»Technik können Sie von der Taktik nicht trennen« - Jens Wehner - E-Book

»Technik können Sie von der Taktik nicht trennen« E-Book

Jens Wehner

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Beschreibung

Die Jagdflieger der Wehrmacht waren die »Popstars« der nationalsozialistischen Propaganda. Doch was steckte hinter der glänzenden Fassade? Jens Wehner wirft – nüchtern und ausgewogen – ein neues Licht auf ihre militärische Funktion in der Luftkriegsführung. Seine Studie analysiert den militärischen Nutzen der Jagdflugzeugtypen von Messerschmitt und Focke-Wulf, ihre taktische Anwendung und Leitbilder. Vergleiche mit dem Entwicklungsstand der alliierten Kriegsgegner hinterfragen die Sinnhaftigkeit des Strebens nach technischer Überlegenheit. So entsteht das Bild einer Technik, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, einer fehlerhaften und statischen Doktrin, die für zahlreiche Rückschläge sorgte, und von individualistisch agierenden Piloten, die sich dem militärhierarchischen System entfremdeten.

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Über das Buch

Die Jagdflieger der Wehrmacht waren die »Popstars« der nationalsozialistischen Propaganda. Doch was steckte hinter der glänzenden Fassade? Jens Wehner wirft – nüchtern und ausgewogen – ein neues Licht auf ihre militärische Funktion in der Luftkriegsführung. Seine Studie analysiert den militärischen Nutzen der Jagdflugzeugtypen von Messerschmitt und Focke-Wulf, ihre taktische Anwendung und Leitbilder. Vergleiche mit dem Entwicklungsstand der alliierten Kriegsgegner hinterfragen die Sinnhaftigkeit des Strebens nach technischer Überlegenheit. So entsteht das Bild einer Technik, welche die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, einer fehlerhaften und statischen Doktrin, die für zahlreiche Rückschläge sorgte, und von individualistisch agierenden Piloten, die sich dem militärhierarchischen System entfremdeten.

Vita

Jens Wehner, Dr. phil., ist Wissenschaftlicher Oberrat am Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden.

Jens Wehner

»Technik können Sie von der Taktik nicht trennen«

Die Jagdflieger der Wehrmacht

Campus Verlag Frankfurt / New York

1.Einleitung

Seit ihrem ersten Einsatz vor über 100 Jahren haben Jagdflugzeuge eine hohe militärische Relevanz. Im Kampf um die Luftherrschaft waren sie stets die wichtigste Waffengattung, deren zentrale Aufgabe im Luftkampf bestand. Ohne den Einsatz von Jagdflugzeugen musste der Luftraum den Jagdflugzeugen des Gegners überlassen werden. Der Besitz der Luftherrschaft ermöglichte intensive Bombardements feindlicher Truppen, Städte oder Infrastruktur, die oft kriegsentscheidende Dimensionen annahmen. In den Kriegen des 20. Jahrhunderts zeigte sich diese große Bedeutung der Jagdflieger immer wieder.

Das Jagdflugzeug war eine Entwicklung des Ersten Weltkriegs. Dem Franzosen Roland Garros war es gelungen, eine Morane-Saulnier N für den Luftkampf mit einem Maschinengewehr zu bewaffnen. Im Frühjahr 1915 schoss er damit einige deutsche Flugzeuge ab. Noch im gleichen Jahr entstanden in den großen kriegführenden Nationen weitere Jägertypen, darunter der deutsche Fokker-Eindecker.1 Bis Kriegsende fertigten allein die Fabriken im Deutschen Kaiserreich rund 13.500 Jagdflugzeuge, mit denen etwa 40 Prozent der fliegenden Truppe ausgerüstet wurden.2 Der Einsatz von Jagdfliegern war auch im Zweiten Weltkrieg entscheidend, denn sie waren »das Hauptmittel zur Erringung der Luftüberlegenheit und der Luftherrschaft«.3 Ohne Jagdflugzeuge war an den Einsatz anderer Kriegsflugzeuge nicht zu denken. Für die »Bomberwaffe war es unerlässlich, die Bedingungen für die Luftherrschaft zu schaffen, ohne die sie ihre Operationen angesichts sonst steigender Verluste unmöglich hätte fortsetzen können«.4 Aus diesem Grund produzierten alle Großmächte die Jagdflugzeuge am zahlreichsten. Den 295.000 Jagdflugzeugen aus den fünf Kriegsparteien USA, Großbritannien, Deutsches Reich, Sowjetunion und Japan standen nur rund 177.000 Bomber gegenüber.5 Die Jagdflieger bewältigten auch den größten Teil der Luftkriegshandlungen. In Großbritannien entfielen rund 44 Prozent aller Kampfeinsätze auf Jagdflieger der Luftverteidigung und nur 23 Prozent auf die Bomberverbände.6 Ähnlich war dieses Verhältnis in den amerikanischen Luftstreitkräften. Von den 1,7 Millionen Kampfeinsätzen der United States Army Air Force (USAAF) über Europa entfielen 53 Prozent auf die Jagdflieger.7 Die sowjetischen Fliegerkräfte starteten mehr als 35 Prozent ihrer Einsätze zum Kampf um die Luftherrschaft.8 Erst die Erringung der Luftüberlegenheit ermöglichte es den Schlacht- und Bomberfliegerkräften, den angreifenden Panzer- und Infanterieverbänden den Weg zu bahnen.9 Für das Deutsche Reich liegen keine vergleichbaren Angaben vor, allerdings nahm die Bedeutung der Jagdflieger in der deutschen Luftwaffe im Verlauf des Kriegs stetig zu. Anfang Januar 1942 stellten die Jagdflieger 34 Prozent der einsatzbereiten deutschen Kriegsflugzeuge, während es Anfang Januar 1945 immerhin 48 Prozent waren.10 Die Luftwaffe unterschied ihre Jagdflieger in die drei Unterkategorien Jagdflieger, Zerstörer und Nachtjäger. In diesem engeren Sinne definierte die Luftwaffe in der Regel die Jagdflieger als Piloten einmotoriger Jagdflugzeuge für den Luftkampf am Tag. Dagegen sollten Zerstörer- und Nachtjagdpiloten in zweimotorigen Jagdflugzeugen kämpfen. Zusammen stellten sie die größte Pilotengruppe mit allein 14.575 (39 %) von 37.786 bis Mitte 1944 ausgebildeten Piloten. Zum Vergleich: Für die berühmt-berüchtigte »Blitzkrieg-Wunderwaffe«11 Junkers Ju 87 Stuka (Sturzkampfflugzeug) wurden dagegen nur 977 (3 %) Piloten ausgebildet.12 Im letzten Kriegsjahr 1944/45 wurden die Jagdflieger in steigendem Maße ausgebildet, worunter die Qualität der Ausbildung litt. Dadurch stiegen die Verluste enorm an. Aufgrund von Dokumentenverlusten lässt sich nur schätzen, dass bis zum Kriegsende 8.500 Tagjäger und 2.800 Piloten zweimotoriger Jagdflugzeuge getötet wurden.13 Die materiellen Verluste waren ebenfalls beträchtlich. Im gesamten Krieg verlor die Luftwaffe rund 52.000 Jagdflugzeuge und rund 31.000 bombentragende Flugzeuge aller Art.14

Für die Entwicklung und Fertigung der vielen Jagdflugzeuge musste ein erheblicher Aufwand betrieben werden. Im Vergleich zum V-2-Raketenprogramm des Deutschen Reiches, das laut Michael Neufeld zwei Milliarden Reichsmark kostete,15 war die Jagdflugzeugbeschaffung wesentlich teurer. Bei einem gerundeten Stückpreis von 100.000 Reichsmark pro Flugzeug16 fielen bei rund 30.000 gefertigten Bayerische Flugzeugwerke Bf 109 und 20.000 Focke-Wulf Fw 190 rund fünf Milliarden Reichsmark allein als direkte Beschaffungskosten an. Damit waren diese beiden Jagdflugzeugtypen mehr als doppelt so teuer wie das V-2 (Vergeltungswaffe 2)-Programm.17 Zugleich sind die beiden Flugzeugtypen die meistgebauten der deutschen Luftfahrtgeschichte. Das deutsche Jagdflugzeug Bf 109 war das »Kernprodukt der deutschen Rüstung«.18

Die hohe militärische Relevanz sowie der große ökonomische Fußabdruck korrelieren zudem mit der kulturellen Bedeutung der Jagdflieger. In der Propaganda nahmen die Jagdpiloten eine herausgehobene Stellung ein und fungierten als eine Art Vorläufer heutiger Pop- und Rockstars.19 Das war kein ausschließliches Phänomen des Zweiten Weltkriegs.20 Bereits im Ersten Weltkrieg gehörten Jagdflieger wie der »Rote Baron« Manfred von Richthofen und Max Immelmann zu den bekanntesten Kriegsteilnehmern. Im Kanon der Rezeptionsgeschichte der Wehrmacht stehen Jagdflieger bis heute an vorderster Stelle.21

Doch obwohl Jagdflieger herausgehobene Bedeutung im militärischen, ökonomischen und kulturellen Sinne aufweisen, gibt es über ihren militärischen Einsatz oder ihre Technik keine dezidierte Forschung. Daraus ergibt sich die Frage, wie eine Erforschung der beiden meistgebauten Flugzeuge der deutschen Geschichte Bf 109 und Fw 190 angelegt sein könnte. Dazu ist es hilfreich, zunächst Fragen zu stellen, die grob den Forschungsinteressen der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft entsprechen, wie etwa: Mit welchen Taktiken kamen sie zur Anwendung, und welche Wirkung erzielten sie? Welche dahinterstehenden Leitbilder und Diskurse lassen sich feststellen, und welche Rolle spielte dabei die Technik? Welches Denken und Handeln sollten und mussten die Piloten anwenden, um im militärischen Sinne erfolgreich zu sein? Diese Fragen umreißen grob den Forschungsgegenstand und das Forschungsinteresse. Es soll eine Militärgeschichte der Jagdflieger und ihrer Flugzeuge in der Wehrmacht erarbeitet und geschrieben werden, die eine wissenschaftliche Einordnung und Bewertung ermöglicht.

