Terra Preta. Die schwarze Revolution aus dem Regenwald - Ute Scheub - E-Book

Terra Preta. Die schwarze Revolution aus dem Regenwald E-Book

Ute Scheub

4,6

Beschreibung

Terra Preta do Indio lautet der portugiesische Name für einen Stoff, dem man wundersame Eigenschaften zuschreibt. Die Presse überschlägt sich mit Berichten über das »Schwarze Gold«, die Wissenschaft glaubt mit der Schwarzerde aus dem Regenwald zwei der größten Menschheitsprobleme lösen zu können – den Klimawandel und die Hungerkrise. Das Gute daran: Jede(r) kann mithelfen, denn seit 2005 ist das Geheimnis um die Herstellung der Wundererde gelüftet – ein Geheimnis, welches mit dem Niedergang der einstmals blühenden Indianerkulturen Amazoniens verloren zu gehen schien. Die Rezeptur mutet dabei erstaunlich einfach an, denn mehr als Küchen- oder Gartenabfälle, Holzkohle und Regenwürmer sind nicht nötig – Terra Preta ist somit auf jedem Balkon und in jedem Kleingarten herstellbar. Das Autorentrio Scheub, Pieplow und Schmidt hat das Wissen um die fruchtbarste Erde der Welt in einem kundigen Führer zusammengetragen. Neben einer fundierten Gebrauchsanweisung zur Herstellung von Terra Preta und Biokohle (biochar), informiert das Handbuch über die Grundprinzipien von Klimafarming und Kreislaufwirtschaft. Es ist ein flammendes Plädoyer gegen Kunstdünger und Gentechnik und ein unerlässlicher Ratgeber für alle, denen gesunde Lebensmittel am Herzen liegen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 241

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,6 (38 Bewertungen)
26
8
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ute Scheub, Haiko Pieplow, Hans-Peter Schmidt
Terra Preta
Die schwarze Revolutionaus dem Regenwald
Mit Klimagärtnern die Welt retten undgesunde Lebensmittel produzieren
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Erweiterte Neuauflage 2017© 2013 oekom, Münchenoekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München
Umschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deUmschlagabbildung: © John Brown, Getty Images (Bild oben);© Paul Burns, Corbis (Bild unten);Lektorat: Christoph Hirsch, oekom verlagLayout und Satz: Ines Swoboda, oekom verlagKorrektur: Susanne Darabas
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehalten.ISBN 978-3-96238-457-9

Dank

Wir danken folgenden bekannten und unbekannten kleinen Helferlein, ohne die nicht nur dieses Buch, sondern das ganze menschliche Leben niemals zustande gekommen wäre. Stellvertretend seien hier genannt:
Lumbricus rubellus
Lumbricus castaneus
Lumbricus terrestris
Lumbricus badensis
Lactobacillus casei
Lactobacillus plantarum
Saccharomyces cerevisiae
Chloroflexacea
Chlorobiacea
Chromatiacea
Chloracidobacterium
Heliobacterium
Rhodopseudomonas palustris
(zu deutsch: Regenwürmer, Milchsäurebakterien, Hefepilze, grüne und purpurne Fotosynthesebakterien)
Außerdem danken wir sehr herzlich der Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis, deren Förderung die Erstellung dieses Buches möglich gemacht hat, der Delinat-Stiftung und den im Anhang genannten Fotografen für die Überlassung vieler schöner Bilder.

Inhalt

Prolog
Ein Paradies zum Selbermachen
TEIL I: GRUNDLAGEN
1. Kapitel: Die Irrtümer der fossilen Landwirtschaft
Die Agroindustrie zieht unserem Planeten die Haut ab. Pestizide vergiften den Boden, die Großtechnik führt zum Abtrag der fruchtbaren Humusschicht. Eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit.
2. Kapitel: Kulturen brauchen fruchtbaren Boden – das Geheimnis des schwarzen Goldes
Hochkulturen benötigen einen Überschuss an Nahrung, der nur auf fruchtbaren Böden entstehen kann. So war es in Amazonien, wo auf Terra Preta riesige Gartenstädte wuchsen – aber auch in Mesopotamien, Ägypten, China und Europa.
TEIL II: HANDBUCH
3. Kapitel: Klimagärtnern: Grundprinzipien und Grundstoffe
Beim Klimagärtnern werden riesige Mengen Kohlendioxid in Form von Kohlenstoff dauerhaft im Humus gespeichert. Pflanzenkohle und die Förderung eines aktiven Bodenlebens sind dabei unverzichtbar.
4. Kapitel: Herstellungsmethoden von Terra Preta
Ob im Kompost, mit Küchenbokashi oder in Stapelkisten – Schwarzerde kann auf vielen Wegen entstehen. Antworten auf oft gestellte Fragen zur Terra-Preta-Produktion und viele praktische Tipps.
5. Kapitel: Biologische und gärtnerische Vielfalt
Terra Preta kann die Biodiversität steigern und die kulturelle Vielfalt fördern. Ob in der Stadt oder auf dem Land, in Klein- oder Gemein schaftsgärten, auf Fensterbalkonen oder in Quadratgärtchen – auf selbst gemachter Schwarzerde sprießt das pralle Leben.
6. Kapitel: Alte und neue Sanitärsysteme
Terra Preta macht es möglich, die eigenen inneren Werte zu veredeln und offene Kreisläufe wieder zu schließen. Homo, Humus, Humanitas – drei Wörter, die nicht zufällig denselben Ursprung haben.
Resümee und Ausblick
Eine Handvoll Schwarzerde als Zeichen
ANHANG
Links und Lieferadressen
Weiterführende Literatur

