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Die große Filmschauspielerin Lydia Keriël ist eine wahre Diva. Regisseur Josef Dareen und sein Kameramann haben folglich ihre liebe Not mit ihr. Mal soll man "ihr nicht so von unten in die Nasenlöcher drehen", mal "nicht so von oben herunter in den Ausschnitt" … Gut, dass es da noch die gute Seele des Filmteams gibt, Isabel Gynthenburg, die als "Kleberin" für den Schnitt verantwortlich ist, aber auch sonst für den nötigen Kitt zwischen all den exzentrischen Künstlerpersönlichkeiten sorgt. Sicher hätte sie noch in anderer Hinsicht größere Aufmerksamkeit vonseiten des Regisseurs verdient, doch von Josef Dareen gilt leider der Satz der Diva Lydia Keriël: "Im Atelier der Liebe sind Sie ein Dilettant." Der geheimnisvolle Zauber dieses Tanzes um die Scheinwerfer des Filmlichts, der auch ein Tanz um die Liebe ist, legt sich bald auch über den Leser, nimmt ihn gefangen. Bloems Roman gibt einen faszinierenden Einblick in die Frühzeit des Films in Deutschland.
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Seitenzahl: 379
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Roman
Saga
Meiner Mutter
Isabel von Gynthenberg zog die elektrische Schnur aus dem Steckkontakt und goss das leise summende Wasser ins silberne Kaffeemaschinchen. Es war unglaublich, wie Dareen wieder mit seinen Nerven umging!
Der Regisseur stäubte unmutig die Asche seiner Zigarette über den blanken Linoleumboden. „Was machen Sie denn nur immer mit den Grossaufnahmen von Frau Keriël, Michel? Alle Bilder sind tadellos, Sie bringen das Licht wunderbar weich — bloss die Nahaufnahmen von der Keriël sind einfach scheusslich.“
Der Operateur klimperte verdriesslich auf dem reichlich verstimmten Klavier — „Zigeuner, spielt mir den Csardas auf!“ Es war längst tiefe Nacht! Michel gähnte, wobei es ihm trotzdem gelang, den zwischen den Lippen baumelnden Glimmstengel im Mund zu behalten, und hob geringschätzig die Schultern: „Was kann ich dafür, Meister, wenn die grosse Lydia in die Jahre kommt?“
Voller Ironie betrachtete Dareen seinen buckligen Arbeitsgefährten. Der liess sich im Spiel nicht stören, mit dem- er sich in den Pausen zwischen den Vorführungen den Schlaf vertrieb. Jetzt aber schnüffelte Michel den Kaffeeduft, klappte ermuntert den Klavierdeckel zu und schob sich neben dem Regisseur in einen Sessel.
Josef Dareen musste wider Willen lächeln. Der Kampf zwischen der anspruchsvollen Diva und seinem Chefoperateur nahm zuweilen lebhaftere Formen an. „Reden Sie doch keinen Unsinn, Michel. Sie haben von Frau Keriël einfach schlechte Bilder gemacht, das sieht ein Blinder!“
Der Bucklige blinzelte müde und listig ins gelbe Licht, das von der Decke des kleinen, behaglichen Vorführungsraumes niederströmte: „Machen Sie Schluss, Herr Dareen — Sie sind nicht in Stimmung. Übrigens ist es jetzt zwei Uhr, und ich möchte endlich in die Klappe!“
„Was Sie möchten, ist mir ganz gleich. Sie können bis Montag durchschlafen. Also, bitte: warum hapert es immer mit Lydia Keriëls Bildern?“
„Das wissen Sie ganz genau, Freund und Meister: weil mich die Dame verrückt macht mit ihren ewigen Quängeleien. Man soll ihr nicht so von unten in die Nasenlöcher drehen und nicht so von oben herunter in den Ausschnitt — —“
„Frau Keriël ist manchmal etwas unduldsam“, sagte Dareen. „Sie ist eben eine Künstlerin ...“
Aber der Operateur trumpfte auf: „Bin ich etwa kein Künstler? — Oho! Meinen Sie — —“
„Das weiss ich! Meinetwegen können Sie der liebe Gott sein. Sie sehen aber doch wohl ein, dass Ihre Abneigung nicht zu derartigen Bildern — —“
Isabel hielt es für geraten, den Wortwechsel der beiden ungleichen Freunde zu unterbrechen. Sie stellte ihnen die Tassen mit dem schwarzen, starken Kaffee hin. Dareen liess den Blick gedankenlos über ihre ruhigen, von keinem Ring gestörten Finger gleiten.
„Ah — danke sehr, Fräulein Gynthenburg. Na, Michel, wir wollen nicht streiten. Ich muss Sie aber dringend bitten, bei den Atelieraufnahmen erheblich liebenswürdiger zu sein. Auch wenn unsere Diva mal etwas ungnädig ist.“ Er schob dem Buckel die Tasse hin, und sie tranken. Ah — wie gut! Man war doch müde, so eine Reise ging elend in die Knochen, auch wenn Kilian Koll, der Hilfsregisseur, alles am Schnürchen erledigte.
„Wollen Sie so gut sein, Fräulein Gynthenburg, und auch dem kleinen Köppke einen Kaffee bringen — er schläft uns sonst noch ein. Soll dann mit der letzten Rolle anfangen.“
Isabel ging in das Kämmerchen des Vorführers. Der junge Mann schlief auf seinem Schemel, die blonden Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Das Mädchen musste ihn wachrütteln, er schaute unwillig um sich, brummte etwas Unverständliches vor sich hin, das kaum eine Schmeichelei für Herrn Dareen sein mochte — trank aber dann zufrieden seinen heissen Trank.
Das Licht erlosch. Isabel drehte ihre abgeblendete Lampe an und legte den Stenogrammblock zurecht. Auf der Leinwand erschienen, noch ungeschnitten und mit den szenischen Nummern bedeckt, die letzten Aussenaufnahmen des jüngsten Lydia-Keriël-Films „Roulette“. Dareen sass zurückgelehnt, seine Hand spielte gelassen mit dem Klingelknopf, seine Augen gingen gleichgültig und müde über die strahlenden Bilder der ligurischen Ebene. Wirklich — Michael Grczegorczewicz verstand sein Handwerk! Unter seinen Händen funkelte die Sonnenflut der Riviera, ein sprühendes Lichtmeer. Er liess sich seine Kunst mit Gold aufwiegen — das war sein gutes Recht, Josef Dareen machte es auch nicht anders.
„Fräulein Gynthenburg! Bild 377 a Anfang sechs Meter weg.“
Das Mädchen schrieb. Der Regisseur liess mit einem innerlichen Entzücken, das nicht bis zu seinem Gesicht vordrang, die Bilder an sich vorüberziehen. Ein Druck auf den Klingelknopf — der Film stand.
„Haben Sie eben gesehen? Frau Keriël hebt zornig die Hand — sehen Sie: so. Von da ab einen Meter, dann wegschneiden — na, lassen Sie vorsichtshalber anderthalb Meter dran, wegnehmen kann man immer noch. Weiter.“ Ein Klingeldruck — die Bilder bewegten sich wieder über die weisse Wand.
