Swen ist krank vor Kummer - Britta Frey - E-Book

Swen ist krank vor Kummer E-Book

Britta Frey

5,0

Beschreibung

Sie ist eine bemerkenswerte, eine wirklich erstaunliche Frau, und sie steht mit beiden Beinen mitten im Leben. Die Kinderärztin Dr. Martens ist eine großartige Ärztin aus Berufung, sie hat ein Herz für ihre kleinen Patienten, und mit ihrem besonderen psychologischen Feingefühl geht sie auf deren Sorgen und Wünsche ein. Alle Kinder, die sie kennen, lieben sie und vertrauen ihr. Denn Dr. Hanna Martens ist die beste Freundin ihrer kleinen Patienten. Der Kinderklinik, die sie leitet, hat sie zu einem ausgezeichneten Ansehen verholfen. Es gibt immer eine Menge Arbeit für sie, denn die lieben Kleinen mit ihrem oft großen Kummer wollen versorgt und umsorgt sein. Für diese Aufgabe gibt es keine bessere Ärztin als Dr. Hanna Martens! Kinderärztin Dr. Martens ist eine weibliche Identifikationsfigur von Format. Sie ist ein einzigartiger, ein unbestechlicher Charakter – und sie verfügt über einen extrem liebenswerten Charme. Alle Leserinnen von Arztromanen und Familienromanen sind begeistert! Dr. Hanna Martens schob ihre Unterlippe nach vorn. Sie überlegte. Sie fuhr selten in die Stadt, und wenn sie sich dafür Zeit nahm, dann gab es einiges zu erledigen. Sie sah auf den Zettel, worauf sie sich schon einige Notizen gemacht hatte. Vielleicht fiel ihrer Mutter noch etwas ein. Energisch schob sie sich ihre auf die Schultern fallenden blonden Locken zurück und erhob sich. »Mutti!« Die dreißigjährige Kinderärztin trat auf den Flur hinaus. Seit sie in das neugebaute Doktorhaus gezogen waren, lebte die Mutter bei ihnen. Bea Martens kam aus ihrem Zimmer. »Du bist noch hier? Wolltest du nicht nach Celle fahren?« Hanna nickte. »Ich habe heute meinen freien Tag. Da es einiges in Celle zu erledigen gibt, kann ich mich nicht drücken.« »Das sollst du auch nicht. Ich finde, es ist für dich wichtig, daß du nicht jeden Tag Klinikluft schnupperst.« Hanna lachte. »Du vergißt immer wieder, daß ich meinen Beruf liebe.

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Kinderärztin Dr. Martens – 68 –

Swen ist krank vor Kummer

Bei Hanna Martens sucht er Hilfe

Britta Frey

Dr. Hanna Martens schob ihre Unterlippe nach vorn. Sie überlegte. Sie fuhr selten in die Stadt, und wenn sie sich dafür Zeit nahm, dann gab es einiges zu erledigen. Sie sah auf den Zettel, worauf sie sich schon einige Notizen gemacht hatte. Vielleicht fiel ihrer Mutter noch etwas ein. Energisch schob sie sich ihre auf die Schultern fallenden blonden Locken zurück und erhob sich.

»Mutti!« Die dreißigjährige Kinderärztin trat auf den Flur hinaus. Seit sie in das neugebaute Doktorhaus gezogen waren, lebte die Mutter bei ihnen.

