The Big Short - Michael Lewis - E-Book
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The Big Short E-Book

Michael Lewis

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Beschreibung

Die wahre Geschichte hinter der großen Finanzkrise – spannend wie ein Krimi

Das ganze Geld ist nicht weg – es hat nur die Besitzer gewechselt. Was genau sich kurz vor der großen Finanzkrise hinter den Kulissen der Wall Street abspielte, erzählt der ehemalige Investmentbanker und heutige Bestsellerautor Michael Lewis auf eindrucksvolle Weise. In der wahren Geschichte über Gier und Maßlosigkeit im Herzen der Finanzwirtschaft legt er die zynischen Mechanismen der Märkte offen und erzählt von der Erfindung einer monströsen Geldmaschine: Eine Handvoll findiger Hedgefondsmanager ahnte den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in den USA voraus und wettete gegen den Markt. Mit Erfolg.

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Seitenzahl: 573

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Buch

Einige wenige haben von der Finanzkrise glorreich profitiert. Wie haben sie das angestellt? Unmittelbar bevor der US-Immobilienmarkt zusammenbrach, hatten findige Investmentbanker den Zusammenbruch des Marktes vorausgesehen, auf das Platzen der Blase gewettet und Milliarden verdient. Sie taten das nicht aus böser Absicht oder weil sie hellseherische Fähigkeiten besaßen, sondern weil es Teil ihres Geschäftsmodells war: Sie investierten in die Schwachstellen der Finanzmaschinerie.

Michael Lewis erzählt in seinem Buch die wahre Geschichte hinter dem großen Crash. Er entlarvt dabei weniger ihre mitunter skurrilen Protagonisten als vielmehr ein System, das sich verselbstständigt hat und mit moralischen Kategorien wie Habgier oder Maßlosigkeit längst nicht mehr zu fassen ist.

Autor

Michael Lewis, geboren 1960 in New Orleans, ist Wirtschaftsjournalist und erfolgreicher Autor von zahlreichen Sachbüchern. Er hat Abschlüsse der Princeton University und der London School of Economics. Seine Erfahrungen als Investmentbanker verarbeitete er 1989 in seinem ersten Buch »Liar’s Poker«, das sofort auf Platz 1 der Sachbuch-Bestsellerliste schoss. Zahlreiche weitere Bestseller folgten. Auch »The Big Short« stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times. Michael Lewis lebt mit seiner Familie in Berkeley, Kalifornien.

Von Michael Lewis ist im Goldmann Verlag außerdem erschienen:

Flash BoysRebellen des Denkens

Michael Lewis

The Big Short

Wie eine Handvoll Traderdie Welt verzockte

Aus dem Englischenvon Ulrike Bischoff, Petra Pykaund Birgit Schöbitz

GOLDMANN

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Dieses Werk erschient ursprünglich unter dem Titel »The Big Short. Inside the Doomsday Machine« bei W.W. Norton & Company, Inc.
Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Copyright © 2010 by Michael Lewis Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main/New York. Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München in Anlehnung an die Gestaltung der HC-Ausgabe (R·M·E, Roland Eschlbeck und Ruth Botzenhardt, München) Umschlagmotiv: plainpicture

Für Michael Kinsley, dem ich immer noch einen Artikel schulde.

Auch der schwierigste Sachverhalt ist dem Dümmsten zu vermitteln, wenn er noch keine Vorstellung davon hat. Dagegen lässt sich selbst dem Klügsten nicht das Allereinfachste erklären, wenn er sich fest einbildet, bereits genau zu wissen,worum es geht.

Leo Tolstoi, 1897

Inhalt

Vorwort: Der Poltergeist

1.Die Geschichte des geheimen Ursprungs

2.Unter Blinden

3.»Wie kann einer lügen, der die Sprache überhaupt nicht beherrscht?«

4.Wie man Wanderarbeiter erntet

5.Kapitalisten – weil es der Zufall sowollte

6.Spider-Man im Hotel The Venetian

7.Auf großer Schatzsuche

8.Die Ruhe vor dem Sturm

9.Eine Passion stirbt

10.Zwei Männer in einem Boot

Epilog: Alles hängt miteinander zusammen

Dank

Register

Vorwort: Der Poltergeist

Warum mir eine Investmentbank an der Wall Street so bereitwillig Hunderttausende US-Dollar dafür zahlte, dass ich erwachsenen Menschen erklärte, wie sie ihr Geld anlegen sollten, ist mir bis heute schleierhaft. Ich war 24 Jahre alt und hatte weder Erfahrung damit noch ein besonderes Interesse daran zu erraten, welche Aktien und Anleihen steigen und welche fallen würden. Die grundlegende Aufgabe der Wall Street besteht in der Zuteilung von Kapital – in der Entscheidung, wer welches bekommt und wer nicht. Sie dürfen mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich davon keinen blassen Schimmer hatte. Ich hatte nie einen Kurs in Rechnungswesen belegt, nie ein Unternehmen geführt, ja, nicht einmal irgendwann eigene Ersparnisse gehabt, die ich hätte verwalten können. Irgendwie war ich 1985 dennoch an einen Job bei Salomon Brothers gekommen, den ich 1988 mit deutlich mehr Geld auf meinem Konto wieder aufgab. Obwohl ich inzwischen über diese Erfahrung ein eigenes Buch geschrieben habe, kommt mir das Ganze immer noch vollkommen absurd vor – ein Grund dafür, dass es mir so leichtgefallen ist, dem Geld den Rücken zu kehren. Ich war überzeugt, dass meine Situation untragbar war. Früher oder später musste doch jemandem auffallen, dass ich – ebenso wie viele andere, denen es ähnlich erging wie mir – ein Hochstapler war. Und eher früher als später würde es zur großen Abrechnung kommen, wenn die Wall Street aufwachte und Hunderte, wenn nicht Tausende wie mich, denen es absolut nicht zustand, eine Menge Geld anderer Leute aufs Spiel zu setzen und wieder andere Leute zu hohen Einsätzen zu überreden, aus der Finanzwelt ausstoßen würde.

Als ich mich daranmachte, meine Erfahrungen schriftlich niederzulegen – unter dem Titel Liar’s Poker, aufDeutsch als Wall Street Poker erschienen –, geschah das in dem etwas naiven Glauben, dass ich einfach aufhörte, als es am schönsten war. Ich kritzelte einfach eine Botschaft auf einen Zettel und stopfte diesen in eine Flasche für alle, die in ferner Zukunft in diese Gefilde geraten würden. Wenn diese Geschichte nicht von einem Insider aufgezeichnet würde, so dachte ich, würde nie jemand glauben, dass sie sich tatsächlich so zugetragen hatte.

Bis zu diesem Zeitpunkt bezog sich praktisch alles, was jemals über die Wall Street veröffentlicht worden war, auf den Aktienmarkt. Der Aktienmarkt war von Anfang an das Zentrum aller Aktivitäten an der Wall Street. Mein Buch befasste sich vornehmlich mit dem Rentenmarkt, denn inzwischen verdiente die Wall Street sogar noch mehr Geld mit dem Zusammenschnüren, Verkaufen und Hin- und Herschieben der wachsenden Schuldenberge Amerikas. Auch das hielt ich für untragbar. Mein Buch betrachtete ich als Historiendrama über das Amerika der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als eine große Nation ihren Finanzverstand verlor. Ich ging davon aus, dass künftige Leser entsetzt zur Kenntnis nehmen würden, dass der CEO von Salomon Brothers, John Gutfreund, 3,1 Millionen US-Dollar verdiente, als er das Unternehmen an die Wand fuhr. Ich war sicher, sie würden mit offenem Mund die Geschichte von Howie Rubin lesen, dem auf Hypothekenpapiere spezialisierten Trader von Salomon Brothers, der zu Merrill Lynch wechselte und prompt 250 Millionen US-Dollar in den Sand setzte. Ich erwartete, dass sie schockiert darauf reagieren würden, dass CEOs an der Wall Street seinerzeit nur eine sehr vage Vorstellung von den komplexen Risiken hatten, die mit ihren Anleihen verbunden waren.

Ungefähr so stellte ich mir das vor. Nie hätte ich gedacht, dass ein künftiger Leser im Rückblick auf diese Situation oder meine seltsame persönliche Erfahrung sagen könnte: »Wie drollig. Wie unschuldig.« Nicht im Traum wäre mir eingefallen, dass die Finanzwelt der achtziger Jahre noch zwei ganze Jahrzehnte fortbestehen könnte oder dass sich der graduelle Unterschied zwischen der Wall Street und der Realwirtschaft zu einem grundlegenden auswachsen würde. Dass ein einzelner Anleihenhändler 47 Millionen US-Dollar im Jahr verdienen und sich dabei noch übervorteilt fühlen könnte. Dass der in der Handelsabteilung von Salomon Brothers erfundene Markt für Hypothekenanleihen, der damals eine geniale Idee zu sein schien, zur größten, fast ausschließlich finanzmarktbedingten Wirtschaftskrise der Geschichte führen könnte. Dass genau 20 Jahre nach Howie Rubin, der es zu fragwürdiger Berühmtheit brachte, weil er 250 Millionen US-Dollar verzockte, ein anderer auf Hypothekenpapiere spezialisierter Händler namens Howie mit einer einzigen Transaktion bei Morgan Stanley 9 Milliarden US-Dollar vernichten und weitgehend unbekannt bleiben sollte. Lediglich einem kleinen internen Kreis bei Morgan Stanley sollte je zu Ohren kommen, was er getan hatte und warum.

