T wie Trouble - Tim Moore - E-Book

T wie Trouble E-Book

Tim Moore

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Beschreibung

Der »Bill Bryson auf zwei Rädern« unterwegs im Paradies des Automobils: Mit Planetengetriebe, Handgas und 20 PS einmal quer durch die Staaten. Unbeleckt selbst von den einfachsten Grundlagen des Schrauber-Einmaleins macht sich Tim Moore auf, um Trumpland USA in einem originalen, fast einhundert Jahre alten Ford Modell T zu durchqueren, auch bekannt als »Tin Lizzy« oder »Blechliesel«. Ausgestattet mit Getriebebändern aus Baumwolle und einer Art von Menschenverstand, den der amtierende US-Präsident wohl als »neunmalkluge liberale Tommy-Grütze« bezeichnet hätte, führt ihn seine Route ausschließlich durch Landkreise, in denen Trump die Mehrheit geholt hat. Tim Moore begegnet den ganz normalen Leuten, die »America First« gewählt haben. Er trifft Menschen, die sich durch außergewöhnliche Großzügigkeit auszeichnen und Himmel und Erde in Bewegung setzen, damit er seine pannengeplagte Reise in einem bockigen Vehikel fortsetzen kann. Und doch ist dies eindeutig eine Nation im Konflikt mit sich selbst: bis an die Zähne bewaffnet, schwer zuckersüchtig, bibeltreu bis in die grauen oder orangen Haarspitzen… Mit seiner einzigartigen Mischung aus wahrhaft britischem Humor, warmherzigem Interesse für Menschen und ihre Geschichten und unverbesserlicher Bereitschaft zum Risiko lädt Tim Moore uns ein zu einem unvergesslichen Roadtrip durch das Amerika von Donald Trump. Schnallen Sie sich an! - »Der witzigste Reiseautor der Welt« - The Observer - »Urkomisch und oft auch in gleichem Maße beängstigend.« - Nat Barnes, Daily Express - »Wie Der Zauberer von Oz, nur genau andersherum - ein Versuch, den Ursprung dessen zu ergründen, was in Amerika gründlich schiefgelaufen ist... « - Jane Graham, Big Issue

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Seitenzahl: 513

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Tim Moore

T WIE TROUBLE

Mit Fords Tin Lizzydurch Trumps Amerika

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

Die Originalausgabe dieses Buches erschien unter dem Titel »Another Fine Mess.

Across Trumpland in a Ford Model T« bei Yellow Jersey Press, London.

© Tim Moore, 2018

Gemäß UK Copyright, Designs and Patents Act 1988

ist Tim Moore der Urheber dieses Werkes.

Tim Moore:T WIE TROUBLE

Mit Fords Tin Lizzy durch Trumps Amerika

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper

© der deutschsprachigen Ausgabe: Covadonga Verlag, 2019

Covadonga Verlag, Spindelstr. 58, D-33604 Bielefeld

ISBN (Print): 978-3-95726-038-3

ISBN (E-Book): 978-3-95726-040-6

Cover-Illustration: Sam Chivers

Übersichtskarte und Illustrationen im Innenteil: Michael A. Hill

E-Book-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing GmbH, Dortmund, www.readbox.net

Alle Rechte vorbehalten. Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

Besuchen Sie uns im Internet: www.covadonga.de

Für M8 und P8

KAPITEL 1

»Keine Blasphemie. Sag ruhig Kacke und Pisse, so viel du willst, aber niemals Jesus Christus oder Allmächtiger. Das meine ich ernst.«

Ross Lillekers spröder Derbyshire-Tonfall hing bedeutungsschwer im strahlend blauen Virginia-Morgen. »Ach ja, und verkneif dir das F-Wort. Das mögen die hier unten nicht besonders.«

Es war der erste Sonntag im Juli und wir standen vor einem großen weißen Haus in den adrett bewaldeten Vororten von Charlottesville. Hinter uns, in einer zart mit Kiefernnadeln bestreuten Einfahrt, stand ein großes, schlankes schwarzes Kraftfahrzeug von beträchtlichem Alter. Es war eine Weile her, wenn auch eine viel zu kurze, seit Ross dieses gebrechliche Relikt rückwärts aus dem zehn Meter langen Anhänger gefahren hatte, an dem er nun, auf dem Weg zu dem riesigen, gedrungenen Pick-up, der ihn gezogen hatte, erneut vorüberging.

»Denk dran, reichlich Wasser zu trinken, man trocknet echt aus, wenn man solche alten Kisten fährt.« Ross hielt an der Tür des Pick-ups inne. 16 Jahre in Texas hatten seinem unverkennbaren Chesterfield-Akzent nicht viel anhaben können. »Schön. Schätze, das war’s. Ich bin dann mal weg.« Dann zwinkerte er mit seinem guten Auge, demjenigen, das er sich nicht vor ein paar Jahren mit einer Nietpistole herausgeballert hatte, ließ den animalischen Dieselmotor an und tuckerte mit seinem kolossalen Sattelzug davon.

Ich sah ihm nach, bis er hinter einer baumbestandenen Bergkuppe verschwand, und lauschte, wie das Dröhnen dann allmählich verklang und mich mit Vogelgesang und dem fernen Brummen eines Rasenmähers zurückließ. Dieser Pick-up war das männlichste Fahrzeug, in dem ich je gesessen hatte, die Rückbank übersät mit fettverschmierten Schraubenschlüsseln und Kisten voller rasselnder Eisenwaren, von denen ich eine auf unserer Nonstop-Fahrt durch die Nacht tapfer als Kopfkissen zu zweckentfremden versucht hatte. Fünfzehn Stunden zuvor hatte Ross mich vor einem Flughafenmotel in Newark, New Jersey, eingesammelt. Bis dorthin war er bereits mehr als 3.000 Kilometer von Texas aus gefahren, wo er etwas südlich von Houston das große, schlanke schwarze Kraftfahrzeug bei dessen Vorbesitzer abgeholt hatte. Dieser Bob Kirk war 93 Jahre alt, ebenso wie das Auto, das er in den letzten 51 davon besessen hatte: ein 1924er Ford Model T Touring, der nun aus weit auseinanderstehenden, chromblitzenden Augen argwöhnisch auf seinen neuen Halter blickte. »Sieht aus, als würde er gleich anfangen zu reden«, hatte meine Frau gesagt, als ich ihr das Foto zeigte, das Ross mir ein paar Wochen zuvor per Mail geschickt hatte. Möglicherweise würde er genau jetzt damit anfangen: »Hey, Charlottesville! Wollte nur sagen, wie sehr ich mich darauf freue, von diesem verweichlichten Inselaffen quer durch das ganze bekackte Land gejagt zu werden. Kacke und Pisse, Freunde, Kacke und Pisse.«

Unsere Reise würde aufgrund eines bürokratischen Missgeschicks hier beginnen. Manche US-Staaten gestatten es Ausländern, Autos anzumelden, andere, sie zu versichern, aber kein einziger gestattet beides. In meiner Verzweiflung hatte ich mich an Miles gewandt, der in dem großen weißen Haus hinter mir wohnte. Miles, der Lebensgefährte meiner amerikanischen Cousine Patricia, hatte zwei entscheidende Fehler gemacht. Der erste war, bei unserer ersten und einzigen Begegnung, im vorigen Sommer in London, ein Interesse für Oldtimer bekundet zu haben. Sein zweiter war, in Virginia zu leben, sehr nahe der Ostküste, meinem geplanten Startpunkt. Jedenfalls hatten Miles’ anschließende Taten gutgläubigen Edelmuts ihn geradewegs an die Abgründe leichtfertigen blinden Vertrauens geführt. Ich war es gewesen, der dieses uralte Auto für 14.000 Dollar gekauft hatte, aber vor den Augen des Gesetzes und der Versicherungsgesellschaft GEICO gehörte es ihm. Zu lernen, einen Ford T mit souveräner Sicherheit zu fahren, war ein Prozess, der nach übereinstimmender Meinung ein ganzes Jahr oder rund tausend Meilen erforderte, je nachdem, was zuerst eintrat. Jegliches Malheur während meiner langwierigen Lehrzeit würde tiefgreifende negative Auswirkungen auf Miles’ zukünftige Versicherungsperspektiven haben. Und in den Worst-Case-Szenarien, die sich nun reißerisch vor meinem geistigen Auge abspielten, auch auf seine zukünftige Freiheit: ein qualmendes, um eine Bushaltestelle gewickeltes Knäuel alten schwarzen Metalls, unter dem ein Dutzend betagter Beine zuckten; ein großes, schlankes Loch in der Mauer einer Schule.

Wie auch immer, Miles und Patricia waren im Urlaub auf den Bahamas. Ich war von einem halbwüchsigen Neffen ins Haus gelassen worden und mit einem Versicherungsschein und einem Satz Nummernschilder wieder herausgekommen: 286GQ in eckigen Vintage-Lettern, daneben in kleineren Buchstaben der Zusatz »ANTIQUE VEHICLE VA«. Mit trockenen Lippen und flauem Magen beugte ich mich nun hinunter und schraubte sie über Bob Kirks verbeulten Blechschildern an. Hinten, direkt unter dem Ersatzrad, das ans senkrechte Heck des Autos angebracht war, »24FORD TX«. Vorne, hinter der Starterkurbel, die aus dem Kühlergrill herabhing wie ein Thermometer aus dem Mund eines Patienten, sein rühriges Sonderkennzeichen: »Zum Arbeiten zu alt, zum Sterben zu jung, nun sitz’ ich hier mit Muttern rum.«

Das feuchte Gras glitzerte, weitere ungesehene Rasenmäher gesellten sich zur Symphonie und ein paar bezopfte Frauen in fliederfarbenen Leibchen und Shorts joggten geschmeidig vorüber. Dieser Sonntag im Tal der Seligen war die Ruhe vor dem Sturm und ich zog ihn mit einer eingehenden Begutachtung meines betagten Schützlings in die Länge. Der alte Herr Kirk hatte offenbar Schneid. Die Drahtspeichenräder waren in einem dunklen Violett lackiert und eingefasst von aufsehenerregenden Weißwandreifen, die dem kleinen Auto etwas vom Anthill Mob aus Wacky Races verliehen. Verschnörkelte rote Streifen zierten die Türen und die hervorspringenden vorderen Kotflügel. Die schwarze Lackierung war auf Hochglanz poliert und die außenliegenden Chromscheinwerfer blitzten in der Morgensonne. Ebenso der Ford-Schriftzug, der aus dem Kühlergrill einen kecken Grabstein machte.

