The last Gossip - A. Eßer - E-Book

The last Gossip E-Book

A. Eßer

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Beschreibung

Als Enthüllungsjournalistin Alexandra Daring über Rockstar Austin Cardell schreiben soll, ist es wie ein gefundenes Fressen für sie. Doch schnell stellt sich heraus, dass sein Ruf alles andere als gerechtfertigt ist. Denn der Frauenheld ist nicht nur ein unfassbar aufmerksamer Vater, sondern auch noch unverschämt sexy. Trotz ihres eisernen Schwurs, Gefühle bei der Arbeit aus dem Spiel zu lassen, knistert es heftig zwischen den beiden, sodass bald nicht nur ihre Prinzipien, sondern womöglich ihr gesamter Artikel auf dem Spiel steht.

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The last Gossip

A. Eßer

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Alle im Buch vorkommenden Personen, Schauplätze,

Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden.

Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder

Ereignissen sind rein zufällig.

www.net-verlag.de

Erste Auflage 2023

© Text: A. Eßer

© Coverbild: Bianca Berg

Covergestaltung: net-Verlag

© net-Verlag, 09117 Chemnitz

printed in the EU

ISBN 978-3-95720-371-7eISBN 978-3-95720-372-4

Für meine Mum:

Du bist meine Heldin!

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Kapitel 1

Das Rezept für den perfekten Klatsch besteht nur aus zwei Zutaten: einer großen Portion Wahrheit und einer kleinen Prise von dem, was die Leute hören wollen.

Ich hatte es über die Jahre perfektioniert.

Dein Mann betrügt dich. Ich weiß es, bevor du es weißt – aber, wenn ich davon berichtete, gab es mindestens zwei Geliebte, und sein gepackter Koffer stand bereits im Schrank.

Die gesamte lokale Prominenz ist mir schon zum Opfer gefallen. In New York führt ja auch mindestens jeder Zweite ein Doppelleben, während die andere Hälfte meine Kolumne liest.

Ich saß seit Stunden draußen auf der Feuertreppe und schrieb an meinem neuen Artikel. Immer wenn mich eine Geschichte gepackt hatte, hörte ich nicht auf, bis ich den letzten Tropfen herausgepresst hatte. Ich war in dieser Zeit wie besessen. Alles um mich herum war wie vernebelt, und ich sah nur die Buchstaben, die schwarz auf weiß auf dem Bildschirm flimmerten. Manchmal kam es mir vor, als ob meine Finger ihren eigenen Kopf hätten, und dieser war meinem Verstand immer um drei Gedanken voraus. Aber mir gefiel, was ich las – und meinen Lesern offensichtlich auch.

Harry hätte für den Trip nach Europa besser sein Sparschwein schlachten sollen, dann hätten die Behörden wohl kein Näschen an seine Machenschaften bekommen. Wer jetzt Mitleid hat, kann es sich getrost sparen. Jeder trifft Entscheidungen, und manche, so wie in Harrys Fall, führen wohl auf direktem Weg hinter schwedische Gardinen. Ich hoffe bloß, er hat seine Du-kommst-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte nicht unnötig verspielt.

Ich nickte zufrieden. Die Geschichte war so viel wert wie ein frisch geschliffener Diamant.

Meine Finger glitten weiterhin unruhig über die Tasten, obwohl ich schon vor Minuten das letzte Wort geschrieben hatte. Ich ballte ein paar Mal die Faust, um das Zittern zu stoppen. Nach einer solchen Nacht bestand ich zu neunzig Prozent aus Kaffee. Neben mir stand mein sechster Becher …, oder war es bereits mein siebter? Im Schreibfluss konnte ich darüber schnell den Überblick verlieren.

Meine Gedanken schweiften erneut zu meinem liebsten Suchtmittel, als mich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken riss: »Alex, geh rein, du erfrierst!«, rief meine Mitbewohnerin Sam von der anderen Straßenseite. Sie war eine Frostbeule. Es war Anfang Oktober, und schon versteckte sie ihr hübsches Gesicht hinter einem monströsen Kaschmirschal. Eine Schande!

Warum sie sich so früh vom Markt genommen hat, ist mir bis heute schleierhaft. Jeder Kerl, den ich mit nach Hause brachte, hatte nur Augen für sie. Ich bin ungern jemandes zweite Wahl, aber in gewisser Weise konnte ich die Männer verstehen. Traurig, aber wahr.

Sam zu beschreiben war nicht schwierig, eher unfair. Die makellose Haut, der dunkle Teint, die kurzen Haare, die immer wirkten, als wäre sie bereit für ein Abenteuer … oder hätte gerade eins hinter sich. Sie war schlichtweg perfekt.

Sie griff nach der letzten Sprosse der Feuertreppe und zog sich durch die dünne Öffnung.

»Warst du bei Ian?«, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort denken konnte. Ihre Haare waren auf die Art zerzaust, die auf eine wilde Nacht schließen ließen. Ich grinste sie wissend an, aber sie nickte nur geistesabwesend. »Jaja«, antwortete sie und presste die Lippen aufeinander. Dafür, wie ihr Tag allem Anschein nach geendet hatte, war sie deutlich zu schlecht gelaunt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie nebenbei so viel arbeitete, dass sie kaum zum Schlafen kam.

Sam kletterte durch das Fenster hinein und warf die schwarze Schürze, die sie bei ihrer Schicht im Rumors trug, in eine Ecke.

Das Rumors war die mit Abstand beste Bar der Stadt und machte ihrem Namen alle Ehre. Immer ein volles Haus und spätestens nach dem fünften Tequila war selbst die Zunge der letzten Kirchenmaus gelockert.

Wie heißt es so schön? Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit. Und Letztere waren mir die liebsten Menschen.

»Lange Nacht?«, fragte Sam. Es wirkte wie eine Ablenkung von unserem ursprünglichen Thema, denn meine Augenringe sprachen wohl für sich.

Trotzdem ging ich auf ihre Frage ein: »Ja, aber das musst du lesen. Der Kerl hat mehr Leichen im Keller als Hannibal Lecter.« Ich folgte ihr durch das Fenster ins warme Wohnzimmer. Sie pflanzte sich auf einen Barhocker an der Anrichte, während ich meinen Laptop vor ihr abstellte.

Samantha überflog den Artikel, während die Kaffeemaschine im Hintergrund surrte. Ich schwöre, ich habe mich so lange beherrscht, wie ich konnte. Meine Sucht war eben zu stark.

»Der hat mehr Schwarzgeldkonten, als ich Schuhe besitze«, staunte sie. Ein vager Vergleich, wenn man bedachte, dass ihre Schuhe einen ganzen Schrank einnahmen.

Mein Blick fiel auf die roten Louboutins. Eine Schande, dass sie die hinter der Bar versteckte, anstatt sie mit der Welt zu teilen. »Wenn wir dieselbe Größe hätten, würde ich in denen schlafen, ich schwöre es«, schwärmte ich, woraufhin Sam nur grinsen konnte. »Bist du fertig mit dem Artikel?«, fragte sie.

