Teufels Brüder - Burkhardt Gorissen - E-Book
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Teufels Brüder E-Book

Burkhardt Gorissen

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Beschreibung

Fesselnd, abgründig, diabolisch: Der historische Roman „Teufels Brüder“ von Burkhardt Gorissen jetzt als eBook. Gelderland im Jahre 1520: Während der Reformation führen weltliche und kirchliche Führer einen erbitterten Machtkampf – und schrecken dabei auch vor einem Pakt mit dem Teufel nicht zurück. Eine geheime Bruderschaft plant die Ausrufung einer neuen Weltordnung mit dem Ziel, den Papst zu entmachten. Um diesen Plan zu verwirklichen fehlt ihnen nur noch eins: die Satansbibel – der Schlüssel zu einem tödlichem Geheimnis … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Teufels Brüder“ von Burkhardt Gorissen. Wer liest hat mehr von Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Gelderland im Jahre 1520: Während der Reformation führen weltliche und kirchliche Führer einen erbitterten Machtkampf – und schrecken dabei auch vor einem Pakt mit dem Teufel nicht zurück. Eine geheime Bruderschaft plant die Ausrufung einer neuen Weltordnung mit dem Ziel, den Papst zu entmachten. Um diesen Plan zu verwirklichen fehlt ihnen nur noch eins: die Satansbibel – der Schlüssel zu einem tödlichem Geheimnis …

Über den Autor:

Burkhardt Gorissen, 1958 geboren, arbeitet als freier Autor und Journalist bei verschiedenen Rundfunksendern. Er war viele Jahre Mitglied der Freimaurer und bis zu seinem Austritt 2008 „Großredner der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland“.

***

Neuausgabe September 2014

Copyright © der Originalausgabe 2011 Sankt Ulrich Verlag GmbH, Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © mtmmarek / shutterstock.com

ISBN 978-3-95520-745-8

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Burkhardt Gorissen

Teufels Brüder

Historischer Roman

dotbooks

Handlung und Ortschaften dieses Romans sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser geschichtlicher Ereignisse oder historischer Persönlichkeiten Ähnlichkeiten ergeben, so sind diese weder unbeabsichtigt noch zufällig, sondern unumgänglich.

Die Geschichte von Berthelot und Pater Marcus hat es nie gegeben, aber es hätte sie so oder ähnlich geben können. Das Geschriebene ist eine Fabel.

Den Tatsachen entspricht, dass das antik-heidnische Mysterienbuch Corpus Hermeticum in der Renaissance wiederentdeckt wurde. 1462 kam Cosimo de Medici in den Besitz einer griechischen Handschrift, die er von Marsilio Ficino ins Lateinische übersetzen ließ. Das Buch beeinflusste die Intellektuellen dieser Zeit auf vielfache Weise. Wie andere Kleriker befasste sich auch Martin Luther intensiv damit, wie der Interessierte in der Schrift Der fröhliche Wechsel und Streit von Theobald Beer nachlesen kann.

„Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt.

Hält das stand, was er aufgebaut hat,

so empfängt er den Lohn. Brennt es nieder,

dann muss er den Verlust tragen.

Er selbst aber wird gerettet werden,

doch so wie durch Feuer hindurch.“

1 Kor 3,14–15

Inhalt

Prolog

ERSTER TAG 22. Juni 1520

ZWEITER TAG 23. Juni 1520

DRITTER TAG 24. Juni 1520

Epilog

Prolog

Der Mann auf der Streckbank schrie auf. Sein Schmerz war kaum auszuhalten. Voller Angst starrte er auf seinen Peiniger, der die Kapuze seiner schwarzen Kutte tief ins Gesicht gezogen hatte und eine Widdermaske trug. Mehr ließ sich in dem kalten Kellerloch nicht erkennen.

„Das Buch …“, forderte die dunkle Stimme. „Wo liegt es?“

Die Zahnräder fuhren krachend ineinander. Sein Körper wurde noch mehr in die Länge gezogen. Ein unerträglicher Schmerz war die Folge. Es würde noch schlimmer kommen. Das wusste er. Trotzdem gab er nicht nach.

„Das Buch existiert nur in eurer Fantasie …“, brachte er mit schwacher Stimme hervor. Sein Atem wurde flacher. Für kurze Zeit verlor er sein Bewusstsein. Erst ein eiskalter Guss aus einem rostigen Blecheimer weckte ihn wieder.

„Dein Mitbruder hat uns verraten, wie das Buch heißt“, sagte der Widdergesichtige.

Das ist eine Finte, dachte der Mann. So leicht ließ er sich trotz der Schmerzen nicht beeindrucken.

„Er hat nicht mit euch gesprochen. Er ist ins Herzogtum Brabant entkommen“, hielt er dagegen.

„Du irrst. Das Buch, wonach wir suchen, heißt Liber Secretus. Es gehört unserer alten Bruderschaft.“ Der Widdermann machte seine Hand zur Kralle und drückte seine Fingernägel tief in die Wangen seines Opfers. „An welchem Ort der Abtei habt ihr es versteckt?“

Der Mann versuchte sich abzulenken, in dem er an irgendetwas anderes dachte. Vier Pfennige hatte er dem Boten bezahlt, damit er den Brief schneller befördert. Vier Pfennige waren auch nicht die Welt. Aber man konnte damit eine ganze Weile leben. Ein Kilo Getreide und vier oder fünf Hühner kosteten so viel. Man konnte den Dorfschulzen damit bestechen, um an etwas Land zu kommen. Oder auf eine lange Reise gehen. Eine lange Reise, dachte der Mann. Sie stand ihm bevor. Eine schöne lange Reise, der Himmel wird mir helfen.

„Rede!“, schrie die dunkle Stimme, sie schien direkt aus der Hölle zu kommen.

„Niemals.“

Die Haut zischte. Ein neuer, viel brutalerer Schmerz übertraf alles bisher Dagewesene. Ein feuriges Eisen bohrte sich tief in die Hüfte. Tiefer. Beißender Geruch von verbranntem Fleisch zog mit einer Rauchfahne auf. Sein Fleisch.

Heilige Maria Mutter Gottes … alle Engel und Heiligen, bittet für mich …

Der Schmerz war so betäubend, dass sein Schrei mit einem verzweifelten Schluchzen in seiner Kehle erstarb. Doch er gab seinen Widerstand nicht auf.

„Quäl mich zu Tode, von mir erfährst du kein Wort.“

Er fing an, laut zu beten. So laut, dass es aus dem Kerker hinausdrang. „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name …!“

Kaum hatte er die ersten Zeilen gebetet, hielt die Gestalt mit der Widdermaske eine rotglühende Zange vor sein Gesicht. So nah, dass seine Augen zu tränen begannen. Die Zange kam näher ans Auge. Näher und ging auf …

„Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern …!“

Plötzlich sagte die dunkle Stimme: „Noch nicht. Das Beste kommt erst später.“

ERSTER TAG 22. Juni 1520

I. Abtei Niersbachthal, Laudes, um die sechste Stunde

„… sondern erlöse uns von dem Bösen“, drang es aus vielen Kehlen. Die Mönche saßen im Chorgestühl, sechzig betende Männer, fast gleich aussehend in ihren beigefarbenen Kutten. Der frühmorgendliche Rosenkranz war zu Ende. Eine halbe Stunde hindurch hatte die gelassene Stimme des Abtes den Versammelten die schmerzensreichen Mysterien ins Gedächtnis gerufen, eine halbe Stunde hatten die Benediktinermönche die entsprechenden Antworten angehängt. Im Lauf des Gebetes schien sich die Klosterkapelle zu verwandeln, selbst die blassen Fenster schienen in der aufsteigenden Morgenröte regenbogenfarbenen Glanz anzunehmen, als ob sich Gottes Liebe plötzlich aus dem Himmel ergieße.

„In nomine patris et filii et spiritus sancti …“

Der Abt bekreuzigte sich, dann schwieg seine sonore Stimme.

„Amen“, intonierte der Chor der Mönche, bevor sie sich in meditatives Schweigen versenkten. Einkehr. Gottesschau. Das war noch nicht der Himmel. Aber auch nicht mehr die Erde. In der Kapelle war es still und kühl. Eigentlich immer. Selbst jetzt noch, da der Sommer sich auf seinen Höhepunkt zu bewegte. Hier begannen sich die Dinge aufzulösen, die mit den aufsteigenden Weihrauchschwaden spielenden Sonnenstrahlen trugen das Schweigen nach oben. Und in den Fresken der Decke erwachten die Heiligen und Engel. Aus dem Meer azur- und rosenfarbener Wolken stürzten sie in ihrem heiligem Jubel hervor, um den Ruhm Gottes zu verkünden.

„Ehre sei Dir, o Herr“.

Nach der Übung in Schweigen begann die Lesung aus der Heiligen Schrift. Würdevoll legte der Abt das ungeheuer große, rote Messbuch auf den Ambo. Während er sich bekreuzigte, senkte er seinen Kopf und bemerkte mit einem missgestimmten Blick den Taubendreck, der das Schwarz seiner Kutte beschmutzte. Sogleich ermahnte er sich, nicht auf solche Äußerlichkeiten zu achten. Der Teufel steckte überall. In einer Zeit des Wandels hatte er leichtes Spiel. Stolz und Eitelkeit zählten zu den größten Lastern. Führe mich nicht in Versuchung, sagte sich der Abt im Geiste, bevor er mit der Lesung aus dem Buch Jesus Sirach begann.

„Der Herr gewährt den Reumütigen Umkehr und tröstet die Hoffnungslosen, er bestimmte sie für ein Leben in der Wahrheit …“

Die Mönche lauschten andächtig dem ebenmäßig schwingenden Wohlklang der Worte. Ihre Köpfe hielten sie gesenkt, den Blick zur Erde gerichtet, die Hände auf die Knie gelegt. Das Evangelium führte sie in ihre eigene Mitte, die Einheit von Seele, Corpus und Geist. Dort bewahrten sie die Vision der Worte.

