Talking Metal - Frank Schäfer - E-Book

Talking Metal E-Book

Frank Schäfer

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Beschreibung

Heavy Metal war schon bald nach seiner Erfindung nicht mehr bloß Musik. Metalheads neigen zur Gemeindebildung. Ein Buch, das sich mit der Fankultur und der Infrastruktur dieser Szene befasst und sie selbst ausgiebig zu Wort kommen lässt, fehlte jedoch bisher. 'Talking Metal' schließt nun diese Lücke. Indem Frank Schäfer Gespräche mit Fans zu einem vielstimmigen Ganzen arrangiert, beschreibt sich die Szene gewissermaßen selbst. Authentisch, wahrhaftig, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Hier kommen ausschließlich Die-hard-Fans zu Wort, die Heavy Metal auch insofern leben, als sie ihre Passion zum Beruf gemacht haben. Labelchef, Cover-Illustrator, Konzertveranstalter, Fachjournalistin, Musikwissenschaftler, Gitarrenbauer, Roadie, Club-Besitzer, Filmemacher, Fan-Club-Vorsitzende, PR-Agentin usw. - sie alle erzählen ihre ganz persönliche Heavy-Metal-Biografie und erklären dabei ihre Profession. 'Talking Metal' von Frank Schäfer bietet somit nicht nur eine unverstellte Innenansicht der Szene, sondern auch einen interessanten Blick hinter die Werktore der wie geschmiert laufenden Metal-Industrie.

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Seitenzahl: 352

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Frank Schäfer

TALKING METAL

Headbanger und Wackengänger

Die Szene packt aus!

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

Der Produzent: Sascha Paeth

»Mein Wunsch war schon immer, schon als Vierzehnjähriger, von der Musik zu leben. Mehr nicht. Was anderes hat mich wirklich nicht interessiert, Superstar oder so was, überhaupt nicht.«

Ehmen ist ein Fünftausendeinwohnerdorf und gehört zur Stadt Wolfsburg. Der Ort hat sich seine ländlich-verschlafene Aura halbwegs bewahrt. Neues aus Uhlenbusch hätte womöglich auch hier gedreht werden können. Die Grundstücke sind recht groß, es gibt viele alte Bauernhäuser, alte Ställe, obwohl – wie überall in der Region – 90 Prozent der arbeitenden Bevölkerung längst bei Volkswagen oder in einer der vielen Zulieferfirmen Dienst schieben. Auf einem dieser pittoresken Höfe befinden sich, von außen nicht zu erkennen, die Gate Studios, das »Arbeitswerkzeug« von Sascha Paeth. Paeth ist in Ehmen aufgewachsen, wohnt jetzt zwei Dörfer weiter – ein Landei, das aber mittlerweile ziemlich herumgekommen ist in der Welt. Sein Name hat einen guten Klang im True-/Epic-/Power-Metal-Segment. Er zeichnete als Produzent für diverse, sehr erfolgreiche Alben von Kamelot, Epica, Edguy, Avantasia, Rhapsody, Lunatica etc. verantwortlich. Zunächst kannte die Szene ihn allerdings als technisch ausgepichten, nicht nur spielerisch, auch optisch ein wenig an Eddie Van Halen erinnernden Leadgitarristen bei Heaven’s Gate, den True-Metallern, die in den Neunzigern ein paar ziemlich gute Jahre und Alben hatten – und in Japan auch die größeren Hallen füllten. Noch heute verdingt er sich gelegentlich als Songwriter und Session-Gitarrist, zuletzt einmal mehr für Tobias Sammets Avantasia-Projekt. Wir treffen uns zum zweiten Frühstück im Haupthaus des Studios, das als Mastering-Studio und Ruhezone genutzt wird. Eine typisch niedersächsische Bauernkate. Wir gehen durch eine lange, düstere Diele in eine geräumige Wohnküche. Obwohl das Thermometer 25 Grad zeigt, frieren wir nach einer Weile so sehr, dass wir uns schließlich nach draußen in die Sonne setzen.

Du kommst gerade von einer Pressepräsentation für das neue Edguy-Album, das du produziert und aufgenommen hast. Da werden aus ganz Europa die Journalisten eingeflogen, beherbergt, durchgefüttert usw. Man geht da ja ganz schön in Vorleistung. Damit sich das alles lohnt, muss man wohl doch noch ganz gut was verkaufen?

Edguy verkaufen gut, na klar.

Aber man hört doch immer wieder die Klagen der Musikindustrie, dass die großen Margen mit Plattenverkäufen nicht mehr zu machen sind.

Das stimmt auch. Ich habe das Glück, dass ich schon ein bisschen länger dabei bin und mit Bands arbeite – und die teilweise auch selbst mit aufgebaut habe: Rhapsody, Kamelot, Avantasia –, die jetzt alle groß sind und einen Status haben, bei dem immer noch was geht. Das heißt, dass man auch noch vernünftige Produktionen machen kann.

Nenn doch mal Verkaufszahlen: Was heißt denn groß in diesem Zusammenhang – 50.000?

50.000 ist mittlerweile schon ziemlich gut, da pendeln sich so die bekannteren Bands des Metal ein, bei 100.000 liegen die größeren Acts, manche etwas drunter, Avantasia liegt sogar drüber. Das hat natürlich alles ein bisschen nachgelassen. Aber es gibt eben immer noch Verkäufe, es ist weniger eingebrochen als bei anderen Genres – weil es so viele Fans gibt, die das sammeln, die das alles haben wollen. Da kann man wirklich dankbar sein, dass man in dem Bereich arbeitet.

Deshalb tauchen ja jetzt sogar Extreme-Metal-Acts in den Top 100 auf. Sogar Bands, die eigentlich weg vom Fenster waren, neulich erst wieder Jag Panzer, Vicious Rumors oder Flotsam & Jetsam.

Top 100 schafft fast jeder mittelgroße Act im Metal. Mit der letzten Avantasia sind wir auf Platz zwei eingestiegen. Das wäre vor zehn Jahren noch eine Sensation gewesen. Mittlerweile geht das, Bands wie Blind Guardian steigen auf eins ein. Man merkt das auch an der Plattenindustrie, dass plötzlich sogar Major-Firmen wieder Interesse zeigen an Metalbands. Da geht vielleicht noch ein bisschen was … Wer das alles verschuldet hat, darüber müssen wir nicht lange reden.

Wie lief die Produktion mit Edguy?

