Süße Verführung - Mona Vara - E-Book

Süße Verführung E-Book

Mona Vara

0,0

Beschreibung

Die Schottin Sophie McIntosh hat ihrem Vater schon so manches Mal graue Haare gekostet. Als sie gleich ein ganzes Bergwerk einstürzen lässt, platzt ihm der Kragen! Sophie wird strafweise für einige Monate nach Südengland zur strengen Familie ihrer Mutter verbannt. Doch auch dort steckt sie rasch Hals über Kopf in neuem Ärger: Auf der Suche nach Geistern im verfallenen "Marian Manor" kommt sie einer ganz realen Schmugglerbande auf die Schliche, die von Captain Jonathan Hendricks angeführt wird. Sophie entdeckt, dass nicht nur ihr Vetter Mitglied der Bande ist, sondern offenbar auch der undurchsichtige Wüstling Lord Edward, der zu Sophies Unmut immer wieder ihren Weg kreuzt. Als sie sich auf ihrer Suche nach den Schmugglern verkleidet während einer der Orgien, die von Captain Hendricks im "Marian Manor" abgehalten werden, einschleicht, wird Sophie enttarnt. Der ebenfalls anwesende Lord Edward erklärt die verdutzte Sophie kurzerhand zu seiner Verlobten, und ehe Sophie weiß, wie ihr geschieht, ist aus ihr Lady Harrington geworden. Es dauert nicht lange, und Sophie befindet sich in einem verwirrenden Strudel aus Gefahr, Liebe und süßer Verführung ... Ein romantischer, humorvoller und abenteuerlicher Regency-Roman. Neuauflage.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 535

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mona Vara

Süße Verführung

© 2009/2018 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Nadine Kapp Design

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-385-9

ISBN eBook: 978-3-86495-386-6

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Vorwort

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

VORWORT

Armer Edward Harrington.

Zu dem Zeitpunkt, als diese Geschichte begann, hatte er noch keine Ahnung, was auf ihn zukam.

Die Frage ist nur: Hätte er etwas anders gemacht? Ja, hätte er es überhaupt verhindern wollen? Wäre er an Sophie McIntoshs Hintern vorbeigeritten?

1. KAPITEL

„Aber das war doch wirklich nicht vorauszusehen“, versuchte Sophie ihren Vater zu beruhigen, der vor ihr hin und her rannte und ihr bei jeder Kehrtwendung einen vernichtenden Blick zuwarf. Sie war von einem der Hausmädchen ins Arbeitszimmer zitiert worden, und nun hockte sie schuldbewusst vor dem mit Aufstellungen, Notizen und Rechnungsbüchern überfüllten Schreibtisch, während ihr Vater bereits mindestens das zwanzigste Mal mit langen, wütenden Schritten den großen Raum durchmaß. Ihre Mutter saß mit der ihr eigenen Gelassenheit in einem Lehnstuhl und sah aufmerksam von einem zum anderen.

Robert McIntosh blieb so unvermittelt stehen, dass sich der Teppich zusammenschob. „Nicht vorauszusehen? Nicht vorauszusehen?! Seit wann hättest du denn überhaupt jemals etwas vorausgesehen?! Halt den Mund!“, fuhr er Sophie an, bevor sie etwas antworten konnte. „Wahrhaftig, noch nie habe ich so sehr den Wunsch verspürt, dir eine Ohrfeige zu geben! Und das will etwas heißen! Was heißt eine Ohrfeige“, tobte er unvermindert weiter, obwohl er in dieser Lautstärke schon seit gut einer halben Stunde mit seiner Tochter kommunizierte, „eine Tracht Prügel! Mit dem Stock! Und dann fünf Wochen lang in dein Zimmer gesperrt! Bei Wasser und Brot!“

Sophie verzog gekränkt den Mund. „Woher hätten wir denn wissen sollen, dass so etwas passiert?“

„Ruhe!“, donnerte ihr Vater sie an. „Mach noch einmal den Mund auf und du wirst deinen Vater von einer anderen Seite kennenlernen! Und wenn sich dieses missratene Bürschchen nicht durch einen Beinbruch vor Strafe gedrückt hätte, würde ich ihn ebenso verprügeln wie dich! Ins Kloster sollte ich dich stecken, wenn mich die armen, unschuldigen und reinen Frauen dort nicht erbarmen würden! Mir reicht es mit dir! Mir reicht es völlig! Es ist Schluss mit dem Unfug! Ein für alle Mal! Du bist schlimmer als alle meine anderen Kinder zusammen!“ Robert McIntosh warf in einer dramatischen Geste die Arme zum Himmel empor. „Dem Herrn sei Dank, dass ich nur eine von deiner Sorte habe! Nicht auszudenken, wenn deine Schwester so wäre wie du!“

„Das ist deine Schuld“, erklang die kühle Stimme seiner Frau, die sich nun zum ersten Mal einmischte. „Du hast sie wie einen Jungen erzogen. Und dabei – weil sie ja ein Mädchen ist – auch noch zusätzlich verzogen. Kein Wunder, dass sie jetzt noch wilder ist als die anderen zusammen.“

„Meine Schuld?! Du bist ihre Mutter! Du hättest dich darum kümmern sollen, dass deine Tochter eine angemessene Erziehung erhält!“

„Ach, und wer hat sie denn immer auf die Jagd mitgenommen? Und wer hat ihr Reiten und Jagen beigebracht, und wer hat sich über ihre Streiche amüsiert? Und wer …“

„Schluss jetzt! Darum geht es nicht“, unterbrach ihr Mann sie rüde. „Es geht um Sophies Zukunft. Und dir“, wandte er sich wieder an seine Tochter, „habe ich letztes Mal schon gesagt, dass weitere Unsitten Konsequenzen haben werden. Und jetzt ist das Maß voll! Deine Mutter und ich haben uns entschieden. Du wirst heiraten.“

„Heiraten?“ Sophie sprang auf. „Nur weil dieses blöde alte Bergwerk eingestürzt ist?“

„Nicht weil das Bergwerk eingestürzt ist“, brüllte ihr Vater sie an, „sondern weil du und Patrick fast darin begraben worden wärt!“ Er schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Gold suchen! In einem aufgelassenen Kohlenbergwerk!“

„Aber das hatten wir doch in unserer Chronik gelesen! Schon vor zweihundert Jahren hat dort jemand nach Gold gesucht!“

„Und schon damals keines gefunden!!“ Die Stimme ihres Vaters brachte die Fensterscheiben zum Klirren. „Aber damit hat es jetzt ein Ende! Soll sich dein zukünftiger Mann mit dir ärgern – ich bin dazu nicht mehr bereit!“

„Ach, und wen soll ich denn heiraten?“ Das düstere Glimmen in Sophies Augen sagte jedem, der sie kannte, dass hier noch mit größtem Widerstand zu rechnen war. Und Robert McIntosh kannte seine Tochter durch und durch. Er hatte einundzwanzig Jahre Zeit gehabt, jede ihrer Seiten kennenzulernen. Und er wusste ebenfalls nur zu gut, dass sie sein Temperament geerbt hatte.

„McGregor“, sagte er kurz.

„Patrick?“ Sophie riss die Augen auf. Patrick McGregor war ihr Jugendfreund. Er war ein Jahr jünger als sie, und die beiden hatten sich seit jeher hervorragend ergänzt, was Abenteuerlust, Draufgängertum und einen gewissen Hang, sich in Schwierigkeiten zu bringen, betraf. Sie mochte Patrick, liebte ihn sogar wie einen Bruder und saß seit dem Unfall treu neben seinem Bett, um ihm gut zuzureden und dem ungeduldigen Burschen die Zeit zu verkürzen, bis er wieder aufstehen und herumlaufen durfte. Aber ihn heiraten?

„Patrick? Den beinbrüchigen Tunichtgut?! Ha! Das fehlte noch!“ Robert McIntosh holte tief Luft und sagte in moderaterem Ton: „Nein, Phaelas, seinen Bruder.“

Sophie rang nicht weniger um Fassung als ihr Vater, wenn auch aus anderen Gründen. „Phaelas ?! Das ist ja der älteste der Sippe! Und Witwer! Der hat doch zwei fast erwachsene Kinder und ist zwanzig Jahre älter und ein absolut humorloser, langweiliger …“

„Ein ruhiger, verlässlicher Mann, der dir mit der entsprechenden Strenge begegnen wird!“

„Niemals!“ Das Glimmen in Sophies Augen hatte sich gefährlich verstärkt.

„Na schön.“ Vater McIntosh atmete tief durch. „Na schön. Wie du willst. Du hast die Wahl. Entweder du heiratest, oder du gehst für ein Jahr zur Cousine deiner Mutter nach England.“

„Nach England?!“

„Dort, bei den Sassenachs, kannst du Benehmen und Anstand lernen. Und wenn nicht, haben die wenigstens den Ärger und nicht wir!“

„Das ist nicht dein Ernst!“ Sophie wirbelte herum und fixierte ihre Mutter mit einem flammenden Blick. „Mutter! Sag doch was! Das kann doch nicht euer Ernst sein? Ihr wollt mich entweder fortschicken oder verheiraten? An einen Mann, mit dem ich kreuzunglücklich werde?“

Lady Annabelle McIntoshs Gesicht blieb kühl. „Du hast deinen Vater gehört, Sophie. Und komme nicht ausgerechnet mir damit, dass du England nicht magst. Du kränkst mich damit. Immerhin wurde ich dort geboren und bin dort aufgewachsen. Außerdem kann es nicht schaden, wenn einmal jemand von uns nach Großmutters Haus sieht. Wie du vielleicht vergessen hast, bist du schließlich die Erbin.“

„Aber …“

„Also?“, ließ sich ihr Vater wieder vernehmen. „Ich warte! Phaelas McGregor oder Sasse … äh England.“

„Ich will Bedenkzeit!“, fauchte Sophie. „Wie kannst du von mir erwarten, dass ich eine derart schwerwiegende Entscheidung auf der Stelle treffe!“

„Keine Bedenkzeit.“ Robert McIntosh hatte sich in der Mitte des Zimmers aufgebaut, die Daumen in seine Jackentaschen eingehängt, und blickte seine Tochter gefühlsroh an.