Geschichten und Projekte rund um die Welt von Terra Preta

Die Schwimmenden Gärten von Mexiko City
Klimafarming im Wallis
Humusaufbau in der Ökoregion Kaindorf
Effektive Mikroorganismen aus dem Chiemgau
TerraBoGa: Forschungsprojekt im Botanischen Garten Berlin-Dahlem
Die Hennen von Hennes oder wie man Hühnermist zu Gold macht
Alles Banane in der Papageiensiedlung: ein Stapelkompost-Tagebuch
Solidarische Landwirtschaft: die Little Donkey Farm bei Peking
Permakultur im Lebensgarten Steyerberg
Prinzessinnengarten Berlin: Guerilla Gardening mit dem grünen Ché
Das Theater am Rand: ein Gesamtkunstwerk im Oderbruch
Bäume als Regenmacher in der Steppe Kolumbiens
Trockenklos statt verseuchter Ernten in Mexiko
Essbare Kunst von Ayumi Matsuzaka
Humus aus dem Hamburger Hauptbahnhof
Friedrich Hundertwasser oder: die heilige Scheiße
(© Ute Scheub)
Prolog
Ein Paradies zum Selbermachen
Wenn Menschen sich ein Paradies vorstellen, gleicht es meist einem Garten. In Gärten fühlen wir uns wohl und erholen uns von Stress aller Art. Gärten sind Orte der Fülle, der Fruchtbarkeit und des Überflusses. Wir erfreuen uns an ihnen mit allen Sinnen – an der Wärme der Sonne, den Farben der Schmetterlinge, den Formen und Düften der Blumen, dem Geruch feuchter Erde, dem Geschmack frischer Früchte, an den Tönen plätschernden Wassers und turtelnder Vögel oder einfach nur an der Stille. Manchmal glitscht eine fette Nacktschnecke durch das Idyll, und man glaubt, sie kichern zu hören, weil sie gerade den von uns so zärtlich gepflegten Jungsalat abgefräst hat – über irgendwas muss man sich auch im Paradies ärgern, sonst wird es dort zu langweilig.
Grün ist gesund und wohltuend: Menschen aller Kulturen und Nationalitäten ziehen eine natürliche Landschaft einem städtisch-steinernen Ambiente vor. Der Blick aus einem Krankenzimmer ins Grüne fördert Studien zufolge den Heilungsverlauf von Krankheiten und reduziert die Schmerzmitteldosis. Untersuchungen aus Deutschland, den Niederlanden und den USA zeigen, dass Natur in der direkten Umgebung eine positive Wirkung auf Zufriedenheit und Gesundheit der dort Lebenden und Arbeitenden hat. Gärtnern ist erst recht gesund, man bewegt sich den ganzen Tag in frischer Luft, Licht und Sonne. Und abends kann man zufrieden auf sein Tagewerk schauen – wenn nur die Nacktschnecken nicht wären.
Kein Wunder also, dass nicht nur auf dem Land, sondern auch in den Städten Gärtnern schwer in Mode ist. Junge und Alte, Frauen, Männer und Kinder, Angestellte und Arbeitslose, Einheimische und Flüchtlinge ackern zusammen, lassen Gemeinschafts- und interkulturelle Gärten erblühen, pflegen das Grün hinterm eigenen Haus oder kümmern sich um irgendein kommunales Fleckchen Erde. Manche tun dies auch, weil sie die lieblose Herstellung von Lebensmitteln und die pervertierten globalisierten Strukturen der Agroindustrie satthaben. Vor allem an sie, an diese vorwiegend ökologisch ausgerichteten Stadtgärtnerinnen und Freizeitbuddler, richtet sich dieses Buch.
Seine wichtigste Botschaft ist eine frohe: Klimagärtnern mit Terra Preta könnte den Treibhauseffekt in der Erdatmosphäre stark abmildern. Klimafarming – weltweit angewandt und flankiert mit weiteren Umweltmaßnahmen – könnte ihn womöglich sogar stoppen. Wenn die Menschheit mittels Klimafarming den Humusgehalt der Böden in den nächsten 50 Jahren um zehn Prozent erhöhen würde, könnte der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sogar auf vorindustrielles Niveau gebracht werden. Vielleicht ist die Nutzung von Pflanzenkohle wirklich die »mächtigste Klimaschutzmaschine, die wir haben«, wie es der australische Umweltprofessor Tim Flannery ausdrückt.
Terra Preta, was auf portugiesisch einfach nur »schwarze Erde« heißt, wird manchmal auch »Wundererde« genannt. Das ist sicherlich übertrieben, sie ist auch nur ein von Menschen fruchtbar gemachter Boden und kein Hexenelixier, mit dem man – bei Vollmond über die Schulter auf den Boden gespuckt und einszweidrei – die Erde retten könnte. Dennoch hat diese uralte, erst vor wenigen Jahren wiederentdeckte Anbaumethode der Ureinwohner am Amazonas nach Meinung einer wachsenden Gemeinde internationaler Wissenschaftler das Potenzial, das weltweite Hunger-, Armuts-, Wasser- und Klimaproblem gleichzeitig angehen zu können. Und von welcher anderen Methode kann man das schon behaupten?