Meine Habseligkeiten waren in zwei Reisetaschen verstaut. Ich hievte eine auf den Rücksitz und quetschte die andere in das eiserne Gepäckgitter, das an einem der Trittbretter angebracht war und ein wenig an die Falttüren einen alten Fahrstuhls erinnerte. Dann ging ich langsam um das Auto herum und versuchte, mich der zentralen Punkte – naja, überhaupt irgendwelcher Punkte – der kurzen Anleitung zu erinnern, die Ross mir gegeben hatte, bevor er abgefahren war. Als ein Model-T-Fachmann von Weltruf, der selbst etliche monumentale Touren in Vehikeln dieses Typs bestritten und überlebt hatte, war Ross der kompetenteste Lehrmeister, den ich mir hätte wünschen können. Aber während seiner Ausführungen hatten in meinem Kopf die Kräfte von Erschöpfung und überdrehter Panik miteinander gerungen und ich hatte nur sehr wenig behalten. Irgendetwas da unten drunter musste täglich geölt, etwas hier drüben wöchentlich eingefettet werden. Ich klappte die eine Hälfte der Motorhaube auf und blickte angestrengt auf das gusseiserne, rot gummierte Innenleben. Immerhin war nicht viel drin. Die auffälligste Komponente, eine große, auf den Motor geschraubte Metallkaraffe, war die Hupe. Diese gab ein gewaltiges Ahuga! von sich, ein evokatives nostalgisches Röhren, das mir, wie ich bereits jetzt ahnte, in schweren Zeiten Beistand leisten würde. Unzusammenhängende Fetzen von Ross’ Vortrag spulten sinnlos durch meinen Kopf, wie eine verlorene Strophe aus »I am the Walrus«, in der Vokabeln wie Rasenmähervergaser und Bremsbackenstützbolzen wild durcheinandertanzten.

Aufgrund der hinderlichen Präsenz eines aus dem Boden aufragenden Hebels, dessen mannigfache Funktionen ich bald zu erkunden hoffte, hat der Model T keine Fahrertür. In der Touring-Ausführung, wie sie dieses Exemplar verkörperte, gibt es außerdem keine Seiten. Mein Model T war ein dreitüriges aufklappbares Cabriolet, an dem es allerdings nicht viel aufzuklappen gab: Zur Veranschaulichung hatte Ross das eisengerahmte schwarze Segeltuchverdeck zurückgeschlagen, wobei sich aus irgendeiner uralten Falte im Stoff eine verstaubte Sonnenbrille und ein Ohrring lösten. »Sieht nicht so aus, als hätte Bob es oft unten gehabt. Kann ich ihm nicht verdenken, zu dieser Jahreszeit wärst du innerhalb weniger Stunden bei lebendigem Leibe verbrannt.« Wir klappten das Dach wieder hoch und dort beließ ich es fortan auch.

Nun also, mit einem wappnenden Klatschen in die Hände und einem Aufblasen der Backen, entriegelte ich die kleine Metallklappe, die als Beifahrertür diente, stieg auf das Trittbrett und kletterte auf eine Art Chesterfield-Sofa für Arme, das die Sitzbank bildete. Ein bald vertrauter Refrain wurde angestimmt, als ich meinen Platz hinter der senkrechten, geteilten Windschutzscheibe einnahm und meinen Rücken und Hintern in Bob Kirks Holzkugel-Sitzauflage schmiegte. Das behäbige Knarren von Leder und Blattfedern, das sanfte Gluckern des Benzins aus dem 38-Liter-Tank direkt unter mir. Leinwand schürfte meinen Skalp und das hölzerne Lenkrad rieb an meinen Oberschenkeln. Der Model T wies mit geschlossenem Verdeck eine Höhe von mehr als zwei Metern auf, aber die Hälfte davon befand sich unterhalb meiner Füße. Reichlich Bodenfreiheit für die zerfurchten ländlichen Wege, die zu meistern dieses Fahrzeug konzipiert worden war. Das Lenkrad saß mir direkt vor der Brust, und es zu halten, erforderte weit ausgestellte, spitz angewinkelte Ellenbogen. Unten auf dem hölzernen Boden hatten meine Füße Mühe, ein Dickicht aus Pedalen und Hebeln zu bewältigen. Ich saß eine Weile da, mit den Knien am Kinn und gekrümmtem Rücken, eine Haltung, die ich zuletzt bei einem Elternabend einer Grundschule auf einem Kinderstuhl eingenommen hatte. Dies schien mir nicht ganz die optimale Fahrposition für eine transkontinentale Reise zu sein.

Eine letzte Inventur der Informationssysteme meines Model T hielt mich nicht lange auf. Die traditionelle Emphase auf Geschwindigkeit und zurückgelegte Distanz verschmähend, beherbergte das Armaturenbrett eine einzige, zitternde Anzeige, die verriet, ob die Batterie geladen wurde oder nicht. Zu ihrer Linken befanden sich das Zündschloss und der Schalter für die Scheinwerfer. Zu ihrer Rechten eine von Bob Kirks nachträglichen Ergänzungen: ein keckes kleines Thermometer mit einem Kaktus, einer sich aufbäumenden Klapperschlange und dem Wort TEXAS darauf nebst einer dünnen Säule roten Alkohols, derzufolge die Temperatur im Innenraum bereits 85 Grad Fahrenheit, also fast 30 Grad Celsius betrug. Weitere Accessoires von variabler historischer Authentizität waren hier und da verstreut. Ein einzelner runder Rückspiegel, der ans äußere obere Ende der Windschutzscheibe geklemmt war. Eine aus einem alten Truck ausgebaute Blinker-Vorrichtung, bestehend aus einem kleinen Chromstab, der mittels eines Gehäuses an die Lenksäule geklemmt war, das im Betrieb ein schrilles Summen von sich gab. Eine – hüstel – USB-Ladebuchse, die Ross in Eigeninitiative unter dem Armaturenbrett angebracht hatte und in die ich nun das Netzkabel meines Smartphones steckte, dazu eine entsprechende Halterung an der Innenseite der Frontscheibe. Würde ich mein Handy darin einsetzen, würde es mir, zum Preis universalen Spotts, navigatorischen Rat und die aktuelle Geschwindigkeit anzeigen. Die beiden abschließenden Armaturenbrett-Add-ons hatte Ross mit großer Geste präsentiert: »Und hier sind deine Becherhalter.« Streng genommen gab es noch eine Zusatzausstattung mehr: einen silbernen Knopf auf Höhe meines linken Knies. Wie dankbar ich war, dass die meisten Model Ts des Baujahrs 1924 bereits mit einem elektrischen Anlasser ausgestattet waren, wodurch die Handkurbel nur noch im Notfall zum Einsatz kam. Ich drehte den kleinen Blechschlüssel, stellte sämtliche Bedienelemente ein, so gut es eben ging, und senkte meinen klammen, unsicheren Zeigefinger vorsichtig in Richtung des silbernen Knopfs.

Wenn man es genau betrachtet, begann meine Reise nicht in Charlottesville. Sie hatte bereits im November zuvor daheim in Großbritannien begonnen, als meine Frau und ich eines Nachts, die winterliche Morgendämmerung säumte bereits die Gardinen, von einem Tumult auf der Straße geweckt wurden. Unser Sohn, der ein paar Freunde zu einer langen Präsidentschaftswahlnacht vor dem Fernseher eingeladen hatte, war draußen vor der Tür. Wir erkannten ihn an seinem kehligen Bariton, einem Instrument, das uns und unsere Nachbarn nun mit einer ohrenbetäubenden Darbietung von »Star-Spangled Banner« quälte. Es war sein Tonfall, ein offenkundiger, schwer derangierter Sarkasmus, der uns umgehend und grauenvoll klarmachte, dass in dieser Nacht das Unerwartete, das Undenkbare, tatsächlich eingetreten war. »Verkackte Arschgesichter«, brummelte ich und wir lagen im Halbdunkel da, die Hände unter der Bettdecke verschränkt.

Nur fünf Monate waren seit der letzten langen Gruselnacht vergangen, als 48 Prozent von uns unvermittelt in Brexit-Britannien aufgewacht waren und in entsetzter Fassungslosigkeit an unsere Schlafzimmerdecken gestarrt hatten. Diese 52 Prozent – wer waren diese Leute? Was hatten sie sich dabei gedacht? Und warum knallen Sie dieses Buch gerade jetzt in der Buchhandlung wieder ins Regal zurück?

Schließlich, und endlich, zeichnete sich nun eine gute Seite des Brexit ab: Das ungläubige Entsetzen, das meinen Haushalt seit dem Referendum erfasst hatte, diente als eine nützliche Impfung gegen den ausgewachsenen Schrecken eines Präsidenten Donald Trump. Aber der Brexit war nur unser ganz privates Unglück, ein idiotischer Schuss ins eigene Knie. Trump zu wählen hingegen fühlte sich eher so an, als würde man gleich der ganzen Menschheit eine Ladung Schrot ins Gesicht verpassen. Als ein Bürger der freien Welt wollte ich von ganzem Herzen verstehen, warum sein selbsternanntes Wahlvolk diesen notgeilen, grapschenden Narzissten, diesen infantilen Schwachkopf, diesen lächerlichen, orangen Scharlatan soeben zu meinem Anführer erkoren hatte.