Sophie atmete tief ein. „Na schön! Dann gehe ich eben nach England! Und vielleicht heirate ich ja dort! Und komme nie wieder zurück! Das würde euch recht geschehen!“ Damit war sie aus der Tür, die laut hinter ihr zuschlug.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist“, sagte Lady McIntosh, nachdem die stürmischen Schritte ihrer Tochter verklungen waren. „Was hättest du gemacht, wenn sie sich für McGregor entschieden hätte?“

Ihr Mann lächelte sie erschöpft an, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Ich weiß nicht. Aber es wäre unrecht gewesen, den zweihundertjährigen Frieden zwischen dem McGregor Clan und unserem durch eine solche Heirat zu gefährden.“

Außerdem – auch wenn er es seiner Frau gegenüber nicht aussprach – war ihm noch kein Mann begegnet, der gut genug für seinen Liebling war. Schon gar nicht der ebenso rechtschaffene wie öde Phaelas McGregor. Es war keine völlig leere Drohung gewesen. Phaelas hatte tatsächlich um Sophies Hand angehalten und schien es als sicher anzunehmen, dass sie ihm auch gewährt wurde. Aber allein schon der Gedanke, Sophie könnte an einen solchen Langweiler gefesselt sein, der ihren lebhaften – wenn auch manchmal schwierigen – Charakter nicht verstand, drehte ihrem Vater das Herz im Leib um.

Er sah so niedergeschlagen aus, dass seine Gattin aufstand, beide Hände um sein Gesicht legte, und sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm einen tröstenden Kuss zu geben.

„Es schadet ihr wirklich nichts, mein Liebster. Und es wird ihr eine sehr gute Lehre sein. Und …“, sie küsste ihn abermals, „… es sind ja nur einige Monate.“

„Ein Jahr“, erwiderte Robert McIntosh gequält. Wie leer die alte Burg ohne seine Tochter werden würde!

Lady Annabelle lachte. „Ich bin sicher, sie wird noch mit dir verhandeln. Und ich würde jede Wette eingehen, dass sich das Jahr auf ein halbes reduziert.“

2. KAPITEL

Zur selben Zeit, in der Sophie McIntosh in Begleitung ihres jüngeren Bruders Malcolm schlafend in der bequemen Reisekutsche ihrer Eltern saß, schlenderte Lady Melinda Mayfield im Schutz ihrer Maskierung durch die hell beleuchteten Räumlichkeiten eines Hauses, das gut eine halbe Fahrtstunde außerhalb von Eastbourne lag.

Sie sah sich anerkennend, amüsiert und zugleich ein wenig erregt um. Eines musste man Jonathan lassen: Er verstand es, Feste zu feiern. Nicht, dass Melinda sonst etwas an Captain Jonathan Hendricks auszusetzen gehabt hätte: Er war abenteuerlustig, gut aussehend und ein hervorragender Liebhaber.

Ihr Bruder Edward Harrington, der von diesem Verhältnis wusste, und es bei jedem Treffen deutlich missbilligte, wäre zweifellos über ihre Anwesenheit entsetzt gewesen. Aber wie konnte ein Mann, der nicht nur genügend Vermögen besaß, um davon unabhängig zu leben, der nicht verheiratet war, sich ungezwungen überall bewegen konnte, schon begreifen, was sie bei Jonathan suchte, während sich ihr Mann, Admiral Mayfield, mit seiner Flotte auf der anderen Seite des Erdballs befand! Sollte sie allein daheimsitzen? Klatschsüchtige Frauen zum Tee einladen? Auf langweilige Soirees gehen? Nein, da waren die Optionen, die ihr ein Verhältnis mit Jonathan Hendricks boten, schon wesentlich attraktiver!

Melinda konzentrierte sich wieder auf die Szenerie vor ihr und bewunderte nicht zum ersten Mal Jonathans ausgeprägten Sinn für Inszenierungen. Die Räume waren dem Thema des Abends entsprechend ausgestattet und nicht nur Melinda, sondern auch die anderen waren à la antiquegekleidet. Die Männer in der Toga, die Frauen in kleidsamen Stoffen, die nur auf einer Seite über der Schulter mit einer Spange zusammengehalten wurden, während die andere Schulter nackt war. Dazu trugen sie so wie Melinda Masken, um nicht erkannt zu werden. Sie selbst hatte heute eine einfache Stoffmaske gewählt, die sich angenehm an das Gesicht schmiegte, die Augen freiließ und Nase und Mundpartie mit einem glitzernden Schleier verbarg.

Es war wieder einmal überfüllt. Aus der ganzen Umgebung pflegten die Leute hierher zu reisen, um an Jonathans Festen teilzunehmen. Es waren – neben jenen französischen Adeligen, die vor der Revolution geflüchtet waren und sich auch nach dem Krieg häuslich niedergelassen hatten – sogar viele neue Leute vom Kontinent da. Jetzt, wo Kaiser Napoleon auf seiner Insel festsaß, war das Reisen wieder leichter möglich, und Jonathan hatte auch in anderen Ländern viele Freunde. Daher traf man hier ein buntes Gemisch aus allen Nationen und Schichten.

Nach dem Ende des Krieges war ihr Mann, Admiral William Mayfield, nur zurückgekehrt, um fast sofort wieder als Flottenadmiral nach Ostindien aufzubrechen, um dort die East India Company gegen Piraten zu unterstützen und die großen Handelskonvois zu begleiten.

Melinda war traurig, wütend und gekränkt gewesen. Aber dann hatte ihr Edward Jonathan Hendricks vorgestellt: Marinekapitän und ein guter Freund ihres jüngeren Bruders James, der während des Krieges unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen war. Jonathan, dessen Schiff nach dem Krieg verkauft, und er selbst auf halben Sold gesetzt worden war, hatte begonnen, Melinda den Hof zu machen, und sie war wie verzaubert von Jonathans erotischem Flair, seinem Charme und seinem guten Aussehen gewesen. Und sie war es auch noch heute, nach fast einem Jahr.

Kaum jemand wusste, welche Rolle er während des Krieges gegen das kaiserliche Frankreich gespielt hatte, und woher er sein offenbar nicht unbeträchtliches Vermögen bezog, mit dem er diese Art von Festlichkeiten finanzierte. Als sie ihren Bruder ganz zu Beginn ihrer Beziehung zu Jonathan einmal nach dessen Einkünften gefragt hatte, war die Antwort „Piraterie“ gewesen. Edward hatte dabei gegrinst, aber Melinda war sich damals nicht sicher gewesen, ob es wirklich nur ein Scherz war. Heute kannte sie die Antwort. Sie lachte leise.

Jonathan Hendricks war kein Mann zum Heiraten, aber er war ein Liebhaber für aufregende Stunden, in denen sie vergaß, dass sie aus der besten Londoner Gesellschaft stammte, dass ihr Mann sie für viele Monate, oft Jahre, allein daheim warten ließ, und sogar, dass sie eine anständige Frau war, die bis vor Kurzem nicht einmal davon geträumt hatte, ihren Gatten zu betrügen.

Mit dem Auftauchen von Jonathan war alles anders geworden. Sie mochte Männer wie ihn. Ihr Bruder Edward war früher so gewesen. Aber das war vor seiner geheimnisvollen Reise nach Frankreich, als er aufgebrochen war, um James zu finden, der als verschollen galt. Edward war verändert von dort zurückgekommen, sie hatte jedoch niemals erfahren können, was wirklich geschehen war. Nur, dass auch Jonathan damit zu tun hatte.

Melinda verhielt ihren Schritt, als sie Jonathan auf der anderen Seite des Raumes erblickte. Dort stand er in der Maske eines Fauns. Er sah zu ihr herüber, und sie verharrte, um ihn zu betrachten. Sie genoss jeden Millimeter, den ihr Blick hinaufwanderte – von den muskulösen, in hautfarbenen Hosen steckenden Beinen aufwärts. Der enganliegende Stoff gab keinen Grund für Rätselraten, was Jonathans männliche Ausstattung betraf, und vermittelte bis zum Bauch hinauf den Eindruck von Nacktheit. Seine Brust war bis auf ein Schaffell, das er lässig über seine rechte Schulter geworfen hatte, unbekleidet. Bei einem anderen Mann hätte dies lächerlich gewirkt, aber Jonathan sah in jeder Art von Kleidung umwerfend aus. Melinda ließ sich Zeit ihn anzusehen, und er vergönnte sie ihr, rührte sich nicht von der Stelle, sondern stellte sich noch so, dass sie ihn gut sehen konnte. Vor allem die deutliche Ausbuchtung, die bei ihm keines Hilfsmittels bedurfte, um die Fantasie einer Frau anzuregen.