Ein zeitgenössischer Ausspruch des höchstrangigen Technikverantwortlichen der Luftwaffe, Generalfeldmarschall Erhard Milch, legt nahe, dass zwischen dem Einsatz von Technik und Taktik eine enge Beziehung bestanden haben muss: »Die Technik können Sie von der Taktik nicht trennen. Es gibt bei der Luftwaffe keine Taktik, sondern nur Technik. Wie man die Technik anwendet, das ist die Taktik.«22

Es empfiehlt sich daher, den Forschungsgegenstand in einer Weise anzulegen, die es ermöglicht, Technik und Taktik gemeinsam zu denken und zu behandeln. Bevor der Gegenstand dieser Untersuchung jedoch präziser umrissen wird, ist eine ausführliche Betrachtung der bisherigen Forschung und ihrer Methoden notwendig, weil der Forschungsgegenstand gleichzeitig die zwei historischen Subdisziplinen Militär- und Technikgeschichte berührt. Die Verknüpfung von Militär- und Technikgeschichte wird dabei als komplexes Unterfangen angesehen, bei dem eine ausführliche Diskussion der Forschung hilft, Komplexität zu reduzieren, um den Forschungsgegenstand stringenter und präziser fassen zu können. Anschließend wird die Quellenlage erörtert. Aus dem Forschungsstand und der Quellenlage soll eine Untersuchungsmethode mit anwendbaren Begriffsdefinitionen erarbeitet werden. Das ermöglicht die anschließende Präzisierung der aufgeworfenen Fragen, anhand derer die Untersuchung aufgebaut wird.

1.1Forschungsstand

Der Forschungsstand wird in einem zweigeteilten Abriss beschrieben. Dies ist aus mehreren Gründen notwendig. Da es noch keine dezidierte Studie zur Technik und Taktik der Jagdflieger gibt, berühren einige Studien das Thema lediglich punktuell und unter anderen Fragestellungen. Neben dem allgemeinen Trend zur Kulturgeschichte in den Geschichtswissenschaften haben beide Subdisziplinen Technik- und Militärgeschichte spezifische Zugänge, die möglichst ergiebig genutzt werden sollen, wofür eine ausführlichere Diskussion der vorhandenen Methoden notwendig ist.

1.1.1Der Forschungsstand zu deutschen Jagdfliegern im Zweiten Weltkrieg

Zu den Heldenkonstruktionen der Flieger existiert seit den 1990er Jahren eine breite kulturhistorische23 Literatur für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.24 Die Jagdflieger boten in beiden Weltkriegen ein beliebtes Motiv für die Propaganda. Im nationalsozialistischen Film waren sie von der Aura des Ungestümen, Selbständigen, Technikbeherrschenden und Jugendlichen umgeben, mit der sie als ideales Abziehbild der Propaganda dienten. Die Zahlen abgeschossener Flugzeuge wurden auf diese Weise zu »Hitlisten« der Piloten umgedeutet.25 Im Kalten Krieg setzte sich die Vorbildfunktion der Jagdflieger fort, wie besonders die erfolgreiche Biographie Erich Hartmanns zeigt. Den deutschen Jagdflieger mit der höchsten Abschusszahl des Zweiten Weltkriegs romantisierten seine amerikanischen Biographen zum »Blonden Ritter«, indem sie ihn aus dem Vernichtungskrieg der Wehrmacht dekontextualisierten. Ihre zahlreichen Anknüpfungen an die verbalen Formen der nationalsozialistischen Ideologie26 trugen die Feindbildkonstruktionen der Nationalsozialisten gegen die Sowjetunion weiter.27 Derartige Propagandaformen stammten im Grunde aus dem Ersten Weltkrieg, in dem Jagdflieger erstmals zu »Stars des Krieges« stilisiert wurden.28 Die Propaganda verschaffte den Piloten den Status von Helden und Stars, mitsamt allen dazugehörigen Allüren und Privilegien.29

Eine dezidiert kulturhistorische Perspektive auf Jagdflieger bietet die Monographie von Stefanie Schüler-Springorum aus dem Jahr 2010 über die deutsche Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939.30 In der Studie werden »möglichst viele Facetten«31 der Geschichtsforschung wie Militärgeschichte, Alltagsgeschichte, Bild- und Mediengeschichte, Geschlechtergeschichte und weitere erkundet.32 Ein Verdienst der Arbeit von Schüler-Springorum ist ihre konkrete Thematisierung spezifischer Aspekte der Jagdflieger-Geschichte. Die vergleichsweise hohen Abschussmeldungen der deutschen Jagdflieger im Spanischen Bürgerkrieg erklärt sie mit deren Rücksichtslosigkeit, Ehrgeiz, technischer Überlegenheit und einem besonderen Zählsystem. Jagdpiloten beider Seiten hätten nach hohen Abschusszahlen gestrebt, da sie Prestige versprachen.33 Sie stellt ein Primat der Technik fest. Zunächst hätten die deutschen Jagdflieger mit dem Typ Heinkel He 51 die spanischen Jagdflieger mit älteren Flugzeugtypen dominiert. Als moderne sowjetische I (Istrebitjel)-16-Jagdflugzeuge eintrafen, habe die Überlegenheit wieder auf spanischer Seite gelegen. Die Oberhand im Luftkampf hätten die deutschen Flieger erst durch den Einsatz der neuen Bf 109 wiedererrungen.34 Die Zeit der duellhaften Kurvenkämpfe des Ersten Weltkriegs, in denen sich die Flugzeuge umeinanderdrehten, seien vorbei gewesen. Stattdessen sei es zu Massenluftkämpfen gekommen, die meist in einem »Glücksspielschiessen« geendet hätten. Der Luftkampf hätte im Grunde nur noch aus »einem einzigen Zusammenstoß« bestanden. Diese Darstellung des Luftkampfgeschehens weist zum Teil inkonsistente Züge auf, denn widersprüchlicher Weise werden die Luftkämpfe noch auf der gleichen Seite als ein »heillose[r] Wirbel« charakterisiert,35 was jedoch mehr den Kurvenkämpfen des Ersten Weltkriegs entspricht. Der behauptete Masseneinsatz scheint in Spanien zudem keine größere Bedeutung besessen zu haben. Jedenfalls kommt der Luftkriegshistoriker James Corum zum gegenteiligen Befund: Denn obwohl die Luftwaffendoktrin den Masseneinsatz vorgesehen hätte, sei dies gerade in Spanien immer weniger vorgekommen.36 Die Darstellung der technisch-taktischen Geschehnisse im Spanischen Bürgerkrieg weist somit erhebliche Widersprüchlichkeiten auf. Überzeugend ist das Fazit Schüler-Springorums, denn es erfasst die Denkmuster der Angehörigen der Legion Condor tiefgründig; zudem erfährt der Leser etwas über die Rezeptionsgeschichte der Legion Condor sowie die dazugehörigen geschichtspolitischen Debatten in der Bundesrepublik.37 Besonders innovativ ist dabei der Ansatz, das Jagdfliegen als Individualisierungstendenz zu kennzeichnen.38 Stefanie Schüler-Springorum betont diese Unterschiede »deutlich«,39 während der Technikhistoriker Christian Kehrt im Habitus von Jagd- und Bomberpiloten nur »feine Unterschiede« erkennt.40 Stefanie Schüler-Springorums Studie ist das Standardwerk zur Geschichte der Legion Condor und damit zugleich ein zentraler Baustein der deutschen Luftkriegsgeschichtsschreibung. Neben den sehr innovativen Befunden weist die Untersuchung bei der Analyse41 von Taktik und Technik aber auch Schwächen auf.

Neben der klassischen Kulturgeschichte rückte die Technikgeschichte die (Flug-)Technik des Nationalsozialismus in den Fokus. Die Frage von Moral und Technik im Nationalsozialismus ist auf diesem historischen Gebiet zentral.42 Zu den Jagdfliegern zeigte die ältere technikhistorische Studie von Karl-Heinz Ludwig die Friktionen bei der Entwicklung neuer Jagdflugzeuge auf.43 Grundlegende Arbeiten zur deutschen Luftfahrtforschung wurden von Helmuth Trischler,44 Lutz Budraß45 und Helmut Maier46 vorgelegt. Trotz ihrer zahlreichen technischen Fortschritte bei Düsenjägern und anderen Flugkörpern litt gerade die deutsche Luftrüstung unter Schwierigkeiten und profitierte daher nur marginal von den technologischen Möglichkeiten.47

