The Ocean Soul - Ada Mea - E-Book

The Ocean Soul E-Book

Ada Mea

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Beschreibung

Inmitten ihres Trümmerfeldes aus einer beendeten Beziehung und dem Verlust ihres Jobs in New York landet die Karrierefrau Freya Davies auf der faszinierenden Insel Bali. Ihre Schwester Elodie, als Yogalehrerin in einem Surf Camp zu Hause, bietet ihr einen unerwarteten Zufluchtsort. Zunächst prallen die Welten der geschäftigen Metropole und der entspannten Inselkultur aufeinander und Freya kämpft um Integration. Erst als der charmante Surflehrer Chris in ihr Leben tritt, verändert sich ihre Sichtweise. An traumhaften Stränden, beim Surfen im Meer und inmitten des paradiesischen Dschungels kommen sich Chris und Freya näher. Die idyllische Kulisse verspricht einen glücklichen Neubeginn, bis plötzlich der zwielichtige Besitzer des Camps auftaucht und das dunkle Familiengeheimnis enthüllt, das die beiden Schwestern seit Jahren hüten. In den Weiten des Ozeans entfaltet sich eine Geschichte voller Liebe, Herausforderungen und der Kraft, die Vergangenheit zu überwinden.

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THE OCEAN SOUL

Das Meer in dir

ADA MEA

INHALT

1. Freya

2. Freya

3. Freya

4. Freya

5. Chris

6. Freya

7. Freya

8. Chris

9. Freya

10. Chris

11. Freya

12. Freya

13. Chris

14. Freya

15. Freya

16. Freya

17. Chris

18. Freya

19. Chris

20. Freya

21. Chris

22. Freya

23. Freya

24. Chris

25. Freya

26. Chris

27. Freya

28. Chris

29. Freya

30. Chris

31. Freya

Epilog

32. Chris

Die Autorin

Sehnsucht:Schwerelos

Date Night

The Return of Lilith

Die Loge des Verführers

Der wilde Schmerz in mir

Engelsherz

„Der Weg deiner Seele

führt zum Meer.“

1

FREYA

Fassungslos starrte ich auf die Nachricht, die Jack mir geschrieben hatte. Ich legte das Smartphone zur Seite und atmete erst einmal tief durch.

Bestimmt war das nur ein dummer Scherz!

Mein Blick heftete sich auf die Grafik, die ich mit den Kollegen auf das Flipchart gemalt hatte. Augenblicklich kreisten meine Gedanken um das neue Projekt.

Würden wir den Auftrag bekommen?

Es hing so viel davon ab. Unser Boss würde einen Mitarbeiter aus dem Team entlassen, wenn wir diesen Kunden nicht an Land zögen. Das hatte er uns angedroht.

Mir wurde kalt, als ich an die Standpauke von Roger dachte. Ein bisschen lenkte es mich von dem Schock ab, den Jack mir soeben beschert hatte. Kopfschmerzen quälten mich seit den frühen Morgenstunden. Ich hatte, wie so viele Nächte zuvor, kaum geschlafen. Mein Puls ging viel zu schnell und während ich innerlich aufgekratzt war, schrie jeder Muskel in meinem Körper nach Ruhe und Entspannung. Ich war ausgebrannt und leer. An manchen Tagen wusste ich nicht einmal mehr, wie ich ins Büro gekommen war.

Mein Telefon kündigte eine weitere Nachricht an. Ich rieb mir über das Gesicht, ehe ich es zur Hand nahm. Meine Mutter lud mich am Samstag zum Mittagessen ein. Ich hatte seit dem Morgen nichts mehr gegessen und die Aussicht auf eine warme Mahlzeit ließ meinen Magen rumoren. Mir fehlte die Kraft, um zu antworten.

Der Abend dehnte sich in die Länge. Niemand in der Agentur traute sich nach Hause zu gehen, ehe der Boss nicht das Gebäude verlassen hatte. An Freitagen ließ sich der Sadist besonders gern Zeit, um das Feld zu räumen. Er wollte uns damit in den Wahnsinn treiben. Was ihm in meinem Fall gelang.

Ich sah zum Fenster hinaus. Im Wolkenkratzer gegenüber brannten von Stunde zu Stunde mehr Lichter. Die Menschen machten längst Feierabend und freuten sich auf ihr Wochenende.

Wieder vibrierte das Handy. Diesmal kam die Nachricht von meiner Schwester Elodie. Sie schickte mir ein morgendliches Foto vom Strand. Im Hintergrund tauchte die Sonne aus den Wellen auf.

Der Weg deiner Seele führt zum Meer, schrieb sie.

Ich seufzte, als ich ihre positiven Zeilen las. Wie unterschiedlich unsere Leben doch waren.

Elodie war vor zehn Jahren nach Bali ausgewandert, wo sie als Yogalehrerin in einer Surfschule lebte und unterrichtete. In meiner Version ihres Lebens verbrachte sie ihre Zeit in Hängematten, auf einem Surfbrett oder auf einer Party, bei der braungebrannte Menschen barfuß tanzten. Obwohl mich meine kleine Schwester schon so oft eingeladen hatte, war ich noch nie nach Bali geflogen. Immer hatte ich nach einer Ausrede gesucht, warum ich New York nicht verlassen konnte. In Wahrheit fürchtete ich ihre Welt ein bisschen. Ich konnte mit dem Mindset der Aussteiger nichts anfangen.

»Aus Freya wird einmal eine Karrierefrau«, hatte meine Mutter immer behauptet.

Genauso war es gekommen. Ich scheffelte das große Geld, während Elodie mit ihren blonden Zöpfen an einer Strandbar saß und von dem lebte, was ihr das Meer vor die Füße spülte. Ich wollte mich mit der Lebensweise meiner Schwester nicht konfrontieren, um meine eigene nicht in Frage stellen zu müssen. Mir reichte es, wenn wir uns einmal im Jahr zu Thanksgiving trafen, wenn Elodie meine Mutter und mich in Manhattan besuchte.

