The Light in our Souls - Katharina Pikos - E-Book
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The Light in our Souls E-Book

Katharina Pikos

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Beschreibung

Zwischen Licht und Schatten. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischen Lani und Flynn. Ein schwerer Schicksalsschlag verändert Lanis Leben vollkommen. Zum Glück hat sie ihre beste Freundin Billie, die nicht zulässt, dass Lani in ihrer Trauer ertrinkt. So brechen beide auf eine unvergessliche Reise auf, auf der sie nicht nur sich selbst wiederfinden, sondern auch Flynn, Lanis Freund aus Kindheitstagen. Die Dämonen der Vergangenheit verfolgen Flynn bis in die Gegenwart, und egal wie weit er flüchtet, er kann nicht entkommen. Dann ist da plötzlich Lani und bringt Licht in seine dunkle Welt. Flynn wollte sie nie in sein Chaos hineinziehen, doch seine Gefühle für sie machen es ihm schwer, sich von ihr fernzuhalten – auch wenn das bedeutet, dass Flynns Probleme Lani gefährlich werden könnten …  Was als Roadtrip zwischen zwei Freundinnen beginnt, wird bald zu einer Reise voller Höhen, tiefen Gefühlen und gefährlichen Schatten, die über ihnen schweben …   Ein herzzerreißender Liebesroman von Newcomer-Autorin Katharina Pikos, der von Freundschaft, der ganz großen Liebe und bedingungsloser Loyalität handelt. Und der sich gewiss ganz tief in die Herzen der Leser:innen verankern wird. ACHTUNG: Dies ist Band 1 einer Dilogie. Band 2 ist jetzt überall erhältlich! Dies ist ein Mixed-Media-Projekt mit Bonuskapiteln, Hintergrundinfos und zusätzlichen Audio- und Textinhalten im Buch!

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aberthoud

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Bis fast zum Schluss einmal einen konstruktiven Liebes Roman dann wird es zum Krimi. Was ich sonst nicht gerne lese. Jedoch muss und möchte ich die fesselnde Geschichte nun im 2. Band weiter lesen.
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THE LIGHT IN OUR SOULS

LANI & FLYNN 1

KATHARINA PIKOS

Für Lisa.

Ohne dich gäbe es diese Geschichte nicht.

PLAYLIST

Ed Sheeran – Visiting Hours

Shinedown – Atlas Falls

Alvaro Soler – Magia

Daughtry – Call you Mine

The Beatles – Drive My Car

Imagine Dragons – Lonely

Kygo ft. One Republic – Stranger Things

Alvaro Soler – Loca

John Lennon – Imagine

Evenesence – My Immortal

Avicii – Sunset Jesus

Aitana, Ana Guerra, Greeicy, TINI – Lo Malo

Jordin Sparks & Chris Brown – No Air

Billy Idol – Bitter taste

Two Feet – Love is a Bitch

Ed Sheeran – Shivers

Bon Jovi – Runaway

Gerry Rafferty – Baker Street

Hier geht es zu der Playlist auf Spotify.

VORWORT

KLICKE ODER SCANNE MICH!

Liebe Leser:innen,

in diesem Buch findet ihr QR-Codes, die euch ein interaktives Leseerlebnis zaubern. Wenn ihr die QR-Codes scannt, erwarten euch Bilder, Texte und Audio-Dateien, die euch einen noch tieferen Einblick in die Geschichte geben. Falls ihr euer eBook auf dem Handy lest, könnt ihr einfach auf die QR-Codes klicken. Sie enthalten Zusatzinformationen und bringen euch die Charaktere noch ein Stückchen näher. Natürlich könnt ihr die Geschichte auch ohne diese Bonusinhalte lesen, ohne wichtige Informationen zu verpassen!

Wir wünschen euch ganz viel Spaß mit Lani & Flynn und hoffen, ihr seid genauso begeistert wie wir von dieser großartigen Geschichte.

PROLOG

Wir versteckten uns unter meinem Bett. Flach auf dem Bauch liegend sahen wir uns mit geweiteten Augen an und atmeten so leise wie möglich. In meinen schwammen Tränen, doch ich weigerte mich, sie fließen zu lassen.

»Flynn Julian Russell!«, rief seine Mom. »Jetzt hört endlich auf mit dem Unsinn, wir müssen los!«

Kurz darauf hörte ich auch meine Mom. »Wir wissen, wie schwer das für euch ist. Aber Sarah und Flynn müssen wirklich los.«

Ich konnte in seinen grauen Augen den Moment erkennen, in dem er aufgab. Ein Schluchzen entwich meiner Kehle, und ich presste rasch meine Hand an den Mund, um die Geräusche zu unterdrücken.

»Du wirst immer meine beste Freundin sein, selbst wenn uns Meilen oder sogar Kontinente trennen«, flüsterte er. Seine Finger fanden meine und umschlossen sie.

»Flynn, komm schon«, rief Mrs Russell. Inzwischen klang sie näher, das Knarzen der einzelnen Stufen war zu hören. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie uns fanden.

Eine erste Träne stahl sich aus meinen Augenwinkeln, sogleich gefolgt von vielen weiteren.

»Ich hab dich so lieb, Lani. Du bist und bleibst meine beste Freundin, vergiss das niemals!« Flynn schaute mir eindringlich in die Augen. »Versprichst du mir das?«

Begleitet von einem Schluchzen nickte ich, wischte mir die Tränen von den Wangen und hob meinen kleinen Finger. Flynn hakte seinen kleinen Finger ein, dann sprachen wir beide gleichzeitig: »Lani und Flynn, nur das macht Sinn! Beste Freunde für immer! Versprochen ist versprochen und wird niemals gebrochen.«

Dann zog er seine Hand zurück und kroch unter meinem Bett hervor. In derselben Sekunde, in der auch unsere Mütter in mein Zimmer platzten.

»Da bist du ja!« Mrs Russell drückte ihn an sich.

Ich sah, wie meine Mom näher kam, sich hinkniete und zu mir unter das Bett schaute. »Lani-Maus. Ich weiß, es ist schwer. Aber es ist doch kein Abschied für immer.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen. »Na, komm raus, damit du dich noch ordentlich verabschieden kannst.«

Ich griff nach ihren Fingern und ließ mich unter meinem Bett hervorziehen. Ehe ich mich versah, fand ich mich in Moms herzlicher Umarmung wieder. Sie strich mir über meine Haare und löste sich, als Mrs Russell sich räusperte. »Wir müssen leider los, Lani. Kommt ihr noch mit raus?«

Nickend schniefte ich, wischte mir mit dem Ärmel meines Pullovers über das Gesicht und suchte Flynns Blick.

»Okay«, flüsterte ich.

Schweigend stiegen wir die knarzende Treppe unseres Einfamilienhauses hinab, hinaus auf die Straße, wo bereits der Umzugslaster wartete.