„Lob sei dir, Christus.“

Nach der Lesung erteilte Abt Theodardus den Segen. Bei der Vigil zwischen Mitternacht und frühem Morgen hatte er überlegt, in einer Predigt etwas zu der zunehmenden Bedrohung durch den Fürsten und seine Soldaten zu sagen. Doch er hatte davon Abstand genommen, weil er es nicht für gut hielt, seine Mitbrüder noch mehr zu beunruhigen.

Langsam erhoben sich die Benediktinermönche und verließen mit langsamen Schritten das Bethaus, wobei ihre Kutten schwingend über den Boden glitten. Mit ihrem Auszug wurde nach und nach das aus unzähligen Mosaiksteinchen zusammengesetzte Fresko auf dem Boden frei, das zwischen den weißlichen Fliesen aufstrahlte. Es zeigte den lehrenden Christus, seine Schwurfinger erhoben, in der anderen Hand die Heilige Schrift. Bedeckt blieb nur der heilige Michael, der Kämpfer für das Recht des Herrn, von der Kutte Pater Ulbertins. Der Prior wartete auf den Abt. Langsam kam die massige Gestalt auf ihn zu. Das Blut färbte den Patriziernacken unter dem schlohweißen Haar puterrot. Er bewegte sich, ohne den Prior zu beachten, auf einer Bahn, die geradewegs zum Portal führte.

„Ich habe Fra Angelo ausgeschickt, um unsere beiden verschollenen Patres zu suchen. Ich hoffe, ich durfte das ohne Eure ausdrückliche Erlaubnis, Vater Abt. Wir alle machen uns sehr große Sorgen.“

Das eigenmächtige Handeln des Priors zeugte von einem Ungehorsam, der nicht ungestraft bleiben durfte. Zumal der Prior in den letzten Wochen einige Male auf eigene Faust gehandelt hatte, ohne den Abt zu informieren. Offenbar legte er es auf eine schrittweise Entmachtung des alten Mannes an, dessen Kampfkraft in Folge seines Alters nachgelassen hatte, aber längst nicht gänzlich erloschen war. Mit einem unmissverständlichen Handzeichen gab der Abt zu verstehen, dass er es für ungebührlich hielt, in einem Gotteshaus profane Gespräche zu führen. Selbst draußen vor der Tür, beim Hinuntergehen der drei Stufen, schwieg er. Erst als sie sich auf dem taufeuchten Kiesweg befanden, sagte er mit einer wegwerfenden Geste: „Wir alle sind in Gottes Hand, Bruder Ulbertin.“

Die Uhr schlug viertel vor sechs.

„Im übrigen erwarte ich, dass Ihr mich ab sofort über jede Eurer Handlungen informiert“, sagte der Abt, wobei er den Prior mit zusammengekniffenen Augen scharf anblickte, als hätte er Grund, an dessen Verlässlichkeit zu zweifeln. „Haltet Euch an die Aufgaben, die Euch zugewiesen sind, und beweist erst einmal, dass Ihr in der Lage seid, sie vernünftig zu erledigen.“

Der Prior lächelte unsicher, wie ein ertappter Pennäler. „Ich habe nur aus Sorge gehandelt und weil die Brüder mich baten.“

„Dann hättet Ihr die Bitten zu mir tragen sollen. Ihr wisst schließlich um die Abläufe im Kloster. Immerhin seid Ihr nicht erst seit gestern Mönch, und Prior auch nicht.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hob er seine Stimme an. „Ich kann verstehen, dass Ihr mit großem Ehrgeiz das Amt des Abtes anstrebt. Aber, mein lieber Bruder, zwischen Ehrgeiz und Fähigkeiten klafft oftmals eine große Lücke. Prior ist bei Gott ein ehrenwertes Amt. Und es erfordert mehr Demut als momentan offenbar modern ist zu zeigen. In allem sind wir doch zuvorderst Diener des Herrn, nicht wahr?“

Der Prior zog es vor, keine Miene zu verziehen, um seine Gefühle nicht zu verraten.

„In Zukunft werde ich Eure Überschreitungen nicht länger dulden“, versetzte der Abt.

„Ich bitte um Verzeihung, Vater Abt“, sagte er mit einer etwas zu unterwürfig wirkenden Verbeugung.

„Lest für mich gleich die heilige Messe, Bruder Ulbertin. Ich wurde unerwartet zu einer Unterredung gebeten.“

Der Abt wandte sich um zum Gehen.

„Gewiss, Vater Abt.“

Armer alter Mann, dachte Ulbertin, weiß noch nicht, dass seine Tage gezählt sind.

II. Leuven, Hooge Straat, in der Früh um die siebte Stunde

Gelobt sei Jesus Christus!

Gott sei mit Dir, lieber Freund Berthelot,

ich schreibe Dir in höchster Not. Im Fürstentum ist der Teufel los. Bitte nimm es wörtlich! Du kennst Ludwig von Gelderland so gut wie ich von unserer gemeinsamen Studienzeit in Padua: Ein tiefgläubiger Mann, dessen Glauben an unseren Herrn Jesus Christus unerschütterlich schien. Vielleicht erinnerst Du Dich auch, dass wir während unseres Studiums einem gewissen Pelagius Prelati begegneten. Ein umtriebiger Scharlatan, der über allerlei Geheimnisse sprach und, wie ich später erfuhr, Mitglied der geheimen Bruderschaft S.O.L. ist. Er hält sich seit einiger Zeit auf Burg Reitzenstein auf.

Weshalb ich Dir das alles schreibe, lieber Freund? Ich beobachte die Ereignisse in Gelderland mit wachsender Besorgnis. Die Menschen fürchten Ludwigs Truppen, die mit Schwefel und Schwert regieren. Die Menschen haben nichts zu essen und leiden bittere Not, weil der Fürst alles aus ihnen herauspresst. Vielleicht ist schon bis zu Dir nach Leuven gedrungen, dass kurz nach Ostern in Kaldenkerken und den umliegenden Dörfern dreiunddreißig Kinder verschwunden sind. Dreiunddreißig! Das war die Rache des Fürsten für den Februaraufstand, bei dem sich in Kaldenkerken und den umliegenden Dörfern einige Bauern und Handwerker gegen seine Blutherrschaft erhoben hatten. Fürwahr, er hat sie seine Tyrannei spüren lassen. Vierundzwanzig von ihnen hat er vor den Stadttoren Kaldenkerkens pfählen lassen. Dort sind sie noch. Doch es kommt noch schlimmer: Auf Burg Reitzenstein sollen sich in schwarzen Messen widerwärtige Absonderlichkeiten zutragen. Ich selbst sah, dass in der Burgkapelle die Kruzifixe umgedreht an den Wänden hängen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich auszumalen, dass Prelati dahintersteckt. Aber der Vater Abt verschließt sich bislang meinen Warnungen. Gott verzeihe mir meine Kritik, aber ich weiß nicht, ob es an seinem Alter liegt, dass er die Dinge nicht mehr richtig einzuschätzen vermag. Gewiss, unsere Abtei Niersbachthal ist bis dato nicht bedroht, obwohl mit dem Prior Ulbertin ein Mann am Werke ist, der Ablässe an den Fürsten zu seinem Vorteil verkauft …

Lieber Cornelius, wenn es noch eine Möglichkeit gibt, besteht sie darin, dass Du, als einer der bedeutendsten Universitätslehrer unserer Zeit, Deine ganze Autorität in die Waagschale wirfst. Ich wüsste niemanden, der Prelati so gut wie Du Paroli bieten könnte. Du kannst ebenso gut mit der Klinge des Geistes umgehen wie Du das Schwert zu führen verstehst. Es gibt keinen Zweiten, der sich mit Symbolen derart gut auskennt wie Du. Ich will ganz offen schreiben, obwohl die Gefahr besteht, dass meine Nachricht abgefangen wird, aber mir bleibt keine andere Alternative. Es geht um ein geheimes Buch, in dessen Besitz Prelati kommen muss, um erfolgreich zu sein. Es handelt sich dabei um den berüchtigten Liber Secretus. Vielleicht hast du schon einmal davon gehört. Die meisten halten diese Satansbibel für verschollen, aber Bruder Jeremias ist in ihrem Besitz. Es würde zu weit führen, Dir alles zu erklären. Nur so viel sei kurz gesagt, zu diesem Buch gibt es einen ebenso geheimen Papyrus, darauf stehen verschlüsselte Anweisungen, mit denen sich das Böse entfesseln lässt. Um sicher zu gehen, hat Bruder Jeremias in Tag- und Nachtarbeit eine Fälschung der Satansbibel angefertigt.

Ich weiß, lieber Freund Berthelot, das alles hört sich ziemlich abenteuerlich an, aber ich muss dringend um Deine Hilfe nachsuchen. Zumal ich an verschiedenen Fronten kämpfe. Seit Tagen ziehe ich mit einem Bruder durch die Gegend, um in Kaldenkerken und den umliegenden Dörfern Verbündete für einen Aufstand gegen die Macht des Bösen zu finden. Doch was wir erreichen, ist nicht genug, und die Zeit drängt. Bitte, mach Dich gleich auf den Weg. Von Leuven bis zur Abtei Niersbachthal ist es ein knapper Tagesritt. Wenn Du am Abend des 22. hier sein wirst, kann ich Dir alles genauer erklären.

Berthelot nahm seine Augen von dem Brief und fuhr mit seinem abgespreizten Daumen über seine Lippen.

„Unmöglich“, sagte er.