In der Technikgeschichte kann Christian Kehrts Studie zum Habitus deutscher Militärpiloten als das Standardwerk zur Luftkriegstechnik angesehen werden. Aufgrund des breiten Ansatzes, der alle deutschen Militärpiloten im Zeitalter der Weltkriege als Forschungskohorte einbezog, bilden die Jagdflieger lediglich einen Teilaspekt in dieser Untersuchung. Die zentralen Befunde lauten: die erhebliche Bedeutung der Schlüsselerfahrungen des Ersten Weltkriegs, die Flugbegeisterung als Leitmotiv, das Primat des Kampfes für die Technikaneignung, Technikerfahrung als be- und entgrenzendes Moment, der Einfluss der Piloten auf die Technikgestaltung und die Technisierung als Habitualisierung.48 Einige Teile der Studie beschäftigten sich explizit mit den Jagdfliegern der Wehrmacht. Während der Jagdflieger Werner Mölders als Beispiel der Propaganda für den nationalsozialistischen Kriegertypus gilt,49 ist Hannes Trautloft als »moderner Krieger« und Vertreter des reaktionären Modernismus einzuschätzen. Der reaktionäre Modernismus nach der Definition des Historikers Jeffrey Herf verbindet archaisch-reaktionäre Denkweisen mit fortschrittlichen Technikvorstellungen.50 Wie Schüler-Springorum betont auch Kehrt die Erneuerung der Luftkampftaktik im Spanischen Bürgerkrieg. Neben den formalen Neuerungen verweist er auf die Forderung des Jagdfliegeroffiziers Günther Lützow, die jungen Jagdflieger zum »selbständigen, sinngemäßen Handeln« zu erziehen.51 Die Jagdpiloten orientierten sich am Leistungsbegriff, wobei sich Erfolg in Abschusszahlen ausdrückte. Als Kriegshelden waren sie »meist komfortabel untergebracht und pflegten einen eher luxuriösen Lebensstil«.52 Letzterem widersprechen allerdings zahlreiche Berichte von Jagdfliegern. An der deutsch-sowjetischen Front beklagten sie oft die einfache Unterkunft im Zelt in kargen Steppenlandschaften.53 Kehrts Konzept der Technikaneignung über den Offiziershabitus ist ebenfalls problematisch, denn viele Jagdpiloten waren keine Offiziere. Eine Jagdstaffel hatte in den 1930er Jahren sieben Offiziere bei zwölf eingeplanten Piloten.54 Im Krieg waren in einem Jagdgeschwader von 140 Flugzeugführern nur 47 zugleich Offiziere.55 Die Frage nach der habituellen Technikaneignung der 93 Piloten ohne Offiziersrang muss daher im Raum stehen bleiben. Zudem erscheint der jeweilige Status Offizier, Pilot und Soldat als nicht hinreichend exakt definiert.56 Kehrts These widerspricht in diesem Punkt auch den Forschungsergebnissen der jüngeren Militärgeschichtsschreibung.57 Seine Forschungsarbeit ermittelte die große Bedeutung der Technik für die Motivation der Jagdflieger, wobei das »Primat der Geschwindigkeit« galt, woraus sich die Bedeutung des technisch überlegenen Waffensystems ergab. Wie später Stefanie Schüler-Springorum rückte auch Kehrt die Jagdflugzeugtechnik des Spanischen Bürgerkriegs in seinen Betrachtungsfokus. Anhand der Quellen charakterisiert er die Bf 109 als überlegen und die zuvor eingesetzte ältere He 51 als unterlegen. Diese Technikunterschiede seien von großer Bedeutung für die Motivation der Piloten gewesen.58 Demnach suchten die Piloten ständig nach dem überlegenen Waffensystem, wobei Panzerung und Bewaffnung am wichtigsten waren. Das zeigte sich angesichts der technischen Überlegenheit alliierter Bombenflugzeuge, zu deren Bekämpfung die deutschen Jagdpiloten sowohl mehr als auch stärkere Waffen verlangten.59 Die Technikaneignung des Schießens erfolgte mit Lehrunterlagen und technischen Hilfsmitteln in habitueller Weise. Aber letztlich war die entscheidende Hürde für den Erfolg die Umsetzung der Theorie in die Praxis. Piloten, die die neuesten Techniken besser als andere beherrschten, galten als Genies oder Experten.60 Bei allen Jagdpiloten geschah die Technikaneignung auch in impliziter Weise. In ihrer Ausbildung versuchte man zudem das Verständnis für die Wechselwirkung von Technik und Taktik zu wecken und zu schärfen.61 Aufgrund des umfangreichen Ansatzes von Kehrts Arbeit bleiben wichtige Zusammenhänge wie die Luftoperationen oder die Ideengeschichte des Luftkriegs ausgespart.62 Dennoch ist Kehrts Studie zweifellos das Standardwerk zur Mensch-Maschine-Schnittstelle der deutschen Luftstreitkräfte im Zeitalter der Weltkriege. Allerdings bleiben im militärhistorischen Bereich der Jagdflieger etliche Ungenauigkeiten übrig, die Platz für weitere Forschung und neue Fragestellungen lassen.

Weitere technikgeschichtliche Studien zur Militärfliegerei des Zweiten Weltkriegs gibt es nicht. In einem Überblickswerk zur Kulturgeschichte der Technik findet sie beispielsweise keine Beachtung.63 Allerdings existieren ältere technikgeschichtliche Aufsätze zu einzelnen Aspekten der Luftkriegstechnik, in denen die Jagdflugzeugtechnik behandelt wird.64

In der Wirtschaftsgeschichte sind einige Studien zur Luftrüstung erarbeitet worden. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die Untersuchung von Lutz Budraß für die Zeit von 1919 bis 1945.65 Weitere Studien behandeln einzelne Luftrüstungsunternehmen wie Daimler-Benz oder BMW (Bayerische Motorenwerke).66 Die militärische Verwendung sowie die technische Bedeutung der Produkte dieser Unternehmen werden in all diesen Studien jedoch bestenfalls gestreift. Beispielhaft dafür ist Budraß´ Standardwerk, in dem die beiden Standardjäger der Luftwaffe, die Bf 109 und Fw 190, an Dutzenden Stellen erwähnt werden.67 Dennoch gewährte die Studie aufgrund ihrer wirtschaftshistorischen Ausrichtung nur vereinzelte Einblicke in die Geschichte der Jagdflugzeugtypen. Der deutsche Standardjäger Fw 190 wird beispielsweise – und in marketing-haftem Duktus – als »schnellster Jäger der Welt« gekennzeichnet.68 Derartige Bewertungen sind naturgemäß unzureichend. Eine weitere Studie mit einem wirtschaftshistorischen Schwerpunkt ist von Daniel Uziel vorgelegt worden. Sie ist der Geschichte der deutschen Luftrüstung im Zweiten Weltkrieg gewidmet und gewährt tiefe Einblicke in deren KZ- und Zwangsarbeitersystem.69 Dabei bietet Uziel partiell interessante Einblicke in die Technikgestaltung der deutschen Jagdflugzeuge, etwa wenn er die überbordende Variationsvielfalt der Fw 190 aufzeigt.70 Das gestattet jedoch aufgrund des von ihm gewählten Ansatzes keine zusammenfassende Bewertung zur Technik oder Taktik. Er stellt allerdings einen »loss of touch with reality« bei den deutschen Planern gegen Kriegsende fest.71

Umfangreich ist die ältere Militärgeschichtsschreibung zum Luftkrieg. Der Luft- wie der Bombenkrieg waren bis 1990 ein Streitgegenstand des Kalten Kriegs. In Deutschland zog die Konkurrenz zwischen der Militärgeschichtsschreibung der DDR und der Bundesrepublik tiefe Gräben, führte aber im Bereich des Luft- und Bombenkriegs zu einigen fruchtbaren wissenschaftlichen Diskussionen.72 Ein zentraler Streitpunkt zwischen den beiden Historiographien war die Frage, an welcher Front die deutsche Luftwaffe ihre entscheidende Niederlage erlitten habe. Historiker wie Williamson Murray73 und Horst Boog74 meinten, die Westalliierten hätten die Luftwaffe zerschlagen. Der ostdeutsche Luftkriegshistoriker Olaf Groehler markierte dagegen die deutsch-sowjetische Front als entscheidend für die Niederlage der Luftwaffe.75 Allerdings sprechen viele Indikatoren wie etwa die Verlustzahlen gegen Groehlers These und verweisen eher auf die große Bedeutung der westalliierten Luftkriegsführung.76 Eine weitere Ost-West-Debatte, die allerdings den Kalten Krieg überdauerte, drehte sich um die Bewertung des westalliierten Bombenkriegs.77 Das erste Standardwerk zum europäischen Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg verfasste der englische Militär- und Zeithistoriker Richard Overy verfasst.78 Die Bedeutung des Bombenkriegs im historischen Diskurs hat die Erforschung seiner Ideengeschichte befördert.79 Diese jüngeren Arbeiten betonen die ideengeschichtlichen Hintergründe der Luftkriegstheorien der Zwischenkriegszeit. Thomas Hippler sieht die deutsche Luftwaffendoktrin in ihrer Forderung nach Draufgängertum und Selbsterziehung in den Spuren des Luftkriegstheoretikers Amadeo Mecozzis,80 räumt aber ein, dass sie dennoch ein »disputed field of study« bleibt.81 Gegenüber dem anderen großen Luftkriegstheoretiker Giulio Douhet favorisierte Mecozzi den Einsatz von Jagdfliegern.82 Die Verquickung von Faschismus und Luftkriegsdenken mit dem Wunsch nach Ordnung in einer vermeintlich ungeordneten Gegenwart hat jüngst Fernando Esposito herausgearbeitet.83 Eine erhebliche Fehlstelle in Espositos Untersuchung bleibt die mangelnde Einbindung von Douhets Luftkriegstheorie in seine Thesenbildung,84 da diese Theorie als wichtige geistige Voraussetzung für den Luftkrieg gilt.85 Die Jagdflugzeuge betrachteten die Luftmilitärs vieler Großmächte als Element der Luftverteidigung. Dabei gibt es einen Disput zwischen der englischsprachigen und deutschen Forschung zur Interpretation der deutschen Luftwaffendoktrin. Laut Richard Overy stützte sich die Luftverteidigung der Luftwaffe auf ein starkes System mit Flakgeschützen, Scheinwerfern und Jagdflugzeugen.86 James Corum meint, dass die Luftwaffe die ausgewogenste Luftkriegsdoktrin jener Zeit besessen habe, da sie sowohl die strategische Bombenkriegsführung als auch die taktische Luftkriegsführung einschloss. Im Gegensatz dazu hätten die Luftstreitkräfte der USA und Großbritanniens einseitig auf strategische Bomber gesetzt.87 Ähnlich wird die Konzeption der Luftwaffe von Murray und Schabel als Mittelweg zwischen dem Douhetismus und den Erfordernissen des taktischen Luftkriegs eingeschätzt.88 Dem entgegen stehen die Interpretationen deutscher Historiker. Olaf Groehler meinte, dass die deutsche Luftwaffenführung die Möglichkeiten der Luftverteidigung unterschätzt habe,89 während Horst Boog sich komplementär dazu auf den »pervertierten Angriffsgedanken« der deutschen Luftkriegsdoktrin konzentrierte, in der das zentrale Waffensystem der Bomber war.90 Eine erfolgversprechende Luftverteidigung galt dagegen als Zeichen der Schwäche und als kaum möglich.91 Hinter solchen Interpretationsunterschieden verbirgt sich ein beträchtliches Forschungsdesiderat, denn der Zusammenhang von Doktrin, Technik und operativem Handeln der Luftwaffe gilt immer noch als weitgehend unerforscht.92 Für tiefe Einblicke in das Funktionieren der Luftwaffe und deren Führung sind die Arbeiten von Boog93 und Völker94 bis heute zentral. Im Gesamtkontext des Zweiten Weltkriegs sind Jagdflieger im amtlichen Reihenwerk Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg eher beschrieben als analysiert worden.95 Im Reihenwerk findet sich zudem eine Einschätzung zum Verhältnis von Wehrmacht und Technik, die Boogs Forschungsergebnisse aufgreift.96 Der deutsche Flugmotorenbau gilt darin als Beispiel für die Rückständigkeit der deutschen Technik.97 Bedeutsam ist in diesem Kontext Ralf Schabels Studie zu den »Wunderwaffen«, in denen die Technik der Jagdflugzeuge einen größeren Raum einnimmt.98 Eine stärkere Beachtung finden die Jagdflieger ebenso in der Studie Ernst Stillas zum Kampf der Luftwaffe um die Luftherrschaft.99 Er hebt die Vernachlässigung des Faktors Mensch als entscheidend für den Ausgang des Luftkriegs hervor.100 Dieser Befund reiht sich in die Ergebnisse vieler Arbeiten ein, in denen die Historiker vergleichsweise große Defizite und Fehler beim Aufbau und Agieren der Luftwaffe erblicken.101 In der Luftwaffe herrschte ein mangelndes Technikverständnis, weil der taktisch-militärische Bereich überrepräsentiert war und die Technik unterschätzt wurde.102 Dem widerspricht Christian Kehrt in Teilen, denn zumindest die Piloten hätten stets moderne Technik gefordert und begrüßt.103 Diese gegensätzliche Einschätzung des Verhältnisses der Luftwaffe zur Technik ist auch bei Schabel vorhanden. Polykratische Strukturen sowie die ungenügende Koordination zwischen dem Generalstab und dem Generalluftzeugmeisterbereich hätten technische Innovationen behindert. Widersprüchlich dazu ist seine Einschätzung, dass »sich die Lenkungsorgane des RLM [Reichsluftfahrtministerium] bei der Verfolgung neuer Projekte und der Förderung der Forschung durchaus bewährten«.104 Hier hat Christian Kehrt einen Widerspruch angemeldet. Er sieht die sogenannte »Wunderwaffen«-Entwicklung als Ausfluss technischer Hybris, ohne dass die Luftwaffe über eine entsprechende technische Grundlage verfügt hätte. Die in der Forschung verbreitete These, die Luftwaffe hätte etwa ab 1942 auf Qualitätsrüstung gesetzt, lehnt Kehrt ab, weil dies immer für alle Streitkräfte zuträfe.105 Gerade das letzte Argument von Kehrt zeigt, dass für eine Analyse der Spezifika ein Vergleich mit den Luftstreitkräften anderer Nationen notwendig ist. James Corum schätzt die Taktik106 und Technik der Luftwaffe in den 1930er Jahren als insgesamt erfolgreich ein, obwohl Fehlleistungen wichtiger Personen wie Hermann Göring und Ernst Udet diese beeinträchtigten.107