Die lief super. Das ist eine der Bands, die, ich sag das jetzt mal in Anführungszeichen, die alten Werte wieder hervorkramt, die zum Beispiel sagt: Lass uns mal eine vernünftige Platte machen, die auch Atmosphäre hat und nicht einfach so billig wie möglich sein muss. Scheiß auf den Loudness-Wahn, den man jetzt gerade so fährt. Es sind auch keine Samples drauf. Sie klingt sehr, sehr erdig, ein bisschen wie früher, natürlich frequenzmäßig moderner. Das gibt der Platte eine eigene Identität. Bei Edguy sind Leute, die so etwas zu schätzen wissen, und die lassen sich auch auf so etwas ein. Das findest du nicht mehr so oft. Da heißt es dann immer eher: Nee, hier, das muss knallen, so machomäßig. Das gibt es bei denen nicht.

Du nimmst aber schon digital auf?

Beides.

Wird eine analoge Aufnahme bei dir noch nachgefragt?

Wir machen es nicht mehr sehr oft.

Ich hätte auch gedacht, das wäre eher im Schweinerock-Bereich angesagt. Da gab es doch vor einigen Jahren mal diesen Trend – zurück zum Analog-Sound.

Das ist da auch immer noch so. Wir haben zum Beispiel 16-Spur-Zwei-Zoll, das ist vom Soundeindruck, sagt man immer, das Fetteste, was geht. Also möglich wenig Spuren auf möglichst viel Band. Je breiter und je weniger Spuren darauf sind, umso besser klingt das. Aber das Digitalzeug ist so gut geworden, damit kann man echt gut aufnehmen. Man muss da natürlich ein bisschen anders herangehen. Ich nehme trotzdem ganz gern mal mit Tape auf, aber nicht unbedingt Heavy Metal. Es kommt immer darauf an. Wenn man es ein bisschen trashiger haben will, ist es okay, aber es ist spieltechnisch auch meistens zu anspruchsvoll. Es ist einfach unpraktisch. Allerdings kann man es auch bewusst nutzen – das Unpraktische daran –, um es wieder etwas musikalischer zu gestalten, weil man alles wieder etwas anders hört. Bei Pro Tools zum Beispiel, das ist so ein Aufnahmeprogramm, das wir benutzen, da bist du sofort wieder da, wo du angefangen hast, mit etwas Vorlauf. Beim Band ist das anders, du spulst zurück, musst wieder warten. Du hörst ganz anders, hörst auch größere Bereiche, gehst auch ganz anders an die Musik heran. Man verläuft sich ja auch manchmal total, wenn man immer nur ganz kleine Bereiche hört.

Dann ist es also nicht mehr so, dass ein Song wirklich mal durchgespielt wird? Als ich damals in den Achtzigern ein paar Mal aufgenommen habe, sagten uns die Mixer immer, es sei eigentlich für den Song am besten, wenn wenigstens Drums und Rhythmusgitarre, die Basics, in einem Take gespielt werden.

Das ist auch immer noch so. Ich sehe das auch so. Aber der technische Anspruch ist halt gestiegen, weil viele in der Vergangenheit so viel gestückelt und editiert haben. Der technische Anspruch ist mittlerweile so hoch, dass man es kaum noch machen kann. Es kommt auf die Musik an. Mit Edguy haben wir schon öfter solche Experimente gemacht. Das eine Album haben wir ganz live aufgenommen und danach ausgetauscht, was nicht in Ordnung war. Hier haben wir ganz normal mit den Drums angefangen und danach haben wir die Rhythmusgitarren eingespielt, aber dabei beide Gitarristen zusammen aufgenommen. Das habe ich denen dann eröffnet: »Ich möchte, dass ihr heute beide zusammenspielt.« Und die dann: »Oh, Scheiße.« Aber das hat super funktioniert, weil genau das passiert: Man stellt sich musikalisch aufeinander ein während des Spielens. Das klappt nicht, wenn eine Gitarre schon drauf ist, da greift nichts mehr ineinander. Im Kleinen kann man das machen. Und Tobi singt sowieso durch, zwei-, dreimal – fertig. Eine halbe Stunde bis Stunde dauert ein Song bei ihm. Das ist auch nicht üblich.

Das liegt doch wohl vor allem an der Musikrichtung. Wenn du so einen Frickel-Metal wie Meshuggah aufnimmst, bei dem schon allein die Drum-Tracks eine Wissenschaft für sich sind, wird es ohne Stückeln kaum gehen.

Das habe ich direkt vorher gemacht. MaYaN, ein neues Projekt des Gitarristen und des Schlagzeugers von Epica. Das ist wirklich einer der besten Drummer der Welt, extrem technisch, der spielt aber so gut, dass du auch da nicht editieren musst, oder jedenfalls kaum, das hast du ganz selten bei einem so krassen technischen Level, aber das ist halt ein Wunderkind. Da gehst du natürlich nicht ran mit der Einstellung »Einmal durchzocken fürs Feeling«, weil es eine völlig andere Musik ist.

Und wie schaffst du dir die Sachen drauf, wenn du produzierst? Du brauchst ja auch ein Songskelett, mit dem du arbeiten kannst.

Total unterschiedlich. Ich spiele ja auch, mehrere Instrumente. Und ich schreibe auch manchmal mit. Ganz oft mache ich wenigstens ein paar Vocal-Melodien oder eben Gitarrenparts. Oder ich spiele Keyboards dazu. Aber das kann auch sehr viel umfangreicher sein. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass einer mir ein bisschen Lala-Gesang und Gitarre schickt, und ich arrangiere das dann, mache quasi alles alleine, nehme das dann auch auf und die kriegen die fertige Aufnahme. Und dann überlegt man, ob man es neu aufnimmt, aber bei manchen Produktionen bleibt auch alles so. Das wäre die umfangreichste Arbeit. Da kriege ich halt vorher wirklich nur ein Skelett, wie auch immer aufgenommen, und rupfe das total auseinander und mache was daraus.

Bei welchem Album ist denn das so gewesen, darfst du das sagen?

Nee, das sage ich nicht.

Schade, das würde mich interessieren!