Sein leeres Gesicht starrte bedauernd auf das Pergament, das sich an den Rändern kräuselte. Während er weiterlas, hob er die Brauen, wobei sich seine Stirn in zwei tiefe Falten legte.

Das, was ich am meisten fürchte, will ich Dir zum Schluss schreiben:

P. Jeremias ist sich aufgrund des Studiums der Satansbibel sicher, dass die Teufelsbrüder an Johanni planen, die ganze Welt ins Chaos stürzen, um hinterher den novus ordo saecularum, eine neue Weltordnung zu schaffen. Vorgestern sah ich Prelati in unserer Abtei. Zugegeben, ich bin ihm und dem Prior unauffällig gefolgt. Prelati sagte das, was er seinerzeit in Padua schon sagte: „Wir werden die Ewigkeit vernichten.“

Kurz und gut, man muss sich des Teufels erwehren, solange man noch Kräfte hat. Mit jeder Minute, die wir länger warten, wächst die Gefahr. Freue mich auf unser Wiedersehen.

Gott segne Dich, mein Freund Berthelot,

Dein Marcus OSB

Abtei Niersbachthal, 21. VI 1520

PS: Vergiss das Tontäfelchen nicht.

Cornelius Berthelot lachte kurz auf. Das Tontäfelchen durfte nicht fehlen. Als junge Studenten in Padua hatten sie gelernt, dass sich die Bedeutung des Wortes „Symbol“ anhand eines Tontäfelchens erklären ließ, das in zwei Hälften zerbrochen wurde. Jeder von beiden hatte seither eine Hälfte ihres Tontäfelchens …

Berthelot schüttelte vehement den Kopf, während er den Brief seines alten Freundes noch einmal überflog. Er musste in großer Hast geschrieben worden sein, die Schrift ungewohnt krakelig und schief.

„Völlig unmöglich.“

Er konnte Leuven nicht Hals über Kopf verlassen. Die Kirchenuhr schlug viertel nach sieben. Berthelot sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Innerlich spürte er, dass es sich um eine ungeheuerliche Sache handeln musste. Marcus war keiner, der übertrieb, im Gegenteil, er war von einer geradezu beispiellosen Nüchternheit. Indem er die Stirn runzelte, blickte Berthelot kurz zu dem Boten hinüber, der noch immer ehrfürchtig an der Tür stand. Ein vierschrötiger Junge mit niederer Stirn und strohblonden Haaren. Unruhig von einem Fuß auf den anderen wippend, als befände er sich noch auf dem Pferd, machte er eine kleine Verbeugung, denn er wartete auf ein Trinkgeld, obwohl er vom Absender des Briefes längst entlohnt worden war. Um seiner unausgesprochenen Bitte Nachdruck zu verleihen, schob er kurz eine geöffnete Hand vor. Berthelot hatte zuvor schon verstanden, doch er wollte wissen, wie weit der Bote ginge. Er sah in das erwartungsvolle und zugleich scheue Milchgesicht, einen weiteren Vorstoß würde er wohl nicht wagen.

„Dafür, dass du mich mitten aus meinem Angelusgebet gerissen hast, bin ich dir wohl keinen Dank schuldig. Aber, wenn ich auf das Datum schaue, bist du die Nacht durchgeritten“, sagte er hochaufatmend mit einem Lächeln und überreichte dem Jungen acht Pfennige.

„Oh danke, danke, edler Herr“, sagte der Bote, wobei er einen höflichen Diener machte, den Berthelot geflissentlich übersah.

Berthelot zeigte sich gerne spendabel. Geldsorgen waren ihm fremd. Er entstammte einer begüterten Leuvener Kaufmannsfamilie, in der man nur dann über Geld sprach, wenn es darum ging, es zu vermehren, was ihm, dem Hochtalentierten, ein unbeschwertes Leben schenkte. Bereits in seiner Jugend hatte er philosophische Abhandlungen und geistliche Lieder verfasst. Die Geschäfte überließ er guten Gewissens seinem jüngeren Bruder Quirin, der emsig das Vermögen der Familie mehrte. Auf den Handelswegen kamen die Gaben des Morgenlandes: Seide aus China, Zimt aus Indien, Gewürze aus Arabien, Waffen aus Damaskus, Webereien aus Kleinasien. Im Gegenzug führten Berthelots ihrerseits die Handelsartikel ihres Landes aus: Tuche und Leinen, Roggen, Weizen und Flachs. Cornelius Berthelot war froh, sich nicht damit beschäftigen zu müssen, wahrscheinlich hätte er alles verschenkt. So wie er sein Wissen an seine Studenten verschenkte. Ihm wurde eine glänzende Karriere als Theologe und Philosoph vorausgesagt. Mit knapp dreißig war er schon seit sieben Jahren Universitätslehrer in Leuven und das sollte nicht seine letzte Station sein, ihn sollte es höher hinaustragen, obwohl sich hier neben Köln und Paris einer der Knotenpunkte des geistigen Lebens befand. Seine Studenten hingen an seinen Lippen, hingerissen vom Scharfsinn seines Geistes und der Macht seiner Sprache.

… die Ewigkeit vernichten …

Berthelot versuchte seine Gedanken zu ordnen, der Brief von Bruder Marcus hatte ihn in der Tat durcheinandergebracht. Zu bedrohlich wirkten seine Vermutungen.

Zwei Tage sind keine Ewigkeit. Heute ist der 22., dachte er.

„Wenn Ihr erlaubt, darf ich mich verabschieden“, bemerkte der Bote, ehe er sich zum Gehen umdrehte.

„Warte!“, Berthelot eilte mit wenigen Schritten auf ihn zu und hielt ihn an der Schulter zurück. „Einen Moment noch. Ich nehme an, du stammst aus Gelderland.“

„Ja, mein Herr.“ 

Der Bote sah verängstigt zu der ehrfurchtgebietenden Gestalt auf. Die äußerliche Erscheinung Berthelots war überaus eindrucksvoll. Sein hageres, längliches Gesicht mit dem vorspringenden Kinn drückte unbändigen Willen aus, was die dünne Adlernase und der energische Zug um den Mund zusätzlich betonten. Seine Augen waren tiefgrün wie das Wasser der Dyle, die durch Leuven floss, er hatte dichtes, kastanienbraunes Haar und mit fast Einmeterachtzig überragte er das Normalmaß eines Mannes um gut anderthalb Köpfe. Ein Schlacks, so dünn wie eine Spargelstange, weshalb er schon früh den Spitznamen Asparagus bekam, worüber er sich selbst am meisten amüsierte.

„Dann weißt du also, was in Gelderland vor sich geht.“

„Gewiss, mein Herr.“

„Ist es tatsächlich so, dass in Gelderland der Teufel regiert?“

Der Bote sah unsicher zu Berthelot hinüber. „Wie meint Ihr das?“

„Lass es mich anders sagen“, begann Berthelot, „Mein alter Freund schreibt, dass Fürst Ludwigs Soldaten die Gegend in Angst und Schrecken versetzen.“

Der Bote stutzte. „Ist nicht überall bekannt, dass er eigens Landknechte angeworben hat, um seine Tyrannei auszuüben?“

„Gerüchte hört man schon seit einiger Zeit. Droht tatsächlich ein Bürgerkrieg in Gelderland?“

„Dem Volk geht es sehr schlecht, mein Herr.“

Berthelot fuhr mit dem Daumen über seine Lippen. „Weißt du, was es mit diesem Prelati auf sich hat?“

Der Bote zögerte eine ganze Weile.

„Warum sagst du nichts, ist er so gefährlich, dass es einem direkt die Sprache verschlägt?“

„Man sagt, er übt unheilvollen Einfluss auf den Fürsten aus.“

„Tatsächlich, sagt man das?“ Berthelot wirkte noch größer, als er den Kopf in den Nacken legte. „Was redet man sonst noch über ihn?“

„Man sagt, er sei der Teufel.“

„Denkst du das auch?“

Berthelots Blick durchbohrte ihn. Der Bote sah verschämt zu Boden. „Ich weiß nicht, Herr, ich kenne ihn nicht.“

„Aber ich kenne ihn.“

… die Ewigkeit vernichten …

Wie in einem Bilderreigen zogen an Berthelot die Ereignisse seiner Studienzeit vorbei. Der ewig finstere Prelati. Als Pferdehändler hätte er eine Schnecke als Araberhengst verkauft. Fraglos, ein Blender mit unglaublicher Überzeugungskraft. Er machte sich an diejenigen heran, von denen er sich einen Vorteil erhoffte. Besuchte kaum die Universität, aber war einer der erfolgreichsten Studenten. Schon früh scharte er einen Kreis um sich, von dem man nichts Gutes hörte. Von Geisterbeschwörungen war die Rede, von lasterhaften Orgien bis hin zum Menschenopfer. Etliche verehrten ihn. Auch Marcus wäre ihm fast auf den Leim gegangen. Doch in Berthelot hatte er seinen Meister gefunden.

… Wir werden die Ewigkeit vernichten …

„Wer ist wir?“, hatte Berthelot gefragt.

„Der wahre Lichtbringer und seine Legionen“, hatte Prelati geantwortet. „Der Gott, der keine Rache kennt und die Menschen nicht straft, sondern sie nach freiem Willen leben lässt, wird seine eigene Ewigkeit errichten.“

Sprüche.

Damit blähte er sich schon damals auf.

„Sklavenreligion“ nannte er das Christentum.

Berthelot hatte Prelati dafür der Lächerlichkeit preisgegeben. Deshalb hatte ihn Prelati bis aufs Messer bekämpft. Berthelot war nicht gerade versessen darauf, dass sich ihre Wege ein zweites Mal kreuzten.

