The Others - Sie sind Dein Schicksal - Jess Haines - E-Book

The Others - Sie sind Dein Schicksal E-Book

Jess Haines

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Beschreibung

Vampirjägerin Shiarra im Kampf gegen düstere Mächte

Seit Shiarra eine Verbindung mit dem Vampir Alex Royce eingegangen ist, wird sie von vielen Kreaturen der Nacht mit Argwohn beäugt. Dass diese ihr jedoch gleich nach dem Leben trachten, damit hätte sie nicht gerechnet. Wenn sie sich und ihren Werwolf-Freund Chaz retten will, muss Shiarra herausfinden, welche finsteren Mächte sie sich zum Feind gemacht hat. Dabei scheint ihr nur einer helfen zu können: der ebenso mächtige wie faszinierende Alex Royce …

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Seitenzahl: 412

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Die Autorin Jess Haines über ihre Figuren:

Mit Shiarra Waynest haben Sie eine menschliche Figur zur Heldin Ihrer Mystery-Serie The Others gemacht. Das ist ungewöhnlich, denn in den meisten Urban-Fantasy-Romanen stehen magische Wesen im Mittelpunkt. Was zeichnet Shiarra aus?

Gerade, dass sie ein ganz normaler Mensch ist, macht sie so besonders. Im Gegensatz zu den meisten Mystery-Hauptfiguren kann Shiarra weder Gedanken lesen noch ihre Gestalt verändern, und sie hat auch sonst keine übernatürlichen Kräfte. Schwierige Situationen muss sie aus eigener Kraft meistern: mit Geschick, Verstand und der Hilfe treuer Verbündeter.

Auch die Vampire in Ihren Romanen entsprechen nicht immer der gängigen glamourösen Vorstellung …

Die Vampire behalten zwar ihre Persönlichkeit und ihre Erinnerung, wenn sie verwandelt werden. Aber sie werden auch mit neuen Bedürfnissen und Kräften konfrontiert, die sie vor noch ungewohnte Schwierigkeiten stellen. Der Übergang in die neue Existenz geht meist nicht ohne Anlaufschwierigkeiten von statten. Dann gibt es aber auch Vampire wie Alec Royce, die es durch ihr kühnes Auftreten sehr schnell zu Ruhm und Anerkennung bringen.

Über die Autorin

Jess Haines arbeitete als Drehbuchautorin und Redakteurin und schrieb Kurzgeschichten, bevor sie mit The Others – Sie sind unter uns ihren ersten Roman veröffentlichte. Die gebürtige New Yorkerin lebt heute in Los Angeles. Nach The Others – Sie wollen dein Blut ist The Others – Sie sind dein Schicksal der dritte Roman um Privatdetektivin Shiarra Waynest.

JESS HAINES

The Others

Sie sind dein Schicksal

Roman

Aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem TitelDeceived by the Others bei ZEBRA Books, New York
Copyright © 2011 by Jess HainesPublished by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., New York, NY, USACopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München.Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 GarbsenRedaktion | Regina JooßUmschlaggestaltung | © t.mutzenbach design, München unter Verwendung einer Abbildung von © Beauty Archive/GettyImagesSatz | Leingärtner, NabburgISBN: 978-3-641-06727-4V003
www.diana-verlag.de

Kapitel 1

Meine Hände zitterten, als ich den Stift auf den Vertrag vor mir setzte. Es war die Mitteilung einer Other-Mitbürger/Menschen-Beziehung und vertraglich verbindliche Vereinbarung, die meine Beziehung mit Chaz für alle Zeit zementieren würde.

Zumindest, wenn er sie auch unterschrieb.

»Shia?«

Meine Hand zuckte, und der Stift hinterließ einen Strich auf dem Papier. Ich sah auf und legte schnell ein paar andere Dokumente über den Vertrag, um ihn unter der Unordnung auf meinem Schreibtisch zu verstecken.

»Ja?«

Jen, die Sekretärin und Buchhalterin von H&W, spähte über ihre Brille hinweg in mein Büro. Sie beäugte die Papiere, als wüsste sie, dass ich etwas versteckte. Aber sie war zu taktvoll, um etwas zu sagen. »Wie hieß der verrückte Kerl, der vor ungefähr einem Monat oder so hier war? Der, mit dem du nicht reden wolltest und der auch keinen Termin mehr bekommt?«

Ich rümpfte die Nase. »Du redest über diesen großen, blonden Kerl, richtig? Er heißt Jack.«

Sie nickte und verschwand wieder um die Ecke. Meine Neugier war geweckt. Ich ignorierte den Vertrag für einen Moment, erhob mich von meinem quietschenden Bürostuhl und lehnte mich gegen den Türrahmen. Jen war am Telefon, die Füße hatte sie auf den Tisch gelegt, während sie am Computer eine Partie Solitaire zu Ende spielte.

»Nein, Sir, ich habe gerade nachgesehen, und sie ist noch in einer Besprechung mit einem Klienten. Es tut mir leid, aber ich werde das Meeting nicht stören. Wie ich schon sagte, Sie können eine Nachricht für sie bei mir hinterlassen oder auf die Mailbox sprechen.«

Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme, während ich Jen dabei beobachtete, wie sie gleichzeitig telefonierte und ihr Spiel gewann. Ein Anruf von Jack war kein gutes Zeichen. Der Mann gehörte zu den Weißhüten, einer von diesen verrückten Bürgerwehren, die durch die Gegend zogen und jede übernatürliche Kreatur vernichteten, die ihnen über den Weg lief. Bei unserem ersten Treffen hatte er mich mit einem Messer bedroht, um mich dazu zu bringen, mich ihrer Sache anzuschließen. Beim zweiten Mal war er bei hellem Tageslicht in mein Büro gestiefelt und hatte mich mit einer Pistole bedroht, weil er dachte, ich würde für die Vampire arbeiten. