Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski - Rita anonym um 1900 - E-Book

Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski E-Book

Rita anonym um 1900

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Beschreibung

Klappentext Band 129e Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 Die anonyme 11- bis 14jährige Schülerin eines Lyzeums in Wien aus gutbürgerlichem Milieu schrieb etwa um 1902 ein Tagebuch. Sie zeichnete darin ein Bild einer blühenden Zeitepoche des österreichischen Kaiserreiches, in der die Vertreter des Adels, der Offiziere und des Bürgertums in sattem Wohlstand lebten. Es war damals jedoch eine überaus prüde Gesellschaft. Kinder in der Pubertät wuchsen ohne jede Sexualaufklärung auf. Besonders Mädchen waren im Hinblick auf Menstruation, Erotik, Sexualität, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft oft hilflos sich selbst überlassen. Daher war auch Sigmund Freud von diesen Texten sehr angetan, stieß er doch bei seinen psychotherapeutischen Bemühungen überall auf diese Prüderie als Ursache für psychische Erkrankungen. - Rezension zur maritimen gelben Reihe: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Rita anonym um 1900

Tagebuch eines österreichischen Mädchens um 1901 - Band 129 in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

Band 129 in der gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens um 1902

Geleitwort der Herausgeberin 1919

Im Alter von 11 bis 12 Jahren

Januar 1901

Im Alter von 12 bis 13 Jahren

Januar 1902

Januar 1903

Letztes Halbjahr - Im Alter von 14 bis 14 ½ Jahren

Zum Ausgang

Die gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere. Inzwischen habe ich gut 130 Buchbände gestaltet, überwiegend mit maritimem Hintergrund.

Mein Beruf bringt es mit sich, dass mich sozialpädagogische und psychologische Themen sehr interessieren. Darum habe auch dieses Tagebuch einer Schülerin zur Neuveröffentlichung aufgegriffen.

Die anonyme 11- bis 14jährige österreichische Autorin aus gutbürgerlichem Milieu schrieb etwa um 1902. Es war eine überaus prüde Gesellschaft ohne jede Sexualaufklärung für Kinder in der Pubertät. Daher war auch Sigmund Freud von diesen Texten sehr angetan, stieß er doch bei seinen psychotherapeutischen Bemühungen überall auf diese Prüderie.

Hamburg, 2020 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers. Hier entstehen seine Bücher und Webseiten.

* * *

Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens um 1902

Die anonyme 11- bis 14jährige Schülerin eines Lyzeums in Wien aus gutbürgerlichem Milieu schrieb etwa um 1902 ein Tagebuch. Sie zeichnete darin ein Bild einer blühenden Zeitepoche des österreichischen Kaiserreiches, in der die Vertreter des Adels, der Offiziere und des Bürgertums in sattem Wohlstand lebten. Es war damals jedoch eine überaus prüde Gesellschaft. Kinder in der Pubertät wuchsen ohne jede Sexualaufklärung auf. Besonders Mädchen waren im Hinblick auf Menstruation, Erotik, Sexualität, Geschlechtskrankheiten und Schwangerschaft oft hilflos sich selbst überlassen. Daher war auch Sigmund Freud von diesen Texten sehr angetan, stieß er doch bei seinen psychotherapeutischen Bemühungen überall auf diese Prüderie als Ursache für psychische Erkrankungen.

Original:

https://www.projekt-gutenberg.org/anonymus/halbwuch/titlepage.html

Geleitwort der Herausgeberin 1919

Geleitwort der Herausgeberin 1919

In den vorliegenden Blättern gelangen die Aufzeichnungen eines halbflüggen Mädchens aus vornehm-bürgerlicher Familie zur Veröffentlichung. Ich weiß ihnen kein schöneres Geleite zu geben als die Worte, in die Herr Professor Dr. Freud ihren Wert als Kulturdenkmal unserer Zeit in seinem Brief an mich vom 27. April 1915 fasste:

„Das Tagebuch ist ein kleines Juwel. Wirklich, ich glaube, noch niemals hat man in solcher Klarheit und Wahrhaftigkeit in die Seelenregungen hineinblicken können, welche die Entwicklung des Mädchens unserer Gesellschafts- und Kulturstufe in den Jahren der Vorpubertät kennzeichnen. Wie die Gefühle aus dem kindlich Egoistischen hervorwachsen, bis sie die soziale Reife erreichen, wie die Beziehungen zu Eltern und Geschwistern zuerst aussehen und dann allmählich an Ernst und Innigkeit gewinnen, wie Freundschaften angesponnen und verlassen werden, die Zärtlichkeit nach ihren ersten Objekten tastet, und vor allem, wie das Geheimnis des Geschlechtslebens erst verschwommen auftaucht, um dann von der kindlichen Seele ganz Besitz zu nehmen, wie dieses Kind unter dem Bewusstsein seines geheimen Wissens Schaden leidet und ihn allmählich überwindet, das ist so reizend, natürlich und doch so ernsthaft in diesen kunstlosen Aufzeichnungen zum Ausdruck gekommen, dass es Erziehern und Psychologen das höchste Interesse einflößen muss.

... Ich meine, Sie sind verpflichtet, das Tagebuch der Öffentlichkeit zu übergeben. Meine Leser werden Ihnen dafür dankbar sein ...“

Bei der Herausgabe dieser Blätter wurde nichts beschönigt, nichts dazugetan oder weggelassen. Die Änderungen beziehen sich einzig auf die Unkenntlichmachung der Personen durch die Wahl anderer Orts-, Familien- und Vornamen, durch die Verwischung all dessen, was Eingeweihte auf die Spur der Schreiberin führen könnte. Damit erfülle ich den Wunsch der Eignerin des Tagebuches, die mir diese Aufzeichnungen zu freier Verwendung im Dienste der Wissenschaft überließ.

Es wurden auch die kleinen Unebenheiten des Stiles und Verstöße gegen die Rechtschreibung beibehalten. Denn sie sind zum überwiegenden Teil nicht als Ausdruck kindlicher Unbeholfenheit in der Beherrschung des Wortes zu betrachten, sondern als Äußerungen affektuöser Strömungen, als echte Fehlleistungen aus dem Wirken des Unbewussten zu werten.

Wien, im Herbst 1919.Die Herausgeberin.

* * *

Im Alter von 11 bis 12 Jahren

Im Alter von 11 bis 12 Jahren

12. Juli 1900(?): Die Hella und ich schreiben jetzt ein Tagebuch. Wir haben uns vorgenommen, wenn wir ins Lyzeum aufgenommen werden, alle Tage ein Tagebuch zu führen. Die Dora schreibt auch ein Tagebuch, aber sie ärgert sich furchtbar, wenn ich es sehe. Ich nenne die Helene Hella und sie nennt mich Rita; Helene und Grete ist so furchtbar gewöhnlich. Die Dora nennt sich seit neuestem Thea; ich sage aber doch wie immer Dora. Sie behauptet für so kleine Kinder (damit meint sie mich und die Hella) passt überhaupt noch gar kein Tagebuch. Und was da für Unsinn drin stehen wird. Auch nicht mehr als in den ihren und Lizzi ihrem.

13. Juli: Eigentlich sollten wir erst nach die Ferien anfangen zu schreiben, aber weil wir beide wegfahren, so beginnen wir schon jetzt. Damit wir wissen, was wir in die Ferien erlebt haben.