„Ich will …“, sagte Berthelot und fuhr mit dem Daumen über seinen Mund, während er den Boten ansah, „… eine Antwort schreiben. Setz dich solange auf den Stuhl neben meinem Schreibpult. Wenn du willst, lasse ich dir ein Glas Wasser bringen.“

„Sehr gern, mein Herr“, antwortete der Bote mit echter Unterwürfigkeit. „Es muss nicht sein. Aber wenn’s geht, danke ich sehr. Der Ritt war sehr lange und ich habe zuletzt heute früh im Rasthof etwas getrunken.“

„Na, dann wird’s Zeit“, Berthelots scharfblickende Augen verrieten eine gewisse Erheiterung über die Redseligkeit des Boten. Er nahm eine kleine Tischglocke, die er so hastig läutete, dass ihr heller Ton metallisch schrill klang. Nur wenig später erschien eine ältliche Frau mit weißer Spitzenhaube. Ruckartig blieb sie an der Türschwelle stehen und fragte in gebrochenem Deutsch: „Professore, was zu tun?“

Marcella arbeitete seit Jahrzehnten als Hausmagd bei den Berthelots, sie stammte aus Sizilien, wo Berthelots Vater, wie man munkelte, sie vor dem Scheiterhaufen gerettet haben soll. Die gute Marcella eine Hexe? Berthelot konnte nur Schmunzeln über den Gedanken und erinnerte sich daran, wie sie immer gesungen hatte, wenn sie sich als Kinder nachts gefürchtet hatten.

„Einen Bottich Wasser, Marcella, für unseren durstigen Boten“

„Was, Bottich?“, Marcella schüttelte den Kopf. „Professore übertreiben wieder.“

Berthelot öffnete den Mund zum Lachen, wobei seine ebenmäßigen Zähne zum Vorschein kamen. „Schon gut, Marcella, ein Glas wird wohl fürs Erste genügen.“

„Lasst Eure Späße“, sagte sie streng, als hätte sie einen herumalbernden Knaben vor sich und ging. Berthelot hatte sich mit einigen behänden Schritten zum Schreibpult gewandt, eilig entnahm er dem Schubfach einen Bogen Pergament und tauchte seine Feder in das Tintenfass.

Gelobt sei Jesus Christus!

Mein lieber Marcus,

Dein Brief bedrückt mich sehr. Ich weiß nicht recht, wie ich Dir helfen kann. Dennoch verspreche ich Dir, sobald das Semester beendet ist, an den Niederrhein zu kommen. Vielleicht haben sich die Probleme bis dahin gelöst. Ich werde sie mit in mein Gebet hineinnehmen.

Gottes Segen sei mit Dir.

Cornelius

Er faltete den Brief und siegelte ihn mit Wachs. Spätestens in zwei Tagen würde Marcus den Brief lesen. In diesem Moment spürte Berthelot eine tiefe Beklemmung. Eine dunkle Ahnung befiel ihn, ohne dass er sagen konnte, worum es ging, noch, woher sie kam. Doch sie verschwand gleich wieder, als er dem Boten den Brief aushändigte.

„Also los, beeil dich.“

Berthelot zahlte ihm noch einmal acht Pfennige.

Dafür könnte ich mir ein gutes Schaf kaufen, dachte der Bote. Er machte eine tiefe Verbeugung, um seinen Dank auszudrück- en, doch ein Wort kam ihm nicht über seine Lippen, denn Marcella hatte geräuschlos das Zimmer betreten.

„Das Wasser.“

„Das Wasser, bei Gott!“, Berthelot klatschte in die Hände, insgeheim war er froh darüber, dass der Bote nicht dazu kam, sich zu bedanken, weil er sich ein bisschen schämte, einen Dank für Selbstverständlichkeiten entgegenzunehmen. Dabei hatte er nicht einmal das Geld verdient, er lebte von der Geschäftstüchtigkeit seiner Vorväter. Aber war nicht ohnehin alles von Gott? „Meine Studenten!“, fuhr er auf. „Wenn ich mich nicht spute, komme ich zu spät.“

Der Bote verstand, leerte das Glas in wenigen Zügen, ehe er es in Marcellas wartende Hände zurückgab.

„Also los!“ Berthelot klemmte seine Mappe unter den Arm und eilte davon, so schnell, dass der Bote ins Laufen kam, um wenigstens einigermaßen Berthelots weit ausholenden Schritten folgen zu können. Berthelot war flink und zäh. Er genoss unter seinen Studenten hohes Ansehen, denn obwohl er als strenger Zuchtmeister galt, versuchte er nicht, sich von ihnen abzuheben. In seiner Jugendlichkeit wirkte er ohnehin, als wäre er noch einer von ihnen. Dieser Eindruck verstärkte sich, weil er einen Teil seiner Freizeit damit verbrachte, an Wettrennen teilzunehmen, und fast immer rannte er seinen jüngeren Mitbewerbern davon, worüber er sich diebisch freute wie ein Kind. Er genoss die Körperertüchtigung an der frischen Luft jenseits der Studierstuben. In der Kunst des Bogenschießens kam ihm neben seiner inneren Ruhe sein hohes Konzentrationsvermögen zugute. Er behauptete sogar, man müsse einen Pfeil nicht mit den Händen abschießen, sondern mit den Gedanken. Gedankenschnelle war es auch, die ihn im Schwertkampf dominieren ließ, allerdings kam ihm hier insbesondere seine ungewöhnliche Körpergröße zugute. Seine Aktivitäten brachten ihm nicht selten den Spott seiner Kollegen ein. Nicht wenige betrachteten seine jugendliche Lockerheit mit Argwohn und wäre er nicht der Spross des reichen Berthelot gewesen, hätte sein unangepasstes Wesen vielleicht ernsthaft geschadet.

Sie planen die Ewigkeit zu vernichten – an Sankt Johanni …, dachte er, während er in die Groote Straat einbog. Was soll das heißen? Niemand kann die Ewigkeit vernichten. Gott ist das Alpha und das Omega. Der Anfang und das Ende.

„Adieu, Meister Berthelot.“

Der Bote ritt an ihm vorbei und winkte ihm zu.

„Adieu“, rief Berthelot ihm hinterher. „Gott sei mit dir!“

III. Kaldenkerkener Heide, in der Früh um die achte Stunde

Zwei Tage sind eine Ewigkeit. Der Mönch erwachte an diesem Morgen nicht wie gewöhnlich vor dem ersten Hahnenschrei, sondern erst später, viel später. Vielleicht lag es daran, dass kein Sonnenstrahl in die Hütte eindrang. Er brauchte eine Weile, um zu erfassen, dass er sich nicht im Kloster befand. Seit gestern hielten sie ihn hier gefangen. Zuerst war er ihrem Zugriff entkommen, hatte seinem Pferd die Sporen gegeben, im Galopp Richtung Kaldenkerken. Von da war es nicht mehr weit. Doch er hatte es nicht ganz bis ins Herzogtum Brabant geschafft. „Nicht ganz“ hieß überhaupt nicht. Ludwigs Schergen stellten ihn kurz hinter Limburg. Es waren zu viele.

Das niederrheinische Flachland war durchzogen von vielen kleinen Flüsschen und Rinnsalen. Versteck bot es nicht. Hinter Mooren und Sümpfen erstreckten sich saftige Weiden, die erst nach vielen Morgen Land zu Feldern wurden. An deren Rändern zogen sich in krummen oder geraden Linien Kopfweiden dahin. Hinter der Kaldenkerkener Heide erhob sich die Landschaft zu einem kaum nennenswerten Höhenzug, Kaldenkerkener Höhen genannt. Auf einer Kette sanfter Hügel standen dicht an dicht Buchen, Eichen und auf dem sandigen Boden unzählige Birken, deren helle Stämme in der Sonne glitzerten.

Hoffentlich haben sie Bruder Marcus nicht erwischt, dachte er. Er war jünger und ein guter Reiter. Als sie die Soldaten des Fürsten sahen, hatten sie sich getrennt und jeder war in eine andere Richtung geritten. Wenn sie ihn gefasst hatten, würde alles noch schlimmer werden. Vielleicht würde er nicht schweigen. Das Geheimnis verraten. Nicht alles. Denn er wusste nicht alles. Aber was er wusste, war schon zuviel.

Und du, wirst du schweigen?, fragte ihn eine innere Stimme.

Er war sicher, er würde schweigen. Eisern. Er musste es. Sonst wäre alles verloren.

Wer kann die Folter ertragen?

Seine Angst stieg, breitete ihre großen, schwarzen Flügel über ihn. Wer ahnte schon, wie viel Gottvertrauen nötig ist, um in höchster Not zu bestehen? Wenn Folter und Angst sich verbrüdern, hast du verloren.

Nicht jeder. Nicht jeder, redete er sich standhaft ein. Heilige und Helden bleiben standhaft.

Wer ist Held, wer ein Heiliger?

Schlimmer noch als Angst waren die unerträglichen Schmerzen. Die Hölle. Er spürte beim Aufstehen ein unangenehmes Pochen in seinem Schädel. Vielleicht hatte er auch eine Gehirnerschütterung. Die grauenhaften Ereignisse hatte er sich jedenfalls nicht nur eingebildet. Feuchter Duft der Erde dunstete auf. Schwer atmend sank er wieder zurück in das Stroh, das sie in der hintersten Ecke verstreut hatten. Als wäre es von der vordersten Ecke eher möglich zu fliehen. Die Stallung, eher eine Hütte, lag abseits. Schon seit etlichen Jahren trieben die Schäfer ihr Vieh nicht mehr in diese Ecke der Kaldenkerkener Heide. Das Weideland war anderswo fruchtbarer. Eigentlich unnötig, das Tor zu verrammeln. Natürlich, sie wollten ihm jede Fluchtmöglichkeit verbauen. Dabei wäre der Weg zu Fuß zu den nächsten Dörfern viel zu weit. Die Heide bot kaum ein Versteck und dahinter lag Brachland, noch weiter die Moore. Diese Hütte war ein Sarg. Sein Sarg. Er hätte noch einmal beichten wollen. Müssen. Todesergeben dachte er an den Sonnengesang des Heiligen Franz.

