Tacheles glauben - Bernd Beuscher - E-Book

Tacheles glauben E-Book

Bernd Beuscher

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Beschreibung

Sünde": Das bedeutet doch, etwas moralisch Anstößiges, Böses oder Unanständiges zu tun - oder etwa nicht? Worthülsen, Phrasen und Klischees können so manchem wichtigen Kernbegriff des christlichen Glaubens die Tiefenschärfe nehmen. Wie Bernd Beuscher feststellt, gibt es dieses Problem nicht nur in kirchenfernen Kreisen, sondern auch bei Theologiestudenten, Kirchenmitarbeitern und treuen Gottesdienstbesuchern. Mit knappen, pointierten Formulierungen stellt der Autor die bekanntesten Klischees und Missverständnisse auf den Prüfstand und schafft Klarheit in Sachen Gott und die Welt, Himmel und Hölle, Tod und Leben. Dabei ist nicht totes Wissen gefragt, sondern Nachdenken - und Tacheles glauben.

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Seitenzahl: 83

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„Wer bitte kann 500 Jahre nach der Reformation noch Rechtfertigung erklären? Wie soll Blut meine Weste weißwaschen? Was hat ein Lamm mit meinen Schulden zu tun? Warum hat Jesus den Sturm auf den Philippinen nicht gestillt? Was ist der Unterschied zwischen der totalen Überwachung durch die Geheimdienste und Gottes Buchführung? Warum trefft ihr euch jede Woche, um einen Gekreuzigten zu verehren? Was ist Buße? Wie geht beten? Vergebung?“

Hannes Leitlein, „O Gott, was kommt da auf mich zu?“ aus Christ & Welt 49, 2013.

Inhalt

VORWORT„Boh glaubse!“GLAUBENHirn abschalten oder gewagtes LebenABSOLUTHEITSANSPRUCHTotschlagargumente oder tolerante LeidenschaftBEKEHRUNGEntschiedenheit oder BescheidenheitSÜNDEunanständig oder tragischEVANGELIUM Naiv oder gelassen seinWERTETugendterror oder WertschätzungKREUZSadomasochismus oder SympathieBETENkindisch oder kindlichMYTHENrichtig oder wahrWUNDERtricky oder weiseMISSIONBefehlsgehorsam oder sprudelndes LebenDIENENLeistung oder GottesdienstKIRCHEBundesmoralanstalt oder Gleichnis für mehrTEUFELniedlich oder banalHÖLLESchmorbraten oder SelbsterfahrungHIMMELWolke 7 oder „nie zu spät für eine glückliche Kindheit“WARUM?!Grenzerfahrung sucht BeistandNOCH FRAGEN?Alleserklärungen oder Frag-WürdeANMERKUNGEN

Vorwort

„Boh glaubse!“

Der Duisburger Kabarettist und Komiker Uwe Lyko beginnt seine Auftritte als ewig schimpfender und nörgelnder Rentner Herbert Knebel im besten Ruhrpott-Deutsch mit den Worten „Boh glaubse ...“. „Boh glaubse!“, denke auch ich oft, wenn ich mich einerseits über haarsträubende Klischees ärgere, die immer noch zu den Themen Kirche, Gott und Glauben geäußert werden, andererseits aber selber merke, wie schwierig es ist, sich hier angemessen auszudrücken und nicht nur klerikalen Sound zu produzieren.

Dabei besteht ein großes Bedürfnis nach entsprechender Klärung, Bildung und Ausdrucksfähigkeit. Viele empfinden es als peinlich, nicht Rede und Antwort stehen zu können im Blick auf religiöse Fragen. Sie spüren: Floskeln reichen im Ernstfall nicht aus.

„Die Botschaft der Christengemeinde kann verblöden“ (Karl Barth), muss sie aber nicht. Im vorliegenden Buch werden jeweils die gängigsten Klischees angerissen und pointiert zurechtgerückt. Schlüsselbegriffe sind in einem Register am Ende des Buches gesammelt.

Insgesamt habe ich mich bei diesem gewagten Unternehmen an dem Theologen Dietrich Bonhoeffer orientiert, der am 3.8.1944 aus der Haft an seinen Freund Eberhard Bethge schrieb: Manchmal müssen wir „es auch riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“

Duisburg, im Frühjahr 2014Bernd Beuscher

Glauben

Hirn abschalten oder gewagtes Leben

„Wer glaubt, ist unrealistisch, gibt seinen Verstand an der Garderobe ab und macht sich etwas vor ...“

Tacheles

Auch wenn es sich im Deutschen umgangssprachlich so eingebürgert hat: Beim christlichen Glauben geht es nicht darum, an etwas zu glauben. Sondern glauben ist Fachwort für die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben verantworten. An etwas zu glauben, also die Anbetung eines Gegenstandes oder bestimmter Dogmen, bezeichnen die christlichen Überlieferungen dagegen als Götzenglaube.