Der Brexit erinnerte mich daran, wie sehr mir Europa ans Herz gewachsen war; Trumps erschütternde Wahl unterstrich, wie weit ich mich von Amerika entfernt hatte. Vergessen Sie die besondere Beziehung zwischen Briten und Amerikanern und auch die gemeinsame Sprache. Im Hinblick auf Werte, Kultur, Lebensweise und Anschauung – nennen wir es die Gesamtheit menschlicher Erfahrung – schien ich so viel mehr gemein zu haben mit unseren Verwandten vom Kontinent. Selbst mit den Finnen. Selbst mit den Franzosen. Die Amis waren jetzt die Fremden. Die meisten zumindest. Beziehungsweise nicht ganz die meisten, denn trotz Donalds fortwährendem Geblöke hatte er die Wahl gemessen an der Gesamtbevölkerung um drei Millionen Stimmen verloren. Fast jeder Amerikaner, den ich je kennengelernt hatte, lebte an einer der beiden Küsten, und ich hatte mich mit jedem von ihnen stets prächtig verstanden. Aber wie die Karten zur Wahl, die am nächsten Morgen über die Bildschirme flimmerten, sehr deutlich zeigten, hatten sie nicht für Trump gestimmt. Amerika war praktisch in drei Teile zerschnitten: Zwei schmale Streifen Demokraten-Blau säumten eine breite Schneise Republikaner-Rot, die sich über die gesamte Mitte des Landes erstreckte. Die weitgehend ländlichen »Flyover States« hatten einen Stein durch das Fenster der an der Küste lebenden Großstädter geworfen, hatten sie rüde aufgeweckt, diese herablassenden, arroganten Liberalen, die den Großteil des Landes bestenfalls als grünbraunes Nichts wahrnahmen, das man durch ein Flugzeugfenster betrachtet.

Plötzlich erinnerte ich mich daran, in der New York Times den Bericht über eine fast 5.000 Kilometer lange Motorradreise quer durch Amerikas provinziellen Norden gelesen zu haben, die ein Redakteur der Zeitung ein paar Monate vor der Wahl unternommen hatte. Da die meisten der Staaten, durch die er kam, traditionell republikanisch wählten, schenkte er den Trump-Schildern, die entlang der Straße aufgestellt waren, zunächst nur wenig Beachtung. Aber es waren echt eine ganze Menge – er fing an zu zählen, gab aber bei hundert auf. Und viele davon waren monumentale, liebevoll gestaltete Arbeiten: drei Meter hohe, handgemalte Tafeln und bettlakengroße Flaggen. Ein Mann, der vor seiner Kran-Reparaturwerkstatt ein sieben Meter hohes Trump-Banner von der ausgefahrenen Leiter eines alten Löschfahrzeugs flattern ließ, erklärte stolz, dafür 500 Dollar hingeblättert zu haben. In Thorntown, Indiana, nach 4.000 Kilometern auf der Straße, begegnete der Reporter endlich seinem ersten Hillary-Clinton-Poster, einem herkömmlichen Wahlplakat im A3-Format, das in einen Vorgarten gepflanzt war. »Und ich musste hundert Kilometer mit dem Auto fahren, um es abzuholen«, grummelte der betagte Demokrat, der die Tür öffnete.

Die kleinen Städte, die Ebenen und Prärien, das übersehene, achtlos überflogene Herzland der USA: Hier hatte Trump gewonnen, und zwar gewaltig. Falls ich erfahren wollte, warum – und das wollte ich wirklich gerne –, war dies das Amerika, das ich würde aufsuchen müssen.

Niemand, nicht einmal Donald selbst, hatte es kommen sehen; niemand, am wenigsten er selbst, verstand, was es bedeutete. Als die frappierende Realität schmerzhaft ins Bewusstsein drang, versuchten sich die Berichterstatter an einer Bestandsaufnahme. Der Wahlsieg von Trump markierte nach fast einhelliger Übereinstimmung das Ende einer Ära. 1941 verkündete das Time-Magazin in einem Leitartikel, der die Nation ersuchte, zur Verteidigung der Demokratie in den Zweiten Weltkrieg einzutreten, das »amerikanische Jahrhundert«. Time zeichnete die Vereinigten Staaten als eine fortschrittliche, weltoffene, die Initiative ergreifende Kraft für das globale Gute, den dynamischen Führer des Welthandels, einen internationalen Samariter, der allen Nationen als Beispiel dienen werde, wie man sich zu betragen habe. Diese erhebenden Worte mochten sich in den anschließenden Jahrzehnten nicht immer in entsprechenden Taten niedergeschlagen haben, aber die Absicht war immerhin da. Damit war es nun vorbei. Trump gelobte, Amerikas Zugbrücke hochzuziehen und den Blick der Nation statt in die Zukunft in die Vergangenheit zu richten. »Vor allem aber«, hatte das Time-Magazin seinerzeit überschwänglich deklamiert, »ist uns jenes undefinierbare, unverkennbare Zeichen der Führerschaft zu eigen: Ansehen.« Tja, das war einmal. Das amerikanische Jahrhundert war zu Ende, 25 Jahre zu früh.

Die Schlagzeilen der Fox-freien Welt beklagten ein schmerzlicheres und auch poetischeres Opfer.

»Bedeutet Trump zu wählen, den amerikanischen Traum aufzugeben?«

»Mit Trump im Weißen Haus ist der amerikanische Traum ausgeträumt.«

Ich begann mich zu fragen, was genau diese melodramatischen Nachrufe betrauerten. Viele definierten den amerikanischen Traum als eine simple ökonomische Progression: die Erwartung, ein besseres Leben zu führen, als es die eigenen Eltern taten. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Generation zu Generation – in den USA verlässliche Realität seit hundert Jahren und mehr – war ins Wanken geraten. 94 Prozent der 1940 geborenen Amerikaner verdienten mehr als ihre Eltern; von denjenigen, die 1980 zur Welt kamen, waren es nur noch 50 Prozent. Bei Geringverdienern, dem untersten Einkommenszehntel, war der Rückgang sogar noch gravierender: von 88 Prozent der 1940 geborenen US-Bürger auf 33 Prozent des Jahrgangs 1980. Das Durchschnittseinkommen amerikanischer Haushalte hatte im Jahr 1999 seinen Höchststand erreicht und war danach gesunken. Aber so gerne ich es täte, konnte ich kaum Trump dafür verantwortlich machen: Er war nicht die Ursache dieser Entwicklung, sondern ihre Folge.

Nein, die orangebraune Bremsspur ging zurück auf das Kernprinzip des amerikanischen Traums, den stolzen Egalitarismus, der tief in die DNA des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten eingeschrieben war. »Dieser Traum von einem Land, in dem das Leben besser und reicher und erfüllter für jeden sein soll«, schrieb James Truslow Adams in The Epic of America, jener Abhandlung aus dem Jahr 1931, die diese sinnfällige Redewendung prägte: »Mit Chancen für jeden, je nach Fähigkeit und Leistung … Dies ist der amerikanische Traum, der Millionen Menschen aller Nationen an unsere Küsten gelockt hat.« Mit Anbruch der gespaltenen, polarisierenden, mauerbauenden Dämmerung des Donald ließ sich dies alles nur noch mit einem hohlen Lachen lesen, wobei ich mich allerdings für ein irres Jodeln entschied. Trump hatte es sogar höchstpersönlich gesagt, am Ende seiner berüchtigten Rede, in der er mexikanische Immigranten als Drogenhändler und Vergewaltiger abtat: »Der amerikanische Traum ist leider ausgeträumt.«

In Wahrheit, wie ich nun erfuhr, sehnte sich auch James Truslow Adams damals bereits nach glücklicheren Tagen zurück. Er brachte seine Gedanken inmitten der Depression, der Weltwirtschaftskrise, zu Papier, und seine Worte waren ein retrospektiver Lobgesang auf den goldenen Schlummer, der dem amerikanischen Traum vorausgegangen war. »Wenn wir das heutige Amerika mit dem von 1912 vergleichen, so scheint es, dass wir ein weites Stück zurückgeglitten sind«, schrieb er, bezugnehmend auf das Jahr, in dem die beiden letzten Festlandstaaten sich der Union angeschlossen hatten, somit ein passendes Geburtsjahr für den Traum anführend, der soeben gestorben war.

Ich las weiter, während Adams entschlossen seinen glänzenden neuen Slogan vom »amerikanischen Traum« ausgestaltete und definierte, was dieser bedeutete, indem er hervorhob, was er eben nicht bedeutete. »Es ist kein Traum von materieller Fülle … noch von physischem Komfort und billigen Amüsements … Es ist kein Traum von Kraftfahrzeugen.« Holla, Jimbo. Nun mal halblang. Behalt deine billigen Amüsements, wenn’s denn sein muss, aber mal ernsthaft: Zu behaupten, der amerikanische Traum habe nichts mit Autos zu tun, ist so, als würde man ihm unvermittelt einen Kübel Eiswasser in die friedliche, verschlafene Visage kippen. Fragen sie einen beliebigen Menschen, sich den Traum vorzustellen, und er wird sich ein konsumorientiertes Zauberland mit grünen Wiesen und blauem Himmel ausmalen, dessen Eckpfeiler – Suburbia, Shopping-Mall, Highschool, Familienurlaub – durch Straßen miteinander verbunden sind. Vierrädriges Begehren bildete das Fundament der Kultur, die dem Traum zugrunde lag, und der Arbeitsmoral, die ihn verwirklichte. Wenn man ein Auto wollte und dafür arbeitete, dann bekam man eins. 1964, als Lyndon B. Johnson seinen Krieg gegen die Armut verkündete, waren selbst die rückständigsten Gegenden voller Autos. In den Appalachen besaßen 40 Prozent der ärmsten Einwohner eins und ein Drittel davon war als Neuwagen angeschafft worden. Der Besitz eines Autos war eine Art ungeschriebenes verfassungsmäßiges Recht.

Als die Chinesen Anfang der 1990er Jahre ihr eigenes Wirtschaftswunder ankurbeln wollten, lockerten sie einfach die Beschränkungen, denen der Privatbesitz von Kraftfahrzeugen unterlag. Diese Maßnahme reichte aus, um Millionen junger Menschen aus ländlichen Gebieten in die Städte zu locken. Entwurzelung, Vereinsamung und Jahre seelenloser Plackerei schienen ein kleiner Preis zu sein für einen eigenen fahrbaren Untersatz. 1985 besaßen nur 60 Einwohner von Peking ein Auto. 2000 waren es über eine Million. Selbst 2008, als auf den Straßen der Stadt über drei Millionen Autos fuhren, konnten Erstkäufer kaum an sich halten. »Ich kann es spüren, wenn sie in den Ausstellungsraum kommen«, erzählte damals ein Verkäufer aus Peking der Washington Post. »Die ganze Familie sucht gemeinsam das Auto aus. Die Begierde steht ihnen in die Gesichter geschrieben. Sie nehmen jedes Detail des Autos genau in Augenschein. Nachdem sie es mit nach Hause genommen haben, stehen sie jede Nacht mehrmals auf, um nachzusehen, ob mit dem Wagen alles in Ordnung ist.«

Heute gibt es sechs Millionen Autos in Peking und 163 Millionen in ganz China. Der amerikanische Traum ist mit dem Automobil auf Welttournee gegangen. Und das tat er, weil allgemeiner Kraftfahrzeugbesitz der greifbarste Ausdruck des amerikanischen Traums ist: individuelle Bewegungsfreiheit und sichtbarer Konsum in einem praktischen Paket. Einen kurzen, aber glorreichen Sommer lang, meinen ersten als Ex-Teenager, lebte auch ich diesen Traum.