Nach dem bisherigen Wissensstand sind die Vorteile der Terra-Preta-Technik ungeheuer vielfältig: Sie fördert fruchtbare Böden, gesunde Pflanzen und gesunde Lebensmittel, ermöglicht auf kleinem Raum hohe und sichere Ernteerträge, macht Kleinbauern und Gärtnerinnen unabhängig von teurem Dünger, giftigen Pestiziden oder Gentechnik, kann Abfallstoffe in Naturdünger verwandeln, Kreisläufe schließen, Hygieneprobleme in Slums und Sanitärsystemen lösen, Böden entgiften, Steppen und trockene Magerböden zu Agrarland machen und eben auch den Klimawandel entscheidend mildern.
Wie das? Der entscheidende Bestandteil von Terra Preta ist Pflanzenkohle, die mittels klimaneutraler Pyrolyse hergestellt wird. Pyrolysiert man pflanzliche Abfälle, so wird der Kohlenstoff, den die Pflanzen der Atmosphäre in Form von CO2 entzogen haben, dauerhaft stabilisiert. Die porenreiche Pflanzenkohle kann dann in die Erde eingebracht werden und dient als als fruchtbarer Speicher von Nährstoffen und Wasser. Wie das geht, erfahren Sie in diesem Buch. Jede Hobbygärtnerin und jeder Kleinbauer kann Terra Preta und ihre Grundstoffe selbst herstellen; wenn man zu wenig Zeit dafür hat, kann man die erforderlichen Zutaten aber auch im Internet kaufen.
Allerdings ist noch lange nicht in allen Details erforscht, was diese Methode alles vermag und womöglich auch nicht vermag. Ein Engpass für ihre massenhafte Anwendung in der Landwirtschaft ist die kostengünstige Herstellung größerer Mengen an Pflanzenkohle durch moderne Pyrolyseanlagen – zumindest bisher.
Auch zeigen konventionelle Agrarforschungsanstalten wenig Bereitschaft, entsprechende Forschungsprojekte zu finanzieren und mitzutragen. Das ist nicht verwunderlich, trägt die Schwarzerde-Technik doch das Potenzial in sich, Agrochemie und Gentechnik zu ersetzen. So ähnlich wie die dezentralen erneuerbaren Energien auf längere Sicht die Existenz der zentralen Energiekonzerne bedrohen, so könnte auch die Terra-Preta-Methode mit zunehmender Verbreitung die Agrokonzerne letztlich überflüssig machen. Wir müssen damit rechnen, dass wir ab einer gewissen Stufe deren Widerstand zu spüren bekommen – und sei es in Form unsinniger Hygienevorschriften für Gärten, die Lobbyisten der Agroindustrie dann vielleicht aus der Tasche ziehen.
Dieses Buch hat zwei Teile. Im ersten Teil behandeln wir die Grundlagen, im zweiten schreiten wir zur Praxis. Wer es sehr eilig hat, kann den ersten Teil überblättern. Aber wir empfehlen natürlich, ihn trotzdem zu lesen, weil man sonst das gesamte Potenzial von Terra Preta nicht versteht.
Im ersten Kapitel von Teil I geht es um »die Irrtümer der fossilen Landwirtschaft«. Wir haben höchstwahrscheinlich nicht nur »Peak Oil« bereits hinter uns, also den Höhepunkt der weltweiten Ölförderung, der die täglich förderbare Ölmenge ab jetzt schrumpfen und immer teurer werden lässt, sondern auch »Peak Soil« – fruchtbares Land wird ebenfalls stetig weniger und teurer. Anders als das Klima hat Boden jedoch bisher so gut wie keine politische Lobby, obwohl sein weltweiter Zustand und die drohende Klimakatastrophe eng zusammenhängen.
Im zweiten Kapitel bieten wir einen Kurztrip durch die Menschheitsgeschichte und rund um die Welt an. Wir zeigen, wie fruchtbare Erde und menschliche Hochkulturen sich gegenseitig bedingen – und wie in der Vergangenheit ganze Imperien an Bodenerosion (mit) zugrunde gingen. Wir zeigen aber auch das Gegenteil, denn Terra Preta hat im präkolonialen Amazonasgebiet riesige Gartenstädte erblühen lassen, und menschengemachte Schwarzerden werden inzwischen in immer mehr Gegenden der Welt entdeckt.
Mit dem dritten Kapitel beginnt Teil II, die Praxis. Wir beschreiben Klimagärtnern und Klimafarming: Wie funktionieren sie, was sind ihre Ausgangsstoffe und Grundprinzipien, was bewirken sie, wo finden sie bereits statt?
Im vierten Kapitel handeln wir verschiedene Methoden der Terra-Preta-Herstellung ab, vom Stapelkompost im Kleingarten über Küchenbokashi bis zu Stapelkisten auf dem Balkon oder in Gemeinschaftsgärten. Zudem beantworten wir Fragen, die sich aus der Praxis von Urban Gardening und Klimagärtnern ergeben haben.
Im fünften Kapitel zeigen wir die ganze gärtnerische Vielfalt, in der Terra Preta ihren organischen Platz findet. Wir schildern, wie einfache und schöne Maßnahmen wie Fenstergärten oder auch Baumpatenschaften die stark bedrohte Artenvielfalt in Stadt und Land wieder steigern können, und entführen die Lesenden in eindrucksvolle Permakultur- und Gemeinschaftsgärten.