Bea Martens kam aus ihrem Zimmer. »Du bist noch hier? Wolltest du nicht nach Celle fahren?«

Hanna nickte. »Ich habe heute meinen freien Tag. Da es einiges in Celle zu erledigen gibt, kann ich mich nicht drücken.«

»Das sollst du auch nicht. Ich finde, es ist für dich wichtig, daß du nicht jeden Tag Klinikluft schnupperst.«

Hanna lachte. »Du vergißt immer wieder, daß ich meinen Beruf liebe. Mit der Kinderklinik haben Kay und ich uns einen Lebenstraum erfüllt.«

»Ich weiß!« Die sechsundsechzigjährige Frau, der man ihr Alter nicht ansah, seufzte. »Ich bin auch stolz auf euch. Aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn ihr euch einmal dazu entschließen würdet, eine Familie zu gründen. Doch dazu findet ihr keine Zeit. Ihr seid für kranke Kinder da, aber an eigene, daran denkt ihr nicht.«

»Mutti! Ich weiß, daß du uns gern unter der Haube sehen würdest.« Hanna trat zu ihrer Mutter und küßte sie auf die Wange. »Im Grunde haben wir auch gar nichts gegen eine Ehe. Wir sind nur noch nicht dem richtigen Partner begegnet.«

»Das bekomme ich nun schon seit Jahren zu hören. Ihr scheint zu vergessen, daß ihr älter werdet.« Sie sah, daß ihre Tochter das Gesicht verzog, und fuhr rasch fort: »Vor allem werde ich älter. Ich hätte doch zu gern einen Enkel in den Armen gehalten.«

Dazu wußte Hanna nicht viel zu sagen. Kay, ihr Bruder, war sechsunddreißig Jahre alt und auch noch Junggeselle. Sie hatten beide Medizin studiert und sich dann für die Kindermedizin entschieden. Ihr Bruder war Kinderchirurg. Von Anfang an waren sie von dem Wunsch beseelt gewesen, Kindern zu helfen. In der Nähe von Ögela, einem kleinen Ort in der Lüneburger Heide, hatten sie das Birkenschlößchen entdeckt. Das lag nun schon einige Jahre zurück, aber sie hatten sich beide in diesen Ort beim ersten Anblick verliebt. Das dreistöckige Gebäude mit den zwei Giebeltürmen hatte es ihnen angetan gehabt. Sie hatten es zu der Kinderklinik Birkenhain umgebaut, die sie nun gemeinsam leiteten. So hatten Kay und sie eine wunderschöne Aufgabe gefunden, und sie waren beide glücklich dabei.

»Schon gut, Kind!« lenkte Bea Martens ein. Jetzt lächelte auch sie. Sie fand es schön, daß sie den Lebensabend in der Nähe ihrer beiden Kinder verbringen konnte. Durch das neuerbaute Doktorhaus, das am Ende des Klinikparks lag, war dies möglich geworden. »Ich wollte eigentlich auch nur sagen, daß du dir öfter freinehmen solltest.«

»Um nach Celle zum Einkaufen zu fahren? Da habe ich schon eine etwas andere Vorstellung von meiner Freizeit.« Hannas Augen blitzten übermütig. »Um dich zu beruhigen, Mutti, ich stehe dem Leben nicht abgeneigt gegenüber. Laß uns aber drüber ein anderes Mal sprechen. Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob ich dir noch irgend etwas mitbringen kann.«

»Danke! Im Grunde fühle ich mich sehr wohl und bin auch wunschlos glücklich.« Liebevoll umfaßte Frau Beas Blick nun das Gesicht der Tochter. »Laß dir Zeit!«

»Das habe ich auch vor. Ich habe der Füchsin schon gesagt, daß ich nicht vor dem Abend zurück bin. Ich werde irgendwo unterwegs etwas essen.«

»Gute Idee«, stimmte Bea Martens zu. »Dann werde ich Jolande zu einem Spaziergang überreden.«

*

Dr. Hanna Martens hatte in Celle nur eine Kleinigkeit gegessen. Es war noch nicht spät, als sie sich auf die Rückfahrt machte. Ihr wurde bewußt, daß niemand sie erwartete. Sie konnte sich also Zeit lassen. Kurz entschlossen fuhr sie von der Hauptverkehrsstraße ab. Auf einem Wanderparkplatz hielt sie an, und bummelte einige Zeit durch die Heide. Sie hatte sich einen Blick für die Natur bewahrt und genoß es, einmal Zeit zu haben. Als sie wieder in ihrem Auto saß, verspürte sie Hunger, so hielt sie vor einem Gasthof an.