Als ich an meinem ersten Buch schrieb, hatte ich keinen Plan. Ich wollte einfach nur loswerden, was ich für eine denkwürdige Geschichte hielt. Wenn Sie mir damals ein paar Drinks spendiert und mich gefragt hätten, welche Wirkung dieses Buch wohl auf die Welt haben würde, hätte ich vermutlich in etwa folgendermaßen geantwortet: »Ich hoffe, dass es von Studenten gelesen wird, die darüber nachdenken, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen, und zu dem Schluss kommen, dass es dumm wäre, unredlich zu sein, und deshalb ihre Begeisterung für oder ihr nur flüchtiges Interesse an einer Karriere in der Finanzwelt vergessen.« Ich hoffte, dass der eine oder andere helle Kopf an der Ohio State University, der eigentlich gern Ozeanograf werden wollte, mein Buch lesen und das Angebot von Goldman Sachs ausschlagen und stattdessen in See stechen würde.

Doch diese Botschaft kam irgendwie nicht an. Sechs Monate nach dem Erscheinen von Wall Street Poker watete ich knietief in Briefen von Studenten der Ohio State University, die alle wissen wollten, was ich sonst noch über die Wall Street zu sagen hätte. Sie hatten mein Buch als Anleitung verstanden.

In den 20 Jahren, nachdem ich ihr den Rücken gekehrt hatte, wartete ich darauf, dass die Wall Street, wie ich sie kannte, untergehen würde. Die ungeheueren Bonuszahlungen, die endlose Parade betrügerischer Trader, der Skandal, der Drexel Burnham untergehen ließ, die Bloßstellung, die die Karriere von John Gutfreund zerstörte und das Ende von Salomon Brothers besiegelte, die Krise, die auf den Zusammenbruch von Long-Term Capital Management folgte, das mein früherer Chef John Meriwether leitete, das Platzen der Internetblase: Immer und immer wieder diskreditierte sich das Finanzsystem in irgendeiner Form. Dennoch wuchsen die großen Banken der Wall Street, die im Zentrum dieser Entwicklungen standen, ungehemmt weiter und gleichzeitig auch die Summen, die sie 26-jährigen Mitarbeitern in die Hand drückten, um damit Aufgaben zu erfüllen, die ganz offensichtlich keinen gesellschaftlichen Nutzen brachten. Der Aufstand der amerikanischen Jugend gegen die Kultur des Geldes blieb aus. Warum sollte man auch die Welt seiner Eltern auf den Kopf stellen, wenn man sie stattdessen kaufen, zerschlagen und gewinnbringend veräußern konnte?

Irgendwann wollte ich nicht länger warten. Es würde keinen Skandal geben, so dachte ich, und auch keinen Rückschlag, der heftig genug wäre, um das System aus den Angeln zu heben.

Doch dann kam Meredith Whitney. Whitney war eine unbedeutende Analystin für Finanzunternehmen bei einem unbedeutenden Finanzunternehmen, Oppenheimer und Co., die vom 31. Oktober 2007 an nicht länger unbedeutend sein sollte. An jenem Tag prognostizierte Whitney, dass das Missmanagement bei der Citigroup dazu führen würde, dass diese entweder Dividenden kürzen oder Konkurs anmelden werde. Was an einem bestimmten Tag auf dem Aktienmarkt welche Reaktionen auslöst, wird im Nachhinein niemals richtig klar. Es war jedoch relativ eindeutig, dass Meredith Whitney am 31. Oktober einen Einbruch des Marktes für Finanzwerte herbeigeführt hat. Bei Handelsschluss hatte eine Frau, von der zuvor kaum jemand gehört hatte und die als Niemand abqualifiziert worden wäre, die Citigroup-Aktie um ganze 8 Prozent und den Wert des US-Aktienmarktes um 390 Milliarden US-Dollar absacken lassen. Vier Tage später trat Citigroup-CEO Chuck Prince zurück. Zwei Wochen später kürzte die Citigroup ihre Dividende.

Seither wurde aus Meredith Whitney ein E. F. Hutton: Wenn sie sprach, hörten die Menschen zu. Ihre Botschaft war unmissverständlich: Wer wissen wollte, was solche Wall-Street-Firmen wirklich wert waren, musste einen kritischen Blick auf die Schrottpapiere werfen, die sie mit geliehenem Geld erworben hatten, und ausrechnen, was diese bei einem Notverkauf einbringen würden. Die Scharen hoch bezahlter Mitarbeiter waren in ihren Augen gar nichts wert. Das ganze Jahr 2008 hindurch verfolgte sie die Beteuerungen der Banker und Broker, sie hätten ihre Probleme nach dieser Abschreibung oder jener Kapitalerhöhung im Griff, und hielt dagegen: Stimmt nicht. Ihr verweigert euch noch immer der Erkenntnis, wie miserabel ihr eure Unternehmen geführt habt. Ihr weist noch immer nicht die US-Dollar-Milliarden aus, die ihr mit minderwertigen Hypothekenpapieren verloren habt. Der Wert eurer Wertpapiere ist ebenso illusorisch wie der Wert eurer Mitarbeiter. Konkurrenten widersprachen, Whitney werde überschätzt. Blogger warfen ihr vor, sie habe einfach Glück gehabt. Auf jeden Fall hatte sie recht. Es stimmt allerdings, dass sie manches einfach geraten hatte. Was mit den Wall-Street-Unternehmen passieren würde, hätte sie auf keinen Fall erahnen können – und ebenso wenig das Ausmaß ihrer Verluste auf dem Markt für Subprime-Hypotheken. Darüber waren sich nicht einmal die CEOs selbst im Klaren. »Entweder das, oder sie lügen alle«, sagte sie. »Aber ich gehe davon aus, dass sie wirklich keine Ahnung hatten.«

Meredith Whitney hat offensichtlich nicht den Untergang der Wall Street ausgelöst. Sie hatte lediglich klar und stimmgewaltig eine Ansicht geäußert, die sich als weit aufwieglerischer für die gesellschaftliche Ordnung erweisen sollte als beispielsweise viele Kampagnen verschiedener New Yorker Generalstaatsanwälte gegen Korruption an der Wall Street. Hätte ein Skandal ausgereicht, um den großen Investmentbanken der Wall Street den Garaus zu machen – sie wären längst Geschichte. Diese Frau behauptete ja gar nicht, die Wall-Street-Banker seien korrupt. Sie behauptete lediglich, dass sie dumm seien. Diese Leute, deren Aufgabe es war, Kapital zu verwalten, hatten offenbar nicht einmal ihr eigenes Kapital richtig im Griff.

Ich gebe zu, dass ein Teil von mir dachte: Wenn ich nur dabeigeblieben wäre, hätte ich selbst eine solche Katastrophe lostreten können. Die Akteure, die im Mittelpunkt des Citigroup-Debakels standen, waren dieselben Leute, mit denen ich bei Salomon Brothers zusammengearbeitet hatte. Ein paar hatten bei Salomon Brothers sogar an den gleichen Schulungen teilgenommen wie ich. Irgendwann konnte ich mich nicht länger zurückhalten: Ich rief Meredith Whitney an. Das war im März 2008, kurz vor dem Zusammenbruch von Bear Stearns, als noch nicht klar war, wie die Sache ausgehen würde. Ich dachte, wenn sie recht hat, dann könnte das vielleicht der Moment sein, an dem die Finanzwelt wieder in die Schranken gewiesen wird, denen sie sich Anfang der achtziger Jahre entzogen hatte. Ich wollte wissen, ob sie stichhaltig argumentierte, aber auch, wo diese junge Frau herkam, die mit einem Wort den Aktienmarkt erschüttern konnte.

Sie war 1994 an der Wall Street gelandet, nachdem sie Anglistik an der Brown University studiert hatte. »Ich kam nach New York und wusste gar nicht, was Research war«, erzählte sie. Sie bekam eine Stelle bei Oppenheimer and Co. und hatte dann unglaubliches Glück: Sie wurde von einem Mann ausgebildet, der ihr nicht nur half, eine Karriere aufzubauen, sondern auch eine Weltsicht zu entwickeln. Das sei ein gewisser Steve Eisman gewesen, berichtete sie. »Nach meiner Prognose über die Citibank«, gestand sie, »war einer der schönsten Momente für mich, als Steve anrief und mir sagte, wie stolz er auf mich sei.« Da ich noch nie von Steve Eisman gehört hatte, dachte ich mir weiter nichts dabei.

Doch dann las ich die Meldung, dass ein eher unbekannter New Yorker Hedgefondsmanager namens John Paulson für seine Investoren schlappe 20 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet hatte – und knapp 4 Milliarden für sich selbst. Nie zuvor hatte jemand an der Wall Street so schnell so viel Geld verdient. Hinzu kam, dass ihm dieser Coup gelungen war, indem er gegen genau die minderwertigen Hypothekenpapiere spekuliert hatte, die inzwischen die Citigroup und jede andere große Investmentbank an der Wall Street in Schwierigkeiten gebracht hatten. Investmentbanken an der Wall Street sind wie Spielkasinos in Las Vegas: Sie legen die Gewinnquoten fest. Der Kunde, der gegen sie Nullsummenspiele spielt, gewinnt vielleicht hin und wieder, doch nie systematisch – und nie so spektakulär, dass er die Bank sprengt. Doch auch John Paulson war Kunde der Wall Street gewesen. Er entsprach genau dem Bild von Inkompetenz, das Meredith Whitney gezeichnet und womit sie sich ihren Namen gemacht hatte. Das Kasino hatte seine Chancen in seinem eigenen Spiel krass fehlbewertet, und zumindest ein Spieler hatte es bemerkt. Ich rief erneut Whitney – und auch andere – an, um herauszufinden, ob sie jemanden kannten, der die verheerenden Entwicklungen bei Subprime-Hypotheken vorhergesehen und sich im Vorfeld so aufgestellt hatte, dass er daran ein Vermögen verdiente. Wem war sonst noch aufgefallen, dass das Rouletterad vorhersehbar geworden war, bevor es das Kasino merkte? Wer sonst in der Black Box der modernen Finanzwelt hatte die Schwachpunkte in der Maschinerie erkannt?

