Tageszeitung, Radio und Fernsehen als Medien der Kulturberichterstattung - Eva Lindner - E-Book

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Eva Lindner

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Beschreibung

Magisterarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Theaterwissenschaft, Tanz, Note: 2,2, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Theater- und Medienwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit will sich mit der These beschäftigen, dass sich die drei Massenmedien Fernsehen, Radio und Zeitung strukturell unterscheiden. Um dies zu untersuchen, werden am Beispiel Kulturberichterstattung drei Formate verglichen. Es wird analytisch erkundet, was die Kulturredaktionen als Kultur präsentieren, welche Darstellungsformen und Genres sie bevorzugen, welche Hierarchisierungen sie vornehmen und welcher Sprache sie sich bedienen. Ebenso soll herausgefunden werden, welche Rolle Nachrichtenfaktoren auf die Berichterstattung haben. Auch wird eine Einteilung in drei verschiedene Sinneswahrnehmungssysteme vorgenommen. Aus all diesen Punkten soll dann in Zwischenvergleichen auf mögliche Medienunterschiede geschlossen werden. Im abschließenden Vergleich wird erläutert, welche Auswirkungen die Mediendifferenzen auf das jeweilige Kulturverständnis haben. Dazu wird geklärt, welcher Gegenstandsbereich den Formaten unter dem Begriff Kultur zugrunde liegt und welches Selbstverständnis sie an den Tag legen. Sehen sich die Formate innerhalb ihrer Kulturbeobachtung als Chronisten, als Produzenten oder als Plattform für Kultur? Ist das Kulturverständnis damit medienabhängig oder nicht? Es gilt herauszufinden, ob die Formate sich in ihrem Kulturverständnis stark unterscheiden. Damit einhergehend soll beantwortet werden, ob ein Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur gemacht wird, ob also vor allem klassische Themen den Weg in die Kulturformate finden, oder ob mit einem, und dies könnte eine erste These sein, erweiterten Kulturverständnis gearbeitet wird. Wird Populärkultur, vorausgesetzt sie taucht in den Formaten auf, als solche betrachtet, oder werden alle Gegenstände einheitlich aus einer hochkulturellen Sichtweise angesehen? Auch gilt es zu überprüfen, ob eines der drei Medien als eine Art Leitmedium für die anderen fungiert und es hinsichtlich dessen intermediale Bezüge gibt.

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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffsbestimmung und Grundlagen
2.1 Der Medienvergleich
2.2 Der deutsche Kulturbegriff - eine definitorische Annäherung
2.3 Geschichte des Feuilletons
2.4 Vorgehensweise für die Analyse
3. Publikationsform der Formate
3.1 Erscheinungsweise
3.2 Produktion: Sonderfall Kulturzeit
3.3 Sinneswahrnehmungssysteme
4. Selektion der Formate
4.1 Nachrichtenfaktoren
4.2 Kulturgenres
4.3 Hierarchisierung
4.4 Zwischenvergleich
5. Präsentation der Formate
5.1 Journalistische Darstellungsformen
5.1.1 Meinungsbetonte Darstellungsformen
5.1.2 Tatsachenbetonte Darstellungsformen
5.2 Sprache
5.2.1 Subjektivismus
5.2.2 Verständlichkeit
5.3 Zwischenvergleich
6. Abschließender Vergleich
6.1 Rezension von Kultur
6.2 Produktion von Kultur
6.3 Plattform für Kultur
7. Zusammenfassung und Ausblick
Quantitative Tabelle

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Tageszeitung, Radio und Fernsehen als Medien der

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1. Einleitung

Dieses Zitat des Internetartikels „Das Netz als Feind“ des Onlineportals der WochenzeitungZeitverdeutlicht die momentane Situation der Zeitung und damit auch die des Feuilletons. In der Tat rezipieren nur etwa fünf bis zehn Prozent der Zeitungsleser das Feuilleton,2doch sein übergeordneter Wert für das Image der Zeitung ist ungleich größer. Gleichwohl hat das gedruckte Wort in den letzten Jahren zunehmend Konkurrenz aus dem Internet bekommen. Unter anderem aus dem Grund, weil die Printausgabe einer Zeitung in der Tat vielleicht nicht mehr lange Gegenstand einer medienwissenschaftlichen Untersuchung sein wird, möchte sich diese Arbeit dem gedruckten Feuilleton einer Zeitung und ausgewählten Pendants im Rundfunk, dem Radio und dem Fernsehen, widmen. Es soll eine Gegenüberstellung vorgenommen werden.