Also vorgestern haben wir Aufnahmeprüfung gemacht, es war sehr leicht, im Diktat habe ich nur 1 Fehler gemacht in ohne h. Das Fräulein hat gesagt, das macht nichts, ich hab mich nur geirrt. Das ist auch wahr, denn ich weiß recht gut, dass man ihn mit h schreibt. Wir waren beide weiß angezogen mit den rosa Maschen und alle haben geglaubt, wir sind Schwestern oder wenigstens Kusinen. So eine Kusine ließ ich mir schon gefallen. Aber als Freundin ist es noch besser, der kann man alles anvertrauen.

14. Juli: Unser Fräulein war sehr lieb. Wegen ihr ist mir und der Hella eigentlich leid, dass wir nicht in die Bürgerschule gehen. Denn da hätten wir alle Tage vor der Schule zu ihr in die Klasse hinunter gehen können. Wegen der anderen Kinder ist es uns aber recht. Man ist doch mehr, wenn man ins Lyzeum geht als bloß in die Bürgerschule. Und darum ärgern sich auch die Kinder furchtbar.  Sie bersten vor Neid, (das sagt meine Schwester von mir und der Hella, aber es ist nicht wahr.)  Unsere beiden Studentinnen hat das Fräulein gesagt, wie wir uns verabschiedet haben. Wir sollen ihr bestimmt schreiben am Land. Ich tue es auch.

15. Juli: Die Lizzi, der Hella ihre Schwester, ist nie so gemein wie die Dora, die ist immer so nett! Heute schenkte sie uns jeder mindestens zehn Praliné. Die Hella sagt zwar oft zu mir: „Du kennst sie nicht, wie sie sein kann. Zu mir ist Deine Schwester auch gewöhnlich sehr lieb.“ Natürlich, das ist sehr lieb, wenn sie immer von uns die Kleinen oder die Kinder sagt, als ob sie nie ein Kind gewesen wäre, und zwar noch ein viel kleineres, als wir jetzt sind. Übrigens jetzt sind wir dasselbe wie sie. Sie geht halt in die Vierte Klasse und wir in die Erste.

Morgen fahren wir nach Tirol, nach Kaltenbach. Ich freue mich schon riesig. Die Hella ist heute gefahren, nach Ungarn zu ihrem Onkel und ihrer Tante mit ihrer Mama und der Lizzi. Und ihr Papa ist in die Manöver.

19. Juli: In die Ferien ist es sehr schwer, alle Tage zu schreiben. Es ist einem alles so neu und man hat keine Ruhe zum Schreiben. Wir wohnen in einer großartigen Villa im Wald. Aber den Platz vor dem Haus, den hat die Dora gleich für sich genommen zum Schreiben. Und rückwärts sind so grässlich viele ganz kleine Fliegen; da ist alles schwarz vor Fliegen. Vor Fliegen und solchen Tieren graust 's mir. Wegen des vorderen Platzes lasse ich mir diese Verdrängung auf keinen Fall gefallen. Das gibt's nicht, das hat auch der Papa gesagt: „Kinder, streitet nicht!“ ( Kinder auch zu ihr!!) Das ist schon recht, weil sie sich gar so viel einbildet, dass sie im Oktober vierzehn wird. „Die Plätze gehören ja allen und jedem,“ hat der Papa gesagt. Das ist wahr, der Papa ist immer gerecht, nie gibt er der Dora Recht, während die Mama schon öfters die Dora bevorzugt. Heute schreibe ich an die Hella. Sie hat mir übrigens auch noch nicht geschrieben.

21. Juli: Die Hella hat mir geschrieben, 4 Seiten lang und so lieb. Wenn ich sie nicht hätte! Vielleicht kommt sie im August zu mir oder ich zu ihr, das wäre beinahe besser. Ich mache gern Besuche auf lange. Der Papa hat gesagt: „Na, wir werden schon sehen“, also da erlaubt er es bestimmt. Wenn die Eltern sagen, wir werden schon sehen, heißt das immer ja; aber sie wollen es nicht direkt sagen, damit, wenn es doch nicht geht, die Kinder ihnen keinen Vorwurf machen können, dass sie ihr Wort nicht halten. Der Papa täte überhaupt alles erlauben, aber die Mama. Na, wenn ich öfters Klavier übe, wird sie es vielleicht schon erlauben. Ich muss spazieren gehen.

22. Juli: Ich muss mich zwingen, hat die Hella geschrieben, jeden Tag zu schreiben, denn einen Schwur muss man halten und wir haben es geschworen, jeden Tag zu schreiben. Ich …

23. Juli: Es ist grässlich, man hat keine Ruhe. Gestern wie ich schreiben will, wird aufgeräumt und in der Laube war die D... vor der schreib ich absolut nicht und am offenen Platz vorn sind mir die Blätter weggeflogen. Wir schreiben nämlich auf lose Blätter. Die Hella meint, es ist besser, weil man nichts herausreißen braucht. Aber wir haben einander geschworen, dass wir nichts wegwerfen und zerreißen. Und warum denn? Vor einer Freundin kann man alles sagen. Das wäre eine schöne Freundschaft. Wie ich gestern zuerst doch in die Laube komme, schaut die Dora mich mit einem infamen Blick an und fragt: Du wünschest? Als ob die Laube ihr allein gehörte, überhaupt, wo sie zuerst den Platz vorn wollte. Das ist wirklich eine Gemeinheit.

Gestern nachmittags waren wir auf dem Kobler-Kogel. Es war sehr schön. Denn der Papa war sehr lustig und wir haben uns mit Tannenzapfen beworfen. Das war lustig. Der Dora habe ich einen auf ihren ausgestopften B... geworfen, da hat sie furchtbar aufgeschrien und ich habe ganz laut gesagt: Das spürst du ja gar nicht. Im Vorbeigehen hat sie gesagt: Fratz! Aber das macht nichts, wenigstens weiß ich, dass sie es verstanden hat und dass es wahr ist. Ich möchte wissen, was sie alle Tage der Erika zu schreiben hat und was sie eigentlich in ihr Tagebuch schreibt. Der Mama war nicht gut und da ist sie zuhause geblieben.

24. Juli: Heute ist Sonntag. Den Sonntag habe ich besonders gern. Der Papa sagt zwar: Kinder, ihr habt ja alle Tage Sonntag. In den Ferien ist es wahr, aber sonst haben wir gar nicht alle Tage Sonntag. Die Bauern sind alle in ihren Kostümen und die Bäuerinnen und Kinder auch, ganz so wie im Theater.

Wir haben heute die weißen Kleider an und ich habe mir einen großen Kirschenfleck hineingemacht, aber unabsichtlich, weil ich mich auf verfaulte Kirschen gesetzt habe. Jetzt muss ich nachmittags zum Spazierengehen doch das rosa Kleid anziehen. Das ist mir ganz recht, ich habe nicht gerne dasselbe Kleid an, wie die Dora. Niemand braucht gleich wissen, dass wir Schwestern sind. So kann man glauben, wir sind bloß Kusinen. Sie kann es übrigens auch nicht leiden, warum, möchte ich wissen? In 8 Tagen kommt der Oswald, da freue ich mich schon riesig. Der ist doch noch älter als die Dora, aber mit ihm vertrage ich mich immer. Die Hella hat mir geschrieben, dass sie sich langweilt ohne mich; ich mich auch.

