Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein prähistorischer Knochen einer als ausgestorben geltenden Zivilisation stürzt Frachterkapitän und Schmuggler Samuel Kors in ein neues Abenteuer. Er nähert sich den Grenzen des uns bekannten Universums.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
In dieser Reihe bisher erschienen
3301 Dwight V. Swain Dunkles Schicksal
3302 Ronald M. Hahn Die Stadt am Ende der Welt
3303 Peter Dubina Die Wächter des Alls
3304 Walter Ernsting Der verzauberte Planet
3305 Walter Ernsting Begegnung im Weltraum
3306 Walter Ernsting Tempel der Götter
3307 Axel Kruse Tsinahpah
3308 Axel Kruse Mutter
3309 Axel Kruse Ein Junge, sein Hund und der Fluß
3310Ronald M. Hahn Die Herren der Zeit
3311 Peter Dubina Die letzte Fahrt der Krakatau
3312 Axel Kruse Knochen
3313 Ronald M. Hahn Projekt Replikant
3314 Axel Kruse HBAB
3315 Axel Kruse Seitwärts in die Zeit
3316 Axel Kruse ASTRONOMIC
3317 Axel Kruse Glühsterne
TERRA - SCIENCE FICTION
BUCH 12
Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen
und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.
In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.
Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.
Copyright © 2024 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney
Vignette: Ralph Kretschmann
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
3312 vom 19.02.2025
ISBN: 978-3-68984-080-8
Geleitwort zu Knochen von Axel Kruse
Neverland
Knochen
Ankunft auf Demos
Runter
Der Marsch
Im Wald
Erkos
Der Geier
Senna
Die Welten des Brand’
Nochmal runter
Derolia
Über den Autor
Ich habe mindestens fünf Bücher von Axel Kruse im Bücherregal und drei auf dem Kindle. In sechs davon stehen zusammen acht Geleitworte. Alle von SF-Kollegen. Somit habe ich offenbar als erste weibliche SF-Autorin die Ehre, eine von Axels Geschichten einzuleiten. Das freut mich ganz besonders, denn ich schätze Axel als Autor und als Mensch sehr. Wir kennen uns schon viele Jahre, und obwohl wir luftlinienmäßig nur etwa fünfzehn Kilometer voneinander entfernt wohnen, treffen wir uns meist nur auf Cons in weiter Ferne. Auf gemeinsamen Heimfahrten über die Autobahn haben wir viele interessante Gespräche geführt und so erfuhr ich auch außerhalb der Literatur einiges über ihn und sein Leben. Bei einem gemeinsamen Museumsbesuch in Essen zum Thema -I was a Robot habe ich zudem einen seiner Söhne kennenlernen dürfen. Axel begegnet mir stets als Familienmensch, jemand, der sich um andere sorgt, sie im Leben unterstützt. Das findet sich auch in seinem Buch wieder.
In diesem sechsten Roman über den Raumfrachterkapitän Samuel Kors entführt uns Axel erneut in eine Welt voller Machtkämpfe, Intrigen, Unterdrückung, aber auch auf besondere Welten mit phantastischen Geschöpfen wie etwa den Mägen. Und Axel wäre nicht Axel, wenn nicht zahlreiche Raumschiffe darin vorkämen. Den Leser erwartet vordergründig eine spannende Abenteuergeschichte in einem rauen, aber auch farbenprächtigen Universum. Doch wenn man genau liest, so geht es nicht nur um Machtkämpfe in einem imperialen Reich, Drogenschmuggel oder das Geheimnis um einen prähistorischen Knochen. Nein, sondern wir begegnen auch Axel selbst. Denn hinter der rauen Schale Kapitän Kors’ verbirgt sich ein sensibler Mensch, dem seine Familie wichtig ist – seine Kinder, ob biologisch oder adoptiert. Es geht um Generationskonflikte, um das Loslassen der Kinder, damit sie ihre eigenen Fehler machen können, ihren eigenen Platz im Leben finden. Aber es geht auch um das Einstehen füreinander und die Hilfe in Zeiten der Gefahr und der Not.