Es war ein Landgasthof, wie sie ihn liebte. Hier aß man nicht nur gut, die Atmosphäre war auch gemütlich. Doch darin sah Hanna sich getäuscht. Im Gastraum war eine Menge los. Der schöne Tag hatte viele Wanderer und Urlauber in die Heide gelockt.

Hanna sah sich um. Es würde hier sicher einige Zeit dauern, bis sie etwas zu essen bekam. Sie sah nur eine Frau, die eilig von Tisch zu Tisch hastete und sich vergebens um ein verbindliches Lächeln bemühte. Eine Kellnerin oder einen Kellner konnte sie nicht entdecken. Unschlüssig stand Hanna noch da, als die Frau, beladen mit leeren Gläsern, vor ihr anhielt.

»Es ist heute einiges los hier. Am Tisch neben der Theke sind noch Plätze frei.« Ein hilfloses Anheben der Achseln, die Frau eilte weiter.

Hanna sah ihr nach. An der Theke stellte die Frau die leeren Gläser ab, wechselte ein paar Worte mit dem Mann, der dahinter stand, um gleich darauf nach einem Tablett zu greifen, auf dem frisch gefüllte Biergläser standen. Beim Umdrehen stieß sie an einen kleinen Jungen. Sie fuhr ihn an, das Gesicht des Kleinen verzog sich.

Nein, die Hektik, die hier herrschte, gefiel ihr nicht. Hanna wollte sich umdrehen, da begegnete sie dem Blick des Kindes. Sein bereits zum Weinen verzogenes Gesicht glättete sich. Schließlich lächelte er sogar. Das Lächeln galt ihr, einer Fremden. Da konnte Hanna nicht gehen. Sie steuerte die freien Plätze an, mußte dabei an dem Jungen vorbei.

»Hallo«, sagte sie freundlich.

»Hallo!« erwiderte das Kind ohne zu zögern. Jetzt strahlte es sie offen an. »Bleibst du hier?«

Hanna nickte. »Ich werde etwas essen und trinken.«

»Du kannst dich gleich dahin setzen.« Der Kleine lief vor ihr her. »Da kannst du sitzen.« Er zeigte auf einen freien Stuhl.

»Danke!« Hanna schenkte dem Kleinen erneut ein Lächeln.

Sie setzte sich. Der Kleine blieb dicht neben ihr stehen. Er wartete, bis sie ihn wieder ansah, dann plapperte er los: »Ich würde Omi gern helfen, aber ich bin noch zu klein. Gestern habe ich ein Glas fallen lassen, es ist mir aus der Hand gerutscht. Ich habe es wirklich nicht absichtlich gemacht. Omi war aber böse.«

Seine großen, dunklen Augen sahen sie zutraulich an. Da hob Hanna die Hand und fuhr ihm durch das Haar.

»Omi hat viel zu tun«, fuhr der Kleine fort. »Wenn ich größer bin, dann werde ich ihr sicher helfen. Wenn du aber großen Durst hast, dann kannst du mir sagen, was du trinken willst. Ich sage es dann Opa, er richtet die Getränke her. Unsere Kellnerin ist nicht da und Mami und Papi auch nicht.«

»Ich kann warten. Mein Durst ist nicht allzu groß.« Hanna beugte sich dem Kleinen entgegen. »Willst du mir nicht verraten, wie du heißt?«

»Swen, ich bin der Swen! Dann heiße ich auch noch Schroeder. So heißen auch meine Mami und mein Papi. Meine Omi und mein Opa heißen Harman.«

Ehe Hanna darauf antworten konnte, tauchte die Wirtin auf. »Swen, ich habe dir vorhin schon gesagt, du sollst spielen gehen. Entschuldigen Sie, daß der Kleine Sie belästigt hat.«

»Er hat mich nicht belästigt«, sagte Hanna rasch.