Ich schickte Elodie einen Daumen hoch. Mehr nicht.

Mit zitternden Fingern scrollte ich mich durch den Chatverlauf mit Jack. Mehrmals las ich die letzte Nachricht, bis mir die Buchstaben vor den Augen verschwammen.

»Tut mir leid, Freya. Ich habe eine andere Frau kennengelernt und mich in sie verliebt. Es ist vorbei.«

Hatte er vollkommen den Verstand verloren? Seit zwei Jahren quälte ich mich mit den Allüren dieses Mannes, der nicht daran dachte, seinen Wohnsitz in Atlanta aufzugeben, um zu mir nach New York zu ziehen. Dabei wäre es für ihn viel leichter gewesen, seine Zelte abzubrechen. Er verkaufte Autos, marode Gebrauchtwagen, die er restaurierte und wieder fahrtüchtig machte. Tagein, tagaus schraubte er an den alten Karren herum und lebte sorglos in den Tag hinein, während ich im Big Apple in einer der angesehensten und erfolgreichsten Agenturen schuftete. Unsere Fernbeziehung zermürbte mich wie ein Geschwür.

Ich schüttelte den Kopf. Das war inakzeptabel. Mein Herz erahnte die Wahrheit bereits seit Wochen, aber ich hatte die leise Stimme ignoriert. Jack und ich hatten nichts mehr, was uns verband. Das Feuer unserer Leidenschaft war längst erloschen.

Ungeduldig wählte ich Jacks Nummer und landete sofort im Nirwana. Ich schickte ein Fragezeichen als Antwort auf seine Nachricht, durchforstete alle Social Media Foren, jagte eine E-Mail hinaus, nur um zu der Erkenntnis zu kommen, dass er mich aus seinem Leben geschossen hatte. Blockiert auf allen Ebenen. Einfach so, ohne ein klärendes Gespräch. So viel Rückratlosigkeit und Respektlosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut. Ich war doch kein alter Motor, den man auf dem Schrottplatz entsorgte.

Mein ohnehin seit Wochen angeschlagenes Nervenkostüm gab auf. Ein surrendes Rauschen erfasste meinen gesamten Körper. In diesem Moment betrat der Boss den Raum.

Bei meinem Anblick zog er verächtlich die Augenbraue hoch. Er hielt nicht viel von Frauen und ihren Gefühlen, was er jeden Tag aufs Neue mit chauvinistischen Sprüchen demonstrierte.

»Freya, was ist mit Ihnen?«, fragte er scharf. »Sie sehen aus, als ob Sie kurz vor einer Ohnmacht stünden.«

Ich presste die Lippen aufeinander.

Nur keine Schwäche zeigen!

Eigenartige Stöße jagten durch meine Brust, die plötzlich höllisch brannte. Ich bekam keine Luft mehr. Das war das Ende. Rasch sprang ich auf.

»Toilette«, keuchte ich. »Schnell!«

Ich wollte an meinem Boss vorbei, aber er stellte sich mir in den Weg.

»Was ist mit dem Entwurf?«, dröhnte er. »Er sollte bis heute Abend auf meinem Schreibtisch liegen. Haben Sie den Tag mit Faulenzen verbracht?«

Ich wollte Roger antworten, brachte aber keinen Ton über die Lippen. Röchelnd wedelte ich mit den Armen und deutete auf das Flipchart. Er drehte sich um. Ich wollte das Büro fluchtartig verlassen, aber mit meiner Koordination stand es nicht zum Besten. Wie eine Betrunkene stieß ich mit der Schulter gegen den Türrahmen, torkelte rückwärts und landete auf dem Boden. Roger baute sich über mir auf, während ich wie ein hilfloser Käfer vor ihm auf dem Teppich lag, alle viere von mir gestreckt.

»Sind Sie verrückt geworden?«, brüllte er.

Das war zu viel für mich. Ich schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Völlig unkontrolliert heulte ich mir die Seele aus dem Leib. Ich schluchzte so laut, dass es durch die geöffnete Bürotür in allen Räumen und Fluren der Agentur zu hören war. Da ich seit Jahren nicht mehr geweint hatte, war es ein regelrechter Monsun, der sich aus meinem Innersten befreien wollte.

Es war die Erniedrigung meines Lebens. Ich, Freya Davies, hatte in der Agentur, in der ich seit zehn Jahren arbeitete, einen Nervenzusammenbruch, den die Welt noch nicht gesehen hatte. Roger zögerte keine Sekunde. Während er über meinen bebenden Körper hinwegstieg, sprach er die Kündigung aus. Es waren seine letzten Worte an mich.

»Glaub mir, ein Atemzug

an einem neuen Ort und

du wirst heilen.«

2

FREYA

»Jetzt ist es aber genug!«, schimpfte meine Mutter und ließ den Einkaufskorb auf die Anrichte in der Küche plumpsen.

Sie wirbelte zu mir herum und stemmte die Hände in die Hüften. Erstaunt lugte ich unter dem Arm hervor, den ich theatralisch über den Kopf geschlungen hatte, um meinen desolaten Zustand zu demonstrieren.

»Freya, so kann es nicht weitergehen«, sagte Mom. »Du lässt dich gehen. Seit wie vielen Wochen gammelst du nun schon auf deiner Couch herum?«

Ich seufzte. »Seit drei. Ich verstehe nicht, was daran schlimm ist, wenn ich einmal nichts mache. Bei Elodie stört es dich auch nicht.«

Insgeheim fand ich die Ermahnungen meiner Mutter unfair. Sie gebärdete sich so, als wären Jahrzehnte seit meiner Kündigung und der eiskalten Abfuhr von Jack vergangen. Es waren allerdings nur 21 Tage, 8 Stunden und 37 Minuten verstrichen. Ich hatte mein Leben lang gearbeitet wie im Hamsterrad. Anstatt mit Freunden um die Häuser zu ziehen und zu feiern, hatte ich gelernt und geleistet. In meinen Augen war ein Durchhänger legitim.