Zwei Mädchen kamen auf Jonathan zu, beide unter durchsichtigen Schleiergewändern nackt. Es waren als Grazien verkleidete Prostituierte, die Jonathan – um die Stimmung etwas zu lockern und den männlichen Gästen entsprechend willige Damen zu bieten – eingeladen hatte. Melinda kannte beide. Sie nahmen meistens an Jonathans Festen teil und lebten wohl nicht schlecht davon.

Etwas wie leise Eifersucht keimte in Melinda, als die beiden Frauen sich an Jonathan schmiegten, aber dann bemerkte sie, dass er immer noch zu ihr herübersah, und war beruhigt. Mochten sie ihn nur für sie bereit machen und seine Lust bis zur Weißglut schüren. Wenn ihre Zeit gekommen war, mussten sie ohnehin den Platz für sie räumen, und in der Zwischenzeit war es erregend, ihnen zuzusehen. Sie wurde gewahr, dass sie mit Jonathan und den beiden Frauen allein im Raum war. Sein Diener hatte die Gäste zu einem Spiel in ein anderes Zimmer gebeten und hinter ihnen die Türen geschlossen. Melindas Atem ging schneller. Was hatte Jonathan vor? Es wäre nicht das erste Mal, dass er sehr fantasievolle Ideen hatte. Mit ihm war es niemals wie das Zusammensein mit ihrem Mann, der zu ihr ins Zimmer kam, sie küsste, streichelte, ein wenig erregte, sich selbst ebenfalls, und dann einige Minuten später schwer atmend in ihr lag, bis sich sein Samen in sie ergoss, und er zufrieden neben ihr einschlief.

Kein Wunder, dass sie bisher noch keine Kinder hatten. Und ebenso wenig verwunderlich, dass sie Jonathans Verführung nicht lange standgehalten hatte. Sie hatte sich schon oft gefragt, ob die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, über seine erotischen Künste und das Versprechen auf ein Abenteuer hinausging. Ob sie etwa begann, sich in ihn zu verlieben. Im Moment war sie sogar davon überzeugt.

Sie sah, wie sich die größere der beiden Grazien an Jonathan schmiegte. Eine bezaubernd schöne Frau mit üppigen Formen. Sie war eine Zeit lang sogar in festen Händen gewesen, bis ihr Liebhaber eine ehrbare Heirat eingegangen war und sie großzügig abgefunden hatte. Sie hatte die Abfindung klug angelegt, und nun besserte sie ihr ohnehin schon gutes Einkommen mit Jonathans „Geschenken“ etwas auf.

Jonathan sah immer noch herüber. Es schien ihm zu gefallen, dass sie dort, im Halbdunkel, verharrte und ihm zusah. Er tat nichts, um die beiden Frauen aufzufordern, stand nur einfach da und ließ sich streicheln, verführen, erregen. Jetzt zog die kleinere der beiden Frauen den Fellumhang weg. Melinda versank in der Betrachtung von Jonathans Schultern, der kräftigen Brust, den Muskeln, die unter der Haut spielten. Sie wusste, wie weich seine Haut war, wie kräftig sich sein Körper anfühlte, wenn er sie an sich presste, auf ihr lag. Wie hart sein Glied war, wenn er in sie stieß.

Melinda schloss fest die Finger um ihren Fächer, als sie sah, wie die blonde Frau sich vor Jonathan niederkniete. Ihr Gesicht war genau vor seiner Männlichkeit, ihre Hände glitten langsam und sinnlich von seinen Waden aufwärts über die Knie, die Schenkel, bis sie an seinen Hüften lagen.

Melinda schrie vor Überraschung leise auf, als der Kopf der Frau plötzlich vorzuckte, um verspielt mit den Lippen nach Jonathans Geschlecht zu fassen. Wie konnte er nur? Hier! Vor ihr! Sie atmete schneller.

Jonathan spreizte willig die Beine, bis er breitbeinig vor der Frau stand, die nun durch den dünnen Stoff hindurch sein Glied liebkoste, daran knabberte. Die Schwellung wurde mit jedem Lecken, jeder Zärtlichkeit deutlicher. Als sie jedoch den Stoff entfernen wollte, schüttelte er den Kopf.

Die andere war nicht untätig. Sie hatte sich hinter Jonathan gestellt, ihren Körper an ihn geschmiegt, während ihre Arme ihn umfassten, sie seine nackte Brust streichelte, mit den Brustwarzen spielte. Melinda stand nahe genug, um zu sehen, wie sie unter den emsigen Fingern hart wurden und sich aufstellten. Sie wusste, wie sie sich anfühlten, schließlich hatte sie schon selbst oft darüber gestreichelt, sie geküsst, zwischen ihren Fingern gerieben.

Melinda gab ihren Beobachtungsposten auf und näherte sich der Gruppe. Die Frauen wichen nicht ganz zurück, machten ihr jedoch Platz. Melinda beachtete sie nicht, während sie heranschritt, bis sie knapp vor Jonathan stand. Er gehörte ihr. Von oben bis unten. Das wusste er, deshalb hatten die anderen ihn nur streicheln, ihn für sie bereit machen dürfen. Sie strich über seine Brust wie ein Künstler über eine Statue, ertastete die Muskeln, ließ ihre Fingerspitzen durch das weiche Haar auf seiner Brust gleiten. Dann beugte sie den Kopf, hob ihren Schleier an und fasste sachte mit den Zähnen nach seinen Brustwarzen.

Jonathans leises Stöhnen war Musik in ihren Ohren. Aber die beiden Frauen störten. Es war reizvoll gewesen, ihnen zuzusehen, aber nun wollte Melinda mit ihrem Geliebten allein sein.

Sie musste den Kopf ein wenig in den Nacken legen, wenn sie ihn ansehen wollte. Auch das hatte ihr an Jonathan gefallen: dass er größer war als sie. Ihr Mann war eine Spur kleiner. Das hatte sie nicht gestört, störte sie auch jetzt noch nicht, aber es war schön, den Kopf an die Brust eines Mannes betten zu können, das Gesicht an seinem Hals und seiner Schulter zu verbergen. Sie lächelte, öffnete dabei bewusst ihre Lippen, befeuchtete sie mit der Zungenspitze. „Schick sie weg.“

Jonathan sah auf die beiden Frauen. Dann schüttelte er leicht den Kopf. „Nein, sie gehören beide dir. Den ganzen langen Abend und die Nacht, wenn du willst.“

Melina sah ihn überrascht an. „Mir?“

Jonathan musterte sie eingehend. „Hast du mich nicht vor einigen Tagen gefragt, wie sich die Brüste anderer Frauen anfühlen? Wie ihre Erregung ist? Wie …“, er beugte sich vor und flüsterte an ihrem Ohr, „… feucht sie werden? Wie ihre Scham aussieht? Wie sie riechen, wenn sie ihren Höhepunkt haben?“

Melinda atmete schneller, ein leiser Schwindel überkam sie. Das hatte sie ihn tatsächlich gefragt. Sie war etwas betrunken gewesen an diesem Tag, als sie in seinen Armen lag, sonst hätte sie diese Fragen nicht gestellt. Aber sie hatte plötzlich wissen wollen, wie die anderen Frauen in seinen Armen waren. Es war eine Frage, die sie sich allerdings schon früher gestellt hatte. In der Gesellschaftsklasse, in der sie aufgewachsen war, war man niemals nackt. Viele badeten sogar im Unterhemd, wuschen sich darunter, selbst wenn sie alleine waren. Es gab auch andere – nicht nur käufliche Frauen wie diese beiden hier – sondern solche, die sich zu einem freieren Leben entschlossen hatten. Darunter auch Witwen, die genügend geerbt hatten, um trotz ihrer Eskapaden nicht von der Gesellschaft gemieden zu werden. Für eine Frau wie sie war es jedoch unmöglich, solche Wünsche zu haben, geschweige denn, sie auszusprechen. Vor Jonathan hatte sie es getan. Und er hatte diese beiden Frauen geladen und ihr für den heutigen Abend geschenkt.

„Nun“, Jonathans Lippen spielten an ihrem Ohr, und der Hauch seines Atems ließ Melinda erzittern, „was gedenkst du mit ihnen zu tun?“

Als Melinda nicht antwortete, sondern nur auf die beiden Frauen starrte, die begonnen hatten, sich gegenseitig zu streicheln, lachte er leise. „Meggie, Süße. Sei doch etwas hilfreich.“ Die größere, üppige der beiden wandte sich Melinda zu. Diese wollte zurückzucken. Sie war zwar erregt, aber es schien ihr nicht angemessen, hier mitzutun.

„Du darfst“, flüsterte Jonathan. „Nicht wahr, Meggie?“

Die Prostituierte lächelte Melinda an. „Ich mag es, Madam. Oft lieber als von Männern, die glauben, mit unsereins brutal sein zu dürfen.“ Sie streifte sich den hauchdünnen Schleier ab und stand nackt vor Melinda, die sich an Jonathan lehnte und die Frau fasziniert ansah. Diese griff nach Melindas Hand und führte sie an ihre Brust. Melinda wehrte sich, aber dann, als sie die Weichheit der anderen spürte, gab sie nach. Sie fühlte sich nicht viel anders an als ihre eigenen Brüste, die ungefähr gleich groß waren. Ebenso weich und nachgiebig, federnd unter dem Druck der Finger. Meggies Brustspitzen waren dunkler als ihre, die Höfe um die Warzen größer, selbst als sie sich durch die Berührung zusammenzogen. Sonst war kaum ein Unterschied. Melinda wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber sie fühlte sich enttäuscht.