Isabels Blick streifte Dareen, der mit bohrender Ruhe dem Gang der Bilder folgte. „Famos!“ sagte er mit einer kleinen Kopfbewegung gegen den Buckligen hin. „Das ist ganz wundervoll. Übrigens — Teufel noch mal: schon wieder! Na, halt! — Fräulein Gynthenburg, notieren Sie besonders: Handzettel an Frau Kiesering: ‚Falls Sie bei den kommenden Atelieraufnahmen noch ein einziges Mal in den Apparat sehen, so muss ich zu meinem Bedauern auf Ihre fernere Mitwirkung verzichten.’ Montag früh mit Unterschrift an mich zurück. — Übrigens: notieren Sie, bitte, noch: ‚Herr Paulsen soll gelegentlich einen zerlumpten Alten bekommen.’ Scheint seine Type zu sein, der Mann sieht im Gehrock ja geradezu blöd aus. — Weiter, Köppke.“
Nichts rührte sich. „Weiter!“ rief Dareen und klingelte. Isabel erhob sich und schaute, auf den Zehenspitzen stehend, in die Vorführerzelle. Der arme Kerl war schon wieder eingeschlafen. Dareen sprang auf und klopfte wütend an das Fensterchen:
„Nehmen Sie sich ein bisschen zusammen! Ich möchte heute noch fertig werden mit den Aussenaufnahmen. Na, Fräulein — hoben Sie noch etwas Kaffee? Dann geben Sie dem Mann noch eine Tasse. Mir auch.“
„Mir auch!“ rief der Operateur und grinste. „Sie müssen nämlich wissen, Herr Dareen: Fräulein Gynthenburgs Kaffee ist berühmt im ganzen Haus.“
Wie hübsch sie dies improvisierte Frühstück zu reichen verstand! Es schmeckte noch einmal so gut bei dieser freundlichen und zierlichen Spendung — denn von Bedienung war schwer zu reden, seltsamerweise. „Frühstück ist gut, maestro — aber vollkommen richtig! Wenn hier ein Fenster wäre, dann könnte Aurore Ihnen mit dem bewussten Finger sicherlich schon einen zarten Wink geben — na, aber bei Ihnen muss man schon eine Latte vom Zaun reissen. Möchte wissen, Dareen, wann Sie müde werden!“ Der Bucklige prüfte den Kaffee mit der Zunge, als ob es ein edler Wein sei. „Oh, Fräulein Gynthenburg!“ rief er ermuntert. „Ich stifte Ihnen ein Paket Zichorie, einen rechten Schlummertrank. Bei diesem Kaffee muss Herr Dareen ja denken, der Tag finge gerade eben erst an ...“
Das Fräulein lächelte. Isabel von Gynthenburg — Klebedame ... Warum nicht? Sie hob den feinen Kopf ein wenig stolzer. Warum nicht! Dareen bot ihr freundlich und erheitert eine Zigarette an, reichte ihr das Zündholz — freute sich über die leisen, ungezierten Bewegungen ihrer Hände. Das Mädchen hatte eine unaufdringliche Sicherheit, die er selten fand — am wenigsten bei denen, die es nötig hatten: bei den Filmspielerinnen.
Während der Film weiterrollte, sprach Dareen halblaut seine Wünsche vor sich hin, und Isabel stenographierte. Nach ein paar Bildern schlug der Regisseur wütend mit dem Manuskript auf den vor ihm stehenden Tisch, dass es knallte.
„Halt! Was ist denn das wieder für eine elende Aufnahme von Frau Keriël mitten zwischen absolut einwandfreien anderen? Also, Michel, das geht nicht! Notieren Sie: Grossaufnahme 413 c raus.“
Der Operateur bekam einen roten Kopf: „Sie erinnern sich, Herr Dareen, diese Aufnahme wurde an dem Tage gemacht, als ich Frau Keriëls Sonnenschirm zum Abblenden brauchte, worüber sie so wütend war. Was kann ich denn dafür?“ Dareen wusste noch: Es war in den Bergen von San Remo, und die Sonne schien prall in den Apparat. „Entschuldigen Sie, dass ich existiere, meine Gnädigste ...“, hatte der Bucklige gesagt.
„Ich weiss schon, Michel, Sie haben immer eine Ausrede. Aber man sieht es dem Bild an, dass Sie mit offener Blende gedreht haben. Sehen Sie bloss diese harten Schatten. Wie sieht die Dame denn darauf aus? Also das Bild muss weg. Ich sage Ihnen aber, Michel, wenn Sie derartig launenhaft arbeiten, fliegen Sie!“
Der kleine Mann grinste von einem Ohr zum andern. „Hihi! — Ich — und fliegen! Haha! Famoser Witz, Herr Dareen!“ Isabel lachte schallend auf, es klirrte hell und fröhlich an den Wänden des kleinen Raumes. Dareen hörte es und schmunzelte. Michel war unersetzlich, und er wusste es. „Lachen Sie nur nicht zu früh, Michel! Also weiter.“
Er überlegte sich, dass man wirklich etwas versuchen musste, um die Diva und den Meisteroperateur miteinander auszusöhnen. Wohin käme man denn —
Lydia Keriël ... Er sah ihre Bilder, die stumme Schwermut ihrer Bewegungen — und eine unbezähmbare Sehnssucht ergriff ihn, bei ihr zu sein. Dies Gesicht war unverwelklich schön, in der letzten Zeit wehte ein heimlicher Schatten darüber hin.
Sie hatte sich lange geweigert, die Doppelrolle anzunehmen: ein strahlendes Kind und die leise verblühende Mutter. Dareen freute sich jetzt, dass er’s bei ihr durchgebogen hatte; vielleicht liess sie sich doch noch überzeugen. Ihr Spiel der Jugend war blendend konventionell, das konnten andere auch — aber über der Alternden lag eine flatternde Unruhe, ein rastloser Lebenshunger, der sich nicht verdrängen lassen wollte. Sie machte viel mehr aus der Gestalt, als der gute Doktor Florian sich in seinem zahmen Manuskript hatte träumen lassen. Das war eine ganz reife Leistung, Dareen hatte nie etwas Ähnliches gesehen, obwohl er alle bedeutenden Filmwerke kannte. Hier spielte Lydia Keriël sich selbst — aber sie wollte es nicht wahrhaben.
Er liess den Film anhalten und grübelte eine Weile vor sich hin. „Fabelhaft — einfach fabelhaft!“ sagte er halb zu Michel hinüber. „Wenn sie doch nur Vernunft annehmen wollte! Diese Frau ahnt ja gar nicht, wie begabt sie ist. Aber es müssen immer grüne Dinger sein, Lachweiberchen, die sie spielen will. Das kann sie nicht mehr — hat es übrigens nie gekonnt, dafür hat sie zu viel Talent.“
„Sie können sich den Mund fusselig reden, Herr Dareen — die Dame wird es doch nicht einsehen. Talent — na, meinethalben! Aber Eitelkeit — um zwanzig Diven damit lebenslänglich auszurüsten.“
Michel durfte sich allerlei erlauben. Seit ihm die selig fusionierten Goldwyn ein glänzendes Angebot gemacht hatten, wusste er erst, wieviel seine Arbeit wert war. Sich selber so hoch einzuschätzen, wäre ihm nie eingefallen. Er hielt sich immer im Hintergrund, war bei keinem der Filmbälle zu sehen, denn er schämte sich seiner Missgestalt. Das verstand niemand — denn wenn einer Michael Grczegorczewicz war, so stand ihm der Frack — und wenn ihm der Höcker da hinten noch dreimal so dick herumturmte. Zum letzten Frühlingsfest, das die Keriël-Film-A.-G. ihren Künstlern und Angestellten bereitete, musste Dareen — der grosse Dareen! — seinen Operateur eigenhändig im Auto abholen, weil Michel nicht kommen wollte. Jedermann liebte das Buckelchen — bloss mit Lydia Keriël stichelte er sich überall herum, aber die vertrug sich mit keinem. Es sei denn, dass man ihr die Zähne zu zeigen verstand — und das konnte wiederum nur der eine einzige. Lieber Gott, behüte mich vor hysterischen Filmdiven!