»Nicht ganz, heute ist der Prozessschluss. Ich bin gespannt, wie viele Jahre er im Knast verbringen muss.« Ich lachte hämisch. Manchmal war ich selbst überrascht, wie schadenfroh ich sein konnte, wenn ich wollte. »Ich bin gespannt, was Zeke davon denken wird. Habe ich da« – ich deutete auf den Absatz, in dem ich beschrieb, wie seine kriminellen Machenschaften seine ganze Familie zerstört hatten – »zu dick aufgetragen?«

»Nein, überhaupt nicht. Zeke wird es lieben. So wie alles an dir.« Sie wackelte verschwörerisch mit den Augenbrauen.

Ich quittierte ihre Bemerkung mit einem Augenrollen. »Ich habe kein Interesse an Zeke, und das weißt du.« Ich hatte es satt, dass sie mich ständig mit Zeke aufzog. Dabei konnte sie ihn nicht mal leiden.

»Dafür flirtest du aber ziemlich heftig mit ihm.« Als sie meinen tödlichen Blick auffing, hob sie entwaffnet die Hände. »Ich meine ja nur.«

»Jede Frau will sich begehrt fühlen, und er gibt mir dieses Gefühl.« Als hätte ich ihn heraufbeschworen, stieß meine Eroberung der letzten Nacht zu uns. Derek … oder war es Damian? Unwichtig.

»Das klingt, als hättest du von mir gesprochen.« Er schlang die Arme um mich und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Sein herbes Aftershave wehte herüber, dessen Duft ich in mich aufnahm. David… er hieß, glaube ich, David.

»Guten Morgen, Süße. Hast du gut geschlafen?«

»Fantastisch«, säuselte ich, wohl wissend, dass Männer nach einer solchen Nacht keine andere Antwort akzeptierten. Die Tatsache jedoch, dass ich danach noch genug Kraft hatte, einen 3000-Wörter-Artikel in die Tasten zu hämmern, sprach wohl für sich.

»Wenn du Zeke nachhaltig beeindrucken möchtest, solltest du ausnahmsweise mal pünktlich kommen«, sinnierte Sam hinter ihrem Becher vor sich hin. Sie nickte mit dem Kinn zur Uhr.

Ich war tatsächlich spät dran. »Also … ich muss jetzt zur Arbeit, aber meine wundervolle Mitbewohnerin macht dir sicherlich gerne noch einen Kaffee.« Ich grinste ihr frech ins Gesicht, in der Hoffnung, dass es ihr eine Lehre sein würde und sie sich besser nicht noch einmal in mein Liebesleben einmischen sollte. Ich warf meinen Mantel über und verstaute den Laptop in meiner Tasche.

»Du bist unmöglich«, brummte sie kopfschüttelnd und nahm eine zweite Tasse aus dem Regal. Ihren restlichen Protest verschluckte die Tür, die hinter mir in Schloss fiel.

Der Manhattan Boulevard war mehr als eine Zeitung. Er war Fashion, Drama, Intrigen. Er war alles, was die breite Masse lesen wollte.

Ich stieß die Glastür auf und schnupperte den altbekannten Mix aus frischem Kaffee und Haarspray. Heute wurden die Fotos für die nächste Titelseite geschossen, also wuselten in der Redaktion Fotografen, Models und Redakteure wie gutbezahlte Ameisen umher. Alles war laut und hektisch. Genau wie die Stadt selbst. Deshalb liebte ich es so sehr.

»Sandy, du bereitest Ava für das Covershooting vor. Wir haben nur noch zwanzig Minuten. Zeit ist Geld!«, rief Zekes dauergestresste Assistentin Clara quer durch den Raum und scheuchte die Stylistin zu ihrem Model.

Clara hatte das Potenzial, ein hübsches Mädchen zu sein, aber ihre Persönlichkeit machte sie hässlich. Wenn mich nicht alles täuschte, durchzogen graue Strähnen allmählich ihr dunkles Haar, obwohl sie dafür mit Mitte dreißig deutlich zu jung war. Auch die Sorgenfalte grub sich mit jedem Mal tiefer in die Haut auf ihrer Stirn.

»Alex, gut, dass du hier bist«, sagte sie, und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass es sich nur um eine höfliche Floskel handelte. Sie blieb stehen und blickte über ihr geliebtes Klemmbrett hinweg. »Zeke wartet bereits in seinem Büro auf dich«, fuhr sie fort. »Er meinte, ihr habt etwas zu besprechen?« Am Ende des Satzes hob sich Claras Stimme wie bei einer Frage. Es war seit Jahren ein offenes Geheimnis, dass sie nur zu gerne wüsste, warum er mir so viel mehr Aufmerksamkeit schenkte als dem Rest der Belegschaft. Aber vor allem mehr Aufmerksamkeit als ihr.

Niemand außer Zeke kannte hier mein Geheimnis. Keiner ahnte auch nur, dass ich hinter Leaky Lips, unserer Erfolgskolumne, steckte.

Unter diesem Pseudonym veröffentlichte ich nun schon zwei Jahre lang Reportagen und exklusive Einblicke in die Welt der Stars und Sternchen. Ich wollte anonym bleiben, denn so war es leichter, an sie heranzukommen. Man gibt mehr preis, wenn man denkt, man müsse sich nicht verstecken.

Außerdem: Je weniger Mitwisser, desto weniger Sicherheitslücken.

Für alle anderen war ich schlicht eine Esoteriktante, die ihren Lebensunterhalt damit bestritt, das Schicksal der Menschen anhand der Sterne vorherzusagen. Es sollte zwar nur eine Tarnung sein, aber ich konnte dem Ganzen durchaus etwas abgewinnen. Viele Menschen wollten glauben, dass die Konstellation der Sterne einen Einfluss auf ihr Leben hat. Ich fragte mich des Öfteren, wie viele Streits ich heraufbeschworen hatte durch meine Vorhersage, der Merkur würde für Spannungen zwischen den Liebenden sorgen.

»Jedenfalls«, sagte sie, nachdem ihr bewusst wurde, dass sie keine Antwort bekommen würde, »er erwartet dich. Also keine Umwege.« Sie warf einen missbilligenden Blick auf die Pappe mit den drei Kaffeebechern in meiner Hand, einen für jede meiner gewöhnlichen Anlaufstellen. Claras Missfallen brachte mich zum Grinsen.

Sie wusste, dass ich mich wie immer ihren Anweisungen widersetzen würde, deshalb hatte sie bewusst langsam und deutlich gesprochen. Ihr Glaube daran, mich ändern zu können, war niedlich.

Clara sah mich noch einmal prüfend an, nur um sich direkt im nächsten Moment ein neues Opfer zu suchen, welches sie delegieren konnte. Als sie mir den Rücken zukehrte, rollte ich genüsslich mit den Augen.

Überarbeite dich nicht, Clara.

Ich drehte mich um und scannte die Redaktion nach meinem Lieblingskollegen ab. Marcus saß in seiner Arbeitsnische und hämmerte auf seinen Computer ein.