25. Juli: Heute schrieb ich an das Fräulein Prückl. Sie ist in Achensee. Ich möchte sie sehr gerne sehen. Nachmittag gehen wir alle Tage kalt baden und spazieren. Aber heute regnet es schon den ganzen Tag. Das ist fad. Ich habe meine Farben zum Malen vergessen und lesen darf ich nicht den ganzen Tag. Die Mama sagt, wenn du jetzt alles verschlingst, hast du dann gar nichts mehr. Das ist wahr, aber nicht einmal schaukeln kann ich gehen.

Nachmittag: Das muss ich extra schreiben. Ich habe einen furchtbaren Streit mit der Dora gehabt. Sie behauptet, ich stöbere in ihren Sachen herum. Weil sie keine Ordnung hat. Ich möchte wissen, was mich ihre Sachen interessieren sollen. Ihren Brief an die Erika hat sie gestern selber am Tisch liegen lassen und da habe ich weiter nichts gelesen, als: Er ist göttlich schön. Wer, das weiß ich nicht einmal. Aber da kam sie schon bei der Tür herein. Wahrscheinlich der Krail Rudi, ihr Partner beim Tennisspielen, mit dem macht sie furchtbare Geschichten. Aber schön, na Geschmacksache!

26. Juli: Es ist doch ganz gut, dass ich mir den Puppenkoffer mitgenommen habe. Eigentlich hat die Mama gesagt: Nimm ihn nur für Regenwetter. Also spielen tu ich ja natürlich längst nicht mehr; aber schließlich Kleider nähen, das kann man schon tun mit 11 Jahren; man lernt ja auch gleich dabei etwas. Und wenn etwas fertig ist, macht‘s mir riesige Freude. Die Mama schneidet mir die Sachen zu und ich nähe sie ganz leicht zusammen. Da kommt die Dora ins Zimmer und sagt: Ach, die Kleine näht Puppensachen. Eine solche Frechheit, als ob sie nie mit Puppen gespielt hätte. Und dann von Spielen ist bei mir doch überhaupt keine Rede. Wie sie sich neben mich niedersetzt, fahre ich mit der Nadel so stark aus, dass ich ihr einen Riesenkratzer auf der Hand mache und sage: O Pardon, du bist mir leider zu nahe gekommen. Den Sinn wird sie hoffentlich verstanden haben. Natürlich wird sie es der Mama klatschen. Soll sie. Was hat sie mich denn Kleine zu nennen. Und den roten Kratzer hat sie doch, noch dazu auf der rechten Hand, wo ihn jedes sieht.

27. Juli: Wir haben hier sehr viel Obst. Den ganzen Tag sitz ich bei den Stachelbeeren und Himbeeren und die Mama sagt, darum esse ich nichts zu Mittag. Der Doktor Klein sagt doch immer, Obst ist so gesund; also warum denn auf einmal nicht? Die Hella sagt auch immer, das, was man gern tut und hat, da drüber wird so lange geschimpft, bis es einem zuwider wird. Und die Hella ärgert sich auch oft furchtbar über ihre Mama, und ihre Mama sagt: Da opfert man sich auf für seine Kinder und die lohnen es mit Undank. Na also aufopfern, ich möchte wissen, wieso. Eher müssen die Kinder sich opfern. Denn wenn ich Stachelbeeren essen will und nicht darf, so ist das ein Opfer von mir und nicht von der Mama. Ich habe das auch der Hella geschrieben. Das Fräulein Prückl hat mir geschrieben. Gott wie süß, die Adresse Fräulein Grete Lainer, Lyzealschülerin. Die Dora weiß es natürlich schon wieder besser und sagt, in den oberen Klassen von der vierten an (weil sie nämlich in die vierte kommt), schreibt man Lyzeistin. „Und in den Ferien vor der ersten Lyzeumsklasse ist man überhaupt noch keine Lyzealschülerin.“ Da ist der Papa dazugekommen und hat gesagt, wir ( ich habe nicht angefangen) sollen mit diesem ewigen Wortgeplänkel aufhören; er will das nicht hören. Da hat er sehr recht; aber es wird leider nichts nützen, denn die Dora hört ja doch nicht auf. Das Fräulein Prückl hat mir geschrieben, sie hat sich sehr gefreut, dass ich ihr geschrieben habe. Und wenn ich wieder einmal Zeit habe, so soll ich ihr wieder schreiben. Gott! für sie habe ich immer Zeit. Ich schreibe ihr noch heute nach dem Nachtmahl, damit sie nicht umsonst wartet.

29. Juli: Gestern war es mir unmöglich zu schreiben. Die Warth sind angekommen und ich war den ganzen Tag bei der Erna und Liesel, obwohl es den ganzen Tag geregnet hat. Wir haben uns großartig unterhalten. Sie haben eine Menge Gesellschaftsspiele mit und wir haben um Zuckerln gespielt. Ich habe 47 gewonnen, fünf habe ich dann der Dora gegeben. Der Robert ist schon um mehr als einen Kopf größer als wir, nämlich als die Liesel und ich; ich glaube er ist fünfzehn. Er sagt Fräulein Grete und hat mir den Mantel getragen, den mir die Mama geschickt hat wegen dem Regen und er hat mich nach dem Nachtmahl bis nach Haus begleitet.

Morgen ist mein Geburtstag, da sind alle eingeladen und die Mama macht Erdbeerschnee und Waffeln. Das ist fein.

30. Juli: Heute ist mein Geburtstag; ich habe einen wunderbaren Sonnenschirm mit eingewebter Bordüre bekommen vom Papa und Malsachen und von der Mama ein riesiges Postkartenalbum für 800 Stück und Erzählungen für Backfische und die es bald sind, von der Dora hochfeine Billets de Corresp. und die Mama hat eine Chokoladecremetorte gemacht für heute nachmittags neben der Erdbeercreme. Von den Warth habe ich in aller Frühe drei Geburtstagskarten bekommen. Und der Robert hat auf seine geschrieben: In aufrichtigster Verehrung Ihr treuer R. Geburtstag haben ist herrlich, alle sind so nett, sogar die Dora. Vom Oswald habe ich ein Holzmesser zum Bücheraufschneiden bekommen, der Griff ist ein Drache, der statt des Feuers die Klinge speit; oder die Klinge kann auch die Zunge sein, das sieht man nicht so genau. An meinem Geburtstag hat es noch nie geregnet. Der Papa sagt, ich bin ein Glückspilz. O, das ist mir schon recht, das kann ich sehr gut brauchen.

31. Juli: Gestern war es himmlisch. Wir kugelten uns vor Lachen beim Sekretärspiel. Immer kam ich mit dem Robert zusammen, und was wir alles getan haben, nämlich nicht wirklich, sondern nur aufgeschrieben: geküsst umarmt, im Walde verirrt, mitsammen ins Bad gegangen; na also, das täte ich wohl nicht! miteinander gestritten. Nein, das wird nicht vorkommen, das ist ganz unmöglich! Und dann haben wir auf meine Gesundheit angestoßen mit 5 Kracherln, und der Robert hat durchaus einen Wein holen wollen, aber die Dora hat gesagt, nein, das wäre äußerst taktlos! Also in Wirklichkeit war es von ihr ganz etwas anderes. Sie ärgert sich nämlich immer sehr, wenn ich je einmal die Hauptperson bin, und die war ich gestern unbedingt.