Isabel von Gynthenburg spürte, wie die Augen des Operateurs auf ihrer Schläfe brannten. Michel kannte die Bilder schon, war eine halbe Woche früher als die anderen heimgereist. Unter dem ruhig abweisenden Blick der Kleberin wurde der Bucklige unsicher, er drehte den Hals hin und her, als ob ihm der Kragen zu eng wäre. Nein — nein — — man soll keine Frauen ansehen, wenn man einen Buckel hat.
In der Vorführerzelle schnarrte das Filmband aus der Maschine, und Köppke drehte das Licht an. Josef Dareen sah auf die Uhr. Teufel — schon drei vorüber! Morgen war Sonntag — will sagen: heute. Er faltete das dicke Manuskript, schob es in die Brusttasche. „Also, Fräulein Gynthenburg: Montag fangen Sie an, die Sache muss bis Mittwoch geschnitten sein. Dann seh’ ich mir’s wieder an.“
„Nummern weg?“ fragte Isabel.
„Ja. Sie haben ja alles schon prachtvoll ordentlich gemacht. Mir fällt noch ein — notieren Sie!“ Er zog das Manuskript abermals hervor und suchte in den Blättern: „Aha — Koll soll die Regenspritzer auf Lydia Keriëls Mantel, Szene 165, genau nach Aussenaufnahme 164 kopieren. Michel liefert ein Photo. Sagen Sie ihm: wenn’s nachher nicht stimmt, holt ihn der Teufel.“
Der junge Vorführer kam, den Arm voll Filmrollen, herein. Dareen zog sein Etui, bot es dem gähnenden Operateur an und schob auch Köppke eine Zigarette zwischen die Zähne. „Aber erst unten anstecken. Danke, danke, lieber Michel, gehen wir?“
Unten trommelte der Bucklige den verschlafenen Portier heraus, der im Nachthemd, mit schlecht zugeknöpfter Hose, erschien. Seine Plattfüsse steckten in zerschlürften Filzpantoffeln. Er empfing brummend die Filmrollen und schloss das Tor auf. Sie mussten noch auf Dareen warten, der sein Auto aus der Garage holte.
Michel gab dem Vorführer fünf Mark. „Ist von ‚ihm’ —“ und tat noch zwei Pfennige dazu: „— die sind von mir. Gut’ Nacht.“ Als Köppkes Schritte verklangen, sagte der Bucklige leise und stockend zu Isabel: „Verzeihen Sie, Fräulein — darf ich Ihnen etwas sagen? Sie haben nämlich ein gutes Filmgesicht. Entschuldigen Sie, dass ich Sie vorhin beobachtete. Tamaroff meint es auch.“
So? Dmitri Tamaroff, der jugendliche Stern des Keriëlfilms, der sie immer so anstarrte? „Herrn Tamaroffs Meinung ist mir recht unmassgeblich“, antwortete sie stillvergnügt.
„Oh — das ist gut, liebes Fräulein!“ beeilte sich der Bucklige zu versichern. „Tamaroff hat gewiss einen sehr guten Blick — zugegeben —, aber man muss vor ihm warnen — —“ Er stockte unter dem Blick der Kleberin, bat stotternd um Entschuldigung und schwieg. Die „Warnung“ jedes anderen hätte Isabel sehr kühl abgelehnt — aber in die schweigende Angst dieser dunklen, gedemütigten Menschenaugen konnte sie nur freundlich und mitleidig hineinlächeln: „Beunruhigen Sie sich nicht, lieber Herr Grzgrez — Teufel, ich kriege Ihren Namen nicht heraus —“
Wie wohl es ihm tat, dies liebliche Gesicht. Sicher wusste sie, dass er sie liebte ... Dieser Dareen hatte keine Augen im Kopf! Aber wenn Michel den Regisseur aufmerksam gemacht hätte — dann wäre sie vielleicht — —
Bald rollte Dareens blanker, starker Wagen die Einfahrt daher, die kleinen Lichter blinkten. Dareen steuerte selbst. Er grüsste nachlässig den Portier — konnte ihn nicht leiden, seit der Kerl einmal den Riesenmuff der ihm unbekannten Frau Dareen für diebesverdächtig gehalten hatte. Auf der Strasse drehte er den Wagen quer und hielt an.
Draussen lag die kühle, reine Nacht. Ein paar Sterne flimmerten durch den sommerlichen Dunst des Himmels, an dem schon der ferne Tag heraufglomm. Isabel hatte keinen Mantel mit, sie fror in dem dünnen Kleid. Dareen zog seine Handschuhe an: „Einsteigen, Herrschaften!“
„Lieber Meister,“ wehrte der Bucklige ab, „ich gehe zu Fuss nach Haus. Denn siehe, diese Nacht ist lau wie die Jugend unserer Diva.“
„Machen Sie keine schlechten Witze. Rein! Bitte einsteigen, Fräulein.“
Michel tanzte auf seinen dünnen Beinen, machte siebenundzwanzig Sprüche, lüftete endlich den Hut und ging mit einem spöttischen „Salaam!“ davon. Dareen sah ihm misstrauisch nach. Der Tag kam schon ... „So, meine Verehrte, wohin, bitte?“
Isabel wohnte in einer sehr östlichen Strasse. „Ich halte Sie aber viel zu lange auf. Sie sind müde, Herr Dareen.“
„Müde — Dareen!“ lachte er und tippte sich an die Stirn. „Haben Sie das schon einmal erlebt?“ Es war richtig, Dareen arbeitete schonungslos, aber er prahlte gern ein wenig mit seiner Widerstandsfähigkeit. „Aber wo sind Sie zu Hause? — Ach, verehrtes Fräulein, in der Gegend habe ich auch angefangen.“ Er beugte sich rückwärts und holte aus dem Innern des offenen Wagens eine Lederjacke heraus. „Das ist weit, ziehen Sie, bitte, an.“
Am Potsdamer Platz, den sie überqueren wollten, wurden sie eine knappe Viertelstunde angehalten, da der Platz von Arbeiterkolonnen überschwemmt war. Elektrische Lampen gleissten. Pechfunzeln flackerten. Es wurde wieder einmal gebuddelt, gehackt; der Asphalt wurde weggerissen und durch solide Pflastersteine ersetzt; der alte Verkehrsturm wurde abgebrochen, einige Meter zur Seite entstand ein neuer, doppelt so grosser. Der ganze Platz wurde im Viereck und über Kreuz untertunnelt — und oben in der Luft wurden quer vor jeder der vier Hauptstrassen riesige Signalanlagen aufgebaut und ausprobiert: sie zeigten fünf verschiedene Lichtzeichen, die einzeln, paarweis oder alle zusammen verschiedene Bedeutungen hatten. Darunter hingen schon über die ganze Strassenbreite ungeheure Schilder, welche Warnungen und Befehle ausschrien: „Fahren Sie vorsichtig!“ „Beeilen Sie sich!“ „Für Fussgänger sicherer Tod!“ „Höchstgeschwindigkeit 60 Kilometer!“
So wollte es die neue Ordnung des Verkehrs ...
