Tante Leguan - Matto Kämpf - E-Book

Tante Leguan E-Book

Matto Kämpf

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Beschreibung

Matto Kämpf, ein Grossmeister der Satire, legt ein neues Buch vor. Diesmal ereilt uns die Satire in Form eines Romans: Drei KulturjournalistInnen einer mittelgrossen und mittelmässigen Zeitung schleppen sich durch den Alltag. Dieser besteht aus einer drögen Redaktion, viel Musik und viel Alkohol. Sie sind zwar erst 35, fühlen sich aber alt. Und sind fur ihr Alter tatsächlich schon ziemlich schrullig und verkauzt. Was sie am besten können, ist klagen: Aus ihrer Sicht ist die Vergangenheit ein verhockter Klumpen, die Zukunft ein diffuser Nebel und die Gegenwart ein Muhsal. Ein Road-Movie setzt ein, als eine CD der chinesischen Punkband "Tante Leguan" auf der Redaktion landet und die drei Zauderer in uberraschend grosse Euphorie und Abenteuerlust versetzt. Helden eines Entwicklungsromans werden sie trotzdem nicht: Ob es sie nach Peking, Neapel, La Brévine, Baden-Baden oder Lyon verschlägt, sie landen in ihren aberwitzigen Dialogen und Handlungen zuverlässig wieder bei sich selbst. Ein klassisches Feel-Bad-Book im besten Sinne.

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Matto Kämpf

Tante Leguan

1. Auflage, 2018

ISBN 978-3-03853-077-0

eISBN 978-3-03853-078-7

© Der gesunde Menschenversand, Luzern

Alle Rechte vorbehalten

www.menschenversand.ch

Mentorat & Lektorat: Stefan Humbel

Korrektorat: Stefan Graber

Gestaltung: hofmann.to

e-Book: mbassador GmbH, Basel

Dank: Kanton Bern für Schreibstipendium und Mentorat,

Franziska Geiser, Francesca Pettenati & Juri Geiser

1

 

«Er stand auf und starb.»

- Endlich ein vernünftiger Romananfang, ruft Hans und quetscht sich blätternd am Sportarsch-Velo vorbei. Der Sportarsch hat sein Velo wieder in den Korridor gestellt. Sein nasses, neuntausendfränkiges Prahl-Bike. Das heisst, wir müssen uns den lieben langen Tag daran vorbeizwängen, um zur Kaffeemaschine zu kommen. Nicht zur Kaffeemaschine zu kommen, ist entsetzlich. Horrorszenario. Wenn die Kaffeemaschine kaputt ist, steht die halbe Redaktion um sie herum und harrt der Reparatur. Die andere Hälfte schüttelt den Kopf und trinkt Tee.

Heute Morgen regnet es. Aus den Pneurillen des Sportarsch-Velos rinnt schmutziges Regenwasser in den Spannteppich hinein. Sachschaden. Der Idiot ist zu alarmieren. Der Idiot ist der Chefredaktor. Ein ahnenstolzer Pinsel, dumm wie Sagex, durch verschlungene Klüngelei zu diesem Posten gekommen. Er ist Verfasser von lächerlichen Leitartikeln, die den Rest der Redaktion vor Scham erglühen lassen. Der Chef vom Idiot ist der Oberidiot. Eine nebulöse Figur, reich wie Glutamat, zum Glück nur selten im Haus.

Der Sportarsch fährt auch Velo, wenn es sträzt. Bei Regenwetter fährt er geradezu ostentativ Velo. Er hängt seine triefenden Überkleider vor die Fenster und verdunkelt damit das Büro und unsere Seelen. Und er schüttelt sein nasses Haar. Natürlich ist er blond. Sport ist blond.

Wir sind die Kulturredaktion. Lena, Hans und ich. Lena schreibt über Kunst, Hans über Film und ich über Musik. Literatur machen wir alle. Theater müssen wir alle. Tanz hassen wir alle. Musicals versuchen wir totzuschweigen. Vor Opern bekiffen wir uns und kritzeln kichernd wirres Zeugs in unsere Notizblöcke, während vorne gesungen und gerungen wird.