Klar. Und dann gibt es noch die Variante, wo beides passiert, wo man mal einen Song arrangiert, ein paar andere sind schon fertig, und man vervollständigt das. Oder einer sagt dann: »Wir haben hier noch eine Ballade, hast du Bock, die zu arrangieren? Wir haben das nicht geschafft.« Das gibt es natürlich auch. Die Gründe sind auch verschiedene. Manchmal heißt es auch: »Die zwei, drei Songs würden wir gern mal anders haben, experimenteller, mach du doch mal!« Das heißt dann auch nicht unbedingt, dass die das nicht können. Aber es gibt natürlich auch die, die das nicht können. Ist aber auch in Ordnung. Wenn die das Vertrauen haben, darf ich manchmal richtig wüten. Ich gehe auch manchmal mit in den Proberaum, spiele Bass, Gitarre oder was auch immer, bin also Bandmitglied im Proberaum für zwei, drei Wochen, und wir arrangieren da die Songs zusammen und spielen sie wirklich auch, das habe ich schon oft gemacht, in Brasilien, Florida. Da bekommt man natürlich einen ganz anderen Eindruck, man taucht viel besser ein in die Musik.

Und anschließend nehmt ihr dann hier im Gate Studio auf?

Ja, aber auch nicht immer, manchmal auch woanders, oder einen Teil zumindest, dann kommt zum Beispiel nur der Sänger hier rüber. Das ist nicht unbedingt gebunden ans Studio. Und dann gibt es natürlich auch den klassischen Fall, eine Band hat was vorbereitet, kommt ins Studio und wir nehmen es hier auf. Ich nehme jetzt gar nicht mehr so viel auf. Mittlerweile mische ich lieber oder arrangiere, mache also eher die kreative als die Fleißarbeit, aber die mache ich natürlich auch noch manchmal. Und dann während der Aufnahme arbeitet man an den Feinheiten: »Lass uns mal so probieren. Und dann hätte ich da noch eine Idee, wir nehmen da noch eine Gitarre, verschachteln es hiermit, scheiß da aufs Keyboard, das ist so cooler, oder hier könnte man mit dem E-Bow noch eine Fläche legen«, so oder ähnlich. Oder man sagt halt ganz einfach: »War scheiße gespielt, müssen wir noch mal wiederholen. Timing war nicht gut.« Oder: »Intonation war nicht gut.« Aber das ist eine Sache, die auch ein Toningenieur natürlich können muss. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass bei den meisten Leuten die Vorstellung herrscht, der Produzent sei der, der das Ganze dann aufnimmt. Das hat natürlich mit der eigentlichen Arbeit wenig zu tun. Der Produzent ist so etwas wie ein Regisseur, der die künstlerischen Elemente zusammenfügt. Das ist jedenfalls meine Auffassung vom Produzieren. Ich habe auch künstlerischen Einfluss auf die Musik. Ich versuche zu erkennen, was eine Band ausmacht, um das dann zu boosten. Das ist die Aufgabe eines guten Produzenten: die Stärken einer Band zu erkennen und die herauszustellen. Oder die Band will noch einen weiteren Einfluss, das gibt es auch. Wenn die sagen: Es fehlt uns noch irgendwas an unserem Sound. Da gibt es auch Beispiele, dass die dann erst durch den Produzenten zu ihrem Sound gefunden haben.

Man hat als Nicht-Insider oft den Eindruck, als gäbe es zwei Fraktionen, die nicht immer einer Meinung sind – auf der einen Seite die Band, auf der anderen Seite die Plattenfirma. Wer ist eigentlich in der Regel dein Ansprechpartner?

Meistens die Band. Die Bands haben oft einen Bandübernahmevertrag, das heißt, die lizenzieren ihre Aufnahme an die Firma und ich werde von ihnen beauftragt, die Produktion zu fahren. Ich habe natürlich auch Kontakt zur Plattenfirma.

Das heißt, du bekommst dein Geld von der Band?

Ja, aber die bekommt das Geld von der Plattenfirma. Es gibt auch andere Fälle, in denen die Firmen sehr viel Einfluss nehmen und die Richtung vorgeben wollen – funktioniert aber nicht so gut. Ich bin der Meinung, die Plattenfirma sollte künstlerisch nicht so viel Einfluss haben. Natürlich sollte man ein Marketingkonzept haben und erkennen, was das Potenzial der Band ist. Im Grunde ist es genauso wie bei der Arbeit des Produzenten: Man sollte den Act nicht verbiegen. Das, was eine Band hat, ist ja das Besondere, diese Kante, die da dran ist. Warum sollte man das abgeben wollen, um hinterher zu klingen wie fünfzig andere Bands, und nicht mal besser? Man sollte so etwas nicht glattbügeln. Plattenfirmen versuchen das gern, besonders in Deutschland: irgendeinem Trend zu folgen. Aber wenn es einen Trend gibt, ist es sowieso schon zu spät, man muss einen Trend versuchen zu setzen. Klingt natürlich großkotzig, aber es funktioniert nur so, nur so kann man langfristig Erfolg haben. Man kennt doch diese Storys von den ganz großen Bands, die zunächst mal alle abgelehnt worden sind, weil sie anders klingen, etwas ganz Eigenes haben. Und das Eigene muss man erkennen. Rhapsody ist so ein Fall, ob man das mag oder nicht. Es ist nicht so meine Musikrichtung, muss ich sagen, das wissen die Jungs auch, das ist von Anfang an so gewesen.

Aber du hast die ja nun jahrelang betreut.

Absolut. Es sind auch meine Freunde. Das heißt ja auch nicht, dass man nicht helfen und daran arbeiten kann. Als ich das Demo hörte, habe ich gedacht: Ach du Scheiße, so was habe ich ja noch nie gehört – das soll funktionieren? Aber lustig. Und Limb aus Hamburg, der auch Heaven’s Gate-Manager war, der hat da voll dran geglaubt. Der hat schon öfter solche Visionen gehabt, Angra zum Beispiel war auch so ein Fall. Die sind in Deutschland nicht so richtig passiert, aber weltweit gehörten die schon zu den richtig erfolgreichen Metalbands, die haben von manchen Alben 300.000 verkauft. Aber Rhapsody ist eigentlich das krasseste Beispiel. Das hätte keiner gedacht. Und das dann auch noch »Symphonic Epic Hollywood Metal« zu nennen, so ein Label draufzudrucken. Da haben wir alle gesagt: »Nee, komm, das kannst du nicht machen, das ist jetzt echt zu kitschig.« Und er nur: »Doch!« Und jetzt lies mal die Magazine. Was machen die für Musik? Symphonic Epic Hollywood Metal.