„Zeig ihr mehr, Meggie.“

„Aber gerne. So viel sie sehen will.“ Meggie lächelte. Sie hatte schöne, volle Lippen und ebenmäßig gewachsene, gesunde Zähne. Melinda sah ihr nach, wie sie die andere Frau heranzog, ihr ebenfalls das hauchdünne Gewand abstreifte und sie zu streicheln begann. Hinter den beiden Frauen stand ein Ruhebett, und sie drückte die andere darauf. Zuerst fuhr sie über ihre Brüste, ihren Bauch, dann beugte sie den Kopf und ließ ihre Lippen hinunterwandern. Jonathan kam mit Melinda im Arm näher. Er ergriff den Fuß der Liegenden und zog ihn sachte zur Seite, gab deren Weiblichkeit ihren Blicken preis.

Meggies Hand glitt vom Bauch tiefer, streichelte über das weiche Vlies, und dann fuhr sie mit einem Finger tiefer in die Spalte, öffnete sie für Melindas Blicke. Melinda stand eng an Jonathan geschmiegt, halb verlegen und verschämt, halb neugierig. Sie blickte auf die Scham der Frau, die sich darbot wie eine vom Tau feuchte Blüte, deren Blätter entfaltet wurden. Die dicken äußeren Schamlippen waren nur zart behaart, die inneren Lippen waren dunkler, mündeten oben in der von Haut geschützten Klitoris. Melindas Wangen brannten, als Meggie einen Finger tiefer in die Feuchte hineingleiten ließ. Dann, mit einem Blick auf Melinda, einen zweiten Finger. Es machte ein schmatzendes Geräusch, als die Finger sich einige Male hinein und hinaus bewegten. Die Frau wand sich in langsamen, lasziven Bewegungen, ihre Augen waren geschlossen. Sie hatte ihre Hände über ihre Brüste gelegt, streichelte sich, zwirbelte die Spitzen. Melinda starrte im Schutz ihrer Maske auf die Scham der Frau. Ihr Atem ging schnell und heftig.

Meggie rutschte von der Liege, sodass sie zwischen den geöffneten Beinen ihrer Freundin zu knien kam. Melinda sah, wie sie ihren Kopf langsam senkte, dabei das Gesicht der anderen nicht aus den Augen ließ, und dann schnellte ihre rosige Zunge hervor und traf die empfindlichste Stelle. Die Frau bäumte sich auf, stöhnte.

Melinda bewegte sich unruhig in Jonathans Armen. Es stieg heiß in ihr auf. Sie fühlte die Erregung wachsen, spürte ihr eigenes Zittern, ihre eigene Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen und das Pochen. Jonathan schien ähnlich zu fühlen, denn seine Hand glitt an ihrer Hüfte abwärts und streichelte sie.

Meggies Lippen schlossen sich um die Klitoris, sie saugte, dann glitt ihre Zunge tiefer, schob die geröteten inneren Lippen fort, bewegte sich im Kreis. Melinda war erstaunt, wie beweglich Meggies Zunge war. Sie selbst hätte es nicht fertiggebracht, sie so weit herauszustrecken und dann noch so schnell damit zuzustoßen, sie so rasch im Kreis zu bewegen. Jonathan war dazu aber bestens in der Lage. Mindestens ebenso gut wie diese Frau. Vielleicht noch besser. Melinda erzitterte. Es genügte ihr nicht mehr zuzusehen, sie wollte selbst dort liegen.

Jonathans Lippen streichelten ihre Wange, ihre Schläfe. „Berühre sie.“

„Nein.“ Melinda wandte das Gesicht ab und verbarg es an Jonathans Brust. Sie spürte die Vibration seines Brustkorbs, als er leise lachte. Bei jeder seiner Bewegungen rieb sich sein erigiertes Glied an ihrem Körper.

„Sollen sie dich berühren? Dich streicheln? Lecken?“

Melinda legte den Kopf in den Nacken und sah Jonathan an. „Nein. Du sollst es tun.“

Jonathans eben noch so amüsiertes Lächeln veränderte sich. Es wurde sinnlich, und ein Hauch von Gefahr lag darin. „Dann lege dich auf das Bett.“

„Sie sollen zuerst gehen.“

„Sie werden bleiben und dich halten.“

„Nein!“ Es hatte ihr gefallen, sie erhitzt, aber nun wollte sie allein sein. Sie hatte ihre Neugier ein wenig befriedigt, wollte jedoch keine Zeuginnen haben, wenn sie sich ihrer Leidenschaft mit Jonathan hingab und sich völlig gehen und von ihm in Besitz nehmen ließ.

Jonathans Züge wurden hart. Er mochte es, bei ihren lustvollen Spielen Macht über sie auszuüben, aber dieses Mal gab Melinda nicht nach. Als sie sich von ihm losmachte und einen Schritt zurücktrat, nickte er den beiden zu.

„Vergnügt euch in einem der Gästezimmer, meine Süßen. Wir wollen jetzt allein sein.“ Er sah den beiden mit einem Ausdruck des Bedauerns nach, aber als er sich Melinda wieder zuwandte, wusste sie, dass die beiden im nächsten Moment vergessen sein würden. Und dann war sie auch schon in seinen Armen. Er hob sie hoch, trug sie zu dem Sofa und legte sie darauf.

Jonathan schob ihr einfach den Rock hoch, presste einen heißen Kuss auf ihren Bauch und spreizte ihre Knie. Als seine Lippen hart und unerbittlich auf ihre feuchte Nacktheit trafen, bäumte Melinda sich auf. Er behandelte sie nicht so zart wie Meggie ihre Freundin. Seine Lippen waren fordernd, die Zunge schob sich tief in sie, bewegte sich heftig, seine Hände hielten ihre Schenkel auseinander, als Melinda zu flüchten versuchte, um sich vor seinen leidenschaftlichen Liebkosungen in Sicherheit zu bringen. Es war lustvoll, aber in seinem Ungestüm schon schmerzhaft. Sie stöhnte, begann zu wimmern, als er nicht nachließ. Ihre inneren Wände bewegten sich, ihr Unterleib verkrampfte sich, ihr Leib bäumte sich auf, aber Jonathan ließ nicht von ihr ab. Sie schrie auf, als der Höhepunkt sie erfasste, sie zu zerreißen drohte. Und sie schrie abermals auf, als Jonathan ihr danach keine Ruhe gönnte, sondern weitermachte. Der Raum um sie herum verschwamm in den Farben eines Regenbogens, als sie sich nicht lange darauf noch einmal wand. Und mitten in den zweiten Orgasmus hinein warf Jonathan sich auf sie und vergrub sich aufstöhnend zwischen ihren Schenkeln.

3. KAPITEL

Als die Reisekutsche ihrer Eltern vor dem Haus von Lady Elisabeth hielt, hatte Sophie schon längst ihre Fortbewegungsart gewechselt und war mit Rosalind – ihrer lebhaften dunkelbraunen Stute – ein Stück vorangeritten. Zuerst erschienen ihr die Städte, durch die sie kamen, erschreckend lebhaft und überfüllt, aber als sie Eastbourne endlich erreichten, war sie wie Rosalind, die bisher ebenso wenig die Schottischen Highlands verlassen hatte wie ihre Herrin, an die vielen Kutschen, die Menschen, Pferde, Hunde und Karren gewöhnt.

Rosalind war das einzige Zugeständnis ihres Vaters an Sophies Verbannung gewesen. Robert McIntosh, der selbst Pferde über alles liebte, hatte dafür gesorgt, dass Sophie nicht aller Vergnügungen beraubt wurde. Seine Tochter sollte hier ja nicht verkümmern, sondern nur die strenge englische Luft schnuppern und erkennen, wie gut es ihr daheim ging. Er hatte ursprünglich ein Jahr angesetzt, sich dann aber – falls sie sich gut aufführte und nicht die geringste Klage bis zu ihm drang! – relativ nachgiebig auf sechs Monate hinunterhandeln lassen. „Denn um eine Dame aus ihr zu machen“, hatte er seufzend gemeint, „würden selbst sechs Jahre nicht reichen.“

Ihre kleine Schwester hatte sie beneidet, die Brüder hatten sie ausgelacht, und ihre Mutter war gekränkt gewesen, weil Sophie die Vorstellung entsetzte, monatelang in jener Stadt zu verweilen, in der Annabelle Stourton bis zu dem Tag, an dem sie mit Robert McIntosh ihre gute Erziehung und Sittsamkeit vergaß, gelebt hatte. Ihre Mutter sah Eastbourne mit den Augen ihrer Kindheit, ihrer Jugend und verklärte in ihrer Erinnerung jenen Ort, an dem sie ihren späteren Gatten kennengelernt hatte. Sophie dagegen hatte Schottland niemals verlassen und auch nie das geringste Bedürfnis dazu verspürt.

Außerdem hatten sie die Bemerkungen ihrer Mutter über Tante Elisabeth misstrauisch gemacht. Sie hatte ihr eingeschärft, nur ja zurückhaltend zu sein, sich gut zu benehmen und nichts zu tun, was die Tante gegen sie aufbringen konnte. Denn Lady Elisabeth sei, so hatte Annabelle betont, von strengsten moralischen Vorstellungen durchdrungen und hielte sehr viel auf angemessenes Benehmen. Ihr Bruder Malcolm, der Sophie begleiten sollte, hatte bei diesen Worten herausgeprustet, war aber dafür von seiner Mutter gehörig getadelt worden.