Mrs Russell drehte sich zu mir um und drückte mich ein letztes Mal an sich. »Abschiede fallen mir ziemlich schwer, aber du sollst wissen, dass du und deine Freundschaft mit Flynn mir so viel bedeuten. Du bist bei uns jederzeit willkommen. Wenn dich dein Weg eines Tages nach Europa führt, komm zu uns und sag Hallo.«

Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande, als sie sich löste.

Flynn trat zu mir, kramte in der Hosentasche seiner verschmutzten Jeans herum, zog etwas daraus hervor und legte mir etwas Glattes, Rundes in die Hand. »Das ist für dich. Damit du mich nicht vergisst.«

Ohne nachzusehen, was er mir in die Hand gedrückt hatte, schloss ich sie zu einer Faust und zog meinen besten Freund in meine Arme.

»Du wirst mir so fehlen.« Ich schluchzte, während ich sein T-Shirt mit meinen Tränen tränkte.

»Du mir auch.« Langsam löste er sich von mir und sah mich mit seinen grauen Augen an. »Aber das ist kein Abschied für immer. Wir werden uns wiedersehen!«

Ich nickte. »Das werden wir.«

Flynn scharrte mit seinen Füßen und nickte in Richtung des Umzugswagens. »Ich muss dann los.« Eine einzelne Träne rann über seine Wange. »Denk daran, Lani. Ich hab dich lieb und werde dich immer lieb haben.«

Dann drehte er sich um und rannte auf den Laster zu, in dem er anschließend verschwand.

Der Motor startete mit einem lauten Keuchen, und ich starrte dem Ungetüm nach, das mir meinen besten Freund nahm. Als sie losfuhren, rannte ich ihnen nach.

»Lani, warte, bleib stehen!«, hörte ich meine Mom rufen, doch ich rannte und rannte weiter. Bis ich nicht mehr hinterherkam und der Umzugswagen schließlich nicht mehr zu sehen war.

Atemlos und resigniert ging ich zurück zu unserem Haus, wo Mom bereits auf mich wartete. Wortlos schlich ich an ihr vorbei ins Innere, hinauf in mein Zimmer. Im Schneidersitz saß ich auf meinem Bett und starrte vor mich hin. Etwas drückte sich gegen meine Hose.

Ich erstarrte, als ich wieder an den Gegenstand dachte, den mir Flynn in die Hand gedrückt hatte. Mit klopfendem Herzen steckte ich die Hand in meine Hosentasche und angelte ihn heraus. Ein dunkelgrauer, glänzender Stein mit einer glatten Oberfläche. Sofort schossen mir wieder Tränen in die Augen. Er hatte mir seine kostbarste Erinnerung an seinen Dad geschenkt: seinen geschliffenen Hämatit.

1

ZEHN JAHRE SPÄTER …

Der Wind zog an meinem schwarzen Mantel, als wollte er mich dazu bringen, mich zu rühren. Dennoch stand ich bewegungslos, unbeeindruckt von der Kälte Washingtons da und blickte auf den frischen Haufen Erde. Innerlich fühlte ich genauso viel wie äußerlich. Nichts. Leere. Als wäre da ein großes, schwarzes Loch, das meine Gefühle verschluckt hatte. 

Wie in Trance griff ich in meine Hosentasche, schloss meine Hand um den kühlen Hämatit und versuchte, Kraft aus meinem Talisman zu ziehen.  

»Dad«, flüsterte ich, den Blick weiterhin auf den Erdhaufen gerichtet. »Wieso? Wieso lässt du mich nun auch allein?« Tränen folgten der Spur derer, die bereits zuhauf über meine Wangen geflossen waren. »Was soll ich denn jetzt machen?« 

Meine Stimme brach, denn mit einem Mal stürzten alle Gefühle auf mich ein. Ich sank auf die Knie und schluchzte hemmungslos. 

»Shh, Kleines«, hörte ich Bonnies rauchige Stimme, ehe sich zwei Arme um mich legten. »Ist schon gut. Lass es raus und friss es nicht in dich hinein.«

Ich wusste nicht, wie lange wir so auf dem kalten, gefrorenen Boden des Mountain View Memorial Park saßen, doch schließlich löste ich mich von ihr und blickte in ihr rundes Gesicht mit den liebevollen braunen Augen.

»Danke«, krächzte ich, stand auf und versuchte, wieder Leben in meine steinernen Glieder zu bekommen. Es wurde Zeit, dass der Frühling sich endlich von der sonnigen Seite zeigte. »Für alles vielen Dank, Bonnie.«

Bonnie war die zweite Ex-Frau meines Vaters. Er war ein toller Dad, zumindest seit ich zu ihm gezogen war. Doch offensichtlich war er kein guter Ehemann. Sonst hätte er niemals Mom oder auch Bonnie vergraulen können. 

Mom … hier auf dem Friedhof zu sein, erinnerte mich zu sehr an die Zeit vor fünf Jahren, als ich bereits von einem Elternteil hatte Abschied nehmen müssen. Damals hatte ich mit ihr in Tampa gelebt, dort, wo es niemals kalt wurde. Und ich hatte es geliebt, so sehr hatte ich es geliebt. Selbst als Flynn weggezogen war, hatte ich die Stadt und unser Viertel geliebt.

Bis Mom eines Tages nicht vom Einkaufen nach Hause kam. Zwei Gangs hatten sich auf offener Straße bekriegt, und meine Mutter war für sie nichts weiter als ein Kollateralschaden gewesen. 

Ich war dreizehn, als eine Frau des Jugendamts vor der Tür gestanden hatte, die mir mitteilte, dass meine Mom erschossen worden sei und ich von nun an bei meinem Dad in Lakewood, Washington wohnen würde. Sie würde aber bei mir bleiben, bis mein Dad käme, um mich abzuholen. Sie würde mir auch beim Packen helfen. Und das alles hatte sie mit einer Kälte gesagt, die der Schneekönigin aus dem Märchen hätte Konkurrenz machen können. Ich konnte mich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen. Damals hatte ich mich schon gefragt, wie eine Frau einem Kind gegenüber so gleichgültig sein konnte … einem Kind, das soeben erfahren hatte, dass seine Mom umgebracht worden war. 