Aber das passt eigentlich doch ganz gut in dein Portfolio. Du bist ja schon bekannt für eine bestimme Ecke, für diesen symphonischen, melodiösen, ins Epische lappenden True Metal, so könnte man das vielleicht nennen.

Das liegt vor allem daran, dass es Erfolg gab und dass dann Bands gekommen sind, die so ähnlich klangen. Grundsätzlich würde ich sagen, mag ich das eher nicht. Das ist nicht unbedingt meine persönliche Präferenz.

Was wäre das denn?

Ich bin aufgewachsen mit Blues, mit Rock, Rolling Stones, Zappa, so was, das lief schon in meinem Elternhaus. Und dann habe ich angefangen, Musik zu machen, und bin da natürlich so reingerutscht, habe aber immer schon versucht, meine Einflüsse mit einzubringen. Man hört das auch bei vielen Sachen, die ich gemacht habe. Das war bei Heaven’s Gate auch schon so, bei uns gab es immer starke Einflüsse aus anderen Musikrichtungen und wir sind dafür auch regelmäßig auf die Fresse geflogen, wenn man so will. Weil immer Leute gesagt haben »Das muss jetzt aber True-Metal-mäßiger klingen« und wir dann immer geantwortet haben »Das wollen wir aber nicht« und irgenwann auch »Dann hören wir halt auf«. Und das ist auch heute noch so. Wenn ich Ideen einbringe, dann ist es nicht unbedingt so, dass ich es Metal-mäßiger mache. Klar, habe ich jahrelang Metal gemacht, ich spiele ja selbst auch noch bei Avantasia, aber meine Roots sind andere. Und das hört man auch. Ich höre das auch bei anderen, wo die eigentlich herkommen.

Dein Gehör ist ja ohnehin sensibilisiert. Mich hat das immer fasziniert, wenn man mal im Studio war, was der Mann im Aufnahmeraum alles gehört hat und mit welcher Selbstverständlichkeit er die einzelnen Sounds dann auch zu einem Ganzen komponiert hat.

Man bildet natürlich eine technische Art des Hörens aus, auch wenn man physikalisch nicht mehr hört. Man lernt, bestimmte Störgeräusche zu hören, oder Frequenzbereiche, die sich überlagern. Ein anderer würde sagen: Wieso? Klingt doch gut. Ja, aber das wird beim Mix zum Problem und deshalb nehme ich es lieber jetzt schon raus. Einfach aus Erfahrung.

Das heißt, es ist ein Prozess, learning by doing. Du hast also vorher diesen Fehler schon mal gemacht?

Man macht immer Fehler. Und irgendwann hat man dann mehr Erfahrung und macht ein paar Fehler weniger.

Bevor du angefangen hast mit dem Gate Studio, hast du da eine Ausbildung gemacht?

Da war ich schon vier Jahre als Freelancer unterwegs, vor allem mit Charlie Bauerfeind, einem Produzentenkollegen, der mich damals unter seine Fittiche genommen hat. Nach der Heaven’s Gate-Produktion Planet E haben sich unsere Wege so ein bisschen getrennt, aber davor haben wir quasi als Produzentenduo bestimmt fünfzig Alben zusammen produziert, von Gamma Ray bis Running Wild. Er hat meistens gemischt und engineert, ich habe oft Teile des Engineering, sehr oft auch die Keyboard-Arrangements gemacht, den Orchesterkram, und natürlich auch gespielt, bin dann eingesprungen als Bassist oder Gitarrist. Das war ganz gut, wir konnten so relativ viel abdecken zu zweit. Und wir haben auch richtig durchgezogen, manchmal haben wir auch in Schichten gearbeitet oder in zwei Studios gleichzeitig und haben uns gegenseitig befruchtet. Das hat Spaß gemacht. Wir waren in Ungarn ein paar Monate oder haben für Sisters of Mercy was gemacht im Wisseloord Studio in Holland. Das war eine gute Erfahrung.

Lass uns vielleicht noch weiter zurückgehen. Wie bist du zur Musik gekommen?

Ich habe schon ganz früh in einer Band gespielt. Mit zwölf hatte ich meinen ersten Auftritt, da haben wir auch schon eigene Songs gemacht. Zum ersten Mal im Studio war ich mit 14, mit einer Band namens Merlin. Dann bin ich bei einer Band eingestiegen, die damals schon einen Plattenvertrag hatte – Black Tears hießen die –, da war ich 15, höchstens 16. Die haben zwei Platten gemacht, ich bin da eingestiegen und wir haben uns umbenannt in Sharona. Da bekam ich die ersten Kontakte zur Hardrock-Szene, war ein paar Mal im Studio, auch schon im Horus, für Demo-Aufnahmen. Irgendwann hat mich dann Thomas Rettke – damals noch Steeltower – gesehen, die hatten einen Plattenvertrag und suchten nach einem Gitarristen, der die Soli einspielt. Thomas hat mir ein Demo mitgegeben: »Hier, hör mal rein.« Erst mal ist mir der Gesang aufgefallen, der war schon krass, Thomas ist schon ein richtig guter Sänger. Wir haben dann zusammen geprobt und das hat Spaß gemacht und irgendwann war ich dann in der Band. Dann haben wir im Horus die erste Platte eingespielt, Tommy Hansen hat produziert und der fand mich dann ganz gut und so habe ich gleich auch noch für ein anderes Projekt von ihm Bass und Gitarre eingespielt. Da habe ich schon gemerkt, dass mir die Studioarbeit Spaß macht. Und ich habe dann auch bald für die Band erste Demoaufnahmen gemacht, mit einem Achtspur-Gerät. Ich hatte irgendwann so ein gewisses Grundwissen und dann hat Charlie Bauerfeind uns irgendwann produziert und der hat gemerkt, dass es gut funktioniert, und schließlich gefragt, ob ich im Horus Sound Studio eine Produktion von ihm übernehmen kann.

So professionell warst du damals also schon?

Überhaupt nicht. Er hat gefragt: »Kannst du das für mich weitermachen? Ich muss nach Amerika.« Und ich: »Kann ich das? Klar, kann ich.« In ein paar Stunden hat er mir dann alles erklärt: Mischpult, Signalfluss, ich hatte noch nie einen Macintosh bedient, das Programm da drauf, Performer, das alles an einem Nachmittag. Und dann ist er weggefahren. Um Gottes willen. Ich hatte einen amerikanischen Produzenten hinter mir sitzen, der wirklich nur produziert hat. Das musste halt laufen. Und er kam wieder und ich hatte es irgendwie aufgenommen. Ich war echt im Stress.