Und im sechsten Kapitel werden alte und neue Sanitärsysteme abgehandelt, die helfen können, Nährstoffe aus menschlichen Ausscheidungen in den Naturkreislauf zurückzuführen. Damit stoßen wir auf antrainierte Tabus, zeigen aber für diejenigen, die das wollen, wie wir unsere inneren Werte wieder in den Kreislauf der Natur einbringen können. Um es klar zu sagen: Dies ist kein Muss für die Herstellung von Terra Preta. Deren zentraler Bestandteil ist Pflanzenkohle, nicht menschliche Exkremente. Wer sich vor diesem Thema zu sehr ekelt – wozu aber kein Anlass besteht, wie wir zeigen werden –, kann das Kapitel überblättern.
In jedem Kapitel finden Sie zudem viele Geschichten, die die Wirklichkeit schrieb. In kurzen Porträts stellen wir blühende Terra-Preta-und Klimafarming-Projekte vor, etwa aus Mexiko, Kolumbien und China, aber vor allem aus der deutschsprachigen Region. Denn in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind in den letzten Jahren Schwarzerde-Projekte wie Pilze aus dem Boden geschossen.
Den Abschluss bilden schließlich ein kurzes Resümee und ein Anhang, in dem Sie nützliche Links, Literatur sowie Lieferadressen für Zutaten der Terra-Preta-Herstellung finden.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: Weil die Wiederentdeckung dieser uralten Kulturtechnik kaum mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, sind auch die praktischen gärtnerischen Erfahrungen damit notgedrungen noch begrenzt. Es gibt hier noch eine Unmenge an Details zu erforschen, zum Beispiel zu der Frage, welche Gemüsearten welches Substrat mit welcher Zusammensetzung am meisten schätzen. Die Lesenden mögen also Verständnis dafür aufbringen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Antworten auf alle Fragen dienen können. Je mehr gärtnernde Menschen eigene Erfahrungen sammeln und weitergeben, desto schneller wird das Wissen über Terra Preta sich verbreiten. Lassen Sie sich also vom »Terra-Preta-Virus« anstecken. Wir freuen uns über Ihr Feedback und Ihre persönlichen Erfahrungen mit dem »Schwarzen Gold«, die Sie uns über die Verlagsadresse zukommen lassen können.
Wir haben es in der Hand, wie lange der uns anvertraute Boden fruchtbar bleibt. Mit Terra Preta und dem Teilen von Wissen können wir moderne Gartenparadiese schaffen, in denen wir weltweit besser leben können als jetzt: Paradiese 2.0. Paradiese sind machbar, Frau Nachbar!
Berlin/Wallis, im Herbst 2012
Haiko Pieplow, Ute Scheub, Hans-Peter Schmidt
(© kotafoty, Quelle: fotolia)
Kapitel 1
Die Irrtümerder fossilenLandwirtschaft
Die Agroindustrie zieht unserem Planeten die Haut ab. Pestizide vergiften den Boden, die Großtechnik führt zum Abtrag der fruchtbaren Humusschicht. Eines der größten Umweltprobleme unserer Zeit.
Wir ziehen unserem Planeten die Haut ab und merken es nicht.
Der Durchmesser der Erde beträgt gut 12.000 Kilometer; gemessen daran ist ihre Humusschicht von fünf bis 50 Zentimeter Dicke geradezu mikroskopisch dünn. Von dieser hauchzarten, verletzlichen Schicht ist fast die gesamte Kaskade irdischen Lebens abhängig. Sie lässt die Pflanzen wachsen, die ihrerseits Tiere und Menschen ernähren und sie mit Sauerstoff versorgen. Ohne diese komplex miteinander verkoppelten Lebenszyklen wäre der Planet Erde heute noch so wüst und leer wie zu seinen Anfangszeiten.
Legen Sie doch dieses Buch für einen Moment beiseite und gehen Sie zum nächsten erreichbaren Fleckchen Erde, also unter einen Straßenbaum oder auf ein Stück Rasen vor Ihrem Haus, und nehmen Sie eine Handvoll Boden und schnuppern daran. Ist er sandig oder hart und verdichtet, riecht nach nichts oder muffelt gar? Das ist heute leider nicht selten. Die dünne Haut der Erde ist wie tot und riecht auch so.
Wenn die Erde dunkel, warm, locker und krümelig ist und dezent nach Waldboden duftet, haben Sie Glück – oder Sie sitzen als begeisterte Biogärtnerin oder als passionierter Bodenliebhaber gerade mitten in Ihrem Garten. Die Handvoll gesunder Boden, die Sie nun vielleicht in den Händen halten, besteht aus den organischen Überresten abgestorbener Pflanzen, Tiere und Mikroben sowie aus Steinchen, Mineralen, Wasser, Bodenluft, Pflanzenwurzeln und Kleinlebewesen. Humusreicher Boden wird nicht umsonst »Muttererde« genannt, birgt er doch in jedem Krümelchen eine unendliche Vielfalt an Leben. Die Zahl der mikroskopisch kleinen Organismen in Ihrer Hand übertrifft um ein Vielfaches die Anzahl der Menschen, die auf der Erde wohnen!