»Ich weiß nicht, was mit dem Kind los ist.« Lotte Harman seufzte. »Sonst hält er sich fast den ganzen Tag im Freien auf, und jetzt, wo seine Mutter nicht hier ist, lungert er ständig in der Gaststube herum.« Sie sah Swen an. »Warum gehst du nicht auf den Spielplatz? Sicher findest du dort einen Kameraden.«

»Ich mag nicht!« Swens Kopf sank auf die Brust. »Es tut weh!«

»Wo tut es denn weh?« fragte Hanna, ehe seine Großmutter etwas sagen konnte.

»Da!« Swen legte die Hand auf seine Brust.

»Swen, du sollst die Gäste nicht belästigen. Wie oft habe ich dir das schon gesagt!« Die Wirtin wandte sich Hanna zu: »Entschuldigen Sie bitte! Was kann ich Ihnen bringen?«

Hanna bestellte einen Orangensaft. »Ich würde auch gern etwas essen. Wenn Sie mir bitte die Speisekarte bringen würden.«

»Die bringe ich dir«, versicherte Swen. Er ließ sich von seiner Großmutter nicht daran hindern. Er sprang auf, kehrte bald darauf mit einer Speisekarte zurück. »Ich mag am liebsten Schnitzel mit Pommes frites«, verriet er dabei.

»Mal sehen, worauf ich Appetit habe.« Dankend nahm die Kinderärztin die Speisekarte entgegen.

Swen trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich würde dir gern helfen«, platzte er schließlich heraus. »Ich weiß aber nicht, was es heute alles gibt. Ich kann noch nicht lesen, und Mami ist nicht da. Sie hat mir die Speisekarte sonst immer vorgelesen.«

»Ich lese dir vor, was da steht«, bot Hanna an. Sie begann vorzulesen. »Das hört sich alles sehr gut an«, meinte sie, als sie fertig war.

»Bei uns schmeckt es allen Leuten«, versicherte Swen. »Nur ich habe heute keinen Hunger. Nicht einmal die Pommes frites habe ich heute aufgegessen.«

Hanna sah das Kind an. Glänzten seine Augen nicht fiebrig?

»Omi kommt!« flüsterte das Kind. Rasch drehte es sich um und verschwand.

»Haben Sie schon gewählt?« fragte Frau Harman.

Hanna nickte. Während sie ihre Bestellung aufgab, wurde von einigen anderen Tischen gerufen. Die einen wollten zahlen, andere wollten noch etwas zu trinken.

Die Wirtin seufzte. »Ich weiß wirklich nicht, wie es weitergehen soll. Ich habe nun mal nur zwei Hände.« Dann besann sie sich jedoch. »Heute geht es bei uns etwas hektisch zu. Sie müssen entschuldigen, aber unsere Kellnerin ist nicht gekommen.«

»Ich habe Zeit! Bedienen Sie nur die anderen Gäste«, meinte Hanna. Sie nippte an ihrem Orangensaft, dann sah sie sich nach dem Kleinen um. Er lehnte an der Theke. Dort war er aber seiner Großmutter im Weg. Hanna beobachtete, wie diese ihn an den Schultern packte und hinter die Theke schob.

Da Hanna warten mußte, sah sie immer wieder zur Theke hin, den Kleinen konnte sie jedoch nirgends entdecken. Dann kam ihr Essen, sie machte sich mit großem Appetit darüber her und wurde nicht enttäuscht. Es schmeckte ausgezeichnet. Sie aß und übersah dabei, daß Swen hinter der Theke wieder hervorgekommen war. Langsam schlich er sich an sie heran. Schließlich sah sie ihn und lächelte ihm zu. Das ermutigte ihn, näher an sie heranzukommen.