Ich sehe in diesen Aspekten Axel persönlich durch die Figur Samuel Kors hindurchschimmern. Den Vater Axel und nicht nur den Autor. Jeder, der Kinder hat, weiß, dass es nicht immer leicht ist, diese auf ihrem Weg zu selbstbewussten Menschen mit selbstbestimmtem Leben zu begleiten. Axels Geschichte kommt aber keinesfalls bedrückt daher, sondern optimistisch und zukunftsbejahend. Natürlich erwarten den Leser auch Action, unerwartete Wendungen und ein detailreich ausgearbeitetes Universum.
Da ich das Buch schon gelesen habe, weiß ich, dass das Abenteuer um Kapitän Kors noch nicht zu Ende ist. Also tauche ein in die fiktive Welt des Axel Kruse mit ihren realen Anleihen und Bezügen, und lass dich ins Derolianische Reich entführen bis an den Rand des bekannten Universums und darüber hinaus ...
Jacqueline Montemurri
Dezember 2023
Neverland
Neverland, es war immer wieder ein Hochgefühl, zurück nach Hause zu kommen. Nach den letzten Ereignissen sehnte ich mich danach, auszuspannen, einfach nichts zu tun. Das war ohnehin das, was ich am besten konnte. Manche Wesen behaupteten zwar, dass durch eben dieses Verhalten der Intelligenzquotient binnen Tagen oder Wochen sinken würde. Aber was sollte das schon ausmachen, bei meinem mutmaßlich ohnehin nicht sonderlich hohen IQ?
Der letzte Sprung hatte uns nahe an unser Domizil herangebracht. Wir saßen beide im Kontrollraum, den wir so gerne als unsere Brücke bezeichneten. Nadarja sah hinreißend aus in ihrem trägerlosen Top, von dem ich wusste, dass sie es, sobald wir auf unserer Wasserlinse gelandet waren, abwerfen würde.
Ihre schulterlangen weißen Haare umrahmten ihr pechschwarzes Gesicht. Irgendetwas hatte sie mit ihrem Fell angestellt, vermutlich extrem gestutzt. Es wirkte eher wie Pelz. Die Haare waren kurz und gelockt beziehungsweise gekräuselt. Kurz dachte ich darüber nach, mir aus den abgeschorenen Haaren einen Pullover zu stricken, dann fiel mir ein, dass Nadarja das bereits einmal als sexistisch bezeichnet hatte. Wollte ich nicht riskieren, die nächste Nacht auf der Couch zubringen zu müssen, brachte ich das Thema besser nicht auf den Tisch.
„Anflug in rund zehn Minuten, Kapitän“, sagte sie und grinste mich dabei an.
Ich nickte. „Willst du ...?“
„Der Chef überlässt dem kleinen Maat die Brücke? Wie komme ich zu der Ehre?“
Ich hoffte, dass das lediglich ironisch gemeint war und nicht zu einer dieser Auseinandersetzungen führen würde, die ich sowieso verlieren musste, selbst wenn ich sie gewann.
„Keine Angst, ich freue mich genauso wie du auf eine Auszeit.“ Ihr Lächeln ließ mich dahinschmelzen. „Und wer weiß, vielleicht schwimmen wir ein wenig, lassen uns von der Sonne trocknen und dann ...“
Ich vervollständigte den Satz in einem Tagtraum.
Sie nahm ein paar Eingaben am Display vor, die Lahme Ente änderte ihre Position und ging in den Sinkflug über. In wenigen Minuten würden wir zu Hause aufsetzen.
Neverland, diesen Planeten, der nicht wirklich einer war, hatten wir vor Jahren entdeckt und zu unserem Domizil erkoren. Soweit wir wussten, hatte ihn noch nie jemand anderer betreten geschweige denn überhaupt zur Kenntnis genommen. Er befand sich draußen, weit draußen am Rim. In einer Region, durch die keine häufig frequentierten Schifffahrtslinien führten. Wer hier unterwegs war, der hatte Gründe dafür. Entweder wollte er sich verstecken, war somit auf der Flucht, oder es handelte sich um Explorer, die neue Welten suchten.
