Terror at the Gates - Scarlett St. Clair - E-Book

Terror at the Gates E-Book

Scarlett St. Clair

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Beschreibung

Sie ist der Anfang und das Ende.
Sie ist Frieden und Chaos.
Sie ist der Schrecken, der an die Tore klopft.

Lilith Leviathan hat ihrer mächtigen Familie den Rücken gekehrt. Sie will sich nie wieder kontrollieren lassen und findet Zuflucht in Nineveh, dem sündigsten Bezirk der heiligen Stadt Eden. Dort hält sie sich mithilfe ihrer Magie und kleinen Diebstählen über Wasser — bis sie in den Besitz eines rätselhaften Dolches gelangt, der uralte bedrohliche Mächte weckt, die lange schon hätten ruhen sollen. In ihrer Not wendet sie sich an den einzigen Mann, der ihr je etwas bedeutet hat: Zahariev, den ebenso mächtigen wie gefährlich faszinierenden Herrscher von Nineveh. Lilith war schon immer seine einzige Schwäche und während sie die düstere Wahrheit hinter dem Dolch und ihrer gesamten Welt aufdecken, spüren sie, dass da schon längst mehr zwischen ihnen ist als bloße Freundschaft ...

»Romantisch, spicy, düster - Scarlett St. Clair fesselt mich mit jedem Buch. Ich bekomme einfach nicht genug!« BREATHTAKINGBOOKWORLD

Der neue Roman von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Scarlett St. Clair

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Seitenzahl: 627

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Widmung

Aussprache Leitfaden

1. Teil

1. Kapitel

Zahariev

2. Kapitel

Zahariev

3. Kapitel

Zahariev

4. Kapitel

Zahariev

5. Kapitel

Zahariev

6. Kapitel

Zahariev

7. Kapitel

Zahariev

8. Kapitel

Zahariev

9. Kapitel

Zahariev

10. Kapitel

Zahariev

11. Kapitel

Zahariev

2. Teil

12. Kapitel

Zahariev

13. Kapitel

Zahariev

14. Kapitel

Zahariev

15. Kapitel

Zahariev

16. Kapitel

Zahariev

17. Kapitel

Zahariev

18. Kapitel

Zahariev

19. Kapitel

Zahariev

20. Kapitel

Zahariev

21. Kapitel

Zahariev

22. Kapitel

Zahariev

Anmerkung der Autorin

Über gebräuchliche religiöse Mythen/Themen

Bemerkungen zu Liliths Ursprung und ihrer Rolle im Roman

Letzte Anmerkungen

Die Autorin

Die Romane von Scarlett St. Clair bei LYX

Impressum

SCARLETT ST. CLAIR

Terror at the Gates

Roman

Ins Deutsche übertragen von Silvia Gleißner

ZU DIESEM BUCH

LILITH LEVIATHAN hat ihrer Vergangenheit den Rücken gekehrt. Sie will sich nie wieder von Männern kontrollieren lassen – vor allem nicht von ihrem Vater, dem Oberhaupt einer der fünf Familien, die über die Stadt Eden herrschen. Niemals möchte Lilith sich von jemandem abhängig machen, denn in Eden sind Frauen nicht mehr als einfache Schachfiguren und haben sich dem Willen der regierenden Männer zu beugen. Um diesem Schicksal zu entkommen, flieht Lilith nach Nineveh, dem verruchten und gefährlichen Stadtteil der Sünde, den einzigen Ort, an dem sie frei leben kann. Dort hält sie sich mithilfe ihrer Magie und kleinen Diebstählen über Wasser. Doch auch wenn sie hier sicher ist, stellt ihre neue Heimat sie vor ganz andere Probleme. Denn Nineveh gehört ihm – dem Anführer der Familie Zareth, dem Mann, der mit Informationen handelt und Angst schürt, dem alleinigen Boss der Unterwelt: Zahariev. Seit Jahren verbindet Lilith und ihn eine Anziehung, die sie weder leugnen noch einander gestehen wollen. Als Lilith bei einem ihrer Diebstähle in den Besitz eines rätselhaften Dolches gelangt, erwachen bedrohliche Mächte, die ihre gesamte Welt ins Wanken bringen. Gemeinsam mit Zahariev muss sie sich der Wahrheit stellen und erkennt, dass nicht nur ihr Schicksal, sondern auch das Feuer zwischen ihnen unausweichlich ist …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler

für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Für die Frauen, denen man erzählt hat, sie müssten sich der Vorherrschaft des Mannes unterwerfen.

AUSSPRACHE LEITFADEN

Elohim – EL-o-heem

Elohai – EL-o-hi

Lilith – LIL-ith

Zahariev – ZA-har-reev

Lucius – LOO-shuhs

Analisia – ANA-leese

Cassius Zareth – KAS-seeus ZA-reth

Gabriel De Santis – GAY-bree-l De SAN-tis

Esther Pomeroy – EST-erPOM-a-roy

Colette »Coco« D’Arsay – CALL-let »COCO« DAR-say

Macarius Caiaphas – ma-KAR-e-us KAI-uh-fuhs

Eryx – EAR-ix

Ashur – AH-shur

FAMILIEN

Zareth – ZAR-eth

Leviathan – La-VI-a-thin

Viridian – ver-ID-de-un

Sanctius – SANK-tus

Asahel – AH-sha-el

ORTE

Nineveh – NIN-a-vah

Akkadia – a-CAID-dia

Galant – GAL-ant

Hiram – HI-rim

Gomorrah – ga-MORE-uh

Sumer – SUE-mur

Kurari (Meer, Kanal, Inseln) – qu-RAR-ee

Wüste Nara-Sin – NA-ra-sin

Mount Seine – Mount Sin

ERZENGEL

Zerachiel – zer-AK-e-el

Raziel – RAZ-e-el

Uriel – UR-e-el

Menadel – MEN-a-del

Arakiel– ARA-key-el

Sariel – SAR-e-el

Metatron – MED-a-tron

1. TEIL

Genesis

Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt …

(Bibel, Einheitsübersetzung, Brief an die Epheser, 6,12)

1. KAPITEL

Bei dem Ritual wimmelte es nur so von Menschen. Glänzende Tische und samtene Sofas waren bereits überfüllt, sodass sich weitere Anwesende Schulter an Schulter unter dem pulsierenden blauen und purpurroten Licht drängen mussten, den Beginn des Spektakels abwartend.

Die Luftakrobaten würden von oben kommen, ihre rote Seide sich im Dunkeln entfaltend, wie Bänder aus Feuer würden sie das Publikum mit ihrer Kraft und Anmut hypnotisieren, während sie durch die rauchige Luft schwebten. Eine beliebte Attraktion in Nineveh. Jene, die von den anderen vier Stadtteilen hierherkamen, würden die Kirche glauben lassen, dass sie dieser zahmen Aufführung wegen hier waren, doch wir alle wussten es besser.

Ihr Abstieg begann pünktlich. Jeden Freitag ab drei Uhr staute sich in der Procession Street, der einzigen Straße in Eden, die alle fünf Stadtteile miteinander verband, der Verkehr. Der Ansturm begann mit den Finanzleuten aus Hiram, dann folgten die Industriellen aus Temple City, die Händler aus Galant und die Kunstschaffenden aus Akkadia. Doch hatten sie erstmal die Grenze nach Nineveh überquert, spielte es keine Rolle mehr, woher sie kamen. Sie waren allesamt Heuchler.

Oder Crits, wie die Einheimischen sie nannten.

Die meisten verbrachten das Wochenende damit, in der Sinners’ Row von einem Club zum nächsten zu ziehen, und am frühen Sonntagmorgen kehrten sie dann in ihre jeweiligen Stadtteile zum Gebet in ihre Tempel zurück. Bis Montag wären sie gereinigt, ihre Sünden vergeben und sie wieder bereit, fromm zu leben – bis zum nächsten Wochenende.

Vergebung ist eine Einladung zur Sünde. Sie wird dein Verderben sein.

Ich knirschte mit den Zähnen, als die Worte meiner Mutter lautstark und ungebeten in meinem Kopf widerhallten. Ihre Lehrsätze waren in mein Gedächtnis eingebrannt, darauf konditioniert, immer dann an die Oberfläche zu dringen, wenn ich in Kontakt mit irgendetwas kam, das ihren Lehren widersprach. Doch dieser Lehrsatz war einer der wenigen, denen ich tatsächlich zustimmte.

Vergebung war eine Einladung zur Sünde. Das konnte ich jede Woche beobachten, weshalb ich vor langer Zeit beschlossen hatte, dass ich mich nicht darum kümmerte, ob mir vergeben wurde.

Ich wollte lieber Sünderin sein als Heuchlerin.

Ich schlängelte mich durch die in Rot gekleidete Schar, so wendig wie die Seidenbänder der Luftakrobaten, doch anders als sie ging ich unbemerkt. Das war eine bewusste Entscheidung. Ich konnte Aufmerksamkeit auf mich lenken, wenn ich es wünschte, doch unter den Anwesenden hier hatte ich noch niemanden erspäht, der es wert gewesen wäre.

Und heute Abend brauchte ich etwas Teures.

Die Miete war fällig, und mein Vermieter hatte eben erst den Preis erhöht – schon wieder.

Meine Mitbewohnerin Coco, kurz für Colette, war die Straße runter zur Arbeit gegangen. Sie tanzte im Praise und hatte mich gebeten, zu Hause zu bleiben, doch nur, weil ihr die Art, wie ich über die Runden kam, nicht gefiel.