Sophie dagegen war jedes Lachen schon längst vergangen. Sie hatte keine Ahnung, was eine moralisch hochstehende Dame als angemessen empfand, aber als sie fünfzehn Minuten nach ihrer Ankunft in der Silverdale Road von Lady Elisabeth in deren Salon zitiert wurde, begann sie zu ahnen, dass ihr Vater die Strafe mit Bedacht ausgewählt hatte.

Sie hatte schon an den Blicken der Leute, die ihnen begegneten, und noch viel mehr an den weit aufgerissenen Augen des Stallburschen, der ihr Rosalind abnahm, gesehen, dass man hier die Schicklichkeit der Bequemlichkeit vorzog. Zum Glück hatte das heimlich kichernde Dienstmädchen sie gleich auf ihr Zimmer gebracht und Sophie so Gelegenheit gegeben, sich schnell umzukleiden, und ihrer Tante statt mit ihrem geliebten weiten Reitrock in einem Kleid entgegenzutreten.

Sie hatte drei Kleider mit – mehr besaß sie nicht – und dann eben diesen Rock, den sie oftmals in Schottland trug, wenn sie ausritt. Fast alle in ihrem Dorf und der Umgebung trugen diese Art von Röcken. Sie ließen sich bequem hochbinden und störten weder bei der Arbeit im Stall, noch auf dem Feld. Er war so weit, dass sie den Saum von hinten zwischen den Beinen durchziehen, in den Bund stecken, und dann im Herrensitz auf dem Pferd sitzen konnte. Die Beine waren dabei immer noch züchtig bis knapp unter die Knie verdeckt und alles, was sich darunter befand, wurde durch die Stiefel verborgen. Hier, auf englischem Boden, wohlgemerkt. Denn daheim ritt sie gelegentlich ohne Stiefel, mit bloßen Füßen und überhaupt sehr oft in Hosen aus.

Und dann stand sie Lady Elisabeth das erste Mal gegenüber. Sie sah eine schlanke, fast dünne Frau in einem sehr eleganten Kleid. Das ergraute Haar war in so geordnete Locken gelegt, dass man den Eindruck hatte, keinem Härchen sei auch nur erlaubt, eine andere Richtung einzunehmen als die ordnende Hand ihm zugedacht hatte. Die Augen blickten kühl, die Nase war gerade und ein wenig spitz zulaufend, der Mund wäre hübsch gewesen, hätten die Lippen sich nicht streng zusammengepresst.

Sophie fröstelte, kaum dass sie das Zimmer betreten hatte. Aber dann fasste sie sich ein Herz und wollte mit einem Lächeln auf die Frau zugehen. Ihre Tante jedoch blieb stocksteif auf der kleinen Bank sitzen, sah Sophie kalt entgegen und hob dann auch noch eine auf einem Stiel befestigte Brille vor die Augen, um Sophie zu betrachten. Sophie blieb unsicher stehen.

„So. Du bist also Annabelles Tochter.“

Ihre Mutter hatte ihr eingeschärft, dass von wohlerzogenen jungen Damen erwartet wurde, vor älteren Frauen zu knicksen. Sie sank ein wenig ein, bevor sie antwortete. „Ja, Madam.“ Sie merkte selbst, wie dünn ihre Stimme klang, und musste zugeben, dass sie eingeschüchtert war. Sie konnte mit dem Zorn ihres Vaters, mit den Sticheleien ihrer Brüder umgehen, aber diese Art von Behandlung war ihr fremd. Ihre Familie war weniger zurückhaltend. Man umarmte sich, küsste einander auf die Wange und begrüßte sogar Fremde noch wesentlich herzlicher, als diese Frau die Tochter einer Cousine willkommen hieß.

Wieder ging der kalte Blick über sie. „Was immer man über deine Mutter sagen konnte, sie wusste sich zu kleiden. Unfassbar, dass sie mir ihre Tochter derart schlecht angezogen ins Haus schickt.“

Sophie wurde rot. Sie hatte, als sie durch die Städte gekommen waren, und sie die anderen Leute beobachtet hatte, schon geahnt, dass ihre Kleidung nicht ganz dem Standard der wohlhabenden Engländerinnen entsprach, aber als sonderlich schlecht angezogen hatte sie sich nicht empfunden. Das war ihr bestes Kleid! Und es war erst zwei oder drei Jahre alt!

„Ich hoffe, deine Eltern haben dir genügend Geld mitgegeben, um deine Garderobe wenigstens um einige grundlegende Stücke aufzubessern. So kannst du hier jedenfalls nicht aus dem Haus gehen. Die halbe Stadt würde sich über dich mokieren.“

Sophie machte den Mund auf, aber in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ihr um zwei Jahre jüngerer Bruder Malcolm stand darin. Sophie sah mit Genugtuung, wie sein bereites Grinsen beim Anblick von Tante Elisabeth schwand, und er von dem kalten durchbohrenden Blick, den diese Stielbrille noch intensivierte, ebenfalls eingeschüchtert wurde. Dann ging es ihr also nicht allein so. Das war beruhigend.

„Und wer ist das?“ Lady Elisabeths Stimme war wie von Frost durchzogen.

„Das ist mein Bruder, Madam“, erklärte Sophie hastig, als Malcolm Lady Elisabeth lediglich stumm anstarrte und nicht mehr als eine hölzerne Verbeugung zustande brachte.

„Dein Bruder ist ebenfalls gekommen?“ Die hauchdünnen Augenbrauen zogen sich zusammen. „Davon stand nichts in dem Schreiben deines Vaters, mit dem er mir – sehr kurzfristig, wie ich sagen muss – deine Ankunft mitteilte. Ich bin auch nicht darauf vorbereitet, eurer halben Familie hier Kost und Quartier zu gewähren.“

„Das müssen Sie auch nicht“, sagte Sophie, die es nicht über sich brachte, ihre Tante zu duzen. „Vater hat Anweisung gegeben, dass Geld für mich auf der Bank in Eastbourne hinterlegt wird. Das reicht gewiss, um Ihre Auslagen für mich und Malcolm abzudecken. Und“, fügte sie mit einem Anflug von Trotz hinzu, „wir essen ohnehin nicht sehr viel.“

Die Stielbrille wandte sich ihr bedrohlich zu. „Lass dir gleich von Anfang an gesagt sein, Sophie, dass dies ein Ton ist, den du vielleicht deinesgleichen gegenüber anschlagen kannst, aber nicht bei mir.“ Der scharfe Blick glitt unheilvoll über sie. „Schweigsamkeit, Sittsamkeit, Zurückhaltung. Das sind die Tugenden einer jungen Dame. Und die wirst du bei mir lernen. Es ist unüblich, dass ein Mädchen in deinem Alter noch nicht in die Gesellschaft eingeführt worden ist, und man merkt dir leider das höchst ungeschliffene Benehmen an, aber wir werden das Beste daraus machen müssen.“

Da Lady Elisabeth offenbar eine Antwort erwartete, nickte Sophie. „Ja, Mylady.“

Ihr Bruder schnaufte bei der Anrede amüsiert, und Sophie warf ihm einen bissigen Blick zu, der zum Glück von der Tante unbeachtet blieb.

„Ich bin sehr standesbewusst und strikt in den Anschauungen, was das Benehmen einer jungen Dame betrifft“, fuhr sie in dozierendem Ton fort. „Am besten wird es sein, du nimmst dir ein Beispiel an deiner Cousine Augusta. Sie wird dir ein gutes Vorbild abgeben. Du wirst bei mir nicht viele Leute treffen, aber jene, die zu meinem Freundeskreis gehören, zählen zur gehobenen Eastbourner Gesellschaft. Ich werde nicht dulden, von dir vor ihnen blamiert zu werden.“ Eine weitere Musterung, die Sophie einerseits wünschen ließ, sich in Luft aufzulösen, und andererseits den heißen Drang in ihr weckte, die Frau vor ihr gründlich zu schockieren und dann nach Hause zu reisen. „Wie ich dem Brief deines Vaters entnehme, hast du dir daheim etwas zu Schulden kommen lassen?“

„Ja, Madam.“ Sophies Ton klang trotz der Ermahnung aufsässig.

Der kalte Blick fraß sich förmlich in Sophie hinein. „Er hat nicht geschrieben, worum genau es ging, aber es scheint ein junger Mann dabei im Spiel gewesen zu sein.“

„Ja, Madam.“ Sophie fragte sich, was ihr Vater geschrieben hatte, aber offenbar waren es nur Andeutungen gewesen. Der gute Patrick. Den hätte diese Hexe dort drüben nicht eingeschüchtert. Sophie wünschte ihn heiß an ihre Seite. Er hätte zu ihr gehalten, hätte ihr Mut zugesprochen und hätte nicht wie Malcolm nur dagestanden und stumm geglotzt.

Tante Elisabeth nickte ihr hoheitsvoll zu. „Du kannst dich jetzt zurückziehen. Über alles Weitere sprechen wir später.“ Sie senkte ihre komische Stielbrille und wandte sich ab, zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.

Sophie stand noch einen Atemzug lang unschlüssig herum. Sie wusste nicht, ob nicht doch ein nettes Wort angebracht war. Vielleicht sollte sie jetzt die Grüße übermitteln, die ihr von ihren Eltern für Lady Elisabeth mit auf den Weg gegeben worden waren. Aber dann drehte sie sich um und ging zur Tür.

Malcolm folgte ihr auf dem Fuß, wandte sich jedoch noch einmal nach der unfreundlichen Frau um. „Ich bleib nicht lange, Madam. Keine Sorge. Reise garantiert bald wieder ab. Ziemlich wahrscheinlich schon morgen.“ Damit drängte er Sophie aus der Tür, nahm sie bei der Hand und zog sie die Treppe hinauf.