»Willst du nicht endlich diesen widerlichen Hausanzug ausziehen und wieder zurück ins Leben finden?«

»Diesen Hausanzug hast du mir geschenkt«, erinnerte ich meine Mutter an ihr modisches Vergehen. »Damit ich endlich mal runterkommen kann, das hast du gesagt. Jetzt entspanne ich mich in diesem Teil und es ist dir auch nicht recht.«

In Wahrheit hatte ich diesen unfassbar hässlichen Einteiler noch nie getragen und in meinem Frust aus der tiefsten Ecke des Schrankes gefischt. Das Material fühlte sich erstaunlich weich auf der Haut an. So weich, dass ich nichts anderes mehr spüren wollte. Die engen Bleistiftröcke, Feinstrumpfhosen und Anzüge würden mich nie wieder sehen. Es war ein Wunder, dass ich sie noch nicht zur Altkleidersammlung getragen hatte.

Seit meiner Entlassung schlurfte ich gemeinsam mit meinem Kontrollverlust durch das Appartement und ernährte mich von bestelltem Essen und Bier. Die Betreiber von Netflix wunderten sich bestimmt, warum ein Account, der seit Jahren nicht benutzt worden war, plötzlich in der Dauerschleife Serien abspielte.

Meine Mutter schnalzte missbilligend mit der Zunge. Ihr aufgesetztes strenges Gesicht konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie sich große Sorgen um mich machte. Sie hatte mich noch nie so schwach gesehen und es verunsicherte sie.

Während sie Gemüse schnippelte und in einen großen Topf warf, stolperte ich ins Badezimmer. Ich duschte, wusch mein Haar und schlüpfte in Jeans und ein T-Shirt. Im Grunde wollte ich Mom nicht beunruhigen und ihr mit einem frischeren Auftreten zeigen, dass es mir besser ging.

»Willst du dir nicht Hilfe suchen?«, schlug sie zögerlich vor, als wir wenig später unsere heiße Suppe löffelten. »Dir haben Therapien doch immer gut geholfen und …«

»Ich komme schon zurecht«, widersprach ich viel zu schnell. »Ich brauche keine Hilfe.«

Meine Mutter legte den Löffel zur Seite und griff nach meiner Hand.

»Ich habe mit Elodie telefoniert«, sagte sie. »Wir sprechen jeden Tag über dich. Deine Schwester macht sich große Sorgen.«

Ich verzog den Mund. Das stimmte garantiert nicht.

»Mom, in ein paar Tagen geht es mir wieder besser. Dann suche ich mir einen neuen Job und vielleicht einen neuen Mann. Alles wird gut.«

Bei zweiterem war ich nicht sicher, ob ich überhaupt jemals wieder einen haben wollte. Die Männer hatten mir bisher kein Glück gebracht und ich empfand sie als Belastung.

»Du hast einen Burn-out«, behauptete meine Mutter.

»Ich halte nichts von diesen neumodischen Ausdrücken.«

»Ich kann in deinen Augen sehen, dass du am Ende bist und Liebes, widersprich mir jetzt nicht wieder, ich weiß, dass es so ist. Ich kenne dich seit deiner Geburt, also mach mir nichts vor. Seit wann bist du so aufgesetzt? Ich bin deine Mutter, mir musst du nichts vorspielen. Du musst mir nicht beweisen, wie taff du bist.«

»Alles gut«, wollte ich sagen, aber meine Zunge bewegte sich nicht.

Die Tränen kamen so rasant wie immer. Ehe ich sie aufhalten konnte, tropften sie in die köstliche Gemüsesuppe. So ging es mir seit Tagen. Ich weinte, bis ich mich vollkommen leer fühlte. Manchmal war ich sogar zu erschöpft, um zu schlafen. Ich vegetierte vor mich hin, tief mit der Vergangenheit verwoben, die es mir in Fragmenten immer wieder ins Bewusstsein spülte. Es war mir unmöglich loszulassen. Ich hatte mich mit meinem Job identifiziert und ohne ihn war ich … nichts.

Mom kam um den Tisch herum und legte ihre Arme um mich. Es waren diese besonderen Umarmungen, die ich so mochte. In ihnen steckte die bedingungslose Liebe, die es nur bei einer Mutter gab. Meine Mom und ich hatten schwierige Zeiten überstanden und hatten viele Jahre nicht miteinander geredet, aber seit dem Tod meines Stiefvaters standen wir uns wieder nahe.

»Ach, Liebes, es wird schon werden«, tröstete sie mich. »Elodie und ich haben gestern entschieden, dass du eine Auszeit brauchst. Wir haben dir einen Flug nach Bali gebucht. Er geht morgen Vormittag. Du musst dringend weg, ein Tapetenwechsel ist genau das Richtige in dieser schweren Krise.«

»Bali?«, schniefte ich. »Oh Gott, bitte nicht. Ich will nicht nach Bali.«

»Du wirst deine Schwester besuchen und endlich einmal Urlaub machen«, sagte meine Mutter sehr bestimmt. »Keine Widerrede.«

Irgendwie rührte mich diese Geste, auch wenn mich der Gedanke daran, mein Appartement zu verlassen, stresste. Wie sollte ich es schaffen, einen Koffer zu packen, wenn ich es nicht einmal schaffte, meine eigenen vier Wände zu verlassen? Von einem Long-Distance-Flug ganz zu schweigen.

Meine Mutter beäugte mich prüfend und las meine Gedanken. Ehe ich es mich versah, bugsierte sie mich aufs Bett und zerrte den großen Koffer darunter hervor. Energisch präsentierte sie mir Sommerklamotten aus dem Schrank und legte sie, wenn ich zustimmend nickte, in den Koffer.