Früher arbeitete die ganze Redaktion in verschiedenen Büros. Nun sind alle in ein einziges Grossraumbüro gepfercht. Zu dreiundzwanzigst. Eines Tages waren die Wände weg. Vorgängig war eruiert worden, ob das statisch möglich ist. Ob es menschlich möglich ist, wurde nicht eruiert. Dem Irrsinn liegt die Idee zugrunde, die Redaktion sich selber näherzubringen. Gemäss Idiot sollten wir fortan alle rastlos aneinander interessiert durch den Raum wandeln und uns austauschen. Fakt ist: Wir mailen uns weiterhin alles und wünschen uns die Wände zurück.

Um Ruhe zu haben, müssen wir uns entweder via Kopfhörer Musik ins Ohr donnern oder Ohropax reinstopfen. Was geschieht, wenn wir das nicht tun, erläuterte neulich Lena:

- Ich höre unweigerlich, wenn nicht sogar unwiderruflich, wie der Kollege von der Lokalredaktion einen unter Siff-Verdacht stehenden Wirt mittels Zitieren aus einer Hygiene-Verordnung in die Bredouilletreibt. Das macht mich entweder traurig oder lässt eine Gewaltphantasie erblühen, in der ich dem Kollegen munter brutzelndes, siebenhundertjähriges Frittieröl in die investigative Fresse giesse.

Lena, Hans und ich sitzen zuallerhinterst hinten in der Redaktion. Täglich wird uns eine erschlagende Menge an Büchern, CDs, Ausstellungskatalogen, Monatsprogrammen und Festivalbooklets zugesandt. Durch unauffälliges Aufeinanderstapeln der Pakete versuchen wir, unsere Ecke etwas abzuschirmen. Leider wird der Mauerbau stets rasch entdeckt und der Idiot lässt die missbrauchte Tara abtransportieren.

Der Sportarsch spurtet ganzjährig im ärmellosen T-Shirt durch die Redaktionsräume. Jahreszeiten sind für Verlierer, will er uns damit sagen. Er trägt absichtlich zu enge T-Shirts, damit wir seine Muskeln miterleben können. Lena, Hans und ich tragen zeltgrosse Hemden, in die wir uns zur Not etwas zurückziehen können. Wenigstens ist der Sportarsch kleiner als wir. So können wir seinen gestählten Körper von oben herab verachten. Der Kopf des Sportarsches erinnert farblich an ein erhitztes Schwein. Lena, Hans und ich sehen aus wie blasser Bratspeck und sind schwarz umrandet. Nicht vom Kajal, sondern vom Leben. Wir sind muskellos und nicht mehr ganz dünn. Wir erkennen die Gravitation widerstandslos an. Der Sportarsch sitzt bolzengerade auf seinem Bürostuhl, eine Rakete kurz vor dem Start. Bei ihm ist auch Sitzen Sport. Wir hingegen belegen unsere Stühle wie welker Lauch.

Ist das erste Dutzend Espressos absolviert, was heute ein vierundzwanzigmaliges Passieren des Sportarsch-Velos erfordert, ist emsiges Klappern aus unserer Ecke zu hören. Es ist die ertragreichste Zeit des Tages, zehn bis halb zwölf. Neun bis zehn brauchen wir zum Aufwachen, Mails-Lesen und Espressos-Trinken. Wir von der Kulturredaktion müssen erst um neun kommen, weil wir abends Kultur abweiden. Die anderen haben um acht zu erscheinen. Um halb zwölf erlahmt unser Arbeitswille und wir sitzen nur noch da, um nicht als erste in den Mittag zu gehen.

Punkt zwölf stürzen wir aus dem Büro, ab ins El Burro. Dort sind wir vor der Redaktion in Sicherheit. Dafür latschen wir durch die halbe Stadt und machen geschlagene zwei Stunden Mittag. Zwölf bis zwei, wie früher. So weit zu fliehen, wäre gar nicht nötig, denn die meisten bringen ihr Futter mit. Sie löffeln es vor dem Bildschirm, weil sie möglichst bald wieder gehen wollen. Weil sie Kinder haben oder Hobbys oder Sport treiben. Lena, Hans und ich haben keine Kinder und keine Hobbys und treiben keinen Sport. Wir sind die ewigen Teenager im Umzug, obwohl schon Mitte dreissig.