»Nicht dafür, Sweetheart«, riss Bonnie mich aus meinen Erinnerungen. »Auch wenn dein Dad und ich schon lange getrennt leben, sollst du wissen, dass ich immer für dich da bin.« Sie erhob sich ebenfalls und klopfte ihr schwarzes Kleid ab. »Soll ich dich nach Hause bringen?«

Dankbar nickte ich, wandte mich erneut dem Erdhaufen zu, unter dem Dads Urne vergraben wurde, und flüsterte: »Du bist viel zu früh gegangen. Du schuldest mir eigentlich so viel mehr Zeit, Dad.« Mit dem Ärmel wischte ich mir die Tränen von den Wangen. »Wir hatten viel zu wenig Zeit miteinander. Ich vermisse dich jetzt schon.«

Meine Stimme brach, als ich den rauen, dunkellila gefärbten Edelstein auf den Erdhügel legte, mich abwandte und den Blick über den Valley Rose Urn Garden schweifen ließ. So viele Gräber, die über so viele geliebte Menschen verfügten. So viele Rosen, die die Liebe zu den Verstorbenen ausdrückten. So viele Gefühle in nur einem Blick. Dads Entscheidung, dass er hier begraben werden wollte, war definitiv die beste, die er zu Lebzeiten getroffen hatte.

»Den Amethyst mochte Liam immer besonders gerne«, meinte Bonnie mit brüchiger Stimme und räusperte sich. Dann drückte sie meine Schultern. »Na komm, gehen wir.«

Ich nahm einen tiefen Atemzug, ergriff Bonnies Hand, und gemeinsam schlenderten wir zum Parkplatz, wo ihr Auto stand. Zur Beerdigung war ich mit einem Uber gefahren, sodass ich kein Auto hatte, das den Weg nach Hause finden musste.

Die Fahrt nach Hause verbrachte ich schweigend, den Kopf an das Fenster gelehnt. Das schöne Lakewood, einer der Vororte von Tacoma, gesäumt von Einfamilienhäusern in ruhigen Straßen, zog von mir unbeachtet vorbei.

Meine Gedanken kreisten um die Verluste, die mein Leben prägten. Um Mom, um Dad. Um die Tatsache, dass es so viele Erfahrungen gab, die ich mit meinen Eltern teilen wollte. Um die Tatsache, dass das nun nicht mehr möglich war.

Selbstverständlich ging ich davon aus, dass sowohl Mom als von jetzt an auch Dad immer bei mir waren. Aber dass mir die Chance verwehrt war, ein gemeinsames Gespräch mit ihnen zu führen, ließ meinen Magen zu einem pulsierenden Klumpen verkrampfen.

Aber ich dachte auch viel an Flynn. Meinen ersten Verlust. Flynn, der mit seiner Mutter nach Europa übergesiedelt war, nachdem sein Dad verstorben war. Flynn, der mir ab und an Briefe geschrieben hatte, bis seine Nachrichten mich nicht mehr erreichten. Bis ich nach Lakewood zog. Zu Dad.

Meine Gedanken drehten sich weiter im Kreis, und eine stille Träne rann über meine Wange.

»So, Sweetheart«, flüsterte Bonnie, während sie in die Einfahrt unseres Hauses bog. Meines Hauses. Sie stellte den Motor ab und beugte sich zu mir. »Wir sind da. Soll ich noch bisschen bei dir bleiben?«

»Schon gut.« Dankbar lächelte ich sie an. »Ich komme klar.«

Ihr Blick wurde sanft. »Das musst du aber nicht, Lani. Das weißt du, ja?«

»Weiß ich, Bonn, danke.« Ich wollte dem Mitleid in ihren Augen so schnell wie möglich entkommen, weshalb ich mich fix abschnallte. Dann beugte ich mich zu ihr und drückte sie kurz und fest. »Bye.«

»Bis bald, Sweetheart, und ruf mich jederzeit an – egal, wann!«, rief Bonnie, als ich ausstieg.

Ich zog die Haustür hinter mir ins Schloss, warf den Mantel an die Garderobenhaken des schmalen Flures und ging direkt in Richtung der offenen, im hellen Landhausstil gehaltenen Küche. Dort fasste ich meine langen, blonden Haare zu einem Messy Bun zusammen und bereitete mir einen grünen Tee zu. Mit der warmen Tasse zwischen meinen kalten Händen ging ich ins Wohnzimmer, stellte den Tee auf den Glastisch, sank auf das große Ledersofa und schloss erschöpft die Augen.

Diese Stille. Das Haus war zu still. Zu groß für mich allein und viel zu still. Einzig das Ticken der Uhr war zu hören. Tick, tack.

Um die Kälte aus meinen Gliedern zu vertreiben, stand ich auf, legte drei Holzscheite in den Kamin gegenüber der Wohnlandschaft und heizte ihn an. Kraftlos sank ich wieder auf das Sofa und starrte in die schnell züngelnden Flammen des Kamins. Durch das Knistern und Knacken des Holzes kamen Erinnerungen an Dad hoch. Wie oft saßen wir in den vergangenen fünf Jahren auf dem Ledersofa, sahen in die Flammen und lernten uns jedes Mal ein bisschen besser kennen?

* * *

* * *

Damit ich mich nicht wieder im Gedankenkarussell verlor, öffnete ich die Augen und griff nach der dampfenden Tasse. Meine rechte Hand erstarrte mitten in der Bewegung und schwebte über dem Brief, den ich Dad vor sechs Wochen vor Freude unter die Nase gehalten hatte. Mit zitternden Fingern nahm ich ihn hoch, faltete ihn auseinander und starrte darauf. Tränen sammelten sich in meinen Augen, und die Sicht verschwamm.

Die Zulassungsbescheinigung der Washington State.

Das Knacken eines Holzscheites holte mich wieder ins Hier und Jetzt. Ich schüttelte leicht den Kopf, legte den Brief zurück auf den Tisch und nahm stattdessen die dampfende Tasse in die Hand.

Einen Punkt nach dem anderen, Lani.

Bevor ich einen Schluck nahm, pustete ich am Rand ein wenig hinein. Die Wärme, die der Tee in meiner Kehle hinterließ, die sich in meinem verkrampften Magen sammelte, half mir, mich zu erden.

»Alexa, stell meine Lieblingssongs an«, sprach ich unsere Smart-Home-Assistentin an und atmete tief durch, als die sanfte Melodie von Atlas Falls zu mir drang. Sobald Brent Smith, der Sänger von Shinedown mit seiner tiefen Stimme erklang, nahm ich eine der Decken, die immer über der Sofalehne bereitlagen, und kuschelte mich zwischen den Kissen auf die Couch. Tränen rannen lautlos über meine Wangen, und ich driftete langsam in einen erschöpften Schlaf.

Das penetrante Klingeln meines Handys riss mich aus dem Schlaf. Noch müde setzte ich mich auf und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Das Läuten brach ab, ehe es erneut von vorne begann.

Mit einem Gähnen wischte ich über meine verquollenen Augen, nahm einen Schluck des inzwischen erkalteten Tees und stand dann auf, um mich auf die Suche nach dem Telefon zu machen.

Durch das geräumige Wohnzimmer trottete ich am Essbereich mit dem großen Baumkante-Tisch und der offenen Küche vorbei in den Flur, wo das Gäste-WC war.

