Glücksökonomie - Ute Scheub - E-Book

Glücksökonomie E-Book

Ute Scheub

5,0

Beschreibung

Forscher sind sich einig: Lebenszufriedenheit hängt immer weniger von Geld und Besitz ab. Wichtig für persönliche Glücksgefühle sind soziale Fähigkeiten wie Kooperieren, Teilen oder sich für andere einsetzen – und sie finden immer öfter Eingang in unsere Arbeitswelt. Erfolgreiche Unternehmer, die bevorzugt Alleinerziehende beschäftigen oder sich selbst weniger Gehalt ausbezahlen als ihren Angestellten; Verbraucherinnen, die ökologisch wirtschaftende Bauernhöfe mitfinanzieren; Softwareentwickler, die ihre Arbeit zum freien Gebrauch zur Verfügung stellen – die Welt des Tauschens, Teilens und gemeinsamen Erlebens ist schier unendlich. Überall machen sich Menschen auf, neue Wege zwischen Markt und Staat zu suchen, gründen Unternehmen und Initiativen, die nicht mehr auf Geld-, sondern auf Glückslogik basieren, schaffen neue Umgangsformen, die zwischen dörflichem Zusammenhalt und urbaner Freiheit angesiedelt sind. Die so entstehende Glücksökonomie greift die alte Wachstumswirtschaft nicht frontal an, sondern wuchert fröhlich in sie hinein, um Räume zu schaffen, in denen Teilen wichtiger ist als Besitzen. Die Autorinnen haben Menschen besucht, die ein völlig anderes Leben führen, und berichten aus der bunten Welt des befreienden Miteinanders, die durch das Internet enorm befeuert wird.

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Annette Jensen, Ute Scheub
Glücksökonomie
Wer teilt, hat mehr vom Leben
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© oekom verlag München 2014Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Susanne DarabasKorrektorat: Maike SpechtInnenlayout, Satz: Ines Swoboda, oekom verlag
eBook: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-86581-863-8

Inhalt

Einleitung
Kapitel 1Wie geht’s dir, Menschheit?Ergebnisse der internationalen Glücksforschung
Kapitel 2Blick in den Maschinenraum des Kapitalismus – die Wachstumsspirale dreht sich immer schneller
Kapitel 3Vom Homo oeconomicus zum Homo cooperativus
Kapitel 4Die Umfairteilung von Geld, Arbeit und Status – egalitäre Gesellschaften sind glücklicher
Kapitel 5Solidarische Ökonomie – gutes Leben in selbstbestimmten Zusammenhängen
Kapitel 6Elektr(on)ische Revolution, Teil I – durch digitales Teilen entsteht Mehr und Besseres
Kapitel 7Patentfreie Produktion – alle können sich nehmen, was sie brauchen
Kapitel 8Wie das Internet lokales Tauschen, Teilen und gemeinsames Nutzen ermöglicht
Kapitel 9Forschung und Bildung befreien – Wissensdurst aus offenen Quellen stillen
Kapitel 10Schwarmgeld – Kleingeld schafft große Geldhaufen
Kapitel 11Elektr(on)ische Revolution, Teil II – erneuerbare Energien fördern dezentrale Selbstorganisation
AusblickAm Scheideweg zwischen Verderben und Glück
Anmerkungen