Das Besondere an Neverland war, dass es sich um einen riesigen Wasserball handelte. Sozusagen ein Planet, der ausschließlich aus Wasser bestand. Kein Fels, der von dem flüssigen Element bedeckt war. Nein, da war nichts, außer dieser gigantischen Wasserblase. Kein Land, kein Berg, kein Grund. Keine Inseln.
Lediglich riesige Pflanzenblätter, Wasserlinsen, mit einem Durchmesser von mehreren Kilometern. Sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen Ausrichtung. An der Unterseite dieser Linsen schwammen Wurzeln im Meer. In diesem Ozean, aus dem die Welt bestand. In dessen Tiefe Kreaturen lebten, mit denen wir glücklicherweise nichts zu tun hatten. Wir ließen sie in Ruhe und sie uns, da sie das Wasser nicht verließen. Oft saßen wir an der Abbruchkante, nicht weit von unserem Haus entfernt, und sahen in die untergehende Sonne, während Flossen das Wasser zerteilten und gigantische Leiber knapp unter der Oberfläche dahinschwammen.
Wir hatten uns ein Schwimmbassin von hundert mal hundert Metern ausgebaggert und mit einem ausgeklügelten System mit dem Meerwasser verbunden. So wurde es ständig von frischem Wasser durchspült, was dafür sorgte, dass das Wasser nicht brackig wurde. Einzelne Pflanzen, die wir angesiedelt hatten, hatten sich mittlerweile so stark vermehrt, dass unser Schwimmteich ein tolles Biotop war.
Zugegeben, es war ein gigantischer Schwimmteich. Aber wenn wir hier eines hatten, dann war es Platz.
Auf der anderen Seite unseres Hauses schlossen sich die etwas schlichten Unterkünfte für die Saisonarbeiter an, die wir regelmäßig einmal im Jahr zur Ernte der Nüsse herholten. Der Nüsse, die wir damals im Derolianischen Imperium hatten mitgehen lassen. Sie hatten uns, zu Gewürz zermahlen, die Geldmittel zur Verfügung gestellt, mit denen wir den Geier hatten erwerben können. Das Schiff, mit dem mittlerweile die Kinder unterwegs waren. Ebenfalls im Frachtgeschäft.
„Sie sind nicht hier“, meinte Nadarja, nachdem wir aufgesetzt hatten.
Offensichtlich, das Landefeld war leer.
Wir stiegen aus. Nadarja lächelte vielsagend, als ich die Luke der Lahmen Ente sorgfältig verschloss.
„Sam, hier ist niemand, der dir das Schiff stehlen kann.“
„Gewohnheit.“
„Zwanghaftes Verhalten“, entgegnete sie.
Ich zuckte mit den Achseln. Natürlich hatte sie recht, aber ich konnte nicht anders. – Das sagte ich besser nicht laut, das wäre Wasser auf ihre Mühlen.
Wir gingen in Richtung unseres Hauses. Die Sonne war gerade aufgegangen, ein leichter Wind blies vom Meer herüber. Es versprach, ein wunderschöner Tag zu werden.
Nadarja, die einige Schritte vorangegangen war, verhielt abrupt. Ich konnte gerade noch vermeiden, in sie hineinzulaufen.
„Das Fenster, Sam! Das Fenster ist offen!“
Jetzt sah ich es auch. Wieso hatten die Kinder das Fenster im Obergeschoss weit offen stehen lassen, als sie abgeflogen waren?
Meine Hand tastete zur Hüfte. Blöd! Natürlich hatte ich mir keine Waffe umgeschnallt. Warum auch? Wir waren hier zu Hause.
Der erste Impuls war umzukehren, zurück zum Schiff und mich zu bewaffnen. Der zweite sagte mir, dass es dazu zu spät war, weil sich soeben die Eingangstür unseres Domizils öffnete.