Diese Arbeit will sich mit der These beschäftigen, dass sich die drei Massenmedien Fernsehen, Radio und Zeitung strukturell unterscheiden. Um dies zu untersuchen, werden am Beispiel Kulturberichterstattung drei Formate verglichen. Es wird analytisch erkundet, was die Kulturredaktionen als Kultur präsentieren, welche Darstellungsformen und Genres sie bevorzugen, welche Hierarchisierungen sie vornehmen und welcher Sprache sie sich bedienen. Ebenso soll herausgefunden werden, welche Rolle Nachrichtenfaktoren auf die Berichterstattung haben. Auch wird eine Einteilung in drei verschiedene Sinneswahrnehmungssysteme3vorgenommen. Aus all diesen Punkten soll dann in Zwischenvergleichen auf mögliche Medienunterschiede geschlossen werden. Im abschließenden Vergleich wird erläutert, welche Auswirkungen

1Adam Soboczynski: Das Netz als Feind. Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird (20.05.2009), Online im WWW unter URL:http://www.zeit.de/2009/22/Der-Intellektuelle[Stand: 04.09.2009].

2Vgl. Reinhard Tschapke: Zur Praxis des Kulturjournalismus. Oldenburg 2000, S. 22 oder auch Gunter Reus: Ressort: Feuilleton. Kulturjournalismus für Massenmedien. Konstanz 1999, S. 67.

3Dieser Begriff wird im Folgendem im Sinne von ‚Medialitäten, die unterschiedliche Sinnlichkeiten adressieren’ verwendet.

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die Mediendifferenzen auf das jeweilige Kulturverständnis haben. Dazu wird geklärt, welcher Gegenstandsbereich den Formaten unter dem Begriff Kultur zugrunde liegt und welches Selbstverständnis sie an den Tag legen. Sehen sich die Formate innerhalb ihrer Kulturbeobachtung als Chronisten, als Produzenten oder als Plattform für Kultur? Ist das Kulturverständnis damit medienabhängig oder nicht? Es gilt herauszufinden, ob die Formate sich in ihrem Kulturverständnis stark unterscheiden. Damit einhergehend soll beantwortet werden, ob ein Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur gemacht wird, ob also vor allem klassische Themen den Weg in die Kulturformate finden, oder ob mit einem, und dies könnte eine erste These sein, erweiterten Kulturverständnis gearbeitet wird. Wird Populärkultur, vorausgesetzt sie taucht in den Formaten auf, als solche betrachtet, oder werden alle Gegenstände einheitlich aus einer hochkulturellen Sichtweise angesehen? Auch gilt es zu überprüfen, ob eines der drei Medien als eine Art Leitmedium für die anderen fungiert und es hinsichtlich dessen intermediale Bezüge gibt.

Da in der Forschungsliteratur selten Medienvergleiche aufgemacht werden, haben als Grundlage für diese Arbeit vor allem Einzelmedienanalysen gedient, zum Beispiel die Reihe „Grundlagen der Medienkommunikation“ von Erich Straßner über Radio und Fernsehen. Als hilfreich haben sich auch Abhandlungen über Kultur in den Medien erwiesen. Journalistische Handbücher, besonders die Reihe des List Verlags für Ausbildung und Praxis und die Reihe des UVK Medien Verlags Praktischer Journalismus, haben ihren Teil zu dieser Analyse beigetragen, insbesondere für die Erfassung der Kulturarten und der journalistischen Darstellungsformen. Allerdings war hierbei immer der Praxisanteil dieser Bücher zu vernachlässigen. Zudem weisen diese Handbücher keine analytisch begründete Darstellung auf. Kurzum: Ein Medienvergleich, der sich mit der Klärung einer solchen Fragestellung beschäftigt, konnte nicht ausgemacht werden. Um diese Erkenntnislücke zu schließen, die Perspektive zu erweitern und ihren Teil zur Forschung an intermedialen Vergleichen beizutragen, wurde diese Arbeit angefertigt.