„Sie bemerken: Berlin ist noch nicht fertig“, meinte Isabel mit einer munteren Geste.
Dareen sah sie von der Seite an. Bei diesem mal schweigsamen, mal übermütigen Mädchen wusste man nie, was dahintersteckte. „Wohnen Sie schon lange in der Gegend?“ fragte er vorsichtig.
„Schon ziemlich lange“, gab sie ausweichend zurück, und er merkte wohl, dass sie sich nicht ausfragen lassen wollte. Aber er hatte den Wunsch, ihr etwas Freundliches zu sagen. „Ich muss mich noch bedanken, Fräulein Gynthenburg. Kaum bin ich von der Reise zurück, da sind die Aufnahmen schon sauber geklebt. Sie haben sich kein einziges Mal vergriffen, und der Film ist auch nie gerissen. Also schönen Dank.“
„Es freut mich, wenn Sie mit mir zufrieden sind, Herr Dareen. Man hört es manchmal gerne.“ Das war ein: Merk’s! Denn Dareen lobte fast nie, hatte aber immerfort etwas auszusetzen. Fast keine Klebedame hatte es bei ihm ausgehalten, weil er so oft bis in die frühen Morgenstunden arbeiten liess — und sie war die erste, die ihm die schwierige Arbeit recht machte. Die anderen hatten sich immer geziert, einmal war sogar eine besorgte Mütterlichkeit zu ihm gekommen — es hatte sich aber unglücklicherweise herausgestellt, dass Dareen damals seit vierzehn Tagen von jener Klebedame keine Nachtarbeit gefordert hatte. Fräulein Gynthenburg hatte noch nie nach ihrer Mutter gewimmert, wenn es spät wurde. „Haben Sie Angehörige, die Sie unterstützen müssen?“ fragte er mit einem Blick über ihre ungeschützten Hände, die in der Morgenkühle froren.
„Nein —“ Das klang etwas gedehnt, und Isabel errötete dabei. Er sah, dass sie nicht lügen konnte. Ein Verhältnis? Das hatte er bei ihr am wenigsten erwartet. Sie spürte seine Gedanken. „Ich bin verlobt“, sagte sie kurz, mit einer kleinen Unentschlossenheit.
Es wurde jetzt heller. Dareen entschuldigte sich: „Wurst wider Wurst. Haben Sie irgendwelche Wünsche, bei denen ich Ihnen behilflich sein könnte?“ Sie verneinte. „Was bekommen Sie eigentlich für ein Gehalt, Fräulein?“
„Ich hatte mit meiner Bemerkung vorhin nicht die Absicht, Sie für mein Einkommen zu interessieren.“
„Aber, liebes Fräulein! So meinte ich es auch nicht. — Aber wenn Sie es mir nicht sagen wollen, dann frag’ ich einfach beim Sekretariat an!“
„Achtzig Mark“, lachte sie, schnell gefangen.
„Wöchentlich?“
„O nein — im Monat natürlich.“
Er biss sich auf die Lippen. Und dafür bis vier Uhr nachts im Dienst ... „Das ist ja allerhand“, zwang er beschämt heraus. „Sie sind aber sehr eifrig. Ich werde also mit der Personalabteilung sprechen, dass Sie zwanzig Mark Zulage bekommen, damit die Sache rund wird.“ Und in Gedanken notierte er sich: Nicht vergessen, Fräulein Gynthenburg zwanzig Mark Aufbesserung.
„Das wird Herr Generaldirektor Keriël verbieten!“ spottete Isabel. Er sah sie überrascht und belustigt an, aber sie zeigte schon mit der Hand auf ein entwaffnend hässliches Haus und bat ihn, zu halten.
Die schmutzigen, verkommenen Mauern der Häuser schienen bis in die Wolken zu steigen. Jedes einzelne Haus ein anderer Stil — aber alle geeinigt durch die gleiche gemeine Erfindungslosigkeit der Architektur. „Hier wohnen Sie ...“, sagte Dareen schaudernd und umfing ihre selbst in dem verwaschenen Sommerkleidchen zierliche Gestalt mit seinen Blicken. Es schien ihm heute ganz unwahrscheinlich, dass man hier leben konnte. Im Asphalt zeichnete sich versteinerter Pferdemist ab, und vor den fast überall verschlossenen Fenstern hing grobe Wäsche zum Trocknen. Die stickige Luft der Stuben dahinter glaubte man bis hierhin zu atmen.
„Ein paar Strassen weiter habe ich als kleiner Kunstmaler gelebt —“, flüsterte Dareen mit träumenden Gedanken, so dass sie ihn kaum verstand. „Ich war einer der ersten Expressionisten — darum habe ich eine Villa in Halensee, haha! Aber schliesslich ist mir die Sache zu dumm geworden, und ich sah, dass es eine Lüge war; denn alle konnten es.“
Isabel legte mit einem kühlen Dank die Lederjacke ins Auto zurück und ging ins Haus. Als Dareen zurückfuhr, überlegte er sich eine Weile, was wohl mit dieser kleinen Klebedame los sein könnte. Verlobt? Äh — wohl irgendein Jüngling von der Portokasse — — dann begann das ärmliche Lied: eine winzige Wohnung und Kindergeschrei aus jeder Ecke. Zu schade dafür? I was — es ist keine zu schade. Jeder liegt, wie er sich bettet — —
Ja richtig — sie sollte zwanzig Mark mehr bekommen. Er hielt den Wagen an und schrieb sich’s auf. Ulkig und merkwürdig, diese Spöttelei über den Generaldirektor — es war also überall herum, dass Lydiens Bruder seine Polypennase in jede Kleinigkeit hineinsteckte. Ich mache noch Pleite mit Ihnen, Dareen — Pleite! — Aber die kleine Gynthenburg tat ihm leid mit dieser elenden Bezahlung.
Dann kamen wichtigere Sachen in Dareens Kopf: das neue Manuskript, das W. I. B. Florian gebracht hatte — ein hahnebüchener Quatsch, alles ungelebt und erfunden, ganz „Geist des Films“. Der junge Doktor und Hausdichter des Keriëlfilms hatte nämlich kürzlich eine so benannte Filmtheorie von sich getan, welche auf 180 kriegsstarken Seiten „Neue Wege der Filmkunst“ wies, dass es zum Bauchgrimmen war. Der Poet war aber sehr stolz auf sein Literatenstroh. Er war natürlich der Hauptbezieher seines Buches, welches im übrigen kein Mensch las oder gar kaufte — ausser Lydia Keriël, die den „Geist des Films“ bei jeder Gelegenheit verschenkte, vermutlich weil darin eine zwar eigenartige, aber streng wissenschaftliche Verteidigung des Starsystems enthalten war ...
Und wie immer, wenn er ihren Namen nur dachte, so sah er sie leibhaftig vor sich, sah ihren schnellen, wiegenden Gang. Ob seine gemarterte Vernunft zu jeder Stunde widerstrebte — sein Herz ward wehrlos zu ihr hingerissen. Ah — wenn sie eine Ahnung hätte, wie sehr ihn alles von ihr wegdrängte, wie seine Sinne dennoch zu ihr flatterten!
Dareen strich sich über die schmerzende Schläfe, die schon ganz grau war. In Gedanken hatte er sich ein paar Strassen verfahren, auf einem Umweg kam er wieder zurecht. Verfahrene Situation — sagte er sich. Ja, so war es. Man müsste Schluss machen.