»Ich will dich nicht stören«, versicherte er höflich. »Ich will nur fragen, ob es dir schmeckt. Wenn Mami die Gäste bedient, dann fragt sie das immer.«

»Danke! Es schmeckt mir sehr gut.«

»Kommst du morgen wieder zum Essen?« Erwartungsvoll sah er sie an. »Das geht leider nicht.«

»Aber wenn es dir doch bei uns schmeckt!« Der Kleine war enttäuscht.

»Ich muß morgen zu Hause essen. Ich kann nicht immer von zu Hause wegfahren.« Hanna versuchte ihm zu erklären, daß sie arbeiten mußte.

»Meine Mami und mein Papi sind auch weggefahren, einfach so.« Ratlos zuckte er die Achseln. »Omi muß nun ganz viel arbeiten, dabei tun ihr die Füße so weh.«

»Deine Mami und dein Papi kommen sicher bald zurück«, meinte Hanna.

»Ich weiß nicht!« Zögernd kam dies über Swens Lippen. Zutraulich meinte er dann aber: »Mami schon, sie hat es versprochen. Opa hat aber gesagt, daß Papi gar nicht zurückzukommen braucht. Papi ist auch fortgegangen, weil der Opa so böse war.«

Hanna wußte nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte nicht die Absicht, sich in fremde Angelegenheiten zu mischen. Ihr tat der Junge jedoch leid. Er sah so traurig aus. Einen Zuspruch hätte er sicher nötig gehabt.

»Willst du dich nicht zu mir setzen?« fragte sie.

Swen schüttelte den Kopf. »Ich darf nicht! Ich soll die Gäste nicht belästigen. Und du bist ein Gast.«

»Ich unterhalte mich aber gern mit dir. Ich bin allein hier und habe niemanden, mit dem ich sonst sprechen kann.«

Die großen, glänzenden Augen des Jungen leuchteten auf. »Hast du keinen Mann? Und auch kein Kind?«

»Nein!« Hanna wollte ihm von der Kinderklinik erzählen, wo es viele Kinder gab, die fast alle auf sie warteten, aber dazu kam es nicht mehr. Die Wirtin erschien.

»Swen, ich habe dir doch gesagt, daß du dich in der Gaststube nicht mehr blicken lassen sollst. So geht es wirklich nicht! Wenn du jetzt nicht folgst, dann muß ich dich auf dein Zimmer schicken.«

Der Kopf des Kindes sank auf die Brust. »Aber mir ist langweilig, Omi«, klagte er.

»Du bist doch alt genug, um zu verstehen, daß ich jetzt keine Zeit habe«, schimpfte die Großmutter. »Auf jeden Fall wirst du in Zukunft von den Gästen fernbleiben.«

»Es ist meine Schuld«, sagte Hanna. »Ich habe Swen aufgefordert, sich zu mir zu setzen.«

»Er soll sich nicht in der Gaststube herumtreiben, das weiß er ganz genau«, beharrte die Wirtin. Ihr Blick richtete sich drohend auf den Kleinen.

»Ich wollte doch nur…«, stammelte dieser. Er sah Hanna noch einmal an, dann drehte er sich um und verschwand.

»Wie alt ihr Ihr Enkel?« fragte Hanna.

»Er ist vor kurzem fünf geworden. Leider ist er etwas frühreif für sein Alter.« Frau Harman verzog das Gesicht.

»Er ist entzückend«, meinte Hanna, der Kleine gefiel ihr wirklich.

»Ja, das ist er wohl!« Nun erschien ein Lächeln auf dem Gesicht der Frau. Doch sie hatte keine Zeit für ein privates Gespräch.

Hanna saß noch einige Zeit an dem Tisch, trank noch einen Kaffee, dann bezahlte sie.

*

Die Kinderärztin saß bereits am Steuer ihres Autos. Ihre Hand tastete nach dem Zündschlüssel, doch ehe sie ihn herumdrehte, sah sie noch einmal zu dem Gasthof hin. Sie sah das traurige Gesichtchen des Kindes vor sich. Hatten die Augen nicht doch fiebrig geglänzt? Der Junge hatte auch über Schmerzen geklagt. Seine Großmutter hatte jedoch sicher keine Zeit, sich darum zu kümmern.