Es war 1984 und mein Vater hatte den Zuschlag für einen dreimonatigen Auftrag in New York bekommen. Als Ein-Mann-Unternehmen heuerte sein Mikrofilm-Verlag dafür ein Team hartgesottener Söldner an: mich, meine Schwester, ihren Freund und meine Freundin, allesamt Veteranen von Mindata Micropublications beliebtem Dauerbrenner-Spielchen »Stumpfsinnigste Routinetätigkeiten für ein Pfund die Stunde«. Tagsüber saßen wir in einem dunklen Raum irgendwo in Upper Manhattan und drückten mehrere tausend Male die Auslöseknöpfe unserer Bell & Howell Filemaster. Dann nahmen wir die Subway zurück zu unserem Austausch-Apartment in Greenwich Village und versuchten, Baseball zu begreifen, während ein Trupp Kakerlaken sich von unter dem TV-Schränkchen aus auf Patrouille begab. Wir kochten abwechselnd, wobei mein erster Versuch, den zu vergessen mir nie gestattet wurde, darin bestand, in einer Auflaufform Tiefkühl-Zwiebelringe mit einer ganzen Flasche Rosé zu kombinieren. Noch bevor wir eingenickt waren, wurden wir unsanft aus unserem amerikanischen Traum gerissen. Dann in einen alptraumhaften Wachtraum geschleudert, als einigen der größeren Kakerlaken die Gabe schwerfälligen, unberechenbaren Flugs gegeben wurde.

Nach einer Woche begannen mein Vater und ich die Kleinanzeigen zu sichten und bald machten wir uns mit dem Pendelzug auf den Weg hinaus nach Hicksville, Long Island. Wir kehrten, nach Einbruch der Dunkelheit und in einer puckernden Wolke aus Abgasen, auf der ausladenden Sitzbank eines 1970er Oldsmobile Delta 88 Cabrio zurück. Mindatas neuer Firmenwagen war gefühlte sieben Meter breit und 25 Meter lang und hatte eine himmelblaue Lackierung, die weitgehend mit dem Pinsel aufgebracht worden war. Er besaß drei Radkappen und ein Achtspur-Kassettendeck, in dessen Schlitz eine Aufnahme von The Concert Sound of Henry Mancini steckte. Die Beifahrertür war mehr schlecht als recht mittels einer an die Außenseite geschraubten Badezimmerklinke gesichert. Angesichts einer Investition von 350 Dollar stellte das Fahrzeug vielleicht nicht die typischste Spielart aufsehenerregenden Konsums dar, gleichwohl erregte der Wagen zweifellos Aufsehen und, meine Güte, er konsumierte wie nichts Gutes. Im Verlauf der folgenden zehn Wochen verzeichneten wir, meine ich, einen Verbrauch von 30 Litern pro Kilometer.

Unsere Freizeitgestaltung wurde umgehend und auf wunderbare Weise transformiert. Nach Einbruch der Dunkelheit schipperten wir, das schmuddelige weiße Verdeck heruntergelassen und von Mancinis waffenfähiger, das dumpfe Grollen des Wagens übertönender Muzak berieselt, durch Chinatown und Alphabet City, bevor wir an irgendeiner hippen, von Lichterketten beleuchteten Burgerschmiede vorfuhren, »Moon River« an seinem orchestralen Höhepunkt abwürgten und mit großem Getue der Kutsche entstiegen, oftmals mittels eines schwungvollen Satzes aus dem Sitz heraus direkt auf den Gehsteig. Eine Stunde später kamen wir wieder heraus und das Auto war weg. »Hm, kam gerade ’n Abschleppwagen und hat die Karre huckepack genommen, Alter, was soll ich sagen?« Wir lernten es nie. Die Gebühren für das Auslösen kosteten uns mehr als der Wagen selbst.

Jedes Wochenende war ein kleiner Roadtrip, wir fuhren die Ostküste rauf und runter, nach New England hinein und wieder hinaus, bis hinunter nach Virginia. Wir hielten an jedem Garagenflohmarkt, den wir sahen und füllten den riesigen Kofferraum des Oldsmobile, in dem man leicht eine Leiche hätte unterbringen können, mit ironischer Kleidung und ausgedientem Americana-Plunder – alte Diner-Schilder, ein Baseball-Handschuh, die erstaunlichen Rücklichter eines 1950er Mercury, die aussahen wie verkleinerte, aus Chrom und rotem Glas geformte Modelle des Sydney Opera House. Die Sonne schien immer und stets erfüllten Henrys anschwellende Streicher die warme Brise. Summertime und das listening war easy. Das Fahren bisweilen allerdings nicht. Radkappen lösten sich in schöner Regelmäßigkeit von selbst und kollerten fröhlich in die Binsen. In schärferen Linkskurven schwang die Beifahrertür auf und eines Tages, wir fuhren soeben in den Lincoln Tunnel ein, versagten die Bremsen komplett ihren Dienst. Unser Vater holte uns unter heftigem Einsatz von Handbremse und zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgepressten Flüchen irgendwie wieder zurück.

Er war der einzige versicherte Fahrer, was mich dazu zwang, meinen amerikanischen Traum auf privaten Straßen auszuleben. Noch heute werde ich regelmäßig daran erinnert, dass ich, während der Rest der Gruppe loszog, um sich an Thomas Jeffersons Haus oder einer von Frank Lloyd Wrights berühmten architektonischen Schöpfungen zu ergötzen, auf einem Parkplatz von der Größe von Hampshire herumgurkte, den linken Ellenbogen auf eine heiße blaue Tür gestützt. Ich bereue nach wie vor nichts. Selbst bei Schritttempo haftete der Erfahrung etwas Erhabenes und Episches an, ein Gefühl von Initiation: Seht her, ich fahre dieses riesige Auto in diesem riesigen Land. Der Wagen war der unumstrittene Star der Reise. Wann immer ich nachdenklich das »USA 1984«-Fotoalbum meiner Erinnerung aufschlage, taucht der Oldsmobile auf jeder Seite auf. Nur auf dem Cover sieht man leider die Aufnahme jenes Typen mit dem riesigen Afro, der einmal, mit nichts als einem gelben Rucksack bekleidet, auf der Fifth Avenue auf Rollerskates an uns vorbeirauschte.

Eines Samstags fuhren wir hinaus nach Rhode Island und übertrieben es mit den Flohmärkten: Als die Dämmerung über uns hereinbrach, war mein Vater zu müde, um heimzufahren, und zu vernünftig, um drei Motelzimmer zu bezahlen. Wir rumpelten von der Straße auf einen schmalen Feldweg und parkten am Rande eines brachliegenden Ackers. Aber so groß der Oldsmobile auch gewesen sein mochte, er war kein Schlafzimmer für fünf Erwachsene. Nach ein, zwei Stunden gemeinschaftlichen, zappeligen Schnaufens stieß der Freund meiner Schwester eine frustrierte Verwünschung aus, kletterte geräuschvoll aus dem Wagen und legte sich, alle viere von sich gestreckt, auf die Motorhaube. Erstaunlicherweise hörte ich ihn bald darauf schnarchen.

Im zartesten Licht des neuen Tages wankte ich, übernächtigt und von Insektenbissen übersät, durch das knisternde Gesträuch davon, um zu pinkeln. Ich wankte zurück, als hinter mir ein Paar Scheinwerfer langsam die Straße hinaufhüpfte. Ein Motor erstarb, ein Fenster summte herunter und eine Taschenlampe ging an.

»Sir?«

Ich tat mein Bestes, dem sehr ernst wirkenden Polizeibeamten, der nun seinem Wagen entstieg, unsere Situation zu erklären, aber das war von vornherein kein leichtes Unterfangen. Mein zukünftiger Schwager lag bewusstlos auf der Motorhaube, alle viere von sich gestreckt, mit einem schwarzen Lee-Van-Cleef-Hut über dem Gesicht. Es war ein rekordverdächtiger Tag an den vorstädtischen Wühltischen gewesen und als der Beamte zu dem Oldsmobile schritt und hineinblickte, folgte ich dem Strahl seiner Taschenlampe über einen schlafenden Wust aus extravagantem Kitsch und offenen Mündern. Ich erinnere mich an eine Menge Lurex und Fell. Selbst mein Vater, der mit dem Kinn auf der Brust hinter dem Steuer saß, hatte eine orangerot gesäumte Segelmütze auf dem Kopf. Erst jetzt kam mir in den Sinn, die Davy-Crockett-Mütze und die übergroße John-Lennon-Sonnenbrille abzunehmen, die ich nächtens im verzweifelten Versuch aufgesetzt hatte, mir die Mücken vom Leibe zu halten.

Ich habe die Mütze immer noch und auch die Mercury-Rücklichter. Und ein verblassendes Polaroid, auf das ich nur wenige Tage nach Trumps Wahl zufällig in einem Nachtschränkchen stieß. Es zeigt mich, in einem kreischend bunten Hawaiihemd und mit der klapprigen Lennon-Sonnenbrille auf einem Gehsteig in Manhattan, den Arm um eine Ronald-Reagan-Pappfigur gelegt. Wir beide strahlen bis über beide Ohren: Nie sah ich so glücklich aus, neben einem Republikaner zu stehen, insbesondere einem, den umarmen zu dürfen mich soeben fünf Dollar gekostet hatte. 1983 hätte ein findiger Straßenhändler auf jedem Gehsteig des Landes Ronnie aufstellen und damit ein paar Dollar verdienen können. Aber ein Trump-Aufsteller wäre radioaktives Marmite. Vor allem in Manhattan, seiner Heimat, wo mehr als 90 Prozent der Wähler ihr Kreuz woanders gemacht hatten.