„Da seid ihr ja“, trällerte eine Stimme. Ein etwa ein Meter großer Vogel stolzierte heraus. Wobei das etwas seltsam aussah, weil seine Beine über mehrere Gelenke verfügten, die es ihm ermöglichten, sich, ähnlich wie ein Zollstock, zusammenzufalten. Sein Gefieder war hauptsächlich gelb, wobei sich ab und an bereits schwarze Flaumfedern zeigten. Einer der Teppen.
„Lilith“, sagte Nadarja. „Schön dich zu sehen.“
Ich hatte ja meine Probleme damit, sie auseinanderzuhalten. Für mich sahen sie alle gleich aus. Zuerst hatte ich mich an den unterschiedlichen Verfärbungen der Schnäbel orientiert, musste dann aber feststellen, dass diese sich rapide veränderten, sodass eine Identifizierung alleine anhand dieses Merkmals unmöglich war.
Sie gackerte, anders konnte ich das nicht nennen. Das war ihre Art, Wohlbefinden auszudrücken.
„Wo sind die anderen?“, fragte ich.
„Mit Rosalie und Birg abgeflogen. Ich hatte keine Lust, bin lieber hiergeblieben. Einer muss ja auf Haus und Hof aufpassen.“
Nadarja breitete die Arme aus und umarmte unser Findelkind. Ich stand etwas dümmlich daneben, bis auch ich an die Reihe kam. Kurz zuckte ich zurück. Vor diesem Schnabel hatte ich höllischen Respekt. Der war an der Spitze messerscharf, was seinerzeit, als die Viecher gerade geschlüpft waren, zu dem einen oder anderen Unfall geführt hatte. Wobei sie damals nur zwackten, mittlerweile hätte dieser Schnabel ohne Weiteres meine Halsschlagader mit einem Biss durchtrennen können.
Aber warum sollte Lilith das tun?
Sie liebkoste mein Gesicht mit ihrer Zunge. Wenn ich ehrlich war, fand ich es etwas eklig.
„Alles in Ordnung hier?“, fragte ich.
Nadarja sah mich aus dem Augenwinkel an. Kontrollzwang, das konnte ich in diesem Blick lesen.
„Klar, alles in Ordnung. Wieso auch nicht?“, trällerte Lilith. „Wollt ihr Frühstück?“
Wir lachten.
„Warum nicht? Für uns ist es zwar eher Abend, aber gegen einen Imbiss ist nichts einzuwenden.“ Nadarja schob sich ins Haus hinein.
„Setzt euch auf die Terrasse, ich bringe alles raus.“ Mit diesen Worten hüpfte unser Findelkind in Richtung Küche davon.
Wir ließen uns auf der Terrasse nieder und genossen die Sonnenstrahlen.
„Schwer zu glauben, dass sie von so vielen Spezies gejagt werden“, meinte Nadarja.
Da sprach sie einen wunden Punkt an. Die Teppen, die hier bei uns lebten, waren möglicherweise die Letzten ihrer Art. Ihre Spezies war Opfer eines Genozids geworden. Ihnen wurde vorgeworfen, ob berechtigt oder unberechtigt, das konnte wohl niemand sagen, dass sie für die Welten des Brand’ verantwortlich waren. Für diese Schneise an ausgebrannten Sonnen, die sich wie eine Art Straße durch die Milchstraße zog.
Ich konnte mir beileibe nicht vorstellen, dass dies das Werk einer intelligenten Spezies gewesen sein sollte. Ich hatte mir immer irgendein Naturphänomen vorgestellt, das zu diesem Ergebnis geführt hatte. Aber was wusste ich schon?
„Nicht unbedingt schlau von Rosalie und Birg, dass sie die Teppen mitgenommen haben“, brummte ich.
„Du mit deiner Schwarzseherei, sollen die Kinder ihr Leben hier verbringen?“
Natürlich, das war das Argument schlechthin. Aber wenn sie da draußen an den Falschen gerieten, dann konnte alles passieren.