Das war Ende 2008. Damals beanspruchte eine große und ständig wachsende Reihe von Experten für sich, die Katastrophe vorhergesagt zu haben. Die Liste der Leute, auf die das tatsächlich zutraf, war deutlich kürzer. Und noch weniger hatten sich getraut, ihr Geld auf ihre Überzeugung zu setzen. Wenn man nicht gerade verrückt ist, ist es nicht so einfach, sich der Massenhysterie zu entziehen und zu glauben, dass die meisten Finanzmeldungen falsch sind und dass die wichtigsten Finanzexperten lügen oder getäuscht werden. Whitney gab mir eine Aufstellung, die ein halbes Dutzend Namen enthielt – meist Investoren, die sie persönlich beraten hatte. In der Mitte stand John Paulson. Ganz oben Steve Eisman.

Kapitel 1

Die Geschichte des geheimen Ursprungs

Eisman betrat die Finanzbühne etwa um die Zeit, als ich sie verließ. Er war in New York aufgewachsen, hatte Yeshiva-Schulen besucht, sein Studium an der University of Pennsylvania magna cum laude abgeschlossen und sein Jurastudium in Harvard mit Auszeichnung. 1991 arbeitete der 31-Jährige als Anwalt für Unternehmensrecht und fragte sich, was ihn an diesem Beruf jemals gereizt hatte. »Ich hasste ihn«, erzählte er. »Ich wollte kein Anwalt sein. Meine Eltern arbeiteten als Makler beim Wertpapierspezialisten Oppenheimer. Sie schanzten mir einen Job zu. Nichts, worauf ich besonders stolz bin, aber so war es.«

Oppenheimer gehörte zu den letzten altmodischen Personengesellschaften der Wall Street und lebte von dem, was Goldman Sachs und Morgan Stanley übrig ließen. Die Atmosphäre dort erinnerte an einen Familienbetrieb. Lillian und Elliot Eisman berieten schon seit Anfang der sechziger Jahre Einzelanleger in Finanzangelegenheiten. (Lillian hatte innerhalb von Oppenheimer ein Maklergeschäft aufgezogen, und Elliot, der ursprünglich Strafverteidiger gewesen war, war eingestiegen, nachdem er einmal zu oft Drohungen von Mandanten aus dem Mittelbau der Mafia erhalten hatte.) Von Kollegen und Kunden gleichermaßen geschätzt und respektiert, konnten sie einstellen, wen sie wollten. Bevor sie ihren Sohn vor einer Karriere als Jurist bewahrten, hatten sie bereits dessen ehemaliges Kindermädchen in der Handelsabteilung von Oppenheimer untergebracht. Auf dem Weg zu seinen Eltern begegnete Eisman der Dame, die ihm schon die Windeln gewechselt hatte. Bei Oppenheimer gab es jedoch eine Regel gegen Vetternwirtschaft. Wenn Lillian und Elliot ihren Sohn einstellen wollten, mussten sie sein Gehalt im ersten Jahr aus eigener Tasche zahlen. Während dieser Zeit würden andere entscheiden, ob er sein Geld wert war.

Eismans Eltern waren im Herzen konservative, wertorientierte Investoren und hatten ihm stets erzählt, dass man als Aktienanalyst am meisten über die Wall Street lernen könne. Also stieg er in die Aktienanalyse ein und arbeitete für die Menschen, die die öffentliche Meinung über öffentlich gehandelte Unternehmen prägten. Oppenheimer beschäftigte etwa 25 Analysten, deren Analysen von der übrigen Wall Street weitgehend ignoriert wurden. »Als Analyst bei Oppenheimer konnte man nur Geld verdienen, wenn man richtiglag und das so lautstark herumposaunte, dass andere es mitbekamen«, berichtete Alice Schroeder, die bei Oppenheimer für Versicherungsgesellschaften zuständig war, dann zu Morgan Stanley wechselte und schließlich zur offiziellen Biografin von Warren Buffett avancierte. »Es gab da ein Element, das der Kultur von Oppenheimer zuwiderlief«, ergänzte sie. »Die Leute bei den großen Firmen wurden ausnahmslos dafür bezahlt, einer Meinung zu sein.« Eisman hatte ein besonderes Talent dafür, sich Gehör zu verschaffen und der einhelligen Meinung zu widersprechen. Er begann als Nachwuchsaktienanalyst in Assistentenfunktion, von dem man keine eigenen Beiträge erwartete. Das änderte sich im Dezember 1991, als er noch kein Jahr in seinem neuen Job tätig war. Ein Vergeber zweitklassiger Hypothekenkredite namens Aames Financial ging an die Börse. Bei Oppenheimer schien niemand geneigt, dazu eine Meinung zu äußern. Ein Oppenheimer-Banker, der mit einem Wechsel zu Aames liebäugelte, stürmte in die Research-Abteilung und suchte jemanden, der etwas vom Hypothekengeschäft verstand. »Ich war Nachwuchsanalyst und hatte noch nicht viel Ahnung«, erzählte Eisman, »doch ich erklärte ihm, dass ich als Anwalt an einer Transaktion für The Money Store mitgewirkt hatte.« Prompt wurde er zum Chefanalysten für Aames Financial ernannt. »Was ich ihm verschwiegen hatte: Meine Aufgabe hatte im Korrekturlesen der Unterlagen bestanden, und ich hatte kein Wort von dem ganzen Zeug kapiert.«

Aames Financial gehörte wie The Money Store zu einer neuen Gattung von Unternehmen, die Darlehen an finanzschwache Amerikaner vergaben und beschönigend als »Spezialfinanzunternehmen« bezeichnet wurden. Goldman Sachs und J. P. Morgan gehörten nicht dazu, wohl aber viele weniger bekannte Unternehmen, die auf die eine oder andere Weise mit dem Anfang der neunziger Jahre einsetzenden Boom bei der Vergabe von Hypotheken an Kreditnehmer mit niedriger Bonität zu tun hatten. Aames war der erste Anbieter solcher Hypotheken, der an die Börse ging. Das zweite Unternehmen, für das Eisman allein zuständig war, hieß Lomas Financial Corporation. Lomas hatte gerade ein Konkursverfahren hinter sich. »Ich gab eine Verkaufsempfehlung für die Klitsche, die meiner Ansicht nach nichts wert war. Ich wusste nicht, dass wir keine Verkaufsempfehlungen für Unternehmen abgeben sollten. Ich dachte, dass es drei Kategorien gäbe – Kaufen, Halten, Verkaufen – und dass man diejenige auswählen sollte, die nach eigenem Ermessen die richtige war.« Ihm wurde nahegelegt, sich ein bisschen optimistischer zu äußern, doch das lag nicht in Steve Eismans Natur. Er konnte zwar Zuversicht vortäuschen und tat das bisweilen auch, doch im Grunde wollte er das nicht. »Ich konnte über den Korridor hören, wie er in sein Telefon brüllte«, berichtete ein ehemaliger Kollege, »und hemmungslos die Aktien von Unternehmen niedermachte, die er analysierte. Er sagt eben, was er denkt.« Eisman beharrte auf seiner Verkaufsempfehlung für Lomas Financial, obwohl die Lomas Financial Corporation bekannt gab, dass sich die Investoren keine Sorgen um ihre Finanzlage machen müssten und die Marktrisiken abgesichert seien. »Meine spektakulärsten Zeilen als Analyst schrieb ich«, erzählte Eisman, »nachdem Lomas seine Risiken als abgesichert bezeichnet hatte.« Er zitierte aus dem Gedächtnis: »›Die Lomas Financial Corporation ist ein vollständig gehedgtes Finanzinstitut: Es verliert in jedem denkbaren Zinsumfeld Geld.‹ Nie wieder hat mir ein Satz, den ich geschrieben habe, so viel Freude bereitet.« Ein paar Monate nach seiner Veröffentlichung meldete die Lomas Financial Corporation erneut Konkurs an.

Eisman etablierte sich rasch als einer der wenigen Analysten von Oppenheimer, deren Ansichten die Märkte in Aufruhr versetzten. »Ich kam mir vor, als sei ich wieder in der Schule«, sagte er. »Ich lernte etwas über eine Branche, und anschließend schrieb ich eine Arbeit darüber.« An der Wall Street galt er bald als Unikum. Seine nur halb gediegene Kleidung wirkte, als habe ihn jemand teuer eingekleidet, aber zu erklären vergessen, wie er die einzelnen Teile kombinieren sollte. Sein kurzes blondes Haar sah aus, als habe er es selbst geschnitten. Das Augenfälligste an seinem weichen, ausdrucksstarken, nicht unfreundlichen Gesicht war sein Mund – vor allem deshalb, weil er immer halb offen stand, auch beim Essen. So, als befürchte er, einen Gedanken, der ihm durch den Kopf schoss, nicht schnell genug aussprechen zu können, bevor der nächste auftauchte, weshalb er den Kanal ständig offen hielt. Seine gesamte Mimik richtete sich stets an dem jeweils aufkeimenden Gedanken aus. Sein Gesicht war das genaue Gegenstück zu einem Pokerface.