Das Tragische ist, dass sich das apostolische Glaubensbekenntnis in der üblichen Übersetzung genau in eben dieser bequemen gegenständlichen Form eingebürgert hat. Jeden Sonntag sprechen Millionen von Menschen weltweit diese Sätze im Gottesdienst. So wird mit jedem Sprechen des Glaubensbekenntnisses weniger das Verständnis der anspruchsvollen Inhalte befördert, als auch das Klischee vom Götzenglauben neu eingebrannt: Du musst an Gott, an die Jungfrauengeburt, an die Himmelfahrt glauben usw. Glauben gibt es in der christlichen Religion nur als „live act“, was von Gläubigkeit (Glauben an den Weihnachtsmann, Ufos oder schönes Wetter) zu unterscheiden ist.

Wie schwer ein entsprechendes Umdenken und Umgewöhnen vom „Glauben an“ zum „Glauben live“ ist, wurde deutlich in einer Szene aus dem diesjährigen österlichen „Faktencheck“, den das ZDF zur Strafsache Jesus sendete (→Mythen). Während sich Christoph Markschies als theologischer Experte korrekt zu Wort meldete und lächelnd dem Zuschauer zu denken gab, das alles könne man nicht historisch beweisen, das müsse man glauben, wiederholte das die Nachrichtensprecherin Petra Gerster leutselig und mit Grabesmiene mit den Worten, dass man daran glauben müsse. Und das macht in Ton und Formulierung den entscheidenden Unterschied: hier der Aberglaube an eine sensationelle Reanimation, dort die gewagte Lebenshaltung, dass Gott niemanden liegen lässt.

Es ist im Sinne christlicher Religion theo-logisch nicht sinnvoll, Gott als Ding unter Gegenständen zu verhandeln. Gott passt nicht zusammen mit anderen Objekten wie Weihnachtsmännern, Ufos oder Aliens. Und jeder, der schon einmal Weihnachten gefeiert hat, müsste es eigentlich wissen: Christen glauben gerade nicht an ein „überirdisches“ Wesen – das ist doch die Pointe! Gott bezeichnet nicht den Gegenstand meiner Verehrung (oder Verleugnung), auch nicht die Instanz moralischer Instruktion, sondern Gott ist die kürzeste Form für die Erzählung meines Lebensbezugspunktes. Es geht darum, wem ich meine Hoffnung, meine Ängste, mein Geschick, mein Leben, den Tag und den Moment widme.

Glauben meint nicht das Wunschkonzert unserer Bedürfnisse und Gott nicht das Klavier, auf dem es gespielt wird. Ein Blick in die biblischen Geschichten zeigt: Für Glauben und Gott gilt im Kontext der christlichen Religion nicht nur das Wortfeld: Trost, Halt, Geborgenheit, Heimat, Grund, Beruhigung, sondern mindestens ebenso: Fremdsein, Heimatlosigkeit, Suche, Verunsicherung, Aufbruch, Unruhe, Geduld, Passion.

Das hat damit zu tun, dass die christliche Religion ihre Kraft nicht dadurch entfaltet, dass sie das eine gegen das andere ausspielt. Sie sichert nicht das Leben gegen den Tod und Einheit gegen Trennung, Halt gegen Haltlosigkeit und Norm gegen Orientierungslosigkeit, Stärke gegen Schwäche oder Allmacht gegen Ohnmacht. Sondern hier wird den Prozessen des Vertrautwerdens und Fremdwerdens getraut, der Bewegung des Annäherns und Weggehens. Glauben heißt, in diesen Lebensprozessen eine Beziehungskraft wahrzunehmen, die das Leben trägt.1

Weil alle Menschen einmal „dran glauben müssen“, müssen alle Menschen glauben. Beim Glauben geht es also um die Lebenswette. Die (Glaubens-)Frage lautet für alle Menschen gleich: „Worauf setzt du im Leben und im Sterben?“ Ein Fußballklub aus dem Revier hat das verstanden, als er unter den Namen seines Vereins den Slogan setzte „Wir leben dich.“ Damit soll zum Ausdruck kommen, dass es um mehr geht als um eine Vereinsmitgliedschaft und ein Hobby. Der Club will die alles bestimmende und lebensbeherrschende Rolle spielen.

„Worauf setzt du im Leben und im Sterben?“ Die Antworten können auch lauten: „Geld“, „Nationalität“, „Anstand“, „Frömmigkeit“, „Schönheit“, „Gesundheit“, „Umweltschutz“ u.v.m. Christen setzen im Leben und Sterben auf das, was mit dem Wort →Evangelium abgekürzt wird.