Eine unglaubliche Fülle von Lebewesen

In einem Quadratmeter guten Bodens steckt in den obersten 30 Zentimetern eine unfassbar große Fülle von Lebewesen: schätzungsweise 1 Billion Bakterien, 500 Milliarden Geißeltierchen, 100 Milliarden Wurzelfüßer, 10 Milliarden Strahlenpilze, 1 Milliarde Pilze, 1 Million Algen, 1 Million Wimpertierchen, 1 Million Fadenwürmer, 50.000 Springschwänze, 25.000 Rädertiere, 10.000 Borstenwürmer, 300 Vielfüßler, 150 Kerbtiere, 100 Zweiflüglerlarven, 100 Käfer und Larven, 80 Regenwürmer und je 50 Schnecken, Spinnen und Asseln.
Die Mikrooganismen sind die ältesten Lebewesen auf der Welt. Auch in unserem menschlichen Körper leben unglaubliche Mengen von ihnen – zehnmal mehr, als wir Körperzellen haben. Sie »überfremden« uns völlig – und doch können wir ohne sie nicht leben. Sie besiedeln alle Oberflächen, sie beschützen unsere Haut vor krankmachenden Keimen, sie bewohnen unseren Darm und stellen unsere Verdauung sicher. Wir nehmen ständig Mikroorganismen auf und geben ständig welche ab. Sie sorgen dafür, dass infektiöse Organismen sich nicht entwickeln können. Doch auch die Krankheitskeime haben eine wichtige Funktion. Wo das Leben erlischt, schaffen sie durch Abbau die Voraussetzung für einen neuen Anfang.
Aber in der Natur ist nicht der Abbau der vorherrschende Vorgang, sondern Aufbau, Kooperation, Koexistenz und Symbiose. Pilze, Algen und Bakterien leben mit den Haarwurzeln der Pflanzen zusammen und tauschen große Moleküle wie Eiweiße, Vitamine oder ganze Zellkraftwerke wie die Mitochondrien untereinander aus.
Ein Querschnitt durch lebendigen Boden zeigt die Vielfalt an Leben; hier klammern sich Regenwurm, Asseln & Co. an ein Stückchen Holz (© Otto Ehrmann, Bildarchiv Boden)
HUMUS
Als Humus wird die Gesamtheit der abgestorbenen und zersetzten organischen Substanz eines Bodens bezeichnet. Er besteht aus einer Vielzahl komplexer Verbindungen, die durch Bodenorganismen umgewandelt werden. Kohlenhydrate und Eiweiße werden schnell zersetzt, Zellulose oder Holzbestandteile werden langsamer abgebaut. Humus ist jedoch weit mehr als die Summe seiner biologischen, chemischen oder physikalischen Eigenschaften, er ist die unverzichtbare Grundlage des Lebens im und auf dem Boden und verhält sich fast schon wie ein eigenständiger lebendiger Organismus. Pflanzen stellen den Bodenlebewesen Pflanzensäfte und abgestorbene Pflanzenreste zur Verfügung und erhalten im Gegenzug Nährstoffe – jeder lebt von jedem und versorgt jeden. »Humus wird aus dem Leben vom Leben für das Leben geschaffen«, fasste der 1943 verstorbene Mikrobiologe und Naturphilosoph Raoul Heinrich Francé diesen Prozess treffend zusammen.
Forscher haben mithilfe von Bodenscreenings hochgerechnet, dass bisher nur fünf bis zehn Prozent aller Bodenorganismen überhaupt bekannt sind. Es ist unmöglich, ihre vielfältigen Wechselwirkungen, Koexistenzen und Symbiosen zu (er)kennen. Die Wiederverwendung von Stoffwechselabfällen ist eines der Geheimnisse von lebendiger fruchtbarer Erde. Wir bedrohen diese Welt mit jeder Gabe synthetischen Düngers, mit jeder Dosis Gift aus Pestiziden, mit jedem Liter faulender Gülle, mit jedem Überfahren des Bodens mit tonnenschwerem Gerät.
Das Bodenleben kann sich zwar immer wieder regenerieren. Aber dafür braucht es viel Humus und Nachschub an organischen Stoffen. Wird jedoch der Humus schleichend abgebaut, stirbt der Boden. Mit der industriellen Landwirtschaft, die per Chemie und Großtechnik einen Krieg gegen die Natur führt, wird die Erde zu Dreck, und wir verlieren den Boden unter den Füßen.