Laudato si, mi signore, per quelli ke perdonano per lo tuo amore …

Gelobt seiest du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen …

Franz hate ihn dreihundert Jahre zuvor geschrieben, schwer krank in San Damiano bei Assisi.

Von draußen drang der Gesang der Vögel so fröhlich, als stünde ein Goldenes Zeitalter bevor. Das Gegenteil war der Fall. Not und Armut machten für die niederen Stände die Erde zur Hölle. Überall nackter Überlebenskampf. Was die gierigen Fürsten übrig ließen, plünderten Räuberbanden. Das Unrecht schrie zum Himmel. Männer des Glaubens verschacherten Ablässe. Wo die Erde noch nicht brannte, glomm die Lunte. Es roch nach Aufstand und Krieg. Finstere Zeiten waren im Anmarsch.

… wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben …

… guai acquelli, ke morrano ne le peccata mortali …

Vielleicht hätten wir nicht versuchen sollen, ein Bündnis mit den Dorfschulzen und Großbauern zu schmieden, dachte der Mönch.

Aber sie konnten nicht allein gegen den Fürsten vorgehen. Deshalb mussten sie das Risiko des Verrats in Kauf nehmen. Die Spitzel des Fürsten lauerten überall. Der Verräter konnte auch aus dem Kloster kommen. Am Ende wussten zu viele davon.

Wir hätten vorsichtiger sein müssen …

Jetzt war es verloren. Sehr wahrscheinlich jedenfalls. Er lachte bitter.

Welche Hoffnung soll denn bitte noch bestehen?

Gott.

Der Mönch spürte, dass sich die Muskeln im Schlaf gelockert hatten, aber sie verkrampften gleich wieder, als er aufstand. Ein scharfer, stechender Schmerz lief von den Beinen hoch. Sein Körper sah entsetzlich entstellt aus, rote Streifen über den Rippen, die sich grell von den violetten Blutergüssen an seinen Seiten abhoben. Er konnte froh sein, mit dem Leben davongekommen zu sein. Für ihn gab es nur ein Ziel, er musste das Schlimmste verhindern. Es war ein teuflischer Widerstreit. Krampfhaft versuchte er seine Gedanken zu ordnen. Die Schergen des Fürsten suchten nach dem Buch, von dem nur drei Menschen wussten, wo es sich befand: Er, sein Mitbruder und der Abt. Doch es war nicht schwer darauf zu kommen, dass es sich in der Klosterbibliothek befinden könnte.

Ich muss sie auf eine falsche Fährte locken. Sobald Sankt Johanni vorbei ist, besteht zumindest weniger Gefahr …

Auch wenn er wusste, dass Satan nie aufgibt, legte er sich einen Plan zurecht. Da hörte er wieder die Schritte, vor denen er sich so sehr fürchtete. Die Tür sprang auf. Kälte durchschauerte ihn. Feixend stand vor ihm – ein kleiner, beweglicher Zwerg. Ein Dolch blitzte in seiner Hand. Sein Kopf war unter einem Verband verborgen, indem sich nur Atem- und schmale Sehschlitze befanden. Trotzdem ließen sich die wasserblauen Pupillen erkennen, sie waren so blass, dass sie fast mit dem Weiß des Augapfels verschwammen. Doch etwas anderes ließ den Mönch erschauern. Mitten auf der Stirn befand sich ein weiterer Sehschlitz, ein hervorspringendes drittes Auge sah hindurch.

Das Zeichen des Teufels.

„Heut’ wirst reden, Mönchlein.“ Die Stimme klang schrill wie die eines Kastraten.

Der Mönch drehte langsam den Kopf. „Ich habe euch alles gesagt, was ich weiß.“

„Lügst.“ In den durchsichtigen Augen des Zwergs blitzte blanker Hass. „Du und dein Kloster besitzt was, was euch nich’ gehört. Bild dir nich’ ein, würde noch lange so bleiben. Unsere Bruderschaft reicht weit … bis in die Katakomben der Kirche Christ.“ Die letzten Worte des Gnoms mündeten in ein höhnisches Gelächter.

„Ich weiß nicht, was du von mir willst“, beharrte der Mönch.

„Will’s dir sagen. Hör gut zu!“, schrie der Winzling mit seiner grellen Stimme. „Will haben Liber Secretus.“

Liber Secretus?

Das geheimste aller Bücher. Sie wussten also davon. Hatte Bruder Marcus es verraten? Von der Bibel des Antichristen berichtete die Legende, Satan habe sie Nero in einer Nacht diktiert. Der römische Kaiser war der erste Großmeister jener mächtigen Teufelsbruderschaft gewesen, die sich S.O.L. nannte, aber in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden schien, nachdem das Christentum unter Kaiser Konstantin zur Staatsreligion geworden war. Es gab nur noch einen römischen Kaiser, der die heidnischen Kulte wieder einsetzen wollte: Julianus, der 361 damit kläglich scheiterte. Die Satansbibel war von solcher Brisanz, dass sie nur von der Hand eines Großmeisters kurz vor seinem Tod in die seines Nachfolgers ging. Diese absolute Verschwiegenheit war notwendig, um das Geheimnis des Buches zu schützen. Selbst hohen Eingeweihten war es unmöglich, den Text zu dechiffrieren. Erst durch Julianus’ unerwartet plötzlichen Tod geriet der Liber Secretus durch Geheimnisverrat in die Hände des Bischofs von Antiochia, der den wahren Inhalt zwar nicht verstehen konnte, aber deutlich erkannte, welche Sprengkraft die teuflischen Symbole und Anrufungen besaßen. Deshalb erließ er den Befehl, das Buch zu verbrennen. Doch die Funken konnten ihm nichts anhaben. Mehrfach scheiterten die Versuche. Alles ringsum fiel den lodernden Flammen zum Opfer und zwischen der Asche lag das Buch unversehrt da. Auch der Versuch, es an schweren Steinen befestigt im Wasser zu versenken, misslang. Es blieb an der Oberfläche, als wäre es so leicht wie Stroh. Das Böse ließ sich offenbar erst mit dem Jüngsten Gericht aus der Welt tilgen. Betrübt von dieser Erkenntnis beschloss der Bischof von Antiochia, das Buch einmauern zu lassen und das wahre Versteck nur einem vertrauenswürdigen Bruder anzuvertrauen, es ansonsten aber geheim zu halten. Offiziell wurde das Buch für vernichtet erklärt. Nur noch wenige erwähnten es als Legende. Die Erinnerung daran verlor sich. Einige Mystiker beschäftigten sich mit dem Phänomen. In der Theologie spielte es ohnehin keine Rolle.

IV. Leuven, Universität, ebenfalls um die achte Stunde

Der Himmel spannte sich hell und klar über den Grote Markt. Nur ein paar Federwölkchen verloren sich über den sechs Giebeltürmchen des Rathauses. Berthelot mochte den Bau, der erst seit einigen Jahrzehnten hier stand, nicht so sehr. Ein in Stein gehauenes Monument menschlicher Kunstfertigkeit, Vorbote für die neue Zeit, die am Horizont aufzog, die kein Zentrum mehr kannte, sondern den Menschen in den Mittelpunkt rückte. Irdische Macht kam darin zur Geltung und somit Abgrenzung von Gott. In der Tat wies das Leuvener Rathaus, anders als die alten Rathäuser, keinen hohen Mittelturm auf. Zu überladen mit Statuen erschien es ihm, wobei sich mehr Herrschaften und Herzöge darunter fanden als Heilige. Selbst Berthelots Großvater stand in Stein gemeißtelt dort mit einer Waage in der Hand. Ein Dank dafür, dass er neben einigen anderen Honoratioren einen Großteil der Kosten getragen hatte. Sulpitius van Vorst hatte den Bau errichtet, genau wie gegenüber die Sankt Pieterskerk, das kolossalste Gebäude der brabantischen Gotik. Ursprünglich hatte sich an dieser Stelle eine romanische Kirche befunden, die Berthelot jedoch nur aus den Erzählungen seiner Großeltern kannte, denn sie war im 15. Jahrhundert ersetzt worden. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen drehte sich Berthelot um und warf einen Blick auf Sankt Pieter, als könne er hinter sich seine Vergangenheit entdecken. Lüfte umrollten ihn, strenge und schneidende Lüfte, der Dung von den Feldern. Kam der Wind aus Nordost, roch man’s besonders.

Prelati war wieder da. Die letzte Begegnung in Padua lag fast zehn Jahre zurück. Prelati war in der ersten Zeit nach dem Studium völlig untergetaucht. Berthelot dachte an die Legende, nach der Geheimbündler und Magier für einige Zeit in unterirdischen Labyrinthen verschwanden. Wie die Schüler der alten Mysterienbünde wurden sie angeblich mit Hilfe von Rauschmitteln in einen Tempelschlaf versetzt. Nach einiger Zeit erhob ihr Meister sie aus diesem Schlaf, der so tief war wie der Tod. Hatten sie die Prüfung überlebt, galten sie als in Satan Neugeborene.