»Mom?«

»Was denn?«

»Ich kann das nicht.«

»Doch du kannst das, Freya!«

»Nein, das alles ist … mir zu viel.«

»Ich bringe dich morgen zum Flughafen und du setzt dich in das Flugzeug und fliegst. Deine Schwester holt dich in Denpasar ab. Glaub mir, ein Atemzug an einem neuen Ort und du wirst heilen.«

Es war gut, dass mir die Kraft für Widerworte fehlte. Am nächsten Morgen saß ich tatsächlich in einem Flugzeug, das mich nach Bali brachte und mich in ein Abenteuer katapultierte, von dem ich nie zu träumen gewagt hätte. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Reise mein Leben für immer verändern würde.

»Der Blick auf das Meer

rettet dein Herz.«

3

FREYA

Bali begrüßte mich mit heißen Temperaturen und strahlendem Sonnenschein. Der Pilot verabschiedete sich über Lautsprecher und wünschte den Fluggästen einen schönen Aufenthalt. Der Frühling in New York war schwer in die Gänge gekommen, von daher durfte sich mein Körper nun auf 20 Grad Temperaturunterschied einstellen. Gemächlich verließen die Reisenden das Flugzeug. Mein Rücken tat weh. Ich hatte 24 Stunden auf einem unbequemen Sitz gesessen, ohne zu schlafen. Mit verzwickter Miene passierte ich die Sicherheitskontrolle und wartete auf meinen Koffer, der als einer der letzten über das Förderband herangerollt kam.

Ich hatte nur einen Gedanken. Dass ich nicht hier sein wollte.

Wenigstens war das Innere des Flughafens modern und klimatisiert. Ich wunderte mich über meine Vorurteile. Was hatte ich erwartet? Einen Verschlag aus Brettern und wilde Tiere? Meine Welt hörte an den Rändern des Big Apples auf und dahinter gab es nicht viel.

Unsicher rollte ich den schweren Schalenkoffer durch die Ankunftshalle. Mein Blick irrte umher. Nach ein paar Minuten, in denen ich mir den Hals wie eine Eule verrenkt hatte, gab ich auf. Keine Spur von Elodie in der Menschenmenge. Ich hatte nichts anderes erwartet. Meine kleine Schwester war ein Freigeist und Lebemensch. Alles in ihrem Leben geschah spontan und im Namen der Freiheit. Sie hatte weder Zeit noch Verantwortungsgefühl. Mit 30 lebte sie noch immer wie ein Kind in den Tag hinein. Für sie gab es keine Termine, an die sie sich halten musste.

Das war so typisch für sie!

Müde reihte ich mich bei einem Coffeeshop in die Warteschlange ein. Obwohl ich es gehofft hatte, war ich während des Fluges nicht in Urlaubsstimmung gekommen. Mich überforderte jeder Handgriff, jeder Schritt, sogar meine Gedanken.

Mit einem Becher Kaffee saß ich schließlich an einem der Tische und starrte vor mich hin. Die Zeit veränderte sich. Die Minuten stürzten aus den Uhren. Keine Ahnung, wer sie auffing. Ich war es nicht.

Zum wiederholten Male checkte ich meine Nachrichten. Nichts.

Am meisten enttäuschte mich, dass sich keiner meiner ehemaligen Arbeitskollegen bei mir meldete. Jack hatte ich ohnehin aufgegeben. Meine Nachforschungen hatten ergeben, dass er mit seiner neuen Freundin eine Autowerkstatt eröffnet hatte. Der Mistkerl ignorierte mich, als ob es mich nie gegeben hätte.

Warum war die Agentur ohne mich nicht zusammengebrochen? Hatte keiner Fragen an mich? War ich so leicht zu ersetzen?

Ein spitzes Kreischen ließ mich aufhorchen. Ich drehte mich um und sah meine Schwester in wallenden bunten Gewändern durch die Halle laufen. Ihre langen, blonden Haare trug sie zu einem hohen Zopf zusammengebunden. Ihren rechten Arm schmückten zahlreiche Armreifen. Einige Menschen drehten sich neugierig um. Es ärgerte mich, dass Elodie mit ihrem Auftritt die Aufmerksamkeit auf sich zog.

»FREYA!«, kreischte sie. »FREYA!«

Ich befand mich in einer Art Schockstarre. Selbst als meine Schwester mich überschwänglich umarmte, spürte ich diese Berührung nicht. Ich nahm nur den Hauch von Kokosöl wahr und das Klappern der eigenartigen Ketten aus Muscheln, die sie trug.

Hinter ihrem Rücken tauchte ein Balinese mit einem breiten Lächeln auf. Er trug ein Tuch auf dem Kopf, dessen Spitze nach oben ragte.

Elodie wedelte mit den Händen.

»Nengah!«, rief sie aufgeregt. »Nengah! Das ist meine Schwester Freya! Ich habe dir so viel von ihr erzählt und jetzt ist sie endlich hier! Ist sie nicht zauberhaft?«

Der Balinese kam näher. Elodie ließ mich los und strahlte mich verzückt an. Ihre zarte Figur erinnerte mich an eine Elfe. Nengah verneigte sich und faltete die Hände wie zum Gebet.

»Om Suastiastu«, sagte er mit leiser Stimme.

»Äh … hallo«, erwiderte ich verlegen.

Ich spürte Erleichterung, dass ich endlich abgeholt wurde und wollte mir gleichzeitig meine Schwäche nicht anmerken lassen. Mein Mund verzerrte sich, aber es war kein Lächeln.

Nengahs Mimik verriet nicht, ob er mich zauberhaft fand. Er wirkte völlig wertfrei und freundlich.

»Ist das dein Koffer?«, fragte Elodie und ich nickte.

Der Balinese nahm dies zum Anlass, um nach ihm zu greifen. Ich wollte protestieren, aber selbst dazu fehlte mir die Kraft.

Wir gingen los und verließen zügig den Flughafen.

Elodie berührte mich immer wieder, gleichzeitig plauderte sie munter vor sich hin. Ihre Worte umhüllten mich wie warmer Regen. Ich konnte ihnen nicht folgen. An ihrem Handgelenk entdeckte ich ein neues Tattoo. Eine Lotusblüte.