In seinem Umgang mit der Außenwelt kristallisierte sich ein Muster heraus. Die wachsende Zahl der Menschen, die für Steve Eisman arbeiteten, schätzte ihn entweder sehr oder fand ihn zumindest amüsant und würdigte seine Bereitschaft und Fähigkeit, sein Geld und sein Wissen weiterzugeben. »Er ist der geborene Lehrer«, erzählte eine seiner Mitarbeiterinnen. »Und ein engagierter Beschützer der Frauen.« Er identifizierte sich mit den kleinen Leuten und den Benachteiligten, obwohl er selbst nicht so richtig dazugehörte. Wichtige Zeitgenossen, die von Eisman Zeichen der Ehrehrbietung oder des Respekts erwarteten, waren nach der Begegnung mit ihm häufig schockiert und empört. »Viele Menschen verstehen Steve nicht«, verriet mir Meredith Whitney. »Doch wer ihn versteht, der hat ihn gern.« Zu den Leuten, die Steve nicht verstanden, gehörte der Chef eines großen US-amerikanischen Maklerhauses. Er musste erleben, wie Eisman vor mehreren Dutzend Investoren bei einem Mittagessen erklärte, warum er, der Leiter des Maklerhauses, keine Ahnung von seinem Geschäft habe. Dann stand Eisman während des Essens auf und verschwand. (»Ich musste auf die Toilette«, erklärte Eisman. »Ich weiß nicht mehr, warum ich danach nicht mehr zurückgegangen bin.«) Nach diesem Essen verkündete der Mann, er werde nie wieder denselben Raum betreten wie Steve Eisman. Eine ähnliche Erfahrung machte der Präsident eines großen japanischen Immobilienunternehmens. Er hatte Eisman den Jahresabschluss seiner Firma geschickt und war dann mit einem Dolmetscher aufgetaucht, um Eisman zur Investition zu überreden. »Sie halten ja selbst keine Aktien Ihres Unternehmens«, meinte Eisman nach der üblichen ausführlichen Vorstellung des japanischen Geschäftsmanns. Der Dolmetscher nahm Rücksprache mit dem CEO.

»In Japan ist es nicht üblich, dass Mitglieder der Geschäftsleitung Aktien erwerben«, sagte er schließlich.

Eisman hatte befunden, dass der vorgelegte Jahresabschluss keine Angaben zu den wirklich wichtigen Fakten über das Unternehmen des Japaners enthielt. Doch statt ihm das einfach zu sagen, hob er das Dokument mit spitzen Fingern hoch, als ekle er sich davor. »Das hier…ist Toilettenpapier«, sagte er. »Übersetzen Sie das.«

»Der Japaner nimmt seine Brille ab«, erinnerte sich ein Zeuge der seltsamen Begegnung. »Seine Lippen zittern. Der Dritte Weltkrieg steht bevor. ›Toy-lay-Papier? Toy-lay-Papier?‹«

Ein Hedgefondsmanager, der Eisman zu seinen Freunden zählt, wollte mir von ihm berichten, brach jedoch nach einer Minute ab – nachdem er beschrieben hatte, wie Eisman verschiedene einflussreiche Persönlichkeiten als Lügner oder Ignoranten entlarvt hatte –, und begann zu lachen. »Irgendwie ist er ein ziemliches Arschloch, aber er ist clever, ehrlich und unerschrocken.«

»Selbst an der Wall Street hält man ihn für unhöflich, unausstehlich und aggressiv«, sagte Eismans Frau Valerie Feigen, die bei J. P. Morgan arbeitete, bevor sie den Damenmodeladen Edit New York aufmachte und sich der Erziehung ihrer Kinder widmete. »Er hat nichts übrig für Umgangsformen. Glauben Sie mir, ich habe mir wirklich alle Mühe gegeben, ihm welche beizubringen.« Als sie ihn ihren Eltern vorstellte, hatte ihre Mutter gesagt: »Tja, wir können nichts mit ihm anfangen, aber wir können ihn bestimmt beim United Jewish Appeal versteigern.« Eisman hatte ein gewisses Talent dafür, andere vor den Kopf zu stoßen. »Er ist nicht aus taktischen Gründen unmanierlich«, erklärte seine Frau. »Er ist einfach so. Er weiß, dass ihn alle für einen Exzentriker halten, doch er selbst sieht sich nicht so. Steven lebt in seiner eigenen Welt.«

Fragte man ihn nach der Aufregung, die er verursachte, schaute Eisman nur verdattert und fast ein bisschen verletzt. »Ich vergesse mich ab und zu«, antwortete er dann achselzuckend.

Die erste von vielen Theorien über Eisman lautet: Er interessierte sich einfach so viel mehr für das, was ihm gerade durch den Kopf ging, als dafür, wen er vor sich hatte, dass Ersteres Letzteres verdrängte. Andere, die Eisman gut kannten, fanden nicht, dass ihm diese Theorie gerecht wurde. Seine Mutter Lillian hat eine ganz andere: »Steven hat eigentlich zwei Persönlichkeiten«, sagte sie vorsichtig. Er war einerseits der kleine Junge, dem sie ein nagelneues Fahrrad geschenkt hatte, dass er sich sehnlichst wünschte – nur um damit in den Central Park zu radeln und es einem Kind zu leihen, das er nie zuvor gesehen hatte und das sich damit schleunigst aus dem Staub machte. Er war aber auch der junge Mann, der den Talmud intensiv studiert hatte – nicht, weil er sich für Gott interessierte, sondern wegen der darin enthaltenen Widersprüche. Seine Mutter war zur Vorsitzenden des Board of Jewish Education, des jüdischen Bildungsausschusses von New York, ernannt worden, und Eisman durchforstete den Talmud nach Ungereimtheiten. »Wer sonst würde den Talmud studieren, um Fehler zu finden?«, fragte seine Mutter. Später, nachdem Eisman richtig reich geworden war und darüber nachdachte, größere Summen gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, stieß er auf eine Organisation namens Footsteps, die chassidische Juden dabei unterstützte, sich von ihrem Glauben abzuwenden. Er konnte noch nicht einmal Geld spenden, ohne Kontroversen vom Zaun zu brechen.

So gut wie jedermann stellt Eisman als sehr eigentümlichen Charakter dar. Und an die Wall Street war er zu Beginn einer sehr eigentümlichen Phase gekommen. Aufgrund der Entstehung des Marktes für Hypothekenpapiere zehn Jahre zuvor hatte sich die Wall Street auf einen ganz neuen Wirkungskreis ausgedehnt: die Schulden einfacher amerikanischer Bürger nämlich. Zunächst befasste sich die neue Maschinerie des Anleihenhandels mit dem solventeren Teil der amerikanischen Bevölkerung. Mit der Ausweitung des Marktes für hypothekenunterlegte Schuldtitel auf weniger kreditwürdige Amerikaner bezog sie ihren Treibstoff dann aus den Schulden des weniger zahlungskräftigen Teils der Bevölkerung.

Hypothekenanleihen unterschieden sich wesentlich von herkömmlichen Unternehmens- oder Staatsanleihen. Eine hypothekarisch besicherte Schuldverschreibung war kein Einzelkredit über einen höheren Betrag und einen klar festgelegten Zeitraum. Sie stellte vielmehr einen Anspruch auf die Kapitalströme aus den gebündelten Hypothekendarlehen Tausender von Eigenheimkäufern dar. Diese Kapitalströme waren von Haus aus problematisch, da die Kreditnehmer ihre Darlehen jederzeit tilgen konnten. Das war der Hauptgrund dafür, dass sich die Investoren zunächst nur zögerlich in Eigenheimhypotheken engagierten. Hypothekennehmer zahlten ihre Schulden in der Regel nur dann zurück, wenn die Zinsen fielen und sie sich billiger refinanzieren konnten. Der Inhaber der Hypothekenanleihe saß dann auf einem Haufen Bargeld, das er zu niedrigeren Zinsen investieren musste. Wer in Eigenheimhypotheken investierte, wusste nicht, wie lange sein Kapital investiert blieb. Er wusste nur, dass er sein Geld dann zurückerhalten würde, wenn es ihm am wenigsten in den Kram passte. Um diese Ungewissheit zu verringern, hatten sich die Leute, mit denen ich bei Salomon Brothers zusammenarbeitete und die den Markt für solche Hypothekenpapiere geschaffen hatten, eine clevere Lösung einfallen lassen. Sie nahmen gigantische Pools von Eigenheimkrediten und zerlegten die Zahlungen der Häuslebauer in sogenannte Tranchen. Wer die erste Tranche kaufte, war vergleichbar mit dem Eigner des Erdgeschosses im Falle einer Überschwemmung: Ihn traf die erste Welle vorzeitiger Tilgungen von Hypotheken. Dafür erhielt er einen höheren Zinssatz. Käufer der zweiten Tranche – sozusagen dem ersten Stock des Hochhauses – bekamen die nächste Welle verfrühter Rückzahlungen ab und wurden dafür mit dem zweithöchsten Zins honoriert. Und so weiter und so fort. Wer in den obersten Stock des Gebäudes investierte, bekam die niedrigste Verzinsung, genoss jedoch die größte Sicherheit, dass seine Anlage nicht vor dem Wunschtermin endete.

Die große Angst der Hypothekeninvestoren der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts war, dass ihr Kapital zu schnell zurückgezahlt werden könnte – nicht, dass sie es nicht wiedersehen würden. Die einer Hypothekenanleihe zugrunde liegenden gebündelten Hypothekendarlehen entsprachen ihrer Größe und der Bonität der Kreditnehmer nach den Standards, die verschiedene quasistaatliche Stellen festgesetzt hatten: Freddie Mac, Fannie Mae und Ginnie Mae. Diese Darlehen waren de facto durch den Staat garantiert. Konnten die Eigenheimbesitzer nicht zahlen, sprang die Regierung ein. Als Steve Eisman in diese neue, rasch expandierende Branche der Spezialfinanzierer hineinstolperte, wurde gerade eine neue Einsatzmöglichkeit für Hypothekenanleihen eingeführt: die Vergabe von Darlehen nämlich, die nicht die Voraussetzungen für staatliche Garantien erfüllten. So sollten Kredite an immer weniger kreditwürdige Eigenheimbesitzer ausgereicht werden – und zwar nicht zum Kauf von Wohneigentum, sondern um Kapital aus dem bereits vorhandenen Eigenheim abzuschöpfen.