Doch warum genau wurde eine Trias von Fernsehen, Radio und Zeitung aufgemacht? Einerseits wurden diese Medien ausgewählt, weil die jeweiligen

Sinneswahrnehmungssysteme für eine Analyse interessant erschienen. So können sowohl visuelle als auch auditive und audiovisuelle Erscheinungen und ihre Effekte auf die Kulturberichterstattung untersucht werden. Andererseits konnten innerhalb dieser drei Medien drei Formate ausgemacht werden, die einen Vergleich dadurch

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legitimieren, weil sie sich in ihrer Erscheinungsweise ähneln. So handelt es sich beiFazit, Kulturzeitund demFeuilletonderSüddeutschen Zeitung4um mindestens werktägliche (dieSZerscheint auch samstags,Fazitsendet täglich) Formate, die überregional gesendet werden beziehungsweise erscheinen. Diese Analyse will sich über ausgewählte Eigenschaften den medialen Spezifika annähern, erhebt allerdings damit keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ebenso soll hier keines der Medien für seine Eigenheiten bewertet, sie sollen lediglich unterschieden werden. Allerdings soll hinterfragt werden, ob sich die Formate ihrer medialen Vorteile bedienen. Auch eine Rezeptionsforschung leistet diese Arbeit nicht, auch wenn in manchen kurzen Passagen Auswirkungen der Berichterstattung auf die Rezeption angedeutet werden soll. Diese Arbeit kann nicht den Redaktionsalltag wiedergeben, an ausgewählter Stelle soll aber auf diesen geschlossen werden. Diese Analyse verfährt sowohl quantitativ und wird prozentuale Ergebnisse eigens ausgewählter und ausgewerteter Kriterien erörtern, als auch qualitativ, da über bestimmte Vergleichspunkte, wie Sinneswahrnehmungssysteme und Sprache, nur solche Aussagen getroffen werden können. Bei den Auswertungen, den Zuordnungen und der Bestimmung von Überbegriffen für die drei Massenmedien muss es hierbei gegebenenfalls zu Reduzierungen kommen. Für die drei Untersuchungsgegenstände wird im Folgenden die Bezeichnung ‚Format’ gewählt. Die Formate mit ihren spezifischen, immer wiederkehrenden Erscheinungsbildern ergeben sich aus der Selektion, der Präsentation und der Publikationsform.5In der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur wird oft von Hörfunk statt von Radio gesprochen, wenn das Medium auf abstrakter Ebene gemeint ist. In dieser Arbeit werden die beiden Begriffe synonym verwendet.

4Im Folgenden abgekürzt alsSZ.

5Vgl. Jürg Häusermann: Radio (= Grundlagen der Medienkommunikation 6). Tübingen 1998, S. 92.

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2. Begriffsbestimmung und Grundlagen

2.1 Der Medienvergleich

In folgender Arbeit wird der Begriff Medien im Sinne von Massenmedien verwendet. Dazu soll der Begriff der Massenmedien kurz definitorisch nach Niklas Luhmann umrissen werden.