Zur historischen Erforschung der deutschen Luftstreitkräfte hat in den letzten Jahren die Reihe »Schriften zur Geschichte der Deutschen Luftwaffe« beigetragen, die allerdings keine Studie zu den deutschen Jagdfliegern umfasst.108 Aus der Geschichtswissenschaft ertönten vereinzelte Forderungen nach solchen Spezialstudien.109 Der Technikhistoriker Hans-Joachim Braun sieht zwar die technische Entwicklung als nicht entscheidend für die Luftkriegsführung an,110 stellt aber dennoch die Frage nach dem Zusammenhang von Strategie und Technik.111 Das Scheitern neuer Techniken – Braun macht dies am Beispiel der Flugmotoren Daimler-Benz DB 606, Junkers Motorenbau Jumo 222 und BMW 801 fest – erscheint ebenfalls erklärungsbedürftig.112 Aus diesem Grund sind wissenschaftliche Tiefenbohrungen zu den verschiedenen technischen Ansätzen notwendig, da sie bei hoher Komplexität neue Ergebnisse versprechen.113 Der Militärhistoriker Sönke Neitzel fragte ebenfalls nach der Technik der Luftwaffe. Das Zurückfallen der deutschen Luftrüstung in der Entwicklung von 2.000 PS-Motoren und weiterer fortschrittlicher Techniken ist bis heute nicht erklärlich.114 Das vergleichsweise späte Erscheinen der modernen Jagdflugzeugvarianten Bf 109K und die Fw 190D ist ebenfalls nicht nachvollziehbar. Die allgemeinere Frage nach der Bedeutung der Technik für die Luftkriegsführung ist bei Neitzel offener formuliert, weil die generelle Bedeutung von Technik, Quantitäten und Organisation bei der Abwehr der alliierten Bomberoffensive bisher nicht untersucht sind.115

In der Geschichtswissenschaft wird allgemein vom Konzept der technischen Überlegenheit ausgegangen. Das wird am Beispiel der amerikanischen P (Pursuit airplane)-51 Mustang deutlich, die in der Nachkriegsrezeption eines der herausragendsten alliierten Waffensysteme des Zweiten Weltkriegs ist. »Doch die herausragendsten Leistungen wies die neue P-51 Mustang auf. Sie war allen überlegen«,116 so der britische Historiker Alfred Price. Die deutsche Bf 109 sei gegenüber der P-51 ein »hoffnungsloser Verhau aus Ecken und Kanten«, der im Manöverluftkampf unterlegen war, wie Adam Tooze einen amerikanischen Piloten zitiert.117 Diese Bewertung hat auch in der deutschen Geschichtsschreibung Einfluss erlangt:118 Sie sei der »Schrecken der deutschen Me 109 und Focke-Wulf 190, den veralteten Standardjägern« der Luftwaffe, gewesen.119 In einem anderen Fall wird von der technischen Überlegenheit amerikanischer Bomber ausgegangen.120 Gegenüber den Erfolgsgeschichten wie der P-51 wirkt die militärhistorische Einschätzung der Luftwaffengeschichte im Zweiten Weltkrieg wie eine einzige Geschichte von Fehlschlägen und Problemen.121 Eine »bedrückende Realitätsferne« attestierte Sönke Neitzel der Luftwaffenführung in einem Aufsatz aus dem Jahre 2002.122 Die Technikentwicklung der Luftwaffe sei ein besonderer Fehlschlag gewesen.123

Hier stellt sich die Frage nach den Gründen des Scheiterns. Die Antworten der Forschung sind disparat ausgefallen. In der dezidiert militärhistorischen Forschung gilt die zu starke Betonung der militärischen Gesichtspunkte gegenüber sachlichen Zwängen von Technik und Wirtschaft als ein wesentlicher Grund.124 Horst Boog sieht zudem eine Lücke in der Koordinierung zwischen den militärischen Forderungen und der technischen Rüstung.125 Dagegen sieht die Perspektive der Wirtschaftsgeschichte zumindest teilweise eine »Hintansetzung militärischer Bedürfnisse« als Ursache für Fehlschläge.126 Ähnlich argumentiert die Technikgeschichte, die eine Technikabwertung durch deutsche Luftmilitärs nicht erkennen konnte.127

Mit der deutschen Luftkriegsgeschichte hat sich auch die britische Forschung beschäftigt, die dabei reichhaltige Ergebnisse produziert hat. Allein zur Luftschlacht um England 1940, in der deutsche Jagdflieger eine große Rolle spielten, gibt es zahlreiche Monographien.128 Für die Kontextualisierung der Technikgeschichte der Jagdflieger liefert der Essay von David Edgerton punktuell Erkenntnisse.129 Mit dem Denken der britischen Luftgeneralität beschäftigte sich die Studie von Martin Böhm. Ein enger Zirkel karriereorientierter Offiziere versuchte das Leitbild der großen Bomberoffensive über Jahrzehnte hinweg umzusetzen, weshalb es im Zweiten Weltkrieg breit angewendet wurde.130

Sehr umfangreich ist die populäre Literatur zur militärischen Luftfahrt in Großbritannien131 und in Deutschland.132 Die Qualität dieser Literatur variiert erheblich. Manche Werke sind eine solide recherchierte Datenfundgrube, die unmöglich von einem einzigen Historiker bewältigt werden könnte.133 Andere sind dagegen reißerisch und apologetisch verfasst. Ihr Inhalt ist aufgrund mangelnder Validität kaum verwendbar.134 Viele Informationen enthalten auch die (Auto-)Biographien von Jagdfliegern.135

Die umfangreiche Literatur verweist auf die große Popularität, die das Themenfeld »Jagdflieger im Zweiten Weltkrieg« bis heute genießt. Dagegen hat die Forschung das Thema bis jetzt nur punktuell in breit angelegten kultur- oder technikgeschichtlichen Studien aufgegriffen, während eine dezidiert militärhistorische Studie zu den deutschen Jagdfliegern des Zweiten Weltkriegs fehlt. An den Widersprüchen und Kontaktzonen zwischen Militär-, Wirtschafts- und Technikgeschichte kann eine Untersuchung ansetzen, die militärisches Denken und Handeln im Verbund mit der Technik in den Fokus rückt, um die tieferen Strukturen der Ereignisse freizulegen.

1.1.2Der Forschungsstand der Kultur-, Technik- und Militärgeschichte

Aus dem Forschungsdesiderat einer Militärgeschichte der Jagdflieger ergibt sich die Frage, wie die Methoden von drei Teildisziplinen der Geschichtsforschung – Kulturgeschichte, Technikgeschichte und Militärgeschichte – verbunden werden können.

Eine deskriptive Geschichte der Artefakte, wie sie etwa in der Populärgeschichte üblich ist, wäre kaum erkenntnisfördernd. Allerdings haben die bisweilen simpel anmutenden chronologisch strukturierten Objektbeschreibungen durchaus einen (hilfs-)wissenschaftlichen Zweck. Die Fruchtbarkeit solcher Dingbiographien zeigt sich in der prähistorischen Archäologie, weil sie »nicht nur Erkenntnisse über die analysierten Objekte selbst, sondern durchaus Rückschlüsse auf Hersteller und Besitzer« zulassen.136 Im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse können solche Dingbiographien jedoch lediglich ein Datengrundstock sein, auf dem die Analyse aufbaut.