Letzte Woche war die New York Fashion Week, was bedeutete, dass er in dieser Zeit praktisch in der Redaktion lebte.

Wer Marcus ansah, würde nie denken, er sei eine Art Messias in der Modewelt. Aber so schwierig es zu glauben war, genauso wahr war es, dass er derjenige war, der in der Welt der Haute Couture den Ton angab. Er selbst war ein unscheinbarer Typ, der meist schlichte Hemden trug. Maximal einen Pullunder, wenn es kalt wurde. Trotzdem zelebrierte er die verrücktesten Formen und Muster, die Desigual farblos aussehen ließen.

»Morgen, Al.«

Als er mich erkannte, winkte er mich aus der Mitte des Großraumbüros zu sich.

Ich konnte es kaum erwarten, den neusten Klatsch aus dem Büro zu hören. Wenn man nur einmal die Woche kam, verpasste man so einiges.

Ich setzte mich auf Marcus’ Schreibtisch und reichte ihm seinen Moccachino. »Marcus, ich habe auf der Fahrt hierher deinen Artikel gelesen. Göttlich«, sagte ich und verfiel in hämisches Gelächter.

Manchmal erlaubte er sich einen Spaß und gab in seiner Kolumne einige – wie könnte man es nennen – fragwürdige Tipps, um zu schauen, wie viele Mitläufer dem Trend folgen würden.

Heute hatte er dem Vokuhila ein Comeback gewährt. Ihr wisst schon: vorne Business, hinten Party? Oder besser gesagt ein Albtraum auf beiden Seiten.

Ich hatte Tränen gelacht. Der Vokuhila war wie eines dieser Gerichte, das man einmal zu oft aufgewärmt hatte und das am besten direkt im Kühlschrank vergammelt wäre.

»Hast du Beccy schon gesehen?«, fragte Marcus mit einem verschwörerischen Grinsen auf den Lippen. Er setzte seine Brille auf. Sie war das einzig Exzentrische an seiner Aufmachung. Ein Unikat nach eigener Kreation. Das geschwungene, mintgrüne Gestell erinnerte an einen schimmernden Ozean. Die drei Wochen Karibikurlaub, die er sich jedes Jahr mit seinem Gehalt gönnt, würden mich vielleicht auch zu einem solchen Design inspirieren.

Er stand von seinem Drehstuhl auf und ließ seinen Blick über die Schreibtische schweifen. »Da hinten«, er nickte zu dem Fotografen herüber.

»Nein, sie hat doch nicht etwa …?«

Beccy aus der Buchhaltung war eines dieser Mädchen, das lieber Marcus’ Modetipps folgte, als einen eigenen Stil zu entwickeln. Sie passte nicht hierher in diese Welt, zum Manhattan Boulevard.

Als sie bei uns anfing, war ihr Lieblingsoutfit eine Kombination aus einem pinken Blazer und einer orangefarbenen Siebenachtelhose. Also bitte.

Zumindest hatte sie einen Hauch von Stilempfinden entwickelt, seit sie Marcus’ Kolumne las. Trotzdem wäre es kein Verbrechen, ihren Kleiderschrank mit allen Sachen darin abzufackeln.

Für einen sauberen Neuanfang.

»Komm mit«, sagte ich und wies ihn an, mir zu folgen. Ich konnte nicht anders. Ich musste das Elend genauer betrachten.

Als wir uns Beccy näherten, strahlte sie ihn bis über beide Ohren an. Es war so offensichtlich, dass sie auf Marcus flog wie ich auf die neue Prada-Kollektion.

»Was denkst du?«, fragte sie erwartungsvoll. Ihre Haare sahen aus, als hätte es sich ein Eichhörnchen darauf bequem gemacht.

»Also … ich habe so einige Gedanken dazu«, murmelte ich gerade laut genug, dass Marcus mich verstand. Ich fühlte, wie sich eine tiefe innere Freude in mir ausbreitete.

Er knuffte mich in die Seite. »Wie ich sehe, hast du meinen Artikel gelesen«, sagte Marcus, um Zeit zu schinden.

»Ohne Worte.«

Besser hätte man es nicht ausdrücken können.

Beccy schien zufrieden mit dieser Reaktion zu sein. Ich konnte erkennen, wie sie unter dem Baumwollmischgewebe, das sie Jacke nannte, in Sekunden mehrere Zentimeter wuchs. Sie hatte Marcus schließlich in einen Zustand der Sprachlosigkeit versetzt, was – glücklicherweise – so gut wie nie vorkam.

Beflügelt von Marcus’ Reaktion wandte sie sich an mich: »Hast du schon Zeit gefunden, dir meinen Artikel anzusehen?«

Beccy träumte von einer Karriere als Journalistin. Aber die harte Wahrheit war, ihre Texte waren nicht mehr als durchschnittlich. Ihr Schreibstil war ganz passabel, und mit dem richtigen Feinschliff hatte er sogar echtes Potenzial. Das eigentliche Problem war, dass sie keine Ahnung hatte, wovon sie sprach. Ich wusste nicht, wer ihr den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass sie auch nur die Spur einer Ahnung von Mode hätte, aber eins wusste ich mit Bestimmtheit: In einer Welt, in der Beccy jemandem vorschreibt, was er anzuziehen hat, wollte ich nicht leben.

»Noch nicht«, log ich. In Wahrheit hatte ich ihren Text am ersten Tag gelesen, als Beccy ihn mir gegeben hatte. Aber wenn ich ihr den Eindruck vermittelte, dass mich interessierte, was sie zu sagen hatte, würde ich in Zukunft jedes ihrer Schriftstücke gegenlesen müssen. Ganz ehrlich, dafür war meine Zeit zu kostbar.

Beccy wollte gerade antworten, als Clara sich auf sie stürzte. »Beccy, steh nicht so tatenlos in der Gegend herum! Ich kann die ungebuchten Rechnungen auf deinem Schreibtisch von hier aus erkennen«, mahnte sie. Eine schwarze Locke fiel ihr ins Gesicht. Ein ganz essenzielles Detail ihres Looks: Sie sah immer aus, als hätte sie gerade in eine Steckdose gefasst. Das würde zumindest erklären, wo sie um diese Uhrzeit ihre Energie hernahm. Ganz ehrlich, die Kleine brauchte mehr als eine Doppelsitzung beim Yoga, um ihre innere Mitte wiederzufinden. Dann wandte sie sich an mich: »Und Alexandra. Ich weiß nicht, ob du es bereits vergessen hast – aber dein Chef wartet auf dich.« Sie garnierte ihren Abgang mit ihrem tödlichen Blick.

Diese Frau konnte einem echt Angst einjagen.

Beccy warf Marcus noch einen letzten sehnsuchtsvollen Blick zu, bevor Clara sie endgültig verschleppte.