Sophie war ein kleines, aber heimeliges Gästezimmer neben denen von Tante Elisabeth und Augusta zugewiesen worden, in das Malcolm sie jetzt zerrte. Er schloss hinter ihnen beiden ab, als hätte er Angst, Lady Elisabeth könnte sie verfolgen, verdrehte die Augen und schnitt eine Grimasse, die Sophie trotz des soeben durchlebten Schreckens zum Kichern brachte. „Bei allen Göttern und dem Heiligen Geist! So eine Schreckschraube habe ich noch nie getroffen.“

„Du hättest ruhig auch etwas sagen können“, hielt Sophie ihrem Bruder vor.

„Und die alte Schachtel gegen dich aufbringen?“, erwiderte Malcolm ungerührt. „Vergiss nicht, Sophie, du musst die Leute aushalten. Sechs Monate lang. Und ich würde dir wirklich nicht raten, Unsinn zu machen, sonst verlängert Vater deinen Aufenthalt.“ Er schüttelte mitleidig den Kopf. „Puh. Wenn er das tut, sitzt du aber ganz schön in der Tinte.“

Sophie fand, dass sie jetzt schon bis zum Hals darin saß. „Du reist doch nicht wirklich schon morgen ab?!“ Ihre Augen waren groß und ängstlich.

Malcolm schnaubte. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich auch nur eine Minute länger bleibe als nötig?“

„Ich wünschte, du würdest ganz hier bleiben. Oder wenigstens noch eine Woche.“ Sophies Stimme klang belegt. Kein Wunder, denn ihre Kehle war wie zugeschnürt, und Tränen brannten in ihren Augen.

Ihr Bruder trat einen Schritt zurück. „Fang jetzt bloß nicht an zu flennen, Sophie. Du weißt, das vertrage ich gar nicht.“

Sophies Mund zuckte. „Aber … ich glaube, ich fürchte mich vor dieser Frau. So hat mich noch nie jemand behandelt. So kalt und so gemein. Als wäre ich ein Nichts …“

Malcolm richtete sich auf und fasste Sophie fest an den Oberarmen. „Sophie, du bist kein Nichts! Du bist eine McIntosh. Vergiss das nie! Noch kein McIntosh hat vor den Sassenachs gekniffen. Alle unsere Vorväter sind tapfer im Kampf gestorben!“

„Du kneifst doch auch“, erwiderte Sophie aufmüpfig. „Und sei nicht so dumm, Malcolm, wenn alle unsere Vorväter im Kampf gestorben wären, gäbe es uns vielleicht gar nicht. Außerdem weiß ich, dass Vaters Vater einundachtzig wurde und unser Urgroßvater weit über siebzig.“ Sie seufzte. „Ich wollte, du könntest bei mir bleiben, dann hätte ich keine Angst.“

„Das würde ich vielleicht sogar tun“, meinte ihr Bruder, die heroische Pose aufgebend, „aber du weißt doch, was Vater befohlen hat: ich muss sofort heimkommen. Auch Jackson hat die entsprechende Order, die Kutsche zurückzubringen. Und wenn ich nicht dabei bin, wenn er heimkehrt …“ Malcolm sprach es nicht aus, aber Sophie wusste, dass es Momente gab, in denen man den strikten Anweisungen ihres Vaters gehorchen sollte. Zumindest seine Söhne. Sophie hatte es immer wieder geschafft, sich rauszuwinden – jedenfalls bis zu ihrer Verbannung.

„Und ich könnte gar nicht hierbleiben“, fuhr ihr Bruder fort. „Vater hat mir gerade genug Geld für die Reise mitgegeben. Und er hat seinen Notar angewiesen, nur für deine Kosten aufzukommen. Du kriegst ja auch kein Bares auf die Hand, sondern musst alle Rechnungen an diesen Mr. Bains schicken, der sie dann begleicht.“ Die Kanzlei Bains & Bains war Robert McIntosh von seinem Notar als zuverlässig und seriös empfohlen worden. Sophie erhielt zwar in jedem Monat ein wenig Taschengeld von ihnen ausbezahlt, und es war ihr, als sie von daheim abgefahren war, auch viel vorgekommen. Aber auf dem Weg hierher hatte sie begriffen, dass die Summe gerade nur für ganz kleine Ausgaben reichte. Zu wenig jedenfalls, um Malcolm ebenfalls davon finanziell zu unterstützen.

Malcolm tätschelte Sophies Arme. „Hab übrigens schon den Vetter kennengelernt, als er vorhin aus dem Haus geschlichen kam, damit seine Mutter ihn nicht sieht.“ Malcolm grinste. „Der scheint recht in Ordnung zu sein. Gar nicht von der spießigen Sorte und so, sondern ganz nett.“

„Das wäre schön“, sagte Sophie mit ein wenig Hoffnung. Im Grunde hatte sie sich mit ihren Brüdern und den Jungen der Pächter, ganz abgesehen von Patrick natürlich, immer besser verstanden als mit den Mädchen. Ihre Schwester war fünf Jahre jünger, die Töchter der Nachbarn und Pächter entweder ebenfalls jünger oder viel älter – wie Patricks Schwestern – oder zu schüchtern, um sich mit der Tochter des Burgherrn anzufreunden. Ein unternehmungslustiger Vetter, der nicht an ihr herumnörgelte, sondern sie und Rosalind auf ihre Ausritte begleitete, käme da gerade recht. Die Cousine war – so wie Tante Elisabeth sie ihr geschildert hatte – wohl eher kein Trost.

„Sophie“, ihr Bruder klopfte ihr teilnahmsvoll auf den Arm, „du schaffst das. Du stehst diese sechs Monate durch, und dann kommst du heim. Ich werde dich abholen, das verspreche ich dir.“

„Einhundertdreiundachtzig Tage“, seufzte Sophie. Sie hatte auf der Reise hierher genügend Zeit gehabt, Berechnungen anzustellen. Und – wie ihr Vater sie hatte wissen lassen – war die Zeit, die sie für die Reise benötigte, nicht in die sechs Strafmonate inkludiert. Sophie hatte also keinen Grund gehabt, die Anfahrt auf mehrere Monate hinauszuzögern.

„Und morgen sind es nur noch einhundertzweiundachtzig“, tröstete sie ihr Bruder. „Du wirst sehen, wie schnell die Zeit vergeht.“

4. KAPITEL

Sophie hielt außerhalb des lädierten Zauns und betrachtete neugierig den wuchernden kleinen Park und das zweistöckige Haus mit den schief in den Angeln hängenden Fensterläden und dem abgelösten Verputz.

Das also war Marian Manor, Großmutters altes Haus, das Sophie nach dem Tode ihrer Großmutter als älteste Enkelin geerbt hatte. Ihre Großmutter, Mrs. Stourton, hatte ihre Tochter an die Schotten verloren, das Testament jedoch offenbar in der Hoffnung abgefasst, dass sich doch noch eine aus dem Geschlecht derer von Stourton-McIntosh fand, die hierher zog. Sophie hatte zwar nicht die geringste Absicht, aber sie war neugierig auf das Haus gewesen, und sie war jetzt, da sie es sah, stolz darauf.

Ihre Großmutter hatte ihre Familie vor etwa zehn Jahren einmal in Schottland besucht, als Sophie elf gewesen war, und war einige Wochen geblieben. Eine sehr liebenswerte Frau. Dann war sie wieder heimgekehrt, aber bald zu ihrer ebenfalls verwitweten Schwester nach London gezogen. Und vor zwei Jahren war sie zur Trauer ihrer schottischen Familie an der Grippe gestorben. Sophies Mutter war daraufhin nach London gereist und hatte dort von dem Testament erfahren.

Und jetzt war Sophie also hier. Es war nicht leicht gewesen. Sie hatte sich – wie so oft, wenn sie etwas unternehmen wollte, das ihre Tante für nicht standesgemäß ansah – wegschleichen müssen. Sie hatte in den ersten Tagen ihren Vetter Henry, der angeblich die Schlüssel von Marian Manor besaß, gebeten, sie zu begleiten, aber der hatte so vehement davon abgeraten das Haus zu besichtigen, dass Sophie nach außen hin nachgegeben und einen Alleinbesuch geplant hatte. Sie schüttelte jetzt noch den Kopf, wenn sie daran dachte, dass Henry sogar behauptet hatte, es würde hier spuken. Ein markanter Fehler – jeder daheim in Schottland hätte gewusst, dass dies der letzte Anstoß war, um Sophie auf jeden Fall hierher zu locken.

Sophie unterzog ihr Haus abermals einer Betrachtung. Es war bezaubernd. Und viel größer als sie gedacht hatte. Der Park war nun wildromantisch überwuchert, bedurfte jedoch nur eines entschlossenen Gärtners, um wieder einen angemessenen Rahmen für dieses hübsche Anwesen abzugeben. Das Haus selbst war möglicherweise gar nicht so baufällig, wie Henry behauptet hatte. Das Dach wirkte von hier aus ganz ordentlich und unter dem abgeschlagenen Verputz sah man, dass zumindest das Erdgeschoß aus festen Steinquadern bestand. Also gutes Material, mit dem man etwas anfangen konnte. Ein frischer Verputz, die Fensterläden repariert, gestrichen, die gesprungenen Scheiben neu eingesetzt, und schon war Marian Manor ein wahres Schmuckkästchen. Den rankenden Efeu konnte man zum Teil lassen, der machte sich sehr hübsch.