Jetzt noch schnell von heute. Es war herrlich. Wir waren mit Warth im Tiefen Graben, wo furchtbar viel Erdbeeren wachsen. Die schönsten pflückte der Robert für mich, zum riesigen Ärger der Dora, die sich alle selber suchen musste. Eigentlich suche ich ja auch gerne selber, aber wenn wer anderer aus Liebe (so sagte nämlich der Robert direkt) für einen pflückt, so verzichtet man gerne auf das Selbersuchen. Übrigens habe ich nebenbei auch selber gesucht und gab die meinen dem Papa und einige auch der Mama. Bei der Jause in Flischberg saß ich leider neben der Erna und nicht dem Robert. Die Erna ist eigentlich die Fadeste. Die Mama sagt, sie ist bleichsüchtig; das ist furchtbar interessant, aber ich weiß eigentlich nicht genau wie das ist. Die Dora behauptet auch immer, sie ist bleichsüchtig, aber es ist natürlich nicht wahr. Und der Papa sagt immer: „Red dich nicht hinein in solche Faxen; du bist pumperlgesund.“ Das ärgert sie furchtbar. Die Lizzi war voriges Jahr wirklich bleichsüchtig, da hat es der Arzt gesagt, sie hatte immer Herzklopfen und musste Eisen nehmen und Rotwein trinken. Mir scheint darauf hat es die gute Dora abgesehen.

1. August: Die Hella ist ein bisschen beleidigt, weil ich ihr geschrieben habe, dass ich den ganzen Tag bei den W. bin. Deswegen ist sie doch meine einzige Freundin, sonst würde ich ihr das doch nicht schreiben. Sie hat ja auch am Land jedes Jahr eine andere Freundin, aber deshalb bin ich doch nicht beleidigt. Warum ihr übrigens der Robert nicht gefällt, weiß ich nicht; sie kennt ihn ja gar nicht, außer von dem, was ich ihr geschrieben habe und das war doch sicher nur lauter Gutes. Das heißt sie kennt ihn, weil er zu den Sering verwandt ist und weil sie ihn dort einmal getroffen hat. Aber von einmal kennt man doch einen Menschen noch nicht. Und jedenfalls kennt sie ihn nicht so, wie ich. Gestern war ich den ganzen Tag bei den W. Wir spielten „Platz dem König“ und da erwischte mich Robert und ich musste ihm ein Busserl geben. Und da sagte die Erna, das gilt nicht, ich habe mich absichtlich fangen lassen. Da ist der Robert furchtbar wild geworden und hat gesagt: Die Erna ist eine fade Nocken, die verdirbt jedem seine Freude. Da hat er Recht, übrigens ist jemand anderer genauso. Hoffentlich hat die Erna nichts der Dora wegen des Busserls gesagt. Denn dann wissen es gleich alle, und das ist doch nicht nötig. Ich habe der Erna mit den Bonbons aufgewartet, die uns Tante Dora geschickt hat. Die anderen haben ich und der Robert und die Liesel aufgegessen. Sie waren sehr fein und beinahe lauter große. Der Robert hat sich zuerst ein ganz kleines nehmen wollen, aber ich habe gesagt, er soll nur ein großes nehmen. Und dann hat er sich immer große ausgesucht. Wie ich abends mit der leeren Schachtel nachhause gekommen bin, hat der Papa gelacht und gesagt: Ein Neidhammel ist unsere Gretel nicht. Übrigens hat die Mama noch eine ganze Schachtel voll; ob die Dora noch viel hat, habe ich keine Idee; aber wahrscheinlich.

2. August: Heute nachmittags um 5 Uhr ist der Oswald gekommen. Er ist furchtbar fesch; er bekommt schon beinahe einen Schnurrbart. Am Abend ist er mit dem Papa ins Gasthaus gegangen, sich bei den Herren vorzustellen. Er sagt, das ist ihm gräulich, aber er wird sicher allen sehr gut gefallen, besonders mit seinem neuen Touristenanzug und der echten Lederhose. Die Großmama und der Großpapa lassen alle schön grüßen. Ich kenne sie aber gar nicht. Und sie haben uns eine Menge Bäckerei geschickt, und der Oswald hat riesig geschimpft, dass er es hat mitschleppen müssen. Der Oswald raucht furchtbar viel Zigaretten, und der Papa hat zu ihm gesagt: Komm Alter, wir gehen ins Gasthaus, dein Zeugnis begießen. Also das finde ich komisch; bei der Dora und bei mir wird nichts begossen, höchstens bekommen wir etwas. Der Oswald hat lauter Zweier und Dreier und ganz wenige Einser und in Griechisch sogar genügend, ich habe aber lauter Einser. Er hat zum Papa etwas Lateinisches gesagt und der Papa hat sehr gelacht und auch etwas gesagt, was ich nicht verstanden habe. Ich glaube, es war nicht lateinisch, sondern eher ungarisch oder Englisch. Der Papa kann fast alle Sprachen, sogar böhmisch, aber das spricht er Gott sei Dank nicht, außer wenn er uns ärgern will. Wie damals am Bahnhof, wo ich und die Dora uns so geniert haben. Böhmisch ist grässlich, das sagt auch die Mama. Wenn der Robert böhmisch nachmacht, muss man sich kugeln vor Lachen.

3. August: Neulich war ich zu lange im kalten Bade und habe mich verkühlt, deshalb darf ich jetzt ein paar Tage nicht baden gehen. Da bleibt der Robert immer ganz allein bei mir und erzählt mir alles Mögliche. Und dann schaukelt er mich so hoch, dass ich furchtbar schreie. Heute hat er mich eigentlich beleidigt, er sagt, der Oswald ist ein öder Pimpf. Ich habe gesagt, das ist nicht wahr, die Buben können sich immer gegenseitig nicht leiden. Und dass er beim Reden anstößt, ist wirklich nicht wahr. Überhaupt ist mir der Oswald viel lieber als die Dora, die immer die Kinder sagt, wenn sie von mir und von der Hella und sogar vom Robert spricht. Da hat er gesagt: Die Dora ist grad so eine Gans, wie die Erna. Da hat er wirklich Recht. Der Robert sagt, er wird nie rauchen, das ist furchtbar ordinär, wirklich feine Herren rauchen nicht. Na also bitte, und mein Papa? Und er sagt auch, er wird auch nie einen Bart tragen, sondern er wird sich alle Tage rasieren und seine Frau muss ihm alles herrichten. Also dem Papa steht sein Bart sehr gut, ich kann ihn mir gar nicht vorstellen ohne Bart. Ich heirate jedenfalls keinen Mann, der keinen Bart hat.

5. August: Wir gehen alle Tage auf den Tennisplatz. Wie wir gestern gehen, der Robert und ich und die Liesel, die Erna und der René, ruft uns die Dora nach: Das Brautpaar in spee. Das hat sie nämlich vom Oswald und das heißt, glaube ich, in hundert Jahren. Na, so lange wartet vielleicht sie, aber wir nicht. Die Mama hat sie deswegen ordentlich ausgezankt und gesagt, sie soll nicht so blöde Sachen reden. Das war schon recht; in spee, in spee. Wir nennen sie jetzt nur mehr Inspee, da weiß niemand, von wem wir reden.

6. August: Die Hella kann nicht hierher kommen, denn sie fährt mit ihrer Mama nach Klausenburg zu ihrem anderen Onkel, der ist dort Bezirksrichter oder wie das in Ungarn heißt. Jeden Bezirksrichter stelle ich mir so vor, wie den Bezirksrichter Th... den wir kennen, so ekelhaft. Die Nase und dabei ist seine Frau so schön; aber sie wurde gezwungen zum Heiraten von ihren Eltern. Zu so etwas ließe ich mich nie zwingen, da heirate ich lieber gar nicht, sie ist auch sehr unglücklich.

7. August: Es ist ein gräulicher Skandal bei uns wegen der Dora. Der Oswald hat dem Papa gesagt, dass sie beim Tennisspielen furchtbar kokettiert und das kann er nicht dulden. Der Papa hat wahnsinnig geschimpft und jetzt dürfen wir nicht mehr Tennisspielen gehen. Und am meisten hat sie geärgert, dass der Papa vor mir gesagt hat: So ein Fratz von 14 Jahren fängt schon an, sich den Hof machen zu lassen. Sie hat ganz rot geschwollene Augen und hat am Abend nichts gegessen vor Kopfweh!! Also dieses Kopfweh kennt man schon. Aber wie ich dazu komme, dass ich nicht gehen darf, das sehe ich nicht ein.

8. August: Der Oswald sagt, der Student hat sich ganz fer benommen, die Schuld liegt nur an der Dora. Also das weiß ich am besten; wenn ich nur denke, damals auf der Südbahn. Also ich darf richtig auch nicht Tennisspielen gehen, obwohl ich die Mama riesig gebeten habe, sie soll beim Papa für mich sprechen. Aber sie sagt, das nützt nichts, der Papa ist furchtbar böse, und ich darf auch nicht mehr ganze Tage bei den Warth sein. Ganze Tage, ich möchte wissen, wann ich einen ganzen Tag dort war. Da hätte ich doch dort mindestens zu Mittag essen müssen. Was kann denn ich dafür, dass die Dora sich den Hof machen lässt. Das ist doch lächerlich. Aber immer sind die Eltern so. Wenn eins was tut, müssen die andern mitleiden.

9. August: Gott sei Dank, ich kann wieder auf den Tennisplatz gehen; ich habe den Papa so lange gebettelt, bis er es mir erlaubte. Die Dora behauptet, sie verlange es sich ohnehin nicht! Na also, das kennt man schon, das ist der Fuchs mit den sauren Trauben. Sie spielt sich seit neuestem auf die Kranke hinaus, geht nicht ins kalte Bad und bleibt womöglich von den Spaziergängen zuhause. Ich möchte wissen, was ihr fehlen sollte. Mich wundert nur, dass der Papa es erlaubt, denn die Mama ist immer sehr, aber schon sehr nachsichtig gegen die Dora; sie ist entschieden ihr Liebling, besonders wenn der Oswald nicht da ist. Dass man den Oswald zum Liebling hat, kann ich begreifen, aber die Dora? – Überhaupt der Papa sagt immer, Eltern haben keinen Liebling, alle Kinder sind ihnen gleich. Ja, vom Papa ist das auch wahr, obwohl die Dora behauptet, ich sei der Liebling vom Papa; aber das bildet sie sich wirklich nur ein. Wir bekommen zu Weihnachten und auch sonst immer gleich viel, und das ist doch das sicherste Merkmal. Die Rosa Plank bekommt immer dreimal so viel als ihre Geschwister, das heißt ein Liebling sein.

12. August: Ich kann nicht alle Tage schreiben, denn ich bin meistens mit Warth zusammen. Der Oswald kann den Robert nicht leiden, er sagt, er ist ein Lausbub und noch nass hinter den Ohren. Eine solche Gemeinheit. Ich rede seit drei Tagen nichts mit ihm, das heißt nur das Notwendige. Die Erna und die Liesel, denen ich das erzählte, sagen: alle Brüder sind so impertinent gegen ihre Schwestern. Ich möchte wissen, warum? Übrigens der Robert ist im allgemeinen sehr nett zu seinen Schwestern. Sie sagen: Ja vor dir, weil er sich vor dir geniert. Gestern haben wir uns gekugelt vor Lachen, was er uns erzählt hat, wie sich die Buben über ihre Professoren lustig machen. Das mit den Zigarettenstumpferln war zum Totlachen. Und sie haben einen Verein, der heißt T. Au. M., d. h. nämlich auf Lateinisch Schweig oder stirb, in den Anfangsbuchstaben. Keiner darf etwas verraten und wenn einer neu aufgenommen wird, muss er sich ganz ausziehen und er muss sich so hinlegen und jeder spuckt ihm auf die Brust und verreibt es und sagt: So sei der Unsere, aber alles auf Lateinisch. Und dann muss er zum Ältesten und Größten gehen und bekommt von ihm mit einer Rute ein paar auf den P... und muss schwören, dass er nie einen verrät. Und dann raucht jeder eine Zigarre an und tupft ihn mit dem brennenden Ende auf den Arm oder sonst wohin und sagt: Jeder Verrat soll dich so brennen. Und dann ritzt ihm der Älteste, der einen besonderen Namen hat, den ich mir aber nicht gemerkt habe, das Wort Taum, d. h. eben Schweig oder stirb ein und ein Herz mit dem Namen von einem Mädchen. Der Robert sagt, wenn er mich früher kennen gelernt hätte, so hätte er Gretchen gewählt. Ich fragte ihn, was für einen Namen er eingeritzt habe, da sagte er, das dürfe er nicht verraten. Aber ich werde dem Oswald sagen, er soll im Bade schauen und es mir dann sagen. In diesem Verein schimpfen sie furchtbar über die Professoren und wer die besten Streiche ausdenkt, wird in die Rohon gewählt; ein Rohon sein, ist eine Auszeichnung und die anderen müssen ihm unbedingt folgen. Und manches kann er mir nicht einmal erzählen, sagte er, weil es zu arg ist. Und dann musste ich ihm schwören, dass ich das alles vom Verein niemandem sage und er wollte, ich soll mich zum Schwören niederknien, aber das habe ich nicht tun wollen und da hat er mich beinahe umgeworfen. Und schließlich musste ich ihm die Hand drauf geben und ein Busserl. Das habe ich ihm schon eher gegeben, denn an einem Busserl ist nichts dabei, aber niederknien, nein das tue ich absolut nicht. Aber ich habe mich schrecklich gefürchtet, weil wir ganz allein im Garten waren und weil er mich so beim Hals packte und niederdrückte. Das vom Verein hat er mir nämlich ganz allein erzählt, weil er sagte: Deinen Namen darf ich nicht mehr einritzen, denn zwei Namen geht gegen unsere Gesetze, aber dafür sollst du gegen deinen Schwur wissen, was ich im geheimen bin und denke.

Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können, weil mir immer von dem Verein träumte. Ob es im Lyzeum auch solche Vereine gibt und ob die Dora auch bei einem ist und einen Namen eingeritzt hat. Aber ganz ausziehen ist doch grässlich, noch dazu vor seinen Mitschülerinnen. Vielleicht ist das bei den Vereinen der Lyzealschülerinnen weggelassen. Aber ich würde auch nicht sagen, dass ich mir den Namen Robert einritzen will.

15. August: Gestern erzählte mir der Robert, dass es auch Vereine von Buben gibt, wo sehr unanständige Sachen geschehen, aber bei ihnen darf das nicht sein. Aber er sagte nicht was. Ich sagte, ich finde das Ganzausziehen schrecklich; aber er sagte, das ist gar nichts, das muss sein, wenn einer dem anderen vertrauen soll, wenn nur nichts Unanständiges geschieht. Ich möchte sehr gerne wissen, was. Ob der Oswald es weiß, und ob er bei einem solchen Vereine oder einem anständigen ist und ob der Papa dabei war. Wenn ich nur draufkommen könnte. Aber fragen darf ich nicht, weil ich sonst den Robert verrate. Wenn er mich sieht, presst er mir immer so das linke Handgelenk, ohne dass es wer sieht. Er sagte, das ist die Mahnung, dass ich schweigen muss. Aber es wäre wirklich nicht notwendig, denn ich verrate ihn auf keinen Fall. Er sagte: Der Schmerz soll dich an mich binden. Wenn er das sagt, so werden seine Augen ganz dunkel, förmlich schwarz, obwohl er eigentlich graue Augen hat und riesig groß. Besonders am Abend, wenn wir auseinander gehen, schaut das grässlich aus. Mir träumt immer von ihm.

18. August: Gestern abends war ein herrliches Kaiserfest mit Illumination. Wir kamen erst um ½1 Uhr nachhause. Zuerst gingen wir zum Parkkonzert und zur Beleuchtung. Von den Höhen schossen sie herunter und Höhenfeuer brannten überall; es war förmlich schaurig, obwohl es wunderbar war. Mir schnapperten ein paarmal die Zähne, ich weiß nicht aus Angst, dass etwas geschieht, oder was. Dann kam der R. zu mir und erzählte mir riesig viel. Er will unbedingt Offizier werden. Aber da braucht er eigentlich gar nicht so viel lernen, da lernt er alles jetzt umsonst. Er sagt, das macht nichts, das gibt ein riesiges Übergewicht. Ich finde nicht, dass er etwas blöd ausschaut, das sagt der Oswald nur, damit ich mich recht ärgere. Auf einmal waren wir von den anderen ganz getrennt und da setzten wir uns auf eine Bank und warteten auf sie. Derweil fragte ich den R. nochmals wegen der anderen Vereine, bei denen so unanständige Sachen eingeführt sind. Aber er sagte es nicht, er sagte, er wolle mir nicht meine Unschuld rauben. Das finde ich sehr blöd; vielleicht weiß er es selber nicht und tut nur so. Nur das sagte er, dass jeder beim Eintritt in den Verein so lang gekitzelt wird, bis er es nicht mehr aushalten kann. Und einmal hat einer Veitstanz bekommen, das sind schreckliche Krämpfe und da wäre bald alles aufgekommen. Und seither dürften sie in ihrem Verein nicht mehr kitzeln? Soll ich dich auch ein bissel kitzeln? Untersteh dich nicht, sag ich, und überhaupt du traust dich auch gar nicht.

Er lacht riesig und auf einmal packt er mich am Arm und kitzelt mich unter der Achsel. Ich habe schrecklich lachen müssen, aber ich habe es verbissen, weil doch manchmal Leute vorbeigegangen sind. Drum ließ er mich auch aus und kitzelte mich in der Hand. Das war zuerst ganz angenehm, aber später ärgerte ich mich schon und riss ihm die Hand weg. Da kam gerade die Inspee mit zwei anderen Mädchen und wie sie vorbei waren, gingen wir schnell hinter ihnen, als ob wir immer so gegangen wären. Dadurch habe ich mir einen Putzer von der Mama erspart, die immer will, dass alle beisammen sind. Beim Weggehen sagt der R.: Pass auf Gretel, einmal kitzel ich dich so, dass du schreist. – Lächerlich, das lasse ich mir nicht gefallen, da gehören doch zwei dazu.

Richtig, bei der Juxtombola habe ich eine Vase mit 2 Turteltäubchen und ein Sackerl mit Bonbons gewonnen und der R. ein Essbesteck. Das hat ihn furchtbar geärgert. Die Inspee hat eine Füllfeder gewonnen, wie ich sie mir wünsche und einen Spiegel, in dem man furchtbar hässlich ausschaut. Das gönne ich ihr, weil sie sich so viel einbildet.

29. August: Gotteswillen, es ist mir etwas Grässliches passiert. Ich habe Seite 30 bis 34 verloren vom Tagebuch. Ich muss es entweder im Garten oder auf der Louisenhöhe liegen gelassen haben. Das ist furchtbar. Wenn das wer findet. Und ich weiß nicht einmal genau, was gerade auf diesen Seiten steht. Ich bin rein zum Unglück geboren. Wenn ich nicht der Hella geschworen hätte, alle Tage Tagebuch zu schreiben, so tät ich am liebsten ganz aufhören. Wenn die Mama oder gar der Papa etwas erfährt. Und heute regnet es so gräulich, dass ich nicht einmal in den Garten gehen kann, und auf die Louisenhöhe schon gar nicht, überhaupt nicht allein. Ich muss es vorgestern verloren haben, denn gestern und vorgestern habe ich nicht geschrieben. Wenn es nur niemand findet, das wäre grässlich.  Ich bin so aufgeregt, dass ich zu Mittag gar nichts essen konnte, obwohl wir meine Leibspeise Moor im Hemd hatten. Und ich bin auch so unglücklich, denn der Papa war so besorgt und die Mama auch und sie fragten in einer Tour, was mir fehlt und ich konnte kaum das Weinen verbeißen vor allen Leuten. Wir waren nämlich heute im Hotel, weil die Resi für 2 Tage weggefahren ist. Und dann im Zimmer bei den Eltern durfte ich auch nicht weinen, weil ich mich sonst verraten hätte. Ich habe nur eine Hoffnung, dass niemand weiß, dass die Blätter von mir sind, weil wir die Hella und ich im Tagebuch steil schreiben, erstens, damit niemand unsere Schrift erkennt und zweitens weil man mehr Papier erspart als beim gewöhnlichen Schreiben. Wenn es nur morgen schön wäre, dass ich gleich in der Frühe in den Garten suchen gehen könnte. Heute freut mich gar nichts und ich habe mich nicht einmal sehr geärgert, wie die Inspee sagte: O, vielleicht einen Streit gehabt mit dem Herrn Bräutigam?

30. August: Im Garten ist es nicht. Ich habe die Mama gebeten, dass wir Nachmittag unbedingt zur Louisenhütte gehen. Die Mama war furchtbar lieb und fragte, warum ich so aufgeregt bin, ob mir etwas geschehen ist. Und da konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und weinte grässlich. Und sagte der Mama, ich habe etwas verloren, was mir schrecklich ist. Die Mama glaubte den Brief der Hella, den sie mir am Dienstag schickte und da sagte ich: Nein etwas viel Ärgeres, mein Tagebuch. Da sagte die Mama: Nun das ist doch hoffentlich nicht so arg und das wird doch niemanden interessieren. O ja, sage ich, weil alles vom R. seinem Verein drin steht. Und da sagt die Mama: Schau Gretel, weil du schon vom R. sprichst; ich sehe wirklich nicht gern, dass du immer bei Warth bist; sie passen wirklich nicht zu uns und der R. ist keine Gesellschaft für dich; du bist jetzt, wo du ins Lyzeum kommst, kein kleines Kind. Versprich mir, dass du nicht ewig mit ihnen bist. – „Ja Mama, ich werde mich unauffällig zurückziehen.“ Da hat sie furchtbar gelacht und mich auf beide Wangen geküsst und hat mir versprochen, dass sie der Inspee nichts sagt vom Tagebuch, denn die braucht nicht alles wissen. Gott die Mama ist so entzückend. Noch 3 Stunden und vielleicht liegen die Blätter noch dort.