Die Rolle des Regenwurms ist bei all diesen Prozessen gar nicht hoch genug einzuschätzen. In einem Hektar gesunden Gartenbodens wimmeln mehr als 100.000 Regenwürmer, die zusammen so viel wiegen wie mehrere Kühe auf derselben Fläche. In seinem Darm wandelt der Wurm mit der Kraft seiner Muskeln und zahllosen Mikroorganismen abgestorbene Pflanzenteile und Bodenpartikel in hochwertige Erde um – pro Jahr das 70-fache des eigenen Gewichts. In seinem Kot findet sich durchschnittlich doppelt soviel Kohlenstoff, fünfmal soviel Stickstoff und siebenmal soviel Phosphor wie in normalem Boden. Die von ihm gegrabenen Röhren durchlüften die Erde und dienen Pflanzenwurzeln als Wachstumsbahnen.
Die zeitgenössischen Gegner des Regenwurmforschers Charles Darwin versuchten diesen lächerlich zu ma chen: »Der Mensch ist nichts als ein Wurm«, steht unter der Zeichnung (Punch Almanach 1882; Quelle: wikimedia)
Charles Darwin – ein scharfer Beobachter und großer Liebhaber des Wurms – entdeckte, dass er sogar kleine Steinchen zu Mineralerde zermahlen kann. »Es ist wunderbar«, schrieb er, »wenn wir uns überlegen, dass die ganze Masse des oberflächennahen Humus durch die Körper der Regenwürmer hindurchgegangen ist und alle paar Jahre wiederum durch sie hindurchgehen wird (...) Man darf wohl bezweifeln, dass es noch viele andere Tiere gibt, die so eine bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben wie diese niedrig organisierten Geschöpfe.« Letzten Endes sind auch alle unsere Lebensmittel und damit indirekt wir Menschen selbst durch die Körper der Regenwürmer hervorgebracht worden.
Eine andere wichtige Rolle spielen die Mykorrhizen – symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen Pilzen (griechisch: mykes) und Pflanzenwurzeln (griechisch: rhiza), die dazu dienen, für beide Seiten wichtige Nährstoffe aufzuschließen. Ebenfalls unverzichtbar sind jene Bakterien, die Stickstoff aus der Luft binden und Symbiosen mit Leguminosen wie Erbsen, Bohnen, Klee und Lupinen eingehen. Sie gehören zu den ganz wenigen Organismen, die fähig sind, den in der Luft vorhandenen Stickstoff so umzuwandeln, dass er für Pflanzenwurzeln unmittelbar verfügbar wird. Deshalb werden im Biolandbau Stickstoffsammler wie die Leguminosen und Stickstoffzehrer nacheinander angebaut.
Gründüngung im Biolandbau, in diesem Fall mit Phacelia, auch Bienenweide genannt; Bienen und Schmetterlinge lieben diese Blüten (© liveostockimages; Quelle: fotolia)
Pflanzengemeinschaften bilden zusammen mit den Bodenlebewesen hochkomplexe ökologische Einheiten. Pflanzen kommunizieren untereinander mit biochemischen Signalen und warnen sich gegenseitig, wenn gefräßige Insekten im Anmarsch sind. Werden sie angegriffen, können sie Stoffe ausschwitzen, die die Tiere abschrecken, oder sie locken mit anderen Stoffen Nützlinge an, die dann die Fressfeinde als leckere Mahlzeit zu schätzen wissen. Das alles können wir uns beim Mischanbau für hohe und stabile Erträge zunutze machen. Der Mischanbau in Waldgärten macht Umgraben oder Pflügen überflüssig, was wiederum die Humusbildung fördert. Unter Wald und Dauergrasland wird in der Regel viel Humus angereichert.
Die Menschheit gäbe es nicht ohne die dünne Schicht Humus – aber jene braucht sehr viel Zeit, um zu wachsen. Je nach regionalen Bedingungen beträgt die Bodenbildungsrate ein bis zweieinhalb Zentimeter – pro Jahrhundert. Wird nur ein Zentimeter Erde aufgrund von menschlichem Leichtsinn abgetragen, benötigt es hundert Jahre, bis er wieder nachgewachsen ist.