Grundgedanke bei Luhmann ist also, dass die technische Herstellung eines Produktes als Kommunikationsträger zur Ausdifferenzierung des Systems der Massenmedien geführt hat. Er schreibt: „Der Verbreitungsprozeß ist aber nur auf Grund von Technologien möglich. Deren Arbeitsweise strukturiert und begrenzt das, was als Massenkommunikation möglich ist.“7Entscheidend ist dabei außerdem, dass es zu keiner Interaktion unter Anwesenden zwischen Sender und Empfänger kommt. Weiter arbeitet Luhmann, und so soll es auch in dieser Arbeit getan werden, mit einem operativen Medienbegriff. Er schreibt:

In dieser Arbeit soll also trotz dem Umgang mit Massenmedien die Fragestellung darauf liegen, wie die einzelnen Medien Kultur verstehen und Unterschiedlichkeiten herstellen. Nun müsste noch geklärt werden, was in dieser Arbeit unter Medien verstanden wird, wohl wissentlich, dass eine eindeutige, trennscharfe Definition nicht möglich ist.

6Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien. Wiesbaden 2004, S. 10.

7Ebd., S. 13.

8Ebd., S. 11.

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Jens Ruchatz schlägt in seinem Aufsatz „Zeit des Theaters/ Zeit der Fotografie. Intermediale Verschränkungen“ vor: „Als Medium ließe sich also kurz und knapp definieren, was mit anderen Medien in Beziehung gesetzt wird”.9Die Einheit der Medien würde somit aus Differenzen gebildet. Das einzelne Medium erlangt also seine Bedeutung nicht aus sich heraus, sondern wirkt immer zusammen mit anderen. Auch Rainer Leschke hat dies schon zur Medienpraxis festgestellt: „Man verfügt also bestenfalls über eine Serie von Differenzen, nicht jedoch über einen Begriff vom Medium selbst.”10Diesen Definitionsansätzen soll hier gefolgt werden und die Beobachtung der Medien auf die tatsächliche Praxis der Kulturberichterstattung gelegt werden.

Im Folgenden soll also ein intermedialer Vergleich von drei Medien angestellt werden. Die unterschiedlichen Medien werden hinsichtlich ihrer Eigenschaften verglichen, dabei soll eine mediale Differenz hergestellt werden. Um Etwas über die medialen Spezifika der Zeitung, des Fernsehens und des Radios auszusagen, stütze ich mich auf die These von Jürgen Fohrmann, wonach „die Funktion oder die Leistung, die je spezifischen Eigenschaften von Medien nur im Medienvergleich zu rekonstruieren sind”11. Demnach ergibt sich alles, „was sich über ein Medium aussagen läßt, [...] aus einem Medienvergleich [...] und nicht aus einer Medienontologie“12. Auch Ruchatz zeigt auf, dass etwas „den Namen ‚Medium’ nur dann” verdient, „wenn es [...] zu anderen Phänomenen in Beziehung gesetzt wird, die auch als ‚Medien’ gelten”13. Fohrmanns Thesen zum Medienvergleich sieht Ruchatz unter Umständen als Ausweg zu der allgemeinen Medienbegriffsbestimmung von Luhmann. Danach können Medien nicht selbst in den Blick geraten, Medienbeobachtung wäre also nicht möglich. „Medien [sind] nur an der Kontingenz der Formbildungen erkennbar […], die sie ermöglichen.“14Lediglich die Betrachtung seiner Formen in Bezug auf andere Formen mache ein Medium also greifbarer, so Luhmann. „Eine solcherart vergleichende Bezugnahme” könne, schreibt Ruchatz, „nicht nur in Form von Beschreibungen - also im Medium der

9Jens Ruchatz: Zeit des Theaters/ Zeit der Fotografie. Intermediale Verschränkungen. In: ders./ Henri Schoenmakers/ Stefan Bläske/ Kay Kirchmann (Hrsg.): Theater und Medien/ Theatre and the Media. Grundlagen - Analysen - Perspektiven. Eine Bestandsaufnahme. Bielefeld 2008, S. 109-116, hier S. 115.

10Rainer Leschke: Einführung in die Medientheorie. München 2003, S. 73.

11Jürgen Fohrmann: Der Unterschied der Medien. In: ders./ Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Die Kommunikation der Medien. Tübingen 2004, S. 5-20, hier S. 6f.

