantel zurück, zwei Handtücher unter dem Arm.

Come on!

Im Aufzug will sie schon wieder geküsst werden. Sie finden den Weg hinunter zum Strand durch lange Reihen von Badekabinen.

Ich schau dir zu, schlägt er vor.

Das würde dir so passen!

Trotz des Alkohols im Blut, lässt Achberg der Gedanke an das Unvermeidbare frösteln. Am Wasser knöpft ihm Klara das Hemd auf und streift es von seinen Schultern.

Den Rest schaffst du selbst.

Sie hat sich bereits dem Meer zugewandt, als ihr Bademantel fällt. Ein kolossaler Leib schreitet in sein Element. Wenn Achberg sich vor ihr nicht blamieren will, muss er hinterher. Er legt die Hose ab und sorgfältig zusammen, neben die Schuhe, die Unterhose bleibt an.

Die Brandung tost nicht gerade dramatisch. Zügig ziehende Wolken erlauben dem Halbmond silbrige Lichteffekte. Hans watet ins Seichte, es ist wirklich verdammt frisch, und erst als ein harmlos brechender Wellenkamm seinen Bauchnabel benetzt, legt er mit grimmigen Armzügen los. Nicht weit, dann testen die Zehen, ob sie noch Grund finden, und sobald es nicht mehr der Fall ist, endet seine Entschlossenheit.

Ha-ans!

Ein Ruf von fern. Weit hinaus lockt ihn die Wasserfrau. Er macht weder Anstalten, ihr zu folgen, noch ihr zu antworten. Von Klara ist nichts mehr zu hören. Er strebt schon wieder dem Land zu, als ein Seeungeheuer schäumend aus der Tiefe schießt, um ihn mit glitschigen Tentakeln zu umschlingen. Er prustet, hustet, schluckt. Klara zieht ihn auf den Strand, hilft ihm aus den Boxershorts, ehe sie sich in Frottee hüllt.

Während er Wein aus der Minibar entkorkt, zündet sich Klara am offenen Fenster eine Zigarette an.

Er fragt, ob sie duschen wolle.

Sie will gar nicht duschen.

Mit dem mächtigen Rücken schmiegt sie sich an ihn, greift hinter sich nach seinem Hals. Er umfasst ihren Leib.

Gefallen dir meine großen Ohren?

Die großen Ohren schmecken nach Salz. Ihr Mund schmeckt nach Salz, Wein und Rauch. Unvermutet gelenkig geht Klara in die Knie. Daran ist nichts auszusetzen. Wenn Achberg die Augen schließt, schwankt die Welt, er behält sie besser auf.

Willst du mich denn gar nicht ficken?

Ihr Wille geschieht. Sein Gesicht macht es sich zwischen den bemerkenswert großen Ohren bequem. Später will sie noch immer nicht duschen, schläft auf der Stelle ein.

*

Er wacht früher auf als sie, lauscht dem ruhigen Atem, der die vollen Formen bewegt. Fettheit ist etwas anderes. Lucian Freuds Big Sue ist fett, Klara dagegen erinnert an Boteros Schöne im Bad.

Ein Bad wäre wünschenswert. Er mag sich nicht ungewaschen. Noch klebt des Meeres Seim an ihm, und den Mund lässt er besser zu. Wenn er aber jetzt duscht und sich die Zähne putzt, weckt er Klara auf. Sie hat keine Zahnbürste dabei, und es besteht die Gefahr, dass sie seine benutzen will. Wenn schon, dann nach ihm. Also beschließt er, seine Reinigung nicht länger aufzuschieben. Während ihm Wasserfäden auf dem noch immer leicht betäubten Schädel zerplatzen, spürt er nicht einmal Verliebtheit.

Sie ist auf Sex ausgewesen. Hätte er sich ihr verwehren sollen? Es ist gut so. Das Leben ist nicht immer nur kompliziert. Was geschehen ist, richtet keinen Schaden an.

Leicht erschöpft hat Klara gestern gewirkt, doch positiv gestimmt. Ihm gefällt, wie unkompliziert sie die Dinge nimmt. Headhunter würden ihr strukturiertes Denken hervorheben. Wenn sie spricht, teilt sie die Luft mit flacher Hand in gleichmäßige Portionen. Apart, patent, diszipliniert. Versuchsweise stellt er sich vor, wie es wäre, mit dieser Frau zu leben, die fast so alt ist wie er. Unsentimental formuliert: In zwanzig Jahren wäre er mehr oder weniger ein Pflegefall und könnte keinen Pflegefall an seiner Seite gebrauchen. Für sie sprechen Alltagskompetenz, praktischer Sinn für das Leben, zupackende Güte und ein Dutzend Hotels. Es gibt unangenehmere Pflichten als mit ihr zu vögeln.