Und als ich auf Ronnie und mich blickte, Arm in Arm lächelnd, dachte ich zurück an den Sommer ’84 und jene friedvollen Tage auf offener Straße mit offenem Verdeck, trauerte um meine verlorene Jugend und Amerikas verlorene Gemeinschaft. Ich dachte weiter zurück bis ins Jahr 1912, als der amerikanische Traum geboren wurde. Und eine Mission begann verschwommen Form anzunehmen: ich, gemächlich durch die kleinstädtischen, großflächigen Staaten fahrend, die man heute eigentlich nur noch überflog, diese plötzlich so fremden Außenposten des Trumpland. Die Route legte sich quasi von selbst fest, in Gestalt einer fesselnden Wahlkarte, auf die ich in der Washington Post gestoßen war. Diese teilte die Nation in ihre 3.142 Countys und färbte jedes einzelne entweder Trump-Rot oder Hillary-Blau, je größer die Gefolgschaft in den einzelnen Wahlkreisen, desto kräftiger der Farbton. Ich lud die Karte herunter und druckte sie aus, die blutrote Scharte bemerkend, die die Appalachen und den Mittleren Westen durchzog, sowie den satt braunroten Grat, der sich von Texas aus nordwärts bis zur kanadischen Grenze zog. Bei genauerer Betrachtung stellte ich fest, dass es möglich wäre, ausschließlich durch Trump-wählendes Territorium quer durch die Vereinigten Staaten zu fahren, sofern man bereit war, ein paar Umwege und eine Gesamtstrecke von mehr als 10.000 Kilometern in Kauf zu nehmen, was mehr als dem Doppelten der Luftlinie entsprach. Damit war die Sache gebongt. Ein Roadtrip durch den amerikanischen Traum, von Küste zu Küste und von der Wiege bis zur Bahre. In dem Auto, das ihn damals aus der Taufe gehoben hatte, vor mehr als hundert Sommern.

KAPITEL 2

Zu lernen, wie man einen Ford Model T fährt, ist ein teuflischer, leidvoller und oft angsteinflößender Prozess, der ganz und gar im Widerspruch steht zur heiteren und geflissentlichen äußeren Erscheinung des Autos. Wenn Sie zum ersten Mal hinter dem Steuer eines T sitzen, nehmen Sie sich Zeit, um das vertraute Gefühl des runden Lenkrads vor Ihnen und dessen beruhigende traditionelle Beziehung zu der gewünschten Fahrtrichtung zu genießen. Ich spreche diese Empfehlung aus, weil alles andere, was Sie über das Steuern eines Kraftfahrzeugs gelernt haben – absolut alles – im Begriff ist, vor Ihren entsetzten und traurigen Augen in der Luft zerrissen, mit Füßen getreten und verbrannt zu werden.

Schauen Sie hinab auf Ihre Füße. Dort befinden sich drei Pedale, was auf ermutigende Weise dem Standard zu entsprechen scheint, jedoch trügerisch ist. Das rechte, das Sie ohne Zweifel als das Gaspedal kennengelernt haben, ist die Bremse. Das linke ist die Kupplung, aber freuen Sie sich nicht zu früh. Treten Sie es halb durch und der Wagen befindet sich im Leerlauf. Indem Sie das Pedal auf den Boden durchtreten, wählen Sie den ersten Gang; nehmen Sie den Fuß herunter, schalten Sie in den zweiten. Weitere Vorwärtsgänge gibt es nicht und auch keinen Schalthebel. Willkommen in der Welt von Henry Fords Planetengetriebe: »die automatische Schaltung, die Sie mit den Füßen fahren«. Mittlerweile wird es Sie nicht überraschen zu erfahren, dass das mittlere Pedal, das als Bremse zu schätzen Sie gelernt haben, den Rückwärtsgang einlegt.

Richten wir unsere Aufmerksamkeit nun, mit bereits vor Unbehagen zusammengekniffenen Arschbacken, auf den großen Dampfmaschinen-Hebel, der aus dem Boden aufragt und der sich intim an Ihrem linken Oberschenkel reibt. Sicher ist das eine Handbremse. Aber ja – ja, tatsächlich! Ein bisschen. Allerdings fungiert er gleichzeitig als eine Art behelfsmäßige Kupplung, die als schrullige Parodie ihres per Fuß bedienten Gegenstücks dient. Ganz nach vorne gedrückt aktiviert der Hebel den zweiten Gang. Mittig eingestellt ist der Leerlauf eingelegt, jedoch vermag der Wagen in dieser Position auch im ersten Gang oder rückwärts zu fahren. Den Hebel ganz nach hinten zu ziehen, behält den Leerlauf bei, betätigt die Bremse und treibt zwei angespitzte Bolzen durch das Lenkrad tief in Ihre Handflächen hinein. Es liefe zumindest auf das Gleiche hinaus. Ach ja, und der andere in den Boden eingelassene Hebel, derjenige, an dem Sie sich beim Einsteigen die Nüsse angeditscht haben? Nun, der bedient die Ruckstell-Zweigang-Hinterachse. Fragen Sie nicht, was es damit auf sich hat, ich habe auch keine Ahnung. Hier steht irgendwas von einer »Untersetzungsstufe«.

Nun denn, Sie glauben, es wäre an der Zeit für eine angsteinflößend chaotische Probefahrt? Immer langsam mit den Pferden. Sie wissen ja noch nicht mal, wo das Gaspedal ist. Und Sie werden es auch nicht finden. Sehen Sie die beiden stummeligen Eisenstängel, die beiderseits der Lenksäule hervorstehen, direkt hinter dem Lenkrad? Mit dem rechten geben Sie Gas. Kein Scherz: Sie drücken ihn hinunter, um zu beschleunigen. Und der linke? Dumme Frage, der korrigiert oder hemmt gegebenenfalls die Zündung. Jeder, der weiß, wie Autos funktionieren, wird genau wissen, was das bedeutet. Wäre schön, wenn einer käme und es mir erklären würde.

»Zündung hoch, Gas runter!«

Meine erste Lektion darin, einen Model T zu starten, erhielt ich von James Dean. Jenseits von Eden, inszeniert nach John Steinbecks gleichnamigem Roman, spielte in der frühen T-Ära und enthielt umsichtig eine ganze Szene, die eben dieser Übung gewidmet war und in der Dean und eine Schar von Ensemble-Kollegen die oben genannte Phrase mit manischer Begeisterung skandieren. Da in den Anfangstagen des großen Hollywood-Kinos 15 Millionen Ford Ts vom Band rollten, war es keine Überraschung, sie in unzähligen Produktionen aus der damaligen Zeit auftauchen zu sehen, allerdings verschaffte mir eine entsprechende Sichtung des Materials vor meiner Abreise keinen weiteren praktischen Rat. Die traurige Wahrheit war, dass ein Model T immer nur auf die Leinwand gerollt zu werden schien, um Hohn und Spott über ihn auszugießen. In Es geschah in einer Nacht borgt sich derjunge Clark Gable einen Model T – einen 1924er Touring genau wie meiner – für eine dringende romantische Mission, nur um dann mit anzusehen, wie seine hoffnungslose Schrottmühle von fast jedem anderen Fahrzeug auf der Straße überholt wird. Traurige Posaunen allenthalben. Besagte Szene in Jenseits von Eden drehte sich um das lustige Gewese, das erforderlich war, um einen Model T überhaupt in Gang zu bringen: Nachdem der Zündhebel rauf- und der Gashebel runtergedrückt waren, verblieben nicht weniger als sieben Handlungsschritte, die Jimmy und seine Freunde auszuführen und zu skandieren hatten. Selbst Steinbeck, ein Autor, der sich üblicherweise mit Themen wie am Straßenrand verhungernden Großeltern und der Euthanasie an sanften Riesen mit Lernschwierigkeiten beschäftigte, konnte es sich nicht verkneifen, ein paar billige Lacher auf Kosten des Model T einzuheimsen. Der T besaß etwas – seine Omnipräsenz, seine Trägheit, seine seltsame Vermählung spartanischer Tugenden mit wahnsinnig machend komplexer Bedienung –, was dieses Auto zur unwiderstehlichen Zielscheibe für Hohn und Spott machte. Folgerichtig erwies sich der Model T als wiederkehrendes Requisit in den Slapstick-Werken von Fatty Arbuckle, Buster Keaton und, ganz besonders häufig, Laurel und Hardy. Ich habe mir vor meiner Reise viele davon angesehen. Nicht zuletzt lieferten sie einen nützlichen Leitfaden, welche Miene ich aufzusetzen hätte, sollte mein T mal zwischen zwei Straßenbahnwagen zerquetscht, in einer Sägemühle halbiert oder von einem bodenlosen, schlammgefüllten Schlagloch verschluckt werden.

Doch so hilfreich James Deans Mantra gewiss sein mochte – ich würde es vor meinen ersten paar hundert Startversuchen still anstimmen –, es würde allein nicht reichen. Ich bereitete mich auf eine Fahrt vor, die mehrere Monate in Anspruch nehmen würde, in einem Auto, das zu beherrschen, wie ich gewarnt worden war, ein ganzes Jahr erforderte. Und so tauchte ich wenige Wochen vor meiner Abreise ein in das Model-T-Netzwerk des Vereinigten Königreichs, dessen pulsierende Knotenpunkte hilfreicher Aktivitäten mich bald in Kontakt mit Ross Lilleker brachten, und vereinbarte zwei Probefahrten.

Die erste führte mich auf einen matschigen Bauernhof in Buckinghamshire, in Begleitung von Neil Tuckett, einem Tacheles redenden, altgedienten T-Experten mit grauen Locken, roten Wangen und einem Overall. Die zweite, auf im Abendrot gesprenkelten Alleen im tiefsten Kent, unternahm ich mit Deke Martin und seiner Frau Rachel, die mich in stilechter Garderobe begrüßten: sie mit Glockenhut und im Blümchenkleid, er in Weste und mit Peaky Blinders-Mütze. Abgesehen von dem Großmut, der sie beide auszeichnete, waren Deke und Neil sehr unterschiedliche Charaktere mit sehr unterschiedlichen Autos. Neils Model T (beziehungsweise derjenige, den er aus seiner umfangreichen Flotte für mich auswählte) war ein frühes Modell mit großen Kutschenlampen aus Messing und hölzernen Wagenrädern: zwei Teile Chitty, zwei Teile Bang. Dekes war einer der letzten Ford T, ein gedrungener, dunkelroter 1926er Touring mit Drahtspeichenfelgen.