Wenig später saß ich in einem maroden Auto auf der Rückbank und wir stauten uns durch Denpasar. Der Linksverkehr irritierte und faszinierte mich zugleich. Elodie wandte sich auf dem Beifahrersitz um und deutete immer wieder zum offenen Fenster hinaus.

»In Bali gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung«, flötete sie begeistert. »Jeder fährt, wie er will und es gilt eigentlich nur, dass ein größeres Fahrzeug Vorrang hat. Der Verkehr funktioniert auch ohne Regeln. Wundere dich nicht, wenn ständig gehupt wird, das ist normal in diesem Land.«

»Ist in New York nicht anders«, murmelte ich. »Daher wundere ich mich nicht.«

In diesem Moment verriss Nengah den Wagen und wich zur Seite aus. Er rammte eine Mülltonne, die in hohem Bogen davongeschleudert wurde. Ich kreischte auf, aber Nengah grinste nur. Er hatte alles unter Kontrolle.

Ich schloss die Augen. In meinen Ohren klang Elodies helles Lachen nach.

»Ich fahre auch lieber mit dem Motorroller«, sagte sie.

Ich krampfte unbemerkt die Finger zu Fäusten.

* * *

Als wir im Surf Camp ankamen, war ich durchgeschwitzt. Die engen Jeans klebten an meinen Beinen fest. Die elegante Bluse war nass. Ich fühlte mich schrecklich unwohl. Seufzend stieg ich aus dem Wagen. Elodie schnappte meine Hand und zog mich vergnügt hinter sich her.

»Jetzt zeige ich dir unser kleines Paradies«, trällerte sie. »Du wirst begeistert sein. Ich bin so froh, dass du da bist. Wir sind hier auf dem schönsten Fleckchen von Bali. Also, in meinen Augen ist dies der schönste Platz. Hier ist mein Zuhause. Warte erst, wenn du alles gesehen hast.«

Sie wirbelte herum und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Wärme rieselte an meinem Rückgrat hinab und ich lächelte.

»Du wirst in einem der Lumbungs wohnen«, plauderte Elodie weiter. »Die Hütten unseres Teams stehen etwas abseits des Haupthauses, direkt an den Reisfeldern. Eigentlich wollte ich dich in meiner Hütte unterbringen, aber Scarlett wollte partout nicht umziehen. Sie ist ein bisschen … äh … schroff, übrigens ist sie auch Amerikanerin, auf Fremde wirkt sie anfangs arrogant, aber das ist sie nicht. Sie ist nur zu Beginn sehr zurückhaltend. Es fällt ihr nicht leicht, anderen zu vertrauen. Sie muss einen Menschen erst besser kennenlernen, um sich zu öffnen.« Meine Schwester lachte glockenhell. »Wir haben alle unsere Themen«, meinte sie leichthin. »Scarlett ist die beste Surferin, die diese Welt je gesehen hat. Ihre Schüler lieben sie. Zwei Wochen unter ihren Fittichen und du surfst wie eine Weltmeisterin. Sie vertraut den Wellen mehr als den Menschen.«

Meine Schwester neigte sich vor und raunte mir ins Ohr. »Scarlett hat in der Vergangenheit Schlimmes durchgemacht. Die Ärmste wurde von ihrem Vater … du weißt schon … nun … er war gewalttätig und hat sie misshandelt. Seither hat sie es nicht mehr so mit … Nähe.«

Kurz schoss mir durch den Kopf, dass Scarlett nicht begeistert sein würde, wenn sie wüsste, wie Elodie mit ihrer tragischen Geschichte umging. Das Meer würde bestimmt nicht so viel ausplaudern wie meine extrovertierte Schwester.

»Da wir die einzigen Frauen im Team sind, haben wir uns entschieden, einen Lumbung gemeinsam zu bewohnen«, plapperte sie munter weiter.

Über einen Pfad, der von Bananenbäumen und Palmen umgeben war, erreichten wir das Hauptquartier. Elodie hatte nicht übertrieben. Das Camp war ein Paradies. Für wenige Sekunden blieb mir der Mund offenstehen. Der halbmondförmige Pool schmiegte sich um eine Holzterrasse, auf der mehrere Liegen standen. Im Hintergrund war leise Lounge-Musik zu hören. Auf einer Sonnenbank lag ein hübsches Mädchen im Bikini und genoss die Sonnenstrahlen auf der Haut. Dahinter befand sich ein überdachter offener Bereich mit Sitzsäcken und einer Loungemöbel-Gruppe. Zwei Balinesen hockten dort im dunkelblauen Camp-Outfit, das die Angestellten trugen. An einem Ende des Beckens befand sich eine Pool-Bar mit Hockern. Rechter Hand entdeckte ich ein kleines Haus, das ich als Surf Center identifizierte. An einer Metallstange reihten sich Surfbretter in verschiedensten Designs. Über dem Zaun aus Bambus trockneten Neopren-Shirts in der Sonne.

»Meine Schwester ist angekommen!«, rief Elodie über das Camp hinweg. »Das ist Freya!«

Das junge Mädchen hob träge die Hand zum Gruß, regte sich aber nicht. Die Balinesen rappelten sich auf und kamen zu uns herüber. Elodie stellte mich vor und die beiden falteten die Hände.

Ich konnte kaum etwas auf ihre Grüße erwidern, denn meine Schwester zog mich weiter zur Bar. Ein vollbärtiger Mann wusch an der Spüle Gläser ab. Sein Haar war so rostbraun wie sein Bart. Seine Arme waren bis zu den Fingerspitzen tätowiert.

»Cooper! Machst du meiner Schwester deinen berühmten Arak Attack? Sie hatte eine lange Reise und braucht einen Cocktail zum Ankommen. Coop, das ist sie. Das ist Freya!«

Cooper grinste schief. Ich wunderte mich über das strahlende Weiß seiner perfekten Zähne. So braungebrannt wie er war, war der Kontrast noch auffälliger.

»Sicher, Babe, ich mache Freya einen Arak, der es in sich hat«, erwiderte er kaugummikauend.