Klara Salzheber. Persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Salzheber ArtHotels KG. Ein Soliditätsversprechen. Risikominimierung. Vorsorgemaximierung. Luxus plus Fluxus. Klara wäre das Ende seiner Pilgerschaft. Das Ende, nicht das Ziel. Cap finis terrae. Sicherheitsverwahrung mit fünf Sternen. Und wenn schon.

Achberg beneidet sie. Sie und ihr blendend geführtes Familienunternehmen. Er bewundert, wie entschlossen sie den Zumutungen des Lebens trotzt, wie sie akzeptiert, dass Glück nur im Unglück zu haben ist. Seit ihr ein Karzinom Arnfried geraubt hat, meistert sie das Leben zwischen Firma und Töchtern, tüchtigen Töchtern, florierender Firma, und ihr bleibt noch genug Kraft für die Kunst, die nicht bloß ihre Hotels schmückt, sondern auch Anwesen in Bad Godesberg und La Napoule.

Sie ist hungrig genug auf die Portion Leben, die ihnen noch zur Verfügung steht. Zwischen ihren und seinen Meisterwerken all inclusive zu enden, wäre eine Lösung. Er wäre befriedet. Dass ihn diese Vorstellung nicht schreckt, schreckt ihn jetzt doch.

*

Wie lange schon ist sie nicht mehr neben einem Mann aufgewacht? Sie hört ihn im Bad. Gereinigt und erfrischt wird er sich gleich über sie beugen und vollends wach küssen. Das prickelnde Gefühl eines Neubeginns dehnt sich in ihr. Ein Jammer nur, dass sie nicht bleiben kann. Die unverschiebbare Direktorenkonferenz. Also keine zweite venezianische Nacht mit Hans. Kein Grund zur Traurigkeit. Schon in wenigen Tagen werden sie sich wiedersehen. Den Vormittag gibt es auch noch. Sie werden ihn wie geplant im Arsenale verbringen, und deshalb jetzt nicht groß herumturnen, sondern sich beeilen.

Nach dem Frühstück auf der Veranda nehmen sie mit einem Dutzend anderer Hotelgäste das kostenlose Shuttleboot des Excelsior. Klara fällt eine Frau in ihrem Alter auf. Ihre Bluse in schreiendem Pink klafft im Rücken auf wie eine von Fontana geschlitzte Leinwand. Die Frau kramt ein Fläschchen Chloé aus der Handtasche, besprüht ihren Unterarm und hält ihn ihrem Begleiter unter die Nase.

Sehr frisch!, lobt der junge Mann, worauf er von der Frau stürmisch geküsst werden muss. Dass ihre Küsse nicht dem zimtfarbenen Jüngling gelten, denkt Klara, sondern dem, was die Frau dem Leben abzutrotzen versteht. Selbstentzündungsküsse sind es.

Ehe sie sich ins Grand Hotel Monaco zu Instandsetzungsarbeiten zurückzieht, verabredet sich Klara mit Hans zu einer Performance im Arsenale.

*

Er sieht sie nicht. Eigentlich kann er sie nicht übersehen. Mindestens in einem der Spiegel wäre sie zu entdecken, steht sie doch wie er in der ersten Reihe, wenige Meter von ihm entfernt. Wer weiß, wo Hans seine Augen hat. Sie beobachtet in gleich drei Spiegeln, wie er sich nicht von der Stelle rührt, als ein Ordner die Zuschauer auffordert, einen Schritt zurückzuweichen. Wie angewachsen lehnt er an einer Backsteinsäule. Dass sich sein Haar am Hinterkopf lichtet, zeigen die Spiegel nicht.