Zusammen brachten es diese zwei Probefahrten auf vielleicht sechs Kilometer. Aber trotz ihrer Kürze und zahlreichen Kontraste hatten die beiden Erfahrungen viele übereinstimmende Eindrücke hinterlassen. Die scheppernde Explosion des Anlassens, ein einziges Zischen, Rasseln und laterales Beben. Das schmerzhafte Dreschen und Heulen, wenn das Planetengetriebe sich in seine Bänder aus Baumwolle verbiss und ich von der Startlinie ächzte, sogleich abgelöst vom Gefühl unkontrollierbar unsteter Geschwindigkeit. Halsbrecherische Kängurusprünge, gefolgt vom tödlichen Ruck des Abwürgens. Und die unausweichliche, schleichende Angst, dass irgendetwas jederzeit kaputt gehen könnte, hauptsächlich weil in beiden Fällen genau das passiert war. Neil verbrachte seine Zeit auf dem Beifahrersitz damit, beständig mit den ölverschmierten Fingerknöcheln gegen eine an die Spritzwand geschraubte Holzkiste zu klopfen, eine Tätigkeit, die manchmal die darin befindliche Zündspule in Habachtstellung brachte, uns aber auch zweimal stumm ausrollen ließ. Deke hielt während meiner kurzen Schicht am Steuer beständig die Ohren gespitzt und als ich rumpelnd in seinem Obstgarten zum Stillstand kam, sprang er mit einem Satz heraus, klappte die Motorhaube auf und fing an, etwas über verrutschte Bänder zu murmeln. Für eine Strecke von sechs Kilometern schienen das eine Menge Probleme zu sein, vor allem zu Beginn einer Reise, die 1.500-mal länger ausfallen würde.

Und so sprach ich drei Wochen später und einen Ozean entfernt ein stilles Gebet, drückte den silbernen Knopf und zerstörte Virginias Sonntagsruhe mit dröhnendem, spuckendem Geratter. Ein wenig experimentelles Herumspielen mit Gas- und Zündhebel verstärkte die Irrenhaus-Kakophonie zu einer donnernden Doppeldecker-Flugparade, dann, vermittels einer erschütternden Salve lärmender Fehlzündungen, dämpfte es sie zu einem unregelmäßigen Tuckern. Ich wuchtete den Bremshebel nach vorn und pflanzte meinen linken Fuß schwer auf die Kupplung, was die Luft mit protestierendem Klagen erfüllte, als der T die Auffahrt hinabrollte. Wie um alles in der Welt hielt diese uralte Maschine eine so wüste und schädliche Prozedur aus? Und wie sollte ich sie jemals zähmen? Ich drehte das Lenkrad nach rechts und eierte auf der falschen Seite der Straße in den Morgen davon.

Als eine Erzählung von Verzweiflung, Umbruch und spektakulärem Triumph über bittere Not ist die Geschichte von Henry Ford eine Geschichte über das junge, erwachsen werdende Amerika. Geknechtete Massen auf der Flucht – check. Trauer und Verlust – check. Zermürbende Mühsal, ein Übermaß an Kindern, tollkühnes Draufgängertum im beharrlichen Streben nach Glück – check, check, check. Angesichts seiner bescheidenen Herkunft und seines hart erarbeiteten Ruhms könnte man Ford mit Fug und Recht zum repräsentativsten Amerikaner aller Zeiten küren. Und in der Tat habe ich soeben beschlossen, genau dies zu tun.

Henrys irischer Vater William emigrierte im Alter von 21 Jahren aus Cork, in dem Jahr, das als »schwarzes 1847« traurige Berühmtheit erlangte, dem düsteren Höhepunkt der großen Hungersnot, die mehr als eine Million Opfer forderte und fast doppelt so viele Menschen zur Flucht zwang. Williams Mutter kam auf der Reise um, so dass er und sein Vater sich fortan um sechs jüngere Geschwister kümmern mussten. Sie ließen sich in Dearborn unweit von Detroit nieder, bauten eine Holzhütte und fanden eine Anstellung als Hilfsarbeiter beim Ausbau der Michigan Central Railroad. Von einem alten irischen Bekannten erstand die Familie schließlich dreißig Hektar Waldland, das sie mühsam rodete und kultivierte. 1861, drei Jahre nachdem William seinem Vater die Hälfte der Familienfarm abgekauft hatte, heiratete er Mary Litogot, die Adoptivtochter eines ebenfalls irischen Nachbarn. Mary war die Tochter belgischer Auswanderer, die beide in Dearborn gestorben waren, bevor sie drei Jahre alt war: ihre Mutter bei der Niederkunft und ihr Vater, als er ein Gespann Ochsen über den unzureichend zugefrorenen River Rouge führte.

Henry, das älteste Kind von William und Mary, kam 1863 zur Welt, drei Wochen nachdem der Bürgerkrieg mit der Schlacht bei Gettysburg sich zugunsten der Union wendete. Fords Farm begann inzwischen zu florieren. Dank der Nähe zu den Großen Seen und Kanadas gewaltigen natürlichen Ressourcen hatte sich Detroit bereits als Verkehrsknotenpunkt und aufstrebender Industriestandort etabliert, eine Stadt, deren wachsende Bevölkerung – 80.000 im Jahr 1870, davon fast die Hälfte im Ausland geboren – einen immer hungrigeren Markt für das Getreide, Fleisch und Obst der Familie Ford darstellte. Die Farm verdoppelte ihre Größe, weitere Kinder kamen hinzu, und William – inzwischen Friedensrichter und Diakon – baute das Familienheim zu einem Zehn-Zimmer-Bungalow aus, ziemlich stattlich für damalige Verhältnisse.

Wie seinerzeit die meisten Farmerskinder in seinem Alter schuftete Klein-Henry vor und nach der Schule viele Stunden in der Scheune und auf dem Feld. Der Sonntag begann mit einem 13-Kilometer-Marsch zur Kirche und zurück. So sehr er das Landleben Zeit seines Lebens schätzte, nährte diese Routine eine tief verwurzelte Abneigung gegen manuelle und fußläufige Pflichten und eine Fixierung auf deren mechanische Erfüllung. Seine zielstrebige Neugierde auf diesem Gebiet verschaffte ihm bald den Ruf eines tollkühnen Bastlers mit einer besonders eigenwilligen Faszination für die nutzbringende Zügelung von Energie. Eines Nachmittags im Sommer machte er sich daran, einen Bach zu stauen und umzuleiten, um ein kleines Wasserrad anzutreiben, und flutete damit unabsichtlich den Kartoffelacker eines Nachbarn. Um das Potenzial von Dampf zu erforschen, füllte er einen Tontopf mit Wasser, band den Deckel sorgfältig zu und platzierte ihn verstohlen im Kamin des familiären Esszimmers. Die resultierende Explosion zerschmetterte einen Spiegel und ein Fenster und hinterließ auf seiner Stirn eine Narbe, die ihn sein Leben lang zeichnen sollte. Ein späteres und ehrgeizigeres Experiment involvierte ein 40-Liter-Fass, eine selbstgebaute Blechturbine und eine ähnlich gelagerte Katastrophe, die den Zaun des Schulgebäudes niederbrannte und Henry einen weiteren Makel bescherte, diesmal auf der linken Wange, über dessen Herkunft er bis ans Ende seiner Tage spöttisch berichten würde. Mit Hilfe von Korsettstangen und Stricknadeln, die er von seiner nachsichtigen Mutter borgte, nahm er die Taschenuhren der Nachbarn auseinander und baute sie manchmal auch wieder erfolgreich zusammen. Er büßte fast einen Finger ein, als er das Heuschneidegerät seines Vaters unter die Lupe nahm. Und alldieweil hegte er einen tiefen Hass auf landwirtschaftliche Ineffizienz in all ihren Erscheinungsformen. Vor allem das Pferd war ihm ein Gräuel: kränklich, teuer, unzuverlässig, und jedes einzelne eine lebende Erinnerung an die Demütigung, die er einst erlitten hatte, als ein Fohlen ihn, einen Stiefel im Steigbügel verfangen, den ganzen Weg nach Hause hinter sich herschleifte.

»Außer Fressen haben Pferde und Esel nichts in ihren dummen Köpfen«, zeterte der junge Henry in einem Notizbuch, seinem Ärger darüber Luft machend, dass ein Viertel des gesamten Ackerlands in den USA dazu diente, die 25 Millionen Pferde der Nation durchzufüttern. »Und ein totes Pferd lässt sich nicht mit dem Schraubenschlüssel reparieren«, fügte er unverblümt hinzu. (Viele Jahre später, nachdem er eine Million Model Ts verkauft hatte, zückte er seine stets griffbereite Kladde und kritzelte hinein: »Das Pferd ist ERLEDIGT!«)

Aber dieser heimelige, glücklose, pferdehassende Himmel wurde 1876 auf den Kopf gestellt. Zwölf Tage nachdem sie ein totgeborenes Baby zur Welt brachte, das ihr siebtes Kind gewesen wäre, starb Mary. »Ich hegte nie besondere Zuneigung zur Farm als solcher«, erinnerte sich Henry. »Es war die Mutter auf der Farm, die ich liebte.« Doch einen Monat später hatte der dreizehnjährige Henry eine Erscheinung, die eine dauerhafte Ablenkung von seinem Kummer brachte und schließlich die Welt verändern würde. Neben seinem Vater auf der Familienkutsche sitzend, wurde Henry eines klappernden, schnaufenden Radaus gewahr, der sich ein Stück weiter abspielte, und sprang hinab, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Quelle des Tumults war eine dampfbetriebene Lokomobile von Nichols & Shepard, das erste pferdelose Fahrzeug, das er je zu Gesicht bekommen hatte. (Damals waren im »Maisgürtel«, dem Mittleren Westen der USA, mehr als 75.000 dampfbetriebene Dresch- und Erntemaschinen im Einsatz.) Henry schaute ehrfürchtig zu der Maschine auf, dann bombardierte er den Führer mit technischen Fragen. »Diese Begegnung zeigte mir, dass ich vom Instinkt her Ingenieur war«, erinnerte er sich drei Jahrzehnte später recht fade. Als er jedoch dort inmitten des Lärms und der rußigen Schwaden stand, war sein junger Geist erfüllt von den überwältigenden Möglichkeiten eigenständiger, selbstbetriebener Beförderung. Fortan war Henry Ford ein besessener junger Mann. Für den Rest seines Lebens verwahrte er die Fotografie einer dampfbetriebenen Lokomobile an prominenter Stelle, »wo ich sie jeden Tag sehen konnte«.