Vor dem runden Spiegel in der Diele blieb ich stehen und betrachtete mich. Der Messy Bun war dank des kurzen Naps zu einem wirren Vogelnest auf meinem Kopf geworden. Hoffentlich hatten sich nicht allzu viele Knoten gebildet. Der sonst so gesunde Teint, mit dem mich meine Mom gesegnet hatte, war verschwunden. Bleich wie ein Gespenst sah ich mir entgegen, die blauen Augen mit einem erschöpften Ausdruck, und die Ringe darunter hoben sich dunkelgrau ab. Unnatürlich stark zeichneten sich meine Sommersprossen ab, die man sonst nur erahnen konnte.

Das erneute Läuten meines Handys half mir, den Blick von meinem gespenstischen Anblick zu lösen. Ich blieb einen Moment stehen, schloss die Augen und horchte. Das Geräusch kam von der Treppe, die sich im Übergang zwischen dem Essbereich und dem Wohnzimmer befand. Im Obergeschoss waren drei Schlafzimmer – Dads, meines und eines für Gäste – sowie Dads Büro und das große Badezimmer.

Ich schlenderte hinauf, folgte dem Klingeln in mein Zimmer und fand mein Smartphone, das achtlos auf dem Laminatboden lag. Dort führte es dank der Vibrationen einen Tanz auf, der mich eine Sekunde lang fesselte, ehe ich es vom Boden aufhob und mich auf mein Bett setzte. Nach einem kurzen Blick auf das Display atmete ich tief durch und nahm dann den Anruf an.

»Hey …«

»Lani, hey, endlich gehst du ran«, erklang Billies samtige Stimme in meinen Ohren. »Erzähl, wie geht‘s dir? Wobei …«, unterbrach sie sich, »Wie kann es einem in so einer Situation schon gehen? Tut mir leid, das war nicht sehr sensibel von mir.«

»Das Haus ist zu still, Billie.« Ich räusperte mich, als meine Stimme brach. »Es ist zu groß und zu still.«

»Soll ich vorbeikommen?«

»Nein, nein. Schon gut. Danke, ich komme schon irgendwie klar. Heute muss ich alleine sein.«

»Nur, wenn du dir sicher bist!«, mahnte sie.

»Bin ich, danke dir.«

»Gut, dass wir bald an der Washington State sind. Dann kannst du Abstand von alldem gewinnen, und ich bin ständig bei dir, schließlich teilen wir uns ein Zimmer«, meinte sie.

»Was das betrifft …« Zögernd dachte ich an meine Zulassungsbescheinigung und wie sehr Dad sich mit mir gefreut hatte.

»Du willst nicht in diesem Semester starten?«, fragte meine Freundin.

»›Wollen‹ ist das falsche Verb, natürlich will ich.« Ich stand auf und ging zu meinem Regal mit der Steinsammlung. Ich streifte über meine Schätze. Aquamarin, Bernstein, Rosenquarz und viele andere. Meinen kostbarsten Stein jedoch, den Hämatit, trug ich immer bei mir. »Aber ich glaube, ich kann mich nicht so auf das Studium konzentrieren, wie es nötig wäre.«

»Ich verstehe das, Lani.« Sybilles Stimme wurde sanfter. »Mir gegenüber musst du dich nicht rechtfertigen. Du weißt am besten, was du gerade brauchst. Hast du schon mit Bonnie darüber gesprochen?«

»Nein, diese Entscheidung habe ich ehrlich gesagt erst in den letzten Minuten für mich getroffen. Bonnie wird das aber akzeptieren. Was bleibt ihr anderes übrig? Sie ist nicht meine Mom, und ich bin volljährig.«

Bonnie hatte mich herzlichst bei sich und Dad aufgenommen, als ich nach Lakewood kam. Damals waren die beiden noch verheiratet und mir enorm große Stützen gewesen. Ohne sie hätte ich mich sicher nicht so schnell eingelebt. Auch wenn das Verhältnis zu meinem Dad anfangs davon getrübt war, dass ich nicht verstanden hatte, weshalb wir nie Kontakt hatten. Doch Bonnie hatte zwischen uns vermittelt, sodass wir eine Bindung voller Vertrauen aufbauen konnten. Als Stiefmom war sie echt klasse, vor allem, da sie sich nicht nach der Scheidung von mir entfernte, sondern mir immer eine Ansprechpartnerin blieb.

»Wenn du die Entscheidung tatsächlich erst kurzfristig getroffen hast, schlaf noch einmal darüber«, sagte Billie. »Nicht, dass du sie voreilig triffst und es am Ende nicht das Richtige ist.«

Ich nickte, obwohl sie es nicht sehen konnte. »Das werde ich.« Auch, wenn sich meine Entscheidung dadurch nicht ändern würde. Aber das musste ich meiner besten Freundin ja nicht unter die Nase reiben. »Sei mir nicht böse, aber ich werde mir jetzt Netflix anmachen und versuchen, alles um mich herum zu vergessen.«

»Aber bitte nicht mich.« Ein leises Lachen drang aus dem Hörer. »Bist du sicher, dass ich nicht vorbeikommen soll?«

»Bin ich, danke«, beteuerte ich. »Ich melde mich morgen bei dir, Billie. Hab dich lieb, bye!«

»Hab dich auch lieb, Lani. Bye – und wenn etwas ist, ruf an. Egal um welche Zeit.«

Wir legten auf, und ich rieb mir mit den Händen über das Gesicht. Was für ein verdammter Mist.

Ich nahm mein Telefon und trat aus meinem Zimmer. Vor Dads Schlafzimmer blieb ich stehen.

Die Tür war geschlossen, seit er vor fünf Wochen mit starken, unspezifischen Schmerzen im Bauch ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Nach unzähligen Tests und Untersuchungen kam heraus, dass Dad Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium hatte. Metastasen hatten sich bereits in anderen Organen gebildet, sodass keine Chance auf Heilung bestanden hatte. Das Einzige, was die Ärzte für ihn hatten tun können, war, seine Schmerzen zu lindern und ihm den Abschied so erträglich wie möglich zu machen.

Ich war bei ihm gesessen und hatte seine Hand gehalten, als er vier Wochen später eingeschlafen war. Das monotone Piepen des Herzmonitors, das zeigte, dass sein Herz nicht mehr schlug, würde ich nie wieder vergessen.

Mein Handy bimmelte erneut und riss mich somit aus meiner Erinnerung. Es zeigte eine neue Nachricht an.

Sybille Sanchez: Ich habe einen Plan, Lani. Mehr erzähle ich dir morgen dann. Xoxo

Ich: Bin gespannt. Melde mich morgen bei dir. Xoxo

Ich steckte das Telefon zurück in meine Tasche, holte tief Luft und öffnete zaghaft die Tür zu Dads Schlafzimmer. Sein Geruch lag noch immer in der Luft, obwohl es so stickig war. Prompt schossen mir die Tränen in die Augen, doch ich wollte das. Ich wollte mich Dad nahe fühlen. Ich schaffte das! Zögernd setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich mich vor der dunkelgrauen Polsterbank des großen mahagonifarbenen Betts wiederfand. Die graue Bettwäsche war so unordentlich, wie Dad sie vor fünf Wochen hinterlassen hatte. Man könnte meinen, er würde jederzeit zur Tür hereinkommen.