Aber allein, wenn er ihre Bilder sah, so gingen Schauder über ihn. Denn mit diesem Körper dichtete er seine stummen Lieder, und in Lydiens Händen tönte die Leidenschaft, die er ihr anbefahl. Dass sie launenhaft war — was kümmerte es ihn? Er wurde schon mit ihr fertig.
Aber dass das alles so freudlos war, vergiftet Liebe wie Hass — ob das auch sein musste? Man kann in Ehren ergrauen — und bleibt ein Schuljunge in diesen Dingen!
Josef Dareen fror. Der Morgen warf ihm den frischen Wind ins Gesicht. Jetzt nach Hause? Leise über einen teppichknisternden Flur — an einer Tür vorbei, deren Schwelle er seines Wissens vor zirka drei Jahren zum letzten Mal überschritten hatte? Nee, meine liebe Charlotte — wenn wir bloss auf dich angewiesen wären — —! Vor ihren Zimmern pflegten nachts zwei zierliche Halbschuhe ziemlich sinnlos auf die — Morgenglanz verleihende — Bürste zu warten; denn dass Charlotte Dareen je schmutzige Schuhe angehabt hätte, das war unvorstellbar.
Was ist Schönheit? dachte Dareen. Nach Hause — — zu dieser Frau?
Aus einem Bahnhof, dessen Unterführung er in scharfer Fahrt kreuzte, quoll eine kleine Schar eleganter Mädchen, ihr Lachen scholl an sein Ohr. Den Ton kannte er. Mit einem Ruck hielt der Wagen. Dareen winkte: „Hört mal, Kinder! Wer von euch hat Lust zu einer Autofahrt ein paar Stunden ins Land?“
Die jungen, geschminkten Dinger umdrängten ihn. „Ich! Ich! Ich!“ lärmten sie.
„Das ist mir ein bisschen zu viel, meine Lieben, ich kann bloss eine brauchen, sonst verliert mein Auto die Puste. Also sagt mal: wer von euch ist denn die lustigste?“
Die Mädchen hoben lachend den Finger wie in der Schule. „Ich! Ich! Ich!“ Dareen lächelte, ein wenig spöttisch, ein wenig zaghaft: „— ich suche nämlich die Stillste ...“ Damit winkte er einer Kleinen, Unansehnlichen, die beiseitestand, und hiess sie schnell in die Polstersitze des Wagens steigen. Hinter ihnen her zischte das schrille Keifen der Enttäuschten.
Nach einer Weile hielt Dareen an, warf seiner unbekannten, verschüchterten Gefährtin die Lederjacke in den Schoss, suchte aus der Westentasche einen Geldschein hervor und gab ihn hinüber. Die Dirne hüllte sich wortlos in die warme Jacke. In ihrem Berufe verlernt man das Wundern.
Ausserhalb der Stadt, auf der Heerstrasse, legte Dareen los. Er lehnte sich in den Sitz zurück, wohlig und müde. Seine Augen blickten gelassen der heranrasenden Welt entgegen, sein blosses Haar schlug im Wind.
Charlotte Dareen erhob sich auch am Sonntag so früh wie stets. Beim Frühstück meldete ihr die Zofe, Herr Dareen sei noch nicht daheim.
Das war nichts Ungewöhnliches. Aber dass das Auto auch nicht bereitstand — das war noch nicht vorgekommen. Charlotte frühstückte allein und ohne Freude, fuhr dann mit der Untergrundbahn in den Tattersall. Sonst brachte Dareen seine Frau stets selber dorthin, wenn seine Zeit es erlaubte. Man hielt auf Ritterdienste.
In der grossen, spärlich erhellten Reithalle trabten ein paar junge Mädchen, die Charlotte schon zuweilen hier gesehen hatte. Graf Csaky stand gelangweilt im Sand und rief von Zeit zu Zeit seine Anweisungen hinüber. Mit diesen Damen war wenig Ehre einzulegen, die Tiere wurden träge wie ihre Reiterinnen. Als er Charlotte Dareen sah, liess er seine Schülerinnen im Stich und ging auf die elegante Frau zu, die er höflich begrüsste — sie war eine gute Reiterin, das genügte in seinen Augen, um einen Menschen wertvoll zu machen.
„Ist mein Mann schon hier?“
Graf Csaky verneinte sporenklirrend, küsste der Frau die Hand. Charlotte grüsste kurz, liess ihn stehen und ging zu den Ställen hinüber. Kam dann ins Rund geritten, mied die Kavalkade der Schülerinnen und liess ihre englische Stute in lässigem Schritt die Halle durchmessen. Graf Heino gab acht und dirigerte seine Zöglinge so geschickt, dass sie die Dame nicht störten.
Bald darauf fuhr Dareen vor. Sein Gesicht war von der Morgenluft rot und frisch, man sah ihm die durchwachte Nacht nicht an. Er war schon daheim gewesen. Im Dress stieg er zu Pferde.
„Guten Morgen, Charlotte. Du verzeihst. Eine Zündkerze war verschmiert, ich kam nicht rechtzeitig, um dich abzuholen.“
Sie nickte, und er setzte sich an ihre Seite. Der nervöse Fuchs tänzelte ungeduldig und wollte nicht schreiten. Nach einer Runde zog Dareen höflich den Hut, und sie grüssten sich mit einem flüchtigen Gruss. Dann ritt ein jeder für sich allein, wie und wohin es ihm beliebte. So machten sie es jeden Morgen von sieben bis acht.
Charlotte setzte sich in Trab und ritt in gemessenen Gängen. So fremd seine Frau ihm war — es war ein Vergnügen, sie aus der Ferne zu beobachten: jede Bewegung abgemessen und beherrscht, von lässiger Anmut erfüllt. Er sah seine Frau überhaupt sehr gerne von weitem, dann begriff er, dass er sie geheiratet hatte.
Die Übungszeit war nun vorbei. Graf Csaky entliess aufseufzend seine temperamentlosen Schülerinnen, und der Tattersall füllte sich allmählich mit eleganten, geschulten Reitern. Die frühe Stunde, in der viele ihre eigenen Tiere hier bewegten, galt ihnen als eine Art von Gottesdienst, den sie schweigsam und andächtig auf Redopp und Pesade zelebrierten.
Graf Csaky holte sich die prachtvolle Yorkshirestute eines auf Reisen befindlichen Amerikaners heraus — ein hohes, langbeiniges Tier, das er jeden Morgen bewegte. Er ritt an die einzelnen Gäste des Tattersalls heran und wusste für jeden mit seiner leisen, singenden Jungenstimme einen besonderen Gruss. Der einstige Husarenoffizier, vom Krieg aufs Pflaster gesetzt, war eine unschätzbare Akquisition des Direktors. Leider schien er verlobt zu sein; man sah ihn zuweilen mit seiner geradezu ärmlich gekleideten Braut — auch einer entthronten Adligen.
Verlobt ist noch nicht verheiratet, dachte der Direktor und prophezeite seinem Reitlehrer eine grosse Zukunft; denn dass da einmal ein Goldfisch anbeissen würde, war klar. Der Graf schien seine Verbindung auch nicht gerade tragisch zu nehmen; denn es wurden zuweilen duftende Briefchen im Tattersall für ihn abgegeben, die kaum von seiner Braut stammen konnten, dafür waren sie unter sich von zu verschiedener Art — wurden jedoch gleichwohl vom Grafen Heino nicht ungern in Empfang genommen.