Aber das lief?

Das ist auch gut geworden. Und Charlie war happy, dass es funktioniert hat. Und danach war ich drin, da hat er mich gefragt, ob wir nicht im Team arbeiten wollen. Ein Jahr habe ich ein festes Gehalt bekommen und dann war ich richtig beteiligt, auch als Produzent. Für all das muss ich noch mal sagen: Danke, Charlie! Plötzlich war das nämlich auch finanziell ganz interessant. Wir haben auch richtig viel gearbeitet, wir sind von einem Ort zum anderen gezogen, ständig unterwegs, und dann zwischendurch immer mal wieder Proben mit der Band, ein Auftritt hier, eine Tour da. Da lief wirklich viel gleichzeitig. Und das wurde dann auch immer mehr. Das war noch ein Grund für die Auflösung von Heaven’s Gate, du kannst nicht mitten in der Produktion ständig zum Proben fahren. Und dann war das auch so lukrativ, dass ich mir gesagt habe: Okay, ich forciere das jetzt, von irgendwas musst du schließlich auch leben. Und das lief auch sehr gut mit Charlie. Wir hatten immer gute Jobs, keine Pausen. Weihnachten vielleicht. Und das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert. Ich habe eigentlich immer noch keine Freizeit. Allerdings arbeite ich mittlerweile viel zu Hause, man kommt dann gelegentlich mal raus zum Essen mit der Familie.

Es war doch vermutlich auch von Vorteil, dass man bei dir wusste, man bucht nicht nur einen Produzenten und Techniker, sondern eben auch einen versierten Musiker, der zur Not auch da einspringen kann.

Sicherlich, aber ich habe auch schon das Gegenteil erlebt. Ich habe mir offenbar in der Szene einen Namen gemacht dafür, dass hier Sachen passieren, die nicht ganz koscher sind, dass hier also nicht immer alles so passiert ist, wie es auf der Platte steht. Das heißt, im Zweifelsfalle spiele ich eben die Gitarre auch noch mit ein. Das kommt schon mal vor. Und irgendwann hat man dann den Ruf weg, da geht alles, egal was man kann. Und das geht hier auch, wenn man will. Ich habe dann mal mit einer Band zusammengearbeitet, die plötzlich das nächste Album nicht mehr hier machen wollte. Kein Problem, ich fand die Platte auch super, die sie dann gemacht haben, aber die hatten ein totales Problem, mir das zu sagen, weil wir schon zwei, drei Sachen zusammen gemacht hatten. Und irgendwann erzählte mir der Gitarrist: Weißt du eigentlich, warum wir nicht wiedergekommen sind? Ich muss dir das jetzt unbedingt mal sagen. Der Grund ist, wir dachten, alle Leute denken, wir spielen unsere Sachen nicht selber ein. Darüber habe ich echt nicht nachgedacht, dass man in der Szene so einen Ruf kriegen könnte, weil es solche Fälle natürlich auch gab. Weil ich natürlich versuche, alles so gut wie möglich zu machen. Und wenn mich jemand fragt: »Kannst du das nicht mal eben schnell spielen?« Dann mache ich das halt, wenn ich es denn kann. Und dann wollen die vielleicht nicht unbedingt, dass es draufsteht. Tja, dann ist es halt so.

Und das kratzt dich nicht?

Kommt drauf an.

Hört man das nicht?

Man kann es ja auch so spielen, dass man es nicht so hört. Und klar, man hat es auch gelegentlich gehört.

Weil man noch ein Solo als weitere Nuance brauchte?

Das Problem waren gar nicht unbedingt die Soli, sondern die substanziellen Sachen. Ich komme ja aus einer ganz anderen Ecke, ich bin sehr Groove-orientiert und sehr rhythmusfest. Viele Gitarristen fangen mit dem Gedudel an und können überhaupt nicht richtig Rhythmusgitarre spielen, das groovt nicht. Das ist jedoch das Wichtigste. Und dann musste ich da gelegentlich mal einspringen. Der Bass war auch oft ein Problem. Ich habe das auch nie so eng gesehen, ich wollte eigentlich immer nur, dass es gut ist. Aber rückblickend hätte ich das vielleicht nicht machen sollen. Das fing ja schon vor fünfzehn, zwanzig Jahren an. Da hat Charlie gesagt: Ich habe die Schnauze voll von dem Bassisten, du spielst das jetzt ein. Das war schon manchmal eine doofe Situation.

Für einen Musiker ist das ja auch ein Armutszeugnis.

Ja, aber du musst immer bedenken, man hat eine gewisse Verantwortung. Wenn die Plattenfirma nachfragt: »Warum ist das plötzlich so teuer?« Da kann ich doch nicht sagen: »Weil deine Band so scheiße spielt.« Dann spiele ich es lieber selbst ein, dann ist es besser und es gibt kein Problem mit dem Budget. Das hat sich dann allerdings ein bisschen verselbstständigt.

Spielst du das Schlagzeug dann auch ein?

Ich spiele ein bisschen Schlagzeug, aber ich würde das nicht im Studio tun. Aber ich mache sehr viel mit dem Computer. Ich habe ein V-Drum und mache ja auch Produktionen, bei denen das Schlagzeug programmiert ist, und dann spiele ich das zu Hause mit dem Ding ein.

Für Demoproduktionen?

Das kommt auch teilweise auf die Platten. Ich mache das schon sehr lange, das war mal eine Spezialität von mir. Die klingen teilweise natürlicher als echte Drums. Trotzdem mag ich lieber gute Natur-Drums.

Und wie läuft das konkret?

Ich spiele das mit Pads ein, meistens quantisiere ich es dann, also ich bringe es auf ein Raster, weil es heutzutage sowieso so gemacht wird, auch mit echten Drums im Übrigen. Die Drums stehen dann schon mal wie eine Eins.

Aber alles lässt sich doch vermutlich nicht auf diese Weise herstellen, oder doch? Wie ist es zum Beispiel mit diesem leicht schwankenden, fast torkelnden Spiel von John Bonham?