Der Atheist macht mit dem Glauben an die Nicht-Existenz Gottes dasselbe wie der, der an die Existenz Gottes glaubt. Auch wer nicht glaubt, glaubt. „Man stellt die Gottesfrage nicht einfach nicht.“ (Norbert Bolz) Mit dem Glauben an die Nicht-Existenz Gottes versucht der Atheist sich Gewissheit zu verschaffen, indem er sich selbst von der Irrelevanz des Gottesproblems überzeugt. Auch Atheisten hoffen auf Erlösung und Ruhe. Wer könnte das nicht nachvollziehen: Am liebsten würden wir nicht glauben – Gott soll lieber tot sein –, in der Illusion, dass man dieses Thema dann endlich ganz unter Kontrolle hätte. Jedoch können Atheisten zwar die Antworten des Glaubens negieren, aber nicht die Fragen.

Zivilreligion ist Glauben an Anstand. Atheismus ist Glaube an den Unglauben. Christsein ist Glaubenswagnis live.

Ein Agnostiker glaubt, dass er nichts weiß, ein Atheist glaubt zu wissen, dass er nichts glaubt, und ein Christ weiß, dass wir immer schon alle dran glauben müssen und denkt gründlich darüber nach.

→ Worauf setzen Sie im Leben und im Sterben?

Absolutheitsanspruch

Totschlagargumente oder tolerante Leidenschaft

„Echter, ernstgemeinter Glaube muss alles daran setzen, Andersgläubige oder „Ungläubige“ von der alleinigen Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen. Sonst wäre ja alles egal …“

Tacheles

Christen glauben nicht an ihren Glauben, sondern →glauben: Sie setzen im Leben und Sterben auf das →Evangelium.

„Glauben an den eigenen Glauben“ ist Fundamentalismus. Fundamentalismus hat eine beneidenswerte Unerschütterlichkeit. Elias Canetti sprach da vom „Gottprotz“: „Der Gottprotz muss sich nie fragen, was richtig ist, er schlägt es nach im Buch der Bücher. Da findet er alles, was er braucht ... Was immer er unternehmen will, Gott unterschreibt es.“2

Dieser Fundamentalismus ist im Christentum allein schon deshalb Unsinn, weil die Bibel aus vielen Büchern besteht, die vielstimmig sind und oftmals die gleiche Begebenheit in Variation erzählen (→Mythen). Sogar „das Evangelium“ gibt es in vierfacher Version (benannt als Matthäus-, Markus-, Lukas- und Johannes-Evangelium). Es handelt sich bei den biblischen Geschichten nicht um die Übersetzung eines vorgefundenen Urtextes, sondern um ursprünglich mündlich überlieferte Erzählungen, um einen Kanon daraus entstandener vielfach bearbeiteter und übersetzter Texte.

Bei fundamentalistischer „Strenggläubigkeit“ liegt die Betonung mehr auf der Anstrengung als auf dem Glauben. Der Grad der Anstrengung ist oft leicht erkennbar an einer Inflation der Selbstzuschreibungen: Christ; gläubiger Christ; echter gläubiger Christ; bekehrter echter gläubiger Christ; wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ; bibeltreuer, wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ; praktizierender, bibeltreuer, wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ ...: Uff!

Forest Whitaker setzte bei seiner Oscar-Preisverleihung in Hollywood genau entgegengesetzt zum Gottprotz an. Er beschwor nicht stolz seine Glaubensleistungsfähigkeit, sondern sagte: „Ich danke Gott dafür, dass er immer an mich geglaubt hat.“ Das ist genial anti-fundamentalistisch.

Erst wenn →Glauben als existenzieller Akt verstanden wird, bekommen auch Zweifel und Leidenschaft eine sinnvolle Rolle und es wird bewusst, dass Absolutheitsansprüche problematisch sind, gerade wenn einem nicht alles egal ist. Damit meine Herzensbindung sich nicht totalitär auswirkt, muss ein Einspruch möglich sein.

Die Traditionen erzählen eindrücklich, dass und wie der Glaube Jesu immer wieder und bis zum Ende voller Zweifel und Anfechtung war. Vom tatkräftigen Petrus wird geschildert, wie er Jesus schließlich dreimal verleugnet. Und in keinem der Evangelien findet sich ein Hinweis darauf, dass auch nur einer seiner Jünger Jesus in seiner dunkelsten Stunde beigestanden hätte. Nur drei Frauen standen zu ihm am Fuße des Kreuzes, was für die damalige Zeit noch peinlicher war, als heroisch alleine zu sterben.

Es ist darum in der christlichen Religion der leise Zweifel des Glaubens, ohne den er nicht sinnvoll glauben kann. Denn je fanatischer sich eine Wahrheitsentscheidung gebärdet, umso fragwürdiger wird sie hinsichtlich des verdrängten Zweifels.