Dareen ritt für sich ins Freie, dort traf er sich an den Sonntagvormittagen zuweilen mit seiner Diva, wenn sie gnädig war. Er schonte den Fuchs nicht, darum mochte Graf Csaky den Regisseur nicht leiden: Pferdeschinder — Menschenschinder. Das scheue Tier flog leicht über die Hürden und Hecken, und Dareen empfand, dass von allen Freuden ihm allein die Geschwindigkeit eine flüchtige Ruhe gab. Hier erblickte er Lydia Keriël.
Sie zog an der Seite des gräflichen Reitlehrers in einem schwebenden Galopp dahin, die Pferde hielten sich Kopf an Kopf, die acht Hufe wirbelten in seliger Wildheit über den stäubenden Sand. Und Dareen spürte, wie eine Blutwelle sich in seine Schläfen warf.
Hinter einer Hürde, welche die Pferde mit gestreckten Leibern übersprangen, schlug die Diva trabend einen Haken und hielt ihren Schimmel an. Dareen ritt über den weiten Platz auf sie zu — sachte im Schritt, es konnte gar nicht langsam genug gehen. Sie sah ihn schon, hob von ferne grüssend die Hand.
„Kleiner Graf: Dareen kommt. Reiten Sie heim!“
So war es immer: Wenn Dareen kam, mussten die anderen gehen. Der schlanke Junge richtete sich im Sattel auf, beugte sich tief und schwärmerisch über die Hand der glühend bewunderten Frau und zog davon, ohne den sich nähernden Regisseur zu beachten.
Als sie sich über den Hals der Pferde hinweg stumm die Hände reichten, war es ihnen, als gingen unsichtbare Schatten über den Himmel. Sie setzten sich nebeneinander. „Guten Morgen, Lydia“, sagte Dareen nachträglich.
„Ausgeschlafen?“ fragte sie nach einer Weile.
„Habe gar nicht geschlafen.“
„Das merkt man. Wie kam das, bitte? Gebummelt?“
Er lachte unwillig. „Nee, Liebste. Habe Ihren Film geschnitten, bis morgens um drei.“ Da kam über ihr Gesicht ein schnelles Leuchten: „Ah — schon? Na, und — sagen Sie: Wie sind die Bilder?“
Dareen musste sie ein bisschen zappeln lassen. „Scheusslich.“
Jäh sah er ihre Augen, den ganzen Ausdruck ihres Gesichts verändert, als sei durch Zauberkraft ein anderer Mensch an seine Seite gerückt. „Wie?! Hat dieser niederträchtige Buckel etwa wieder — —“
„Lydia —“, unterbrach er sie bittend und voller Vorwürfe gegen sich selbst, denn er kannte ja ihre Reizbarkeit — warum musste er also immer wieder anfangen? „Michel ist Ihr hingerissener Bewunderer — und die Bilder sind Gedichte von Sonne und Licht.“
„So —“, sagte sie vor sich hin. „So. Mehr nicht? Wie sind denn meine Bilder?“ Ihre Gerte zuckte in der Hand. Dareen strich sich über die Stirn. War heute wirklich Sonntag? — „Liebe — wenn ich nicht von der Notwendigkeit Ihres Schlummers allzusehr überzeugt gewesen wäre, so hätte ich Sie aus dem Bett getrommelt, um Ihnen Ihre — hören Sie: Ihre! — Bilder zu zeigen.“
Eine kindliche Fröhlichkeit brach quellend aus Lydia Keriëls Gesicht, ihre Zähne blitzten. „Das war lieb, Dareen.“ Sie beugte sich zu ihm hinüber — und abermals fing ihn das dunkle Lodern ihrer Augen ein ...
Im Schritt verliessen sie das Hürdenfeld, trabten gelassen in die Reitalleen hinüber. Beim Überqueren des Fussweges wurde die Schauspielerin von einigen Spaziergängern erkannt, bewundernde Blicke folgten ihr.
„Sie müssen die Kandare loser hängen“, sagte Dareen.
„Ich kann reiten“, gab sie ihm mit springend wiedergekehrter Schärfe zurück. „Wollen Sie mir vielleicht sagen, wie die Aussenaufnahmen geraten sind?“
Vor Dareen wippte der Pferdekopf, der Beschlag des Zaumzeugs blinkte. „Ich bin abgespannt und finde heute nicht die richtigen Worte. Wenn ich nur sage: Die Bilder sind herrlich, alles ist gut und schön — so haben Sie keinen Nutzen davon, denn es ist immer allerlei auszusetzen.“
„An mir —?“
„Lassen wir das“, wehrte er ab. „Sie sind ausserdem für Kritik heute nicht empfänglich.“
„Lieber Dareen — für Kritik bin ich immer empfänglich. Bloss nicht für Nörgeleien. Ich brauche Verständnis! Aber Sie sind heute schlecht gelaunt, wie mir scheint.“
„Ach was — kommt bei mir gar nicht vor.“
Lydia Keriël lachte. Der Regisseur drehte den Fuchsenkopf auf einen Weg, der zur Reithalle zurückführte — sehr zum Unmut seiner Diva, die nach einer Weile, während sie bissig in die Luft geschwiegen hatte, den abgerissenen Gesprächsfaden wieder aufnahm.
„Lieber Freund — ich möchte wissen, ob ich Ihnen je etwas recht gemacht habe. Aber diese verrückte Doppelrolle — ich sage Ihnen, solchen Flausen folge ich nicht ein zweites Mal! In zehn Jahren vielleicht, wenn ich graue Haare habe —“
Dareen sah der Freundin über die zornige Stirn. Der schwarze Reithut, von einem Riemen unter dem Kinn gehalten, sass untadelig auf dem glatten Haar. „Liebste Freundin,“ sagte er leise, „Sie haben ja schon welche ...“
In Lydia Keriëls Augen kam eine kleine Furcht, ihr Blick suchte unsicher im Grün der Äste. „Die paar Strähnen haben nichts zu bedeuten. Graf Csaky sagt, das wär interessant.“ Der Regisseur brach in ein herzliches Lachen aus. „Dareen,“ rief sie ihm zu, „Sie sind grässlich!“
Es dauerte eine ganze Zeit, bis er seine beleidigende Fröhlichkeit besiegt hatte. „Und Sie sind köstlich, Lydia! Wissen Sie was? Lesen Sie ein Jahr lang prinzipiell keine Kritiken mehr, in denen Sie verhimmelt werden — denn wer Ihnen bloss Gutes zu sagen weiss, der ist Ihr Feind! Für Ihre Reklame sorge ich schon — — glauben Sie mir: Es ist kein Wort davon wahr! Schicken Sie Ihre Bewunderer weg, das ist ja alles Gewäsch, was die reden. Besonders den Grafen Csaky —“
„Das ist ein ganz entzückender Mensch!“
„Natürlich —“, höhnte er bitter. „Wer Sie anschwärmt, Lydia, das ist immer ein ganz entzückender Mensch — und wer Ihnen in unablässiger Mühe die Sporen gibt, wie man ein alleredelstes Pferd zureitet — —“
„Sie wollten sagen: dressiert ... “
Das Gespräch wurde scharf. Die empfindsamen Tiere spitzten unruhig die Ohren und knirschten im Gezäum. „Lassen wir das“, sagte Dareen. In seiner Stimme klang ein ruhiger Befehl.
Lydia kannte diesen Ton.