»Du solltest wohl besser zu Zeke gehen«, riet mir Marcus und nippte noch mal ausgiebig an seinem Moccachino, »und ich sollte auch zurück an die Arbeit. Die Fashion Week kommentiert sich schließlich nicht von selbst.«

»Ja, das sollte ich wohl«, stimmte ich zu, »aber Mittag um zwei bei Marios steht, oder? Ich muss dir unbedingt von dem Typen aus dem Rumors erzählen. Der war ein echter Leckerbissen.«

»Ich habe gehört, es gibt neues Futter für die Haifische«, fragte ich schließlich, als ich den Kopf durch die Tür zu Zekes Büro steckte.

»Richtig gehört, komm rein.« Zeke deutete auf den grauen Sessel vor seinem gläsernen Schreibtisch. Ich nahm Platz und warf einen verträumten Blick durch die Fensterfront. Immer, wenn ich Zekes Büro betrat, überkam mich ein Anflug von Neid. Von hier oben hatte man einen unglaublichen Blick über Midtown Manhattan. Irgendwann würde ich hoffentlich hier sitzen.

»Die Story, die ich gefunden habe, ist perfekt für meinen kleinen Superstar.«

Ich liebte es, wenn er mich so nannte.

»Frauengeschichten, massig Drogen- und Alkoholskandale. Genau dein Typ. Und jetzt kommt das Beste.«

Er hätte nicht weitersprechen müssen, meine Augen funkelten bereits vor Aufregung. »Er versucht, das alleinige Sorgerecht für seine Tochter zu bekommen.«

»Schreibt sich praktisch von selbst.« Ich grinste schelmisch. »Um wen geht es denn eigentlich?«, fragte ich neugierig.

Er drehte seinen Monitor zu mir. Darauf flimmerte ein Bild von einem blonden Schönling.

»Austin Cardell, richtig? Steckt der nicht seit Monaten in einer Kreativpause oder so ähnlich? Wie soll ich bitte an den herankommen?«

»Mir egal. Tu alles, was nötig ist. Ich will diese Story.«

»Verstanden.« Wenn die Geschichte groß genug war, dann rechtfertigte der Zweck für Zeke alle Mittel. Vielleicht war er mir deshalb so sympathisch.

Ich erhob mich schwungvoll aus dem Sessel. »Ich bin dran.«

»So lobe ich mir mein Mädchen«, sagte Zeke, als ich durch die Tür ging. Immer wenn ich ihm den Rücken zuwandte, konnte ich seine Blicke auf meiner Haut förmlich spüren. Ich wusste genau, dass er seine Augen nicht von mir lassen konnte. Nicht, dass es mich gestört hätte. Im Gegenteil. Mir gefiel es, ihn ein wenig zu reizen.

In meiner Arbeitsnische googelte ich Austin Cardell. Die Kurzfassung: Er war Musiker, ist der Ex-Mann von Everybody’s Darling Chloé Cardell und lebte seit der Scheidung völlig zurückgezogen.

Der Name war mir natürlich ein Begriff. Auch wenn ich vorher noch nicht über ihn geschrieben hatte, waren seine Eskapaden nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Alle Neuigkeiten wurden von den Klatschblättern mit ihrer täglichen Ausgabe abgefischt, da brauchte keiner mehr ein Statement von mir. Nicht, dass ich missverstanden werde, ich hatte nicht per se etwas gegen Tageszeitungen, aber ich legte meinen Fokus lieber auf Qualität als auf Quantität.

Ich war schockiert, als ich den Newsfeed öffnete, der eine bemerkenswert lückenlose Zusammenfassung seiner letzten Jahre enthielt.

Ich scrollte durch die Unmengen an Bildern, die im Laufe der Zeit von ihm geschossen worden waren. Am Anfang seiner Karriere hatte er diesen bubenhaften Charme mit Funkeln in seinen Augen. Er erinnerte mich an einen Justin Bieber aus seiner Baby-Zeit.

Ich für meinen Teil stand nicht besonders auf diesen Typ Mann, aber in Justins Fall konnte man durchaus sagen, dass er sein Potenzial über die Zeit ausgeschöpft hatte. Tattoos, ein paar Ecken und Kanten, um sich daran zu stoßen.

Mhhhm …

Die letzten Fotos wurden von Austin selbst auf seinem Instagram-Profil veröffentlicht. Mit dicker Sonnenbrille und Augenringen, so tiefblau, dass sie trotz der fetten Brille durchschienen.

Ich werde mich für eine Zeit lang aus der Öffentlichkeit zurückziehen und mich neuen Projekten widmen. Ich hoffe, ihr versteht, dass ich diese Entscheidung getroffen habe, um mich wieder zu sammeln und neue Kraft zu tanken.

Darunter stand das Datum: 21. Juli. Es war schon knapp zwei Monate her, und seitdem herrschte Funkstille.

Na ja, es kokst sich eben besser zu Hause als auf der Toilette im Club.

Ich notierte mir den spontanen Gedanken auf einem Zettel und beschloss, ihn für die Geschichte zu verwenden.

»Ich kenne Typen wie dich zur Genüge«, flüsterte ich vor mich hin. »Reich, sexy, gelangweilt vom perfekten Leben. Und dann an der Bar die Erste mitnehmen, die auf dein Eau de Cologne anspringt.« Ich war selber schon mit einem oder zwei von der Sorte im Bett gelandet. Und doch bereute ich es nicht, dafür war es zu gut gewesen.

Aber ich wusste auch, dass diese Typen mächtig was zu kompensieren hatten.

Kapitel 2

»Und dann kam Adam rein, Marios neuer Pizzabote. Es war schade, dass Marcus so früh gehen wollte. Ich hätte mich gerne noch länger mit ihm unterhalten. Er war ziemlich süß«, merkte ich an und ließ die Erinnerung in meinem Kopf Revue passieren.

»Sagst du das nicht über jeden?«, rief Samantha aus dem Badezimmer.

Samantha von meinen Erlebnissen zu berichten, war mein liebster Teil am Tag.

Ich zuckte grinsend mit den Schultern. »Touché.«

Ich stand von der Couch auf und ging zu ihr. Sie saß auf der Kante der Badewanne und hielt sich einen kleinen Schminkspiegel vors Gesicht. Es ist mir bis heute schleierhaft, wie sie sich so einen vernünftigen Lidstrich ziehen konnte.

Samantha hatte sich schon für die Arbeit umgezogen. Sie trug das enganliegende, weiße Kleid, das auf ihrer dunklen Haut fantastisch zur Geltung kam, kombiniert mit den braunen Riemchensandalen, für die ich buchstäblich töten würde. Wenn ich mir ihr Kleid so ansah, wunderte es mich nicht, dass sie so viel Trinkgeld bekam.

»Sammy, du siehst heiß aus«, sagte ich und fächerte mir Luft zu.

»Erzähl mir was Neues, Süße«, erwiderte sie und schwang mit einem Puderpinsel über ihr Gesicht, um ihrem Make-up den letzten Schliff zu verpassen.

Ich grinste. »Bevor du gehst, muss ich dir von meinem neuen Auftrag erzählen«, sagte ich und bemerkte, wie es mir allein bei dem Gedanken in den Fingern juckte.