Endlich tritt der bärtige Mann mit dem eierlikörfarbenen Strohhut auf. Ohne die Schutzbrille wäre er in jedem Hemingway-Lookalike-Wettbewerb der Favorit. Mit einem langstieligen, hölzernen Schlegel, aus dessen stumpfer Fläche ein Dorn ragt, holt er aus. Mitten in einen der Spiegel kracht sein Hieb. Verblüffend, dass nicht mehr Scherben aus dem goldenen Rahmen platzen. Erst der zweite Schlag sprengt zahllose kleinere Splitter heraus. Der Künstler zeichnet in weitere Spiegel Spinnweben aus Sprüngen. Nach dem fünften oder sechsten Zerstörungswerk verneigt sich Michelangelo Pistoletto, Beifall brandet auf, obgleich die Arbeit noch längst nicht vollendet ist, lautet sie doch Twenty-two less two. Nur zwei von zweiundzwanzig Spiegeln werden am Ende noch unbeschädigt sein.

Klara will es vorkommen, als sei Hans in den zersprungenen Spiegeln genauer zu erkennen als in den unbeschädigten. Es darf aus den Rahmen nur nicht alles herausfallen, möglichst viele Scherben müssen im Rahmen bleiben – darin besteht die Kunst.

Sie schauen beide in dieselben zergliederten Spiegel. Sie sieht ihn, er sieht sie nicht. Oder tut er nur so?

Die Splitter, die zum Werk gehören wie Scherben zum Glück, werden zur Wand hin gekehrt. Gelbe Klebestreifen auf dem Boden sollen verhindern, dass jemand in die Glashäufchen tritt. Ab und an geschieht es dennoch. Faszinierend, wie blind die Leute sind. Und schon hat Klara Hans aus den Augen verloren.

Bereits im übernächsten Saal findet sie ihn wieder, vor Paul Chans Videoinstallation. Eine Wand voller viriler Schattenfiguren, die es miteinander treiben, allein, zu zweit, zu fünft, in allen erdenklichen Stellungen und Konstellationen. Klara beobachtet Hans, der beobachtet, wie die Leute die bewegte Wand angaffen, verlegen grinsend die einen, mit gespieltem Desinteresse die anderen.

Das können wir besser, flüstert Klara Hans ins Ohr.

Er riecht auch gut, dieser Mann. Zitrustöne und Leder. Sehr frisch. Er küsst sie, leider nur auf den Hals. Nun streifen sie gemeinsam durch die herrlichste Galerie der Welt. In den Sälen der Corderie war einst das Tauwerk der glorreichen Armada geflochten worden. Rostende Eisenkonstruktionen, Hebevorrichtungen, Tanks – alles Kunst. Draußen im Hafenbecken dümpeln Rettungsinseln von Tamara Grcic in leuchtendem Orange.

Sein Traum sei es, die Welt zu retten mit nichts als Schönheit, sagt Hans.

Wie sich das anhört.

Verstiegen, naiv, sympathisch.

Auch Hans ist allein. Anders allein als Klara. Jeder ist anders allein. Sie studierte Anthropologie, als sie sich auf einer Exkursion in Kenia in den Hotelmanager Arnfried verliebte und ihm zuliebe das Studium abbrach. Nach Arnfrieds Tod verschwendete Klara keinen Gedanken daran, die Hotels zu verkaufen.

Ein Familienunternehmen habe einen Preis, aber auch einen Wert, der nicht in Euro zu beziffern sei. Sie sei, erzählt sie, nicht einmal dazu bereit gewesen, einen Geschäftsführer ins Unternehmen zu holen. Sie hätte inzwischen nichts dagegen, die Last der Verantwortung zu teilen. Tina absolviert die Hotelfachschule in Lausanne, Bea die Bucerius Law School, doch beide müssten erst hineinwachsen ins Geschäft. Der Einfall, Hans für die Salzheber ArtHotels zu erwärmen, ist nicht durchdacht, er hat sich unwillkürlich eingenistet. Hans wüsste ein Familienunternehmen zu führen.

Sie erkundigt sich nach Tom. Die Verbindung zu Tom, hört sie, bestehe aus kaum mehr als einem Dauerauftrag. Das Achselzucken dazu nimmt ihm Klara nicht ab.

Er wisse nicht einmal, wo Tom stecke, ob schon wieder in Berlin oder noch immer zum Sandkörner zählen in der Sahara.

Hans sagt, dafür, wie Klara mit allem klar komme, bewundere er sie.

Er könnte anderes rühmen an ihr, findet sie. Anyway.