Die Hypothekenpapiere, denen minderwertige Eigenheimdarlehen zugrunde lagen, dehnten die ursprünglich für das Problem der vorzeitigen Rückzahlung entwickelte Logik auf das Szenario eines Zahlungsausfalls aus. Wer ins Erdgeschoss – in die erste Tranche – investiert hatte, wäre dann nicht nur vorzeitigen Tilgungen ausgesetzt, sondern Verlusten. Diese Verluste würden sich häufen, bis sein gesamtes Kapital aufgezehrt wäre. Dann würden sie auch die Bewohner der ersten Etage betreffen. Und so weiter.

Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts widmeten sich nur zwei Wall-Street-Analysten hauptberuflich der Untersuchung, welche Auswirkungen es hatte, Kredite an Leute zu vergeben, die kaum je auf der Sonnenseite des Lebens standen. Einer davon war Steve Eisman. Der andere war Sy Jacobs. Jacobs hatte dieselbe Ausbildung bei Salomon Brothers durchlaufen wie ich und arbeitete mittlerweile für eine kleine Investmentbank namens Alex Brown. »Ich saß in den Schulungen von Salomon und hörte, was mit diesem tollen Verbriefungsmodell, das Lewie Ranieri da aufbaute, alles möglich sein sollte«, erinnerte er sich. (Ranieri war so eine Art Gründervater des Marktes für Hypothekenanleihen.) Die Möglichkeiten einer Umwandlung von Eigenheimhypotheken in Anleihen waren atemberaubend. Die Verbindlichkeiten des einen waren die Vermögenswerte des anderen. Das war schon immer so. Doch jetzt war es möglich, immer mehr solcher Verbindlichkeiten in Papiere zu verwandeln, die an jedermann verkauft werden konnten. Kurz, die Handelsabteilung von Salomon Brothers rief kleine Märkte für Anleihen ins Leben, denen die abstrusesten Finanzbeziehungen zugrunde lagen: Kreditkartenforderungen, Leasingverträge für Flugzeuge, Autokredite, Forderungen von Fitnesszentren. Um einen neuen Markt zu erfinden, musste man sich nur einen neuen Vermögenswert suchen, der verpfändet werden konnte. Der nächstliegende unerschlossene Vermögenswert Amerikas war nach wie vor das Eigenheim. Menschen mit Ersthypotheken hatten enorme Kapitalbeträge in ihren Häusern gebunden. Warum sollte man dieses unerschlossene Kapital nicht verbriefen? »Den Subprime-Papieren lag die Überlegung zugrunde, dass eine Zweithypothek mit einem sozialen Stigma behaftet war. Und das sollte anders werden«, erklärte Jacobs, »War die Bonität ein bisschen schlechter, zahlte man mehr – und zwar viel mehr als eigentlich angebracht. Wenn Anleihen auf einem Massenmarkt untergebracht werden könnten, ließen sich die Kosten für die Kreditnehmer drücken. Diese konnten kostspielige Kreditkartenschulden durch niedriger verzinste Hypothekendarlehen ablösen. So entstünde eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.«

Die wachsende Schnittstelle zwischen der Hochfinanz und den unteren Einkommensgruppen Amerikas sollte dieser unteren Mittelschicht zugutekommen. Die neue Effizienz der Kapitalmärkte würde es ihren Angehörigen erlauben, immer niedrigere Zinsen für ihre Schulden zu zahlen. Anfang der neunziger Jahre boten die ersten Vergeber von Subprime-Hypotheken – The Money Store, Greentree, Aames – ihre Aktien einer breiten Öffentlichkeit an, um schnelleres Wachstum zu ermöglichen. Mitte der Neunziger gingen jedes Jahr Dutzende kleine Verbraucherkreditunternehmen an die Börse. Die Subprime-Kreditbranche war Stückwerk. Weil die Kreditgeber viele – wenn auch nicht alle – der Darlehen, die sie vergaben, in Form hypothekarisch besicherter Wertpapiere an andere Investoren weiterverkauften, bestand überdies die Gefahr eines verantwortungslosen Risikoverhaltens. »Es war ein Geschäft, in dem schnelles Geld gemacht wurde«, erzählte Jacobs. »Jedes Geschäft, bei dem man ein Produkt verkaufen und daran verdienen kann, ohne sich Gedanken um seine Leistung zu machen, zieht fragwürdige Charaktere an. Das war die Schattenseite dieser guten Idee. Eisman und ich glaubten beide an dieses großartige Konzept, begegneten jedoch diversen wirklich schmierigen Zeitgenossen. Und genau das war unsere Aufgabe: festzustellen, welche Beteiligten die Richtigen waren, um die tolle Idee umzusetzen.«

Die Vergabe von Subprime-Hypotheken machte noch immer nur einen geringen Bruchteil der US-Kreditmärkte aus. Es ging dabei um Darlehen über ein paar zig Milliarden US-Dollar im Jahr. Dass es sie gab, war sinnvoll. Das fand auch Steve Eisman. »Ich hielt das auch für eine Reaktion auf die wachsende Einkommensschere«, sagte er. »Die Einkommen in unserem Land waren ungleich verteilt, und das Verhältnis verschob sich weiter. Dadurch gab es mehr Kunden mit niedriger Bonität.« Natürlich wurde Eisman dafür bezahlt, die Vergabe von Subprime-Krediten zu begrüßen: Oppenheimer wurde bald zur führenden Bank für die neue Industrie – nicht zuletzt deshalb, weil Eisman einer ihre eifrigsten Befürworter war. »Ich brachte etliche Subprime-Unternehmen an die Börse«, berichtete Eisman. »Sie erzählten gern: ›Wir helfen dem Verbraucher, denn wir holen ihn heraus aus hoch verzinslichen Kreditkartenschulden und ermöglichen ihm die Umstellung auf billigere Hypothekendarlehen.‹ Und ich nahm ihnen diese Geschichte ab.« Doch dann kam alles ganz anders.

Vincent Daniel war in Queens aufgewachsen – ohne die Vergünstigungen, die Steve Eisman für selbstverständlich nahm. Und dennoch – wer die beiden nebeneinander sah, hätte meinen können, Vinny sei stilvoll an der Park Avenue groß geworden und Eisman in der kleinen Doppelhaushälfte an der 82. Avenue. Eisman war dreist, vorlaut und auf den großen Wurf aus. Vinny dagegen war zurückhaltend, skeptisch und gründlich. Er war jung und sportlich, hatte dichtes dunkles Haar und ansprechende Züge, doch seine angenehme Erscheinung wurde getrübt durch seinen besorgten Gesichtsausdruck. Sein Mund schien stets bereit, sich zu verziehen, und seine Augenbrauen hoben sich oft. Er hatte wenig zu verlieren, war jedoch offenbar ständig in Sorge, dass ihm etwas Wichtiges weggenommen werden könnte. Sein Vater war ermordet worden, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, doch dieses Thema war seit jeher tabu. Seine Mutter hatte eine Stelle als Buchhalterin bei einem Rohstoffhändler gefunden. Sie hatte Vinny und seinen Bruder alleine großgezogen. Vielleicht lag es an Queens, vielleicht daran, was seinem Vater zugestoßen war, vielleicht war es Vincent Daniel auch einfach in die Wiege gelegt worden, doch er begegnete seinen Mitmenschen mit höchstem Misstrauen. Als Steve Eisman feststellte: »Vinny ist finster«, äußerte er das mit der Ehrfurcht eines Profis, der seinen Meister gefunden hatte.

Eisman war ein Kind der oberen Mittelschicht, das sich mit einiger Verwunderung an der Penn-Universität wiederfand statt in Yale. Vinny stammte aus der unteren Mittelschicht. Seine Mutter war stolz, dass er es überhaupt aufs College schaffte, und noch stolzer, als er mit seinem Abschluss an der staatlichen Universität Binghampton eine Stelle bei Arthur Andersen in Manhattan fand – derselben Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die ein paar Jahre später dem Enron-Skandal zum Opfer fallen sollte. »Wer in Queens aufwächst, weiß bald, wo das große Geld zu verdienen ist«, meinte Vinny. »Und zwar in Manhattan.« Seine erste Aufgabe als Junior-Wirtschaftsprüfer bestand in der Prüfung von Salomon Brothers. Dabei stach ihm sofort die mangelnde Transparenz der Bücher der Investmentbank ins Auge. Keiner seiner Kollegen konnte erklären, warum die Trader taten, was sie taten. »Ich hatte keine Ahnung, was da vor sich ging«, erzählte Vinny. »Doch das Erschreckende war, dass es meinen Vorgesetzten nicht anders ging. Ich fragte recht grundlegende Dinge – zum Beispiel: Warum halten sie diese Hypothekenanleihe? Spekulieren sie einfach darauf, dass damit Gewinn zu machen ist? Oder geschieht das im Rahmen einer übergeordneten Strategie? Ich dachte, dass ich das wissen sollte. Es ist wirklich schwierig, ein Unternehmen zu prüfen, ohne die Zusammenhänge zu kennen.«

Er kam zu dem Schluss, dass es für einen Wirtschaftsprüfer, der mit der Untersuchung eines Wall-Street-Giganten betraut war, praktisch unmöglich war herauszufinden, ob dieser Gewinn machte oder Geld verlor. Es gab riesige undurchsichtige Bereiche, in denen ein verborgenes Getriebe ständig in Bewegung war. Als Vinny seine Prüftätigkeit mehrere Monate lang ausgeführt hatte, hatte sein Vorgesetzter allmählich genug von seinen Fragen. »Erklären konnte er es mir nicht. Er sagte: ›Vinny, das ist nicht Ihr Job. Ich habe Sie eingestellt, damit Sie bestimmte Aufgaben erfüllen. Also tun Sie das, und halten Sie gefälligst den Mund.‹ Ich verließ sein Büro und sagte zu mir: ›Ich muss hier raus.‹«

Vinny suchte sich einen neuen Job. Einer seiner Schulfreunde arbeitete bei einer Firma namens Oppenheimer and Co. und verdiente nicht schlecht. Er reichte Vinnys Lebenslauf bei der Personalabteilung ein, und dieser fand seinen Weg auf den Schreibtisch von Steve Eisman. Eisman war auf der Suche nach einem Mitarbeiter, der ihm helfen konnte, die zunehmend undurchsichtigen Bilanzierungsmethoden der Verbriefer von Subprime-Hypotheken zu analysieren. »Ich bin kein guter Rechner«, gestand Eisman. »Ich denke in Geschichten. Ich brauche jemanden, der mir mit den Zahlen zur Hand geht.« Vinny hörte, dass Eisman schwierig sein konnte, und war überrascht, dass sich Eisman bei ihrer ersten Begegnung nur dafür zu interessieren schien, ob sie miteinander auskamen. »Es war, als suche er einfach einen Menschen, den er mochte«, erzählte Vinny. Sie hatten sich zweimal getroffen, als Eisman unerwartet anrief. Vinny nahm an, er wolle ihm einen Job anbieten, doch sie hatten ihr Gespräch kaum begonnen, als Eisman einen dringenden Anruf erhielt und Vinny in die Warteschleife legte. Vinny hing schweigend 15 Minuten in der Leitung, doch Eisman meldete sich nicht mehr.