Auch Prelati tauchte nach einigen Jahren aus der Versenkung wieder auf. In Begleitung des Magiers Agrippa von Nettesheim zog er durch die Lande, beeindruckte das einfache Volk durch billige Zaubertricks und schien an manchem Fürstenhof willkommen. Dann war plötzlich von Umsturzplänen, die er verbreitete, die Rede und davon, dass er im Auftrag der S.O.L. arbeitete. Immerhin entsprach den Tatsachen, dass diese dunkle Bruderschaft seit dem Fall Konstantinopels 1453 viel Zulauf bekam. Die Fürsten, die der S.O.L. angehörten, waren es, die im letzten Jahr mit gewaltigem Eifer dafür warben, nicht Karl zum neuen deutschen Kaiser zu wählen, sondern den Fürsten von Gelderland, Ludwig. Je länger Berthelot darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass ein Komplott geplant war.

„Herrje, passt doch auf!“, raunzte eine dunkle Stimme. Ein alter Mann mit einem Doggengesicht funkelte ihn böse an, weil Berthelot ihn fast umgerannt hätte. Ein fliegender Händler in schäbiger Kleidung, der von Ort zu Ort zog. Seine Kiepe war zu Boden gefallen.

„Pardon“, sagte Berthelot.

„Damit ist mir auch nicht geholfen.“

Der Alte bückte sich, als wollte er Dinge aufheben, die durch den Zusammenprall aus seiner Kiepe auf den Boden gefallen waren. Aber nichts war zu sehen und so blickte Berthelot in das zerfurchte Doggengesicht, auf dessen Stirn sich ein Muttermal befand, das aussah wie eine Katze im Sprung.

„Guckt mich nicht an, als wäre ich ein Gespenst. Wollt Ihr mir nicht die Waren ersetzen?“

Berthelot lachte auf. „Aber was, Eure Kiepe ist leer.“

„Natürlich, weil die Sachen herausgefallen sind.“ Er lugte unter seinen zottigen Brauen hervor und bückte sich, um Dinge aufzuheben, doch Berthelot konnte nichts erkennen, jedenfalls entdeckte er weder etwas auf dem Boden noch in den Händen des Alten.

„Wie es scheint, wollt Ihr Geld aus mir herauspressen.“ Während Berthelot seine Augen zusammenkniff, schien es, als würden sie giftgrün. Ungerechtigkeiten konnte er nicht leiden. Schon gar nicht, wenn ihn jemand übervorteilen wollte.

„Kann ich dafür, wenn Ihr blind sein?“

Berthelot winkte ab. „Ich habe keine Zeit, mit Euch zu streiten.“ Ein kleiner Windstoß brachte ein Runzeln auf seine Stirn, während er ein paar Pfennige aus seiner Tasche nahm und sie dem Alten in die Hand drückte.

„Zeit, Zeit“, Vor lauter Lachen sprang ein Hustenanfall aus der Kehle des seltsamen Mannes, der eine rasselnde Kette Schleim hinter sich herzerrte. Er schüttelte den Kopf, spuckte aus, sein Lachen setzte wieder ein. „Zeit und Ewigkeit, mein Herr, Ihr wagt mit großen Worten umzugehen.“ Seine erhobenen Arme fuchtelten durch die Luft. „Große Worte“, schrie er noch einmal durch sein Gelächter. Während er mit seinen schweren Holzpantinen über den Kies der Straße davonstapfte, warf er kopfschüttelnd das Geld hinter sich. Begierig griffen die hungrigen Kinder, die von überall herbeiliefen, danach, balgten sich darum, mit ihren schlaffen, verkümmerten Händen, wobei ihre hohen Stimmen in der Luft klirrten wie Schwerthiebe.

„Zeit, Zeit.“ Durch die Schatten der Blätter tanzten Sonnenstrahlen und bildeten auf seinen gekrümmten Schultern helle Punkte, die aussahen wie goldene Münzen.

Berthelot schloss die Augen und hörte, wie der doggengesichtige Alte seine Pantinen krachend über den Kies zog. Dieses Gesicht erinnerte ihn an ein Ereignis in seiner Kindheit. Ihm kam es vor, als würde er durch einen Zeittunnel hindurchgehen.

Zuerst Prelati, jetzt das …

Er drehte sich um, doch der Alte war wie vom Erdboden verschluckt. In diesem Moment sah Berthelot, wie aus dem Nichts über den Baumwipfeln am Horizont eine herzförmige Wolke erschien. Von einer goldenen Aura umgeben, schien sie eine Gnade und Kraft zu verströmen, die Berthelot in sich aufwallen fühlte. Leichtigkeit ergriff ihn. Genau diese Leichtigkeit, wie damals an jenem Pfingstsonntag 1501 auf dem Maartensplein. Er war noch ein Kind, gerade mal elf. Seine Eltern hatten ihn zum erstenmal alleine zur Messe geschickt. Warum eigentlich? War einfach so. „Geh mit Gott“, hatte sein Vater gesagt und ihm den jüngeren Bruder anvertraut. Pfingsten, das war Ende Mai, ein sehr heißer Vorsommertag, so wie heute. Wolkenloser Himmel, das Gold der Sonne. Plötzlich erblickte er über der Dyle, über dem kleinen Flüsschen, eine rötlich glänzende, herzförmige Wolke mit einer goldenen Aura. Sofort erkannte er das Herz Jesu und fiel auf die Knie. Kurz darauf vernahm er eine weibliche Stimme, die voll Sanftmut sagte: „Du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten.“

Vor Schreck wollte er wegrennen, doch statt Angst verspürte er eine tiefe innere Ruhe. Lächelnd ergriff er seinen Rosenkranz, küsste das Kruzifix und betete ein Ave Maria.

„Du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten.“

„Hast du das gehört?“, hatte er seinen Bruder furchtsam gefragt, weil er sich nicht sicher war, und er hatte ihn gefragt, obwohl er ihn ansonsten nicht sonderlich ernst nahm, wie man kleinere Geschwister eben nicht ernst nimmt.

„Natürlich, die Gottesmutter hat befohlen …“ Quirin stockte und blickte ihn so versonnen an, als wäre er ein Engel. „… Du wirst dem Herrn vorangehen und ihm den Weg bereiten.“

Er hatte niemals danach mit Quirin darüber gesprochen. Er wusste auch nicht, ob sich sein Bruder an diesen Vorfall erinnerte. Für Berthelot war seither klar, dass er ein Leben für Gott führen würde. Sein Glaube hatte sich während des Studiums in Padua noch vertieft und nun gehörte er selbst zu denjenigen, die jungen Studenten die wissenschaftlichen Werkzeuge der Theologie näherbringen durften.

Ich müsste längst im Auditorium sein.

Berthelot riss die Tür zum Foyer auf, hetzte die Treppe hinauf, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm.

Auf dem Gang kam ihm Custodis entgegen.

„Asparagus, siehst abgehetzt aus“, rief er ihm schalkhaft zu.

Bernard Custodis, Leiter des Seminars für Kirchenrecht, war sein engster Vertrauter. Sie hatten sich erst vor wenigen Jahren kennengelernt und sofort angefreundet.

„Ich muss gleich mit dir reden“, versetzte Berthelot und unterbrach kurz seinen Laufschritt. „Dringend.“

„Nanu, wo brennt’s denn?“

„Hast du jemals etwas von diesem Magier Prelati gehört?“

Custodis wiegte seinen Kopf hin und her.

„Dieser Scharlatan, der durch die Königs- und Fürstenhäuser Europas streunt?“

Berthelot überreichte ihm Marcus’ Brief. „Genau der.“

Dann nahm er seinen Laufschritt wieder auf.

„Gegen zehn nach der ersten Vorlesung in der Bibliothek.“

Seine hohe Gestalt eilte davon, ohne sich umzusehen, umgeben von einem Strahlenkranz der tiefstehenden Morgensonne.

V. Burg Reitzenstein, in der Früh um die neunte Stunde

Die Fürstin hätte den Diamanten stundenlang betrachten können. Das Licht brach sich in ihm. Er funkelte und strahlte. Prelati hatte ihr gesagt, er sei härter als Marmor und alles Metall, härter als jeder andere Stein auf dieser Welt. Er funkelte faszinierend, weil er auf eine geschickte Art geschliffen worden war. Sie drehte den Diamanten ein wenig, hielt ihn vors Fenster und plötzlich sah sie alle Regenbogenfarben darin. Prelati hatte ihn in Indien einem alten Mann abgehandelt. Einem Fakir, der auch zu der weltumspannenden Bruderschaft gehörte.

„Der Stein leuchtet heller als alle Sterne des Himmels, einschließlich unserer Sonne. Ich habe lange nach ihm gesucht, er ist mehr wert als der Stein der Weisen. Diesen Stein nennt man das Auge Luzifers. Doch er ist nur ein Mosaiksteinchen von vielen, die wir brauchen, um letztendlich unser großes Ziel zu erreichen.“

In einer jähen Unbeherrschtheit trat Prelati die Zinkkanne neben dem Tisch um, die scheppernd über den Boden flog, während er mit seiner basstiefen Stimme laut herumdonnerte: „Ich habe deinem Mann, diesem Kindskopf von einem Fürsten, gesagt, er soll seine Leute eine Jungfrau herbeischaffen lassen. Wir brauchen für die Schwarze Messe morgen ein Jungfrauenopfer. Agrippa will sie, um das Andenken Johannes’ des Täufers zu schänden, bei unserem schwarzmagischen Johannesfest opfern. Aber glaub nicht, auch nur einer der Narren an diesem Hof voller Schwächlinge wäre in der Lage, eine zu besorgen! So muss mein kleiner kluger Blutzwerg Ausschau halten. Als hätte ich nichts Besseres zu tun. Diese Bande von Idioten. Wenn der neue Äon angebrochen ist, werden sie allesamt in ihrem eigenen Blut schwimmen – wenn sich vom Rhein bis zum Tiber alle Flüsse rot färben und die Meere ebenfalls. Selbst der Himmel wird mit dem Blut dieser unnützen Kreaturen getränkt. Und dann werde ich“, Prelati hämmerte gegen seine Brust, „eine Schreckensherrschaft errichten, wie sie die Welt noch niemals zuvor gesehen hat, um die Erde von diesen Schädlingen zu befreien. Ausgetilgt gehört ihr sinnloses Dasein bis ans Ende aller Tage.“ Zunächst senkte er seinen Kopf, dann warf er ihn in den Nacken und hauchte: „Amen.“