Am Abend: Gott sei Dank! Vor der Hütte lagen 2 Blätter ganz zerweicht vom Regen und verwischt und ein Blatt lag auf dem Fußboden, das war ganz zerrissen. Da muss einer mit dem Absatz darauf gestanden sein und 2 Blätter waren zu einem Fidibuß gerollt und etwas verbrannt. Also hat niemand etwas gelesen. Ich bin so glücklich und beim Nachtessen sagte der Papa: nun was leuchten denn deine Augen so überglücklich? Hast du das große Los gezogen? und da habe ich die Mama auf den Fuß getreten, dass sie mich nicht verrät und der Papa hat furchtbar gelacht und gesagt: So, mir scheint, da wird in meinem eigenen Hause eine Verschwörung angezettelt und ich sag schnell: Wir sind zum Glück nicht im eigenen Haus, sondern im Hotel und alle lachen und jetzt ist Gott sei Dank alles vorüber. Aber durch Schaden wird man klug. Das passiert mir kein zweites Mal.

31. August: Ich gehe wirklich weniger mit W. und mit dem R. Ich glaube, er ist beleidigt. Heute Nachmittag, wie ich zur Jause hinaufgehe, fasst er mich beim Handgelenk und sagt: Dein Vater hat recht, du bist eine Hex. „Dich muss man kuranzen“. Das ist eine Gemeinheit. Ich habe übrigens nicht gewusst, was kuranzen heißt. Da habe ich den Papa gefragt und er hat mir 's erklärt und gefragt woher ich das habe. Da sagte ich, ich habe es im Vorbeigehen von 2 Herren gehört. Eigentlich habe ich geglaubt kuranzen heißt kitzeln. Aber es geht mir furchtbar ab, wenn ich niemanden zu Reden habe. Die meisten Leute sind schon fort und wir fahren auch heute 8 Tage. Wegen dem Kuranzen ist das so. Den Papa lüge ich nicht gerne an, aber man wird förmlich gezwungen dazu. Ich kann doch nicht sagen der R. will mich kuranzen, wenn ich nicht einmal weiß, was das heißt. Die Dora lügt noch viel mehr, und ich freue mich immer, wenn ich ihr auf eine Lüge komme, nämlich ihre Lügen sind so handgreiflich. Ich werde nie ertappt. Nur einmal, damals wie die Frau Oberst v. Stary da war, da hat der Papa etwas gemerkt, weil er dann sagte: Du Schlaucherl, du abgedrehtes.

3. September: Eine solche Gemeinheit! Ich rede mit dem R. nie mehr ein Wort. Der Oswald hat wirklich recht, wenn er sagt, er ist ein Lausbub. Wenn ich wirklich aus der Schaukel gefallen wäre, hätt ich mir den Fuß brechen können, 4 Tage vor dem Wegfahren. Und die Fragerei, wie das passiert ist. So kitzeln ist wirklich eine Frechheit und ich hab ihm ein ordentliches mit dem Absatz hineingehaut. Mir scheint auf die Nase oder den Mund. Und dann untersteht er sich zu sagen: Eigentlich geschieht mir recht, das kommt davon, wenn man sich mit solchen Fratzen, mit solchen Wickelkindern abgibt. Der hat's notwendig, er ist selber noch nicht ganz vierzehn. Das war bloß geschwindelt mit den fünfzehn Jahren und er soll einer der schlechtesten Schüler im Gym. sein, lauter genügend hat er und er kommt nicht in die Fünfte, sondern erst in die Vierte. Also jedenfalls haben wir ausgeredet, mein Herr. So ein Frechdachs. Ich werde das nie jemanden erzählen, es ist mein erstes und hoffentlich mein einziges Geheimnis vor der Hella.

6. September: Morgen fahren wir weg. Die letzten Tage waren ekelhaft fad. Ein paar Mal sah ich den R. aber ich drehte den Kopf weg. Der Papa fragte, was ich mit den Warth und dem R. gehabt habe, dass auf einmal die dicke Freundschaft entzwei ist. Natürlich musste ich lügen, denn die Wahrheit konnte ich unmöglich sagen. Ich sagte, der R. schimpft über alles, was ich tue, über meine Schrift und dass ich nicht ordentlich vorlesen kann, (das ist nämlich wirklich wahr, das hat er einmal gesagt) und der Papa sagte: Na morgen beim Abschied werdet ihr euch schon wieder aussöhnen. O, da irrt sich der Papa sehr. Mit so einem Menschen rede ich überhaupt kein Wort mehr.

Die Dora bekommt einen tegetthoffblauen, seidenen Staubmantel im Voraus zu ihrem Geburtstag. Ich finde, das passt eigentlich noch nicht für sie und dann ist sie auch für einen Staubmantel viel zu mager.

14. September: Vorgestern ist die Hella gekommen. Sie schaut großartig aus und sagte mir dasselbe. Ich bin so froh, dass sie wieder da ist. Ich habe doch der Hella das erzählt vom R. Sie ist empört und sagt, ich hätte ihm 2 geben sollen; eins für das Kitzeln und eins für das Wickelkind und eins für die Fratzen. Wenn wir ihn nur einmal begegnen würden, da werden wir ihn beide ordentlich anschauen.

17. September: Die Inspee hat richtig den seidenen Staubmantel bekommen, aber die Kapuze aus schottischer Seide finde ich etwas kindisch. Aber ich habe nichts gesagt, sondern dass ihr der Mantel sehr gut steht. Sie hat ihn wenigstens schon fünfmal probiert. Ob der Papa das im Ernst gemeint hat, dass sie wie eine Dame aussieht, oder ob er sie zum Narren gehalten hat. Ich glaube das letztere.  Denn wie eine Dame schaut sie wirklich nicht aus. Natürlich, sie wird ja auch schließlich erst 14 Jahre. Gestern Nachmittag waren eine Menge Mädeln eingeladen, natürlich für mich die Hella und wir haben uns großartig unterhalten. Aber die meisten haben grässlich aufgeschnitten vom Land, wo sie überall angeblich waren. Wir waren 9 Mädeln, aber die liebste ist mir die Hella.

21. September: Morgen fängt die Schule an. Das heißt, wir haben verabredet, dass wir immer Liz sagen und nie Schule. Ich bin schon furchtbar neugierig.

22. September 19..: Heute hat die Schule angefangen. Die Hella hat mich abgeholt und wir sind miteinander gegangen. Die Inspee hat bei der Mama geklatscht, dass wir ihr davongelaufen sind. Wir brauchen doch keine Gouvernante. Wir sind 34 in der Klasse. Als Klassenvorstand haben wir eine Frau Doktor, dann 2 Fräulein, 1 Professor und ich glaube noch ein Fräulein im Zeichnen. Die Frau Doktor hat Deutsch und Schönschreiben. Sie hat uns nebeneinander gesetzt in die 3. Bank. Dann hat sie eine Anrede gehalten, dann sind die Bücher diktiert worden, aber wir sollen noch warten mit dem kaufen bis Montag. Wir haben 2 mal Pause, eine lange und 2 kurze. Die lange gehört zum Spielen, die kurzen zum Hinausgehen. Ich war nie draußen in der Volksschule und jetzt gehe ich schon gar nicht. Die Mama sagt auch immer, das ist nur eine schlechte Gewohnheit. Die meisten Kinder waren draußen, sogar unter der Stunde. Heute haben wir keinen eigentlichen Unterricht gehabt. Morgen beginnt er, aber wir wissen nicht was. Dann gingen wir nachhause.