Erst zwei Monate später rief er wieder an und wollte wissen, wann Vinny anfangen könne.

Eisman wusste nicht mehr genau, warum er Vinny aus der Leitung geworfen und nicht wieder zugeschaltet hatte – so, wie er sich auch nicht mehr erinnerte, warum er seinerzeit während des Essens mit dem wichtigen CEO zur Toilette gegangen und nicht zurückgekommen war. Vinny fand bald eine eigene Erklärung. Als Eisman den anderen Anruf entgegennahm, musste er erfahren, dass sein erstes Kind, Max, gerade erst geboren, gestorben war. Valerie, die mit Grippe im Bett lag, war von der Nachtschwester geweckt worden; die teilte ihr mir, dass sie im Schlaf auf das Baby gerollt sei und es erstickt habe. Zehn Jahre später berichteten die Menschen, die Eisman am nächsten standen, dieses Ereignis habe seine Beziehung zur Welt um ihn herum verändert. »Steven hatte sich immer für ein Glückskind gehalten«, erzählte Valerie. »Ihm war nie etwas Böses widerfahren. Er wurde beschützt und fühlte sich sicher. Nach Max war der Zauber gebrochen. Nun konnte ihm jederzeit alles passieren.« Von da an bemerkte sie viele Veränderungen an ihrem Mann, große und kleine, und Eisman widersprach nicht. »Die Welt stand wegen Max’ Tod nicht still«, sagte Eisman. »Doch meine kleine Welt schon.«

Vinny und Eisman sprachen nie darüber. Vinny war lediglich klar, dass der Eisman, für den er nun arbeiten würde, nicht derselbe Eisman war, den er mehrere Monate zuvor kennengelernt hatte. Der Eisman, der das Vorstellungsgespräch geführt hatte, war nach den Maßstäben der Wall-Street-Analysten ein rechtschaffener Mensch. Und er hatte sich nie vollkommen unkooperativ gezeigt. Oppenheimer gehörte zu den führenden Bankdienstleistern in der Subprime-Hypothekenbranche. Diese Bankgeschäfte wären dem Unternehmen nie übertragen worden, wenn sein lautstärkster Analyst Eisman nicht in der Lage gewesen wäre, sich positiv darüber zu äußern. So sehr er es genoss, ineffizienten Unternehmen eine Abreibung zu verpassen, so sehr hatte er verinnerlicht, dass die Vergabe von Subprime-Krediten eine sinnvolle Ergänzung für die US-Wirtschaft war. Seine Bereitschaft zu uncharmanten Äußerungen über manche Verbriefer von Subprime-Hypotheken war in gewisser Hinsicht nützlich – verlieh sie doch seinen Empfehlungen für andere mehr Glaubwürdigkeit.

Doch nach Max’ Tod legte Eisman eine deutlich ablehnendere Einstellung an den Tag – und das auf eine Weise, die aus der Sicht seines Arbeitgebers finanziell kontraproduktiv war. »Es war, als hätte er eine Witterung aufgenommen«, schilderte Vinny. »Und er brauchte meine Hilfe, um herauszufinden, was da in der Luft lag.« Eisman wollte einen Bericht schreiben, der im Grunde die gesamte Branche verdammte, doch er musste dabei behutsamer vorgehen als sonst. »Man kann sich auf der Verkaufsseite eine irrtümlich positive Empfehlung erlauben«, erklärte Vinny. »Doch wer fälschlicherweise vom Verkauf abrät, der kann einpacken.« Ein paar Monate zuvor waren brisante Informationen von Moody’s eingetroffen: Die Ratingagentur besaß und verkaufte inzwischen alle möglichen neuen Daten über Subprime-Hypothekendarlehen. Die Datenbank von Moody’s ermöglichte zwar nicht die Prüfung einzelner Darlehen, doch sie bot einen allgemeinen Überblick über die Kreditbündel, die den diversen Hypothekenanleihen zugrunde lagen: Wie viele davon variabel verzinslich waren, wie viele der hypothekenbelasteten Immobilien von ihren Eigentümern bewohnt wurden, vor allem aber, wie viele Hypothekennehmer mit ihren Zahlungen im Rückstand waren. »Hier sind die Daten«, sagte Eisman nur. »Setz dich dort in das Zimmer und komm erst wieder heraus, wenn du herausgefunden hast, was sie bedeuten.« Vinny beschlich das Gefühl, dass Eisman das bereits wusste.

Ansonsten war Vinny ganz auf sich allein gestellt. »Ich bin 26«, erinnerte er sich, »und weiß noch nicht einmal genau, was hypothekenunterlegte Wertpapiere eigentlich sind.« Auch Eisman verstand nichts davon – er war Aktienmarktspezialist, und bei Oppenheimer gab es nicht einmal eine Rentenabteilung. Vinny musste sich also die nötigen Kenntnisse selbst aneignen. Doch er fand eine Erklärung für den unangenehmen Geruch, der von der Subprime-Hypothekenindustrie ausging und Eisman in die Nase gestiegen war. Die betreffenden Unternehmen legten zwar ihre stetig wachsenden Erträge offen, aber sonst nicht viel. So verschwiegen sie zum Beispiel die Ausfallquoten der Eigenheimdarlehen, die sie vergaben. Als Eisman sie mit dieser Frage konfrontierte, schützten sie vor, die Zahlen hätten keinerlei Bedeutung, da sie ja sämtliche Darlehen an andere verkaufen würden, die sie zu Hypothekenanleihen verschnürten. Damit hätten sie sämtliche Risiken weitergegeben. Doch das stimmte so nicht. Alle betroffenen Unternehmen hielten einen kleinen Teil der von ihnen vergebenen Kredite zurück und durften den erwarteten zukünftigen Wert dieser Darlehen als Gewinn verbuchen. Die Bilanzierungsregeln erlaubten ihnen, von einer Rückzahlung der Darlehen auszugehen – nicht vor Ablauf ihrer Laufzeit, wohlgemerkt. Diese Annahme beschwor ihren Untergang herauf.

Die erste Auffälligkeit, die Vinny entdeckte, waren die hohen vorzeitigen Tilgungen im sogenannten »Fertighaus«-Sektor. (»Hört sich besser an als ›Wohnwagen‹.«) Wohnwagen unterschieden sich von Wohnlösungen ohne Räder. Sobald sie einmal verkauft waren, verloren sie an Wert wie ein Auto. Im Gegensatz zum Besitzer eines herkömmlichen Eigenheims konnte der Eigner eines Wohnwagens nicht damit rechnen, dass er in zwei Jahren umschulden und Kapital freisetzen konnte. Warum wurde gerade in diesem Segment vor Ende der Laufzeit so viel getilgt?, fragte sich Vinny. »Ich verstand das nicht. Doch dann bemerkte ich, dass die vorzeitigen Rückzahlungen unfreiwilligerfolgten.« »Unfreiwillige vorzeitige Tilgung« klingt besser als »Zahlungsunfähigkeit«. Die Eigentümer mobiler Behausungen konnten ihre Raten nicht mehr zahlen. Ihre Wohnwagen wurden zwangsversteigert, und die Kreditgeber erhielten nur einen Teil der ursprünglichen Darlehensbeträge zurück. »Nach und nach erkannte ich, dass in sämtlichen Subprime-Sektoren entweder vorzeitig getilgt wurde oder die Ausfälle in unglaublichem Tempo zunahmen«, erzählte Vinny. »Die Ausfallquoten, die ich in diesen Pools entdeckte, waren schlichtweg schwindelerregend.« Das Zinsniveau dieser Darlehen entsprach in keiner Weise den Risiken, die mit der Kreditvergabe an diese Gruppe der amerikanischen Bevölkerung verbunden waren. Es war, als wären die üblicherweise geltenden Finanzregeln außer Kraft gesetzt worden, um ein gesellschaftliches Problem zu lösen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Wie vermittelt man armen Leuten das Gefühl von Wohlstand, wenn die Gehälter stagnieren? Man gibt ihnen billige Kredite.