Boden hat keine Lobby

Fruchtbarer Boden geht heutzutage zehn- bis hundertmal schneller verloren, als er sich bilden kann. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind global gesehen rund 1,2 Milliarden Hektar Ackerland buchstäblich vom Winde verweht worden – das entspricht ungefähr der Fläche von Indien und China zusammen. Weltweit gehen jährlich schätzungsweise 24 Milliarden Tonnen Erde durch Wind- und Wassererosion verloren, das sind etwa 2,5 Tonnen pro Erdenmensch.
Die konventionelle industrielle Landwirtschaft erzeugt dabei ein im wahrsten Sinne des Wortes fundamentales Problem: Sie verwüstet auf Dauer den Boden, von dem sie erntet, denn sie lässt die Erosion weit über die Rate des natürlichen Bodenaufbaus ansteigen. Ein Team um den US-Professor Tom Dunne untersuchte Böden in Afrika und kam zum Schluss, dass deren natürliche Erosionsrate rund zweieinhalb Zentimeter in 900 bis 3.000 Jahren betragen hatte. Heute dauert es nur noch zehn Jahre, und manchmal fällt der Erosion sogar ein Zentimeter pro Jahr zum Opfer.
Wir behandeln die Erde wie Dreck und treten sie mit Füßen. In den letzten 25 Jahren ist ein Viertel der gesamten Erdoberfläche degradiert, wie es in der Fachsprache heißt, das bedeutet, 25 Prozent aller Böden haben sich in ihrer Qualität verschlechtert. Die buchstäbliche Verwüstung und Verödung ganzer Landstriche geht in ungeheurem Tempo vonstatten. Auch in Europa. In Spanien etwa sind bereits 40 Prozent der Böden geschädigt. In vielen Gebieten, vor allem in Afrika, liegt der Humusgehalt bei nur noch etwa einem Prozent und hat damit eine kritische Größe unterschritten. Auch deshalb müssen heutzutage in einer an sich reichen Welt mehr als eine Milliarde Menschen hungern.
Humus, Erde, Dreck – einer der wichtigsten Rohstoffe allen Lebens ist zugleich der am meisten missachtete. Der Boden habe keine Lobby, kritisierte Klaus Töpfer, früherer deutscher Umweltminister und ehemaliger Chef der UN-Umweltbehörde UNEP, bei einem Pressegespräch im Sommer 2012 in Berlin; er will deshalb in den kommenden Jahren ein internationales Netzwerk aufbauen, das Erkenntnisse über die Schädigung jener Hautschicht der Erde bekannt macht (www.globalsoilweek.org). Wie um seine These zu beweisen, waren zu dem Gespräch mit hochkarätigen Fachleuten, darunter der Chef der UN-Behörde gegen Wüstenbildung, gerade mal drei Journalisten erschienen. Wäre es um den Euro gegangen oder hätte die Deutsche Bank ihre Bilanzpressekonferenz gegeben – der Saal wäre rappelvoll gewesen.
Aber es sind nicht die kleinen Leute, die den Boden misshandeln. Die Agrokonzerne mit ihren schweren Maschinen und chemischen Keulen sind es, die der Erde die Haut abziehen. Die fossil-industrielle Landwirtschaft hat die engen Zusammenhänge zwischen Klima-, Humus- und Hungerkrise (mit)verursacht.
Wir sollten nicht vergessen: Bis vor ungefähr 160 Jahren basierte die Ernährung der Menschheit ausschließlich auf chemiefreiem Landbau. Die ersten sesshaften Menschen in Jungsteinzeit und Bronzezeit machten die Wälder durch Brandrodungen urbar und nutzten ihre Äcker und Weiden, bis sie nichts mehr hergaben. Später gingen sie zur Zwei- und noch später zur Dreifelderwirtschaft über: Nach einem bzw. zwei Jahren Getreide- und Fruchtanbau folgte ein Jahr Brache. Und zu allen Zeiten und in allen Teilen der Welt nutzen Gruppen von Bäuerinnen und Landwirten zudem die Erkenntnis, dass tierische und menschliche Exkremente dem Boden die Fruchtbarkeit zurückbringen können. In vielen bäuerlichen Kulturen galt und gilt es als höflich, wenn Gäste nach dem Festessen das stille Örtchen aufsuchen, um Nährstoffe zurückzulassen. Pflanzen, Menschen und Haustiere bildeten zusammen einen Nährstoffkreislauf, der bis zu Beginn des industriellen Zeitalters funktionierte.

