Taunuskinder - Osvin Nöller - E-Book

Taunuskinder E-Book

Osvin Nöller

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Beschreibung

Ganz aufgehen in der Familie heißt ganz untergehen! Marie von Ebner-Eschenbach In einer seit Langem leerstehenden alten Villa verschwindet in den 1990er-Jahren ein Ehepaar spurlos. Zwei Pflegekinder des Paars bringen sich kurz darauf um. Damit nicht genug: Einige Jahre später sterben dort sechs weitere Menschen. Liegt auf der Villa ein Fluch? Der neue Eigentümer des Anwesens wird von einem ominösen Wächter der Villa unter Druck gesetzt, seine Baupläne aufzugeben. Warum? Er beauftragt die Privatdetektivin Melanie Gramberg, den Urheber der Drohungen zu finden. Melanie ermittelt zusammen mit ihrem väterlichen Freund Siegfried Graf zu Biebenau und stößt bald auf mysteriöse Zusammenhänge. Als sie selbst Drohungen erhält und bemerkt, dass sie überwacht wird, ahnt sie, wie nahe sie diesem Wächter gekommen sein muss. Allerdings befindet sie sich längst selbst in höchster Gefahr!

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Seitenzahl: 363

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Über das Buch:

Ganz aufgehen in der Familie heißt ganz untergehen!

Marie von Ebner-Eschenbach

In einer seit Langem leerstehenden alten Villa verschwindet in den 1990er-Jahren ein Ehepaar spurlos. Zwei Pflegekinder des Paars bringen sich kurz darauf um. 

Damit nicht genug: Einige Jahre später sterben dort sechs weitere Menschen. Liegt auf der Villa ein Fluch?

Der neue Eigentümer des Anwesens wird von einem ominösen Wächter der Villa unter Druck gesetzt, seine Baupläne aufzugeben. Warum? Er beauftragt die Privatdetektivin Melanie Gramberg, den Urheber der Drohungen zu finden.

Melanie ermittelt zusammen mit ihrem väterlichen Freund Siegfried Graf zu Biebenau und stößt bald auf mysteriöse Zusammenhänge. Als sie selbst Drohungen erhält und bemerkt, dass sie überwacht wird, ahnt sie, wie nahe sie diesem Wächter gekommen sein muss. Allerdings befindet sie sich längst selbst in höchster Gefahr!

Aus der Melanie-Gramberg-Reihe sind bisher erschienen:

Taunusgier (2019)

Taunusschuld (2020)

Einzelwerke des Autors:

fehlt noch

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheber­rechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Ver­arbei­tung in elektronischen Systemen.

© 2021 Osvin Nöller · [email protected]

Lektorat: Ursula Hahnenberg · www.buechermacherei.de

Satz & Layout/E-Book: Gabi Schmid· www.buechermacherei.de

Covergestaltung: smartline werbeagentur · www. smartline.info

Fotos/Grafiken: Fotostudio Hawlitzki · ­www.fotostudio-hawlitzki.de; www.buechermacherei.de; #279803298, #238597879, #212578396, #117441828, #256200474, #48742696, #377353195, #282054034, #123294960, #404292440  | AdobeStock

Druck und Vertrieb: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg · www.tredition.de

1. Auflage

978-3-347-33853-1 (Paperback)

978-3-347-33854-8 (Hardcover)

978-3-347-33855-5 (e-Book)

Inhaltsverzeichnis

27. März 1993, 5.12 Uhr – JVA Weiterstadt

15. Juni

16. Juni

18. Juni

19. Juni

20. Juni

21. Juni

22. Juni

23. Juni

25. Juni

26. Juni

27. Juni

28. Juni

29. Juni

30. Juni

1. Juli

2. Juli

3. Juli

4. Juli

6. Juli

Dank

Der Autor

27. März 1993, 5.12 UhrJVA Weiterstadt

Die Schallwelle eines ohrenbetäubenden Knalls donnerte über die Feldmulde, um in der Ferne langsam in Nebelfetzen zu verebben.

Vermummte Gestalten, drei Männer und zwei Frauen, sprangen auf und klopften den Staub aus ihrer Kleidung. Sie nahmen den Gehörschutz ab und warfen ihn achtlos auf den Acker.

Ein Machtgefühl überschwemmte Freds Körper mit Glückshormonen. Was für ein Spektakel! Dieses Ereignis würde die Schlagzeilen der internationalen Medien auf Wochen beherrschen. Die Außenwände der neu errichteten Justizvollzugsanstalt hatten zwar erwartungsgemäß standgehalten, innen mussten die zweihundert Kilogramm Sprengstoff jedoch einen ungeheuren Schaden angerichtet haben. Diese imperialistische Einrichtung würde ihre Bestimmung in absehbarer Zukunft nicht erfüllen, so viel war sicher.