Drama war wie eine Droge, von der ich nicht loskam. Die Abgründe der Menschen zu enthüllen, ihre Geheimnisse aufzudecken – das war es, was mich nachts nicht schlafen ließ.

Samantha klappte schwungvoll ihren Make-up-Spiegel zu und ließ ihn in ihrer Chaneltasche verschwinden. »Ich bin bereit.«

»Du hast doch sicherlich schon vom Sorgerechtsstreit der Cardells gehört, oder?«

»Natürlich, Chloé zerreißt Austin gerade in allen möglichen Talkshows. Hast du sie in der Tonight Show gesehen?«, fragte Sam und begann, Chloé zu imitieren. »Er wird mir mein Kind nicht wegnehmen. Dafür werde ich sorgen.« Sie untermalte ihre Darstellungen mit theatralischen Handgesten. »Das ist sowieso alles nur PR für ihre neue Realityshow.«

Ich nickte zustimmend. »Glaube ich auch. So bissig war sie bisher nur beim Ausverkauf bei Macy’s. Aber es geht nicht um sie. Ich soll noch ein bisschen mehr über ihn herausfinden.« Meine Mundwinkel zuckten nach oben, während ich Sams Reaktion beobachtete.

Sie verschluckte sich an ihrer Zunge und gestikulierte wild um sich. Sofort klopfte ich ihr auf den Rücken, damit sie nicht erstickte.

»Du … du … triffst Austin … Cardell?«, stotterte sie atemlos. Sie fasste sich an die Brust und sammelte schnappend Luft für ihren nächsten Satz. »Ich bin so neidisch!« Ihr Blick ließ keinen Zweifel daran, dass sie überlegte, ob sie mich boxen sollte.

Es war kein Geheimnis, dass sie verrückt nach Boybands war, aber dass in ihr ein waschechtes Fangirl schlummerte, hätte ich nicht erwartet. Obwohl bei den Postern in ihrem Zimmer …

»Zeke glaubt, da lauert eine Titelstory«, fuhr ich fort. »Leider bin ich mir diesmal nicht so sicher wie er.« Austin war kein gewöhnlicher Kandidat für eine breit gefächerte Enthüllungsgeschichte, denn seine Skandale waren schon hinreichend bekannt.

Nicht gerade mein Metier.

»Es wird nicht leicht, an ihn heranzukommen. Er hat sich bisher noch gar nicht zu der ganzen Sache geäußert. Hast du einen Plan?«, fragte Sam.

»Natürlich habe ich einen Plan!« Ihre Frage ärgerte mich. Schließlich sollte sie mich besser kennen. »Aber der hängt von vielen Faktoren ab. Ich habe seine ungefähre Adresse von einer dieser Promikarten, die es an jeder Ecke zu kaufen gibt. Ich hoffe, die taugt was. Der Typ, der sie mir verkauft hat, hat zwanzig Dollar dafür verlangt. Ich habe ihm dreißig gegeben, damit er sich endlich ein paar vernünftige Schuhe kauft. Die Dinger sahen mitgenommener aus als Beccys neue Frisur aus der Buchhaltung.«

»Du schweifst ab.«

»Wie dem auch sei … Laut der Karte wohnt er ziemlich mittig auf der 5th Avenue beim Central Park. Also habe ich weitergesucht, und nach einem kurzen Check auf Instagram, Twitter, Pinterest und Facebook habe ich herausgefunden, dass er früher regelmäßig joggen ging. Ich kann zwar nicht von gestern auf heute schließen, aber es ist der einzige Anhaltspunkt, den ich habe. Und wenn ich Recht behalte, wird er mir im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme laufen.« Laut ausgesprochen gefiel mir der Plan sogar noch besser.

»Manchmal bist du echt unheimlich, weißt du das?«, sagte sie und rutschte schmunzelnd ein Stück von mir weg. »Wenn es so einfach ist, wie du sagst …«, fing sie an und spielte unschuldig mit einer Haarsträhne, was bei der Länge ziemlich albern aussah.

»Ich kenne diesen Blick, und er bedeutet nichts Gutes«, seufzte ich.

»Lass mich mitkommen! Bitte! Ich würde ihn so gerne mal treffen.« Sie klimperte mit den Wimpern. Ihre Faszination war mir unbegreiflich! Zwar konnte ich die bekannten Songs von One Direction oder Poisoned mitsingen, aber ich musste nicht jeden Morgen davon geweckt werden.

Ich wollte ablehnen, aber ich wusste, dass sie mich so lange weichklopfen würde, bis ich am Ende doch nachgab. Also warum sollte ich meine Energie verschwenden?

»Na gut. Wenn du diesen abgehalfterten Rockstar treffen willst, werde ich dich nicht davon abhalten. Aber mit Ian hast du einen besseren Kandidaten in petto.«

Ihre Schultern versteiften sich merklich, als ich seinen Namen sagte, doch einen Wimpernschlag später war alles wieder normal. Vielleicht hatte ich es mir nur eingebildet.

»Danke! Danke! Danke!« Sie umarmte mich so überschwänglich, als wären der Black Friday und Weihnachten auf denselben Tag gefallen. »Aber warte«, Sam löste sich aus meiner Umarmung und sprang auf. »Welche Schuhe soll ich anziehen? Es muss schließlich alles perfekt werden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du wirst etwas finden. Genug Auswahl hast du schließlich«, beruhigte ich sie und fügte hinzu: »Musst du nicht langsam los?«

»Ich habe noch etwas Zeit«, bemerkte Sam mit einem Blick auf die Uhr. »Sollen wir noch was beim Thailänder bestellen?«

»Also … ich habe eher Lust auf Pizza von Marios – wenn du verstehst, was ich meine.«

Kapitel 3

Der Central Park ist das Herz der Stadt. Deshalb hat jeder echte New Yorker mindestens eine Erinnerung, die ihn mit dem Park verbindet. Am Rand der Bethseda Fountain sitzend, dachte ich an diesem Morgen darüber nach, dass mir dieser persönliche Central-Park-Moment fehlte. Klar, für die hoffnungslosen Träumer war es leicht: der erste Kuss auf der Bow Bridge oder eine Bootsfahrt auf dem Lake. Aber zu diesen Träumern gehörte ich längst nicht mehr.

Früher hatte ich auch an diesen Blödsinn glauben wollen: Romantik, wahre Liebe. Aber spätestens meine Arbeit hatte mir gezeigt, dass es Versuchungen gibt, denen niemand widerstehen kann.

Für mich war der Central Park also nur ein Rückzugsort, nichts weiter. Ich kam her, wenn ich mit einem meiner Artikel festhing. Dann wollte ich unter Menschen sein, mitten im Trubel, und meistens flossen daraufhin die Worte ganz wie von selbst aufs Papier.

»Ich wusste, dass ich dich hier finden würde.« Sam lächelte. Sie kannte mich und meine Lieblingsplätze bereits in- und auswendig.