Zum ersten Mal seit ihrer Verbannung empfand Sophie so etwas wie Interesse und Freude. Es war schade, dass sie nicht hierher ziehen konnte, sondern bei Tante Elisabeth und ihrer Cousine ausharren musste. Zehn Tage näherer Bekanntschaft mit den beiden hatten gereicht, um Sophie selbst das Zusammenleben mit einem Hausgeist schmackhafter zu machen als einen weiteren Tag in der Silverdale Road.

Tante Elisabeth erlaubte ihr kaum, auch nur einen Schritt unbeobachtet außer Haus zu gehen. Sophie wusste nicht, was Vater ihrer Tante über die Gründe, die sie hierher verbannt hatten, mitgeteilt hatte, aber selbst wenn Lady Elisabeth nichts von dem eingestürzten Bergwerk wusste, so empfand sie selbst nach so vielen Jahren noch tiefe Genugtuung dabei, Sophie den Skandal vorzuhalten, den ihre Mutter damals ausgelöst hatte. Denn dass diese Schande noch lange nicht vorbei und vergessen war, hatte sie nicht nur von der widerwärtigen Base und Tante Elisabeth, sondern auch noch von Tante Elisabeths lästigsten Freundinnen erfahren, die sich lebhaft erinnerten und dem Benehmen und Treiben der Tochter der ‚verruchten Annabelle‘ größte Aufmerksamkeit schenkten.

Sophie fand dies mit jedem Tag ärgerlicher. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass Robert McIntosh ihre Mutter vor fünfundzwanzig Jahren in Eastbourne gesehen, geküsst, verführt und bald darauf nach Gretna Green entführt hatte. Der Skandal hatte damals nicht nur Eastbourne, sondern die ganze Umgebung im Umkreis von hundert Meilen erfreut und schien immer noch nicht in Vergessenheit geraten zu sein.

Dabei hatte Sophie nicht das geringste Interesse daran, sich ausgerechnet hier Hals über Kopf zu verlieben und sich unziemlich verführen zu lassen. Sie wollte nur die Zeit absitzen und dann heimkehren. Zu den wunderbaren Highlands, dem hellblauen Sonnenhimmel, den violetten Gewitterwolken, den grünen Wiesen, den Schafen, Vaters alter Burg. Und zu Patrick. Ihr Freund fehlte ihr. Sie war sich bei der Abreise gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn vermissen würde. Sie hatte ihn zwar gebeten, ihr Briefe zu schreiben, aber mit demselben Ergebnis hätte sie auch eine von Vaters Ritterrüstungen, die in der Halle herumstanden, darum ersuchen können.

„Im Grunde darf ich mich nicht beklagen“, sagte sie zu Rosalind, die ruhig stehen geblieben war, während ihre Herrin das Haus in Augenschein genommen hatte. „Es hätte im Fall einer Ehe mit Phaelas weit schlimmer kommen können.“ Schließlich musste sie Tante und Cousine nur einige Monate und nicht ein ganzes Leben lang ertragen.

Ihre dunkelbraune Stute tänzelte und schnaubte, als ihre Herrin sich herabbeugte, um das quietschende Gartentor zu öffnen. Sophie tätschelte ihr den Hals. „Was ist, spürst du schon die Gespenster?“

Sie trieb Rosalind in den kleinen Park hinein. Hinter dem Tor hielt sie an. Henry hatte, als er bemerkte, dass Sophie sich nicht vor Gespenstern zu ängstigen schien, eindringlich vor der Baufälligkeit des Hauses gewarnt. Fürchtete er tatsächlich, das Haus könnte über ihr einstürzen? War dies vielleicht der Grund, weshalb der Schlüssel im ganzen Haushalt nicht auffindbar gewesen war? Nun, dachte sie mit einem schiefen Grinsen, sie hatte schon Erfahrungen mit einem zusammenstürzenden halben Berg gesammelt, da konnte ihr so ein Häuschen keine Furcht einjagen.

Erstaunt bemerkte sie, dass der Weg zum Haus weitaus öfter benutzt wurde, als sie dies bei einem leer stehenden Gebäude angenommen hätte. Henry hatte ihr zwar gesagt, dass er und der Verwalter seiner Mutter öfter einmal herkamen, um nach dem Rechten zu sehen, aber hier fanden sich tiefe Wagenspuren. Der vom letzten Regen noch feuchte Boden wies unzählige Hufabdrücke auf, und links und rechts vom Weg war das hohe Gras niedergetrampelt, als wären hier viele Menschen durchgestapft.

Henrys Gespenster schienen sich wohl recht heimisch zu fühlen.

Sophie lenkte Rosalind um das Haus herum, bis sie wieder vorne angelangt waren. Ein neuer Zaun und ein Schloss am Tor wären nicht schlecht. Viel konnte im Park nicht mehr zerstört werden, aber wenn man das Haus renovieren ließ, dann sollten auch keine fremden Gespenster mehr eindringen können. Sophie war allerdings der Überzeugung, dass es sich bei diesen Besuchern eher um übermütige Geister handelte. Tante Elisabeth hatte erst am Vorabend von einigen jungen Leuten aus London erzählt, die viel Unfug in der Stadt angestellt hatten.

„Ich bin sicher, so viel wird gar nicht zu reparieren sein“, erzählte sie Rosalind, die aufmerksam die Ohren spitzte. Sie redete oft mit Rosalind. Wenn sie alleine ausritten, wenn sie sie im Stall besuchte, sie striegelte, und noch viel mehr, seit sie beide in Eastbourne angekommen waren, und Sophie sich unter all den Engländern vereinsamt fühlte.

„Ich glaube ja nicht, dass jemals einer von uns hier wohnen will“, sprach Sophie weiter, „aber wenn Mutter wüsste, wie das Haus aussieht, in dem sie gelebt und wo sie Vater kennengelernt hat, dann wäre sie bestimmt sehr traurig.“ Rosalind schnaubte, und Sophie ließ ihren Blick nachdenklich über die Fensterreihen schweifen. Jedenfalls könnte ein genauerer Blick nichts schaden. Vielleicht kam sie doch ins Haus – auch ohne Schlüssel.

Sie schwang kurz entschlossen das in Hosen steckende Bein über Rosalinds Hals, ließ sich aus dem Sattel rutschen und band die Zügel um einen morschen Pfahl – weit genug vom Haus entfernt, falls doch Dachziegel herabfallen sollten. Sie presste sekundenlang das Gesicht auf den warmen, kräftigen Pferdehals und ging dann mit energischen Schritten auf das Haus zu. Rosalind zerrte am Zügel und wollte ihr nachlaufen.

„Bleib dort. Ich komme ja gleich. Ich schaue nur, ob es noch andere Eingänge gibt, oder ob eine Hintertür offensteht, ein Fenster vielleicht nicht verschlossen ist, oder eine Kellertreppe, durch die man ins Haus kann. Du weißt ja, Vater sagt immer, einen entschlossenen Schotten hält nichts auf!“

Sie stieg die wenigen Stufen zur Haustür hinauf, rüttelte daran. Fest verschlossen. Sie sprang leichtfüßig wieder hinunter und nahm den Weg links an der Hausmauer entlang zur Westseite des Gebäudes. Die Fenster im Erdgeschoss waren alle von innen verriegelt. Hier konnte man nicht ins Haus gelangen. Sophie ging weiter, bog um die Ecke und schritt abermals an der Hausmauer entlang. Sie hatte immer wieder versucht, durch die Kellerfenster zu spähen, aber es war drinnen so dunkel, dass kaum etwas zu erkennen war. Zudem waren die Scheiben halb blind vor Schmutz.

Das Haus war tatsächlich recht groß. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte einen Blick durch die Fenster ins Innere zu werfen, sah aber bestenfalls einen Teil der Deckenmalereien. Ihre Mutter hatte ihr von einer Bibliothek erzählt, einem Speisezimmer und einem Salon. Oben waren die Räume für die Familie und ganz oben die Zimmer für die Dienstboten. Rechts vom Eingang sollte sich der Ballsaal befinden, in dem ihre Mutter Robert McIntosh kennengelernt hatte.

Sophie ging neugierig weiter, bis sie den Hintereingang erreicht hatte. Er lag ein wenig tiefer als die Fenster des Erdgeschosses; vermutlich führte er in den Keller, und von dort gelangte man durch eine Treppe hinauf in die anderen Räume. Tante Elisabeths Haus war ähnlich angelegt. Sie rüttelte am Türknauf. Nichts.

Endlich hatte sie wieder die Vorderseite des Hauses erreicht und trat zu Rosalind, die ihr zur Begrüßung ins Gesicht schnaubte. „Alles versperrt“, klagte Sophie enttäuscht. Vielleicht war es doch klüger, den Schlüssel zu suchen und dann wieder herzukommen. Sie wandte sich nochmals um, suchte ein letztes Mal die Fassade mit den Augen ab, und da entdeckte sie plötzlich links neben dem Eingang ein Kellerfenster, das einen Spalt offen stand. Das war ihr ja völlig entgangen!

Gut, dass ihr Bruder ein Paar seiner Hosen hier gelassen hatte. Nicht ganz freiwillig – sie hatte sie ihm kurz vor seiner Abreise aus seiner Reisetasche gestohlen, gleich nachdem Tante Elisabeth ihr den schönen weiten schottischen Reitrock weggenommen hatte. Alle ihre anderen Kleider waren zu eng geschnitten, die Stoffe zu weich, und eigneten sich nicht dazu, im Sattel zu sitzen. Sie wären entweder gerissen, oder hätten Sophies Beine bis zur Hüfte hinauf freigegeben.