„Heute ist Sonntag,“ fuhr Dareen verwandelt fort, „geniessen wir ihn. Ausserdem haben wir beide morgen unsere ganze Nervenkraft nötig; es wird die schwierigsten Doppelaufnahmen geben — Sie dürfen sich ruhig auf zehn Stunden einrichten.“
Die Diva ritt in verstimmtem Schweigen an seiner Seite. Er verstand sie aber auch gar nicht, auf allen zarten Regungen ihrer Seele trampelte er herum! Sie hasste ihn — natürlich, was sonst? Es war klar, er sollte sich nur nichts einbilden —
Oh, Dareen — —
Vor der Reithalle stand Graf Csaky, den Zügel seines Yorkshire in den Arm geklemmt, und las vergnügt in einem rosigen Briefchen. Abseits wartete ein galonierter Diener. Als der Reitlehrer die beiden Herantrabenden bemerkte, steckte er das Papier errötend in die Tasche. Lydia ritt auf ihn zu, ihre Lippen verzogen sich spöttisch: „Na —?“
„Wieso ‚na—?’, Gnädigste?“
Die Schauspielerin nahm ihre Reitgerte und tippte ihn auf die Nasenspitze. Der Graf half ihr verlegen vom Pferde. Auch Dareen schwang sich aus dem Sattel, seine Bewegungen waren müde.
Am Nachmittag traf sich Isabel an einem der Untergrundbahnhöfe mit ihrem „kleinen Kameraden“, sie musste eine Weile warten, ehe er kam. Ein hellbrauner Sakko schmiegte sich um Heinos von Kraft und Jugend strahlende Gestalt, sein Stöckchen wirbelte in zwei Fingern durch die Luft. Als er Isabel sah, stutzte er einen Augenblick, denn es ging ihm immer wieder auf die Nerven, dass sie nur ein einziges gutes Sommerkleid hatte, und das — na! „Tag, Aschenputtel.“ Sie schüttelten sich die Hände. „Tag, lieber Märchenprinz“, sagte Isabel und knickste spöttisch.
Sie gingen in den Tiergarten hinüber, der von sonntäglichen Spaziergängern wimmelte. Mancher drehte sich nach dem an Kleidung ungleichen Paar um. Das war Heino unangenehm — Isabel war doch nicht sein Verhältnis — teils leider! — sondern die „Grosse Liebe“! Wenn sie sich nur etwas liebenswürdiger betätigen würde, hem ...
Die „Grosse Liebe“ schob ihren Arm in den seinen — obwohl sie merkte, dass er widerstrebte — aber dann tat sie’s natürlich erst recht. Wenn sie schon in Sack und Asche herumlief, dann wäre es Heino lieber gewesen, wenn man sie für seine Sekretärin gehalten hätte. Er selbst sah ja aus wie ein Attaché. Teufel — und man hätte es sein können, nach Geburt und Gaben. Dies Schicksal, dies verdammte Schicksal!
Er sah sie missbilligend an: „Liebes Herz — tu mir bloss den Gefallen und leg’ dir eine stilvollere Frisur zu.“
Sie lachte: „Das stört dich doch jetzt nicht, wenn ich den Hut aufhabe.“
„— aber was für einen ...“, erlaubte er sich.
„Jedenfalls einen, der vor drei Jahren sehr modern war, mein lieber Graf.“ Aber im Innern spürte sie jedesmal einen Stich, wenn er an ihrer äussern Erscheinung etwas auszusetzen hatte. Heino zuckte die Achseln und zog in Gedanken ein silbernes Etui aus der Westentasche — aber im selben Augenblick fiel ihm ein, dass sie das ja nicht sehen durfte. Nun war es einmal geschehen, und Isabel hatte es natürlich gleich bemerkt. „Fein!“ sagte sie mit einem lustig lauernden Seitenblick. „Gekauft —?“ Sie nahm ihm die Dose aus der Hand, und er liess es zu, dass sie die Zigaretten herausnahm und sich die Sache näher ansah. „Ah — ‚Lydia Keriël ihrem kritischen Bewunderer’ ... Sehr nett von deinem Abgott. Aber sag’ mal, Heino: Wieso Kritischer’?“
„Ja nun — sie fragt mich eben mal um meine Meinung.“
„In Filmangelegenheiten?“ Sie sah mit unbändigem Vergnügen, wie er sich in ihrem Kreuzverhör wand. „Erlaube schon!“ gab er ihr gekränkt zur Antwort. — „Ach, Isabel, warum quälst du mich in einem fort? Frau Keriël geht nie ins Kino, ausser in ihre eigenen Filme — dann erzähle ich ihr also. Das genügt ja auch — denn von den verrückten Amerikanerinnen kann sie doch nichts lernen.“
„Ah — und du sagst ihr das. Hm, Heino — ich werde mal Dareen erzählen, woher die Dame ihr Selbstbewusstsein bezieht.“
In einer Gartenwirtschaft eroberten sie einen gerade freiwerdenden Tisch am Seeufer. Der vielbeschäftigte Kellner übersah die beiden. Boote schaukelten im seichten Wasser, am Uferkranz standen helle, sommerlich gekleidete Menschen. Isabel beobachtete den Freund, der es auffällig vermied, sich dem Kellner bemerkbar zu machen. „Gehen wir“, sagte er endlich. „Der Kerl kommt ja doch nicht zu uns.“
„Fällt mir gar nicht ein, ich habe Hunger.“ Isabel nahm die Karte zur Hand und nannte ihre Wünsche. „Sei so gut und bestelle mir endlich einen Mocca double, sieben Mohrenköpfe, drei Baisers und vier Napoleonschnitten.“
Heino sah in die Luft. „Entschuldige, Isabel — ich habe nämlich bloss noch eine Mark fünfzig, summa summarum. Aber den Mokka sollst du haben.“
Ihr Blick wurde dunkel: „Lieber — du hast wieder gewettet, gespielt?“
Graf Csaky zog einen Haufen zerknitterter Lotterielose aus der Tasche und warf sie wütend über den Tisch. „Alles Nieten. Aber ich habe die Sache jetzt bald heraus. Ein fabelhaftes System. Da lernt bei mir ein Schieber reiten, der hat Unsummen damit verdient und bringt es mir aus Gefälligkeit bei. Das Glück ist nämlich auch berechenbar.“
Wie unmutig sie den Blick gesenkt hielt — rief jetzt mit einer kurzen, herrischen Bewegung den Kellner heran und bestellte einen Kaffee für sich und ein Bier für Heino. „Wenn du dir auf diese Weise Vermögen und Rang zurückholen willst, mein Lieber, dann kannst du lange warten.“
„Wenn du dir auf deine Weise, Pfennig zu Pfennig, Vermögen und Rang zurückholen willst, liebe Isabel“ — antwortete Heino gedrückt —, „dann werden deine Kinder immerhin bis zur Alvenslebenstrasse aufrücken. Ach, du“ — und er griff nach ihrer Hand —, „du glaubst ja selber nicht, dass du glücklich bist in deinem elenden Beruf —“
„Glücklich —?“ sagte Isabel, und ihr Blick verlor sich. „Gewiss nicht. Sicherlich weniger als du bei deinen Pferden. Aber ich bin fleissig. Ich will hoch, und mein Glück hab’ ich bei mir. Jetzt lerne ich an den Abenden englisch und französisch stenographieren. Dareen lobt mich — eines Tages wird er mich zu seiner Regieassistentin machen.“
„Und dann —?“