Der Seriöseste der äusserst seriösen Politikredaktion hat sich an einer Sitzung allen Ernstes darüber gewundert, dass wir denselben Lohn erhalten wie sie. Wir haben diesen überraschenden Anwurf mit erstauntem Hüsteln pariert. Die Frage Warum denn nicht? schwebte zwar im Raum, blieb aber ungestellt. Auch der Idiot stellte sie nicht, wahrscheinlich weil nicht traktandiert.

Zurück ins El Burro. Um dieses Kleinod zu erreichen, spazieren wir vom Neubau-Büroviertel ins ehemalige Arbeiterquartier. Von den lichtdurchfluteten Glasfronten ins Quartier der trüben Vorhänge. Im El Burro stellt uns Luis sofort drei Flaschen San Miguel hin, die wir glücklich und erschöpft auf ex trinken. Es folgt Rioja und das Studium der Tapas-Karte. Wir kennen sie auswendig, stellen aber jeden Mittag neue Kombinationen zusammen. Das El Burro ist ein Lokal von gestern. An den Wänden kleben verblichene Stierkampf-Fotos. Über der Bar hängt ein Holzbrett, auf welches zu einer Gitarre geformte Korken geleimt sind. Musik läuft keine und das Neonlicht ist hell. Tageslicht hat es nicht, weil die wolldeckenartigen Vorhänge auf ewig zugezogen sind. Neben der Toilettentür steht ein Flipperkasten mit dem Thema Miami Vice, defekt seit 1985.

Hinter dem Tresen steht José. Wie angewachsen. Eine kastilische Eiche. Falls er aus Kastilien kommt. Seit 43 Jahren steht er dort und ist der Wirt. In den ersten beiden Jahren sei sein Deutsch besser geworden, seit 41 Jahren wird es wieder schlechter. Früher hat er für Luis die Getränke bereitgestellt, heute steht er nur noch da.

Sind die Tapas bestellt, diskutieren wir die soeben geschriebenen Artikel. Oder entwerfen Kunsttheorien aus dem Stegreif. Heute sagt Lena:

- Je mehr Handlung ein Film hat, desto schlechter ist er. Handlung kaschiert das Unvermögen der Filmemacher. Ein guter Film braucht keine Handlung.

- Im Prinzip ja, meint Hans, doch gibt es stets die regelbestätigende Ausnahme. Wenn zum Beispiel in einem sogenannt subtilen Porträt einer asarbeidschanischen Dorfgemeinschaft als dramaturgischer Höhepunkt nach zweieinhalb Stunden ein Esel einknickt.

Doch schon reisst die Debatte ab: Chorizo, Pulpo und Jamón betreten die Bühne. Wir jubilieren. Entzückt mit den Fingern flatternd, wissen wir gar nicht, wo anfangen. Dann schlingt Hans los und erläutert etwas Unverständliches. Zwischen zwei Brocken Tintenfisch ist das Wort Rahmenhandlung zu hören.

Als die erste Futter-Hektik etwas verklungen ist, erzählt Lena von Hundetta von Darmzwist, einer Künstlerin, die an fremden Vernissagen aufs Büfett menstruiert. Wir diskutieren, ob das nun cool ist oder nicht. Cool oder nicht cool? Darüber diskutieren wir im Grunde seit immer. Seit wir uns kennen. Seit wir uns vor 15 Jahren beim universitären Willkommens-Dings zum ersten Mal begegnet sind und darüber diskutiert haben, ob wir das hier cool finden. Dass es Reden gab, fanden wir vermutlich nicht cool. Dass es Alkohol gab, fanden wir vermutlich cool. Zum Abschluss des Gymnasiums gab’s nur Reden, insofern war das ein Fortschritt. Den Rest des Abends standen wir spöttisch in einer Ecke und belächelten die kulturellen Darbietungen der älteren Semester. So wird man Kulturjournalist.