Aufgrund ihrer hohen Ergiebigkeit hat sich in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten die sogenannte Neue Kulturgeschichte im steigenden Ausmaß etabliert. Ihre Fragestellungen und Methoden rückten von denen der klassischen Geschichtswissenschaft oder denen der »Bielefelder Schule«, der historischen Sozialwissenschaft, ab.137 Diese Kulturgeschichte hatte andere Schwerpunkte und hat dadurch neue Perspektiven und Fragestellungen eröffnet.138 Die Kulturgeschichte lässt sich mit zwei Ansätzen in einem zueinander komplementären Verhältnis beschreiben. Ein Ansatz beschreibt ›Kultur‹ als allumfassend bezüglich menschlichen Handelns und Denkens, die oft zeitlich, räumlich und ethnisch begrenzt beschrieben wird. Dabei zeigen sich die Wurzeln der Kulturgeschichte in der Ethnologie anhand von Vordenkern wie Clifford Geertz.139 Eine zweite Strömung favorisiert stärker ethnologisch-anthropologische Ansätze, die aus den Gedankengebäuden poststrukturalistischer und konstruktivistischer Theorien stammen. Prägnant zusammengefasst hat diese Ansätze für den deutschen Sprachraum Ute Daniel.140

Dieser Perspektivwechsel in der Geschichtswissenschaft war fundamental und entwickelte erheblichen Einfluss auf die Technikgeschichte.141 Ähnliches kann für die Militärgeschichte konstatiert werden. Unter dem maßgeblich von Bernhard R. Kroener entwickelten Konzept einer Kulturgeschichte der Gewalt wird diese Perspektive auch als Neue Militärgeschichte bezeichnet. Multiperspektivische Betrachtungen wie Feldpostforschung oder Fragen nach Genderverhältnissen hielten mit diesem Ansatz Einzug in die Militärgeschichte.142 Diese Weiterentwicklung hat zur Integration der Militärgeschichte in die allgemeine Geschichtswissenschaft maßgeblich beigetragen. Zuvor betrachteten die universitären Historiker die sogenannte Kriegsgeschichte argwöhnisch. Aufgrund ihrer lang andauernden Funktionalität als Lernwerkzeug des Militärs galt sie als unwissenschaftliches »Schmuddelkind«.143 Zwar erlebte die Militärgeschichte dadurch seit den 1990er Jahren einen Aufschwung mit vielfältigen Konzeptangeboten,144 blieb aber ein akademisch-institutionelles Randphänomen.145 Die fruchtbaren neuen Ansätze der Neuen Militärgeschichte drängten zudem spezifisch militärhistorische Ansätze an den Rand. Das schlug sich besonders thematisch nieder, denn typische Themen des Militärs wie Schlachten, Operationen, Kriegsführung und Kampfweisen fanden keine Berücksichtigung mehr. Das veranlasste Sönke Neitzel 2004 zu fragen, ob eine Militärgeschichtsschreibung ohne Krieg überhaupt möglich und sinnvoll sei.146 Eine weitere Diskussion drehte sich um die Be- und Entgrenzung von Militärgeschichte. Die Forderung Roger Chickerings (»Total war requires total history«147) lässt viel Raum für Interpretationen. Diese geforderte »Totalität« der Militärgeschichte wird besonders durch deren Drängen »auf ihre weitere Internationalisierung« bewirkt, so Jörg Echternkamp unter Bezug auf Sönke Neitzel und Beatrice Heuser. »Schließlich sind Staatenkriege und Militärbündnisse per definitionem grenzüberschreitend.«148 Eine Möglichkeit, die Militärgeschichte als spezifische Subdisziplin zu betreiben, ist die Untersuchung von sehr übergreifenden Begriffen als Kondensationspunkte des Militärs. Mit dieser Methode konnte das »Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr« (ZMSBw) die Kategorie »Raum« mit Gewinn erkunden.149

Ein weiterer Ansatz verbindet die intrinsischen Begriffe des Militärs und dessen Geschichte mit modernen Methoden. Darunter fällt der Begriff der Schlacht. Einen bemerkenswerten Ansatz zur »Kulturgeschichte der Schlacht« haben Marian Füssel und Michael Sikora erarbeitet.150 In einem Sammelband betonen beide die Diffusität und die chaotische Eigenart des Phänomens Schlacht, die im Widerspruch zur »unleugbaren Evidenz«151 des Ereignisses steht.152 Neuere Ansätze zur Erforschung historischer Schlachten beinhalten Konzepte, die derartige Gewaltereignisse unter ihrer »kulturellen Bedingtheit der Praktiken« oder, einen Schritt weiter, die »kulturelle Bedingtheit der Wahrnehmungen und Rekonstruktionen« der handelnden Akteure interpretieren. Doch obwohl in diesen neuen Konzepten zur Erforschung der Schlacht die »kulturelle Konstruktion« der Quellen betont wird, kommen sie nicht umhin, dabei stetig wiederkehrend »Materialität« und »Kampfwirklichkeiten« als Kategorien hervortreten zu lassen. Füssel und Sikora schlagen nun vor, »nicht neue Rekonstruktionen zu produzieren, als vielmehr die Produktionsbedingungen von Rekonstruktionen zu analysieren, also die Art und Weise, in der sowohl einzelne Elemente als auch das Ganze der Schlacht in Wahrnehmungsweisen und Repräsentation ihren Niederschlag finden«.153 Diese Überlegungen mündeten in einem vierteiligen Untersuchungszusammenhang von »Gewalt, Struktur, Ereignis und Repräsentation«. Nach Füssel und Sikora »verspricht« dies »in mehrfacher Hinsicht weiterführenden Gewinn. Denn die kulturgeschichtliche Perspektive bewegt sich konsequent jenseits einer militärischen Fortschrittsgeschichte, sei es in technologischer oder in taktischer Hinsicht. Das Wechselspiel der vier Komponenten verbürgt vielmehr die Historizität von Schlachtengewalt.«154

Das ist durchaus eine hilfreiche Denkstütze.155 Dabei verhindert die Diffusität der Schlacht einen »totalen« Ansatz. Die Aufgabe der Schlachtenhistoriographie sieht Christoph Nübel daher in engen Grenzen: »Die Aufgabe der Schlachtenhistoriographie ist es, die Ereignisse für eine Darstellung zu ordnen, die Bedeutungsschichten zu entflechten und ihre Entstehung nachzuzeichnen. Sie muss den Anspruch aufgeben, die Schlacht in Gänze darstellen zu wollen.«156 Die zwei wesentlichen Bedenken bestehen hierbei laut Füssel und Sikora in der Gefahr der erneuten (Re-)Konstruktion sowie des falschen Anspruchs auf Totalität. Diese Ablehnung einer Totalgeschichte gilt für die gesamte Militärgeschichte. Daher sind Forderungen, wonach »[k]eine historische Betrachtung eines militärtechnischen Artefaktes […] heute vollständig sein [kann], wenn sie nicht auch in Ansätzen eine Untersuchung des Bilds desselben in der Kriegserinnerung leistet«,157 nicht zwangsläufig zielführend. Die zahlreichen Perspektiven der Militärgeschichte158 bieten zu viele Kombinationsmöglichkeiten, als dass man sich durch kategorische Forderungen nach einer bestimmten Perspektivverbindung einschränken lassen könne und sollte. Zudem bergen die zahlreichen Perspektiven neben Möglichkeiten auch Probleme. Themen und Methoden werden vermischt und erzeugen mit überbordenden Theorieapparaten bisweilen »Verwirrung« und nur geringe Erkenntnis.159 Das von Füssel und Sikora vorgeschlagene Modell von »Gewalt, Struktur, Ereignis und Repräsentation«160 bleibt zudem vergleichsweise unkonkret, da die Verschränkung der Begriffe nicht ersichtlich wird. Ein Beispiel für eine produktive Forschung stellt die Arbeit von Peter Lieb dar, der anhand der Kämpfe an der Invasionsfront 1944 etliche konkrete Verbindungen zwischen Material, Raum und Kriegsverbrechen aufzeigen kann.161

Weil in dieser Studie nicht nur militärische Kategorien, sondern auch militärische Technik untersucht wird, sind Rückgriffe auf die Erkenntnisse und Methoden der Technikgeschichte unerlässlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg kündigte sich das Ende der »technokratischen Hochmoderne« an. Besonders die gesteigerten negativen Auswirkungen von Technologien wie der Atombombe und der Atomkraft sowie die spätestens in den 1970er Jahren festgestellten »Grenzen des Wachstums« beförderten die Technikkritik. Die Geschichte der Technik geriet dabei zum Streitobjekt.162 In den 1970er und 1980er Jahren setzte sich in der Technikgeschichte zunehmend eine technikskeptische Perspektive durch.163 Zahlreiche Studien fragten nach der Verantwortung von Technikern und Ingenieuren für ihre Entwicklungen, besonders im Kontext des Nationalsozialismus.164 In diesen technikkritischen Arbeiten wurden längst nicht mehr nur einzelne Akteure oder Techniken kritisch bewertet, sondern der Glaube an die Technik an sich. Diese Technikgläubigkeit hatte sich bei deutschen Ingenieuren am Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr durchgesetzt. Ihr Kerngedanke war die Überzeugung, mit moderner Technik soziale Systeme steuern zu können.165 Dieses Denken formierte sich weit über die Technik- und Ingenieurwesen hinaus unter dem Begriff der Technokratie. Für diese Studie ist das Konzept der Technokratie signifikant, weil es für den Zeitraum des Nationalsozialismus eine besondere Bedeutung hat.166 Manche Deutungen sahen einen geistigen Zusammenhang zwischen der Technokratiebewegung und der nationalsozialistischen Ideologie. Nach dem Untergang des Deutschen Reiches 1945 entstanden Antagonismen der Technokratieinterpretation. Der ehemalige Rüstungsminister Albert Speer nutzte etwa eine Unterscheidung zwischen rationalen »Technikern« und ideologischen Nationalsozialisten als apologetische Figur, wohingegen Kritiker gerade in der vermeintlich wissenschaftlichen Rassentheorie des Nationalsozialismus eine Form der Technokratie erblickten.167 In der englischsprachigen Welt entwickelten sich im Kontext des Kalten Kriegs die Science-Technology Studies als kritische Wissenschaft gegen den sogenannten Militärisch-Industriellen Komplex. In Deutschland haben die Science-Technology Studies bislang nur sehr geringe Resonanz gefunden. In den USA waren deren sozialkonstruktivistische Ansätze geprägt von einer wissenschafts- und technologiekritischen Haltung. Diese nahezu exklusiv kritische Methode bringt auch Probleme mit sich, indem es »Unterhändlern des Zweifels« gelingt, sie zu instrumentalisieren.168 Im Bereich der Militärtechnikgeschichte waren die Science-Technology Studies dennoch ergebnisreich. Donald MacKenzies´ ältere Studie zur »Genauigkeit« von Nuklearraketen im Kalten Krieg konnte enge Verknüpfungen von sozialem Kontext und Technikerwartung aufzeigen.169 Soziale Kontexte formten die Technik, womit Vorstellungen eines Technikdeterminismus falsifiziert wurden.170MacKenzie und Wajcman verwiesen auf die hohe Bedeutung der Materialität:171 »Because technological knowledge cannot always be reduced to a set of verbal rules, the presence of a concrete exemplar is a vital resource for thought.«172Diese Akzeptanz von Grenzen des Diskurses zugunsten einer Materialität hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Eine entsprechend durchgeführte Untersuchung zur Einführung des M-16-Sturmgewehrs in der US-Armee während des Vietnamkriegs konnte aufzeigen, dass zahlreich auftretende Störungen bei diesem Sturmgewehr nicht aufgrund seiner fehlerhaften Konstruktion auftraten, sondern aufgrund nicht nachvollziehbarer Technikanforderungen der Armee.173 Solche bemerkenswerten Ergebnisse ließen sich durch die Fokussierung auf einzelne Artefaktgruppen gewinnen. Zudem ermöglicht diese Methode die Einbettung der Militärtechnikgeschichte in ein Netz gesellschaftlicher Prozesse.174 Ein entsprechender Ansatz von Hermione Gifford offenbart solche Zusammenhänge. Sie forschte zu der relativ kleinen Artefaktgruppe der Strahltriebwerke des Zweiten Weltkriegs. Im Gegensatz zu vielen deutschen Studien ist ihr Untersuchungszeitraum ebenfalls eng begrenzt. Statt Akteursgruppen, Diskurse oder Wahrnehmungen rückt Gifford fachliche Entitäten unter Begriffen wie Erfindung, Entwicklung oder Produktion in den Mittelpunkt. Zudem bricht sie deren klassische chronologische Reihung von Erfindung, Entwicklung und Produktion auf, indem sie die Produktion an den Anfang ihrer Betrachtung stellt.175 Mit diesem Vorgehen kann sie aufzeigen, dass sich die Frage nach dem Erfolg von Triebwerkdesigns nicht allein aus der Technikentwicklung ergibt, sondern überwiegend durch Entstehungskontexte begründet ist. Die Beziehungen zwischen den drei Entitäten (Erfindung, Entwicklung, Produktion) waren nicht chronologisch, sondern ganz unterschiedlich.176 Die Alliierten stellten im Zweiten Weltkrieg fest, auch ohne Strahltriebwerk den Krieg gewinnen zu können. Daher richteten sie ihre Entwicklung auf die Nachkriegszeit aus, während die Deutschen ihre »Endsieg«-Hoffnungen auf die Strahltriebwerke richteten, weshalb sie bei Kriegsende die größte Produktion aufwiesen.177 Giffords Befund zeigt, wie entscheidend das konkrete Kriegsgeschehen für die Wahrnehmung der Akteure sowie deren Technikentwicklung war.178