Ihr Rundgang mündet in einen Garten voller Skulpturen von Miranda July. So I look when I’m lying steht auf einer rosafarbenen Stele. Klara steckt ihren Kopf durch das dafür vorgesehene Loch, Hans fotografiert. Ein Würfel trägt die Aufschrift The Guilty One. Auf dem etwas höheren Klotz daneben heißt es The Guiltier One. Hans bittet Klara, ihn mit seinem Handy aufzunehmen. The Guilty One. Den Schnappschuss wolle er seinem Anwalt senden; wie er den kenne, nehme er ihn zu den Akten.

Sei nicht so bescheiden, sagt Klara und steigt auf den höchsten der drei wie zu einer Siegerehrung aufgereihten Sockel. The Guiltiest One.

Sie schlägt vor, in die Giardini hinüber zu spazieren, in den Palazzo delle Esposizioni; weil sie sich von ihm unbedingt die Lady in Black zeigen lassen will, in die er sich vernarrt hat.

Falls Hans sie haben will, sollte er den Kauf sofort in die Wege leiten. Es ist schon der zweite Preview-Tag, Galeristen, Kuratoren, Sammler überschwemmen die Lagune.

Lieber nicht, sagt er.

Come on! Wenn du müde bist, nehmen wir ein Boot.

Er habe nachgedacht. Die Lightbox sei doch nichts für ihn.

Warum beschäftigt sie dich dann so sehr? Vielleicht, weil du dir vorkommst wie der ältere Herr auf dem Bild, der Kostümsammler? Der die Schöne nur erklären kann, aber nicht erreichen? Sorry, sagt Klara, das war nicht nett von mir.

Schon gut.

Früher hättest du keinen Augenblick lang gezögert, sie dir zu nehmen. Do it!

Können vor Vergnügen.

Was ist mit dir?

Sie haben noch eine gute Stunde Zeit. Die Hände ineinander verschränkt, überqueren sie ein Dutzend Kanäle und bewundern die abstrakten Gemälde, die Fäulnis und Verfall auf die Hauswände produzieren.

Sag schon, was dich bedrückt.

Es sei hier viel zu schön, um übers Geld zu reden, sagt er.

Klara kann sich vorstellen, dass Hans sein Vermögen nicht ganz unbeschadet durch die Stürme gebracht hat; wer hat das schon.

Nun bricht es doch aus Hans heraus, und er vertraut sich Klara an. Ich bin ein Sammler, dem das Geld ausgeht.

Du übertreibst.

Doch, doch, ich bin ein Junkie auf Entzug, der seine Sucht loswerden will, weil sie nicht mehr vernünftig zu finanzieren ist.

Jetzt mal im Ernst. Warum verkaufst du nichts?

Er wisse, wie komisch sich das anhöre. Wer eine Kollektion sündhaft teurer Gemälde besitze, habe kein Mitleid verdient. Er könne sich zwar ausrechnen, was seine Sammlung einbrächte, nur sei er leider nicht in der Lage, sich auch nur von einer einzigen Arbeit zu trennen. Könnte er verkaufen, wäre er nicht Sammler, sondern Investor. Einer wie Abramowitsch.

Er sammle nicht nur Kunst, er glaube auch an die Kunst. Und wie jeder Gläubige denke er über sein irdisches Leben hinaus. Die Sammlung ist das, was einmal von mir bleiben wird.

Klara sieht die Sache nüchterner. Du bist nicht der erste Sammler, dem das Geld ausgeht. Am Ende bleibt dir nichts anderes übrig als zu verkaufen.

Ich verkaufe nichts.

Jeder von uns hat Arbeiten im Depot, von denen er nicht mehr ganz überzeugt ist.

An was genau sie denke?

Zum Beispiel an deinen Botero.

Er will das nicht kommentieren.

Später, als sie sich am Grand Hotel Monaco ein letztes Mal küssen, sagt Klara: Vielleicht findest du jemanden, der deine Hingabe teilt. Ich wünsche es dir sehr.

*

Auf dem Campo Bandiera e Moro o della Bragora, dessen Namen er sich merkt, weil er so elegant und kompliziert zugleich klingt, verzehrt Achberg zwei Gläser Wein. Während der Abend dem Tag die Farben entzieht, folgt er dem Gesang einer Marienprozession, durch die sich laut telefonierend eine junge Frau zwängt. Himbeerfarbenes an Spaghettiträgern, die Sonnenbrille wie ein Reif auf dem Haar. Wer aussieht wie sie, darf auch eine Andacht stören.