Lilith brachte das Frühstück auf einem Tablett nach draußen. Kaffee für Nadarja, Tee für mich. Darjeeling, die Ernte vom letzten Jahr aus unserer eigenen Plantage.
Wir ließen es uns schmecken. Unser Findelkind hatte seine Beine eingeklappt und sich so an den Tisch gehockt. Sie benötigte keinen Stuhl wie wir Menschen.
Gut, dass ich das nicht laut gesagt hatte. Nadarja bestand darauf, dass sie nicht der menschlichen Spezies angehörte, sondern den Garata, heimisch auf Sylvej. Für mich stand jedoch fest, dass es sich bei den Garata um eine Unterart der Gattung Homo handelte. Einfach dadurch bewiesen, dass die Genstruktur so weit kompatibel war, dass sie mit dem Homo sapiens Nachwuchs zeugen konnten.
Außerdem gab es da in ihren Legenden diese Erzählung von Peter Pan und den verlorenen Kindern auf der Insel Neverland. Was letztendlich zu der Namensgebung unseres Planeten geführt hatte. Woher kannten die Garata Barrie? Nadarja behauptete immer wieder, es handele sich um eine ihrem Volk eigene Sage. Ich hatte versucht, ihr zu beweisen, dass es sich um eine uralte Erzählung eines irdischen Schriftstellers handelte. Allerdings ohne Erfolg. Sie blieb da hart. Ihr war das bereits als Kind von ihrer Mutter erzählt worden. Was konnte ich dagegen noch einwenden?
„Wo sind die anderen denn hin?“, fragte Nadarja zwischen zwei Schlucken Kaffee.
„Nach Demos, Birg hat sich da einen vielversprechenden Frachtauftrag von versprochen.“
Sicher, wir mussten Geld hereinholen. Hier auf Neverland waren wir nicht autark und die Einnahmen aus den Verkäufen der Nüsse waren rapide zurückgegangen, nachdem wir das Monopol der Derolianer durch den Verkauf von keimfähigen Nüssen gebrochen hatten. Mittlerweile existierten an vielen Stellen außerhalb des Derolianischen Imperiums Plantagen. Wir hatten unsere Verdienstmöglichkeit selbst zerstört.
„Nie gehört“, meinte Nadarja.
„Liegt wohl am Rim“, entgegnete Lilith.
„Binsenweisheit“, sagte ich.
Sie gackerte.
„Wollt ihr die Koordinaten?“
„Später, jetzt will ich erstmal ausruhen.“ Ich blickte auf das Meer hinaus. Die Wasseroberfläche war ruhig. Gerne wäre ich auch mal dort geschwommen, aber das war zu gefährlich. Man wusste nie, was da aus den Tiefen hochkommen und einen als Snack verspeisen würde.
„Gehen wir schwimmen?“, fragte ich in Richtung von Nadarja.
„Schwimmen? Aber nur schwimmen!“, stellte sie klar.
Das Argument kannte ich. Solange Kinder anwesend waren, war Sex tabu. Nun, da würde ich dann bis zum Abend warten müssen. Ade Tagträume.
Letztendlich war es mir von vornherein klar gewesen. Ich hatte damit gerechnet, dass die Kinder hier sein würden. Nicht nur eins.
Egal, schwimmen war nach der langen Zeit an Bord des Schiffs eine wundervolle Option.
Den Tag verbrachten wir tatsächlich mit Faulenzen. Ich hatte mir ein Buch geholt, lag auf der Terrasse und las. Das hatte ich schon lange nicht mehr gemacht. Ein verdammt altes Exemplar, noch auf der Erde gedruckt, wenn ich dem Impressum glauben durfte. Allerdings sollte es dann Jahrhunderte alt sein, was dem Zustand, in dem es sich befand, widersprach.