Ich blickte über den See. Schwache Sonnenstrahlen spiegelten sich auf der Wasseroberfläche. »Siehst du die beiden da hinten?«, fragte ich und deutete auf ein Pärchen, das händchenhaltend am anderen Ufer entlanglief.

»Was ist mit denen?«, fragte Sam und setzte sich zu mir auf den kalten Stein.

»Sie klammert sich an seinen Arm, als wäre er ein Floß mitten im tobenden Meer, aber er schaut immer wieder zu dem Mädchen da drüben, das auf dem See mit ihrem Boot paddelt.« Ich beobachtete die beiden länger, als ihnen vermutlich lieb gewesen wäre. »Oh Süße. Wenn du nur wüsstest, dass dein Freund Augen für alle außer dir hat«, murmelte ich vor mich hin und empfand erstaunlich wenig Mitleid. Du kannst schließlich nicht verletzt werden, wenn du niemanden an dich heranlässt. »Wie lange es wohl noch dauert, bis sie es bemerkt? Ich persönlich hoffe auf einen oscarreifen Wutausbruch.« Ich kreuzte die Finger. Manchmal war das wahre Leben besser als jede Soap.

»Ach, Alex, du bist gemein. Schau nur, jetzt sieht er seine Freundin an. Und wie! Wenn das kein verliebter Blick ist.«

Manchmal vergaß ich, dass Sam auch zu den Sympathisanten der großen Liebe gehörte.

»Die beiden sehen glücklich aus.« Ihr Blick veränderte sich, ich konnte aber nicht deuten inwiefern. Es wirkte wie Sehnsucht oder Trauer, aber keins von beidem ergab einen Sinn.

»Genug geträumt.« Sam klatschte in ihre Hände und riss mich damit aus meinen Gedanken. »Wir haben eine Mission, falls du es vergessen hast. Noch mal danke, dass ich hier sein darf.«

»Als hättest du das nicht eine Trilliarde Mal gesagt.«

»Hier, nimm.« Sam drückte mir eine Brötchentüte und einen Caffè Latte in die Hand, die sie hinter ihrem Rücken hervorzauberte. »Ich habe Croissants besorgt. Als kleines Dankeschön. Außerdem: keine Beschattung ohne Snacks.«

Ich klopfte mir mit der Hand auf die Brust, genau über meinem Herzen. »Du kennst mich zu gut.« Ich nahm ein Croissant heraus und biss ab. »Und jetzt warten wir.«

Es waren bestimmt erst wenige Stunden vergangen, seit wir uns niedergelassen hatten, aber ich hätte schwören können, dass ich dabei zusehen konnte, wie die Blätter sich verfärbten. Der Kaffee war kalt, und von den Croissants waren nicht mehr als Krümel übrig. Die Observation war erfolglos, sodass auch der letzte Funken Enthusiasmus erloschen war.

»Alex?«, fragte Samantha unsicher. »Es ist mittlerweile kurz nach elf. Ich glaube nicht, dass er noch kommt.«

Sam sprach aus, was mir schon seit einer Ewigkeit im Kopf herumschwirrte. Trotzdem waren ihre Worte niederschmetternd. Ich grübelte bereits über einen Alternativplan, aber die Tatsache, dass ich einen Tag verloren hatte, machte mich so wütend, dass ich mich tatsächlich nicht richtig konzentrieren konnte.

»Was ist, wenn er eine andere Route läuft? Ich denke, wir sollten morgen wiederkommen.«

»Morgen?« Ich schüttelte resolut mit dem Kopf. »Nein. Ich für meinen Teil bleibe den ganzen Tag hier, wenn es sein muss.«

Samantha legte sich mit dem Rücken auf den steinigen Rand des Brunnens und schaute in die grelle Mittagssonne. Es fiel ihr sichtlich schwer, die Augen offen zu halten, auch wenn sie mit aller Kraft dagegen ankämpfte. Es wäre unmenschlich gewesen, sie länger auf die Folter zu spannen.

»Du kannst ruhig gehen«, sagte ich, nachdem ich sie eine Weile wortlos betrachtet hatte. »Wie lange bist du mittlerweile wach? Sechzehn Stunden? Dabei brauchst du deinen Schönheitsschlaf doch so dringend.«

»Aufpassen, Prinzessin«, sagte Samantha und hob drohend den Zeigefinger, trotzdem konnte ich ganz deutlich erkennen, dass sie ein Gähnen unterdrückte.

»Geh schon. Wir finden eine andere Gelegenheit, bei der du ihn treffen kannst«, versicherte ich ihr.

Sam war die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben, dennoch griff sie ihre Sachen und verschwand in einer Gruppe japanischer Touristen.

Ich für meinen Teil ließ meinen Blick zum wiederholten Male über den See schweifen.

Wo war er?

Es ergab keinen Sinn. Er hätte hier sein müssen. Auf jedem zweiten Paparazzi-Foto, das ich online gefunden hatte, war im Hintergrund die Bethesda Fountain zu sehen oder zumindest der Lake. Und auch auf seinem Instagram-Account gab es ein paar Bilder mit entsprechendem Geo-Tag von Followern, auf denen er verlinkt wurde. Anscheinend war ich nicht die Erste, die versuchte, ihn hier abzupassen, aber bisher offensichtlich die Unerfolgreichste. Ich hätte einen großen Batzen Geld daraufgesetzt, dass das ein Teil seiner Laufroute war.

Auch mir fiel es zunehmend schwer, die Augen offen zu halten. Ich war verdammt früh aufgestanden für meine Verhältnisse, und mein Körper wies ein signifikantes Kaffee-Defizit auf. Ich hatte mich nicht getraut, mir einen neuen zu holen, aus Angst, er könne mir durch die Lappen gehen. Meine Lider wurden schwer. Nur der kalte Wind, der über den See wehte, hielt mich in der Realität fest.

Während ich nachdachte, fiel mir ein Jogger auf der anderen Seite des Sees auf. Größe und Statur passten. Er hatte die Kapuze seines grauen Pullis tief ins Gesicht gezogen, aber ein paar blonde Strähnen lugten unter dem Stoff hervor; und er trug eine riesige Sonnenbrille, so wie Leute, die nicht erkannt werden wollen.

Auch wenn es nur ein Strohhalm war, ich klammerte mich mit aller Kraft daran. Das musste er sein!

Ich sprang auf und rannte los. Ich nahm eine Abkürzung am Ufer entlang und weinte innerlich um meine Turnschuhe, die bisher nur das Pilatesstudio von innen gesehen hatten. Wenn ich schnell genug war, konnte ich ihn sicher einholen.

Die ersten paar hundert Meter nahm ich locker, aber dann verflog das anfängliche Adrenalin, woraufhin ich zu spüren bekam, dass zwei Wochenstunden Pilates einen nicht automatisch zum ausdauernden Jogger machten.

Meine Kehle war staubtrocken, und das Atmen fiel mir zunehmend schwerer. Der Mann hatte immer noch einen guten Vorsprung, und mittlerweile hatte ich Probleme damit, überhaupt sein Tempo zu halten, geschweige denn noch schneller zu sein. Bei jedem Schritt fühlte es sich an, als würde mir jemand ein Messer in die Seite rammen.