Ich merkte, wie meine erzwungene Sicherheit immer mehr Risse bekam, schnappte mir Dads Sweatjacke, die auf der Polsterbank lag, eilte aus seinem Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir. Rasch stolperte ich die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Dort schaltete ich den Fernseher ein und ließ mir irgendetwas auf Netflix anzeigen, damit die Stille verschwand.

Ich schlüpfte in Dads Sweatjacke, legte mich wieder auf das schwarze Ledersofa und stellte mir vor, er würde mich im Arm halten.

Mein Herz brach ein weiteres Stück auseinander, als mich der Schmerz überrollte.

2

»Ist das wirklich eine gute Idee?«, fragte ich Billie zögernd.

Die nickte, sodass ihre wilden dunkelbraunen Locken hin und her flogen. »Die beste Idee, die ich je hatte!«

»Bist du sicher, dass du dein Studium auch erst in einem anderen Semester starten willst?«

Mit ihren braunen Augen sah sie mich an, als verstünde sie die Frage nicht. »Wie soll ich bitte ohne dich mein Jahr als Freshman durchstehen? All die wilden Partys würden ohne dich nur halb so viel Spaß machen.« Sie nahm meine Hände in ihre und drückte sie. »Es ist mein absolut verrückter und doch genialer Wunsch, mit dir zusammen meine grandiose Idee durchzuziehen.« Dann zog sie die perfekt geformten Brauen zusammen. »Wenn es denn auch deiner ist …«

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Arbeitsfläche und starrte an Billie vorbei. Konnte ich das wirklich tun? Alles stehen und liegen lassen? Meine Hand fand wie automatisch den Weg zu meiner Hosentasche, in der der Hämatit lag. Ich schloss ihn in meine Faust und atmete tief durch.

»Lani, wir sind noch so jung. Wenn wir so etwas machen, dann jetzt – vor unserem Studium.« Billie zwängte sich in mein Blickfeld. »Dein Dad hat dich finanziell mehr als nur abgesichert, und dich hält hier nichts. Warum zögerst du?«

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.

»Weil es dann umso realer wird«, flüsterte ich.

»Was wird realer?«, fragte sie sanft.

»Dass ich niemanden mehr habe.« Meine Stimme brach, ich senkte den Blick und wisperte: »Dass ich ganz alleine bin.«

Ehe ich mich versah, fand ich mich in einer Umarmung à la Billie wieder. »Du bist nicht alleine. Nie. Okay? Du bist wie die Schwester, die ich nie hatte. Somos una familia. Du bist meine Familie, seit du damals in der Highschool in unsere Klasse gestolpert kamst.« Sie schob mich an den Schultern von sich und sah mir streng in die Augen. Dann wischte sie mit ihren Daumen die Tränen von meinen Wangen. »Und du bist nicht allein.«

Ich schniefte, nahm mir ein Küchentuch von der Arbeitsfläche und trocknete mein Gesicht. »Okay.«

»Okay, du hast es verstanden, oder okay, wir ziehen die Idee durch?«, vergewisserte sich meine beste Freundin mit einem Lächeln, das die Sonne aufgehen ließ.

»Beides?«, fragte ich unsicher und betrachtete die glückliche Billie, die prompt einen kleinen Freudentanz aufführte. Ihr marineblaues Strickkleid schwang mit ihren Bewegungen, bevor es sich wieder wie angegossen um ihren Körper schmiegte. »Aber zuerst muss ich mit Bonnie sprechen, wegen des Hauses und so.«

»Musst du nicht.« Sie zwinkerte mir mit leuchtenden Augen zu. »Das habe ich schon. Du musst ihr nur Bescheid geben, wann es losgeht. Sie kümmert sich dann hier um alles.«

»Du hast wirklich an alles gedacht, oder?« Ich starrte meine Freundin an. Was würde ich nur ohne sie tun? »Was würde ich nur ohne dich tun?«

Unsere Mägen fingen fast synchron an zu knurren. »Na ja. An alles habe ich nicht gedacht«, meinte sie. »Frühstück habe ich vergessen.«

Trotz der Trauer, die mich allgegenwärtig begleitete, fühlte ich mich für einen Moment geliebt. Es war so typisch für Sybille, dass sie an andere dachte, sich selbst aber dabei vergaß.

Ich stieß sie mit meiner Hüfte an. »Dann mach mal Platz und setz dich hin.«

Der Aufforderung leistete sie schnell Folge, setzte sich an den Küchentresen und beobachtete mich, wie ich eine Rührschüssel, Eier und Milch aus den Schränken holte. Die vertrauten Handgriffe halfen mir, mich zu erden. Und nochmal über Billies Idee nachzudenken. War ich wirklich bereit dazu? Aber was hatte ich schon zu verlieren? Ich verquirlte die Eier mit einem Schuss Milch, würzte das Ganze mit Salz, Pfeffer und Petersilie. Als kleine Geschmacksüberraschung fügte ich ein wenig Chilli-Flocken hinzu. Das Ei-Milch-Gemisch gab ich in die Pfanne und kochte das Rührei.

Ich richtete zwei Teller her, auf denen ich unser Frühstück verteilte, und legte noch jedem eine Scheibe des selbstgebackenen Dinkelbrots dazu.

»Et … voilà.« Schwungvoll stellte ich einen Teller vor Sybille ab. »Lass es dir schmecken.«

»Danke.« Sie schmatzte bereits mit vollem Mund. »Es ist immer wieder eine Freude, dir in der Küche zuzusehen. Und es schmeckt himmlisch!«

Mit Komplimenten konnte ich noch nie gut umgehen, deswegen senkte ich den Blick, stopfte mir eine Gabel voll Rührei in den Mund und wechselte das Thema. Aber Gott, sie hatte recht, das Essen war mir wirklich gut gelungen.

»Also zu deiner Idee.« Ich zeigte mit der Gabel auf sie. »Wie hast du dir das vorgestellt?«

Sie ließ ihr Besteck fallen und kreischte laut auf. »Heißt das, wir machen es?«

Meine Brust hob sich, als ich einen tiefen Atemzug nahm, meine Finger kribbelten, und mein Herz pochte vor Aufregung. »Ja, lass es uns tun. Lass uns das Abenteuer suchen!«

Billie sprang auf und zog mich mit sich, während sie wie ein Hüpfball durch die Gegend hopste.

3

Mit dem Kopf lehnte ich an der Wand und schaute durch das kleine Fenster hinaus in die Wolken. Doch das laute Röhren der Turbinen störte das friedliche Bild.