Hans erzählt etwas:

- Beim Zusammenstiefeln einer Besprechung über eine US-Komödie mit ‹Wedding› oder ‹Marriage› im Titel kam ich nicht umhin, den altgedienten Kollegen aus der Lokalredaktion zu beobachten. Minutenlang musste ich ihn über den Bildschirmrand anstarren. Er sitzt hochkonzentriert an seinem Pult und sieht aus, als sause ihm mindestens ‹Ein Abriss der Philosophie – was bisher geschah› durchs Gehirn, dann kommen aber Sätze heraus wie: Es ist dringend nötig, die Vergabe von Hundemarken neu zu beurteilen. Ist das nicht höchst tragisch und höchst komisch zugleich? Eine Comédie humaine sondergleichen? Wie er mit seinem ergrauten Tragödien-Kopf dasitzt und sich Gedanken zu einem Fischerei-Erlass macht.

- Obwohl gerade der Fischerei grosses philosophisches Potenzial nachgesagt wird, gibt Lena zu bedenken, worauf Hans meint:

- Ich halte das für einen raffinierten Trick der Fischer. Im Grunde sind das Leute, die gern dumpf aufs Wasser starren. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber offenbar ist es gesellschaftlich verpönt. Deshalb schämen sie sich und tarnen ihr Treiben als philosophischen Tiefgang. Hüllen sich in einen kontemplativen Mantel, während alles fliesst. Dabei ist meines Wissens noch nie etwas herausgekommen. Oder kennt ihr ein Buch, das ‹Meine Erkenntnisse beim Fischen› oder ‹Die grossen Fischerei-Gedanken des 20. Jahrhunderts› heisst?

Gegen zwei Uhr beenden wir den Schmaus mit einem Carajillo, was da ist ein Kaffee serviert mit darauf brennendem Schnaps. Sehr schön. Dann trödeln wir ins Büro zurück. Dort brüten wir leicht beduselt von den diversen Flüssigkeiten in den Nachmittag hinein. Wir rollen unsere Stühle in die Nähe der Heizkörper. Wie Reptilien im Zoo, die unter die Wärmelampen kriechen. Wir versuchen standhaft, nicht einzuschlafen. Das wird ungern gesehen und vom Idiot geahndet. Wir youtübeln etwas, mailen ein wenig, schauen uns Web-Seiten von Künstlern an und durchwühlen die Post. Schliesslich lesen wir die Artikel vom Vormittag noch einmal durch und schicken sie ab. Je nach Tagesform skizzieren wir etwas für den nächsten Tag.

Manchmal sind wir schlecht drauf und werden von akuter Sinnlosigkeit befallen. Meistens um drei. Drei Uhr ist die gefährlichste, weil sinnloseste Zeit. Dann stürzen wir uns in die Kantine und bekämpfen die Sinnlosigkeit mit einer Crèmeschnitte. Sonst meiden wir die Kantine wie Musicals. Bei den Crèmeschnitten können sie nichts falsch machen. Die kaufen sie billig ein und verkaufen sie teuer weiter. Was sie jedoch selber kochen, ist unterste Kanone. Das Mittagessen sieht aus wie verätzter Papeterie-Bedarf. Um elf stellen sie einen exemplarischen Teller mit Schlangenfrass in einen Schaukasten. Manchmal gehen wir hin und betrachten die Sauerei mit wohligem Schauer. Nach dem letzten Wirtewechsel ist die Kantine auf der nach unten offenen Gault-Millau-Skala von minus 22 auf minus 28 gefallen. Der Kaffee schmeckt nach verdünntem Nichts, sagt Lena. Doch um drei Uhr ist uns das egal.

Der Sportarsch kennt keine Tagesschwankungen. Er ist dauereuphorisiert und schaut während dem Schreiben auf einem zweiten Bildschirm immer Sport. Tagaus tagein Sport. Und Sport ist immer. Weil er seine Leidenschaft mit uns teilen will, tut er das ohne Kopfhörer. Wir müssen ihm unaufhörlich zurufen: Nein Nein Nein! Wir wollen NICHT kollektiv den Biathlon aus den finnischen Jagdgründen mithören.