Ich war eine Vermittlerin von Gütern, für gewöhnlich von der religiösen Sorte, aber ich war nicht wählerisch. Ich war bereit, alles zu verkaufen, wenn ich einen guten Preis dafür bekam. Das Problem bestand darin, dass mein Job im Prinzip illegal war, da die Kirche den Verkauf heiliger Objekte verbot.

Coco nannte meine Methode Stehlen, ich nannte es meine Ressourcen nutzen, die rein zufällig Magie waren.

Um ehrlich zu sein, müsste ich das nicht tun, wenn Zahariev, Oberhaupt der Familie Zareth und des Stadtteils Nineveh, mich in einem seiner vielen Clubs tanzen ließe. Aber er weigerte sich.

Du würdest einen Krieg auslösen, Lilith, hatte er gesagt.

Ich verdrehte die Augen. Du bist so dramatisch, Zahariev. Niemand müsste erfahren, wer ich bin.

Du bist die Tochter des Hauses Leviathan, sagte er, als erklärte das alles. Außerdem mag ich meinen Schwanz, und dein Vater würde ihn mir abschneiden und in den Mund stopfen, wenn er herausfände, dass ich dich tanzen lasse.

Lass mich.

Zahariev.

Zahariev.

Zahariev.

Er war ein schöner und frustrierender Mann. Ich kannte ihn schon mein ganzes Leben lang. Er war acht Jahre älter als ich und vor fünf Jahren, nach dem Tod seines Vaters, zum Oberhaupt der Familie aufgestiegen. Er war schon immer ruhig und kontrolliert gewesen, größtenteils emotionslos, so wie alle Elohai. Das war der Name der Blutlinie, die jeder Familie Magie und mit ihr das Recht zu herrschen verlieh.

Nur dass das alles völliger Blödsinn war, denn das Blut der Elohai – das Blut Gottes – gewährte diese Magie nur Frauen. Es gab uns Macht, eine Macht, die wir aber nicht einsetzen konnten, weil wir den Männern untergeordnet waren.

Das ist die Strafe, die wir für die Versuchung des Ersten Mannes verdient haben, sagte meine Mutter immer.

Sie zitierte gern aus dem Buch der Herrlichkeit. Es war die religiöse Lehrmeinung, die in unserer Gesellschaft vorherrschte, die besagte, dass Männer sich vor Frauen hüten sollten.

Das bedeutete auch, dass anders als Zahariev, der dazu erzogen worden war, Oberhaupt seiner Familie zu werden, ich dazu erzogen wurde, eine Ehefrau zu sein. Da ich das einzige Kind meines Hauses war, würde mein Vater meinen Ehemann auswählen – das nächste Oberhaupt des Hauses Leviathan.

Ich hasste diesen Umstand zutiefst, und das war der Grund, warum ich weggelaufen war.

Zahariev ließ mich zwar nicht tanzen, dennoch bot er mir Zuflucht in seinem Revier.

Eine Hand legte sich um meine Taille, und ein älterer Mann zog mich an sich. Ich presste die Hände flach an seinen weichen Oberkörper. Er trug ein Anzughemd mit offenem Kragen und Schweißflecken. Seine Stirn glänzte, und sein Haar war schütter. Kichernd zog er mich enger an sich.

»Wo willst du denn hin, hübsches Mädchen?«

Ich machte schmale Augen und musterte ihn. Seine Anzugjacke hing über der Lehne seines Stuhls. Sie war aus Kaschmir, gleichmäßig genäht, mit Knöpfen aus echtem Tierhorn. Der Mann kam offensichtlich aus Hiram, dem Finanzviertel. Ich war mehr als vertraut mit diesem Gebiet. Dort war ich geboren und aufgewachsen.

Dort herrschte auch mein Vater Lucius als Oberhaupt der Familie Leviathan.

Der Mann musterte mich von oben bis unten, bis sein Blick an meinen Brüsten hängenblieb. Sie waren nicht besonders groß, aber in diesem Kleid, enganliegend mit dünnen Trägern, wölbten sie sich über dem Ausschnitt.

»So was wie dich gibt es heutzutage gar nicht mehr«, meinte er.

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Sag das noch einmal«, sagte ich. »In mein Gesicht.«

Der Mann hob den Blick. Ich hatte seine Wollust schon in dem Moment gespürt, als er mich an sich gezogen hatte, zügellos und finster, doch jetzt konnte ich sie sehen. Seine Pupillen waren geweitet und verschluckten die Farbe seiner Iris, seine Haut war gerötet, und sein Schwanz war hart und presste sich gegen den dunklen Stoff seiner Hose.

»Trotz«, sagte er, und ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. »Mir gefällt das, aber damit wirst du nie einen Ehemann finden.«

Ich presste die Hände weiterhin an seinen Brustkorb, sowohl um die Distanz zwischen uns zu wahren, da er mich enger an sich ziehen wollte, als auch um mehr Kontrolle über seine Erregung zu haben.

»Lass mich dich zähmen, Süße«, sagte er. »Das wird wirklich gut.«

Mich durchlief ein heftiger Schauder, als mir der Gedanke kam, dass wohl nur wenige Frauen den Klauen dieses Mannes lebend entronnen waren.

Ich ließ eine Hand zu seinem Oberschenkel gleiten, während die andere mitten auf seiner Brust blieb. Er fletschte die Zähne und kicherte triumphierend, aber ich griff nach seiner Energie, suchte nach den Teilen von ihm, die seinen Sexualtrieb nährten. Ich erkannte sie sofort – eine schwindel- und übelkeiterregende Kraft. Ich zog sie in den Raum zwischen uns. Außerhalb seines Körpers hatte seine Erregung kein Ziel und keinen Zweck mehr – sie war nur noch ein Kraftstoff, den ich nutzen konnte, um seinen Sexualtrieb abzutöten.

»Lass mich los«, befahl ich und verstärkte den Befehl mit Magie.

Er ließ die Hände sinken, und zugleich wurde sein Schwanz schlaff, als hätte man eine Nadel hineingestochen. Sein schleimiges Lächeln verschwand, und seine Pupillen verengten sich, sodass ich die Farbe seiner Augen jetzt sehen konnte, ein stumpfes Grau. So blass, wie er nun war, sah er weit älter aus als zuvor, beinahe zerbrechlich.

Es fühlte sich wie eine gerechte Bestrafung an.

Ich glitt ohne ein Wort zurück in die Menge, um mich von ihm zu entfernen, bevor er sich von den Auswirkungen meiner Magie erholen konnte. Die Folgen variierten von Mann zu Mann, je nach emotionalem Zustand, Kraft und Alter. Manche erholten sich schneller als andere, und ich vermutete, dieser Mann würde Schwierigkeiten haben, wieder ins Gleichgewicht zu finden. Der Gedanke erfüllte mich mit glückseliger Freude.

Ich lächelte, obwohl ich zitterte, als ich an das Gefühl seiner Hände auf meinem Körper dachte, feuchtkalt und rau. Ganz sicher hatte er geglaubt, er hätte einen Anspruch auf mich gehabt. Sie hat es doch darauf angelegt, würde er argumentieren, meine entblößte Haut wäre Beweis genug. Ich fragte mich, ob Zahariev oder sein Bruder Cassius die Begegnung beobachtet hatten. Falls ja, dann war meine Magie nicht das Schlimmste, das ihm heute Nacht widerfahren konnte.

Sosehr ich Männer wie diesen alten Kerl verabscheute, ich hätte besser aufpassen sollen. Es gab immer einen, dessen Verlangen so roh und unkontrollierbar war, dass es meinen Schild durchdrang. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wie ich diese Schwachstelle beheben konnte. Ich nahm an, dass ich einfach nicht mächtig genug war, und falls das stimmte, dann war ich geliefert.

Ich schob den Gedanken beiseite und konzentrierte mich stattdessen auf meine potenziellen Kunden.

Es waren zwar auch einige Frauen da, aber die Mehrzahl der Anwesenden waren Männer. An ihrer Kleidung konnte ich erkennen, woher sie kamen. Die Leute aus Hiram waren Angestellte und trugen wollene Anzüge; Leute aus Temple City trugen Polyester. Jene aus Akkadia kleideten sich lässiger, in Baumwolle, Leinen oder Mischgewebe, während jene aus Galant Arbeiter waren und eher strapazierfähige, dunkle Stoffe trugen. Optisch war es einfach zu erkennen, wo jeder seinen Platz in der Hierarchie hatte, aber hier, in der Stadt der Sünde, waren sie alle in einem gleich – ihrem Verlangen.

Heute war ich nach etwas Wertvollem auf der Suche, das ich in der Smugglers’ Row verkaufen konnte, um meine Miete zu bezahlen. Und in diesem Moment glaubte ich, genau das Richtige gesehen zu haben: einen Dolch.

Er fiel mir auf, weil die Edelsteine, die an seinem Griff und seiner Scheide eingefasst waren, schimmerten und schon bei der geringsten Bewegung seines Besitzers das diffuse Licht einfingen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Menschen Klingen trugen, wenn sie in den Tempeln arbeiteten oder die Tore bewachten, doch waren ihre Klingen meistens schlicht. Diese hier dagegen sah teuer aus und befand sich am Gürtel eines mittelalten Mannes aus Hiram.

Nachdem ich mein Ziel somit auserkoren hatte, beobachtete ich den Mann aus der Ferne.