Das letzte Mal, als ich in einem Flugzeug gesessen hatte, war vor fünf Jahren gewesen. Als Dad mich von Tampa nach Lakewood geholt hatte.

Zu sich.

Wo er nun nicht mehr war.

Meine Kehle wurde eng, als sich Erinnerungen an Dad blitzartig vor meinen Augen bildeten. Mein Herz pochte schmerzhaft, und mein Magen zog sich zu einem krampfenden Knäuel zusammen.

Ich schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus. Meine Hand suchte nach Billies, wir verschränkten unsere Finger miteinander, und ich sah lächelnd zu ihr hinüber. »Danke, dass du mir diesen Ausweg geboten hast.«

»Wofür sind beste Freunde denn da? Außer, um zu lästern, zu lachen und zu weinen?«

Ich zog die Augenbrauen in die Höhe und sah sie fragend an. »Wofür?«

»Um in jeder Lebenslage füreinander da zu sein. Um zu stützen. Und manchmal auch, um eine Flucht aus dem Alltag zu planen.« Sie grinste mir verschmitzt entgegen. »Außerdem habe ich dir für die First-Class-Tickets zu danken.«

»Das war das Mindeste.« Ich drückte ihre Finger und steckte mir Kopfhörer in die Ohren. Auf dem kleinen Fernseher, der auf dem Sitz vor mir angebracht war, lief eine romantische Komödie, von der ich mich berieseln ließ. Währenddessen wanderten meine Gedanken zurück zu heute Morgen.

Auf einmal ging alles reichlich schnell. Billie drückte mir mein Telefon in die Hand, damit ich Bonnie anrief, während sie in mein Zimmer hastete.

»Du hast dich richtig entschieden, Sweetheart«, begrüßte mich meine Stiefmom, nachdem sie den Anruf angenommen hatte.

Ich zog meine Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. »Du wusstest, dass ich bei Billies Plan dabei sein würde, oder?«

»Nein, gewusst habe ich es nicht. Aber gehofft.« Sie seufzte. »Jetzt geh schon packen. Ich komm gleich rüber.«

Als Bonnie ankam, hatten Sybille und ich meine nötigsten Sachen gepackt. Meine beste Freundin hatte ihren Koffer schon in ihrem Auto. Sie war offensichtlich fest davon überzeugt gewesen, dass wir unser Abenteuer heute starteten.

»Hast du deine Kreditkarte? Deinen Reisepass? Deine Ladegeräte?«, fragte meine Stiefmutter, sobald wir in ihrem Auto saßen.

»Dreimal ja«, sagte ich lächelnd.

»Und du, Sybille?«

»Ebenfalls dreimal ja.« Meine beste Freundin lachte und lud ihren Koffer in Bonnies blauen Ford Focus. Dann setzten wir uns gemeinsam auf die Rückbank und schnallten uns an. »Jetzt fahr schon los, wir müssen zum Flughafen!«

Das ließ sich Bonnie nicht zweimal sagen und startete den Motor, wendete und fuhr los.

Die Fahrt zum Seattle-Tacoma international Airport ging viel zu schnell vorbei. Meine beste Freundin buchte unterwegs zwei Flugtickets, wollte mir aber noch nicht verraten, wohin die Reise genau ging. Sie meinte, das würde ich früh genug erfahren. Ich bestand darauf, dass sie First Class auf meine Kreditkarte buchen sollte, was sie dankend annahm. Schließlich hatte Dad mir mehr hinterlassen, als ich in einem Leben ausgeben könnte. Da konnten wir uns eine angenehme Reise leisten.

Bei den Kurzzeitparkplätzen für Abreisende mussten wir uns letztlich von meiner Stiefmom verabschieden.

»Gebt mir bitte regelmäßige Updates, wohin auch immer euch euer Weg führt.« Tränen glänzten in ihren Augen. Sie drückte Billie kurz und fest an sich.

Dann wandte sie sich mir zu und öffnete ihre Arme. Ich legte mich in ihre Umarmung und schloss die Augen. Der vertraute Geruch nach Rosen umspielte meine Nase. »Danke, Bonn.«

»Nicht dafür, Sweetheart. Mach dir keine Sorgen. Ich passe auf das Haus auf und kümmere mich um alles Weitere, während ihr weg seid.«

Nickend löste ich mich und versuchte, den Kloß in meiner Kehle wegzuatmen. Meine Sicht verschwamm, als mir Tränen in die Augen schossen. »Du wirst mir fehlen, Bonn.«

Nun konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. »Du mir auch, Sweetheart.« Sie trat einen Schritt zurück und zog ein Taschentuch aus ihrer Tasche. »Passt auf euch auf, Mädchen. Und sagt mir Bescheid, wenn ihr Hilfe braucht oder irgendetwas sein sollte. Oder wenn ich euch einfach wieder hier abholen kommen soll.«

»Machen wir«, versprach Billie, nahm den Griff ihres Trolleys in die linke Hand und fasste mit der rechten nach meinen Fingern.

»Bye, Bonnie.«

Gemeinsam, mit pochenden Herzen, verschwitzten Handflächen und nervösem Bauchflattern stolperten wir unserem Abenteuer entgegen.

»Ladies und Gentlemen. Wir haben soeben mit dem Sinkflug begonnen. Bitte gehen Sie zurück zu Ihrem Sitzplatz, schnallen Sie sich an und schalten Sie alle elektronischen Geräte aus, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben«, schallte es durch das Flugzeug.

Ich streckte die Arme über den Kopf und dehnte mich, dann wandte ich mich meiner schlafenden Freundin zu und prüfte, ob ihr Gurt festgeschnallt war. Sie sah so friedlich aus. Ihre Wimpern lagen wie schwarze Fächer auf ihren braunen Wangen. Was würde ich für einen Teint wie ihren machen. Neben ihr sah ich momentan aus wie ein Schreckgespenst. Bleiche, eingefallene Wangen, Augenringe, spröde Lippen. Wenn ich so darüber nachdachte, war Billies Idee von dem Abenteuer wahrscheinlich genau das, was mich aus meiner Trauer holte.

Vorsichtig strich ich ihr über die Wange, um sie sanft zu wecken. »Hey Schlafmütze«, flüsterte ich. »Wir haben unsere erste Zwischenlandung erreicht.«

Meine beste Freundin grummelte vor sich hin und drehte den Kopf weg.

»Sybille Sanchez«, wisperte ich. »Aufwachen.«

Sie öffnete ein Auge und unterdrückte ein Gähnen. »Sind wir schon da?«

»Zumindest bei dem ersten Stopp unseres Abenteuers.«

Sie rieb sich über das Gesicht und sah mich verschlafen, aber grinsend an. »Wir ziehen das echt durch.«

Ich nickte und schaute aus dem kleinen Fenster hinaus. Die Lichter des nächtlichen Chicagos strahlten unter uns wie Weihnachtsbeleuchtung. »Sieh dir das an, Billie. Wie schön das aussieht.«

Sie beugte sich zu mir und schaute ebenfalls hinaus. »Schön? Allemal. Und doch nichts weiter als Lichtverschmutzung«, bemerkte sie trocken.