Hannas Hand sank herab. Swen war so zutraulich gewesen. Sie konnte nicht gehen, ohne sich von dem Kleinen verabschiedet zu haben. Entschlossen stieg sie wieder aus. Sie hatte doch noch Zeit. Warum sollte sie nicht mit dem Kleinen noch ein paar Worte wechseln? So kehrte sie in die Gaststube zurück. Sie konnte Swen jedoch nirgends entdecken. Offensichtlich hatte er Omas Worte nun doch beherzigt und hatte sich verdrückt. Zögernd ging Hanna zur Theke. Dahinter zapfte ein Mann Bier. Diesen Mann hatte sie schon vorhin beobachtet, und sie ahnte, daß dies Swens Großvater war.

»Ich habe vorhin mit Swen gesprochen«, begann Hanna.

Der Wirt nickte. Dies war ihm nicht entgangen.

»Er ist ein lieber Junge«, fuhr Hanna fort. »Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet.«

Der Wirt hob die Augenbrauen etwas an, stellte das Bierglas auf das Tablett. »Keine Ahnung, wo der Junge steckt. Der Aufenthalt in der Gaststube ist wirklich nichts für ihn.«

»Schon…« Hanna zögerte.

»Sie sehen doch, meine Frau und ich können uns im Augenblick nicht um ihn kümmern.« Er wandte sich ab.

»Das sehe ich!« Hanna bemühte sich um ein verbindliches Lächeln. Sie hatte nicht die Absicht, den Wirtsleuten Vorwürfe zu mache. »Ich habe jedoch noch etwas Zeit. Ich könnte doch mit Swen sprechen.«

Herr Harman hob den Blick vom Bierglas. »Ich glaube nicht, daß das meiner Frau recht wäre. Sie bemüht sich wirklich. Wir tun, was in unserer Macht steht.«

»Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin Kinderärztin…« Weiter kam sie nicht, Frau Harman war herangekommen. Empört unterbrach sie.

»Sven ist doch nicht krank! Wenn er Ihnen das erzählt hat, dann hat er geflunkert. Er wollte Ihre Aufmerksamkeit erregen, das ist alles.«

»Nein, Sie verstehen mich falsch. Er hat nicht geklagt. Ich mag Kinder, das muß Swen gespürt haben.«

»Ja, und?« Lotte Harman wischte sich die Hände an der Schürze.

»Ihm ist langweilig, das habe ich gemerkt. Ich dachte, ich könnte mich mit ihm noch ein bißchen unterhalten.«

»Das hat doch keinen Sinn! Der Junge muß lernen, sich selbst zu beschäftigen.« Die Wirtin seufzte. »Seien Sie mir nicht böse, Frau Doktor, aber ich muß sehen, wie ich hier zurechtkomme.«

Hanna nickte. Helfen konnte sie nicht, das sah sie auch ein. »Ich wollte mich eigentlich nur von Swen verabschieden. Er war plötzlich nicht mehr hier.«

»Ich habe ihn hinausgeschickt.« Die Wirtin runzelte die Stirn. »Er war heute sehr unfolgsam. Es ist wirklich an der Zeit, daß er sich selbst beschäftigt. Nicht jeder Gast ist so wie Sie, Frau Doktor. Die meisten wollen ihre Ruhe haben.«

Die Wirtin seufzte. »Es war nett von Ihnen, sich mit Swen zu unterhalten. Er hat behauptet, müde zu sein. Ich werde ihn bald ins Bett bringen.« Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. »Er hat heute kaum etwas gegessen.« Mit einem ärgerlichen Blick bedachte sie ihren Mann. »Es wäre wirklich an der Zeit, daß seine Mutter zurückkommt.«