Egal, es war faszinierend, sich in die Schilderung eines vor langer Zeit lebenden Schriftstellers hineinzuversetzen. Mitzuerleben, wie er die Reisen im Weltraum und die damit verbundenen Konflikte und Erstkontakte mit Fremdintelligenzen beschrieb. Eine Fiktion, die mit der Realität so gut wie nichts gemein hatte.
Nadarja rollte wie immer mit den Augen. Sie sprach es nicht aus, aber nonverbal brachte sie zum Ausdruck, dass sie nicht nachvollziehen konnte, wie ein erwachsener Mann sich mit so etwas die Zeit vertrieb.
Der Jetlag schlug voll zu, es war schwer für mich, wach zu bleiben. Aber ich zwang mich dazu. Ich wollte in den heimischen Rhythmus finden und das bedeutete eben, dass ich wach bleiben musste.
Hundemüde, von Kopfschmerzen geplagt, schleppte ich mich zum Abendessen, welches Lilith mit Hingabe gekocht hatte.
„Sam, wir sollten morgen los“, empfing mich Nadarja, bevor ich auch nur den ersten Bissen heruntergebracht hatte.
„Was?“, meinte ich. Nicht sonderlich intelligent, die Antwort. Aber das war möglicherweise der Tatsache geschuldet, dass der Intelligenzquotient durch Nichtstun schnell sank.
Sie rollte mit den Augen.
„Ich habe mal recherchiert, wo Demos liegt.“
Das reichte mir als Antwort nicht wirklich, aber ich war sofort hellwach. Wenn Nadarja ein Warnsignal aussandte, dann nahm ich das ernst.
„Das liegt in der direkten Nähe der Welten des Brand’“, führte sie aus.
Das war nicht gut, überhaupt nicht gut.
„In der Region sind die Teppen nicht gut gelitten“, sagte sie. „Ich verstehe nicht, wieso Birg und Rosalie die Kleinen da mit hingenommen haben.“
„Nun, wenn sie an Bord bleiben ...“ Selbst ich wusste, dass die Entgegnung lahm war.
Nadarja ging auch nicht drauf ein. „Wir müssen da hin, Sam.“ Mehr sagte sie nicht.
Und natürlich hatte sie recht damit. Wer war ich schon, dass ich hier ruhig dem Müßiggang frönen konnte, wenn sich die Kinder in Gefahr befanden? Gut, in potenzieller Gefahr. In möglicher Gefahr. Vielleicht waren wir auch nur über das Maß hinaus besorgte Eltern. Birg und Rosalie waren erwachsen, sie wussten, was sie taten. Sie würden auf die Kleinen aufpassen.
„Sollen wir wirklich bis morgen warten?“, fragte ich.
Nadarja sprang auf. „Ich wusste, dass du das sagen würdest“, meinte sie.
„Das Essen?“, fragte ich.
„Das nehmen wir mit an Bord“, schlug sie vor.
„Lilith?“
„Muss mit, die lassen wir nicht alleine hier.“
Womit Nadarja selbst, zumindest nach ihrer Argumentation, die Kleine einer Gefahr aussetzen würde. Andererseits hatte auch ich Probleme damit, wenn jemand aus unserer Familie hier auf Neverland blieb, ohne dass ein Raumschiff zur Verfügung stand. Wer sagte denn, dass uns nichts zustieß? Dass wir womöglich daran gehindert waren, zurückzukommen? Hier auf Neverland waren wir nicht autark. Sicher, wir hatten Vorräte, aber die waren endlich und der Tod durch Verhungern vorprogrammiert, auch wenn es eine Zeit dauern würde.
„Lilith, wir fliegen noch heute ab“, entschied ich. „Pack deine Sachen, du kommst mit.“
Sie meckerte ein wenig herum, fügte sich letztendlich aber doch. Wahrscheinlich war ihr in der Zwischenzeit schon ein wenig langweilig geworden.
„Keine vierundzwanzig Stunden zu Hause und schon wieder unterwegs, ist das neuer Rekord?“
Nadarja nickte. „Das müssen wir in Zukunft versuchen zu toppen.“ Ihre Stimme klang etwas gequält. Sie versuchte, Normalität in die Situation zu bringen, was ihr schlechterdings nicht gelang.