Der Flughafen kam immer näher, bis wir schließlich aufsetzten und das Flugzeug parkte.

Wir nahmen unser Handgepäck aus dem Fach über uns und schlenderten in den Transitbereich, um dort auf unseren Anschlussflug zu warten.

»Wollen wir noch etwas essen?«, fragte Billie. »Bis zu unserem Anschluss haben wir noch etwas Zeit.«

»Eine grandiose Idee«, erwiderte ich, zog meinen Koffer hinter mir her und folgte ihr zu einem kleinen, einladenden Bistro namens Tulip.

Die Tische waren rund und mit einer weiß-rot karierten Tischdecke und einer Vase mit einer einzelnen Tulpe darin dekoriert. Sie waren anscheinend für maximal zwei Personen ausgelegt. Wir setzten uns und orderten einen Café Latte und ein Thunfischsandwich für Billie und einen grünen Tee mit einem Caesar Wrap für mich.

Nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten, verschwand ich kurz auf die Toilette und blickte meinem Spiegelbild über dem Waschtisch entgegen. Die Ringe unter meinen Augen wurden immer dunkler, und meine Haare standen mir wirr zu Berge. Ich band sie zu einem Messy Bun, spritzte mir Wasser ins Gesicht und versuchte mich ein wenig frischzumachen.

Zurück an unserem Tisch schickte ich Bonnie eine kurze Nachricht.

Ich: Hey Bonn, wollte dir nur Bescheid geben, dass es uns gutgeht und wir in Chicago gelandet sind. Hoffe, dir geht es auch gut. Xoxo

Als ich mein Handy wegsteckte, sah ich meine beste Freundin über ein Notizbuch gebeugt sitzen. »Was schreibst du denn?«

Grinsend, sodass sich in ihrer linken Wange ein Grübchen bildete, hielt sie das Büchlein in die Höhe. Auf dem Einband stand in künstlerisch gestalteter Schrift ›Lani’s und Sybille‘s Adventure‹. »Das ist unser Abenteuer-Tagebuch. Und ich habe gerade mit dem ersten Eintrag begonnen.«

Lächelnd nahm ich das Buch entgegen und blätterte darin herum. Mein Herz war voller Liebe für diese lebenslustige Puertoricanerin. »Du bist ja verrückt!«

»Nun, in dem Fall nicht«, widersprach sie mir. »Denn wie sollen wir unseren Enkeln und Urenkeln von unserer großen Reise erzählen, wenn wir uns selbst nicht mehr an alle Details erinnern können?« Dann schloss sie verschwörerisch: »Und ich glaube, sowohl meine Eltern als auch Bonnie würden sich ziemlich darüber freuen, wenn wir sie so daran teilhaben lassen würden.«

»Du bist einfach unglaublich. Dein Herz besteht aus purem Gold, oder?« Gerührt davon, dass sie an unsere Eltern beziehungsweise die Person, die diesem Titel am nächsten kam, dachte, ließ ich meine Tränendrüsen auf Hochdruck arbeiten. Meine Sicht verschwamm immer mehr.

»Nein, Lani. Nicht«, rief sie und nahm mir das Adventure Book aus den Händen. »Wenn du jetzt anfängst zu weinen, werden wir wie zwei Trauerklöße hier festsitzen und unseren Anschlussflug verpassen.«

Ich schniefte und atmete tief durch. »Du hast recht.« Vorsichtig nahm ich die Tasse mit meinem heißen Tee und trank einen kleinen Schluck. »Dann lass uns mal essen. Guten Appetit!«

Mit vollem Mund wünschte sie mir ebenfalls einen guten Appetit.

Unser Anschlussflug hob ohne Verspätung vom Chicago O’Hare international Airport ab. Jetzt wurde es ernst. Der nächste Halt war in Europa.

Europa!

Ich starrte mit kribbelnden Fingern aus dem schmalen Fenster und beobachtete, wie die Häuser immer kleiner wurden und die Autos kaum mehr zu sehen waren.

Als wir durch eine dichte Wolkendecke flogen, wandte ich den Blick ab und suchte den von Billie. Sie hatte sich von der Aussicht ebenfalls fesseln lassen.

»Weißt du, ich erwische mich so oft dabei, wie ich Dad hiervon erzählen will«, wisperte ich meiner Freundin zu. »Wie ich ihm eine kurze Nachricht mit einem Update schicken will.« Ihre Hand suchte meine, und wir verflochten unsere Finger.

»Aber das ist völlig okay. Schick ihm doch einfach Nachrichten«, meinte sie.

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Antwort zu erhalten, würde ich nicht ertragen.«

Meine Nase kitzelte, während sich in meinen Augen Tränen sammelten. Fest davon überzeugt, sie nicht fließen zu lassen, drehte ich die Augen nach oben und atmete einmal tief ein und wieder aus.

»Und wenn du das, was du ihm sagen willst, aufschreibst?«

Fragend sah ich in Billies rehbraune Augen. »Wie aufschreiben? Du meinst, wie eine Art Tagebuch?«

»Ganz genau!« Sie nickte mit einem schiefen Grinsen. »Vielleicht hilft dir das beim Verarbeiten.«

»Einen Versuch ist es allemal wert. Du hast nicht zufällig noch ein Notizbuch übrig, das du mir leihen könntest?«

»Bedaure, Lani«, erwiderte sie betrübt. »Aber wir besorgen dir eins bei unserem nächsten Zwischenstopp.«

Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und nickte. »Das klingt gut. Danke dir.«

»Siempre. Für dich immer. Das weißt du doch.« Sie drückte meine Hand, stellte ihren Sitz in Liegeposition und schloss die Augen. »Versuch ein wenig zu schlafen, wir haben noch viel Flugzeit vor uns.«

Eine große, schwarzhaarige Flugbegleiterin kam im gleichen Moment zu uns, bewaffnet mit zwei Kissen und zwei Decken. »Für einen angenehmen Schlaf, die Damen«, sagte sie. »Benötigen Sie eine Schlafmaske?«

»Perfektes Timing.« Sybille lächelte ihr zu und nahm Kissen und Decke entgegen. »Aber eine Maske brauche ich nicht, danke. Lani?«

»Vielen Dank. Für mich auch keine Schlafmaske.«

»Ich wünsche ein paar erholsame Stunden, die Damen«, sagte die Flugbegleiterin und stolzierte weiter.

»Schlaf gut, Lani«, wisperte Billie.