12Ebd.

13Ruchatz, Zeit des Theaters, S. 109.

14Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1995, S. 165-173, hier S. 168.

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Sprache - erfolgen, sondern auch in intermedialen Beziehungen der Medienpraxis“15. Zunächst haben die Medien also gemeinsame Funktionen. Unterschiede ergeben sich dadurch, wie die Medien ihre Funktionen in der öffentlichen Kommunikation erfüllen. Auch für Rainer Leschke ist die „Differenz - und vor allem die problematische Differenz - [...] die Voraussetzung des Einsetzens von Reflexion”16. Diese Reflexion ist eine intermediale.

Die Autoren sprechen sich also gegen eine Medienontologie aus, da diese verabsolutierenden, reduzierten und technikdeterministisch inspirierten Grenzsetzungen den medialen Praktiken nicht standhalten. Medien erscheinen als etwas Komplexeres, als dass man sie auf Technik allein reduzieren könnte. Für diese Analyse wäre eine ontologische Herangehensweise daher nicht sinnvoll, da sie nicht reichhaltig genug ist und davon ausgeht, schon zu wissen, welche Effekte ein Medium hat. Diese Arbeit möchte aber durch einen Medienvergleich Forschung betreiben und die Erscheinung der Medien und ihre Effekte auf die Kulturberichterstattung untersuchen.

2.2 Der deutsche Kulturbegriff - eine definitorische Annäherung

Den Kulturbegriff zu bestimmen, würde die Grenzen dieser Arbeit sprengen. Der Umfang der Quellen hierfür zwingt also zur Selbstbeschränkung. Zwei soziologische Ansätze und ihre wesentlichen Annäherungsversuche an den Kulturbegriff sollen hier genannt werden. In diesem Kapitel werden einige Überlegungen Dirk Baeckers und Georg Bollenbecks vorgestellt, über die man sich dem Kulturbegriff nähern könnte. Das hier Beschriebene ist lediglich eine Auswahl der großen Anzahl ihrer soziologischen Ansätze. Trotz des selektiven Prozesses sollte der Untersuchungsgegenstand zumindest ein wenig eingegrenzt und die wichtigsten Gedanken zum Kulturbegriff formuliert werden.

Das der Arbeit zugrunde liegende Kulturverständnis soll einen allzu weiten Kulturbegriff eingrenzen. Allerdings muss auch bedacht werden, dass es eine präzise Bestimmung des Begriffes wohl nicht gibt. Trotzdem können Versuche unternommen werden, von verschiedenen Sichtweisen ausgehend, sich dem Untersuchungsgegenstand zu nähern und ihn zu umkreisen, ohne ihn vorschnell festzulegen. Im Übrigen stützt sich

15Ruchatz, Zeit des Theaters, S. 114.

16Leschke, Medientheorie, S. 33.