Ich identifizierte Cooper aufgrund seines Dialektes als waschechten Australier.

»Wie war die Reise?«, fragte er höflich.

»Nengah wollte auf dem Weg zum Flughafen noch frischen Fisch am Markt besorgen«, antwortete Elodie, ehe ich etwas sagen konnte.

Ich nickte stumm vor mich hin. Nun war mir klar, warum ich am Flughafen gewartet hatte. Die beiden hatten Fisch gekauft. Über die Bar hinweg reichte Cooper mir seine raue Hand.

»Freya«, murmelte ich.

»Freut mich, Süße! Fühl dich wie zu Hause im entspanntesten Surf Camp der Insel.« Er deutete auf ein Holzschild, das über seinem Kopf baumelte.

FEEL HOME – STAY EASY

Ich kniff die Augen zusammen. Süße? Verwechselte er mich mit meiner Schwester? Oder wollte er nur keck sein? Vielleicht war das eine Floskel, mit der er alle Frauen ansprach. Im Gegensatz zu Elodie war ich viel größer und kurviger. Meine langen braunen Haare hingen bis zur Schulter hinab, mit spröden Spitzen und ohne Glanz. Ich hatte braune nichtssagende Augen, während Elodies Pupillen wie blaue Saphire funkelten. Meine Muskeln waren untrainiert und schlapp. Sport war ein Fremdwort für mich. Als New Yorkerin bewegte ich mich nur von meinem Appartement ins Büro und wieder zurück.

Wortlos sah ich Cooper zu, der sich eifrig daran machte, drei Cocktails zu mixen. Er leerte Unmengen an Rum in das Saftgemisch.

Ich hatte seit Ewigkeiten nichts gegessen und auf leeren Magen stellte ich mir den Arak Attack tödlich vor. Ablehnen würde ich ihn aber sicher nicht. Ich sehnte mich nach einem wohlverdienten Koma. Der erste Schluck explodierte auf meiner Zunge. Tropische Küsse mussten genauso schmecken.

Elodie schaffte es gleichzeitig durch den Strohhalm zu schlürfen und zu reden. Sie deutete auf die niedlichen zweistöckigen Bungalows, die den Pool und das Haupthaus umrahmten und das Camp von der Außenwelt abschotteten. Sie waren hübsch anzusehen. Genau der landestypische Look war verantwortlich für das Paradies-Feeling.

»Die Lumbungs sind die typischen balinesischen, kalkgetünchten Hütten aus Holz mit traditionellen Grasdächern«, erklärte sie mir. »Diese hier sind für die Gäste, aber unsere sehen genauso aus. Es gibt zwei Wohneinheiten pro Bungalow. Eine oben und eine unten. Zu jeder Hütte gehört eine gemeinsame Dusche im Freien. Cooper hat netterweise sein Zimmer für dich freigemacht. So kannst du oben wohnen und hast einen tollen Ausblick auf die Reisfelder. Unter dir wohnt Jax, aber der lebt hier im Moment nicht mehr. Keiner weiß, wann er wiederkommt. Oder ob er wiederkommt. Du hast also eine Hütte ganz für dich allein.«

»Das ist super«, sagte ich tonlos zwischen zwei Schlucken.

Es freute mich mehr, dass ich das Badezimmer nicht mit einem Fremden teilen musste.

»Ich wusste, es würde dir gefallen.«

Plötzlich flutete mich das altbekannte Gefühl, das ich in der Gegenwart meiner Schwester immer bekam. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und schämte mich für meine kühle Art. Sie war so viel besser als ich.

»Wo wohnt Cooper denn nun?«, hakte ich rasch nach.

»Bei meinem süßen Belly-Baby wohne ich«, antwortete er anstatt Elodie, beugte sich über den Tresen und gab ihr einen Klaps auf den Po.

Sie kreischte entzückt auf.

»Lass das, du Pirat«, schimpfte sie liebevoll und krabbelte halb über die Bar. »Du bäriger, schlimmer Bandit, ich liebe dich so sehr«, gurrte sie.

Sekunden später waren sie in einen innigen Kuss vertieft. Mein schlechtes Gewissen verflog wieder. Es ärgerte mich, dass die beiden nicht zu knutschen aufhörten. Das war unhöflich.

Cooper war also Elodies aktueller Partner. Ob diese Verbindung lange halten würde? Irgendwie hatte ich Elodies Liebesleben nie durchschaut und meine Schwester hatte stets ein Geheimnis daraus gemacht.

Da ich mich auf dem Gelände nicht auskannte und es auch nicht allein erkunden wollte, wartete ich geduldig, bis sich das Paar voneinander trennte.

»Kannst du mir mein Zimmer zeigen?«, fragte ich. »Ich bin müde.«

»Sicher, sicher«, beeilte sich Elodie zu sagen. »Trink aus und komm mit!«

Auf unserem Weg zeigte sie mir das Haupthaus, in dem sich auf mehreren Etagen die Gästezimmer befanden. Die meisten waren Mehrbett-Räume, in denen vier bis sechs Personen untergebracht werden konnten. Im Erdgeschoss durchquerten wir die große Gemeinschaftsküche, in der zwei Mädchen gerade damit beschäftigt waren, einen Salat zuzubereiten.

Elodie fragte sie vergnügt, was es denn zum Mittagessen gäbe. Eine Weile fachsimpelten sie, ob die Drachenfrucht oder die Papaya besser schmeckte. Gierig starrte ich auf die saftigen tropischen Früchte, die lecker aussahen. Ungeduldig trat ich von einem Bein auf das andere. Nicht geradewegs auf ein Ziel zuzusteuern, war mir fremd. Unser Plauder-Parcours war aber noch lange nicht zu Ende. Bis wir bei meiner neuen Bleibe ankamen, lernte ich noch den Pool-Boy Sati, Luh die Reinigungskraft, und Bob, einen rothaarigen, sommersprossigen Surflehrer kennen, der aus Irland stammte und auch zum engen Kreis der Clique gehörte. Mit jedem wechselte Elodie freundliche Worte. Zwischendurch stellte sie mich vor und berichtete von unserer besonderen Verbindung, die wir als Kinder immer gehabt hatten.