23. September: Heute haben wir das Fräulein von Geographie und Geschichte gehabt, das ist keine Doktorin. Die Inspee sagt, sie haben sie voriges Jahr gehabt, aber sie haben sie nicht leiden können, sie ist gar nicht schön. Der Papa hat geschimpft und hat zur Inspee gesagt: Du dummes Ding, setz ihr nur so dummes Zeug in den Kopf. Da zeig deine Autorität als Große. Bei jeder Lehrerin und jedem Lehrer kann man etwas lernen, wenn man nur will. Aber uns gefällt das Frl. Vischer wirklich nicht und Geographie und Geschichte ist so nicht meine Leibspeise. Übrigens lerne ich ja nicht für sie, sondern für mich. Die Frau Dr. Mallburg ist furchtbar lieb und schön. Wir werden immer nur Frau Dr. M. schreiben von ihr. Wenn sie lacht hat sie zwei Grüberln und eine Goldplombe. Sie ist neu an der Anstalt. Ich weiß nicht ob wir auch Gesang haben. In Französisch haben wir die Madame Arnau, die ist sehr schön gekleidet, ein schwarzes Spitzenkleid. Die Hella hat ein wunderbares Etui für die Bleistifte und Federn; ganz weich, so müssen wir es haben, damit es keinen Lärm macht, wenn es in der Stunde hinunterfällt. Ich glaube es kostet 7 K oder 1 K 70, das weiß ich nicht genau. Heute hatten wir gleich bis 12 Uhr Schule, zuerst Deutsch, dann Rechnen, dann Religion für die Katholischen und dann gingen wir fort. Die Hella hat auf mich gewartet, der Herr Pastor war nämlich nicht da.

24. September: Wir haben geglaubt, die Buchhandlungen sind heute ausnahmsweise offen, aber wir haben uns geirrt. Die Mama von der Hella hat gesagt, natürlich das kommt davon, wenn die Küken klüger sein wollen, als die Hennen. Nachmittag war die Hella bei mir und die Inspee war bei F. eingeladen. Dort gehe ich nicht mit, weil es mir zu fad ist, den ganzen Tag wird Klavier gespielt. Ich habe schon von den Klavierstunden genug. Sie fangen erst an, wenn der Stundenplan fix ist. Vielleicht am 1. Oktober, dann muss ich an die Frau B. schreiben, eigenhändig, hat sie gesagt. Das verlangt sie von allen ihren Schülerinnen. Die Lehrerin von der Hella wär mir lieber. Aber sie hat keine Zeit und ist auch teurer, glaub ich. Aber wenigstens könnte sie mir nicht immer das Fräulein Dora als Muster vorhalten. Es ist eben nicht jeder so musikalisch wie das Frl. Dora. Abends hat die Inspee bis um 10 oder um 12 Uhr in einem dicken Buch gelesen, und dabei geheult. Das hat sie geleugnet, aber ich hab's gehört und sie hat auch gar nicht reden können. Sie sagt, sie hat Schnupfen, die Lügnerin.

25. September: Heute haben wir einen provisorischen Stundenplan bekommen, aber er bleibt nicht, bis die Professoren von Gymnasium genau wissen, wann sie kommen können. Unsere Frau Doktor könnte auch in einem Gymnasium sein, aber weil nur eines ist, so ist sie bei uns. Wir haben für morgen eine mündliche Redeübung: Unsere Ferien. Höchstens 8 oder 10 Sätze, zu Hause können wir es niederschreiben, aber in der Schule dürfen wir nicht hineinschauen. Ich habe es schon gemacht. Aber vom Robert habe ich nichts geschrieben. Der verdient nicht einmal, dass ich an ihn denke. Ich habe auch der Hella gar nicht alles gesagt.

25. September: Ich war dran bei der Redeübung, und die Frau Doktor hat gesagt, sehr gut, wie heißt du? Grete Lainer hab ich gesagt und sie hat gesagt: Und das ist deine gute Freundin neben dir? Jetzt soll sie uns sagen, wie sie ihre Ferien verlebt hat. Die Hella hat es auch sehr gut gekonnt, und die Frau Doktor sagte auch, sehr gut. Dann hat es geläutet. In der großen Pause hat die Frau Doktor mit uns gespielt: Reih um. Das war sehr lustig. Ich kam 6mal dran. In den kleinen Pausen waren wir ganz allein, weil die Lehrkräfte alle so viel zu tun haben wegen dem Stundenplan. Eine Repetentin aus dem Lyzeum F. ist bei uns. Sie sitzt in der letzten Bank, denn sie ist sehr groß. So groß wie die Frau Doktor.

26. September: Heute haben wir zum ersten Mal den Professor Riegl gehabt in Naturgeschichte. Er trägt einen Zwicker und schaut einen nie an. Und im Französisch hat die Madame A. gesagt, dass ich die beste Aussprache habe. Wir haben sehr viel auf, und ich weiß nicht, ob ich alle Tage zum Schreiben komme. Die Kinder sagen der Professor Igel statt Riegel und die Weinmann hat gesagt Nikel.

30. September: Ich habe gar keine Zeit zum Schreiben gehabt. Die Hella schreibt schon seit dem 24. nicht. Heute muss ich aber schreiben, denn ich bin dem Robert begegnet in der Schottengasse. Guten Tag mein Fräulein, nur nicht so stolz, hat er im Vorbeigehen gesagt. Und wie ich mich umgedreht habe, war er schon vorbei, sonst hätt ich ihm was ordentliches gesagt. Ich muss zum Nachtmahl.

1. Oktober: Ich kann nicht schreiben, der Oswald ist aus S. gekommen, er hat sich den Fuß verstaucht, aber ich weiß nicht, er kann dabei herumgehen. Er ist furchtbar blass und redet kein Wort vor Schmerzen.

4. Oktober: Heute haben wir frei, weil der Geburtstag des Kaisers ist.

Gestern hat mir die Resi etwas Grässliches erzählt. Der Oswald darf nicht mehr nach S. zurück. Er hat etwas angestellt, was, weiß die Resi nicht, sie sagt etwas sehr Unanständiges, ich möchte wissen, was, vielleicht etwas am Klosett. Er bleibt immer so lange draußen, das habe ich schon am Lande bemerkt. Oder am Ende war etwas in seinem Vereine. Die Inspee tut, als ob sie es wüsste, aber es ist natürlich nicht wahr, sie weiß gar nichts. Der Papa ist wütend und die Mama hat ganz verweinte Augen. Zu Mittag redet kein Mensch ein Wort. Wenn ich nur wüsste, was er getan hat. Der Papa hat gestern furchtbar geschrien mit ihm und da haben wir, die Dora und ich gehört, wie er gesagt hat: So ein Lausbub hat es notwendig, (jetzt haben wir etwas nicht verstanden) und dann hat er gesagt, du schau in deine Schulbücheln und nicht auf die Mädeln und die verheirateten Frauen, du Lausbub du. Und die Dora sagt: Ah jetzt versteh ich und ich sag: Ich bitt dich, sag mir was denn, es ist doch mein Bruder so gut wie deiner. Aber sie sagt: „Das verstehst du nicht, das passt nicht für so junge Ohren.“ Das ist eine Gemeinheit, für ihre Ohren aber passt es und sie ist doch nur um nicht einmal ganz drei Jahre älter als ich. Aber weil sie das blaue Kleid halblang bekommen hat, bildet sie sich so viel ein und glaubt, sie ist eine Dame. So schauen sie aus, die Damen und dann nascht sie Kompott, dass sie den Mund ganz voll hat und gar nicht reden kann. Wenn ich so etwas merke, rede ich immer auf sie, dass sie antworten muss. Das ärgert sie furchtbar.

9. Oktober: Jetzt weiß ich alles!!! Also daher kommen die kleinen Kinder. Und das