Ohne Zweifel war er der Mittelpunkt des Hofes. Immer umwehte ihn der Hauch der Sensation, irgendetwas Unbegreifliches, Nichtfassbares, das einer höheren Sphäre zu entstammen schien, das allerdings nicht die Reinheit des Himmels atmete, sondern die Geworfenheit des Dämonischen verriet. Niemand wusste etwas über seine Vergangenheit, allerlei Gerüchte umrankten ihn. Mal behauptete man, er sei der Spross eines Medicifürsten, der ihn verstoßen habe. Andere sprachen davon, er sei das Malheur des französischen Königs Ludwig XII., der ihn mit einer seiner zahlreichen Mätressen gezeugt habe. Die irrwitzigste Fama besagte, er sei Sohn einer Nonne, die als Hexe verurteilt wurde, aufgrund eines Verhältnisses mit Satanachias, dem Kammerherrn Luzifers, deshalb sei er, Prelati, auch eher ein überirdisches Wesen als ein Mensch. Hatte er wirklich Erscheinungen oder täuschte er sie bloß vor? Konnte er wirklich zaubern oder waren es billige Taschenspielertricks? Musste man in ihm tatsächlich den mächtigen Magier sehen, einen Meister seines Fachs? Jedenfalls war er in die Geheimnisse der königlichen Kunst von bedeutenden Magiern eingeführt worden, hatte bei arabischen Astrologen gelernt, in den Sternen zu lesen und von fernöstlichen Schamanen, wie man den Körper verlässt und die Zukunft schaut. Er hatte die Kraft des dritten Auges, mit dessen Hilfe er sich von Raum und Zeit löste, als wäre die Wirklichkeit ein Schleier, durch den er hindurchgehen konnte. Und er war, wie die Barbelo-Gnostiker, kaltblütig genug, Ritualmorde zu begehen. Verliehen ihm Ruchlosigkeiten dieser Art die Kraft, mit bezwingendem Blick zu behaupten, er könne fliegen, an mehreren Orten gleichzeitig sein? Seine ausgeprägte Rednergabe kam ihm zugute, feingeistig und hochgebildet parlierte er über die Flugmaschinen seines Vorgängers im Großmeisteramt der S.O.L., Leonardo da Vinci, und im nächsten Moment erläuterte er den Satz des Pythagoras. Schon früh, als Prelati noch ein junger Theologiestudent war, entdeckte ihn der größte lebende Magier seiner Zeit, Agrippa von Nettesheim. Agrippa förderte ihn, aber oft musste er seinen gelehrigen Schüler zur Demut ermahnen. Prelati jedoch sah in seinem Förderer einen Konkurrenten, den er irgendwann besiegen musste … um irgendwann vielleicht sogar so mächtig zu werden wie Simon Magus, der als mächtigster Magier aller Zeiten galt. 

 „Wer ist eigentlich Simon Magus, mein Meister?“, fragte die Fürstin mit ihrer hohen, dünnen Stimme und legte ihren Kopf auf die Schulter Prelatis.

„Simon Magus lebte in Samaria und ließ sich von Philippus taufen. Er wollte die Gabe der Geistmitteilung von den Aposteln Petrus und Paulus kaufen. Da sie es ihm verweigerten, gründete er die Kirche Satans. Ich liebe ihn mehr als alle anderen.“

Prelatis Wissen schien schier unerschöpflich. So durchscheinend und überspannt dieser schillernde, hochneurotische Mensch auf der einen Seite wirkte, auf der anderen wirkte er animalisch und gewissenlos wie ein brünstiges Tier. In der Tat beherrschte er magische Kunststückchen am laufenden Band, wobei er plötzlich aus Gläsern Flammen sprühen ließ, Bälle in der Luft zum Stehen brachte, Tische rückte oder Stimmen aus der Luft herbeizauberte, fast so, als wäre er der Bauchredner des Teufels. Legendär war ein Prozess, den der Erzbischof von Mailand gegen ihn anstrengt hatte. Die Argumente, ein Hexenmeister zu sein, entkräftete Prelati, in dem er auf jede Frage einen passenden Bibelvers bereithielt und damit seine Ankläger entwaffnete. Und trotzdem fürchtete Prelati das Gebet eines frommen Menschen mehr als irgendetwas anderes.

Die Fürstin stand unmittelbar vor ihm. „Und ich liebe dich mehr als alles andere.“ Sie war fast so groß wie er und schaute ihn unverwandt an. Ihr Blick wurde ernst, ein schwermütiger, fast trübsinniger Ernst, der von eisiger Kälte durchsetzt war.

„Ich will, dass sie alle sterben. Versprich es mir!“, wisperte sie. „Ausnahmslos alle.“

Während sie mit der Hand wedelte, verströmte sich ihr Veilchenduft. Das Duftwasser kam aus Paris, von einem der vornehmsten Parfümmacher. Ein betörender Geruch, süßlich und sommermild. Sie spürte, dass ihre einladende Bewegung ihm gefiel, weil er sie mit seinen Blicken streichelte.

„Meine Liebe.“

Prelati griff ihre Hand, senkte sich zu ihr hinab, deutete einen Kuss an, in dem er sie seinen Atemhauch spüren ließ. Ehe er sich aufrichtete, tat er es nicht, ohne kurz, für den Bruchteil einer Sekunde nur, in ihren Handrücken zu beißen, was ihr das Gefühl gab, in ihm seien alle Lebensformen gegenwärtig, von der Schlange bis zum reißenden Wolf.

„Meine Liebe“, wiederholte er, wobei kaum hörbar in seiner Stimme eine ungewisse Ironie mitschwang.

Aus der Nähe sah sie aus wie ein Gespenst, ihre weiße Haut erschien im Sonnenlicht kalkweiß, fast durchsichtig, als leide sie an Blutarmut. Gerade dieses Morbide liebte Prelati an ihr. Er griff mit seiner Hand nach ihr. Es gehörte zum Spiel, dass sie sich kokett wegdrehte.

„Na?“, sagte sie.

Sie war mittelgroß und Anfang zwanzig. Eine Frau mit ebenmäßigen Gesichtszügen, deren schwach ausgeprägte Augenbrauen einen leicht rötlichen Schimmer aufwiesen, was ihre grünen, katzenhaft funkelnden Augen noch mehr betonte. Unter ihrer kleinen, etwas zu hohen Nase, zog sich ihre dünne, nur leicht gewölbte Oberlippe, was ihr einen Hauch von Trauer verlieh, wie überhaupt ihren Mund eine gewisse Melancholie umspielte und gleichzeitig grimmige Erbarmungslosigkeit.

„Du weißt, dass ich mich vor dem Ritual rein halten muss,“ sagte Prelati. Sein Geheimbund stand mit dem Reinheitsgebot in einer Reihe mit den antiken Mysterienkulten.

Die Fürstin hatte ihre langen roten Haare streng zu einem Dutt zusammengebunden, was ihre herbe Erotik betonte. Vor allem aber verbreitete sie in ihrer bizarren Eigenwilligkeit eine dämonische Aura. Auf den ersten Blick schien sie eine klassische Schönheit zu sein. Auf den zweiten kalt, reglos, wie eine lebende Tote, was den Zofen und Kammerdienern unheimlich vorkam, ohne dass jemand wagte, ein Wort darüber zu verlieren. Mit fünfzehn hatte ihr Vater, der Herzog von Nassau, sie mit dem Fürsten verheiratet. Aus dem wissbegierigen, lammfrommen Kind, dass sie einmal gewesen war, wurde schnell eine machtbesessene, hartherzige Frau, die es ausgezeichnet verstand, Palastintrigen mitzuspinnen und Angst zu verbreiten.

Fürstin Sibyl entstammte der alten, sagenumwobenen merowingischen Adelslinie, zu deren Talenten Hellsichtigkeit und das Zweite Gesicht gehörten. Jedenfalls wollten das die Gerüchtemacher wissen. Hinter vorgehaltener Hand tuschelte man, sie sei mit dem Fürsten der Unterwelt vermählt worden, bevor sie zur Tarnung Ludwig von Gelderland geehelicht habe. Andere im Hofstaat behaupteten, aus erster Hand zu wissen, Pelagius Prelati, der vor knapp einem Jahre aus dem Nichts aufgetaucht war und Burg Reitzenstein erobert hatte, sei ihr unehelicher Halbbruder. Gerüchte dieser Art amüsierten sie und sie tat nichts, um sie aus der Welt zu schaffen Im Gegenteil, sie liebte es, ihre magischen Spielchen auf die Spitze zu treiben, um noch dämonischer zu wirken.

„Bin ich etwa unrein?“, fragte sie provokant.

Sie umfasste seine Schultern und drückte ihn an sich. Prelati tat so, als würde ihn ihr Überraschungsangriff entsetzen. Ihre Hände fassten sein Gesicht und indem sie ihren Kopf in den Nacken warf, zog sie Prelati näher an sich heran, um ihn leidenschaftlich zu küssen, wobei sie zunächst seine Zurückhaltung genoss, weil es ihr einen ungeheueren Nervenkitzel verschaffte. Aber Prelati blieb steif und kühl.

„Du liebst mich nicht wirklich.“

Der Magier lachte.

„Du kannst gar nicht richtig lieben, hm?“, sagte sie spitz.