Dazu kam noch die derbe Jacke, die sie selbst heimlich von daheim mitgeschmuggelt hatte, dann Stiefel, ein Hemd – ebenfalls von Malcolm entwendet – und schon sah sie mit dem unter einer Kappe versteckten Haar aus wie ein Bursche.

Ihre Verkleidung war zwar nur oberflächlich, einem prüfenden Blick hätte der Junge nicht standgehalten, aber das machte nichts. Es ging ihr ja nicht darum, als Mann verkleidet durch die Gegend zu streunen, sondern bequem im Sattel zu sitzen. Und jetzt kamen die Hosen besonders hilfreich zur Geltung, auch wenn sie beim Bücken über dem verlängerten Rücken spannten. Aber in einem Rock hätte sie sich niemals durch ein Kellerfenster zwängen können.

„Wirklich schade, dass Malcolm nicht mehr hier ist“, sagte sie zu Rosalind. Er hätte es, im Gegensatz zu Henry, nicht abgelehnt, mit ihr in diesem Haus zu stöbern. Und noch mehr bedauerte sie, dass Patrick nicht bei ihr sein konnte. Wie hervorragend hätte sie jetzt einen Gleichgesinnten brauchen können, und wie viel Spaß hätten sie miteinander gehabt! Vetter Henry dagegen war ein Langweiler und – auch wenn Sophie dieses Wort nie ausgesprochen hätte, zumindest nicht in seiner Hörweite und der seiner Mutter – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sogar ein Hosenscheißer, der sich nicht mal die Fingernägel schmutzig machen wollte. Auch diesbezüglich hätten Patrick und sie übereingestimmt.

Sie griff nach dem Sack, den sie am Sattel befestigt hatte. Hier drinnen hatte sie Zunder und einige Kerzen. Gut, dass sie vorgesorgt hatte!

Wieder beim Kellerfenster angekommen, legte sie die Kerzen neben sich, beugte sich hinab, stieß das Fenster weit auf und lugte hinein. Ein paar Spinnweben, viel Staub. Das Bergwerk war auch nicht heimeliger gewesen, und sie hatte sich trotzdem hineingewagt. Hier würde sie zwar ganz bestimmt kein Gold finden, aber vielleicht Familienschätze wie alte Kleider, Möbel, Briefe, Bücher. Sophie fieberte richtig vor Aufregung und Unternehmungslust.

Sie hockte sich auf alle viere und steckte den Kopf weiter durch das Fenster hinein. Es war zwar düster, aber zum Glück hell genug, dass sie sehen konnte, wohin sie klettern musste. Gleich unter ihr war bequemerweise ein Schrank. Von dem Schrank war es nur ein großer Schritt zu einem Tisch und dann stand ihrer Expedition nichts mehr im Weg. Sie legte die Kerzen vorsorglich auf den etwa einen halben Meter unter dem Fensterbrett befindlichen Schrank und überlegte. Sollte sie mit dem Kopf voran hineinklettern? Oder zuerst mit den Beinen?

Edward Harrington hatte dieses Mal ohne besondere Absicht den Weg genommen, der an dem alten Marian Manor vorüberführte, und er wollte schon vorbeireiten, als er das Schnauben eines Pferdes hörte. Er lenkte seinen Hengst um eine Baumgruppe auf das Haus zu und bemerkte tatsächlich eine braune Stute, die etwas vom Haus entfernt an einem Pfahl angebunden war. Und einen Moment später wurde sein Interesse auch schon wie magisch von einem runden Hintern in obszön engen Hosen angezogen, die so geschnitten waren, dass sich die Backen und sogar die Kerbe dazwischen deutlich abzeichneten.

Der Besitzer sowohl des Hinterns als auch der Hosen kniete vor einem offenen Kellerfenster und spähte angeregt hinein. Die Jacke war etwas hochgerutscht, und als der Junge den Kopf hin und her bewegte und den Hals streckte, um besser sehen zu können, gingen seine Hüften auf äußerst provokante Art und Weise mit.

Edward bewegte sich unbehaglich im Sattel, als er sich bewusst wurde, was er da tat: Er gaffte genießerisch den Hintern eines Jungen an. Er sah verlegen weg, blickte aber gleich wieder hin. Was zum Teufel hatte der Knabe beim Kellerfenster verloren? Ausgerechnet bei diesem Haus?

Er stieg ab, band seinen Hengst außerhalb des Zauns an und betrat den Garten. Die zartgliedrige Stute sah ihm entgegen, schnaubte leise, aber Edward strich ihr im Vorübergehen über die Nüstern und den Hals. Sie schüttelte die Mähne, verhielt sich jedoch ruhig, und Edward blieb mit in die Hüften gestemmten Händen hinter dem Kerlchen stehen, dessen Hintern bei näherer Betrachtung noch mehr an Umfang und Reiz gewann. Edward schüttelte über sich selbst den Kopf, als in ihm der irritierende Drang entstand, seine Hände auf diesen ihm entgegengestreckten Körperteil zu legen und darüberzustreicheln.

Jetzt erklang ein unterdrückter Fluch in einer unbekannten Sprache und mit heller Stimme ausgestoßen. Noch ein zweiter, dem Tonfall nach zu urteilen, noch herzhafterer. Edward überlegte noch, wo er ähnliche Flüche schon gehört hatte, als der Junge ein wenig zurückrutschte. Sein Kopf, der bisher im Kellerfenster gesteckt hatte, kam zum Vorschein. Er trug eine Kappe, die, als er sich zurückzog, am Fensterrahmen hängenblieb und neben ihm zu Boden fiel. Langes, hellbraunes Haar quoll darunter hervor, floss über die Schultern und den Rücken. Ein abermaliger Fluch, dann stopften zwei ungeduldige Hände das dichte Haar wieder unter die Kappe und zogen diese so fest über den Kopf, dass sie bis über die Ohren reichte.

Edward hatte zuerst überrascht und dann mit Erleichterung zugesehen. Nun wusste er, was an dem Hintern nicht stimmte. Er gehörte einem Mädchen! Er grinste. Diese Pracht in engen Hosen war also weiblichen Ursprungs. Höchst beruhigend, dass sein Geschmack nicht durch die vollen Formen irregeleitet worden war. Vermutlich war sie irgendeine Farmertochter aus der Umgebung. Vielleicht auch eines der Liebchen der Kerle, die sich hier – meistens nachts – herumtrieben.

Es konnte ihm gleichgültig sein, was dieses Kindchen hier machte, aber diese Kehrseite war einfach zu verlockend, um sich umzudrehen, auf das Pferd zu steigen und wegzureiten. Edward hob schon die Hand, um sie genussvoll klatschend auf eine dieser Backen zu platzieren, als er mit froher Vorahnung bemerkte, dass sich dieser reizende Hintern rückwärts in seine Richtung bewegte. Er hob einen Fuß leicht an. Nur noch ein knapper Schritt. Noch eine Handbreit … und dann stieß der Hintern an seiner Stiefelspitze an. Genau mit der Hosennaht.

Der darauffolgende Schrei hätte Tote zum Leben erwecken können. Er erschreckte die braune Stute, die zur Seite tänzelte, und ließ sogar Edward zusammenzucken. Aber der Anblick, wie die Kleine wie von der Tarantel gestochen wieder nach vorne schoss, sich dabei drehte, hintenüberpurzelte, auf diesem süßen Hintern noch panisch einige Schritte wegrutschte, und wie sich dabei ihre Jacke öffnete, war nicht schlecht. Edwards Blick blieb einige Herzschläge lang an zwei runden, sich erfreulich deutlich abzeichnenden Formen ruhen, bis er dem Mädchen wieder ins Gesicht sah. Er beschloss das Spiel noch ein wenig auszudehnen.

„Hallo, Bengelchen“, meinte er gut gelaunt. „Worauf hast du es abgesehen? Marmelade oder Schinken?“ Er für seinen Teil tendierte in diesem Moment sinnigerweise eher zu Schinken.

Sie rang nach Atem, ihr Busen wogte unter dem dünnen Herrenhemd, und die schönen Augen waren weit aufgerissen.

Er beugte sich zu ihr und hielt ihr die Hand hin. „So haben mein Bruder und ich uns immer als Kinder angeschlichen, wenn wir ausspionieren wollten, ob die Luft auf dem Weg zur Vorratskammer rein war.“

Sie sah ohne sich zu rühren auf seine Hand. Er nickte ihr aufmunternd zu. „Ich helfe dir beim Aufstehen.“

Sie machte eine abwehrende Bewegung, aber Edward griff einfach nach ihrem Arm, hielt sie fest, obwohl sie sich losreißen wollte, und zog sie hoch. Als sie dann stand, fiel es ihm schwer, sie wieder loszulassen. Seine Hand glitt abwärts, bis er nur noch ihre Finger hielt. Er betrachtete sie. Erdig waren sie jetzt, die Fingernägel schmutzig wie bei einem Jungen. Aber schmal und schlank; sehr weich die Haut, als er spielerisch und zärtlich zugleich mit seinem Daumen darüberstreichelte.

„Einer von uns hat immer aufgepasst, und der andere ist in die Vorratskammer gestürmt und hat mitgehen lassen, was unter die Jacke passte“, sprach er weiter. „Lass mal sehen, was du versteckt hast. Er hob die Jacke an und betrachtete wohlgefällig den Anblick darunter.