Für die Analyse der Pools minderwertiger Hypothekendarlehen brauchte er sechs Monate, doch als er es geschafft hatte, verließ er sein Büro und informierte Eisman. All diese Subprime-Kreditvergeber wuchsen so schnell und verwendeten so abenteuerliche Bilanzierungspraktiken, dass sie verschleiern konnten, dass sie gar keine echten Erträge erwirtschafteten – lediglich illusorische, bilanztechnische. Es hatte etwas von einem Schneeballsystem: Um den falschen Eindruck, es handele sich um rentable Unternehmen, aufrechtzuerhalten, brauchten sie immer mehr Kapital und vergaben immer mehr fragwürdige Darlehen. »Ich war mir nicht hundertprozentig sicher«, meinte Vinny, »doch ich ging zu Steve und sagte: ›Das sieht ganz und gar nicht gut aus.‹ Mehr musste er nicht wissen. Ich glaube, er brauchte nur handfeste Beweise zum Herabstufen der Aktien.«

Der Bericht, den Eisman verfasste, disqualifizierte sämtliche Subprime-Kreditvergeber. Er nahm sich ein Dutzend Gesellschaften vor und stellte ihre Täuschungsmanöver bloß. »Hier sehen Sie den Unterschied«, erklärte er, »zwischen der Welt, die sie Ihnen vorgaukeln, und den tatsächlichen Zahlen.« Die Subprime-Gesellschaften wussten seine Mühe nicht zu schätzen. »Es herrschte heller Aufruhr«, erzählte Vinny. »All die Subprime-Firmen riefen an und blafften: ›Sie liegen falsch. Ihre Daten stimmen nicht.‹ Und er blaffte zurück: ›Es sind verdammt noch mal Ihre Daten!‹« Ein Grund dafür, dass Eismans Bericht so viele vor den Kopf stieß, war, dass er die Gesellschaften nicht vorgewarnt hatte. Damit hatte er ein Gesetz der Wall Street gebrochen. »Steve wusste genau, was er da lostrat«, meinte Vinny. »Und er tat das ganz bewusst. Er wollte es sich nicht ausreden lassen. Und genau das hätten all diese Leute versucht, wenn er sie vorher gewarnt hätte.«

»Bis dahin hatten wir die Darlehen nicht bewerten können, weil uns die Daten nicht zur Verfügung standen«, meinte Eisman später. »Mein Name war mit dieser Branche eng verflochten. Ich hatte meinen Ruf durch die Analyse dieser Aktien aufgebaut. Wenn ich falsch lag, hätte das das Ende der Karriere von Steve Eisman bedeutet.«

Eisman veröffentlichte seinen Bericht im September 1997 – mitten in einer der größten Aufschwungphasen in der US-Geschichte, wie es schien. Kein Jahr später wurde Russland zahlungsunfähig, und ein Hedgefonds namens Long-Term Capital Management ging pleite. In der anschließenden Flucht auf sicheren Boden wurde den Subprime-Kreditgebern dieser ersten Generation das Kapital entzogen, und prompt meldeten sie reihenweise Konkurs an. Ihr Scheitern wurde als vernichtendes Zeugnis für ihre Bilanzierungsmethoden interpretiert, die es ihnen ermöglicht hatten, unrealisierte Erträge auszuweisen. Soweit Vinny sagen konnte, hatte vor ihm noch keiner richtig durchschaut, wie windig diese Kredite in Wirklichkeit waren. »Dass dieser Markt so ineffizient war, gab mir ein gutes Gefühl«, berichtete er. »Denn wenn der Markt wirklich alles registrierte, dann hätte ich den falschen Job gehabt. Man hätte all dem undurchsichtigen Zeug ja nichts mehr hinzufügen können. Wozu also die Mühe? Doch ich war, soweit ich wusste, der Einzige, der sich mit Unternehmen beschäftigte, die mitten im größten Aufschwung, den ich zu meinen Lebzeiten erleben würde, allesamt den Bach hinuntergingen. Ich hatte erkannt, wie der Hase lief, und das war wirklich verrückt.«

Damals zeigte sich erstmals, dass Eisman nicht einfach nur ein Zyniker war. Er sah die Finanzwelt ganz anders, als sie sich selbst darstellte – und in einem weitaus weniger schmeichelhaften Licht. Ein paar Jahre später hängte er seinen Job an den Nagel und wechselte zu einem gigantischen Hedgefonds namens Chilton Investment. Er hatte das Interesse daran verloren, den Leuten zu erklären, wo sie ihr Geld anlegen sollten. Er dachte, es würde ihm mehr liegen, selbst Kapital zu verwalten und es nach seinen eigenen Überzeugungen zu investieren. Doch Chilton Investment ruderte nach seiner Einstellung zurück. »Das Problem mit Steve war«, erklärte ein Kollege bei Chilton, »dass er zwar ein kluger Kopf war – aber konnte er auch Aktien auswählen?« Chilton traute ihm das nicht zu und ließ ihn wieder Unternehmen für die Kollegen analysieren, die dann die Anlageentscheidungen trafen. Eisman gefiel das nicht, doch er beugte sich und erfuhr dabei etwas, das ihn wie keinen anderen auf die Krise vorbereitete, die sich da zusammenbraute. Er erfuhr, was auf dem Markt für Verbraucherkredite wirklich vorging.

Inzwischen schrieb man das Jahr 2002. Subprime-Kreditgeber gab es in Amerika keine mehr. Es gab allerdings noch ein altgedientes großes Verbraucherkreditinstitut namens Household Finance Corporation, das in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet worden war und in dieser Sparte seit langem die Nummer eins war. Eisman glaubte, das Unternehmen zu kennen – bis er merkte, dass das nicht stimmte. Anfang 2002 bekam er neue Vertriebsunterlagen von Household in die Finger, in denen Wohnungsbaudarlehen angeboten wurden. Der Chef des Unternehmens, CEO Bill Aldinger, hatte mit Household expandiert, während seine Konkurrenten kollabierten. Die Amerikaner, die noch das Platzen der Internetblase zu verdauen hatten, waren eigentlich nicht in der Position, neue Schulden zu machen. Dennoch vergab Household mehr Darlehen denn je. Eine maßgebliche Quelle seines Wachstums waren Zweithypotheken. In dem Dokument wurde ein festverzinsliches Darlehen mit 15 Jahren Laufzeit angeboten, das jedoch seltsamerweise in Wirklichkeit ein verkapptes 30-jähriges Darlehen war. Die Zahlungsströme der Eigenheimbesitzer an Household wurden genommen und hypothetisch über 30 Jahre gestreckt. Dann wurde gefragt: Wenn Sie 30 Jahre lang die gleichen Raten zahlen würden wie über 15 Jahre, wie sähe dann die effektive Verzinsung aus? Das war ein völlig verqueres und unseriöses Verkaufsargument. Dem Kreditnehmer wurde erzählt, er zahle einen »Effektivzins von 7 Prozent«. Dabei waren es in Wirklichkeit eher 12,5 Prozent. »Das war ganz eindeutig Betrug«, meinte Eisman. »Die Kunden wurden bewusst hinters Licht geführt.«

Eisman brauchte nicht lange, um Kreditnehmer ausfindig zu machen, die sich beschwerten, weil sie gemerkt hatten, dass sie geprellt worden waren. Er durchforstete Provinzblätter aus dem ganzen Land. In der Stadt Bellingham im US-Bundesstaat Washington – dem letzten größeren Ort vor der kanadischen Grenze – stieß er auf einen Reporter namens John Stark, der für die Bellingham News schrieb. Vor Eismans überraschendem Anruf hatte er einen kleinen Artikel über vier Bürger der Gemeinde geschrieben, die sich von Household betrogen fühlten und einen Anwalt gefunden hatten, der bereit war, das Unternehmen zu verklagen und die Hypothekenverträge für nichtig zu erklären. »Ich war zunächst skeptisch«, meinte Stark. »Ich dachte, wieder mal einer, der sich mit seinem Kredit übernommen hat und jetzt zum Anwalt rennt. Meine Anteilnahme hielt sich in Grenzen.« Als der Artikel erschienen war, zog er jedoch Kreise. Hunderte von Lesern aus Bellingham und Umgebung wurden hellhörig und stellten daraufhin fest, dass ihre 7-prozentige Hypothek in Wirklichkeit mit 12,5 Prozent verzinst war. »Die Leute tauchten aus der Versenkung auf«, erzählte Stark. »Sie waren richtig sauer. Viele von ihnen hatten noch gar nicht bemerkt, was da abgelaufen war.«

Alle sonstigen Punkte auf Eismans Tagesordnung wurden nach hinten geschoben. Er widmete sich ganz dem Kreuzzug gegen die Household Finance Corporation. Er rief Zeitungsreporter und andere Journalisten an und knüpfte Kontakte zur Association of Community Organizations for Reform Now (ACORN). Damit war er vermutlich der erste Mitarbeiter eines Wall-Street-Hedgefonds, der ein solches Interesse an einer Organisation zeigte, die sich die Wahrung der Interessen der weniger Betuchten auf die Fahne geschrieben hatte. Er sprach immer wieder im Büro des Generalstaatsanwalts des Bundesstaates Washington vor. Was er dort hörte, konnte er kaum glauben: Der Generalstaatsanwalt hatte gegen Household ermittelt und war dann von einem Richter daran gehindert worden, die Ergebnisse dieser Ermittlungen zu veröffentlichen. Eisman beschaffte sich eine Kopie davon. Ihr Inhalt bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. »Ich fragte den Mitarbeiter im Büro des Generalstaatsanwalts: ›Warum nehmen Sie niemanden fest?‹ Er entgegnete: ›Das ist ein einflussreiches Unternehmen. Wer wird im Bundesstaat Washington noch Kredite an Kunden mit niedriger Bonität vergeben, wenn es dichtgemacht wird?‹ Ich erwiderte: ›Glauben Sie mir, die Leute werden scharenweise einfallen, um Kredite anzubieten.‹«

In Wirklichkeit war es aber ein landesweites Problem. Household vertrieb diese irreführenden Hypotheken im ganzen Land. Dennoch blieb die US-Regierung untätig. Stattdessen erzielte Household Ende 2002 bei einer Sammelklage eine außergerichtliche Einigung und erklärte sich zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 484 Millionen US-Dollar bereit, die über zwölf Bundesstaaten verteilt werden sollte. Im Folgejahr gingen sie und ihr gigantisches Portfolio minderwertiger Kredite für 15,5 Milliarden US-Dollar im britischen Finanzkonzern HSBC Group auf.