Er sah gut aus, trug das ergrauende Haar kurz geschnitten und hatte einen gut getrimmten Bart. Er sah gesund und entspannt aus, wie er da lässig an der Bar lehnte, einen Ellbogen auf der Tischfläche, den anderen auf seine Stuhllehne gestützt, ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit in den Fingern. Er trug keinen Ring, was bedeutete, dass er entweder nicht verheiratet war oder ihn abgenommen hatte.

Das Problem war nur: Er war nicht allein. Zwei Männer, wahrscheinlich seine Kollegen, saßen neben ihm. Ich konnte nicht hören, worüber sie redeten, aber die Geschichte war wohl amüsant, denn ab und zu erhob sich ihr Gelächter über den Lärm der Menge. Ich fragte mich, ob seine Freunde meiner Arbeit im Weg stehen würden. Ich konnte natürlich versuchen, sie alle zu bezaubern, aber das würde eine Menge Magie erfordern, und eine Menge Magie erzeugte eine Menge Energie. Dies könnte den Sicherheitsdienst auf mich aufmerksam machen, und ich wollte nicht riskieren, davongeschleift zu werden, bevor ich diese Klinge in die Finger bekam.

Als spürte er meinen Blick, glitt der Blick des Mannes zu meinem Gesicht und dann über meinen Körper. Ich nahm das als Einladung näherzukommen und schlenderte an die Bar, manövrierte mich zwischen ihn und seine beiden Begleiter. Ich sah ihn nicht gleich an, sondern grüßte zuerst den Barkeeper. An Orte zu kommen, an denen ich heimisch war, hatte einen Nachteil, nämlich den, dass man mich kannte.

Der Barkeeper, Eli, zog missbilligend eine dichte Augenbraue hoch, und sein Blick huschte von mir zu dem Mann neben mir.

»Hey, Lils«, sagte er. »Was kann ich dir bringen?«

»Das Übliche«, bat ich.

Mein üblicher Drink war ein Strawberry Daiquiri, auch wenn ich nicht wusste, wieso. Mir gefiel einfach, dass er süß war, und Eli steckte immer eine ganze Erdbeere an den Rand.

»Kommt sofort«, sagte er.

»Danke, Eli«, trällerte ich.

Er versuchte, nicht zu lächeln, und hielt den Kopf gesenkt, ganz konzentriert auf seine Aufgabe.

Ich nahm mir einen Moment Zeit, um einen Blick auf die beiden Kollegen meiner Zielperson zu werfen.

»Hier, Schöne«, sagte derjenige, der mir am nächsten stand, und bot mir seinen Stuhl an. »Nimm meinen Platz.«

Ich akzeptierte es mit einem Lächeln. »Was für ein Schatz«, sagte ich. »Danke.«

Sonst gab es keine leeren Plätze mehr an der Bar, sodass der Mann nun stand. Sein Kollege zwinkerte mir zu, bevor er von seinem Stuhl glitt. Gemeinsam verschwanden sie in der Menge und ließen mich mit ihrem Freund allein.

Ich drehte mich zu ihm um. Seine Augen waren wie die des Mannes von zuvor; die Pupillen so geweitet, dass ich die Farbe seiner Iris nicht bestimmen konnte. Doch ich brauchte diese physischen Anzeichen gar nicht, um zu wissen, dass er erregt war. Ich konnte seine Erregung in der Luft zwischen uns auflodern fühlen.

Sein Lächeln entblößte eine Reihe gerader perlweißer Zähne.

»Hallo«, grüßte er. Ich hatte den Eindruck, dass er sich bemühte, seine Stimme tiefer klingen zu lassen.

»Hallo«, antwortete ich in meinem sinnlichsten Tonfall und hob mich in meinen Pumps auf die Zehenspitzen, damit ich auf den Barhocker gleiten konnte.

Sein Blick senkte sich erneut, glitt über die Konturen meines Körpers und katapultierte seine Erregung in den höchsten Gang.

Ich hatte ihn am Haken.

Eli schob mir meinen Drink zu. Das schrammende Geräusch von Glas auf Granit ging mir durch und durch.

»Setz es auf meine Rechnung«, sagte der Mann.

»Oh, du musst nicht …«

»Ich bestehe darauf«, sagte er.

Ich lächelte erneut und bot ihm die Hand. »Lilith.«

»Ephraim«, stellte er sich vor.

»Freut mich, dich kennenzulernen, Ephraim«, sagte ich und blickte ihm in die Augen, während ich aus dem Strohhalm in meinem Drink trank.

»Was führt dich heute Abend nach draußen?«, fragte er.

»Oh, ich wollte nur ein wenig Spaß haben«, sagte ich. »Und du?«

»Mit mir kann man Spaß haben«, erwiderte er.

Sein Verlangen wuchs, jede Welle seiner Erregung war stärker als die davor. Ich konnte das Auf und Ab fühlen; meine Magie, verknüpft mit seiner Energie. Mir wurde schwindlig davon, aber nicht übel, so wie bei dem letzten Mann.

Als meine Kräfte sich mit achtzehn Jahren entwickelt hatten, verursachte mir die Erfahrung noch heftige Übelkeit. Und wenn ich einen Mann traf, der Vergnügen an Gewalt hatte, geschah das immer noch.

Das Erwachen meiner Magie war der Untergang meines Gehorsams. Erst da wurde mir klar, dass alles, was die Kirche über Frauen verbreitete, eine Lüge war. Wir waren nicht verantwortlich für die Wollust der Männer. Wir existierten nur – und sie begehrten uns.

Manchmal beruhte dieses Begehren auf Gegenseitigkeit, manchmal nicht. Doch Männern fiel es schwer, ihrem Schwanz das Wort Nein begreiflich zu machen. Da unsere Welt ihnen einen höheren Wert beimaß, waren leider wir diejenigen, die darunter litten.

»Das ist eine schöne Halskette«, stellte Ephraim fest.

»Danke«, sagte ich und griff an meinen Anhänger. Es war ein goldenes Kreuz mit einem spitzen Ende, das es wie einen Dolch aussehen ließ. Mein Vater hatte es mir zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt. Er nannte es ein Amulett und sagte, dass es aus Gold geschmiedet sei, das in der Wüste Nara-Sin gefunden worden war. Angeblich sollte es irgendwelche Schutzeigenschaften besitzen.

Ich wusste nicht, ob das stimmte, und es kümmerte mich auch nicht. Die Halskette war mir wichtig, weil sie ein Geschenk meines Vaters gewesen war. Ich hatte sie seitdem nie abgelegt.

Männer machten immer Bemerkungen zu ihr, obwohl ich nicht wusste, ob sie wirklich die Schönheit der Kette wertschätzten oder ob sie ihnen nur einen willkommenen Anlass bot, auf meine Brüste zu starren.

»Du kommst aus Hiram«, stellte ich fest und hielt den Anhänger weiter umklammert. Er half mir, mich zu konzentrieren. »Was machst du hier?«

»Investments«, antwortete er.

Ich legte den Kopf schief und runzelte leicht die Stirn.

»Was bedeutet das genau?«, fragte ich und heuchelte Unwissenheit. Bei den meisten Männern aus Hiram kam ich nicht weit, wenn ich ihnen nicht das Gefühl gab, bedeutend zu sein.

»Ich verdiene Geld für andere Leute«, sagte er.

»Viel Geld?«, fragte ich.

Er lachte leise. »Mehr, als du dir vorstellen kannst.«

Ich ignorierte seine Arroganz. Ich musste diesem Mann, der sich einbildete, mich zu kennen, nichts beweisen. In Wahrheit war er derjenige, der nur glaubte, Reichtum zu kennen.

»Du musst sehr gut in deinem Job sein«, säuselte ich, schob mich ein wenig näher an ihn und ließ den Blick zu seinem Gürtel gleiten. Ich gab ein leises Aufkeuchen von mir: »Was für ein schöner Dolch!«

Der Mann senkte den Blick ebenfalls auf ihn, so als hätte er den Dolch ganz vergessen.

»Oh ja.« Er räusperte sich. »Nicht wahr?«

»Darf ich ihn anfassen?«, fragte ich, hob den Blick, um ihm in die Augen zu sehen, und gab mir Mühe, nicht innerlich über mein Verhalten zu schaudern. Das, was ich tun musste, um Geld zu verdienen, gefiel mir ebenso wenig wie Coco. Aber es bot uns beiden eine Unterkunft und sorgte für Essen auf dem Tisch.

»Schätzchen«, meinte er lässig. »Du darfst alles anfassen, was mir gehört.«

Ein Lächeln umspielte meine Lippen, obwohl ich in Wahrheit die Augen verdrehen wollte. Doch ich wollte diese Chance nicht verstreichen lassen, den Dolch aus der Nähe zu betrachten.

Der Mann nahm ihn vom Gürtel und reichte ihn mir. Er war schwerer, als ich erwartet hatte, und als ich ihn aus der vergoldeten Scheide zog, schmeckte ich hinten auf meiner Zunge etwas Metallisches.

Seltsam, dachte ich, schrieb es aber dem Alkohol zu.

»Er ist wunderschön«, sagte ich und blickte wieder in die Augen des Mannes. »Woher hast du ihn?«

»Ich habe einen Handel abgeschlossen«, sagte er.

Ich machte leicht schmale Augen, lächelte und legte einen sinnlichen Zauber in meine Stimme, den ich mir für Situationen aufhob, in denen ich mehr Informationen wollte.