Was soll Achberg mit dem Abend anstellen? Er hat eine Reihe von Einladungen in der Tasche. Im ehemaligen Irrenhaus auf San Servolo bittet die Bundesrepublik Deutschland zum Empfang. Vergnüglicher wäre vermutlich die Party Islands in einem Palazzo am Canal Grande. Auf dem Gucci-Fest im Palazzo Gritti wird die Tanzfläche aus einer Collage von Piotr Uklanski bestehen. Dancing Nazis. Fotografien von Schauspielern, die einmal Nazis verkörperten. Crazy. Wie dumm! Vor zwei Jahren hat Achberg sich Pivots Promizirkus nicht entgehen lassen, heute hat er keine Lust dazu.

Er verlässt das Vaporetto der Linie eins bei Santa Maria della Salute, wirft einen Blick auf die über alle Moden erhabene Palladio-Kuppel und erreicht rasch den landseitigen Eingang der Peggy Guggenheim Collection. Im Innenhof Getümmel. Zusammenrottungen dieser Art könnten ihm gestohlen bleiben, wäre ein Abend mit sich allein nicht noch schwerer zu ertragen. It’s not you, it’s me. Das Motto der Gala Reception aus Anlass des ersten Biennale-Auftritts der Vereinigten Arabischen Emirate. Weiß gewandete Scheiche sind nicht zu entdecken. Nur wenige Frauen zeigen ihr akkurat geschminktes Gesicht im strengen Rahmen eines Tschadors. Orientalische Klänge liegen in der Luft, ohne Venedig etwas anhaben zu können, Palazzi glühen im Abendlicht. Von der Dachterrasse sieht Achberg auf Leute hinab, die sich, wenn sie aus den Booten steigen, wie Filmstars gebärden.

You are looking happy, my friend.

Mitten im Gedränge drückt Prinz Khaled Achberg die Hand. Gestutzter Bart, dunkelblauer Anzug. Sie kennen sich seit Jahren.

I’m happy, indeed, sagt Achberg. But you’r Prince Happiness yourself.

Prince Happiness lacht, versäumt es, Achberg die Frau an seiner Seite vorzustellen.

Sie ist ein wenig größer als der Prinz, reicht an Achberg heran. Tatsächlich ist ihre Größe irrelevant, so schön ist sie. Wahnsinnig schön. In Bruchteilen von Sekunden wirft ihn der Asteroid aus der Bahn, streckt ihre Erscheinung ihn nieder. Es wäre sinnlos, sich in Details zu verlieren. An ihr ist nichts übertrieben. Doch die absolute Harmonie aller Einzelheiten ist als Ganzes schiere Maßlosigkeit. Womit anfangen? Mit den Augen?

Die Augen dieser Frau als blaugrün zu bezeichnen wäre ein Sakrileg. Mit schlichten Worten ist diese Farbe nicht zu fassen, allenfalls sind Vergleiche erlaubt, die Achberg im Augenblick des Staunens aber nicht zur Verfügung stehen. Zähne! Von diesen Zähnen zerlegt zu werden, müsste ein Privileg sein. Das Haar. Über ihr Haar hätte Tizian den Verstand verloren. Ein Amalgam aus Kupferrot und Gold. Und wie nennt man diese Lippen? Ein Gedicht? Diese Lippen sind eine Gedichtanthologie, die ein ganzes Regal füllt. Diese Lippen sprechen und singen, selbst wenn sie schweigen. Was sie trägt? Spielt es noch eine Rolle? Ein Kleid trägt sie, wie von Mondrian bemalt. Große rechteckige Flächen in den vier Primärfarben über perlweißen Leggins. Die Beine. Die Beine …

What was your catch of the day?

Sorry?

Der Prinz kann Achbergs Verwirrtheit nicht übersehen. Doch scheint er nicht auf Achbergs Antwort erpicht, sondern auf die Gelegenheit, sein eigenes Anglerglück zu preisen. Beinahe fängt er zu singen an: Sade for Sade’s Sake. Paul Chans Video.

What an extraordinary orgy! lobt Achberg den Fang.

Es ist ihm herausgerutscht.

Der Prinz überhört die Ironie, die Schönste aber lacht glockenhell.

Indeed a wonderful work about western values. Everything crumbles, that’s what it shows.