Einleitung

Glücksökonomie – was soll denn das sein? Ganz einfach: alle Formen des Wirtschaftens, welche die Lebenszufriedenheit von Menschen und Gesellschaften fördern. Die internationale Glücksforschung liefert klare Kriterien: Eigentum und Geld steigern das Wohlbefinden nur begrenzt; Kooperation macht weit glücklicher als Konkurrenz und Statusstress; Menschen haben Spaß am Teilen und Teilhaben, weil sie soziale Wesen sind – was wir in den ersten vier Kapiteln des vorliegenden Buches ausführlich darstellen. Das widerspricht allerdings den gegenwärtigen Formen des Wirtschaftens. Auch können Ökonomen das Zahlenwunder nicht erklären, dass Solidarität, Lebenszufriedenheit, Lachen und Glück sich mehren, wenn man sie teilt. Dabei wissen ganz normale Menschen: Wer teilt, hat mehr vom Leben.
In den weiteren Kapiteln beschreiben wir, wie Bewegungen neue Formen ökosozialen Wirtschaftens von unten aufbauen – hierzulande und weltweit. Wir sehen darin das Potenzial zu einer fundamentalen gesellschaftlichen Transformation. Die Solidarische Ökonomie ist schon älter, zu ihr gehören etwa Genossenschaften; andere wie die SharEconomy oder frei zugängliche Formen von Wissenschaft, Technik und Produktion sind noch jung. Den Beteiligten geht es nicht um individualisierte Selbstoptimierung im Wettbewerb miteinander; sie kooperieren, teilen und nutzen gemeinsam, weil sie es attraktiver finden.
Das Internet hat diese neuen Entwicklungen stark befördert. Mitten im Herzen des auf oben und unten, reich und arm angewiesenen Industriekapitalismus ist eine Infrastruktur entstanden, bei der alle Teilnehmenden gleichberechtigt sind: Jeder ist Sender und Empfänger, alles wird gleich schnell transportiert. Visionäre Informatiker haben früh Betriebssysteme und Programme zu »offenen Quellen« erklärt (Open Source) und damit zum Gemeingut. Weil es nichts kostet, Dateien zu kopieren und zu verschicken, sind Teilen und Teilhabe heute in einem nie gekannten Ausmaß möglich. Gegenwärtig entstehen in enormer Geschwindigkeit Kooperationen unter Gleichen – also in Peer-to-Peer-Netzwerken. Wir nennen dies »elektr(on)ische Revolution« – denn ihre zwei Säulen ruhen auf den dezentralen Techniken des Internets und der erneuerbaren Energien. Dies stellen wir ab Kapitel 5 dar.
Die neuen Strukturen eröffnen nämlich auch neue Chancen für die Vollendung der Energiewende. Nicht nur die Stromgewinnung, sondern auch seine Verteilung zu dezentralisieren ist das Anliegen von Pionieren, die wir im Kapitel 11 »Elektr(on)ische Revolution Teil II« vorstellen.
All das hat auch politische Auswirkungen. Früher konnten autoritäre Regierungen Oppositionelle durch Verfolgung schnell mundtot machen, heute haben Bürger und Bloggerinnen viel mehr Möglichkeiten, auch unerwünschte Inhalte zu verbreiten. Sämtliche politischen Systeme in West und Ost, Nord und Süd sind auch dadurch in eine Legitimations- und Partizipationskrise geraten. Symptome dafür sind die Arabellion mit ihrem Schrei nach Selbstbestimmung, Brot und Würde oder die direkte Demokratie auf den öffentlichen Plätzen von Kairo, Istanbul, Madrid und anderswo. Aber auch für Proteste wie den gegen Stuttgart 21 ist das Internet ein zentrales Instrument. Dass Geheimdienste dasselbe Internet nutzen, um solche Bewegungen und sogar ganze Gesellschaften zu überwachen, wie wir seit Edward Snowdens Enthüllungen wissen, ändert nichts an dieser Diagnose. Vielmehr ruft auch totalitäre Schnüffelei wiederum Kräfte von unten auf den Plan.
So disparat die Bewegungen erscheinen mögen und so vielfältig ihre Motive, sie haben doch einen gemeinsamen Kern: Sie wollen mehr Selbstbestimmung in ihren Arbeits- und Lebensweisen, und sie zielen darauf ab, sich Politik, Wirtschaft, Demokratie und öffentliche Räume wieder anzueignen. Wissen, Energie und fruchtbarer Boden sollen zu Gemeingütern werden, Handels- und Handlungsketten wieder überschaubar und verantwortbar. Es sind Versuche, die Souveränität über das eigene Leben und die Gestaltung der Gesellschaft wiederzuerlangen – nicht zuletzt auch durch Maßnahmen der Entschleunigung. Die Beteiligten reklamieren, es besser zu können als die abgehetzte politische Klasse.