Meine Mundwinkel hoben sich, als ich zu ihr hinüberblickte. In zwei Minuten würde sie bestimmt schlafen. »Du auch, Billie, träum fein.«

Auch wenn es mir kaum möglich war, momentan an Schlaf zu denken, machte ich es mir mit dem Kissen und der kuscheligen Decke bequem.

Das Brummen der Turbinen war heute unser ständiger Begleiter. So seltsam es klang, das monotone Geräusch besänftigte meine flatternden Nerven und mein schmerzendes Herz.

Mir gingen Billies Worte, ihre Idee mit dem Tagebuch nicht mehr aus dem Kopf. Die schwarzhaarige Flugbegleiterin marschierte wieder an unseren Plätzen vorbei. Ohne groß nachzudenken, stand ich auf, folgte ihr und flüsterte, um die anderen Fluggäste nicht zu stören. »Entschuldigen Sie.«

Mit einem Lächeln drehte sie sich zu mir. »Ja? Kann ich Ihnen helfen?«

Nervös knetete ich meine Hände. »Hätten Sie vielleicht etwas zu schreiben für mich? Also einen Stift und einen Zettel oder so?«

»Da lässt sich bestimmt etwas finden.« Sie drehte sich auf ihren Fünf-Zentimeter-Absätzen um und nickte in Richtung meines Sitzes. »Ich bringe Ihnen Stift und Papier, sobald ich etwas gefunden habe.«

Ich schenkte ihr ein Lächeln. »Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen.«

Dann hastete ich zurück zu meiner schlafenden Freundin und kuschelte mich in den Sitz.

Gähnend öffnete ich die Augen und versuchte mich zu orientieren. Bis das vertraute Brummen der Turbinen zu mir durchdrang sowie jede Erinnerung.

Jedes Mal nach dem Aufwachen brach mein Herz erneut. Jedes Mal wurde mir erneut bewusst, scheiße, Dad ist wirklich gestorben, er ist wirklich nicht mehr da.

Ich suchte nach dem Hämatit in meiner Hosentasche und hoffte auf die gewohnte beruhigende Wirkung. Verzweifelt schloss ich die Faust um ihn und drückte ihn fest.

Langsam konnte ich freier atmen und stellte den Sitz in eine aufrechte Position, rieb mir über das Gesicht und versuchte, den Druck in meiner Brust wegzuatmen.

Dann erst fiel mir auf, dass auf dem klappbaren Tischchen vor mir ein Din-A5-Block sowie ein Kugelschreiber lagen. Beides versehen mit dem Logo der Fluggesellschaft. Unfassbar, scheinbar war ich eingeschlafen, noch ehe die Flugbegleiterin mir die Sachen gebracht hatte.

Ich war wohl erschöpfter gewesen, als ich gedacht hatte.

Ein leises Schnarchen zog meine Aufmerksamkeit auf Billie, die weiterhin tief und fest schlief. Um die Fähigkeit, immer und überall schlafen zu können, beneidete ich sie sehr.

Ein Blick auf den Infomonitor sagte mir, dass wir knapp die Hälfte der Strecke hinter uns hatten. Ich rieb mir erneut über das Gesicht und prüfte blind, ob die Haare noch in ihrem Knoten steckten. Dann machte ich einen kurzen Abstecher zur Bordtoilette und widmete mich danach dem Schreibzeug.

Der kranichgelbe Kugelschreiber lag schwer in meiner Hand, obwohl es ein günstiges Plastikteil war. Der dunkelblaue Schriftzug des Logos auf der Klemme gab einen auffälligen Kontrast. Ich fing an zu schreiben.

Dad, seit neun Tagen bist du nicht mehr bei mir, und dennoch suche ich dich mit jedem Blick.

Meinem Kopf ist klar, dass die Krankheit gewonnen hat, dass du nun keine Schmerzen mehr ertragen musst, dass du jetzt Mom von unseren gemeinsamen Jahren erzählen kannst, dass du jetzt frei bist.

Aber mein Herz, Dad, es schmerzt so sehr. Mein Herz kann noch immer nicht glauben, dass du nicht jeden Moment auftauchst. Dass du nicht jeden Moment anrufst oder gar eine Nachricht senden wirst. Meinem Herzen wird jeden Tag aufs Neue bewusst, dass du nicht wiederkommen wirst. Und jedes Mal bricht es erneut.

Kleine Tupfer bildeten sich auf dem Block. Mir war nicht aufgefallen, dass ich weinte. Fast schon grob wischte ich mir die Tränen von den Wangen.

Du siehst, ich vermisse dich unendlich. Und ich weiß auch, dass Bonnie dich vermisst. Doch sie ist stark für mich. Genauso wie Billie.

Billie ist es auch, die mich auf dieses Abenteuer entführt. Gerade jetzt sitze ich im Flugzeug Richtung Übersee.

Um ehrlich zu sein, war es Billies Idee, dir zu schreiben. Du siehst, ohne meine beste Freundin wäre ich verloren und würde in der Trauer um dich ertrinken. Denn du fehlst mir so wahnsinnig. Aber ich will dich nicht nur volljammern, ich will dir auch danken, Dad. Danke, dass du dich von dem dreizehnjährigen Mädchen, das plötzlich vor deiner Tür stand, nicht hast einschüchtern lassen. Danke für fünf wunderbare Jahre – wenngleich fünf Jahre viel zu wenig waren. Danke, dass du ein so liebevoller Vater warst.

In Liebe

Lani

Ich legte Block und Stift ab und sah aus dem kleinen Fenster hinaus. Unter uns erstreckte sich die blaue Weite des Atlantiks.

Meine Gedanken waren bei meinem Vater, als sich am Horizont, wo Ozean und Himmel sich berührten, ein gelborangener Streifen abzeichnete. Der Anblick bannte mich.

Es war, als würde Dad auf meine Gedanken antworten. Als würde er mir sagen, mach weiter, leb dein Leben, ich bin immer bei dir.

Der Streifen wurde breiter, bis der erste Bogen der Sonne auftauchte und sich der rote Riese immer mehr zeigte.

Ich schloss die Augen und atmete einige Male bewusst tief ein und aus. Das Strahlen der aufgehenden Sonne drang selbst durch meine geschlossenen Lider.

»Guten Morgen, Madame«, riss mich die freundliche Flugbegleiterin aus meinen Gedanken. »Ich hoffe, Sie haben gut geruht. Kann ich Ihnen etwas bringen?«

Erschrocken blickte ich zu ihr auf und fühlte die Wärme in mein Gesicht schießen. Dann wischte ich mir über die Wangen und versuchte, meine Verlegenheit zu ignorieren. »Vielen Dank, ja. Gerne einen Tee, wenn es keine Umstände macht.«

»Sehr gerne«, erwiderte sie. »Früchtetee, Kräutertee, schwarzen, grünen, weißen oder gelben Tee?«