Ich redete mir ein, dass wir nur überbesorgte Eltern waren.
Knochen
Sechs Tage Flugzeit. Unzählige Sprünge. Zweimal waren wir durch natürliche Sprungpunkte gegangen. Was hatte Birg nur dazu gebracht, nach Demos zu wollen? Gab es in der Nachbarschaft keine Frachtaufträge?
Lilith konnte uns da keine Auskunft geben. Sie hatte wohl nicht richtig hingehört, um was es ging, und vor allem, woher Birg die Information über diesen lukrativen Auftrag hatte. Ihr war wichtig gewesen, zu Hause sturmfreie Bude zu haben. Wobei ich nicht verstand, was das Attraktive daran war, alleine, also wirklich absolut allein, zu Hause zu sein.
Etwas Gutes hatte der Flug letztendlich doch. Wir konnten unsere Suite verschließen, Lilith hatte ihre eigene Kabine und ich musste nicht mit der Couch vorliebnehmen.
„Noch zehn Sprünge bis Demos“, klärte mich Nadarja auf. „Unsere Vorräte gehen zur Neige, wir sollten bei der nächsten Station anlegen und sie auffüllen.“
In der Hektik hatten wir uns auf Neverland nicht versorgt. Was grundsätzlich auch nicht vorgesehen war, denn dann hätten wir die dortigen Vorräte ja wieder auffüllen müssen.
Ich nickte. „Was ist die nächste Station?“
„Berner“, antwortete sie.
„Nie gehört.“ In diesem Gebiet waren wir noch nie gewesen. Die Welten des Brand’ zogen sich wie eine Straße durch die Galaxie, unendlich lang. Zumindest kam es einem so vor. Wir waren schon des Öfteren an dieser Straße gewesen, aber eben noch nie hier in dieser Gegend.
„Eine kleine Station. Sitzt in der Nähe eines natürlichen Sprungpunktes. Wird betrieben von HeiHeis.“
„Sind das diese etwas mürrisch dreinblickenden Typen?“, fragte ich.
Sie lachte. „Sag ihnen das nicht, das würden sie dir übelnehmen.“
„Was machen die hier? Ihre Heimat ist doch ganz woanders.“
„Nun, was machen wir auf Neverland? Vermutlich war es irgendwann mal lukrativ für sie, hier eine Station zu betreiben, und ein Teil von ihnen ist dageblieben, als es sich für den Großteil nicht mehr lohnte.“
Nadarja schien sich bereits mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Station vertraut gemacht zu haben. Das war wichtig. Man musste wissen, mit wem man es zu tun hatte, bevor man irgendwo anlegte.
„Irgendwelche Bedenken?“, fasste ich nach. Ich konnte mich beherrschen. Meine Hand zuckte nicht nach unten, um sich davon zu überzeugen, dass der Kippschalter nach wie vor vorhanden war. Der Schalter, mit dessen Hilfe sich die zwangsweise an die Station zu übergebende Kontrolle über unser Schiff überbrücken ließ.
Sie schüttelte den Kopf, wobei ihre Haare gekonnt durch die Luft flogen. Sie wusste, wie sie mich beeindrucken konnte.
„Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre. Selbst die Edelgase stimmen in der Zusammensetzung mit dem Erdstandard fast überein. Die Lebensmittel, die die HeiHeis vertilgen, sind für uns verträglich, wenn sie auch nicht sonderlich schmackhaft sein sollen.“
Ich verzog das Gesicht. Wir hätten uns doch besser auf Neverland versorgen sollen.
„Computer“, wies ich die KI an, „alles bereit machen für die Übergabe der Kontrollen an die Station.“
Die Stimme der KI hatte einen süffisanten Unterton. Wo kam der her? Hatte Nadarja da etwas programmiert? Ich jedenfalls nicht. Obwohl ich mir schon lange vorgenommen hatte, unser Bordsystem mit einer anderen Stimme auszustatten.