An diesem Punkt legen wir besser den Finger auf die Vorspultaste und halten ihn dort, schauen zu, wie unscharfe sepiafarbene Gestalten in unterhaltsamer Hast hin und her huschen. Saus, da haben wir den 16-jährigen Henry, der nach Detroit abhaut, um in einer Tramwagenfabrik zu arbeiten. Dann in einer Werft. Dann als Maschinenschlosser-Lehrling. Drei Jahre vergehen und er wetzt wieder heim, wo er für benachbarte Farmer Lokomobile bedient und repariert. Schauen Sie, hier heiratet er Clara Bryant und sie leben auf einer Farm, die sein Dad ihnen überlassen hat. Was hat er vor? Sieht nicht nach Landwirtschaft aus. Nö, er benutzt eine Dampfmaschine, um Holz zu spalten. Zwei Jahre lang. Und jetzt – hui! – flitzt er wieder los, zieht mit Clara nach Detroit, wo er einen Job als Ingenieur bei der Edison Illuminating Company ergattert hat. Plopp! Ihr einziges Kind, Edsel, kommt im November 1893 im neuen Heim der Familie zur Welt. Bumm! Einen Monat später, an Heiligabend, bastelt unser Mann in der Küchenspüle einen kleinen Benzinmotor zusammen, wobei Clara den Brennstoff einträufelt, während Henry – ernsthaft, Alter? – ein Kabel von der Dose der Deckenlampe zur Zündkerze hält. Drei Jahre später stempelt Henry immer noch bei Edison, ist aber auch bis spät in die Nacht in seinem Holzschuppen zugange. Was er da treibt? Och, er baut nur ein Auto. Das sich allerdings – geht’s noch, Hank? – als zu groß erweist, um durch die Schuppentür zu passen, also reißt er kurzerhand die halbe Wand ein, um gegen vier Uhr in der Früh sein benzinbetriebenes Quadricycle auf Jungfernfahrt durch das verschlafene Detroit zu nehmen. Hmmm, sieht ziemlich kacke aus, das Teil, wie ein übergroßer Kinderwagen, der mit einem Kanalbootruder gesteuert wird. Dennoch erregt das Gefährt bald Aufmerksamkeit, und schauen Sie mal, hier wuselt er auch schon mit einem schicken neuen Mantel und einem stattlichen Schnauzbart herum, versteht sich prächtig mit Thomas Edison, dem Bürgermeister von Detroit und einem Haufen anderer einflussreicher Bonzen und Industrieller. Wir schreiben das Jahr 1899 und Henry hat das Elektrizitäts-Unternehmen verlassen, um die neue Detroit Automobile Company zu leiten. Aber seine Geldgeber sind nur auf eine schnelle Mark aus, und wenn wir die Handlung verlangsamen, sehen wir, wie sie die Geduld verlieren mit Henrys Vision eines perfekt ausgereiften Autos, das sich an einen Massenmarkt richtet, der nicht existiert. Binnen zwei Jahren macht der Laden dicht. Henry geht auf die 40 zu und hat bis dahin 23 Autos gebaut. Drücken wir auf Pause, gerade als er sich seinen Schnauzbart abrasiert.

Am hektischen Beginn des Automobilzeitalters hatte es Henry mit der Konkurrenz von 2.500 Neugründungen in den USA zu tun, und in den Hinterhöfen von Detroit tummelten sich mehr Autobauer als in jeder anderen Stadt. Wären die Karten anders gefallen, würden wir heute möglicherweise in Kerosene Surreys oder American Beauties, in Juveniles, Gaylords oder Cuckmobiles herumgondeln. Wie ein wegweisender, aber nicht ganz so nervtötender Richard Branson entschied Henry, dass eine große Geste nötig wäre, um sich und seine Autos von der Masse abzuheben, eine tollkühne Publicity-Aktion. Und so meldete er sich, einmal mehr jenes jugendliche Draufgängertum aufbietend, das ihn fürs Leben gezeichnet und halb Dearborn in Schutt und Asche gelegt hatte, im Herbst 1901 für das erste Autorennen an, das je in Michigan stattgefunden hatte.

Ford war inzwischen nicht mehr der Jüngste und das einzige Fahrzeug, das er mit einer gewissen Regelmäßigkeit gesteuert hatte, war das klapprige Quadricycle, das es in der Spitze auf 35 km/h brachte. Er hatte nur einen einzigen Konkurrenten um das Preisgeld von 1.000 Dollar, aber das war Alexander Winton, der steinreiche Eigner des größten Herstellers benzinbetriebener Autos in den USA und ganz nebenbei auch der berühmteste Rennfahrer der Nation. Dass Henry Ford die Herausforderung annahm, war ein eindringliches Statement, das von seiner Unnachgiebigkeit und seinem grenzenlosen Ehrgeiz kündete – und aus Claras Sicht außerdem ein starrsinnig verantwortungsloses.

Das Rennen, ausgetragen am 10. Oktober in Grosse Pointe, löste in der aufstrebenden »Motor City« große Begeisterung aus. Geschäfte blieben an diesem Tag geschlossen. Gerichte vertagten sich. 8.000 Zuschauer pilgerten zur Rennstrecke, in vollgepackten Straßenbahnen, die alle halbe Minute vom Stadtzentrum aus losfuhren. Doch als die beiden Konkurrenten zur Startlinie rollten, waren die Zuschauer bestürzt angesichts des ungleichen Wettkampfs, der ihnen offenbar bevorstand. Neben Wintons mächtigem, 70 PS starkem Bullet nahm sich Fords gebrechlich anmutender Sweepstakes mit seinem 26-PS-Motor, den Henry mit seinem jungen Kompagnon Ed Huff gebaut hatte, wie eine recht kümmerliche Maschine aus. Huff, ein autodidaktischer Elektroingenieur, der mit Ford arbeitete, seit er 16 war, hatte Sweepstakes mit einem revolutionären Einspritzsystem ausgestattet, für das er Porzellan-Isolatoren verwendete – faktisch die erste moderne Zündkerze –, die ein ansässiger Zahnarzt auf Bestellung aus Keramik angefertigt hatte. Nun aber leistete er einen noch bemerkenswerteren Beitrag: Um an der Zündvorrichtung unterwegs Justierungen vornehmen zu können, verbrachte er das ganze Rennen auf dem Trittbrett. Mit der beherzten und geschickten Anhänglichkeit, die er an diesem Nachmittag unter Beweis stellte, verdiente er sich den Spitznamen, der ihn Zeit seines Lebens begleiten sollte: Spider – die Spinne.

Als die Flagge gesenkt wurde, überraschte es niemanden, dass Bullet sofort einen imposanten Vorsprung herausfuhr. Unbeschwert von relevanter Erfahrung hatte Ford Mühe, seinen Wagen bei hundert km/h in den Kurven zu kontrollieren, was Huff zwang, seine Basteleien an der frischen Luft um dramatische Verlagerungen des Körpergewichts zu ergänzen. Doch nach fünf Runden begann das leichtere Auto die Lücke zu schließen und als Bullet in Runde acht unter Spucken und Stottern überhitzte, zog Sweepstakes vorbei. Als die labile Kombo über die Ziellinie rollte, breitete sich unter den Zuschauern so etwas wie eine Massenhysterie aus. »Die Leute drehten durch«, schrieb Clara erleichtert, aber auch erschrocken an ihren Bruder. »Ein Mann warf seinen Hut in die Höhe und als er herunterfiel, trampelte er darauf herum. Ein anderer Mann musste seine Frau auf den Kopf schlagen, damit sie nicht außer Rand und Band geriet.«

Dem Sieger die Beute. Alexander Winton, der erste Mann, der ein Lenkrad an einem Auto anbrachte, Erbauer des ersten V8-Motors und des ersten präsidialen Motorwagens, ist nicht mehr als eine Fußnote der Automobilgeschichte. Aber mit seinem denkwürdigen Triumph in seinem ersten und letzten Autorennen machte sich Henry Ford einen Namen und die Autos, die diesen Namen tragen würden, weithin bekannt. Mit Geschwindigkeit verkaufte man Autos an die wenigen Reichen, aber bei den Massen im mittleren Marktsegment besaß die »Hase und Schildkröte«- Zuverlässigkeit, mit der sich Sweepstakes durchgesetzt hatte, deutlich mehr Zugkraft. (Nur so aus Jux und Dollerei würde Henry die Nerven seiner Gattin noch ein letztes Mal strapazieren, als er, im Alter von 41 Jahren, vor den Toren Detroits auf dem zugefrorenen Lake St. Clair einen Landgeschwindigkeitsrekord von 147,05 km/h aufstellte.) »Es ist nicht uninteressant«, bemerkte recht trocken eine Zeitungsannonce, »dass der Erbauer und Fahrer dieses Wagens außerdem der Konstrukteur und Erbauer des regulären Ford Runabout ist.« Die Öffentlichkeit blieb sieben Jahre, ein weiteres gescheitertes Unternehmen und neun Modelle von nur langsam steigender Attraktivität bei der Stange, bis Henry Ford und sein Team – allen voran Ed »Spider« Huff – schließlich das selbsternannte »universelle Automobil« vorstellten, das die Welt verändern sollte: den Ford Model T.

KAPITEL 3

Mein Entschluss, eine vollständige Reise von Küste zu Küste zu absolvieren, bedeutete, dass ich von Charlottesville aus zunächst 250 Kilometer zurück zum Atlantik fahren musste, in südöstlicher Richtung, also entgegen der westwärts gerichteten Anziehungskraft des klassischen amerikanischen Roadtrips. Ich kann nicht behaupten, dass mich dieser Umweg sonderlich beunruhigt hätte, denn unvorsichtigerweise hatte ich mir ganz andere Sorgen aufgehalst. In der Tat hatte ich unbekümmert einen weiteren Umweg eingeplant, der mich nach Detroit führen würde – eine Stadt, die den Präsidentschaftskandidaten Trump zwar rundweg abgelehnt hatte, aber unter den gegebenen Umständen nach einer Pilgerfahrt zu verlangen schien.