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die Arbeit dabei auf eine konstruktivistische Sichtweise, die davon ausgeht, dass Kultur auf der Ebene erster Ordnung nicht definiert werden kann, auf der Ebene zweiter Ordnung aber genau durch diese Unmöglichkeit der Definition doch wieder definiert wird.17In dieser Arbeit soll Kultur in deutschen Medien untersucht werden, infolgedessen beschränkt sich auch die Darstellung des Kulturbegriffs auf Deutschland in dem Sinne, dass deutsche Soziologen zu Rate gezogen werden. Dirk Baecker schlägt in seinem Band „Wozu Kultur?“ vor, den Kulturbegriff soziologisch anzugehen und ihm eine gesellschaftliche Funktion zuzuweisen.18Von einer Gleichsetzung der Begriffe Kultur und Kunst nimmt die soziologische Herangehensweise Abstand, vielmehr geht es darum, „die Kultur als Formel und Praxis einer gesellschaftlichen Selbstverständigung zu beschreiben, zu der dann jedoch auch und zum Mißfallen von Künstlern der Zugriff auf Kunst gehören kann“19. Kultur soll nicht als Summe der Werte dargestellt werden, mit denen eine Gesellschaft ausgestattet ist, sondern als eine „Beobachtung, die zu jedem Wert den möglichen Gegenwert bereithält“20, also erst einmal systematisch zweideutig funktioniert. Kultur sollte Interpretationen ermöglichen und als ein Gedächtnis der Gesellschaft fungieren. Dabei geht es um Effekte, die neue Erfahrungen an alte Erwartungen zurück binden. Interpretationen dieser Kultur liefern unter anderem ihre Beobachter in den Massenmedien, so auch im Feuilleton. Gegenstand der Interpretation kann die Wahrnehmung der modernen Gesellschaft sein, die die Kunst der Kultur liefert.21Auf diese Weise kann die Kunst, vermittelt als Kultur, der Gesellschaft Beobachtungen zur Verfügung stellen, aus denen gelernt werden kann. Auch Bollenbeck sieht Kultur als „eine Antwort auf die verbreitete Klage über die Vereinzelung und Zersplitterung des historischen Wissens“22. Sie ermöglicht eine neue Geschichtsschreibung. Bollenbeck stellt in den Mittelpunkt seiner Arbeit „Bildung und Kultur“ eine Begriffsgeschichte von Kultur als Sozialgeschichte.23Er betont dabei, dass er eine lexikalische Bedeutungsgeschichte nicht für sinnvoll hält, da sie „unhistorisch-abstrakt“

17Vgl. Dirk Baecker: Wozu Kultur? Berlin 2000, S. 33.

18Vgl. Ebd., S. 8.

19Ebd., S.9.

20Ebd.

21Vgl. Ebd., S. 27.

22Georg Bollenbeck: Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters. Frankfurt am Main, Leipzig 1994, S. 82.

23Die Begriffsgeschichte soll in dieser Arbeit nur angedeutet werden, da die Nachvollziehung der Ausführungen Bollenbecks den Rahmen gänzlich sprengen würden.

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Vergleichs, ausgehend davon, dass sich im Prinzip alles vergleichen lässt. Der moderne Kulturbegriff ist also auch durch sein Problembewusstsein gegenüber der Gegenwart und einer Differenzerfahrung von Vergangenheit und Zukunft geprägt. Auch Bollenbeck schreibt, dass der moderne Kulturbegriff „durch die Verzeitlichung und durch die diskursive Dynamik in einer bürgerlichen Öffentlichkeit“32einen neuen Bedeutungszusammenhang erhält und einen Bewusstseinswandel nicht mehr nur repräsentiert, sondern ihn auch vorantreibt.

Um 1900 fällt auf, dass die Reflexion über den Begriff der Kultur auch in den großen Zeitungen, in den politischen, wirtschaftlichen und literarischen Ressorts, verstärkt aufgegriffen wird. Im ersten Weltkrieg entfaltet der Begriff der Kultur wieder eine pragmatisch-diskursive Dynamik, diesmal aber wächst damit auch die Diskrepanz zwischen neuen Verhältnissen und alten Begriffen. Es folgt eine noch stärkere Reflexion der Begriffe und Reformulierungsversuche im Medium.33Mit der Industrialisierung beginnt der Aufstieg der Naturwissenschaften. Kultur etabliert sich zu einem zentralen Ausdruck neuer geisteswissenschaftlicher Fächer und Debatten, die auch in den Zeitungen geführt werden. Das Bildungsbürgertum verliert an Ansehen und Kompetenz. War die Stellung des Bürgertums lange Zeit durch geistige Leistung gegründet und gerechtfertigt und wurde die Kultur durch diese vertreten und scheinbar hervorgebracht, kommt es in der Weimarer Republik zu einem Ende der Gemeinsamkeit zwischen dem Bildungsbürgertum, der Kunst und den Künstlern. Aber nicht nur Tradition und Moderne treten auseinander, sondern auch die Spannweite zwischen einer elitären und einer populären Kunst vergrößert sich mit der Ausweitung des Marktes.34Der Begriffsumfang von Kultur wird erweitert, Technik, Naturwissenschaft, Politik und Ökonomie, das alles umfasste ein weiter Kulturbegriff. Unter den Nationalsozialisten wird Propaganda und Krieg im Namen der Verteidigung und Verbreitung der deutschen Kultur geführt. Ob das heutige Kulturverständnis der zu untersuchenden Formate dem geschichtlichen Kulturbegriff der Weimarer Republik ähnlich ist, will die Arbeit herausfinden.