Wie sehr wünschte ich mir, dass Sam noch an meiner Seite wäre. Sie wusste immer die richtigen Worte, um mich anzuspornen. Ich dachte einen Moment darüber nach, was sie wohl zu mir sagen würde, und auf einmal konnte ich Samanthas Stimme in meinem Kopf hören, ganz klar und deutlich. Stell dir einfach vor, es ist Sommerschlussverkauf, und er ist das letzte Paar Louboutins. Schnapp ihn dir, bevor es eine andere tut.

Diesen Satz hatte sie von sich gegeben, als ich den Barkeeper im Rumors für mich gewinnen wollte, der an dem Abend schon mehrere eindeutige Angebote bekommen und abgelehnt hatte. Daraufhin war mir etwas klargeworden, ich bekam immer, was ich wollte.

Der Gedanke wirkte wie ein Adrenalinschub. Niemand stiehlt mir meine Louboutins, dachte ich und – tatsächlich – der Abstand verringerte sich kontinuierlich.

Nur noch ein kleines Stück.

Doch plötzlich blieb er wie aus heiterem Himmel stehen, und ich hatte es nur meiner blitzschnellen Reaktion zu verdanken, dass ich nicht in ihn hineingelaufen war. Nur wenige Meter trennten uns voneinander. Der Mann nahm die Sonnenbrille ab und strich mit dem Arm den Schweiß von seiner Stirn.

Er war es nicht.

Und wie ich ihn so von Nahem betrachtete, erkannte ich, wie gering doch die Ähnlichkeit zwischen den beiden war. Sein Haar hatte einen rötlichen Unterton, während Austins auf den Fotos honigblond war. Dieser Mann hatte einen Drei-Tage-Bart und Koteletten, während Austins Gesicht immer glattrasiert war.

Ich war auf ihn hereingefallen wie auf die Illusion eines hübschen Mannes an der Bar um die Zeit, wenn alle Guten schon weg sein sollten und auf die am nächsten Morgen ein böses Erwachen folgte. Wenn man verzweifelt genug war, zog die Wahrnehmung ihre eigenen Schlüsse.

Augenblicklich verließ auch die letzte Kraftreserve meine Knochen. Ich atmete schwer und sackte mit den Händen auf den Knien zusammen.

Mein Plan war gescheitert. Diesmal endgültig. Und alternativlos. Was sollte ich bitte Zeke erzählen?

Tu alles, was in deiner Macht steht, hatte er gesagt.

Das konnte nicht alles gewesen sein.

Ich versuchte, mich aufzurichten, aber das Stechen in meiner Seite war unerträglich. Dicke Schweißperlen kullerten meine Stirn hinunter. Mir kam es vor wie eine Ewigkeit, in der ich einfach nur dastand, verlassen von allen Kräften, bis …

»Geht es Ihnen gut?«, fragte eine unbekannte Stimme. Der tiefe Bariton erinnerte mich an etwas Vertrautes. Nur konnte ich nicht ausmachen warum. Ich zuckte leicht zusammen, als ich seine Hand auf meinem Rücken spürte.

Sofort zog der Mann sie weg.

»Alles. Gut. Cardio. Ist. Nicht. Mein. Ding«, antwortete ich keuchend. Mein Kopf hing weiter schlapp in Richtung Boden. Die Antwort kostete mich auch das letzte bisschen Luft, was in meiner Lunge noch übrig war.

»Kann ich wirklich nichts tun? Sie sehen ziemlich fertig aus«, fragte er besorgt und beugte sich zu mir herunter.

»Nein, wirklich. Es ist alles in Ordnung«, sagte ich eindringlicher und hob leicht meinen Kopf an.

Zum ersten Mal blickte ich dem besorgten Mann in sein Gesicht, und trotz der Sonnenbrille war es unverkennbar, wen ich da vor mir hatte.

Er war es.

Austin Cardell. Leibhaftig.

Seine Erscheinung war kein Vergleich zu seinem letzten TV-Auftritt. Damals wirkte er, als hätte man ihn geradewegs aus der Ausnüchterungszelle vor die Kamera geschleift, was vermutlich gar nicht so weit weg von der Realität war.

Seine Haare waren ein Stück gewachsen, und unter seinem Kinn hatte sich ein dunkler Schatten gebildet, der mir verriet, dass er sich seit Tagen nicht rasiert hatte. Seine ganze Erscheinung war auf gewisse Weise unordentlich, unperfekt mit den strubbeligen, schweißnassen Haaren und dem enganliegenden schwarzen T-Shirt, das sich über seine Schultern spannte und jeden einzelnen Muskel zu erkennen gab, der sich darunter verbarg. Er machte nicht den Eindruck, als würde er sich darum scheren, was die Leute von ihm dachten. Das Schicksal hatte ihn doch zu mir geführt. Waren es immer noch die Nachwirkungen des Marathons, oder war es doch seine Erscheinung, die mein Herz so anhaltend zum Rasen brachte?

Es überraschte mich jedenfalls nicht, dass er mir gefiel. Unter anderen Umständen würde er wohl genau in mein Beuteschema passen. Aber ich hatte gelernt, mich nicht von Äußerlichkeiten täuschen zu lassen.

Als ich bemerkte, wie ich ihn anstarrte, realisierte ich im selben Moment, dass ich das nicht tun sollte. Wenn er sich mein Gesicht einprägte, war ich geliefert. Ich ließ meinen Blick in eine andere Richtung schweifen. Es gab nur eine Möglichkeit … Ich biss die Zähne zusammen und richtete mich zu voller Größe auf. »Sehen Sie? Alles wieder gut.« Ich pfiff den Satz mehr durch meine Zähne, als dass ich ihn sagte.

Er schien nicht überzeugt. Kaum verwunderlich, da ihm schlechte Schauspielkunst hinreichend von seiner Ex-Frau bekannt sein sollte. »Wenn Sie meinen«, sagte er lachend, »Setzen Sie sich trotzdem einen Moment hin. Nicht, dass Sie noch kollabieren.« Er führte mich wenige Meter entfernt zu einer Parkbank und klopfte mir auf die Schulter. Dann steckte er den Kopfhörer zurück in sein Ohr, wandte mir den Rücken zu und ging. Er machte keine Anstalten, noch mal loszulaufen.

Wieder war das Glück auf meiner Seite, denn er hatte seine Runde wohl bereits beendet. Ich wartete noch einen Moment ab, um nicht zu auffällig zu wirken, vielleicht aber auch, um die schwarzen Punkte loszuwerden, die sich vor meinen Augen gebildet hatten, dann heftete ich mich an seine Fersen. Ich musste um jeden Preis unerkannt bleiben, also versteckte ich mich abwechselnd hinter Bäumen und Büschen, auch wenn er sich niemals umdrehte. Vermutlich sah ich wie eine perverse Stalkerin aus.