Nach einer das Nervenkostüm besänftigenden Präambel auf verwaisten Nebenstrecken, während der ich das Fahrzeug gemäß hiesiger Verkehrsregularien rechtsseitig neu ausrichtete, bog ich auf eine Straße ein, die recht bald zu Charlottesvilles vielspuriger Umgehungsstraße anschwoll. Ich hielt das Lenkrad so fest umschlossen, wie es meine glitschigen Handflächen erlaubten, und ordnete mich auf der Kriechspur ein, steif nickend, um das zustimmende Winken und Hupen passierender Autofahrer zu erwidern. Grüne Ampel, grüne Ampel, grüne Ampel. Neil Tucketts oberstes Mantra ging mir durch den Kopf: Wenn du einen T stoppen kannst, kannst du einen T fahren. Grüne Ampel, grüne Ampel, rote Am— KACKE UND VERDAMMTE PISSE. Hoch über mir von einem Gerüst hängend und begleitet von einer gigantischen, blendenden Sonne, erwischte mich das erste Haltegebot auf amerikanischen Straßen völlig auf dem falschen Fuß. Die Vorderräder fast an der weißen Haltelinie, trat ich mit beiden Füßen die Pedale, irgendwelche Pedale, und riss den Handhebel nach oben. Wäre nicht zufällig Sonntag gewesen, wäre dies meine letzte Handlung auf Erden gewesen. Der T huschte über den Asphalt, der Motor knallte und erstarb, und ich kam, in gewagtem Winkel, einen guten halben Meter jenseits des geometrischen Zentrums der sechsspurigen Kreuzung zum Stillstand.

Mit einem dünnen Summen drückte ich den Anlasser. Ka-dunk-a-dunk-a-dunk-a-dunk-a-dunk-a-dunk-a-quieeek. Dann Stille. Ich versuchte es noch einmal und noch einmal. Der Motor wollte einfach nicht anspringen. Noch einmal. Noch einmal. Noch einmal, aber inzwischen mit hörbar schwächer werdender Batterie. Dann tauchte rechter Hand ein extrem großes blaues Objekt mit großer Geschwindigkeit in meinem peripheren Sichtfeld auf, während ein extrem lautes Drucklufthorn durch jede Öffnung meines Kopfes schmetterte.

»Kannich helfn?«

Ich hatte die Augen fest geschlossen, gefasst auf einen letalen Einschlag oder Tod durch Beschämung. Ich öffnete sie und sah in ein sehr rundes und sehr rotes Gesicht, unterstrichen von einem feuchten Lächeln und ergänzt um eine geringe Zahl bräunlicher Zähne. Ich begriff, dass diese Worte ein Hilfsangebot waren, als zwei fleischige Hände den Rahmen der Frontscheibe fassten und anfingen, den Wagen rückwärts aus der Gefahrenzone zu schieben. Während wir langsam von der Kreuzung und auf den Schotter des Seitenstreifens krochen, schlängelte sich, zischend und rumpelnd, ein mehrachsiger blauer Truck langsam vor uns vorbei. Ich dankte meinem Retter, der um mir beizustehen anscheinend seine Pflichten als Verkäufer an einem mit Obst bestückten Tapeziertisch ein Stück weit hinter uns vernachlässigt hatte. »Ihr Auto ist ein altes Auto«, sagte er mit großem Bedacht und ich ahnte, dass sein Nutzen sich womöglich erschöpft haben könnte. Ich öffnete einen Teil der Motorhaube und mir schlug eine beinahe sichtbare Hitzewelle entgegen. Die außerordentliche Befähigung des T-Motors für Wärmestrahlung würde mich immer wieder in Erstaunen versetzen. Es kam einem vor, als wäre Henry eine schreckliche Fehlberechnung unterlaufen und er hätte so durch Zufall den externen Verbrennungsmotor perfektioniert.

Nachdem ich mir drei Fingerspitzen verbrannt hatte und es mir nicht gelungen war, den T durch intensives Anstarren zu reparieren, erinnerte ich mich daran, wie ich unter den exakt gleichen Umständen häufig meinen alten Morris Minor wieder zum Leben erweckt hatte. Demgemäß beflügelt, bückte ich mich, zog meinen rechten Schuh aus und hieb mit der Sohle fest und wiederholt auf alles ein, was aussah, als würde es zum Zündsystem gehören. Dann sprang ich wieder hinein und betätigte den Anlasser. Ka-dunk-a-dunk-a-dunk-a-quockquockquock-quieeek. »’s war wohl nix«, bemerkte mein Assistent, den Rücken einer großen Hand langsam über die Nüstern ziehend. Das Klapperschlangen-Thermometer hatte bereits die 100 überschritten und siedende Ratlosigkeit trieb meinen Beschränktheitspegel in den kritischen Bereich. Ich rief Ross an.

In den anschließenden Stunden arrangierte ich das Innenleben meines Model T und große Teile seiner Karosserie auf dem heißen Asphalt zu einer kreativen Straßenrandinstallation. Als Basisschicht fungierten die abgenutzten Schraubenschlüssel und Schraubendreher aus der Werkzeugkiste, die Bob Kirk auf das Trittbrett an der Beifahrerseite geschraubt hatte. Obenauf und zwischen den beiden Plastikkisten, in denen sie im hinteren Fußraum untergebracht waren, lagen die Ersatzteile und die Ausrüstungsgegenstände, die Ross und Bob als überlebenswichtig für die Reise beigesteuert hatten. Eine Munitionskiste der Armee mit geöffnetem Deckel, die ein Sammelsurium aus Flaschen, Tiegeln und Pappkartons von archaischer Erscheinung preisgab. Ein Haufen kleiner Kaugummi-Döschen mit Beschriftungen wie »SPLINTE« und »ANLASSERTEILE«, die mit Filzstift auf die Deckel gekritzelt waren. Ein 7,5-Liter-Plastikkanister Benzin, ein kleinerer mit Wasser, drei Liter Öl. Ein Bündel Kabelbinder, eine Rolle Klebeband und verschiedene Sprühdosen. Eine Kiste Dichtungen und eine Fußpumpe, die ich unter dem Polster der Rückbank gefunden hatte. Das Polster der Rückbank. Im Staub auf ihren Scharnieren ruhend die Motorhaube, die sich vollständig gelöst hatte, als ich die gegenüberliegende Seitenklappe öffnete. Und darüber gebreitet wie eine von Dalís weichen Uhren die schweren schwarzen Falten eines Reifenschlauchs.

Ich vollzog diese großangelegte Transplantation unter den friedfertigneugierigen Blicken meines Erretters auf der vergeblichen Suche nach einem Spannungsprüfer, den Ross irgendwo im Auto hinterlassen hatte und den ich, wie er mich ermahnte, brauchen würde, um den Prozess der Diagnose durchführen zu können. Ich hatte die Fahndung, nach dem ersten kurzen Telefonat, mit einem recht klaren Bild vor Augen eingeleitet: Demzufolge stellte ich mir das Gerät etwa taschenrechnergroß vor, mit einer Messanzeige und zwei dicken Kontaktstäben. Ich fand diese mir selbst eingegebene Vision so überzeugend, dass ich es nicht für nötig hielt, mir ihre Richtigkeit von Ross bestätigen zu lassen. Nun, bei der Begutachtung meines kleinen Impro-Schrottplatzes, nahm ich eine Neubewertung eines Werkzeugs vor, das unten aus dem Haufen hervorlugte, und rief ihn zurück. »Dieses Prüfding schaut nicht zufällig wie ein Schraubendreher mit einem Kabel an einem Ende aus?«

Das dienliche Vermächtnis dieser Episode bestand darin, Ross schließlich davon überzeugt zu haben, dass meine Bekundungen mechanischer Inkompetenz keineswegs auf falscher Bescheidenheit beruhten. Ich schickte mich wahrhaftig an, ausgestattet mit sehr profunder Unwissenheit ein hilfsbedürftiges, fragiles Relikt knapp 10.000 Kilometer quer durchs Land zu fahren. Als ich zum ersten Mal mit Ross telefonierte, gedachte er, meinen Platz in den Ausläufern mechanischer Basiskompetenz zu verorten, indem er fragte, ob ich jemals einen Zylinderkopf gewechselt hätte. »Tja, du wirst eine Menge Freude haben«, sagte er, als ich dies verneinte. »Auf jeder Reise, die ich mit dem T unternommen habe, gab es Menschen und Autos, die nicht durchkamen.«

Nun hielt ich das Telefon an mein sich rötendes Ohr und erwartete, und verdiente es auch, ein langes Schweigen zu vernehmen, gefolgt von einer genervten Verwünschung und einem abschließenden Klicken. Stattdessen führte mich Ross mit bemerkenswerter Geduld durch die elektromechanische Analyse, dabei seinen Tonfall mitfühlend zu dem eines Notdienst-Mitarbeiters rekalibrierend, der einen Säugling bittet, die Lebenszeichen eines komatösen Elternteils zu evaluieren. Und dann, es chirurgisch zu reanimieren. Denn nun, da ich den Fehler ermittelt hatte, galt es, ihn – mit Ross auf Freisprecher als Souffleur – zu beheben, indem ich den Verteiler auseinandernahm und dann den Zündzeitpunkt mittels einer denkwürdigen Kombination aus verzwickten, winzigsten Justierungen und beherztem, kräftigem Wuchten an der Handkurbel einzustellen. Diese Tätigkeiten entfachten die Neugier meines Gefährten aufs Höchste. Er kam näher heran, senkte seinen großen runden Kopf in den Motorraum und begann zu glucksen.

»Was zur Hölle ist das?«, rief Ross, während ich mit schmutzigen Fingern auf dem Display herumdrückte und vergeblich versuchte, die Lautsprecherfunktion ausfindig zu machen und zu deaktivieren.

»Das ist ein … ich habe hier einen Burschen, der, ähm … klingt es so besser?« Zur Ablenkung schlängelte ich eine Hand ins Auto und drückte den Anlasser, um ein dünnes elektromechanisches Husten auszulösen.

Ka-dunk-a-BRRRRRRACCHHH!