„Dann ist wieder ein neues Ziel. Ich warte, aber ich rege die Hände dabei. Manchmal meine ich, ich träume und müsste zerspringen in diesem Alltag, mit Schreibmaschine, Stenogrammblock und Klebepinsel. Glücklich? — Aber muss man glücklich sein? — Mir genügt es, wenn ich nicht zwecklos bin. Dass mein Vater ein Botschafter war und deiner ein Geheimrat im Auswärtigen — das ist ja schon gar nicht mehr wahr. Warum führst du eigentlich den Adel noch und vergoldest dir die zerrissenen Stiefelsohlen? Lass mich ausreden, Lieber —“, fügte sie hinzu, als Heino sie heftig unterbrechen wollte, und nahm begütigend seine widerstrebende Hand überm Tisch, „du hast natürlich keine zerrissenen Stiefelsohlen, das weiss ich — sondern lieber Schulden.“
„Du reitest immer auf mir herum, meine Liebe“ — Heino wehrte sich müde —, „als ob ich nicht auch tüchtig und fleissig wäre. Komm in meine Ställe und sieh’, wie da alles blitzt, und jeder Nagel an seinem Fleck. Wenn ich einen Aufgabenkreis hätte — — aber den kriegt man ja nicht. Gott — Reitlehrer und Kleberin — — das ist so stillos.“
Auf einen herabhängenden Ast hüpfte ein Rotkehlchen, plusterte selig den roten Bauch und piepste. Das war nun unser Sonntag ... „Stillos ist,“ sagte Isabel, „wenn sich nicht beugen will, was schon gebogen ist — und wenn man hofft, wo man nicht leistet.“
„Zahlen!“ rief Heino wütend dem Kellner zu. Isabel zog ihre Handtasche und schob ihm unterm Tisch ein paar Scheine hin. Der Kellner hatte es bemerkt und grinste verstohlen — aber durch ein reichliches Trinkgeld wurde dieser schlechte Eindruck wieder verwischt. Als Heino das übrige Geld in der Hand hielt, zwinkerte Isabel ihm zu, er lächelte dankbar und steckte das Geld in die Rocktasche. „Du kannst doch nicht mit deinen anderthalb Mark herumlaufen“, raunte sie ihm zu, „ich gebe dir nachher noch etwas. Dareen hat mir zwanzig Mark Aufbesserung versprochen.“
„Das ist ja fabelhaft —! Aber es wäre jedenfalls sehr lieb von dir. Weiss der Teufel, was los ist — bei mir kommen die Moneten immer geflügelt auf die Welt —“
Sie standen auf. Heino schob jetzt seinen Arm in den ihren — aber die Verbitterung drängte, immer wieder über seine Lippen. Vier Jahre liebte man sich — eine spröde Freundin — und keine Aussicht, im Lauf der Jahrzehnte standesgemäss zusammenzukommen ...
Isabel hasste dies zwecklose Klagen, und um ihn auf andere Gedanken zu bringen, erzählte sie ihm vergnügt, was Tamaroff und der bucklige Chefoperateur zu ihrem „Filmgesicht“ meinten. Darauf strich Heino sich nachdenklich ums glatte Kinn: „Du, höre mal — das wäre gar kein übler Gedanke. Du könntest — äh, wir könnten bald heiraten“, übersetzte er, weil er wusste, dass sie es ungern hörte, wenn er vom Gelde sprach. Aber sie zog ihren Arm schon unwillig an sich.
„Sieh einmal ins Atelier hinein, lieber Heino — dann vergeht dir die Lust, mich unter diesen Menschen zu sehen. Aber du kennst ja nur die Leinwand. Und die lockt — — lockt mich auch.“
Der Graf zuckte die Achseln. Dann mochte sie eben Klebedame bleiben, wenn sie das für vornehmer hielt. Aber er beobachtete sie entzückt, sie sah so hübsch aus, wenn sie böse war. Auf dem weiten Wege kamen sie in entlegenere Ecken, nur wenige Spaziergänger begegneten ihnen. Heino sah sich um — und als er keinen Menschen erblickte, küsste er sie stürmisch. Sie spürte sein Begehren und machte sich ruhig frei. „Es ist nicht gut, dass man vier Jahre umeinander herumgeht“, sagte er entschuldigend, aber er sah, dass auch ihr eine dunkle Röte in die Stirn gestiegen war.
„Dann sieh zu,“ antwortete sie ihm, „dass diese Zeit sich schneller endet, und hole deine standesgemässen Träume aus den Wolken herunter. Aber du wirfst dein Geld zum Fenster hinaus und wartest, dass dich der Zufall wieder hochbringt. Dir passiert das nicht, Heino — dir nicht.“
Sein Stock zischte. „Du willst damit sagen, ich wäre zu dumm dazu?“ Und als sie lachte, sprach er heftig weiter: „Verbringe diesen Abend allein, Isabel — mir hast du die Lust verdorben!“
So war es schon oft zwischen ihnen geschehen. Wenn sie sich nicht vertragen konnten, ging jeder seines Weges — — wenn man sich lange vergeblich liebt, wird man klug. Sie gaben sich die Hand. Das trifft sich ja ganz gut, dachte Heino im Davongehen — denn er hatte heute abend etwas vor, das in dem rosigen Brief am Vormittag gestanden hatte, und er hätte schwindeln müssen, um freizukommen.
Einen Augenblick wollte Isabel ihm nacheilen, denn ihr immer gedämmtes Blut drang auf. Dann hob sie die Hände an den Mund. „Dummer Bub!“ rief sie und lachte — aber es war ihr nicht danach zumut.
In der riesigen Glashalle, wo an anderen Tagen in jeder Ecke gedreht wurde, standen heute nur Dareens Dekorationen: der maurische Spielsaal von Monte Carlo, in der Form genau kopiert, doch mit grell angestrichenen gelben, grünen und braunen Wänden; zwei prunkvolle Gesellschaftsräume; abseits führte eine breite, weitgebogene Empfangstreppe bis unters Glasdach hinauf.
Um Dareen, der seit sechs Uhr früh, schon drei Stunden vor Beginn der Aufnahme, draussen war, summte ein Ameisenhaufen. Jupiterlampen und Scheinwerfer wurden hereingerollt, die Hochspannungskabel der Lampen schwappten über den staubwirbelnden Fussboden.
Isabel warf einen Blick in das lärmdröhnende Atelier und ging in ihren Kleberaum hinüber. Sie hatte ein kleines Zimmer für sich, weil Dareen den letzten Schnitt — bei dem es sich nicht mehr um Meter, sondern um Einzelbilder handelte — selbst erledigte, häufig gemeinsam mit Michel; und er wollte ungestört sein.
Als sie die Filmrollen der Musterkopie ausgepackt hatte, liess sie im Schreibzimmer, in dem die Maschinen klapperten, die Nachrichten für Frau Kiesering und für den Hilfsregisseur ausschreiben. Darauf ging sie wieder ins Glashaus. Es war unmöglich, an Dareen heranzukommen.
Der Regisseur stand am Haustelephon, schnauzte den Ingenieur des kleinen Elektrizitätswerks persönlich an und ersuchte um zuverlässige und gleichmässige Stromlieferung. Die Lampen standen unter Probelicht und flackerten in stechenden, violetten Strahlen. Es war eben Montag ... Michel Grczegorezewicz hantierte mit seinen Hilfsoperateuren am Motorgetriebe des Aufnahmeapparates herum, das heute wegen der schwierigen Doppelaufnahmen verwendet werden sollte. Die Sache klappte nicht, der Rohfilm klemmte sich unaufhörlich — —