Fossile Agroindustrie stößt an ihre Grenzen

Um 1840 entdeckte der Chemiker Justus von Liebig die wachstumsfördernde Wirkung von Stickstoff, Phosphat und Kalium auf die Pflanzen. Mineraldünger löste den tierischen Dung und die organische Düngung mit Pflanzenrückständen ab. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ersetzten – zunächst nur in den USA, dann auch in Europa – Traktoren und Schlepper den von Tieren gezogenen Pflug. Felder wurden zusammengelegt, immer größere Monokulturen entstanden. Mit zunehmenden Düngermengen stiegen die Ernten sprunghaft an und konnten eine wachsende Weltbevölkerung ernähren.
Heutzutage wird immer deutlicher, dass dieses System an seine biologischen Grenzen stößt und nicht zukunftsfähig ist. Synthetischer Dünger wird sich ebenso verteuern und zur Neige gehen wie der fossile Treibstoff für Traktoren und Agrofabriken. Schwere Maschinen verdichten die Böden und zerstören das Bodenleben. Stickstoff, Kalisalze und Pestizide verseuchen Äcker und Ozeane. Monokulturen beschleunigen das Artensterben und den Klimawandel. Gentechnisch veränderte Pflanzen und Hybridsorten, die ihre Fortpflanzungsfähigkeit verloren haben, bedrohen die Ernährungssouveränität und Unabhängigkeit von Bauernfamilien und ganzen Gesellschaften.
Die von einem internationalen Wissenschaftlerteam unter Leitung von Johan Rockström in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlichte Studie »Ein sicherer Betriebsbereich für die Menschheit« (A safe operating space for humanity) kam 2009 zu einem schockierenden Ergebnis: Im Ausmaß noch weit schlimmer als der Klimawandel seien das weltweite Artensterben und der außer Kontrolle geratene Stickstoff- und Phosphorkreislauf. In diesen drei von insgesamt neun untersuchten Bereichen seien die menschengemachten Probleme inzwischen so massiv, dass sie das sichere Weiterleben der Menschheit gefährdeten.
(© Yvonne Kuschel)
Für die drei Bereiche Artensterben, Stickstoff- und Phosphorkreislauf und Klimakatastrophe ist die fossile Agroindustrie mit- oder sogar hauptverantwortlich:
Tier- und Pflanzenarten sterben heutzutage mindestens tausendmal so schnell aus wie in den vergangenen 60 Millionen Jahren. Inzwischen gilt jede vierte Säugetier- und fast jede siebte Vogelspezies als bedroht, bei den Amphibien sind es sogar zwei Fünftel aller Arten. Weil spezialisierte Arten in den agrarischen Monokulturen keinen Lebensraum und keine Nahrung mehr vorfinden, ist die Artenvielfalt in unseren Städten inzwischen größer als auf dem Land. Perverserweise haben wir uns bereits daran gewöhnt, dass es in vielen Dörfern nicht mehr brummt und summt, sondern nach Gülle stinkt.
Die in rund 10.000 Jahren Landwirtschaft entstandene Vielfalt der Nutzpflanzen und Haustierrassen nimmt rasant ab, weil Agrokonzerne nur noch Hochertrags- und Hybridsorten züchten und die Züchtung zu monopolisieren versuchen. Von den 8.000 bekannten Nutztierrassen – vor allem Rinder, Schweine und Hühner – sind 1.600 bedroht oder bereits ausgestorben. Weltweit gingen in den vergangenen hundert Jahren laut Schätzung der UN-Ernährungsorganisation FAO rund drei Viertel der Kulturpflanzensorten verloren. Darunter vermutlich sehr viele, die an die kommenden Wetterextreme des Klimawandels besser angepasst wären als die heute eingesetzten.
Der globale Stickstoffkreislauf ist massiv gestört, seit vor gut hundert Jahren das zumeist mit fossiler Energie betriebene »Haber-Bosch-Verfahren« die Herstellung von synthetischem Stickstoffdünger möglich machte. Es wurde 1910 von der BASF zum Patent angemeldet und diente im Ersten Weltkrieg ausschließlich zur Herstellung von Sprengstoff. Zusätzlich zu den natürlichen Vorkommen gelangen auf diese Weise jährlich 105 Millionen Tonnen Stickstoff in den weltweiten Kreislauf. Inzwischen bestehen rund 40 Prozent des Stickstoffes in jeder unserer Körperzellen aus dieser künstlichen Produktion. Das Nitrat aus überdüngten Feldern landet in Flüssen und Meeren, wo es zunehmend für giftige Algen und tote Zonen sorgt. Mindestens zehn Millionen Europäer trinken nitratbelastetes Wasser. Die Stickstoffbelastung von Luft, Boden und Wasser kostet laut einer Studie des Centre for Ecology & Hydrology Edinburgh jeden Menschen in Europa jährlich 150 bis 740 Euro – das ist weit mehr als der angestrebte Nutzen aus der Landwirtschaft.
Der für Pflanzen, Tiere und Menschen überlebenswichtige Phosphor wird fast genauso schnell knapp wie Erdöl, der Förderhöhepunkt (Peak) wird wahrscheinlich 2030 überschritten. Laut Umweltbundesamt werden die Vorräte noch gut 80 Jahre reichen, aber zunehmend mit Cadmium und Uran belastet und immer weniger ackertauglich sein. Schon jetzt werden über diesen Weg jährlich schätzungsweise 120 bis 160 Tonnen Uran auf deutschen Feldern ausgebracht; niemand hat je genau untersucht, was das für die menschliche und tierische Gesundheit bedeutet, kein Atomgegner hat je dagegen demonstriert.
Statt den wertvollen Phosphor aus unserem Urin und die Nährstoffe aus unserem Kot zurückzugewinnen, werden diese über unser zentralisiertes Abwassernetz mithilfe eines Lebensmittels – Trinkwasser – weggespült. Pro Person und Jahr werden so etwa zwei Kilogramm Phosphor in mehr als 36 Kubikmeter Abwasser verdünnt. Mit viel Energie und hohen Kosten wird ein Teil davon gereinigt und über die Flüsse in die Meere geleitet. Der anfallende Klärschlamm ist oft so belastet, dass er nicht mehr als Düngemittel geeignet ist, sodass er mit viel Geld und fossiler Energie beseitigt werden muss. Phosphor wird so zum teuren Umweltproblem.
Der globale Kohlenstoffkreislauf ist ebenfalls massiv gestört. Weil wir die in Jahrmillionen zusammengepressten »unterirdischen Wälder« in Form von fossilen Energien wie Öl, Gas und Kohle verbrennen, gerät zuviel Kohlendioxid in die Atmosphäre. Unsere oberirdischen Wälder können diese Mengen nicht mehr zu Sauerstoff umwandeln, das Klima heizt sich auf. Fast 40 Prozent der globalen Treibhausgase werden direkt oder indirekt durch die heutige Agrar- und Lebensmittelproduktion verursacht, wenn man Verarbeitung, Transport, Verbrauch und Entsorgung miteinrechnet. Für jede erzeugte Nahrungskalorie werden vier bis 20 Kalorien fossiler Energie verbraucht – durch Düngemittel, Pestizide, Traktorfahrten, Rohstofftransport, Verarbeitung, Vermarktung, Verteilung an den Einzelhandel, Fahrten zum Supermarkt und Kochen. Bis ein Kilogramm konventionell erzeugtes Rindfleisch die Fleischtheke erreicht, werden so viele Klimagase freigesetzt wie bei einer Autofahrt von 250 Kilometern.
Konventionelle Milch etwa wird während ihrer Produktion mittels fossiler Treibstoffe quasi einmal um die Erde transportiert. Ihr Weg beginnt in Paraguay oder Brasilien, wo Gensoja als Tierfutter angebaut wird. Das Soja landet in einem europäischen Hafen, oft Amsterdam, und wird zum Beispiel nach Russland an Milchbauern weiterverkauft. Großhändler bringen die Milch zu süddeutschen Großmolkereien, wo sie unter anderem zu Milchpulver weiterverarbeitet wird, das dann etwa nach Kenia oder Jamaika exportiert wird.