»Lügst du mich gerade an, Ephraim?«

»Ja«, sagte er und blinzelte, offensichtlich bestürzt darüber, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte.

»Sag mir, Ephraim«, bat ich. »Woher hast du den Dolch?«

Diese Information brauchte ich aus vielen Gründen – unter anderem als Druckmittel.

»Ich habe ihn einem Mann auf der Straße gestohlen«, antwortete er. Er sprach beinahe wie ein Roboter, was meiner Magie geschuldet war, die seine wirren Gedanken durchforstete und seine tiefsten Geheimnisse offenbarte.

»Oh, Ephraim«, sagte ich in gespielter Entrüstung. »Wer war dieser Mann?«

»Ich kannte ihn nicht«, sagte er stirnrunzelnd. Sein Blick ging in weite Ferne, so als erinnerte er sich an den Abend, an dem er den Dolch gestohlen hatte. »Ich glaube, er arbeitete für die Kirche. Er war aber kein Bischof oder Priester. Dafür waren seine Gewänder zu schlicht.«

»Wo lebt dieser Mann, Ephraim?«

»Er ist tot«, bekannte er flüsternd. »Ich habe ihn getötet.«

Ein angstvolles Prickeln lief mir über den Rücken. Mit einem Mordgeständnis hatte ich nicht gerechnet. Trotzdem fuhr ich mit meiner Befragung fort. Solange seine Wollust auf diesem Niveau war, garantierte sie meine Sicherheit.

»Erzähl mir mehr, Ephraim.«

»Der Dolch gehörte ihm gar nicht. Sieh ihn dir an. Er ist zu prachtvoll für einen Mann der Kirche«, erzählte er. »Also folgte ich ihm. Ich wollte ihn nicht töten, aber er hat sich gewehrt. Ich habe mich nur selbst geschützt.«

»Ein Mitglied der Kirche zu töten ist ein Kapitalverbrechen, Ephraim.«

»Bitte erzähl es niemandem«, flüsterte er mit angstvoll geweiteten Augen.

Ich drehte das spitze Ende der Dolchscheide in meine Fingerspitze, als würde ich darüber nachdenken.

»Was gibst du mir, damit ich dein Geheimnis bewahre?«, fragte ich.

»Alles«, sagte er.

»Den Dolch?«

»Was immer du willst«, versprach er.

Er war so vollkommen in meinem Zauber gefangen, dass ihm Sabber aus dem Mundwinkel lief.

Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Wange. »Danke, Ephraim.«

Ich ließ die Bar und meinen Drink hinter mir, schob mir den Dolch zwischen die Brüste und verschmolz mit der Menge. Mir blieb nur wenig Zeit, bis meine Magie verklingen und Ephraim aus seiner Trance erwachen würde. Ich wusste nicht, ob er sich daran erinnern würde, was er mir gestanden hatte. Aber sicher würde er sich an mich erinnern und mich dann beschuldigen, ihm den Dolch gestohlen zu haben.

Bei meiner Flucht befürchtete ich weniger, in Schwierigkeiten zu geraten, sondern dass ich den Dolch würde zurückgeben müssen. Sicher würde Zahariev dies verlangen.

Ich behielt das Neonschild des Ausgangs fest im Blick, und meine Erleichterung wuchs, je näher ich ihm kam. Doch als ich die Menge hinter mir ließ, sah ich, dass die Tür von einem Mann im Anzug blockiert wurde. Als ich ihn sah, wandte ich mich um und wollte wieder in der Menge untertauchen, da wurde ich bereits von zwei Männern in schwarzen Shirts und Cargohosen umstellt.

Fuck.

»Hier entlang«, sagte der Mann im Anzug. Ich drehte mich zu ihm um, und er bedeutete mir, vor ihm her zu gehen.

Ich leistete keinen Widerstand und ging durch einen spärlich beleuchteten Korridor bis zu einem Aufzug.

Darin postierten sich die beiden Männer in den dunklen Shirts links und rechts von mir. Sie erinnerten mich an die Männer in den Diensten meines Vaters; Möchtegernhelden, die sich hart gaben mit ihren kräftigen, muskelbepackten, fest verschränkten Armen.

Ich nannte sie Anwärter. Sie bevorzugten den Begriff Mitarbeiter, auch wenn das eine Übertreibung war. Diese Männer wünschten sich sehnlichst eine dauerhafte Position in den Rängen der fünf Familien, und dafür würden sie so gut wie alles tun, selbst Dinge, die sie zerstörten.

Ich beneidete sie nicht um ihre Arbeit. Nach meinem Vater war Zahariev wahrscheinlich der am meisten Gefürchtete unter den fünf Bossen. Eine Meisterleistung, wenn man bedachte, dass er keine Gattin hatte und damit keinen direkten Zugang zu Magie. Er herrschte durch Angst, denn seine Währung waren Informationen. Er kannte genug schmutzige Geheimnisse, um jeden Mann mit Macht zu vernichten, sogar meinen Vater.

Manchmal fragte ich mich, wie es sein konnte, dass er immer noch am Leben war.

Der Aufzug kam abrupt zum Stehen, und mir drehte sich der Magen um. Als die Türen aufgingen, stieg der Mann im Anzug aus, ich folgte ihm, und die Anwärter trotteten mir nach. Sie brachten mich in einen Raum am Ende des Flurs, in dem sich nichts befand, außer einem Metalltisch. Als ich hörte, wie sich die Tür hinter mir schloss, drehte ich mich um und stellte fest, dass ich mit dem Mann im Anzug allein war.

»Du musst neu sein«, sagte ich.

Ich hatte weder ihn noch die beiden anderen Männer je zuvor gesehen. Das führte mich zu der Frage, wohin ihre Vorgänger verschwunden waren. Doch für gewöhnlich gab es dafür einen von zwei Gründen: Entweder waren sie im Rang aufgestiegen, oder sie waren tot.

»Wie kommst du darauf?«, fragte er.

»Der Mann, der vor dir diesen Job hatte, ließ mich immer gehen«, antwortete ich.

»Vielleicht hat er den Job deshalb nicht mehr.«

»Das glaube ich nicht.«

Der Mann legte den Kopf schief und musterte mich. »Heißt das, du wirst Schwierigkeiten machen?«

»Definiere Schwierigkeiten«, sagte ich.

»Wirst du aushändigen, was du gestohlen hast? Oder muss ich dich durchsuchen?«

»Wenn du mich des Diebstahls bezichtigst, wirst du mich durchsuchen müssen«, sagte ich.

»Wir haben beobachtet, wie du einen Dolch von einem Stammgast erhalten hast«, sagte er, als könne mich das dazu bewegen zu kooperieren, doch dazu war ich nicht in der Stimmung.

Ich zuckte nur mit den Schultern. »Er sagte, ich könne ihn haben.«

»Wir haben die Signaturen gelesen. Du hast Magie eingesetzt.«

So viel hatte ich vermutet. Sie hatten also deshalb am Ausgang auf mich gewartet. Ich war nicht wirklich überrascht. Fast jedes Unternehmen in Eden nutzte Technologie, um die Hitzesignaturen von Magie zu orten. Was ich heute Nacht getan hatte, war illegal. Ich durfte meine Magie nicht ohne männliche Aufsicht einsetzen. Da ich unverheiratet war, gebot mein Vater darüber, wann und wie ich meine Macht einsetzte. Doch er hatte meine Magie immer ignoriert, selbst als ich noch zu Hause lebte.

Ich konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Es musste sehr unangenehm für meinen Vater sein zu wissen, dass seine Tochter im Alter von achtzehn Jahren Sexmagie entwickelt hatte.

»Du weigerst dich, dich zu fügen?«, fragte der Mann.

»Ich ändere nur selten meine Meinung«, antwortete ich.

»Wie du willst«, sagte er und kam einen Schritt auf mich zu, während er ein Messer zückte. »Zieh dich aus, oder ich helfe dir dabei.«

Ich zog die Augenbrauen hoch und war unwillkürlich amüsiert. Das war das Problem mit Anwärtern. Sie wollten sich hervortun und beweisen – und das meistens auf bescheuerte Art und Weise. Dies war wahrscheinlich die letzte Nacht, die er für Zahariev arbeiten würde.

Ich blickte auf das Messer in seiner Hand und dann in seine Augen.

»Ich fürchte, du wirst mir helfen müssen.«

Ich versuchte nicht, besonders verführerisch zu klingen. Ich wollte nur, dass er ein wenig näher kam.

Ich wartete, bis er mich berührte, um zuzuschlagen. Dann rammte ich ihm eine Hand gegen den Ellbogen und die andere in sein Gesicht. Er taumelte, ließ das Messer fallen und hielt sich mit beiden Händen die blutige Nase.

Dann trat ich ihm zwischen die Beine, und er ging zu Boden.

Es hatte einige Vorzüge, die Tochter einer der fünf Familien zu sein. Mein Vater hat immer gewollt, dass ich in der Lage war, mich selbst zu verteidigen. Obwohl er an dieser verblendeten Welt maßgeblich beteiligt war, wusste er, dass Religion zu Feindseligkeiten führen konnte, vor allem gegenüber Frauen.

Ich hob das Messer vom Boden auf und setzte mich rittlings auf den Mann. Mit einer Hand packte ich sein dunkles Haar und hielt ihm das Messer an die Kehle.

Er wimmerte.

»Ich sagte doch, du solltest mich gehen lassen«, sagte ich.

Die Tür ging auf.