Es war tatsächlich das Ende seiner Runde. Er verließ den Park durch den nächsten Ausgang und betrat direkt gegenüber ein Haus auf der 5th. Die Karte taugte also doch etwas.

»Habe ich dich«, murmelte ich und ballte triumphierend eine Faust. Das war eine Erinnerung, die ich nie vergessen würde. Mein ganz persönlicher Central-Park-Moment.

Kapitel 4

Ich würde es nie lernen, mich für eine Überwachung entsprechend anzuziehen.

Zu meiner Verteidigung: Ich hatte mir die ganze Sache anders vorgestellt, als ich in Skinny Jeans, Seidenbluse und Sandalen mit Keilabsatz aus dem Haus gegangen war. In meiner Vorstellung sah ich mich auf einer Bank nahe des Apartmentkomplexes sitzend, die Situation von weitem beobachtend. Alles vollkommen harmlos.

Die Realität sah so aus, dass ich viel zu lange in die Richtung des Apartmentkomplexes geschaut und trotzdem zu wenig gesehen hatte, als dass ich mir ein genaues Bild hätte machen können.

Ich hatte mich nicht getraut, mein Fernglas auf offener Straße auszupacken. Vielleicht hätte man mich einfach nur für eine passionierte Vogelbeobachterin gehalten. Im Park gab es schließlich Vögel in Massen. Aber ehrlich gesagt war ich viel zu hübsch, um eine Frau mit ausgeprägtem Interesse für Ornithologie zu mimen.

Daher fand ich mich in einem Busch wieder, komplett eingepfercht, bis zu den Knöcheln im Matsch eingesunken. Meine Seidenbluse war zerknittert, der Saum meiner Jeans voller Schlamm. Manchmal musste ich in meinem Job eben nicht nur metaphorisch im Dreck wühlen. Das waren mir die unliebsamen Momente.

Ich ließ meinen Kopf auf die hüfthohe Steinmauer sinken, die den Park von der Straße abgrenzte, und setzte das Fernglas an. Bevor ich hineinging, wollte ich möglichst gut vorbereitet sein. Das Schlimmste, was einem passieren konnte, waren Überraschungen, wenn man bereits mittendrin war. Denn Überraschungen zwingen einen zur Improvisation. Und Improvisieren führt unweigerlich zu Fehlern.

Ich blickte hinunter auf meinen Zettel, auf dem ich alles vermerkte, was mir wichtig erschien. Je länger die Liste wurde, umso tiefer sank meine Zuversicht.

1)Die Lobby wird rund um die Uhr von einem Portier überwacht.

So viel zu meinem ursprünglichen Plan, mich nachts hineinzuschleichen …

2)Der Portier hat nicht einmal seinen Platz verlassen, seit seine Schicht angefangen hat.

Mann, dieser Job wäre nichts für Menschen mit schwacher Blase.

3)Ausnahmslos jeder, der das Gebäude betritt, wird eingehend registriert und inspiziert.

Es war also überaus unwahrscheinlich, dass er die Leute nicht kannte, die das Gebäude ohne Check betraten. Allen anderen wurden Fragen gestellt, die ich nicht gebrauchen konnte.

4)Vor ihm liegt ein aufgeschlagenes Buch, in dem er oft blättert, wenn jemand Neues durch die Tür spaziert.

Ich konnte es durch das Fernglas nicht mit völliger Sicherheit entziffern; ich vermutete aber, dass es sich um einen Terminkalender handelte. Logisch, denn wenn darin die Termine der Hausanwohner notiert wurden, wusste der Portier ohne weitere Rücksprache, wem er Zutritt gewähren konnte.

Soweit ich es beurteilen konnte, musste sich niemand tatsächlich ausweisen. Wer also erwartet wurde, erhielt auch Zutritt.

Wenn ich damit Recht behielt, brauchte ich das Buch, um mir einen passenden Termin zu organisieren, vorrangig jedoch ein Ablenkungsmanöver, um es mir zu beschaffen. Mir schwebte da etwas Aufsehenerregendes vor. Viele Menschen, schlecht überschaubare Lage. Und es gab nur einen Weg, der alle Komponenten in Perfektion miteinander verband.

Seine Adresse zu veröffentlichen war hart, dessen war ich mir bewusst. Im Casino wäre das ein All-In: hohes Risiko, größtmöglicher Ertrag.

Ich kramte mein Handy aus der Tasche und öffnete meinen Chatverlauf mit Zeke, der zum größten Teil aus dem Stern-Emoji für mich, seinen Superstar, bestand.

Rein beruflicher Natur natürlich.

Z, ich schicke dir gleich meinen Live-Standort. Kannst du die Paparazzi informieren, dass Austin Cardell hier wohnt? Bist ein Schatz.

Ich unterschrieb die Nachricht mit dem Emoji und schickte sie ab, aktivierte GPS und musste kaum zwanzig Minuten warten, bis die ersten gierigen Gaffer aus der Subway stürmten – bewaffnet mit einem Objektiv, das einen Mitesser aus 200 Metern Entfernung glasklar ablichten könnte.

Das war mein Stichwort!

Ich brauchte einen Platz in der ersten Reihe, wenn die Vorstellung begann. Nun kroch ich aus dem Busch hervor und fischte den Zweig aus meinen Haaren, der sich darin verfangen hatte. Meine Knie schmerzten, weil ich so lange gehockt hatte, und ich deutete ein paar Kniebeugen an, um sie wieder vollständig ausstrecken zu können. Den Blick zu meinen Schuhen hätte ich mir dabei lieber erspart. Sie waren vollständig mit einer graubräunlichen Schlammschicht bedeckt, die trotz Gestampfe hartnäckig haften blieb.

Frustriert legte ich eine Schweigeminute für sie ein, denn die beiden konnte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit wegwerfen.

Auf der anderen Straßenseite quetschte ich mich dann in eine Lücke zwischen einem Fotografen und der Fensterscheibe. Seine Begeisterung darüber hielt sich in Grenzen, aber nachdem er die Kamera auf meiner Schulter abgelegt hatte, beruhigte sich die Lage.

Ich hatte einen guten Platz erwischt. Von hier aus konnte ich perfekt beobachten, wie sich die ersten Schweißtropfen am Haaransatz des Portiers sammelten und er zitternd zum Hörer auf dem Pult griff. Das Telefongespräch endete so schnell, wie es begonnen hatte. Er bemühte sich sichtlich, die Fassung zu wahren, trotzdem entging es mir nicht, wie er unter dem Tisch mit den Händen fuchtelte. Egal, wer am anderen Ende der Leitung war, er schien ganz und gar nicht zufrieden zu sein.

Weitere zwanzig Minuten später war die Menschentraube so dicht, dass die erste Reihe, inklusive mir, gegen die Scheibe gedrückt wurde. Mein Platz wurde mir so langsam zum Verhängnis. Meine Wange wurde an das Glas gepresst, während sich von hinten der Ellenbogen des Fotografen in meinen Rücken bohrte und er versuchte, sein kostbares Objektiv in Sicherheit zu bringen.

Jeder Atemzug hinterließ einen weißen Film auf dem