»Jede von uns wusste, was die andere dachte, wie Zwillinge, dabei liegen fünf Jahre zwischen unseren Geburten.«

Fünf Jahre und ein dunkles Geheimnis, dachte ich.

Mir rauchte der Kopf vom Warten. Über einen Pfad durch die grüne Dschungelpracht erreichten wir schließlich die drei Personalhütten. Etwas abseits befand sich ein weiterer Pool, der nicht so groß und für die Gäste tabu war. Am liebsten hätte ich mich samt der Kleidung in das kühle Nass geworfen.

»Du wohnst in der letzten Hütte«, erklärte Elodie. »Scarlett und ich sind ganz vorne. Willst du mein Zimmer sehen, bevor wir zu dir gehen?«

Ich räusperte mich. Mir war so heiß, ich war durstig und ich musste dringend aufs Klo.

»Kann ich vorher auspacken?«, fragte ich flehentlich und versuchte mir verzweifelt Luft zuzufächeln.

»Klar, schlüpf in leichtere Sachen. Du musst ja umkommen.«

»So ungefähr.«

Elodie legte den Kopf schief und betrachtete mich prüfend. In diesem Moment sah sie Dad verdammt ähnlich.

»Am Anfang ist das Leben auf Bali gewöhnungsbedürftig, aber es wird nicht lange dauern und du wirst es lieben. Unsere Gemeinschaft wird dich auffangen. Mom sagt, du lebst viel zu einsam und du arbeitest zu viel. Und warte erst, bis du am Strand bist. Der Blick auf das Meer rettet dein Herz.«

Ich sagte nichts darauf.

Die Einsamkeit war mein Freund. Und auch meine Rettung.

Endlich stiegen wir über die Treppe zu Coopers Zimmer hinauf. Vor der Tür befand sich eine kleine Terrasse mit zwei Stühlen aus Bambus und einem Tischchen. Nengah hatte meinen Koffer in einer Ecke abgestellt. Ich hielt inne und ließ den Blick über das Land schweifen. Augenblicklich war ich mit der Welt versöhnt. Der Ausblick über die grünen Reisfelder war fantastisch. Als Elodie die Flügeltüren aufstieß und mir den Raum unter dem spitz zulaufenden Grasdach zeigte, flohlockte ich innerlich. Vor einem kleinen Fenster stand ein Doppelbett und daneben war ein kleines Nachtkästchen, das die Form eines Bootes hatte. Die Kommode war so geräumig, dass meine Sachen garantiert in die Schubladen passen würden. Die Wände waren mit dunkelbraunem Holz vertäfelt, sie verschwammen mit den Möbeln zu einer Einheit. Auf der weißen Bettwäsche lagen rote Blüten, die einen sanften Blumenduft verbreiteten. Rechter Hand befand sich ein winzig kleiner Raum mit einer Toilette und einem Waschbecken. Die Klimaanlage surrte vor sich hin und ich registrierte, dass es tatsächlich kühl war. Es war ein Segen.

»Gefällt es dir?«

Ich wandte mich Elodie zu.

»Ja«, sagte ich erleichtert. »Es gefällt mir sehr.«

»Das freut mich. Ich würde sagen, du machst dich frisch und kommst dann zu uns, wenn du fertig bist. Ich will dir noch so viel zeigen.«

»In Ordnung«, murmelte ich.

Als meine Schwester gegangen war, packte ich den Koffer aus. Ich schichtete alles in die Schubladen und schlüpfte aus der Kleidung. Einige Minuten saß ich nackt auf der Bettkante und genoss die Kühle auf der Haut. Ich blickte aus dem Fenster in die Ferne und fühlte mich gleichzeitig verloren und in Sicherheit. Niemand würde mich hier finden.

Nur ein paar Minuten ausruhen, dachte ich, schloss die Fensterläden und kroch ins Bett unter die dünnen Laken.

Die Dunkelheit befreite mich. Ich schlief augenblicklich ein.

»Wie wir alle sucht sie

nach einem neuen Weg

in diesem Ozean an Möglichkeiten.«

4

FREYA

In meinem ersten Schlaf auf Bali offenbarte sich die ganze Erschöpfung, die mich seit Wochen im Griff hielt. Ich fiel in einen komatösen Zustand und schlief mehrere Stunden. Als ich die Augen aufschlug, wusste ich im ersten Moment nicht, wo ich war. Es fiel mir wieder ein und sofort kämpfte sich das Pflichtbewusstsein an die Oberfläche.

Ich sollte dringend aufstehen und zu Elodie ins Haupthaus gehen. Wie würde es wirken, wenn ich nicht wieder auftauchte? Was würden Elodies Freunde über so ein Verhalten denken?

Ich schaffte es jedoch nicht, mich zu bewegen. Jeder Schritt schien mir zu mühsam und ich fühlte mich innerlich nicht bereit, weiteren Crew Mitgliedern und Gästen zu begegnen. Am liebsten wollte ich nie wieder aus dem Lumbung herauskommen.

Also drehte ich mich um und schlief weiter.

Irgendwann registrierte ich Elodies Stimme wie im Nebel eines Traumes, ganz fern. Ich hatte nur die Kraft für ein leises Brummen. Sie ging wieder und zog sanft die Tür ins Schloss. Ich verschlief den gesamten Tag. Geweckt wurde ich von einem dringenden menschlichen Bedürfnis.

Verwirrt setzte ich mich auf und starrte auf das Handy. Die Nacht war hereingebrochen. Gähnend tastete ich nach dem Lichtschalter neben dem Bett. Die Beleuchtung in der Hütte war zum Glück nur sehr matt. Müde raufte ich mir die Haare und sah mich um. Elodie hatte einen Teller mit frischen Früchten und eine Flasche Wasser auf der Kommode abgestellt. Wie eine Schlafwandlerin schlurfte ich zur Toilette. Wieder zurück sank ich kraftlos auf die Matratze.