Ich rechnete mit den Wachen, aber ein schweres Seufzen verriet mir, dass jemand anders sich zu diesem Treffen hinzugesellt hatte.

Ich blickte auf und sah einen Mann. Er war auf die Art gutaussehend, die mich wütend machte, wahrscheinlich weil ich ihn gut kannte und nicht attraktiv finden wollte. Aber das war unmöglich. Für mich hatte er das perfekte Gesicht – eine wunderschöne Kinnlinie, volle Lippen, blaue Augen und dichtes dunkles Haar, das an den Seiten kurz rasiert war. Er hatte die Angewohnheit, sich mit der Hand hindurchzufahren, wenn er frustriert war, und in meiner Gegenwart war er das die ganze Zeit.

Er war geschäftsmäßig in einen schwarzen Maßanzug gekleidet. Mein Blick wanderte von seinem Gesicht zu seinem Hals, wo eine Reihe abnehmender Monde eintätowiert war. Sie verschmolzen mit Wolken, die über seine Brust verliefen, durchschnitten von Lichtstrahlen. Unter dem aufgeknöpften Kragen seines roten Hemdes waren sie nur teilweise zu sehen, aber ich hatte das ganze Motiv schon mal gesehen und wusste, dass auf seinem Brustbein und Bauch Engel miteinander kämpften. Es war eine Szene von Armageddon, dem Ende der Welt.

»Lilith«, sagte er in seinem tiefen Bariton. Er klang gelangweilt und ein wenig verärgert, als sei ich eine lästige Unannehmlichkeit.

Dem musste ich wohl zustimmen. Das war ich wirklich.

»Zahariev«, entgegnete ich, richtete mich auf und ließ das Messer fallen. »Hat ja lange genug gedauert.«

Sein Blick verschlang mich. Ich wollte darunter erschaudern, unterdrückte es aber und knirschte mit den Zähnen, um reglos zu bleiben. Ich fragte mich, ob er um die Macht seines Blickes wusste. Vermutlich tat er es. Ich fühlte mich davon fixiert und hasste es, dass ich mich fragte, ob das bedeutete, dass er enttäuscht von mir war.

Der Mann zu meinen Füßen stöhnte, und Zahariev wandte seine Aufmerksamkeit ihm zu. Erleichterung durchlief mich, aber ich versuchte, meine Entspannung nicht zu zeigen.

»Isiah«, sagte er, und der Mann kam taumelnd auf die Füße und hielt sich die Nase. Blut sickerte zwischen seinen Fingern hervor. »Willst du mir verraten, warum du dich mit der Tochter des Hauses Leviathan in einem verschlossenen Raum befindest?«

Der Mann sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ich musste beinahe grinsen, als ich seine schockierte Miene sah.

»Sie hat etwas gestohlen!«, sprudelte es aus ihm hervor.

»Beweise es«, zischte ich.

»Das habe ich doch versucht!«

»Indem du mich ausziehen wolltest?«

Zahariev zeigte nur selten Emotionen, doch als er das hörte, wurden seine Augen schmaler.

»Ich habe dir die Wahl gelassen!«

»Du hast mir gedroht«, sagte ich.

»Genug!« Zaharievs Befehl war wie ein Schlag ins Gesicht.

Wir verstummten beide und sahen ihn an.

»Mein Büro, Isiah«, sagte er.

»Sir …«

Zahariev musste ihn lediglich anstarren, und Isiah verstummte mit angespanntem Mund. Er nickte einmal knapp und verließ den Raum.

»Du glaubst, dass er tatsächlich gehorchen wird?«, fragte ich. »Wenn ich er wäre, würde ich abhauen.«

»Manche Menschen haben trotz ihrer Dummheit einen Sinn für Loyalität«, sagte Zahariev.

»Sollte das jetzt meine Gefühle verletzen?«, fragte ich.

»Du hast Gefühle?«

»Leck mich.«

Zahariev lächelte und kam näher. Seine glänzenden Schuhe machten ein klackendes Geräusch, als er auf mich zukam. Seine Energie traf mich wie ein Blitz. Sie jagte durch meinen Körper, prickelte auf meiner Haut und ließ mich den Rücken straffen. Es war nicht die Energie, die ich für gewöhnlich an Männern wahrnahm. Es lag kein Tropfen Verlangen darin, nur rohe Macht.

Sosehr ich sie hasste, schüchterte sie mich doch auch ein wenig ein.

Er blieb nur wenige Zentimeter von mir entfernt stehen und hielt meinen Blick fest. Er roch gut, nach Vanille und Sandelholz.

»Gib ihn her«, befahl er.

»Hol ihn dir«, forderte ich ihn heraus.

Er starrte mich weiter an. Ich wusste, dass er das nicht tun würde. Ich provozierte Zahariev schon seit Jahren, und noch nie hatte er nachgegeben und mich berührt.

Das beunruhigte mich, und genau deshalb provozierte ich ihn weiter.

Doch schließlich verdrehte ich die Augen und seufzte. »Ich hasse dich.«

Ich zog die kleine Klinge aus meinem Mieder und war enttäuscht, dass Zaharievs Blick nicht einmal für einen kurzen Moment zu meinen Brüsten huschte.

Verdammter Kerl, dachte ich.

Nur ein einziges Mal hätte ich gern das Gefühl, Macht über ihn zu haben.

Ich hielt den Dolch zwischen uns. Als er ihn nahm, runzelte er die Stirn.

»Es sieht dir nicht ähnlich, einen Mann wegen hübscher, nutzloser Dinge zu verführen«, meinte er.

Ich fand es seltsam, dass er den Dolch nutzlos nannte. Er war mit schweren Edelsteinen besetzt, die offensichtlich wertvoll waren. Doch dann kam mir der Gedanke, dass wir vielleicht verschiedene Vorstellungen davon hatten, was etwas wertvoll machte. Ich hoffte, dass das bedeutete, er würde ihn mich behalten lassen.

»Du weißt doch, dass ich den Reiz mag«, erwiderte ich.

Meine Arbeit hatte ein praktisches Element, doch zur Wahrheit gehörte auch, dass ich – in Ermangelung eines besseren Wortes – die Herausforderung mochte.

»Es gibt andere Wege, um sich einen Kick zu verschaffen, Lilith.«

»Irgendwelche Vorschläge?«, fragte ich und rollte die Schultern. »Ich werde langsam unruhig.«

»Vielleicht sollte ich dir eine Liste mitgeben«, meinte er. »Es ist ja nicht so, als würdest du auf mich hören. Vielleicht würde dich das vor Schwierigkeiten bewahren.«

»Ich stecke nicht in Schwierigkeiten«, sagte ich und sah ihn durch gesenkte Wimpern an. »Oder doch, Zahariev?«

Ich wollte, dass dieser Mund etwas anderes tat, als sich bei meinem Anblick zu verziehen, aber er blieb standhaft.

»Mehr als ein Mal ist nicht nötig, Lilith. Das falsche Ziel, das falsche Revier.«

Ich verdrehte die Augen. Seine Worte weckten nur meinen Zorn, und ich drängte mich an ihm vorbei.

»Gott, würdest du damit aufhören? Ich bin kein Kind mehr.«

»Das hat nichts mit deinem Alter zu tun. Hier geht es um deine Magie.«

»Um alles in der Welt, was verdammt noch mal heilig ist«, schimpfte ich und drehte mich zu ihm um. »Hast du etwa mit meiner Mutter gesprochen? Hat sie dir mitgeteilt, wie enttäuscht sie von meiner Magie ist oder dass sie darauf hofft, mich im nächsten Jahr verheiraten zu können, um sie im Zaum zu halten?«

Er stand da, wortlos, die Hände in den Taschen. Mein Zorn war für ihn nichts anderes als mein Körper – er rührte ihn nicht.

»Mir ist egal, wie du deine Magie einsetzt, aber die Leute reden. Die Kommission redet.«

Die Kommission bestand aus den Oberhäuptern der Familien. Da war Zahariev, natürlich, und dann mein Vater Lucius; Victor Viridian, der Temple City leitete; Serafin Sanctius, Leiter von Galant; und Absalom Asahel, Leiter von Akkadia. Ihr Ziel war es, den Frieden zwischen den Familien zu wahren und Streitpunkte zu klären, bevor sie an der Basis eskalieren konnten. Sie vollstreckten auch gesellschaftliches Recht – was sich für gewöhnlich auf Frauen bezog, wie im Buch der Herrlichkeit vorgeschrieben.

Ich wusste, was die Kommission über mich sagte. Dafür sorgte meine Mutter. Ich sei dumm und unreif – eine Peinlichkeit. Das war mir schon so oft gesagt worden, dass ich beschloss, es einfach zu ignorieren, auch wenn ich wusste, dass dies eines Tages Konsequenzen haben könnte.

»Seit wann interessierst du dich dafür, was die Kommission zu sagen hat?«

Ich hörte ihn näherkommen, weigerte mich jedoch, ihn anzusehen, und war überrascht, als seine Finger mein Kinn berührten.

Widerwillig begegnete ich seinem Blick.

Es war schwer zu erklären, aber mir war, als habe er die tiefsten Augen, die ich je gesehen hatte, und zugleich lag in ihnen absolut nichts.

»Es interessiert mich, weil sie sich irren, was dich angeht«, sagte er.

»Inwiefern irren sie sich, Zahariev?«

Ich fragte nur, weil ich wissen wollte, was er dachte, nicht, weil mich die Kommission wirklich interessierte.