Wenn ich etwas aufnehme, das wie Led Zeppelin klingt, dann würde ich natürlich keine Drums programmieren. Das mache ich dort, wo das passt. Oder wo das Budget auch das Problem ist. Was wir gerade mit Edguy gemacht haben, das ist so was wie bei Bonham, die Drums drauf und fertig, keine Samples. Aber es gibt so viele Situationen, wo es einfach vernünftiger ist, die Drums elektronisch zu machen. Weil ohnehin der Sound so gewollt ist, ein bisschen cleaner, sehr druckvoll. Weil kein Budget da ist. Weil man Änderungen machen können muss, später noch. Dann ist es halt von Vorteil. Ich mache es meistens für die Pre-Production, aber es gibt auch Produktionen, wo es von vornherein so geplant ist. Manchmal ist es aber auch eine Notfalllösung, weil der Drummer krank ist oder nicht gut genug. Oder was weiß ich. Und das wird trotzdem gut, das heißt nicht, dass die Drums plötzlich scheiße sind.

Du hast erzählt, dass die Studiojobs finanziell interessanter waren. Aber Heaven’s Gate haben doch gut verkauft.

Bei Heaven’s Gate haben wir nichts verdient. Da ist nie was übrig geblieben. Da hieß es dann immer: »Ach, komm, lass uns lieber eine vernünftige Produktion fahren.« Und: »Ich kaufe mir noch eine Gitarre.« Wir sind auch ein paar Mal verarscht worden von diversen Firmen. Auch live haben wir nicht viel verdient, wir sind nie darauf gekommen, mal richtig Gage zu fordern. Wir haben erst ganz zum Schluss gemerkt, dass genau das der Punkt ist. Je mehr man fordert, je mehr man Druck macht, desto höher ist der Wert der Band. Das war bei uns immer eher so: »Ach, was könnt ihr denn zahlen?« Wir haben auch mal Plus gemacht, aber das ist dann in andere Taschen geflossen. Du kennst diese Geschichten, es ist alles eine große Lehrzeit gewesen. Man hätte damit auch was verdienen können, haben wir aber nicht. Immerhin ist das Studio dabei übrig geblieben. Wir haben natürlich auch immer viel ausgegeben für die Produktion, das war alles sauteuer damals. Bis ich irgendwann gesagt habe, der nächste Vorschuss fließt in unser Studio und wir machen alles alleine. Das war ein Wendepunkt. Planet E, das Akustikalbum In The Mood und Menergy haben wir da noch gemacht. Jetzt hätte es eigentlich laufen können, aber dann haben wir uns auch bald aufgelöst.

Warum eigentlich?

Es ging nicht mehr voran. Die zweite Tour in Japan lief nicht mehr so doll, schon noch okay, aber man merkte den Unterschied, das betraf aber generell die Musikrichtung. Und dann hieß es immer: zu viele Experimente. Und wir haben gesagt: »Wenn wir das nicht machen können, wie wir es wollen, machen wir es gar nicht.« Ist uns egal, ob jemand will, dass wir Robin-Hood-Kostüme anziehen. Wir richten uns nicht danach. Solche Geschichten gab es durchaus. Der Klassiker halt: »Ich habe da mal einen Modezeichner beauftragt, Kostüme für euch zu zeichnen, hat einen Tausender gekostet bisher.« Von unserem Geld natürlich. »Aha, zeig mal her, na super …« Mittlerweile passiert das nicht mehr so oft. Die Bands heute sind wirklich besser im Geschäftlichen. Es gibt diese naiven Künstler, die einfach nur Gitarre spielen wollen, kaum noch. Die gab es früher viel öfter. Ich war selber so einer. Die Bands heute sind da geschäftsmäßiger drauf. Was natürlich auch ein großer Nachteil ist, es gibt viel weniger Träumer, die mit ihrer ganzen Passion dabei sind. Es geht immer sehr schnell ums Geld. Was natürlich auch gerecht ist, dass die ihren Profit machen, aber diese Denkweise ist bei Kunst erst mal falsch. Dabei verliert die Kunst. Dann wird nämlich angepasst. Und das war bei Heaven’s Gate nie der Fall. Da haben wir lieber aufgehört. Das vermisse ich schon in der heutigen Landschaft, diesen Approach. Natürlich kann ich auch verstehen, dass die Leute nicht für 200 Euro im Monat von Toast leben wollen. Aber diese totale Hingabe und Passion ist ein bisschen auf der Strecke geblieben. Auch die Vorstellung, was ein Star ist, ist durch die vielen Castingshows eine andere geworden.

Das eigentliche Kunstwerk ist sekundär, es geht viel eher um denjenigen, der es präsentiert.

Da du vom Kunstwerk sprichst: Das war schon bei Heaven’s Gate so, die Japaner wollten von uns immer Bonustracks. Und wir haben gesagt: »Ihr bekommt aber keine, denn das ist das Album, so und nicht anders sieht es aus.« Das ging damals noch. Heute steht schon im Vertrag: Mindestens fünfzig Minuten Musik, vier Bonustracks, Karaokeversion – das ist schon alles festgelegt. Da mache ich diese Produktion, muss aber auch noch vier Bonustracks fertig kriegen, die saugen mir die ganze Energie raus, völlig liebloses Zeug, braucht kein Mensch. Manchmal. Es gibt natürlich auch den Fall, dass einfach sehr viel da ist.

Ich finde die Quantifizierung schon Blödsinn. Die besten Van Halen-Alben waren eine gute halbe Stunde lang – die hat es dann aber gebracht.

Ja, absolut. Das ist totaler Blödsinn. Es ist genauso ein Blödsinn, die Platte so laut wie möglich aufzunehmen. Man muss einfach eine schlüssige Platte haben und dann habe ich lieber dreißig Minuten gute Musik, als dass ich mir noch diesen ganzen überflüssigen Ballast anhören muss. Das ist richtig, wenn ich die Platte als Kunstwerk sehe. Im anderen Fall ist es ein Produkt. Da gibt es den Bonustrack für den US-Markt, den für Europa und den für Japan, damit über Re-Import noch was geht. Das ist nicht die beste Art und Weise, wie man mit Kunst umgehen sollte. Deshalb hänge ich auch noch an den älteren Produktionen. Das hat eben auch was mit Spirit zu tun. Tobi Sammet von Edguy ist auch so einer, dem das wichtig ist. Komm, lass uns doch mal nach L.A. fahren und im Ocean Way aufnehmen. Oder ich war mit einer Band in Wales im Studio, wo A Night at the Opera entstanden ist und wo Black Sabbath schon aufgenommen haben. Das war einfach geil, einfach nur da zu sein und zu wissen, das ist hier passiert.