Die englischsprachigen Studien Giffords oder MacKenzies sind allerdings Ausnahmen in einem gegenteiligen Trend. Die technikkritische Tendenz in der Forschung hat das »Material« lange Zeit in den Hintergrund treten lassen.179 Besonders in den 1990er Jahren löste sich das Materielle scheinbar auf. Bis in die Designwissenschaften hinein schien das »Material der Welt […] obsolet geworden zu sein, und sich aufzulösen in seinen virtuellen Simulakren und Simulationen«.180 In den letzten Jahren gewinnt dagegen der Begriff der Materialität (oder material culture) an Bedeutung, mit dem eine Annäherung an konkrete technische Artefakte betrieben wird,181 und was auch unter dem Konzept des »material turn« kursiert.182 Die neuen Methodenangebote der Materialforschung sind äußerst breit gestreut. Neben den mittlerweile klassischen sozialkonstruktivistischen Theorien kamen die posthumanistische Theorie der Praktiken und Arrangements, die (post-)phänomenologische Technikforschung und einige weitere Ansätze auf.183 Die Materialitätsforschung geht dabei weit über das Gebiet der Artefakt-Forschung hinaus, indem neben den »Dingen« auch Zeichen, Symbole und sinnliche Phänomene in den Blick rücken.184 Die Verbindung von Technik mit materiellen Handlungszusammenhängen ist eine ständige Forderung der Technikgeschichte. Dennoch ist sie nach Einschätzung von Gesa Lindemann selbst bei vergleichsweise elaborierten technik-sozialen Theorien wie der Akteurs-Netzwerk-Theorie und der Theorie des verteilten Handelns als Leerstelle anzusehen. Deshalb fordert sie, »de[n] materielle[n] Ablauf von Handlungsvollzügen und deren institutionell-symbolische Vermittlung systematisch miteinander [zu] verb[i]nden«.185 Diese etwas kategorisch wirkende Forderung hat allerdings eher einschränkendes Potential. Selbstverständlich kann ein solcher Appell, richtig umgesetzt, fruchtbare Ergebnisse erbringen, doch die neueren Methodenansätze ermöglichen vielfältigere Zugänge, die Kategorien wie Sinnlichkeit, Design und Ästhetik untersuchen.186 Diese sinnlichen Aspekte müssen weder institutionell-symbolisch vermittelt noch als nachvollziehbarer materieller Ablauf in den Quellen in Erscheinung treten. Dennoch ist der Hinweis auf die Dichotomie zwischen den beiden Semantikgruppen zutreffend, der sich einfacher als Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit beschrieben ließe. Einfacher und treffender ist in diesem Zusammenhang die Feststellung Michael Neibergs: »Technologischer Vorsprung […] allein bringt keinen Sieg. Alles hängt von der Art des Gebrauchs ab.«187

In der Militärgeschichte sind Fragen nach Sinn und Ästhetik bislang Randphänomene,188 wohingegen kulturgeschichtliche Methoden breiten Anklang finden. Allerdings traten in der Militärgeschichte methodische Probleme in der Verknüpfung von Wahrnehmungsebenen mit entsprechenden Handlungszusammenhängen auf. Ansätze, die diese problembehaftete Beziehung auflösen konnten, behandeln häufig das Verhältnis von Akteuren zu Krieg, Gewalt und Genozid.189 Die Erforschung dieser Themenfelder ist zweifellos der zentrale Gegenstand der Militärgeschichtsforschung,190 was zu entsprechenden Studien geführt hat.191 In den Hintergrund rückte dagegen zunächst die Betrachtung spezifisch militärfachlicher Themen. Etwas später tauchten mit neuen Forschungsansätzen die klassischen Militärbegrifflichkeiten wieder in der Forschung auf. Neben dem Begriff der Schlacht sind in Einzelstudien in den letzten Jahren militärische Begrifflichkeiten wie »Strategie«,192 »Operation«193 und »Taktik«194 mit bemerkenswerten Ergebnissen genutzt worden. Eine weitere militärische Kernkategorie ist das Kriegsbild, das die Vorstellung vom Krieg der Zukunft beschreibt.195 Diese ergebnisreichen Studien lassen eine Verknüpfung der erforschten Themenfelder allerdings vermissen. Technik wird in diesen nicht erforscht – eine Nichtbeachtung, die mittlerweile eine lange Tradition hat.

Entgegen manchmal verbreiteter Annahmen beschäftigte sich auch die alte kriegsgeschichtliche Forschung der Militärs nicht mit der Technik. Berührt man den Punkt der Militärtechnik in der (west-)deutschen Geschichtsschreibung, so finden sich kaum Arbeiten, die über eine deskriptive Einbeziehung der Technik hinausgehen.196 Das ist insofern erstaunlich, als militärische Technisierungsprozesse auch erhebliche soziale Konsequenzen auslösen.197 1992 erschien ein militärhistorischer Sammelband zu den Wechselbeziehungen zwischen Militär und Technik. Der Herausgeber Heinrich Walle konstatierte ein Interessendefizit der amtlichen Militärgeschichtsschreibung an Militärtechnik, welches sich bis 1992 bereits verringert habe. Im gleichen Jahr führte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine technikhistorische Tagung mit einer entsprechenden Thematik durch. Es war die erste Tagung zu diesem Thema nach 1945.198 Allerdings entstand daraus keine Schubkraft für eine Erforschung der militärischen Technikgeschichte. Stattdessen dominierte die Abgrenzung von militärgeschichtlicher Forschung gegenüber der Kriegstechnik. Schlimmstenfalls erreiche ihre Darstellung ein Niveau das »kriegspornographisch« ist. Nur komplexe Ansätze, die soziale und kulturelle Voraussetzungen berücksichtigten, so hieß es, ermöglichten eine Bearbeitung des Themas.199

Solche Abgrenzungen ließen die Militärtechnikgeschichtsforschung stagnieren. Beispielhaft sind zwei deutsche Überblickswerke zur Militärgeschichte aus dem Jahr 2013 zu nennen, die die technikhistorische Dimension außen vor lassen.200 Eine neuere Studie zur Technik aus militärhistorischer Perspektive war dagegen die Habilitationsschrift von Markus Pöhlmann. Diese für einen langen Zeitraum angelegte Studie untersucht den Panzer und die mechanisierte Kriegsführung in Deutschland für die Jahrzehnte zwischen 1890 und 1945. Pöhlmann fragte nach dem komplexen Prozess der »Mechanisierung […] als Kulturvorgang im Militär«.201 Er beginnt mit dem Kriegsbild und der Doktrin, um die Genese und den Einsatz der Panzer in diesem Kontext verstehen zu können. Anhand von Fallbeispielen der Operations- und Rüstungsgeschichte gleicht er die zu beobachtenden Vorgänge miteinander ab. Pöhlmann ist mit seiner Studie ein Standardwerk gelungen, das lange Bestand haben wird. Insbesondere die Verbindung von Militär-, Technik- und Kulturgeschichte ist ein innovativer Ansatz. Allerdings ist die titelgebende »Mechanisierung des Krieges« nur angerissen worden, denn die Darstellung bleibt größtenteils der Artefaktgruppe »Kampfpanzer« verhaftet.202 Als Ursache ist die erhebliche Länge und Breite des Ansatzes zu vermuten, denn eine Zeitspanne über 55 Jahre mit zwei Weltkriegen und einem äußerst dynamischen technischen und militärischen Wandel ist mit einer einzigen Monographie wahrscheinlich nicht lückenlos in den Griff zu bekommen.