Er starrte mich an, und ich verlor mich im Blau seiner Augen. Es war enervierend, wie er in meinem Gesicht lesen konnte. Ich fragte mich, was er wohl sah, oder schlimmer, was ich nicht verbergen konnte.

»Ihr Urteil zeugt von Furcht, Lilith«, sagte er. »Und Furcht bedeutet Macht.«

Ich schluckte, und mein Blick fiel auf seine Lippen. Zahariev schien das als Zeichen zu nehmen, mich nicht länger zu berühren, denn er ließ die Hand sinken.

»Geh nach Hause, Lilith. Oder ich bringe dich dazu.«

Mach doch, wollte ich erwidern, denn ein Teil von mir wollte sehen, was er dann tun würde. Doch eigentlich wusste ich es – er würde mich in einen seiner SUVs setzen und seinem Fahrer Felix befehlen, mich nach Hause zu fahren und direkt bis zu meiner Tür zu begleiten.

Also forderte ich ihn nicht heraus.

»Der Mann, der den Dolch hatte, sagte, er habe einen Priester dafür umgebracht«, sagte ich stattdessen.

Zahariev blieb an der Tür stehen. Er sah mich nicht an, aber er wandte den Kopf und hörte zu.

»Du solltest ihn vielleicht verhaften.«

Er nickte einmal knapp und ging dann.

Ich wartete noch einige Minuten und ließ dann die Hände, die ich hinter dem Rücken gehalten hatte, sinken. In einer Hand hielt ich den Dolch, den ich aus Zaharievs Tasche gestohlen hatte. Ich sollte ein Gefühl des Triumphs verspüren, aber ich wusste es besser.

Zahariev hatte mich ihn nehmen lassen.

ZAHARIEV

»Sie behandelt unser Revier, als würde es ihr gehören«, sagte Cassius, als ich aus der Arrestzelle trat.

»So behandelt Lilith die ganze Welt«, entgegnete ich.

2. KAPITEL

Ich ging nach Hause, so wie Zahariev es angeordnet hatte, doch nur, um in dunkle Jeans und ein Tanktop zu schlüpfen. Ich musste etwas tragen, das keine Aufmerksamkeit erregte, wenn ich mich in die Smugglers’ Row begeben wollte – eine Straße im wahrscheinlich gefährlichsten Teil von Nineveh, auch bekannt als Gomorrah. Außerdem brauchte ich meine Waffe, die ich in einem Holster unter meiner Jacke trug.

Die Straßen waren sehr voll heute Nacht, was auch daher rührte, dass es dort ebenso viel Müll wie Menschen gab. Der Boden war so klebrig, dass ich bei fast jedem Schritt meine Stiefel festhalten musste. Doch ich begab mich niemals in diesen Teil der Stadt ohne mindestens fünf Zentimeter Absatzhöhe zwischen mir und diesen vollgepissten Straßen.

Es war ein krasser Gegensatz zu Hiram, wo ich aufgewachsen war. Ein Stadtviertel, geprägt von hohen weißen Gebäuden und Wolkenkratzern mit Spiegelfassade. Dort waren die Gehwege aus Quarz und wurden jede Nacht sauber geschrubbt. Eine einfache Sache, da eine strikte Ausgangssperre herrschte. Nach zehn Uhr abends durfte niemand mehr draußen sein, und alle, die dabei erwischt wurden, wurden festgenommen und mit einer Geldbuße belegt. Doch das war nicht einmal der Grund für den Gehorsam der Menschen, sondern die Androhung, dass man am nächsten Morgen zur Hauptverkehrszeit groß mit Namen und Foto auf jeder Plakatwand in der Stadt erscheinen würde.

In Hiram gab es nichts Mächtigeres als Scham.

Nineveh mochte vielleicht nicht so schön und das Leben hier härter sein, aber ich würde es der geheuchelten Perfektion von Hiram trotzdem jederzeit vorziehen.

Das Dröhnen einer Hupe weckte meine Aufmerksamkeit, und mein Blick richtete sich auf die Straße, auf der sich schlanke Sportwagen und röhrende alte Trucks drängten. Ein Mann mit kurz geschorenem Haar rief mir aus dem Fenster seines glänzend roten Cabrios zu: »Hey, Schönheit, willst du mitfahren?«

Ich verzog die Lippen zu einem Grinsen, obwohl ich nicht amüsiert war.

»Du fährst in die falsche Richtung«, entgegnete ich und ging weiter.

»Ich kann umdrehen«, meinte er, und zu meinem großen Ärger stieg er tatsächlich aus dem Wagen, kam zu mir und lief neben mir her.

»Ich fürchte, du verschwendest deine Zeit«, sagte ich, nicht nur, weil ich nicht interessiert war, sondern weil auch er es nicht war. Ich konnte nicht einen einzigen Tropfen Lust in diesem Mann wahrnehmen.

»Wieso?«, fragte er. »Bist du verheiratet?«

»Nein«, antwortete ich.

»Dann sehe ich kein Problem«, fiel er mir ins Wort. Ich wollte um ihn herum gehen, aber er streckte den Arm aus, um mich aufzuhalten. Ich hob den Blick, sah ihm in die Augen, doch da war immer noch nichts, kein Zeichen, dass ich ihn auch nur im Geringsten erregte. Ich argwöhnte, dass er mich als leichtes Ziel ausgemacht hatte, als irgendeine junge Frau, die er auf der Straße aufgreifen und in den Sexhandel bringen könnte – ein Markt, den Zahariev in Nineveh nicht duldete, doch für die anderen Familien konnte ich nicht dasselbe sagen.

Ich musterte sein Gesicht, um es mir einzuprägen, damit ich Zahariev eine gute Beschreibung liefern konnte.

Dann legte ich den Kopf schief. »Du glaubst also, du kannst meine Meinung ändern?«

»Nur eine Fahrt, Baby«, meinte er grinsend. »Mehr braucht es nicht.«

Ich senkte den Blick und lachte. »Weißt du, das Problem ist«, sagte ich, langsam, damit er es auch verstand. »Es braucht mehr als fünf Zentimeter, um mich zufriedenzustellen.«

»Schlampe«, sagte er und verzog die Lippen.

Ich zog meine Waffe und zielte auf seinen Schritt. »Hau. Ab.«

Er machte einen Satz rückwärts und hob die Hände. Niemand zuckte auch nur mit der Wimper angesichts unseres Streits. Sowas war üblich für diese Gegend, vor allem in dieser Straße.

»Weißt du was? Na schön«, meinte er und trat vom Gehweg runter. »Du bist auch gar nicht so verdammt heiß.«

»Was auch immer du meinst«, brummte ich. »Bastard.«

Ich steckte die Waffe wieder ein und ging weiter, vorbei an Bars, Clubs, Restaurants und Antiquitätenläden. Manche waren genau das, was sie zu sein vorgaben, andere boten nur eine Fassade für andere Arten von Geschäften – die Sorte, von der Zahariev nicht wollte, dass die Kommission davon erfuhr. Zum Beispiel das Sons of Adam: eine Bar, die zufällig einige der besten Mozzarellasticks in Eden servierte. Ich versuchte, mindestens einmal pro Woche hier zu essen. Der Eigentümer, ein Mann namens Samuel, verkaufte hinten im Lagerhaus Waffen. Woher ich das wusste? Von ihm hatte ich meine erworben.

Das Problem war, dass Schusswaffen in Eden illegal waren, aber unerlässlich, um sich in Nineveh zu schützen.

Das Zoar war ein Tanzclub und bekannt für seine Raves. Und es war der Ort, an dem Zahariev kürzlich eine Lieferung Jade gelagert hatte; eine Straßendroge, die er meinem Vater gestohlen und dann zum Hafen von Nineveh gebracht hatte. Ich hatte Zahariev nicht gesagt, dass ich von seinem Coup wusste. Diese Information wollte ich mir für einen Regentag aufheben.

Gib deine Geheimnisse nie preis, Lilith, hatte Zahariev mir vor langer Zeit geraten, also tat ich es nicht, auch nicht, wenn sie ihn betrafen.

Aber ich fragte mich schon, was er mit der Ladung Jade anfangen wollte. Es ging ihm nicht um den Profit. Solange ich ihn kannte, hatte Zahariev den Verkauf und die Verbreitung von Drogen in seinem Revier immer unterbunden, und jeder, der beim Dealen erwischt wurde, wurde streng bestraft. Vermutlich würde die Zeit mir diese Frage eines Tages beantworten.

Neben dem Zoar befand sich das Raphael’s Relics.

Der Mann, dem der Laden gehörte, hieß gar nicht Raphael, sondern Abram. Als ich ihn fragte, wer Raphael sei, sagte er, niemand. Und als ich ihn fragte, warum sein Laden nach diesem Niemand benannt sei, entgegnete er, dass sich eben kein guter Ladenname mit »Abram« machen ließe.

Ich merkte an, er hätte den Laden doch Abram’s Antiquitäten nennen können. »Keiner mag Klugscheißer«, erwiderte er darauf.

Der Name stand in einem vergoldeten Bogen über einem großen Fenster. Doch Fenster waren riskant in Nineveh, also war es von außen vergittert und geschwärzt. Die Tür des Ladens war am Verrotten, die grüne Farbe blätterte ab, und als ich sie aufzog, bimmelte eine Glocke über meinem Kopf.