Den spiritus loci einatmen?

Das passiert aber wirklich. Deshalb will ich mit meinen eigenen Produktionen auch woanders aufnehmen. Ich habe jetzt wieder eine Band, The Wirepushers, das ist kein Metal, sondern straighter, vom englischen Blues beeinflusster Rock’n’Roll. Ich werde vielleicht ins Abbey Road gehen, ich hätte ganz gern was im Zappa Studio gemacht, auch in L.A., aber das ist noch nicht klar, ob das finanziell funktioniert. Ich habe das mal mit André Matos gemacht. Wir hatten ganz gut was an Budget. »Komm, machen wir Mucker-Urlaub oben im Hamburger Vox Studio, einfach weil es so ein geiles Studio ist, weil wir uns da wohlfühlen, es ist sauteuer, aber egal.« Und es hat sich total gelohnt. Das ist eine der Sachen, auf die ich zurückblicken und sagen kann, das ist kein Produkt. Natürlich ist es auch ein Produkt. Aber da ist Spirit drauf. Und den vermisse ich manchmal ein bisschen. Allein die Methoden, mit denen manchmal gearbeitet wird. Die Gitarren werden zu Hause aufgenommen, Signale schicken, das Ganze reampen, der Bassist sitzt sonstwo. Das Gruppengefühl ist dahin, das klingt einfach anders. Es ist einfach ein anderes Ding, wenn du zusammen ins Studio gehst. Man ist weg von zu Hause, aus dem Alltag raus, auf so einer Insel.

Das produziert dann die berühmten Synergieeffekte?

Natürlich, man pusht sich gegenseitig. Es gibt magische Momente, die kann ich heute noch spüren. Wenn du nachts um vier zusammensitzt und es passiert plötzlich, dann denkst du nur: wow! Und deshalb macht man das doch eigentlich. Ich jedenfalls. Es gibt diese Momente und man sollte sie suchen und nicht vermeiden, wenn man was Gutes machen will.

Was ist dir sonst noch wichtig bei einer Aufnahme?

Ich bin ja ein Verfechter von Räumen. Deshalb haben wir die Drums vom neuen Edguy-Album auch im Peppermint Park in Hannover aufgenommen. Wir können hier auch Drums machen, das klingt auch gut, das ist dann aber ein eher direkter Drum-Sound. Wenn man einen sehr räumlichen, dunklen Drum-Sound haben will, dann muss ich das da machen, wo es so klingt, im Peppermint oder im Vox. Das kannst du nicht mit Hallgeräten nachempfinden, das klingt total anders. Das Wichtigste an einer Aufnahme ist der Raum. Natürlich auch die Technik und der Musiker selbst, aber der Raum ist auch enorm wichtig und der ist teuer. Einen guten Raum kannst du nicht mal eben als Plug-in kaufen.

Was sind denn die deiner Meinung nach gelungensten Aufnahmen, für die du verantwortlich warst? Das darfst du als Geschäftsmann vermutlich gar nicht sagen.

Das ist halt persönlicher Geschmack, natürlich kann ich das sagen. Es gibt da ein paar Alben, die man herausheben könnte, weil sie einerseits Erinnerungen hervorrufen, andererseits auch was bewegt haben. Angels Cry von Angra, irgendwie war das magisch. Wir haben das durchgedrückt, die wollten das erst gar nicht so, die Japaner waren die Initiatoren dieser Produktion. Ich habe zusammen mit Charlie Bauerfeind auf der Orchesterkiste bestanden, zu der Zeit hat man das noch nicht so oft gemacht. Und dann noch diese brasilianischen Elemente. Es gab die ersten Mixe, da haben die Japaner gesagt: »Nee, das wollen wir so nicht.« Die wollten wieder den typischen Tacka-Metal. Und ich weiß noch, ich hab angerufen und habe gesagt: »Leute, so ist das und so wird es sein. Machen oder nicht machen, wir ziehen das jetzt so durch.« Und dann ist die Gold geworden in Japan. Und die hat mir dann sehr viele Leute beschert, die mich daraufhin gebucht haben. Das war so eine Art Startschuss für diese Art von Musik. Ich habe andere Platten gemacht, die viel zu künstlich entstanden sind, dazu habe ich gar keinen Bezug. Aber bei dieser Produktion gab es wirklich magische Momente. Wir haben zum Beispiel Wuthering Heights von Kate Bush gecovert und ich weiß noch, wie wir das aufgenommen haben, nachts, das ist fast zwanzig Jahre her. Es gibt auch ein paar Heaven’s Gate-Aufnahmen, die besonders waren. Virgo muss ich noch herausheben, das waren Liveaufnahmen. Wenn ich die Platte höre, dann kann ich uns sehen, wie wir da im Studio stehen, und ich kann nachspüren, wie wir uns gefühlt haben. Oder Sargant Fury, Turn the Page hieß das Album, die waren mit Saga auf Tour und das war’s dann, eine wirklich gute Platte, da standen wir alle voll hinter, aber da hat es dann mal nicht funktioniert. Avantasia muss ich auch herausheben, vor allem TheScarecrow, das war die erste Avantasia, die ich gemacht habe. Alice Cooper und andere haben mitgesungen, Eric Singer hat getrommelt, die Videos, die wir gemacht haben – vor allem konnte ich mal wieder offiziell Gitarre spielen. Das ganze Paket war nett.

Mit Avantasia tourst du jetzt. Gibt es da nicht Terminkollisionen mit deinen Studiojobs?

Man muss das halt planen. Da das so ein großes Projekt ist, mit vielen Musikern, braucht man ohnehin eine Menge Vorlauf. So eine Tour wird entsprechend langfristig geplant und geht dann über ein paar Wochen einmal um die Welt. Fünfzehn Auftritte, immer nur einen pro Land, so haben wir das bei den ersten beiden Touren gemacht.

Ihr wart auch in Südamerika. Stimmt das, was man sich über die Crowd dort erzählt?