Der Ruf eines Kuckucks erweckte für einen Augenblick den trügerischen Anschein, die nächtliche Idylle sei zurückgekehrt.

„Los“, schrie Fred, „die Bullenschweine werden bald auftauchen. Wir müssen weg.“

Sie spurteten rund sechshundert Meter zu einem Waldparkplatz, wo ein Ford Transit und ein Opel-Kombi warteten. Der Opel gehörte einem Wachmann der JVA, dem sie den Schlüssel abgenommen hatten.

Fred entriegelte die Heckklappe des Kombis und sie ließen die Maschinenpistolen auf der Ladefläche verschwinden. Dazu die fünf Umhängetaschen.

Maria rannte zum Ford und schraubte in Windeseile die Nummernschilder ab, um sie an dem zweiten Fahrzeug anzubringen.

Fred beobachtete sie. Sie wohnten als Paar, das sie nicht waren, in einer konspirativen Wohnung zusammen. Maria war besessen von ihrer ideologischen Überzeugung, beinahe vergiftet. Vielleicht stärker als jedes andere Mitglied der Organisation. Deshalb war sie so wertvoll, aber auch gefährlich, weil sie dazu neigte, unwägbare Risiken einzugehen.

Er eilte ebenfalls zum Ford und öffnete die seitliche Tür. Zehn angstvoll aufgerissene Augenpaare starrten ihn an. Ein Haufen willfähriger Vasallen des Unterdrückungsstaats, gefesselt an Händen und Füßen mit Kabelbindern, den Mund mit Klebeband verschlossen.

Bis 01:30 Uhr war ihre Welt in Ordnung gewesen. Die meisten der Wachmänner hatten sich bestimmt gefragt, weshalb so viele Beamte eine leerstehende JVA bewachten. Mit einem Schlag hatte sich ihre Langeweile in schiere Todesangst verwandelt. Davon zeugte auch der beißende Geruch im Innenraum des Fahrzeugs.

Ihre Angst erregte Fred, wie gern hätte er eine Salve aus der Maschinenpistole hineingeschickt. Doch heute würde niemand sterben. Das hatte die Kommandoebene angeordnet. Eine Erklärung des Gewaltverzichts aus dem vorigen Jahr, den er respektierte, auch wenn er ihn nicht nachvollziehen konnte.

Er legte den aufgestauten Hass in seine Stimme. „Ihr verhaltet euch ruhig, bis die Bullenschweine kommen“, schrie er. „Richtet ihnen aus, das Kommando Katharina Hammerschmidt hat den imperialistischen Knast gesprengt und auf Jahre verhindert, dass dort Menschen unrechtmäßig eingesperrt werden.“ Er ballte die rechte Faust und reckte sie empor.

„Für eine Gesellschaft ohne Knäste! Merkt euch gut: Kommando Katharina Hammerschmidt! Die Rote Armee Fraktion wird in den nächsten Tagen eine Erklärung abgeben.“

Vor ihm lag ein schmächtiger Bursche, höchstens Mitte zwanzig. Fred griff ihm in den Haarschopf und zerrte ihn auf die Knie. Er riss ihm das Klebeband vom Mund und nahm einen Colt-Revolver aus seinem Hosenbund. Diesen entsicherte er und hielt ihn dem Jüngling an den Kopf.

Das Gesicht des Jungen war tränenverschmiert, Rotz lief ihm aus der Nase, wie einem Sechsjährigen, der vom Bruder verhauen worden war. „Bitte … bitte … nicht“, stammelte er. „Ich kann doch … nichts … nichts dafür.“

„Halt die Fresse“, fuhr Fred ihn an. „Wie heißt das Kommando?“ Höhnisch registrierte er den immer größer werdenden nassen Fleck auf der Uniformhose des Mannes. „Also los, wie heißt unser Kommando?“

„Ich weiß es nicht“, stammelte der Bursche.

Fred fixierte ihn einen Moment mit einem eiskalten Blick und war versucht, abzudrücken. Stattdessen sicherte er den Colt und steckte ihn zurück in den Bund. Er schlug mit der flachen Hand ansatzlos zu.