Der Schönsten Heiterkeit ist voll erblüht. Achberg will dafür sorgen, dass sie sich noch herrlicher amüsiert. Er gratuliert dem Prinzen in der festen Überzeugung, der werde die kopulierende Gesellschaftskritik in Abu Dhabi öffentlich präsentieren.

Jetzt ist es das Gelächter des Prinzen, das sich nicht beruhigen will.

You’re joking, my friend!

Schwanzvergleich! Achberg kann es nun doch nicht lassen, seinen catch of the day zu erwähnen, die Lightbox, die wie alle Arbeiten Jeff Walls einen ganzen Roman erzählt.

Die Lippen der Schönsten stimmen zu. Er stellt sie sich sofort im viktorianischen Kostüm vor.

Der Prinz weiß ebenfalls, wovon die Rede ist. Auch er hat die Lightbox bewundert und findet, die verschleierte Lady erinnere an Frauen der islamischen Welt.

Gut gekontert. Es könnte sein, dass an diesem Vergleich etwas dran ist. Obwohl die Schönste den Zusammenhang sofort bestreitet: Absolutely not.

Der Prinz ignoriert sie und schätzt den Preis.

Threehundred?

Dreihunderttausend. Achberg kennt den Preis nicht. Er würde noch mehr hinlegen, wäre da nicht sein Vorsatz, sich zu enthalten.

Am liebsten, scherzt der Scheich, hätte er das Backsteingemäuer, auf dem Chans Video zu bestaunen ist, gleich miterworben.

Unfortunately not available, sagt die Schönste.

Einen ganz leichten deutschen Akzent glaubt Achberg herauszuhören.

Eine Hand legt sich auf seine Schulter. Es ist Bengsheim, der sich ungeniert einmischt. Tobi Bengsheim, New Yorker aus Verden an der Aller, hat Hilde Hopp im Schlepptau, die Galeristin, und Annegret van Engsteren, Kunstkritikerin von Rang einer Zeitung von Rang. Die drei sind schon von San Servolo zurück. Es scheint ein kurzes Vergnügen gewesen zu sein.

Annegret: Käsewürfel. Nichts als Käsewürfel.

Die Hopp: Schon nach zehn Minuten seien sämtliche Gläser vergriffen und daher die Rede der Staatsministerin ohne einen einzigen Schluck zu ertragen gewesen.

Tobi: Nicht anders als vor zwei Jahren.

Die Hopp: Die Bundesrepublik könne sich ein Beispiel nehmen an unseren arabischen Freunden.

Ehe Achberg die drei los wird, ist die Schönste mit ihrem Prinzen im Gedränge verschwunden. Für überflüssige Gespräche stünden noch mehr Bekannte zur Verfügung, deretwegen er nicht hätte nach Venedig reisen müssen. Ihn hat das Gefühl erfasst, hier nichts mehr gewinnen zu können. Er will den Ort verlassen, jedoch nicht ohne zuvor einen letzten Blick auf die Lichter des Canal geworfen zu haben. Es ist wahrscheinlich seine letzte Biennale.

Verschwenderisch!

Er muss es vor sich hingemurmelt haben.

Danke für das Kompliment, sagt die Schönste. Vom Scheich befreit, lässt sie sich mühelos zu einem Bellini an der Bar überreden.

Hans Achberg, stellt er sich endlich vor.

Hans?

Die überirdische Heiterkeit ihrer Lippen ist schwer zu deuten.

Hänseln sie mich nur!

Sie reicht ihm ihre Geschäftskarte. Susan Palmer. Art Adviser. London.

Wo haben Sie Ihren Prinzen gelassen?

Mache ich auf Sie den Eindruck, als benötige ich einen Prinzen?

Ihr Deutsch klingt weich, vielleicht fränkisch.

Worüber sprechen, wenn einem der Atem stockt? Die Krise ist immer ein brauchbares Thema, unvermeidlich, unverfänglich, solange es nicht persönlich wird.

Ihre Sammler hätten sich wacker gehalten, ihre Sammler seien nicht auf schnelle Rendite aus, ihre Sammler hätten die Krise genutzt, um Sammlungslücken zu schließen.

Ihre Sammler! Als seien ihre Sammler etwas Besonderes. Ja, das sind sie wohl auch, besonders beneidenswert.

Achberg bindet ihr nicht auf die Nase, dass er sich zum Schließen von Sammlungslücken derzeit nicht in der Lage sieht.