Unglaublich. In Argentinien haben wir in einer relativ kleinen Halle gespielt, knüppeldicke voll, lange vorher ausverkauft, aber die lassen da ja noch ohne Ende Leute rein, das ist ja nicht wie hier, da gibt es keine Notausgänge, da gibt es keine Absperrungen, da dachte ich echt, die sterben. Es war total heiß, mehrere Male Stromausfall, aber die sind das da gewohnt. Da geht man auf die Bühne, ich fange an zu spielen und die Leute sind so laut, die schreien so laut mit und zwar jedes Riff, jedes Gitarrenriff wird mitgesungen, dass man die Musik von der Bühne nicht mehr hören kann. So krass ist das. Da fährt’s einem echt in den Rücken. Ich habe so was noch nie erlebt. Du denkst, gleich explodiert das Ding hier. Macht natürlich richtig Spaß.

Offenbar eine andere Form von Auftritt.

Adrenalinbetonter und gar nicht so leicht zu spielen, weil du dich nicht mehr kontrollierst, weil du dir sagst, alles scheißegal heute. Und nach einem halben Konzert denkst du dir: Kurz stehen bleiben, sonst falle ich jetzt um. Auch weil da so wenig Sauerstoff in dem Raum ist, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 99 Prozent oder so, die Klimaanlage ist ausgefallen und draußen sind es auch schon 30 Grad. Für einen Mitteleuropäer ist das schon sehr krass.

Das ist dann ja noch echt Rock’n’Roll. Spieltechnische Erwägungen kann man da wohl außer Acht lassen.

Ja, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Das geht auch gar nicht. Man flippt natürlich auch völlig aus irgendwann. Ich habe mich da mit Kai Hansen auf der Erde gewälzt, man macht das dann einfach, weil es einen übermannt, aber das macht Spaß und auch den Leuten macht es Spaß. Denen ist es doch ganz egal, dass man in dem Moment scheiße spielt. Man kann nur scheiße spielen, wenn man sich auf dem Boden wälzt. Und vielleicht trinkt man dann auch mal ein Bier zu viel. Kommt auch vor.

Also ist so eine Tour mit Avantasia vor allem ein Ausgleich zum Studiojob?

Das auch. Die Bedingungen sind super, da kann sich keiner beschweren. Gute Hotels, es sind sehr witzige Leute unterwegs. Ein bisschen wie auf Klassenfahrt. Ganze viele unterschiedliche, ausnahmslos nette Leute kommen da zusammen. Also wirklich, da gab es gar keinen Stress, nichts. Und es wird auch noch fair bezahlt. Allerdings ist es auch sehr anstrengend, du bist wirklich im Arsch danach, alle sind krank. Klar, könnte man sagen, im Studio passiert nicht so viel in der Zeit, aber andere Sachen sind halt auch wichtig. Es bringt einem auch was, nicht nur, dass es bezahlt ist, der Name ist mal wieder im Gespräch, man trifft Leute, knüpft neue Kontakte. Ich kann es jedem nur empfehlen.

Dann musst du nicht gerade darben, trotz der gesunkenen Studiotarife und dem allgemeinen Sparkurs der Musikindustrie?

Na ja, als Selbstständiger muss man schon immer die Augen offen halten. Wenn ich jetzt ein paar Monate keine Jobs hätte, das wäre schon scheiße. Ich habe keine Rücklagen.

Also hast du auch immer dieses Gefühl der Unsicherheit, es könnte auch mal den Bach runtergehen?

Absolut. Ich verdiene gut, aber ich bin bestimmt nicht reich und ich habe keine Rücklagen, das heißt, ich muss schon immer arbeiten. Ich bin jetzt zwar bekannter geworden in den letzten Jahren, hab mir einen Namen gemacht, aber der Markt ist gleichermaßen geschrumpft, also bin ich gewissermaßen stehen geblieben. Manchmal denke ich mir schon: Wäre nett, wenn man mal ein paar Monate einfach so über die Runden kommen könnte.

Dann machst du auch richtig Akquise?

Nö. Es war bisher immer so, dass ich angerufen worden bin, wir haben nie Werbung gemacht. Aber manchmal denkt man schon: Sollte ich jetzt vielleicht doch langsam mal anfangen und den ersten Schritt machen? Aber normalerweise kommt dann schon wieder ein Auftrag.

Deine Produktionen sind ja durchaus erfolgreich – aber die erste Liga war hier noch nicht.

Das Studio ist ja eigentlich auch nicht so konzipiert. Da müsste man wirklich richtig investieren, um ein Studio zu bauen, das etwas repräsentativer wäre.

Aber einen Sound in dieser Preisklasse zu machen, das würdest du dir schon zutrauen?

Ja klar, aber da geht es um ganz andere Sachen.

Um ein nobleres Ambiente?

Genau.

Aber ich meine jetzt gar nicht unbedingt die Großverdiener, sondern etwa Legenden, die sich hier vermutlich auch wohlfühlen würden. Motörhead zum Beispiel.

Also zum einen biedere ich mich nicht an. Zum anderen macht es mir auch Spaß, mit jüngeren Bands zu arbeiten und die aufzubauen. Ich möchte mich ja auch einbringen. Ich könnte mir das schon vorstellen, weiß aber gar nicht genau, ob ich überhaupt der Typ dafür bin.

Bei Motörhead gibt es vermutlich auch nicht so viel zu produzieren, das ist ja mehr Aufnehmen.

Das weiß ich nicht, ich könnte mich aber bei derartig etablierten Bands vielleicht schwieriger einbringen. Gegenseitiger Respekt ist die Voraussetzung, um etwas zu schaffen. Nicht dass ich jetzt behaupten würde, dass sie den nicht hätten, aber wenn ich jede Idee, die ich habe, lange erklären muss, wird die Arbeit schwierig. Ich bin es halt wirklich gewohnt, dass die Band dann sagt: »Okay, lass uns das probieren.« Wenn die was von mir wollen, es aber gar nicht zulassen, dann kann ich nicht arbeiten, das macht mir keinen Spaß. Vielleicht wäre es aber auch gar kein Unterschied, das weiß ich nicht genau.

Hast du das schon mal gehabt, dass du am Ende gesagt hast: »Was war das bloß für eine beschissene Produktion?«

Doch, das gibt es schon. Selten, aber es kommt vor. Natürlich meistens bei Leuten, die an gnadenloser Selbstüberschätzung leiden.

Das werden in dem Metier doch vermutlich gar nicht so wenige sein.

Nee, ziemlich viele. Wenn mich jemand bucht, um einen bestimmten Job zu machen, einen Job, den er selber überhaupt nicht kann, und sich dann trotzdem andauernd einmischt und den Chef raushängen lässt, dann ist das daneben. Man muss mich schon meinen Job vernünftig machen lassen.

Das gibt dann Streit?