Dieser gesellschaftspolitische Klimawandel könnte entscheidend mithelfen, den physikalisch-atmosphärischen aufzuhalten. Die verstorbene Trägerin des Alternativen Nobelpreises, Dekha Abdi Ibrahim aus Kenia, hat es so ausgedrückt: »Wenn genug Individuen, Städte und Religionsgemeinschaften auf klimafreundliche Strategien setzen, wird die Politik nachziehen. Von oben wird es keinen Wandel geben. Die Politik führt nicht, die Gesellschaft führt – und die Politik folgt.«
Mühsam, noch sehr unreif und instabil, mit allen Problemen und Widersprüchen, zeigt sich hier der Anfang einer neuen ökosozialen Gesellschaftsformation jenseits eines erdölgetränkten Turbokapitalismus. Wir behaupten nicht, dass sie sich durchsetzen wird, aber dass es eine Chance dafür gibt.
Die Lage ist extrem komplex, wir stehen am Scheideweg – oder wohl eher an einer Kaskade von Scheidewegen: Einerseits erleben wir die totale Vereinzelung und Vereinsamung der Individuen, andererseits eine neue große Sehnsucht nach Gemeinschaft. Überarbeitete und Unterbeschäftigte prägen die heutige Arbeitswelt – und parallel wächst eine neue Lust am Selbermachen. Hier Symptome vielfacher Entfremdung, dort der weitverbreitete Wunsch nach Selbstwirksamkeit. Einerseits eine geradezu totalitäre Kontrolle des Internets durch Konzerne und Geheimdienste, andererseits völlig neue kollaborative Zusammenschlüsse ebenfalls auf Basis des Internets. Vor allem Letztere stellen die traditionelle Mehrwertproduktion des Kapitalismus infrage und tragen den Keim zu einer neuen Gesellschaftsformation in sich, die manche Vordenker im üblichen Denglisch eine »commonsbasierte Peer-to-Peer-Produktion« nennen, eine Gemeingüterproduktion unter Gleichen.
Was gesellschaftlich üblich ist und den Alltag prägt, ist änderbar. Vielleicht hilft hier eine kleine Analogie aus den 1970er Jahren weiter: Wer hätte damals in den verrauchten Klubs und Kneipen gedacht, dass 40 Jahre später Zigaretten so verpönt sein würden und kaum noch jemand qualmt? In stillgelegten Tabakfabriken, etwa im österreichischen Linz, werden heute kreative Projekte der SharEconomy entwickelt. Die Analogie zum Wirtschaftswachstum ist dabei enger, als es auf den ersten Blick scheint. Wie das Rauchen, so ist auch der Wunsch nach »immer mehr« eine Sucht. Gegenwärtig lässt sie sich noch durch Billigenergie und Billigrohstoffe befriedigen, doch damit wird bald definitiv Schluss sein. Ein Ausstieg aus der Sucht ist nötig – und, wie wir glauben, auch möglich.
Noch drei letzte Vorbemerkungen seien gestattet. Erstens: Wachstum wird mit Zahlen gemessen. Überall und ständig wird deshalb alles quantifiziert und nach Geldwert berechnet. Ratingagenturen stufen Unternehmen und ganze Länder herauf oder herunter. Alles messende »Quantitäter« sind überall unterwegs, um Beschäftigte im Bildungs- oder Gesundheitswesen mit ständig neuen bürokratischen Aufgaben zu drangsalieren und von ihrer eigentlichen Arbeit abzuhalten. Dabei lässt sich Qualität nur in sehr eingeschränktem Maß durch Quantität beschreiben. Außerdem verändern auf Zahlen fixierte Evaluierer die Handlungen der Beobachteten – ähnlich wie in der Quantenphysik, wo die Messinstrumente Einfluss auf das Verhalten von Teilchen haben.
Dennoch kommen auch wir nicht umhin, Aussagen quantitativ zu untermauern. In unserer zahlengläubigen und zahlensüchtigen Gesellschaft nimmt niemand etwas ernst, was ohne Quantitäten daherkommt. Kein Diskurs ist heute ohne Zahlen führbar, die Debatte um Wirtschaft, Klima und Ressourcen schon gar nicht. Die Paradoxie könnte man so formulieren: Der Weg in eine neue zukunftsfähige, auf Qualität basierte Gesellschaft ist mit Zahlen gepflastert.
Auch die internationale Glücksforschung, deren Umfrageergebnisse und Rankings wir zitieren, ist dieser Paradoxie unterworfen. Ihre Forscherinnen und Wissenschaftler wollen Lebensqualität messen, können dies aber oft nur mit quantitativen Methoden. Das heißt nicht, dass ihre Aussagen nichts taugen. Sie können durchaus Trends erfassen, etwa die massive Abnahme von Lebenszufriedenheit in den Eurokrisenländern. Aber auch nicht mehr. Quantitäten sind Schatten von Qualitäten.