„K-a-t-h-a-r-i-n-a H-a-m-m-e-r-s-c-h-m-i-d-t“, brüllte er, wobei er jeden Buchstaben betonte und mit einer Backpfeife garnierte. Schließlich gab er dem Knaben einen heftigen Stoß, der diesen über einen Kollegen stürzen ließ. Befriedigt rammte Fred die Schiebetür ins Schloss und eilte zum Opel, in dem die anderen warteten.

Wenige Sekunden später raste das Fahrzeug durch das Morgengrauen in Richtung BAB 67, wo auf einem Rastplatz ein Fluchtfahrzeug wartete und der Kombi in Flammen aufgehen würde.

15. Juni

Melanie schnaufte heftig, als sie den Anstieg in der Castillostraße hinter sich gebracht hatte und die Höhestraße erreichte.

Du wirst alt, Mädchen, dachte sie. Normalerweise nahm sie selbst nach zwei Stunden hartem Sportprogramm den Weg vom Jubiläumspark hinauf in die Altstadt von Bad Homburg in schnellem Lauftempo und beschleunigte sogar auf den letzten zweihundert Metern bis zu ihrer Wohnung spürbar. An diesem Freitagmorgen quälte sie sich, obwohl sie gerade erst siebzig Minuten unterwegs war.

Das lag weniger an ihrer Kondition, sondern daran, dass sie erst kurz nach Mitternacht aus Hamburg zurückgekehrt war. Sie war so aufgewühlt gewesen, dass sie ausgesprochen unruhig geschlafen hatte.

Glücklicherweise stand das Wochenende zur Erholung vor der Tür, bevor sie die Detektei am Montag wieder öffnen würde.

Als sie den Hof des Wohnhauses in der Neue Mauerstraße erreichte, in dem sich auch ihr Büro befand, blieb sie stirnrunzelnd stehen.

Im Strandkorb saßen ihr väterlicher Freund Siegfried Graf zu Biebenau und ein ihr unbekannter Mann einträchtig beisammen und schienen sich prächtig zu unterhalten. Sie sprangen wie auf Kommando auf, als sie sich ihnen näherte.

Der Fremde eilte sofort auf Melanie zu. Er war circa einen Meter achtzig groß. Zu einer dunklen Stoffhose trug er ein graues Jackett ohne Krawatte, dazu schwarze Schnürschuhe. Die braunen, kurzgeschnittenen Haare ergänzten den Eindruck, dass es sich um einen Geschäftsmann handeln musste. Melanie schätzte ihn auf Mitte dreißig, demnach war er ungefähr so alt wie sie selbst. Ihn umgab die Dunstwolke eines herben Parfüms.

„Guten Morgen, Frau Gramberg, mein Name ist René Kupperau. Ich weiß inzwischen, dass Ihre Detektei heute noch geschlossen ist, aber Ihr Assistent meinte, ich dürfte ruhig auf Sie warten.“

Melanie sah den Freund verdutzt an. Assistent? Es gelang Siggi immer wieder, sie zu überraschen. Sie schaute auf die Uhr. 9:08. Was wollte er überhaupt um diese Uhrzeit hier?

„Guten Morgen, Mel“, begrüßte Siggi sie mit sonorer Stimme und einem unschuldigen Lächeln. Er fuhr sich durch den Vollbart, der perfekt zum kantigen Gesicht mit der breiten Nase und den wallenden, schlohweißen Haaren passte. Die große, kräftige Gestalt mit einem leichten Bauchansatz verlieh ihm eine natürliche Autorität. „Herrn Kupperaus Anliegen klingt sehr interessant.“

So, so. Der Herr Oberstaatsanwalt a. D. fand es interessant. Dann handelte es sich vermutlich um eine nicht alltägliche Straftat. In solchen Fällen war Siggi stets Feuer und Flamme.

„Okay.“ Sie wandte sich dem Besucher zu. „Kommen Sie bitte mit. Graf zu Biebenau wird Ihnen sehr gerne einen Kaffee kochen und Sie unterhalten, während ich kurz unter die Dusche springe. Bin in zehn Minuten bei Ihnen.“

Melanie schloss die Haustür sowie die im Erdgeschoss befindliche Detektei auf und ließ beide eintreten. Das weiß verputzte Doppelhaus stammte aus den 1950er-Jahren. In der ersten Etage der linken Haushälfte befand sich Melanies Wohnung, darüber der nicht ausgebaute Dachboden. Eine Holztreppe führte in die einzelnen Stockwerke, wobei die Stufen teilweise etwas ausgetreten waren. Auch das Eisengeländer hätte einen neuen Anstrich verdient.

In der rechten Haushälfte befand sich die Gastwirtschaft Zum Silbernen Bein.