Abram stand hinter einem polierten Holztresen, der typisch für eine Bar aussah. Ein Spiegel hing hinter ihm, von dem ich wusste, dass er ihn dazu nutzte, den Laden im Auge zu behalten, wenn er sich umdrehte. Abram war ein älterer Mann mit weißem Haar und ebenso weißem Bart. Er hatte ein rundes Gesicht und einen stämmigen Körper. Als ich eintrat, blickte er auf, sah mich über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg an und verzog das Gesicht.

»Du schon wieder?«

»Tu nicht so, als würdest du dich nicht freuen, mich zu sehen«, meinte ich.

Er schob sich die Brille hoch auf die Stirn. »Du überhäufst meinen Laden nur mit Gerümpel.«

»Und du bezahlst dafür.«

Abram schnaubte und legte die Münze, die er gerade inspiziert hatte, auf eine Ablage, die er dann auf den Tresen hinter sich stellte.

»Was für nutzloses Zeug hast du heute dabei?«

»Was habe ich dir bisher gebracht, das du nicht weiterverkaufen konntest?«, erwiderte ich.

Er zögerte kurz, bückte sich dann und hob eine große Holzkiste hoch, voll mit allen möglichen Sachen, die ich ihm über die letzten zwei Jahre verkauft hatte.

»Hey, das ist eine echt schöne Sonnenbrille«, sagte ich und wollte danach greifen.

Abram zog die Kiste aus meiner Reichweite.

Ich begegnete seinem säuerlichen Blick. »Du musst zugeben, dass ich besser geworden bin.«

Meine Ankunft in Nineveh war eine Lektion im Überleben gewesen, und ich hatte einige Monate gebraucht, um mich zurechtzufinden. In dieser Zeit wurden mir jede Menge meiner eigenen Sachen gestohlen. Offenbar verriet alles, was ich dabeihatte, lautstark, dass ich aus Hiram kam. Das machte mich für eine Weile zu einem Ziel für Diebe, bis Zahariev mir seine Kreditkarte zuwarf und mir befahl, andere Klamotten zu kaufen. In Eden verrieten Stoffe etwas über deinen Status.

Die neuen Sachen hatten mir geholfen, mich einzufügen, doch nichts gewöhnte mich so gut ein wie das Vergehen der Zeit.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um mir die Kiste genauer anzusehen.

»Ich sehe das Relikt nicht, das ich dir vor zwei Wochen gebracht habe«, meinte ich. »Oder das Kreuz von der Woche davor.«

Das Relikt war eine Halskette mit einer Haarflechte, eingeschlossen in Glas, gewesen. Es hatte angeblich dem heiligen Sebastian gehört, einem Mann, über den ich nichts wusste, außer dass die Kirche ihn heiliggesprochen hatte. Ich bezweifelte, dass das Haar wirklich ihm gehörte, aber wer wusste das schon. Auf jeden Fall zahlten die Leute gutes Geld für ein Überbleibsel eines Heiligen, und sei es noch so klein. Das Kreuz hatte ich einem Priester abgenommen. Es war aus reinem Gold. Mit Rubinen besetzt, hatte es an seinem Gürtel gebaumelt – einem Gürtel, den er bereitwillig abgelegt hatte, ohne jede Ermutigung durch meine Magie.

Abgesehen von der Schöpfungsgeschichte waren zölibatäre Priester wahrscheinlich der größte Mythos in Eden.

»Lügen ist eine Sünde, Abram«, sagte ich.

»Sünden sind unsere Währung, Mädchen«, entgegnete er und schob die Kiste wieder unter den Tresen. »Also?«

»Nenn mich nicht Mädchen«, sagte ich und nahm den Dolch, den Ephraim mir gegeben hatte, aus der Tasche. Ich weigerte mich, es Stehlen zu nennen. Ich legte ihn auf den Tisch. Unter dem schummrigen Licht in Abrams Antiquitätenladen sah er etwas weniger prächtig aus, doch das war sicher Absicht. Er wollte, dass sich alles etwas schlechter präsentierte, damit er seine Kunden im Preis drücken konnte.

Seine Miene veränderte sich, die buschigen Augenbrauen hoben sich, und Überraschung blitzte in seinen Augen auf. Doch er schaffte es, sein Interesse zu verbergen, als er sprach, ohne einen Anflug von Staunen in der Stimme.

»Wo hast du den gefunden?«, fragte er, hob den Dolch auf und prüfte ihn sorgfältig.

»Irgendwo«, meinte ich. Für gewöhnlich kam ich direkt auf den Punkt und forderte einen Geldbetrag, immer ein paar Hundert Dollar mehr, als ich eigentlich wollte, einkalkulierend, dass Abram mich herunterhandeln würde. Doch dieses Mal war ich zu neugierig, was diese Klinge anging. Außerdem könnte ich ihm vielleicht mehr als nur die Miete für ein paar Monate abknöpfen. »Also? Was sagst du?«

»Ein schöner Dolch«, antwortete er.

Ich verdrehte die Augen. »Das weiß ich, Arschloch. Er ist etwas Besonderes, nicht wahr?«

Er antwortete mir nicht sofort, sondern öffnete eine Schublade und zog ein Juwelier-Okular heraus, mit dem er die Edelsteine begutachtete.

Sein Schweigen gefiel mir nicht, und ich verschränkte die Arme, während ich wartete, und tappte mit dem Fuß. Nach einigen Sekunden warf er das Okular in die Schublade, schloss sie und legte den Dolch wieder auf den Tresen.

»Zweihundert«, sagte er.

Ich konnte nicht sagen, was stärker war: mein Zorn oder der Schock angesichts seines Angebots.

»Leck mich. Das Ding ist mindestens dreitausend wert, und das weißt du!«

Abram kicherte. »Kann ja sein, dass es das wert ist, aber ich muss auch Gewinn machen.«

Ich sah den alten Mann finster an. »Na schön«, sagte ich. »Dann werde ich meine Miete einfach mit dem verdammten Dolch bezahlen.«

Ich wollte ihn wieder an mich nehmen, aber Abram packte ihn zuerst.

Wütend griff ich nach meiner Knarre. Ich hatte mit dem Mann schon Geschäfte gemacht, seit ich nach Nineveh gekommen war, und so behandelte er mich? Der verdammte Dolch musste ein kleines Vermögen wert sein. Aber als ich dem Blick des alten Mannes wieder begegnete, erstarrte ich.

Das Weiße seiner Augen war rot geworden.

Mir wich die Farbe aus dem Gesicht, und einen Moment lang stockte mir der Atem.

»Abram?«

Er blinzelte, und ein Rinnsal Blut lief über seine Wange.

Er hob die Hand und berührte sein Gesicht. Als er sie wieder wegzog, rieb er die Finger aneinander und runzelte die Stirn, als verstehe er nicht, was da passierte.

Ich verstand nicht, was da passierte.

Der alte Mann hob den blutigen Blick zu mir. Sein Gesicht hatte eine grelle Farbe angenommen. Aus seinem Mund kam ein tiefes, seltsames Heulen, so als sei er ein Ballon, dem die Luft entwich, und noch während er diesen Laut von sich gab, schien er in Zeitlupe zu fallen und prallte mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden.

Einige Sekunden lang stand ich da wie betäubt, unfähig zu verarbeiten, was zum Teufel gerade passiert war.

»Abram?«, rief ich, hüpfte hoch, sodass ich mit dem Bauch auf dem Tresen lag, und spähte hinüber auf den Boden. Dort lag Abram auf dem Rücken, mit Augen wie Seen aus Blut.

Er war eindeutig tot.

»Was zum Teufel«, brummelte ich vor mich hin.

Ich rutschte vom Tresen runter. Mein Körper fühlte sich seltsam an, als würden meine Knochen zittern. Dass ich wirklich wie Espenlaub zitterte, merkte ich, als ich mein Handy aus der Tasche zog, um die einzige Person anzurufen, die mir einfiel – mein Notfallkontakt, Coco.

Das Telefon klingelte endlos.

»Komm schon, komm schon, komm schon«, flüsterte ich. Als sie nicht abhob, legte ich auf und rief gleich noch mal an. In dem Moment bimmelte die Glocke, als jemand im Begriff war, den Laden zu betreten. Ich stürmte zur Tür und warf mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Wer auch immer auf der anderen Seite war, schubste zurück.

»Wir haben geschlossen!«, rief ich und tastete nach dem Schloss. Trotz meiner zitternden Finger konnte ich es einrasten lassen und hob das Telefon wieder an mein Ohr.

»Lilith?«

»Coco, zum Glück!«, rief ich. Erleichterung rollte durch mich wie eine kühlende Welle, auch wenn mein Herz weiterhin raste.

Jemand schlug gegen die Tür.

»Hau ab!«, brüllte ich.

»Lilith, was ist los?«

»Coco, es ist etwas Schlimmes passiert.«

»Wo bist du?«

»Raphael’s Relics«, sagte ich. »Abram ist tot.«

»Tot?«

»Ja! Ich weiß nicht, was ich tun soll!«

Ich konnte nicht klar denken. Es fühlte sich falsch an, ihn so zurückzulassen, und er hatte auch überall Kameras. Ich wusste, dass ich nicht wirklich für seinen Tod verantwortlich war, aber ich vertraute nicht darauf, dass die Gesetzeshüter es genauso sehen würden, trotz der Videoaufnahmen. Sie arbeiteten für die Kirche, und ich war eine Frau. Als Tochter von Lucius Leviathan würde ich wahrscheinlich nicht ins Gefängnis müssen, aber sie würden dennoch den Anlass nutzen, um mich zurück zu meinem Vater zu schicken. Ich wollte alles tun, um das zu vermeiden.