Eisman war wirklich schockiert. »Diese Möglichkeit war mir nie in den Sinn gekommen«, meinte er. »Schließlich handelte es sich dabei nicht um irgendein Unternehmen, sondern um den größten Anbieter zweitklassiger Kredite, der zudem vorsätzlich und in betrügerischer Absicht agierte. Eigentlich hätten sie den CEO herauszerren und an seinen Eiern aufhängen sollen. Stattdessen verkauften sie das Unternehmen, und der CEO verdiente daran noch Hunderte Millionen US-Dollar. Ich dachte nur: Mann! Das hätte eigentlich ganz anders ausgehen müssen.« Sein kritischer Blick auf die Hochfinanz war zunehmend politisch eingefärbt. »Damals erkannte ich allmählich die gesellschaftlichen Auswirkungen«, erklärte er. »Würde man ein Regulierungssystem von Grund auf neu entwickeln, müsste dieses so beschaffen sein, dass es Menschen mit mittleren und niedrigeren Einkommen schützt, weil genau für sie die Gefahr am größten ist, abgezockt zu werden. Wir dagegen hatten ein System, das diesen Menschen am wenigsten Schutz bot.«

Mittwochs verließ Eisman stets mittags das Büro und ging zu Midtown Comics, denn dann trafen dort die neuesten Hefte ein. Über die verschiedenen Superhelden wusste er mehr als jeder andere Erwachsene. So kannte er den Schwur der grünen Laterne auswendig und wusste besser, was in Batman vorging, als der Fledermausheld selbst. Bevor sein Sohn starb, hatte Eisman die Erwachsenenfassungen der bunten Comics gelesen, die er als Kind verschlungen hatte – sein Favorit war Spider-Man gewesen. Inzwischen las er nur noch die düstersten Erwachsenencomics und bevorzugte solche, die bekannte Märchenmotive aufgriffen und diese, ohne die Grundzüge zu verändern, neu aufbereiteten. Dadurch wirkten die Geschichten nicht mehr so vertraut und waren keine richtigen Märchen mehr. »Die Kunst ist, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie genau wiedergibt, was sich ereignet hat«, wie er es formulierte, »und doch ganz anders ist. Dadurch bekommt man einen ganz neuen Blick auf frühere Episoden.« Ihm gefiel es, wenn sich die Beziehung zwischen Schneewittchen und den sieben Zwergen spannungsreicher gestaltete. Und nun wurde vor seinen Augen auf den Finanzmärkten ein Märchen umgeschrieben. »Ich untersuchte genauer, was es mit einer Subprime-Hypothek eigentlich auf sich hatte«, berichtete er. »Ein Subprime-Autokredit ist in gewisser Hinsicht ein ehrliches Geschäft, denn er ist festverzinslich. Vielleicht fallen dafür hohe Gebühren an, die den Kreditnehmer Kopf und Kragen kosten, doch zumindest weiß er, worauf er sich einlässt. Eine Subprime-Hypothek dagegen war Betrug. Dabei warb man im Grunde Kunden an, indem man ihnen erzählte: ›Mit diesem einen Darlehen lösen Sie alle Ihre anderen Kredite ab – Kreditkartenschulden, Autokredite. Und noch dazu zu einem so niedrigen Zins!‹ Doch der niedrige Zinssatz war nicht der, den man in Wirklichkeit zahlte, er war nur ein Lockangebot.«

Während Eisman sich in das Household-Thema vertiefte, nahm er an einem Mittagessen teil, das von einem großen Wall-Street-Unternehmen veranstaltet wurde. Gastredner war Herb Sandler, Chef einer großen Spar- und Darlehenskasse namens Golden West Financial Corporation. »Er wurde gefragt, ob er an das Modell kostenloser Girokonten glaubte«, erinnerte sich Eisman. »Und er entgegnete: ›Schalten Sie mal Ihre Aufnahmegeräte ab.‹ Alle kamen seiner Bitte nach. Da erklärte er, dass sein Unternehmen kostenlose Girokonten deshalb vermied, weil sie in Wirklichkeit eine Kostenfalle für Finanzschwache darstellten – in Form der berechneten Überziehungszinsen. Banken mit solchen Modellen setzten im Grunde darauf, ärmeren Kunden noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen als durch Kontoführungsgebühren.«

Eisman fragte: »Interessieren sich die Regulierungsbehörden denn nicht dafür?«

»Nein«, erwiderte Sandler.

»Damals kam ich zu dem Schluss, dass das System tatsächlich darauf ausgerichtet war, den kleinen Mann abzuzocken.«

In seiner Jugend war Eisman bekennender Republikaner gewesen. Er trat konservativen, rechtsgerichteten Organisationen bei, stimmte zweimal für Reagan und mochte sogar Robert Bork. Seltsamerweise driftete seine politische Einstellung erst an der Wall Street nach links. Die ersten kleinen Schritte hin zur Mitte des politischen Spektrums führte er auf die Beendigung des Kalten Krieges zurück. »Ich stand nicht mehr zu 100 Prozent zu den Werten der Rechten, weil es keine Grundlage mehr dafür gab.« Damals strich Household-CEO Bill Aldinger seine 100 Millionen US-Dollar ein. Eisman war auf dem besten Wege, der erste Sozialist auf dem Finanzmarkt zu werden. »Als konservativer Republikaner geht man einfach nicht davon aus, dass Menschen damit ihr Geld verdienen, ihre Mitmenschen übers Ohr zu hauen«, sagte er. Doch inzwischen zog er diese Möglichkeit durchaus in Betracht. »Mir war klar geworden, dass es da eine ganze Branche gab, nämlich die Verbraucherfinanzindustrie, die im Prinzip nur existierte, um die Leute über den Tisch zu ziehen.«

Da er bei seinem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit erhielt, selbst Kapital zu verwalten, kündigte er und gründete seinen eigenen Hedgefonds. Es gab da eine Firma namens Front-Point Partners, die bald zu 100 Prozent Morgan Stanley gehören sollte und eine Vielzahl von Hedgefonds unter ihrem Dach vereinte. Anfang 2004 erklärte sich Morgan Stanley bereit, Eisman mit der Errichtung eines ausschließlich auf Finanzunternehmen spezialisierten Fonds zu betrauen: Wall-Street-Banken, Wohnungsbauunternehmen, Hypothekenvergeber, Unternehmen mit großen Finanzdienstleistungssparten wie General Electric (GE) – eben alle, die irgendwie mit der amerikanischen Finanzwelt zusammenhingen. Morgan Stanley schöpfte einen Teil der Gebühren ab und stellte ihm im Gegenzug ein Büro, Möbel und Mitarbeiter zur Verfügung. Was sie nicht lieferten, war Kapital. Das sollte Eisman selbst einwerben. Er flog um die Welt und traf sich mit Hunderten hochkarätiger Investoren. »Im Grunde versuchten wir, Kapital zu akquirieren, doch es gelang uns nicht«, berichtete er. »Alle sagten uns: ›Schön, Sie kennenzulernen. Warten wir mal ab, wie Sie sich machen.‹«

Im Frühjahr 2004 war er einigermaßen verzweifelt. Er hatte noch kein Geld aufgetrieben, auch keines in Aussicht und wusste nicht einmal, ob er überhaupt welches beschaffen konnte. Und er ging keinesfalls davon aus, dass das Leben fair war, dass sich immer alles zum Guten wendete oder dass er einen speziellen Schutz vor Unbilden genoss. Er wachte morgens um vier schweißgebadet auf. Schließlich begab er sich in Therapie. Er war aber immer noch Eisman, weshalb es sich nicht um eine konventionelle Psychotherapie handelte. »Arbeitsgruppe« nannte sich das Ganze. Dort versammelte sich eine Handvoll Profis, um sich vor einer ausgebildeten Psychotherapeutin in einer geschützten Umgebung über ihre Probleme auszutauschen. Eisman platzte notorisch zu spät in die Sitzungen, sprach an, was ihm auf dem Herzen lag, und war wieder weg, bevor andere die Gelegenheit hatten, über ihre Probleme zu reden. Als er das ein paar Mal gemacht hatte, sprach ihn die Therapeutin darauf an, doch das nützte gar nichts. Daraufhin rief sie Eismans Frau an, die sie kannte, und bat sie, doch mit ihrem Mann zu reden. Auch das brachte nichts. »Ich wusste immer, wann er zu der Gruppe gegangen war«, erzählte Valerie, »weil sie prompt anrief und sagte: ›Er hat es schon wieder getan.‹«

Valerie hatte von dem harten Kampf ein für allemal genug. Sie eröffnete Eisman, wenn sein jüngstes Wall-Street-Projekt nicht liefe, würden sie aus New York wegziehen, nach Rhode Island, und dort eine kleine Pension aufmachen. Valerie hatte sich schon nach einem geeigneten Ort umgesehen; sie wollte mehr Zeit mit ihren Zwillingen verbringen und sprach sogar davon, Hühner zu halten. Eisman sah sich ebenso wenig als Hühnerzüchter wie andere Menschen, die ihn kannten, doch er stimmte zu. »Der Gedanke stieß ihn dermaßen ab«, erzählte seine Frau, »dass er sich noch mehr anstrengte.« Auf der Suche nach interessierten Investoren bereiste Eisman ganz Europa und die Vereinigten Staaten. Und er fand genau einen: eine Versicherungsgesellschaft, die ihm 50 Millionen US-Dollar anvertraute. Das war zwar nicht genug, um einen Aktienfonds langfristig aufrechtzuerhalten, doch es war immerhin ein Anfang.