Siggi strahlte und raunte ihr im Vorbeigehen zu: „Du wirst es nicht bereuen.“ Selbst die Aufforderung, Kaffee zuzubereiten, schien ihn nicht zu stören.

***

Nach einer Viertelstunde betrat Melanie die Detektei, deren Räume früher eine Wohnung gewesen waren. Schon am Eingang hörte sie das Lachen aus ihrem Büro. Die beiden schienen sich prima zu verstehen. Klangen beinahe wie Freunde. Sie wusste noch nicht, was sie von dem unerwarteten Auftrag halten sollte. Einerseits konnte sie ihn gut gebrauchen, andererseits hatte sie sich auf drei freie Tage gefreut. Sie holte eine Flasche Almdudler aus der Küche und öffnete sie.

Als sie den Arbeitsraum betrat, verstummte die Unterhaltung schlagartig. Die Männer saßen am schwarzen Besprechungstisch mit vier Holzstühlen, der dem Raum zusammen mit dem wuchtigen Schreibtisch ihres Großvaters etwas Nostalgisches verliehen hätte, wären da nicht die weißen Ikea-Regale gewesen.

Vor den beiden standen Kaffeetassen, Siggi hatte sogar Kekse gefunden. Hoffentlich waren sie noch genießbar, schoss es ihr durch den Kopf.

Kupperau sah sie erwartungsvoll an. „Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, dass Sie sich doch Zeit für mich nehmen. Bis Montag hätte ich es nicht ausgehalten. Ich bin am Ende.“

Melanie kippte erst einmal das Fenster, um die stickige Luft der vergangenen Tage hinauszulassen, und nahm einen Notizblock aus einer Schreibtischschublade.

Dann setzte sie sich an den Besprechungstisch und schenkte sich die Kräuterlimonade in das Glas ein. „Schießen Sie mal los.“

Der Gast schob einen Briefumschlag zu ihr hin. „Ich werde bedroht. Hier sind Briefe, die zunehmend aggressiver werden.“

Sie öffnete den Umschlag und legte die darin enthaltenen drei Seiten vor sich auf den Tisch.

Kupperau zeigte auf das linke Blatt. „Damit begann es vor rund sechs Monaten.“

Melanie las:

Sie nahm den daneben liegenden Brief.

Schließlich ergriff Melanie das dritte Schreiben.

Melanie sah den Besucher an. „Okay, um welches Bauvorhaben handelt es sich? Was ist die Villa Glücksmann?“

Kupperau wirkte ein wenig enttäuscht. „Haben Sie noch nie von dem seit Langem leerstehenden Villengrundstück in der Unteren Terrassenstraße gehört, das sich im Eigentum des Hochtaunuskreises befand? Ich habe das Anwesen gekauft und plane, dort eine Wohnanlage für mehrere Generationen zu errichten.“

Siggi schaltete sich ein. „Wenn ich mich recht erinnere, befinden sich da zwei Gebäude. Stehen die nicht unter Denkmalschutz? Was haben Sie damit vor?“

Der Besucher wandte sich ihm zu. „Das stimmt. Sie sind gut informiert. Woher kennen Sie das Grundstück so genau?“

Der Freund schien kurz zu überlegen und grinste breit. „Ich habe in dem einen Gebäude früher ab und zu übernachtet“, erklärte er leichthin.

Melanie traute ihren Ohren nicht. Was ritt Siggi denn jetzt?

Kupperau starrte ihn an. „Wie, Sie haben da übernachtet? Das ist doch ein seit Jahren leerstehendes und langsam verfallendes Gemäuer.“

Der Graf schaute ihn schelmisch an. „Ich habe nach meiner Zeit als Staatsanwalt fünfzehn Jahre auf der Straße gelebt. Die Villa ist vor allem im Winter ein beliebter Übernachtungsplatz für Obdachlose.“

Kupperau wirkte nun völlig verwirrt.

„Mein Assistent besitzt bisweilen einen bizarren Humor“, ergriff Melanie schnell das Wort und warf Siggi einen vernichtenden Blick zu. „Mich würde aber auch interessieren, was jemanden an Ihren Bauplänen stören könnte.“

Der Gast schien sich wieder gefangen zu haben. „Wenn ich das wüsste. Ich habe das Anwesen aufgrund seines Zustands günstig erworben und mich verpflichtet, die beiden Gebäude und das Pförtnerhäuschen originalgetreu zu restaurieren. Dafür bekam ich die Erlaubnis, ein weiteres Haus zu errichten, in dem drei Zweizimmerwohnungen geplant sind. Selbstredend wird dieses Gebäude dem Gesamtbild angepasst.“