»Warte kurz«, sagte Coco.

Ich hörte ein Rauschen, dann das entfernte Hallen von Musik. Ich wartete, während meine Kehle sich immer mehr zuschnürte.

»Es ist Lilith«, hörte ich Coco zu jemandem sagen. »Sie steckt in Schwierigkeiten.«

Darauf folgte eine kurze Pause, und dann hörte ich Zaharievs Stimme.

Ich wollte fast aufstöhnen. Natürlich ging sie zu ihm.

»Lilith.« Er sagte meinen Namen, sonst nichts.

»Abram ist tot, und ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich.

Stille am anderen Ende der Leitung. Ich fragte mich, was er wohl dachte und wie er aussah. Biss er die Zähne zusammen, schürzte er die Lippen? Wenn er frustriert war, machte er beides.

»Ich komme«, sagte er und legte auf.

Langsam ließ ich die Hand sinken und hielt das Handy fest umklammert. Es war das erste Mal, dass mir bewusst wurde, wie laut Stille sein konnte. Ich sah mich um und fühlte mich von allem in diesem überfüllten Laden bedrängt. Nach einigen Sekunden schlich ich um den Tresen herum. Abram lag reglos da, doch obwohl er sich nicht rührte, flüsterte ich seinen Namen. Ich wusste nicht mal, warum. Ich rechnete nicht damit, dass er antworten würde.

Da war nur Stille.

Mein Blick fiel auf den Dolch. Er hatte ihn gehalten, als er zusammenbrach, und nun lag er neben seiner Leiche. So wie er in dem trüben Licht schimmerte, kam mir der Gedanke, dass der Dolch ihn verspottete. Ich wagte mich langsam näher, bis ich nahe genug war, um danach zu greifen, und zog ihn mit den Fingerspitzen zu mir. Ich war mir nicht sicher, wieso dieser tote Mann mir solche Angst machte, vielleicht weil ich nicht wusste, warum er so plötzlich gestorben war. Doch zur Realität gehörte auch, dass ich immer noch meine Miete zahlen musste.

Ich schob den Dolch also in meine Tasche und bekam Gänsehaut, während ich mich in den vorderen Bereich des Ladens zurückzog. Ich war allein, dennoch hatte ich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten. Vielleicht lag es an den Kameras.

Schließlich suchte ich mir eine Stelle auf dem Boden, setzte mich hin und zog die Knie an. Die Geräusche draußen hielten mich in Alarmbereitschaft. Ich erwartete regelrecht, dass jemand, aufgeputscht durch ein Zechgelage oder einen Drogenrausch, die Tür aufbrechen oder das Glasfenster einwerfen würde. Antiquitätenläden waren ein beliebtes Ziel für jene, die nach Gold, Relikten und Waffen suchten, die sie auf dem Schwarzmarkt verhökern konnten. Bei meinem Glück würde genau heute Nacht jemand bei Raphael’s einbrechen.

Vielleicht war ich aber auch nur paranoid, weil ich Wache bei einer Leiche hielt.

Wo zum Teufel war Zahariev?

Genau da hörte ich ein Geräusch, das wie das Zuschlagen einer Tür klang. Ich hoffte, dass er es war, doch sicher konnte ich mir nicht sein, also schob ich mich näher an den Tresen heran und zog meine Knarre, während ich mit rasendem Herzklopfen darauf wartete, dass, wer auch immer da angekommen war, sich offenbarte.

»Lilith?«

Erleichterung überflutete mich, als ich Zaharievs Stimme hörte, etwas, das ich nicht sehr oft empfand.

Ich steckte die Waffe weg und kam hinter dem Tresen hervor. Ich war überrascht, wie schnell er bei mir war, nahe vor mir stehenblieb und den Blick über meinen Körper gleiten ließ. Es war kein sinnlicher Blick, vielmehr eine Begutachtung.

»Geht es dir gut?«

»Ja«, sagte ich, leicht verstimmt, obwohl ich keine Ahnung hatte, warum. Vielleicht, weil ich wusste, dass seine Besorgnis eher seinen Testikeln galt, da er meinem Vater versprochen hatte, auf mich zu achten, während ich diese Phase durchmachte – die Worte meines Vaters, nicht meine.

»Wo ist Coco?«, fragte ich und blickte an ihm vorbei, als würde ich sie hinter ihm erwarten, doch er war allein.

»Warum sollte ich deine Freundin mit an einen Tatort bringen?«, fragte er.

»Nenne es nicht einen Tatort! Ich habe niemanden ermordet.«

Er zog einen Mundwinkel nach oben.

»Ich bin ja so froh, dass du das amüsant findest«, meinte ich und verschränkte die Arme.

»Ich finde es nicht amüsant«, widersprach er. »Ich finde dich amüsant.« Er trat an mir vorbei, und ich drehte mich um, um ihm zu folgen. »Wo ist er?«, fragte er.

»Hinter dem Tresen«, sagte ich und nickte in die Richtung.

Zahariev ging hin und beugte sich schweigend über Abram, um ihn zu betrachten. Ich sah zu und versuchte, den dicken Kloß in meiner Kehle hinunterzuschlucken. Nach einigen Sekunden richtete er sich auf.

»Was ist passiert?«, fragte er und sah mich an.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Ich habe versucht, ihm den verdammten Dolch zu verkaufen, den ich gestohlen habe.«

»Ich dachte, du stiehlst nicht«, meinte er.

»Gott, du bist unerträglich.«

Seine Lippen zuckten. »Also, was dann? Er hat sich den Dolch angesehen und ist gestorben?«

Er sagte das so, als sei es ein Scherz, aber es war keiner.

»Ja«, sagte ich. »Genau das.«

Er runzelte die Stirn, und seine Augen wurden leicht schmal. »Zeig ihn mir.«

Ich war nicht sicher, warum ich zögerte, ihm den Dolch zu geben, vielleicht weil ich immer noch hoffte, er würde einige meiner Probleme lösen, obwohl er mir offensichtlich nur mehr davon bescherte.

»Lilith«, mahnte Zahariev.

»Ja, okay«, sagte ich frustriert und gab ihm den Dolch. Ich wusste, dass ich ihn nicht zurückbekommen würde, als er ihn in seine Tasche schob, ohne ihn auch nur anzusehen.

Wir starrten einander einige Sekunden lang an, bevor er wieder sprach.

»Ich hatte dir doch gesagt, dass du nach Hause gehen sollst«, stellte er fest.

»Willst du mir jetzt eine Standpauke halten? Ich habe dir doch gesagt, dass die Miete fällig ist, und dieser Wichser Paul erhöht sie ständig.«

Zahariev zögerte kurz, bevor er fragte: »Hat Abram etwas zu dem Dolch gesagt?«

»Nein«, sagte ich, aber das war Abrams Taktik. Je mehr Informationen er bot, umso mehr war das Teil wahrscheinlich wert. »Wie sollte er mich runterhandeln, wenn er mir verrät, wie wertvoll das Ding ist?«

»Wie viel hat er geboten?«

»Zweihundert«, sagte ich.

Der Wichser, fügte ich in Gedanken hinzu, denn es fühlte sich falsch an, schlecht von den Toten zu sprechen, aber er hatte definitiv versucht, mich zu übervorteilen.

»Hmm«, machte Zahariev, sagte aber nichts weiter dazu. Stattdessen ging er an mir vorbei nach hinten in den Laden.

»Wo willst du hin?«, rief ich ihm nach.

Er antwortete nicht. Ich seufzte frustriert und folgte ihm durch das Hinterzimmer, das vollgestopft war mit Gerümpel.

»Also, was denkst du, ist mit ihm passiert?«, rief ich ihm nach.

Zahariev stieß die Hintertür auf und benutzte einen bröckelnden Ziegelstein als Türstopper. Beim Vorbeugen fiel seine Halskette aus seinem Hemd, an der ein schimmerndes Silberkreuz baumelte. Der Anhänger hatte nichts mit Zaharievs Religion zu tun. Ähnlich wie meine war sie ein Geschenk seines Vaters gewesen.

»Vielleicht ein Herzanfall«, schlug er vor und richtete sich auf.

»Seine verdammten Augen haben geblutet, Zahariev«, widersprach ich.

»Du wolltest wissen, was ich denke«, sagte er. »Das habe ich dir mitgeteilt.«

»Du lügst«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Und du bist echt ein mieser Lügner.«

»Du bist die Einzige, die das sagt, little love«, antwortete er.

Ich war Zaharievs Spitznamen für mich schon gewohnt, aber er ließ mich trotzdem erröten.

Er ließ die Hand von der Tür sinken und ging hinaus. Ich folgte ihm und sah eine Reihe schwarzer Fahrzeuge in der Gasse warten. Zwei SUVs und zwei Vans von der Sorte, die aussah, als seien sie geschaffen für die Entführung und Ermordung von Menschen, egal wie hübsch und glänzend sie waren. Dunkel gekleidete Männer standen wie Soldaten daneben, und ich nahm an, dass sie genau das waren – Männer, die nach Zaharievs Pfeife tanzten.

Als wir herauskamen, betraten sie das Gebäude mit einer Vielzahl verschiedener Reinigungsutensilien.

Ein Mann in einem langen Mantel schlug die Türen eines Vans zu. Dann drehte er sich um, eine Zigarette hing in seinem Mundwinkel.

»Gabriel!«