Plötzlich trampelten schwere Schritte über die Außentreppe. Ich lauschte gebannt und rührte mich nicht. Die Tür zu meinem Zimmer wurde so wild aufgerissen, dass sie fast aus den Angeln donnerte.

»Coop, ich bin wieder zurück!«, rief eine männliche Stimme. »Und ich habe die ultimative Welle bezwungen …«

Erschrocken starrte ich den dunkelblonden Hünen an, der vor dem Bett aufragte. Er trug bunte Shorts und ein ärmelloses Shirt, das sich hauteng um seinen muskulösen Oberkörper schmiegte. Als sein Blick auf mich fiel, blieb er verdutzt stehen und fuhr sich mit der Hand durch die halblangen Haare. Mir stockte der Atem. Dieser Mann war viel zu schön, um wahr zu sein. Er war sicher einem Surfer-Magazin entstiegen oder … meinem Traum. Vielleicht war ich niemals wach geworden.

Mein Blick heftete sich auf seinen gewaltigen Bizeps, wanderte an seinem Körper hinab und blieb an seinen Füßen, die in Flip-Flops steckten, hängen.

»Verzeihung … äh … ich wusste nicht, dass Cooper Damenbesuch hat«, stotterte er mit rauer Stimme. »Das ist jetzt echt peinlich … sorry für die Störung.«

Er brach mitten im Satz ab. In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich splitterfasernackt auf der Bettkante saß.

»Cooper wohnt hier nicht mehr«, sagte ich würdevoll und raffte die Laken vor meinem Körper zusammen, um mich zu bedecken.

Plötzlich war es mir wichtig, dass mich der Eindringling nicht für Coopers Bettgespielin hielt. War der nicht ohnehin mit Elodie zusammen?

»Ich bin Freya, Elodies Schwester, ich verbringe hier meinen Urlaub.«

Mein ungebetener Besucher klatschte sich gegen die Stirn.

»Verdammt, ja! Elodie hat das in einer Nachricht erwähnt, aber ich habe es komplett vergessen. Himmel, ja, Elodies Schwester. Bitte entschuldige, dass ich so hereingeplatzt bin, ich war die letzten zwei Wochen bei der Big Wave Challenge und bin gerade erst wieder nach Hause gekommen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Normalerweise klopfe ich … also … ich dachte, dass Cooper …«

Ich studierte neugierig seine Bewegungen. Sie wirkten geschmeidig und kraftvoll.

Er war Amerikaner. Eindeutig.

Vorsichtig kam er näher und streckte mir den Arm entgegen.

»Mein Name ist Chris«, stellte er sich vor. »Ich wohne in der Hütte nebenan, zusammen mit Bob.« Er wirkte nun ein wenig verlegen.

Ich starrte auf seine große Hand. Zögerlich ergriff ich sie. Die Berührung entfachte eine Wärme in meinen Fingerspitzen, die sich im gesamten Körper ausbreitete. Ich war froh, dass ich saß, denn sein einnehmendes Lächeln hätte mich bestimmt umgeworfen.

»Freut mich sehr, dich kennenzulernen«, sagte er. »Elodie hat viel von dir erzählt. Und sie hat nicht übertrieben. Wow!«

Ich blinzelte verwirrt, während seine Augen mich begeistert betrachteten. Seine Hand machte keine Anstalten, mich wieder loszulassen. Immer noch pulsierten elektrische Ströme über meine Haut. Erstaunt hielt ich den Atem an.

Endlich ließ Chris mich los, aber er wollte anscheinend nicht gehen.

»Wie gefällt dir Bali?«, fragte er freundlich.

Wollte er allen Ernstes mit einer nackten Fremden über die Insel plaudern?

»Ich habe noch nicht viel davon gesehen«, erwiderte ich ausweichend. »Ich bin eben erst gelandet.«

Es folgten Sekunden, in denen wir uns gebannt ansahen. Mein Herz stoppte und dann klopfte es wie verrückt.

»Äh … nun … dann … ich muss los …«, stammelte Chris und entfernte sich rückwärtsgehend. »Wir sehen uns … nun … später … Freya.«

Mein Name aus seinem Mund klang wundervoll.

Ich nickte nur. Dann war er fort. Ich fixierte die geschlossene Tür und atmete laut aus.

Wie grenzenlos alle im Camp miteinander umgingen, davon hatte Elodie mir immer vorgeschwärmt. Dass es keine Grenzen gab, wurde mir im selben Moment bewusst. Während ich nach dem Widerstand suchte, der mich davor beschützte, löste er sich in Luft auf. Was auch immer mich hier erwartete, würde gewiss nicht langweilig werden.

* * *

Nachdem ich in abgerissene Jeans und ein weißes Trägertop geschlüpft war, machte ich mich auf den Weg zum Haupthaus. Es war seltsam in Flip-Flops zu schlurfen und ich brauchte ein paar Schritte, um mich daran zu gewöhnen. Die Geräusche umhüllten mich und schufen einen fremdländischen Zauber. Es war wie in 1001 Nacht. Es zirpte, summte, quakte und raschelte von allen Seiten, als ich durch das üppige Inselgrün über den Pfad spazierte. Ein Blick in den Himmel offenbarte mir den besten Sternenhimmel, den ich je gesehen hatte. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete ihn eine Weile.

Mit jedem Schritt zum Haupthaus wuchs meine Nervosität. Von Weitem waren laute Musik, Gelächter und Stimmengemurmel zu hören. Die Surfer waren in guter Stimmung, aber wahrscheinlich war die Atmosphäre an jedem Abend so ausgelassen.

Ich erreichte den Pool und hielt erst einmal inne. Suchend schwirrte mein Blick über die anwesenden Gäste und das Personal. Einige Mädchen waren im Pool. In sexy Bikinis saßen sie auf den Barhockern und schlürften Cocktails.

---ENDE DER LESEPROBE---