Dass ökosoziale Wirtschaftsformen längst den Mainstream durchwuchern, können wir ebenfalls nur mit Zahlen belegen: Der Sektor der unbezahlten und nichtberechnenden Ökonomie ist in allen Ländern größer als der bezahlte; weltweit ist etwa jeder siebte Mensch Mitglied in einer Genossenschaft; mindestens die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland hat Erfahrungen mit dem Tauschen und gemeinsamen Nutzen von Gegenständen gemacht.
Zweitens: Das journalistische Selbstverständnis gebietet es, Abstand zu halten zu dem, worüber man schreibt, und sich nicht mitreißen zu lassen von eigenen Gefühlen. Das ist uns bei der Recherche zu diesem Buch nicht gelungen. Als wir im Sommer 2013 anfingen, das Material zusammenzutragen, ahnten wir nicht, dass es uns selbst verändern würde. Auch war uns damals noch nicht klar, dass wir Berlinerinnen in einer Stadt wohnen, die für die sich global entwickelnde Vernetzungskultur vielleicht zurzeit die wichtigste ist. Junge Menschen aus aller Welt zieht es hierher, um neue Formen von Produktion, Kooperation und Teilen auszuprobieren, aber auch, um demokratische Werte gegen totalitäre Überwachungstendenzen zu verteidigen.
Sie pflegen ein neues Menschenbild, welches das Individuum nicht länger als isolierte Monade sieht, sondern als Vielfalt seiner Verbindungen zur Welt. Das ist keineswegs theoretisch oder abstrakt. Kommunikationsweisen verändern sich, wenn man das Glück und die Perspektive der anderen als elementar für das eigene Wohlbefinden ansieht. Konfrontation, Rechthaberei und Durchsetzungswillen dominieren dann nicht länger die Diskussion, sondern der Wunsch zu verstehen. Das impliziert eine Haltung, die das Gegenüber als gleichberechtigt und gleich wichtig sieht. Mit Psychokult und Ringelpiez mit Anfassen hat das nichts zu tun. Es ist schlicht sinnvoller, um Ziele schnell und mit weniger Aufwand und Kraftanstrengung zu erreichen. Für Alphatiere sind das freilich schlechte Nachrichten.
Wir haben bei unseren Recherchen viele sehr eigenwillige und willensstarke Persönlichkeiten kennengelernt. Nicht wenige faszinieren uns – und dazu stehen wir. Wir haben auch selbst erlebt, wie Peer-to-Peer in der Praxis funktioniert und sich anfühlt, nämlich selbststärkend. Das hat uns beide immer wieder überrascht – schließlich sind wir historisch geprägt von der in links-alternativen Kreisen üblichen konfrontativen Debattenkultur. Die nichtkonfrontative Empathie unserer Gesprächspartner hat sich auch auf uns übertragen und beim Verfassen des Manuskripts eine positive Energie freigesetzt.
Diese neuen Erfahrungen haben uns von Beobachterinnen zu Beteiligten gemacht. Das Buch ist im Geiste dieser neuen Kultur entstanden. Unsere intensive Zusammenarbeit hat zu deutlich mehr geführt, als wenn jede von uns für sich alleine recherchiert hätte. Ein Großteil der Gedanken, Ideen und Schlussfolgerungen in diesem Werk sind untrennbar mit unseren Gesprächspartnerinnen und -partnern oder den Aufsätzen und Büchern anderer Menschen verknüpft – und doch lässt sich vieles nicht Einzelnen zuordnen, sondern ist im Prozess der Vernetzung entstanden. Solche neuen Formen von Kollektivität basieren auf einer Wertschätzung vielfältiger Individualität, bei der die Einzelnen sich nicht dem großen Ganzen unterordnen, sondern darin einen selbst gewählten, ihnen angenehmen Platz finden. Wir sind Zeuginnen der These: Wer teilt, hat mehr vom Leben.
Dritte und letzte Bemerkung: Wir erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern können hier nur Ausschnitte und Porträts aus weltweiten Bewegungen zeigen, die immer mehr an Fahrt gewinnen – wissend, dass sich diese bereits bei der Veröffentlichung des Buches erneut verändert haben werden. Dennoch glauben wir, dass unsere Beschreibungen repräsentativ sind – auch für viele andere Projekte und Aspekte, die wir im begrenzten Rahmen eines Buches weglassen mussten.
Berlin, Mai 2014,
Annette Jensen und Ute Scheub