Was er sammle?

Frauen.

Es ist die Wahrheit, doch sie ist ihm allzu schlicht geraten.

Nur die schönsten, sagt Achberg.

Das macht es nur noch schlimmer.

Die Schönste bläst die Backen auf.

Anspielungen auf ihre Schönheit beantworten schöne Frauen in der Regel ungnädig, weil sie glauben, man nehme ihre anderen Qualitäten nicht ernst. Achberg ist davon überzeugt, dass wahre Schönheit nur ein anderer Aggregatzustand von Geist sein kann; aber wie soll er ihr das jetzt erklären.

Er korrigiert sich: Ich sammle die am schönsten gemalten Frauen. Das muss er jetzt erläutern.

Die Bellinis sind noch nicht ausgetrunken, als sich eine Frau dazugesellt, hübsch, aber vom Glanz Susans degradiert. Susan stellt sie ihm vor, aber er vergisst den Namen der Freundin praktisch im selben Augenblick. Die nur Schöne bietet ihm einen Zigarillo an. Er lehnt ab. Die Schöne und die Schönste paffen und haben sich so viel zu erzählen, dass Achberg abgemeldet ist.

Er sei noch verabredet, entschuldigt er sich.

So schön ist Susan, dass es schmerzt, als er geht.

Auf dem Boot, das ihn zurückbringt zum Lido, mailt Achberg Klara. Dass man auf der Welt tatsächlich glücklich sein kann, begreifen wir aus der Intensität von Venedigs Schönheit heraus. Und die Freude darüber verleitet uns eben zum Küssen. Den Satz hat er in einem Zeitungsartikel von Orhan Pamuk gelesen, der die schöne Überschrift trägt: Das Küssen in Venedig. Auf so einen Satz käme er nicht selbst.

Sie antwortet nur Sekunden später.

You can not save somebody else by loving him, people save themselves.

Auch dieser Satz ist vermutlich nicht auf ihrem eigenen Mist gewachsen.

*

Wer einen Paternoster betritt, muss dessen Geschwindigkeit aufnehmen, das Dehnen der Stufe antizipieren. Die Lady in Black wagt den Einstieg nicht, bis Achberg sie an der Hand nimmt. Zuerst setzt sie den Schirm auf den Boden der Kabine, als vertraue sie dem mehr als seiner helfenden Hand.

Sanft knarrt der Paternoster. Für jeweils wenige Sekunden verschwindet das Paar zwischen den Stockwerken. Jedes Mal schlägt sie den Schleier zurück, bietet ihm ihre Lippen, jedes Mal kommt Achberg zu spät, sie senkt die schwarze Spitze, leise rumpelnd öffnet sich die nächste Etage. Leute gaffen. Der Schleier, die Lippen, der Schleier. Paternoster in caelis. Aufwärts, abwärts, aufwärts. Bis er aufwacht.

*

Makellose Haut, hohe Wangenknochen, schmaler Nasenrücken, weiter Augenabstand, langer Hals. Was ist wahre Schönheit? Das alles ist wahre Schönheit, und so viel mehr.

Davon versteht Achberg etwas. Schönheit ist sein Forschungsgebiet. Schönheit ist mit Sprache so wenig zu fassen wie Musik. Schönheit lässt sich nicht definieren, allenfalls vergleichen. Man sagt dann: schön wie. Schön wie Lauren Bacall, schön wie Grace Kelly, schön wie Sophia Loren, schön wie Nofretete, schön wie Uta von Naumburg, schön wie die Venus von Giorgione, schön wie Goyas nackte Maja, Klimts Salome. Kühle, Glanz, Linie. Raffaels Donna Velata: die Nase zu groß, der Mund zu klein, die Augen zu weit auseinander – und doch unvergleichlich schön.

Dass nicht nur Frauen schön sind, weiß er auch. Die Schönheit des Mannes, die Schönheit der Natur, die Schönheit der Mathematik, die Schönheit eines Automobils. Aber er hat sich auf die Schönheit der Frau spezialisiert. Wahre Schönheit widersteht selbst der Trauer, dem Zorn, dem Schmerz. Die Kunst ahmt die Schönheit des Lebens nur nach, interpretiert sie, idealisiert sie. Wahre Schönheit ist nie absolut. Außer bei Susan vielleicht.

*