Auch die Nachkriegsgesellschaft entbehrt aufgrund unterschiedlicher und entgegengesetzter Realitätserfahrungen die Vorraussetzungen für die Existenz einer

32Bollenbeck, Kultur, S. 68.

33Ebd., S. 231.

34Ebd., S. 262.

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einheitlichen Kultur.35Das postmoderne Kulturverständnis kontinuiert bestimmte Motive des antiken (heute Kultur als Pflege von natürlichen und künstlichen Zusammenhängen) und modernen Kulturverständnisses, steht aber unter einer anderen Perspektive, nämlich unter der der Korrektur.36Bollenbecks Idee des „Deutungsmusters“ löst sich auf. Wurde die Kultur früher so vom Menschen bearbeitet, dass sie für ihn gearbeitet hat, bearbeitet die Kultur heute den Menschen so, dass er für sie arbeitet. „Man kann Kultur als Einheit dieser vier Momente Pflege, Verehrung, Vergleich und Spiel beschreiben.“37Grundsätzlich ist Kultur als Differenz zu einem Gegenüber zu verstehen, von dem sie immer wieder eingeholt wird, sei es die Natur, die Gesellschaft oder die Zivilisation. Bollenbeck resümiert, dass Kultur sich zum eigenständigen Sinngehalt ohne scharf umgrenzten Bedeutungsumfang, aber mit komplexem Bedeutungsinhalt ausweist.38Heute ist Kultur etwas Abstraktes, Dynamisches, Selbstständiges. Bollenbeck bringt Kultur auf die Formel: „Der Begriff hat eine hochgradig unbestimmte Sachdimension, und er gewinnt so eine wirkungsvolle Sozialdimension.“39Der Begriff Kultur bündelt Fragen, auch die der Kulturkritik und die des Kulturpessimismus, und lenkt das Krisenbewusstsein.40Das Verständnis von Kultur unterliegt, wie aufgezeigt, einem stetigen Wandel und sich ständig verändernden Trends. Das stellt auch Baecker fest, wenn er schreibt: „Erst dem Beobachter fällt auf, dass Stile des politischen Kommentars, Unterstellungen des Feuilletons und kritische Nachfragen der Wirtschaftsberichterstattung einem vielfach bemerkenswerten Wandel unterworfen sind.“41Dadurch, dass Kultur nichts Statisches und kein festgelegtes System ist, bleibt sie etwas Lernfähiges, Lebendiges, Variables. Sie wird zur „Beobachtungsformel“ unverstandener Fragestellungen und nicht zur „übergreifenden Sinnstiftung“42. Baecker stellt fest: „Jedem Ereignis, jeder Situation wird freigestellt, sich eine eigene Kultur zurechtzulegen - und sei es nur durch eine

35Vgl. Peter Seibert: Die Musen, das Medium und die Massen. Zu denKulturmagazinenim Fernsehen der Bundesrepublik. In: Helmut Kreuzer/ Karl Prümm (Hrsg.): Fernsehsendungen und ihre Formen. Typologie, Geschichte und Kritik des Programms in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1979, S. 377-389, hier S. 377.

36Baecker, Kultur, S. 70.

37Ebd., S. 84.

38Vgl. Bollenbeck, Kultur, S. 87.

39Ebd.

40Vgl. Ebd., S. 279.

41Baecker, Kultur, S. 21.

42Ebd., S. 22.