Mit einer enttäuschten Miene schubste sie ihn fort. Aber auch das gehörte zu ihrem Spiel, denn kurz darauf umfasste sie mit ihren Krallen seine Schultern, um ihn wieder an sich zu ziehen. Auf ihren Lippen erschien der Hauch eines berückenden Lächelns. „Wann wirst du mich wieder nehmen? Ich kann es kaum erwarten. In einem Ritual?“ In ihren Augen funkelte es abgründig. „Schwarze Magie? Ein vollkommener Augenblick der Verzückung …?“

Auch in Prelati stieg ein Verlangen hoch. „Das spielt jetzt keine Rolle“, sagte er scharf, um auch seiner eigenen Begierde Herr zu werden. 

„Schluss mit der Vorstellung!“, zischte er und ging auf und ab, einerseits von Unruhe getrieben, andererseits von Erwartung.

Seine Dämonen bewirkten, dass er völlig unkalkulierbar war. Trotzdem verstand er die Menschen für sich einzunehmen, um sie sich zu Willen zu machen.

 Doch ebenso wie er mit falscher Freundlichkeit seine Umgebung umgarnte, konnte seine Stimmung schlagartig wechseln von belustigter Duldung in rasende Wut. Ein ganzes Feuerwerk von Dämonen schien dann aus seinen Augen zu sprühen.

Er blieb vor dem Gemälde über der Eichenholztruhe stehen und betrachtete es, als blicke er in einen Spiegel. Es zeigte einen stolzen Mann mit einem dreieckigen Gesicht, durch dessen goldhäutige Gesichtsfarbe etwas Unheimliches schimmerte, etwas für die menschlichen Sinne nicht Erkennbares, für den Verstand bestenfalls Erahnbares: das Zweite Gesicht. Eine pechschwarze Locke fiel mitten in die Stirn, was seinen fast bis zur Nasenwurzel vorspringenden spitzen Haaransatz betonte. Sie verdeckte kaum das fingernagelgroße schwarze Muttermal, das wie ein Kainsmal über einer seiner gewölbten, dicken Brauen hervortrat. Der stechende Blick seiner Augen, deren Pupillen pechschwarz und deren Iris immer gerötet war, schien den Boden vor seinen Füßen zu versengen und ließ etwas von einer animalischen Brutalität erahnen, die vor nichts und niemandem Halt machte. Die breite Nase mit den aufgeblähten Nüstern und der kleine, schmallippige Mund erinnerten an die ziegenköpfige Darstellung Baphomets. Tatsächlich lief auch dieses Gesicht wie ein Dreieck nach unten zu und endete in einem Spitzbart. Auf den ersten Blick hatte das Gemälde etwas Überirdisches, als zeige es keinen lebendigen Menschen, sondern nichts anderes als die delikate und zugleich mysteriöse Erscheinung des Teufels. Mit sichtbarer Zufriedenheit betrachtete Prelati sein Ebenbild und strich die Locken fort, die in seine Stirn fielen.

„Oder kannst du etwa doch lieben?“ Sibyl fuhr mit einer Hand über die karmesinroten Gobelins, als würde sie die Haut ihres Geliebten streicheln, und blickte mit leeren Augen nach draußen, als gäbe es dort etwas zu sehen, das ihr wieder Kraft geben könnte. „Sag, dass du mich liebst! Ich muss es hören. Sag es! Nur einmal.“

Seit sie auf der Burg lebte, faszinierte sie das Leben weit weniger als die Finsternis. Meistens wirkte sie ernst, mit verschleiertem Blick. Nur an den Karnevalstagen blühte sie auf. Obwohl ihr die Streiche des Pöbels dumm und geschmacklos erschienen, mischte sie sich, maskiert mit einer Pestmaske aus Venedig, unters Volk. Die Gerüchte wollten nicht verstummen, dass sie an jedem Karnevalsfest wenigstens einen jungen Bauernburschen verhexte. Die andere Seite zeigte sie als hochgebildete Frau, die sich mit den Schriften Hildegard von Bingens auseinander setzte, Dante und Aristoteles ebenso wie die Schriften des Nikolaus von Kues gelesen hatte und vorzüglich Cembalo spielte, sogar selbst Motetten im Stil von Dufay schrieb. Die Qualität ihrer Kompositionen schätzten sogar musikalische Großmeister wie Josquin-Desprez und Adrian Willaert, die in den Königshäusern und großen Kathedralen Europas gefeiert wurden. Mit ihnen stand die Fürstin in einem außergewöhnlich engen Kontakt – die S.O.L. vereinigte ihre Mitglieder über die Grenzen hinweg.

„In zwei Tagen steigt das Johannisfest.“ In ihrer Stimme klirrte nackte Boshaftigkeit. Sie wollte wenigstens ihren Blutdurst nähren, wenn er schon nicht auf ihre lüsternen Wünsche einging. „Ludwig würde dir nicht verzeihen, wenn es nicht gelingt, die Bischöfe und Fürsten, die geladen sind, zu einer Partei gegen König Karl zu schmieden. Ludwig will König werden – und du hast es ihm versprochen.“

Prelati fasste hart in ihr Gesicht. „Denkst du, das wüsste ich nicht? Ich bin kein Idiot wie dein Mann.“

Für einen Moment war sie versucht, ihm eine Ohrfeige zu verpassen – doch einerseits liebte sie seine Wildheit, andererseits hielt sie es für unklug, gegen ihn aufzubegehren. „Du hast gesagt, dass du mir morgen Nacht ein Geschenk machen willst ….“

„So ist es.“

„Verrätst du’s mir?“

„Erinnerst du dich an Beltane vor ein paar Wochen?“

„Beltane, die Walpurgisnacht … Als wir den Maibaum errichteten, sagtest du: Dies ist die Zeit, wo sich süßes Verlangen mit Entzücken paart.“ Die Fürstin blickte ihren Meister lüstern an. „Alle Schwestern und Brüder ließen ihrer Lust freien Lauf.“

„Und du warst die Wildeste von allen.“

Die Fürstin schmunzelte. „Ich sehe noch heute Ludwigs grimmigen Blick vor mir.“

Prelatis Hand streichelte ihre Schultern. „Als wir die dreiunddreißig entführten Kinder aus Gelderland verbrannten, hast du mit unseren Schwestern einen Veitstanz ums Feuer aufgeführt.“

Die Fürstin rieb sich die Augen, als wäre sie gerade wach geworden. „Werde ich wirklich Königin? Und wirst du bei mir bleiben?“

Prelatis Augen sandten Blitze aus. „Wieso zweifelst du daran?“

„Ich habe ein schlechtes Gefühl.“

Prelati lachte. „Auf die Gefühle einer Frau sollte man sich nicht verlassen …“

Die Fürstin packte mit beiden Händen Prelatis Gesicht. „Auf die des Teufels erst recht nicht.“

Sie küssten sich lange und leidenschaftlich. Ihre Blicke verschwammen ineinander und als sie ihre Augen wieder öffneten, war es, als sei von Prelati zur Fürstin und von ihr zurück zu ihm ein Lichtstrahl entstanden, der sie auf immer verband. Prelati biss, im Rausch plötzlicher Gefühle, in ihren Hals.

„Du tust mir weh!“, schrie sie auf.

Er biss noch fester zu. „Schmerz befreit.“ Er legte seine Kralle in ihren Nacken. „Wie könnte dein Auftrag lauten?“

Die Fürstin lachte auf. „Töten.“ Sie umarmten sich und küssten sich gierig, dabei gerieten sie in einen zuckenden Gespenstertanz.

„Der Herr dieser Welt will Blut.“ Hohn und Spott klang aus seinen Worten. „Satan ist begierig. Was dem dummen Volk immer mal wieder gezeigt werden muss. Je höher die Zahl, desto besser für das Land. Blut ist ein guter Dünger für die Erde.“

„Versprichst du mir, dass ich Königin werde?“

„Solange dein ruhmsüchtiger Mann tut, was ich ihm sage. Zuerst Königin und dann Kaiserin.“

„Herrschen werde sowieso ich. Ludwig ist zu schwach.“

Er biss in ihr Ohr. „Du wirst die verrufenste Herrscherin seit Messalina werden.“

Seine Prophezeiung raubte ihr für einen Moment den Atem. Sie stöhnte kokett: „Mein Teufel …“

Prelati strich über den Bogen ihrer Oberlippe. „Wäre ich nicht gekommen, wärst du wie eine kleine Meerjungfrau auf dem Trockenen verdorrt.“

Die Fürstin schürzte ihre Lippen. „Bildest du dir ein, außer dir gäbe es keine Männer?“

Seine Antwort bestand in einem Kuss, nicht sanft, sondern fordernd. Ungemein zwingend. Der Atem des Todes. Seine Finger glitten über ihre Augenbrauen, wie bei einer magischen Beschwörung. Sie sah rote Kreise vor ihren Augen.

Sibyl genoss ihre Verworfenheit.

VI. Burg Reitzenstein, ebenfalls um die neunte Stunde

Geräuschvoll wälzte der Fürst seinen massigen Körper herein. Eifersucht stand in seinem Gesicht. Ein Gesicht mit fliehender Stirn und fliehendem Kinn, einer hochgezogenen Nase und aufgeworfenen, wollüstigen Lippen. Ein Fischgesicht, wie die Fürstin mit kalter Verachtung sagte, in dessen Glubschaugen graue Pupillen schwammen. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, polterte er mit seiner heiseren Stimme. „Da bist du, Prelati. Ich suche dich überall. Wenn ich nicht irre, wird der Abt von Niersbachthal in wenigen Augenblicken hier sein.“

„Er hat um die Unterredung gebeten, weil er seine Felle davonschwimmen sieht.“ Prelati sah ihn herablassend an. „Also ist Hochwürden der Bittsteller. Er kann warten. Und wenn nicht, wird er es in seinem Alter wohl oder übel noch lernen müssen.“