Kapitel 1Wie geht’s dir, Menschheit?Ergebnisse der internationalenGlücksforschung

»Wer Glück erfuhr, soll mit Beglückung niemals geizig sein.«
Sophokles
Ein Fischer hat einen guten Fang gemacht. Zurück im Hafen, ruht er sich zufrieden in seinem Boot aus. Ein schick gekleideter Tourist nähert sich, sein Fotoapparat klickt. »Wenn Sie noch mal rausfahren, werden Sie noch mehr fangen«, rät er dem Fischer. »Und wenn Sie das täglich viermal wiederholen«, redet er weiter auf den Verdutzten ein, »dann werden Sie in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben, mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr fangen … Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und Ihren Kuttern per Funk Anweisung geben. Sie könnten die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren …« Der Fremde überschlägt sich vor Begeisterung. »Und dann?«, will der Fischer wissen. »Dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen – und auf das herrliche Meer blicken.«
Aber das tue er doch schon, erwidert der Fischer. Der Tourist weiß nichts zu antworten. Beschämt und voller Neid auf den glücklichen Menschen schleicht er von dannen.
So erzählt es Heinrich Böll in seiner Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral, die so anschaulich wie kaum eine andere Geschichte ausdrückt, dass Wirtschaftswachstum Menschen nicht glücklicher macht.

Wirtschaft wächst, Glück nicht

Über 800 Meter hohe Wolkenkratzer, Einkaufshallen und Wellnesstempel, Kraftwerke, Computernetze, Keller voller Gold und Bankenpaläste. Die Weltbevölkerung hat in den vergangenen 30 Jahren unvorstellbare Reichtümer produziert. Das globale Bruttosozialprodukt hat sich zwischen 1983 und 2013 mehr als versechsfacht – von 11,6 auf über 74 Billionen US-Dollar.1 Würden die gängigen ökonomischen Annahmen stimmen, müsste die Menschheit heute ungefähr sechsmal so glücklich sein wie 1983 oder, sagen wir bescheiden, wenigstens wesentlich glücklicher. Doch tatsächlich ist die Lebenszufriedenheit im selben Zeitraum im Schnitt um kaum mehr als ein Tausendstel gestiegen. Ein Promille in drei Jahrzehnten – vernichtender kann die Bilanz unseres Wirtschaftssystems nicht ausfallen.
Die Umfrageergebnisse zum Wohlbefinden der Menschheit sind in zwei UN-Weltglücksberichten nachzulesen – wobei Glück darin nicht im Sinne einer augenblicklichen Verzückung verstanden wird, sondern als langfristiges Wohlbefinden und Zufriedenheit mit dem eigenen Leben.2 Für den ersten Report von 2012 haben die Glücksforscher John Helliwell und Richard Layard sowie der UN-Sonderberater Jeffrey Sachs sämtliche repräsentativen Umfragen zum Wohlergehen aus den letzten 30 Jahren ausgewertet, vor allem den Gallup World Poll, den World Values Survey und den European Social Survey.
Der Gallup World Poll befragt jährlich rund 150.000 Personen aus 150 Ländern, wie zufrieden sie mit ihrem gesamten Leben sind; der World Values Survey sammelt Daten aus 80 Ländern. Die Ergebnisse werden mit verschiedenen Methoden überprüft, etwa mit Untersuchungen, wie oft die Betreffenden am Tag vorher gelacht und sich glücklich oder traurig gefühlt haben, oder durch Interviews mit Dritten, wie sie die Stimmung der zuvor befragten Personen einschätzen.
Auch wenn grundsätzlich große Vorsicht gegenüber allen quantitativen Aussagen geboten ist – solche Befragungen sind nach Einschätzung des Schweizer Glücksforscherpaares Claudia und Bruno Frey trotz gewisser methodisch bedingter Verzerrungen »recht zuverlässig und stabil«: »Die Menschen sind durchaus in der Lage zu beurteilen, wie glücklich sie sind.« Ihr Fachkollege Richard Layard bestätigt: Zwar gebe es sprachliche und kulturelle Unterschiede in der Bedeutung des Wortes »Glück«, aber auch das könne methodisch berücksichtigt werden.

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