Pöhlmanns Arbeit bezeugt, dass die Militärtechnikgeschichte wieder stärkere Beachtung findet. Die Militärgeschichtsforschung hat zum Verhältnis der Akteure zu Gewalt und Krieg Beachtliches geleistet und in jüngster Zeit auch die althergebrachten Militärbegriffe mit Gewinn erforscht. Es fehlt freilich eine Erforschung des Verhältnisses dieser klassischen Themenfelder zueinander. Aus den Stärken und Desideraten der angeführten Forschungsansätze drängt sich eine stärkere Konzentration in Zeit und Untersuchungsgegenstand auf. Der kulturgeschichtliche Ansatz ist lohnenswert, wenn er Materialität wie die Handlungszusammenhänge berücksichtigt.

1.2Der Forschungsgegenstand: Die Jagdflieger in der Trias von Doktrin, Taktik und Technik

Der Forschungsgegenstand des vorliegenden Buches ergibt sich aus den bisherigen Forschungsergebnissen und -methoden. Die Jagdflieger des Zweiten Weltkriegs sind in der Militärgeschichte bisher nicht untersucht worden: Obgleich technik- und kulturgeschichtliche Arbeiten einige punktuelle Beiträge geliefert haben, bleibt die Betrachtung der Technik aus militärhistorischer Perspektive defizitär. Die Forschungsthesen der älteren Militärgeschichtsforschung, etwa zu Doktrin oder Technik, sind teilweise disparat und bedürfen weiterer Diskussion.203 Eine militärhistorische Untersuchung des Luftkriegs ohne Berücksichtigung der Technik erscheint als weniger lohnend. Da technische Fragen, wie Hans-Joachim Braun und Hermione Gifford festgestellt haben, in der Regel hochkomplex sind, ist eine Eingrenzung der Betrachtung auf ausgewählte Waffensysteme sinnvoll. Da zu den Strahljägern des Zweiten Weltkriegs bereits Forschungsanstrengungen unternommen wurden, geraten die in Massen gebauten Kolbenjäger in den Blick. Diese »Alltagswaffen« der deutschen Jagdflieger waren die beiden Propellerjäger Bf 109 und Fw 190.

Die Betrachtung dieser Artefakte erfolgt im Rahmen der Militärgeschichte. Allerdings kann dies nicht vollumfänglich geschehen, da sonst der Rahmen gesprengt würde. Das symbolische Moment muss hier entfallen, zumal es in der Forschung bereits partiell thematisiert wurde.204 Für die Militärtechnikgeschichte ist es vielversprechender, bei den vermeintlich basalen Entitäten von Technik und Militär zu beginnen. Das meint konkret: bei den einzelnen Waffen und der dazugehörigen Taktik als Handlungszusammenhang. Die Einbeziehung von militärischen Begriffen wie Taktik ist aufgrund der Ergiebigkeit moderner Studien zu solchen Einzelgegenständen angebracht.205 Der Begriff der Operation wird nicht untersucht, weil er in der Regel den Einsatz mehrerer Waffengattungen umfasste. Da hier nur eine Waffengattung untersucht wird, ist die Nutzung des Taktikbegriffs vielversprechender. Allerdings muss dieser Begriff definiert werden, denn eine einfache Übernahme der militärischen Begriffsdefinition ist für eine historische Untersuchung nicht zielführend.

Die spannungsreiche Dialektik von Handlung und Materialität verspricht den größten Erkenntnisgewinn. Schon bei oberflächlicher Recherche zum Thema Technik und Taktik ist eine weitgehend ungeklärte Beziehung zu erkennen, die meist als Wechselwirkung beschrieben wird. Diese taucht in den Militärtheorien von Carl von Clausewitz,206 Friedrich Engels und späteren marxistischen Militärtheoretikern auf.207 Im Jahr 1968 widmete sich der ehemalige Jagdflieger des Zweiten Weltkriegs Johannes Steinhoff als Inspekteur der Luftwaffe ebenfalls dieser Relation: »Das dialektische Verhältnis zwischen Taktik und Technik hat von jeher – nämlich seit es so etwas wie Technik gibt – die Gemüter der Betroffenen bewegt. […] Jeder, der in irgendeiner Beziehung zum militärischen Schutz unserer Lebensordnung steht, muss sich ihm stellen.«208 Damit wies Steinhoff diesem Verhältnis eine hervorgehobene Stellung zu. Seine dialektische Einschätzung lag nahe an denjenigen seiner östlichen Gegner im Kalten Krieg. Der sowjetische Jagdfliegerexperte Alexander Krasnow bezeichnete die Wechselbeziehungen von Technik und Taktik als »Paradoxa«. Dabei brachte er verschiedene Widersprüche in Sinnsprüchen wie »Die Technik vermag es zu leisten – die Taktik braucht es nicht«209 oder »Die Taktik benötigt es – die Technik kann es nicht leisten« auf den Punkt.210 Heinrich Walle beschrieb diese Wechselbeziehung für die Militärgeschichte ebenfalls.211

Technik und Taktik haben den Charakter materialisierter Handlungsprodukte, die zum Teil und in geringen Mengen bis in die Gegenwart bestehen. Taktisches Handeln ist im Gegensatz zur Erschaffung von Technik momentgebunden und verschwindet nach Ausführung der Handlung wieder. Dennoch war die taktische Handlung in diesem Moment materialisiert. Beispielsweise hatte ein Flugzeugführer durch ein Manöver in der Luft einige Materie bewegt. Bestehen bleibt aber nur das Produkt seiner Handlung, wenn er auf ein feindliches Flugzeug feuerte, das danach mit Einschusslöchern im Boden als Wrack die Zeit überdauerte.

Diese Artefakte, ob im Museum oder als Wrack im Erdreich, sind Ergebnisse materialisierter Handlungsprozesse und können, trotz ihrer Anwesenheit, nicht die dahinter befindlichen Kontexte und Leitbilder vom Luftkrieg erklären. Weder der Bauplan eines Flugzeuges oder die Taktikvorschrift erklären befriedigend deren militärischen Zweck im Luftkrieg. Leitbilder sind daher als kontextliefernde Denk- und Wahrnehmungskategorien für eine Bewertung von Technik und Taktik unverzichtbar, weshalb das Kriegsbild und die Doktrin in einer dritten Kategorie hinzuzufügen sind. Die Einbindung der Doktrin in den Forschungsgegenstand ist auch aufgrund der bereits erläuterten disparaten Thesenbildung in der Forschung notwendig. Die Trias aus Technik, Taktik und Doktrin/Kriegsbild bildet den Forschungsgegenstand.

1.3Die Quellenlage

Quellen zur Luftkriegstaktik und -technik befinden sich in den staatlichen Archiven, wie vor allem dem Bundesarchiv – Militärarchiv (BA-MA) in Freiburg. Die Akten der deutschen Luftwaffe sind durch Vernichtungsaktionen212 und Bombentreffer213 bei Kriegsende größtenteils zerstört worden.214 Einen größeren Teil der Luftwaffenbestände in Freiburg hat die Forschung bereits ausgiebig genutzt. Das gilt besonders für die Bestände der Führungsorgane der Luftwaffe wie der Dienststelle des Oberbefehlshabers der Luftwaffe (Bestand RL-1) und des Generalstabs (RL-2) sowie des Generalluftzeugmeisters (RL-3). Dagegen sind bestimmte Bereiche, die vor allem statistische Daten oder technische Parameter ansprechen, weniger aufgegriffen worden. Dazu zählen die Bereiche RL-2/III des Generalquartiermeisters oder die nachgeordneten Behörden des Generalluftzeugmeisterbereichs, wie die Bestände RL-36 (Erprobungsstellen der Luftwaffe) und RL-39 (Forschungsinstitute der Luftwaffe). Weiterhin sind für die Berücksichtigung der Praxis die wenigen überlieferten Berichte der Fliegertruppenstäbe aller Ebenen (RL-7, RL-8 und RL-10) von Interesse.

Aufgrund der insgesamt kargen Quellenlage sind die Dokumente der amerikanischen Historical Division im Bundesarchiv – Militärarchiv ein unverzichtbarer Bestand. Im Rahmen ihrer Historical Division ließ die US-Armee nach dem Krieg ehemalige hochrangige Wehrmachtsoffiziere Studien zum Zweiten Weltkrieg verfassen, um von deren Wissen zu profitieren.215 Zu diesen Studien ist jüngst eine Dissertation erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass die Wehrmachtsautoren das Ziel hatten, ihren »Truppen ein Denkmal« zu setzen,216 anderseits aber negative Stereotype über den sowjetischen Kriegsgegner verbreiteten.217 Leider hat die Untersuchung einige Schwächen und Leerstellen, die gerade für die hier vorgenommene Untersuchung von Bedeutung wären. Wie ein Rezensent kritisch anmerkte, werden militärische Kategorien und Begriffe fehlerhaft benutzt und es mangelt an einer Bewertung, inwieweit diese Studien operationsgeschichtliche Abläufe wahrhaftig schildern.218 Ein weiteres Manko ist die völlige Abwesenheit von Luftwaffenstudien, was auch darauf zurückzuführen ist, dass der entsprechende Aktenbestand im Bundesarchiv (ZA-3) nicht berücksichtigt wurde.219 Für eine Quellenkritik dieser Bestände lassen sich daher nur Teilergebnisse der Dissertation übernehmen.220 Dennoch können auch die Unterlagen der Historical Division die Leer- und Blindstellen nicht ausfüllen.

Eine mögliche Option zur Schließung dieser Lücken wäre die Recherche in angelsächsischen Archiven. Sie erscheint für diese Studie jedoch als nicht notwendig, weil die Veröffentlichungsflut in den vergangenen Jahrzehnten so groß war, dass allein die Auswertung der darin veröffentlichten Quellen genug Stoff für diesen Untersuchungszweck bietet. Daneben finden sich besonders technische Dokumente in anderen staatlichen Sammlungen wie Museen und in privaten Unternehmensarchiven. Allerdings wurden diese ähnlich den britischen Dokumenten schon sehr oft historisch ausgewertet und sind größtenteils publiziert.221 Daneben gibt es die sehr datenreiche, aber wenig interpretative Kategorie der privaten Quellensammlungen im Internet. Für das hier behandelte Thema sind diese Webpräsenzen von nichtakademischen Historikern hilfreich,222 da sich dort einzigartige Sammlungen reproduzierter technischer Dokumente zu den Jagdflugzeugen befinden.223

Schwieriger ist die Überlieferungslage bei den taktischen Quellen. Zwar gibt es einige Monographien, die Jagdfliegertaktiken thematisieren,224 doch kommen diese ohne Quellennachweise aus. Sie beruhen weitgehend auf Zeitzeugenaussagen, die nicht nach wissenschaftlichen Standards aufgenommen und dokumentiert sind. Aufgrund der vielen Fehlstellen bei den Akten muss dennoch auf die Erinnerungsliteratur von Piloten oder über diese Personengruppe zurückgegriffen werden. Dieses übliche Verfahren225 birgt bei ungenügender Quellenkritik verschiedene Probleme.226 Daher müssen diese Werke noch kritischer und sorgfältiger als andere Quellengattungen eingesetzt werden.