Bildete ich mir das nur ein oder beobachtete Nadarja mich scharf? Wollte sie meine Reaktion prüfen? Missfiel ihr, dass ich die KI mit der Stimme meiner Ex ausgestattet hatte? Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Vielleicht bildete ich mir das ja auch nur ein.
„Alles vorbereitet, Kapitän“, antwortete die KI.
Das war definitiv nicht die Wortwahl, die ich ihr einprogrammiert hatte.
Jetzt darauf anzuspielen, war jedoch falsch, entschied ich. Dann würde Nadarja möglicherweise eine Diskussion darüber lostreten, warum ich nicht loslassen konnte.
Und ich dachte, ihr sei es egal.
Langsam, die Kontrollen beobachtend, schielte ich zu Nadarja hinüber. Sie schien mich nicht zu beobachten. Aber das konnte sie auch vortäuschen, da war sie sehr geschickt drin.
Ich betätigte die letzten Eingaben und übergab die Kontrolle über die Lahme Ente der Station. Wie immer hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Verstehen konnte ich es ja. Eine Station konnte es keinem Schiff erlauben, sich ihr zu nähern, ohne dass sie die volle Kontrolle über es hatte. Terroristischen Angriffen oder Unfällen wären ansonsten Tür und Tor geöffnet. Eine jede Station verfügte darüber hinaus über Abwehrmechanismen, die jedes Schiff, was die Übergabe der Kontrolle verweigerte, in seine Atome zerblasen würde.
Trotzdem machte es mich unruhig, nicht selbst bestimmen zu können, was passierte.
Wie immer bewegte sich meine Hand in Richtung des unter dem Armaturenbrett angebrachten Kippschalters. Es gab mir ein Gefühl von Sicherheit, ihn mit den Fingerspitzen berühren zu können. Immer wissend, dass es nur einen Sekundenbruchteil benötigen würde, wieder Herr des Geschehens zu sein.
Wir dockten problemlos an. Der Druckausgleich wurde herbeigeführt. Einem Überwechseln in die Station stand nichts mehr im Wege.
„Teilen wir uns die Arbeit“, schlug Nadarja vor. „Ich kümmere mich um die Obliegenheiten mit dem Hafenmeister, du sorgst für das Auffüllen der Vorräte und Lilith passt auf das Schiff auf.“
Ich nickte. Auch wenn ich lieber das mit dem Hafenmeister erledigt hätte, widersprach ich nicht. Das hätte womöglich dazu geführt, dass Lilith auch Ansprüche anmeldete, und sie wollte ich nicht auf der Station wissen.
Ein Rad. Den HeiHeis war die Installation künstlicher Schwerkraft womöglich zu teuer. Sie setzten auf die Fliehkraft, um Gravitation zu simulieren, ohne die jedes mir bekannte Lebewesen auf Dauer nicht überleben konnte.
Die Art der Konstruktion führte dazu, dass wir in der Nabe angedockt hatten und wir uns nun mit einem Lift in den äußeren Ring zu begeben hatte, in dem sich die Büros, Unterkünfte, Geschäfte und Lagerräume befanden.
Nadarja umarmte mich, bevor wir aus dem Lift ausstiegen. „Pass auf dich auf, ich brauche dich noch“, hauchte sie in mein Ohr.
Das war mehr als untypisch für sie. Was wollte sie mir damit sagen? Eine Gefahr hier hatten wir praktisch ausgeschlossen, oder hatte sie doch etwas bemerkt und mir nur nicht mitgeteilt? Nein, entschied ich, das würde sie nicht tun. Damit blieb in meiner Wahrnehmung nur eine Möglichkeit übrig: Ich würde die kommende Nacht nicht auf der Couch verbringen müssen.
Vermutlich war das eine sehr einseitige, männliche Sicht der Dinge und sie wollte mir etwas völlig anderes mitteilen. Aber, so hatte ich entschieden, da mir keine andere Lösung des Rätsels einfiel, musste meine Lösung die korrekte sein.