Eine bedeutende Quelle, um die Leitbilder der Militärs zu erschließen, ist die damalige bellizistische Fachpublizistik.227 Sie war in der Zwischenkriegszeit sehr umfangreich und kann aus diesem Grund nur selektiv genutzt werden. Als »Flaggschiff« dieser Publizistik für Offiziere galt das Militär-Wochenblatt, das eine führende Stellung unter den Periodika einnahm.228

1.4Die Methode, die Begriffe, der Aufbau und die Fragestellung

Die gewählte Forschungstrias beinhaltet die zwei militärhistorisch konnotierten Begriffe Taktik und Doktrin sowie den Begriff der Technik, was einem militärhistorisch grundierten Ansatz mit einem hohen Anteil Technikgeschichte entspricht. Daraus resultiert die interdisziplinäre Verbindung der zwei historischen Subdisziplinen Militär- und Technikgeschichte. Methodisch werden einige Elemente der Kulturgeschichte herangezogen, die aufgrund des materialisierten und militärischen Forschungsfelds allerdings Grenzen haben, was im Folgenden noch herausgearbeitet wird. Zudem drohen die Komplexität technisierter Prozesse und die Anwendung von drei Untersuchungsfeldern den Rahmen des Buches zu sprengen. Da Relationen mit jeder weiteren Dimension komplexer werden, muss ein Grundprinzip der Methode dieser Untersuchung »keep it simple« lauten. Dahinter steht die Forderung Albert Einsteins: »Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen. Aber nicht einfacher.«229

1.4.1Die Methode: Relationalitäten und Trias

Aus den vorgestellten Methoden ergibt sich in der Kombination ein zwar reichhaltiges, aber zugleich disparates Angebot. Die Kulturgeschichte strahlt hegemonial in die Subdisziplinen Technik- und Militärgeschichte aus. Zweifellos hat diese Teildisziplin ihre Stärken im Ergründen von Diskursen, Denkfiguren und Leitbildern der historischen Akteure. Allerdings droht ihr theoretischer Überbau des Öfteren die empirischen Befunde zu erdrücken. Besonders bei der Untersuchung materieller Kultur treten die Grenzen der Kulturgeschichte hervor. Aus diesem Grund stellten die Prähistoriker Manfred Eggert und Stefanie Samida die Frage, ob »der theoretische Überbau […] in dieser Form immer notwendig ist«.230 Kulturgeschichtliche Untersuchungen haben eine Tendenz, die Geschichte allein auf Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozesse der Akteure zu reduzieren, wodurch bei der Erforschung kriegerischer Konflikte Überzeichnungen drohen,231 deren Ergebnisse in die Beliebigkeit abrutschen können.232 Solche Herangehensweisen sind bei einem Themenkomplex des kriegerischen Tötens unangebracht.233 Wahrnehmungs- und Aushandlungsprozesse entwickeln immer dann Relevanz, wenn sie eine relationale Wirkmächtigkeit zur Praxis entwickeln. Um das Aufzeigen solcher Wirkmächtigkeit zu ermöglichen, müssen die basalen militärhistorischen Themenfelder in einer entsprechenden Weise definiert werden. Sie werden als historische Prozesse verstanden, welche der Wahrnehmung der Zeitgenossen und den historischen Entitäten gleichermaßen einen »ontologischen Stellenwert« zuschreiben. Für diese von Stefan Jordan vorgeschlagene Herangehensweise ist allerdings die Einbeziehung von »harten Daten und Fakten«234 notwendig. Als harte Daten und Fakten sind unter anderem technische Parameter eines technischen Systems zu verstehen. Deren methodisches Fassen berührt geschichtsphilosophische Grundlagen,235 denn sie suggerieren naturwissenschaftliche Objektivität, die in der Kulturgeschichtsforschung sehr kritisch betrachtet wird.236 Nun könnte man einwenden, dass technische Daten von Flugzeugen durchaus objektivierbar sind, da sie mit naturwissenschaftlichen Mitteln erstellt wurden. Doch mit Abstand betrachtet, erscheint die oft betonte Dichotomie zwischen Subjektivität und Objektivität als wenig zielführend, denn ganz gleich von welchem Standpunkt man diese Dichotomie betrachtet, bleibt sie doch stets bestehen. So könnte eine konstruktivistische Sichtweise die vermeintliche Objektivität technischer Daten als spezifisch erstellte Semantikelemente eines Diskurses verstehen. Sie würden damit einen Unterschied zum klassischen sprachlichen Diskurs bilden und stünden somit auch in einer relationalen Differenz zu diesem, ohne das Gesamtkonzept der Diskursbildung zu verlassen. Dahinter steht auch die Frage, inwieweit sich die Semantik der Technik verselbständigt oder anderen Diskursen unterordnet. Darunter werden in der klassischen positivistischen Perspektive technische Daten als objektivierbare Tatsachen237 verstanden, die einem subjektiven Agieren gegenüberstehen. Neben der modernen Kritik an einem solchen Ansatz birgt er auch eine Gefahr der Überordnung der Technik über alle anderen Bereiche, die zur Herausbildung einer technokratischen Sichtweise führen kann.238 Die jüngeren Überlegungen zur »Materialität« und »Wirklichkeit«239 der Geschichte zeigen letztlich eine Unauflösbarkeit der Dichotomie.240 In einer konkreteren Betrachtung birgt dieser Widerspruch die Frage nach der Beziehung von Denken und Diskurs auf der einen und Anwendung und Praxis auf der anderen Seite. Dies entspricht der Feststellung von Anne Lipp, dass »kulturgeschichtlich ausgerichtete Studien idealiter ihr Augenmerk immer auf das Spannungsfeld von Diskurs und Praxis richten« sollten.241

In diesem Kontext stellt sich für die Luftwaffe der Wehrmacht daher die Frage nach der Bedeutung der Technik im Gesamtkontext. Allgemein wird ihre Rolle als sehr bedeutend angesehen.242 Eine typisch militärhistorische Anwendung der Überprüfung der Relationen ist der Vergleich des Militärs in Frieden und Krieg. Das Militär hat im Frieden keinen Anwendungsfall, sondern trainiert für diesen. Der Krieg ist in dieser Perspektive ein Prüffall, der Widersprüche und Leerstellen aufzeigt, wobei das Militär wie seine Technik aber nicht ausschließlich mit dem Kampfergebnis abgeglichen werden dürfen.243 Vielmehr muss zwischen dem Kampfergebnis und der Technik die Taktik als eigene Umsetzungsentität und Denkfigur verstanden werden. Sie unterliegt allen üblichen Verzerrungen des menschlichen Denkens und Handelns.

Diskurs und Praxis sind einerseits in den drei Kategorien Doktrin, Technik und Taktik vorhanden, aber nicht gleich verteilt. So bildet die Doktrin eine stärker diskursbehaftete Soll-Kategorie im Vergleich zu den technischen und taktischen Praxiskategorien. Um diese Beziehungen zu fassen, ist das kulturgeschichtliche Konzept der ubiquitären Relationalität hilfreich.244 Diese Relationalität sucht nach dem »Zwischen«, denn laut Ralph Buchenhorst können Gedächtnis und Gedenken nur im Zwischen von Ding, Speicherungsformen und Performativität existieren«.245 Die Relationalität kann drei Erscheinungsformen aufweisen: Kongruenz, Divergenz und »Void« (Leerstelle). Die Suche nach Leerstellen ist immer dann besonders wichtig, wenn beispielsweise technische Quelleninhalte thematische Relevanz erzeugen, sich dazu jedoch keine Relation in der dafür institutionell vorgesehenen Quellengattung finden lässt. Beispielsweise wäre dies der Fall, wenn Jagdpiloten informell oder implizit Taktiken genutzt hätten, die aber nicht im offiziellen Diskurs (Taktikanleitungen) erschienen sind. Das entspräche einem »Void«, einer Leerstelle. Wird die Differenz ausgesprochen, handelt es sich um einen Widerspruch (Divergenz). Wird der Widerspruch nicht thematisiert, bleibt er dagegen eine Leerstelle. Die Frage nach dieser Leerstelle verrät viel über damalige Nichtwahrnehmung und Wahrnehmung. Je mehr solcher Einzelbefunde sich aus den Zwischenrelationen ergeben, desto umfassender können Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsmuster erkannt werden. Das ermöglicht dann eine tiefere Einschätzung und Bewertung des Untersuchungsgegenstandes. Die Quellen folgen dieser relationalen Einordnung, wobei als Gedankenbeispiel eine imaginäre Taktikvorschrift dienen soll. Sie stellt zunächst ein Soll-Leitbild zur Taktik dar. Allerdings hat sie auch eine relationale Komponente, indem sie mit ihrer Darstellung einer bestimmten Taktik auch etwas über den Stand der Technik mitteilt. Die Relationalität zwischen Soll und Praxis ist den drei Kategorien Technik, Taktik und Doktrin inhärent. Sie besteht aber auch zwischen den Kategorien, etwa wenn doktrinäre Sollvorstellungen mit der technischen Praxis nicht übereinstimmen.

Die Begriffsdefinitionen sind an dieses Modell der Relationalität angepasst, welches den drei Begriffen bezüglich des Diskurses wie der Praxis inhärent ist, aber auch deren Relationalität zueinander definiert.

1.4.2Der Taktikbegriff

Der Taktikbegriff stammt aus der Antike und differenzierte sich im 19. Jahrhundert weiter aus. Der deutsche Militärtheoretiker Carl von Clausewitz definierte ihn als Lehre über die Nutzung der Truppen im Gefecht.246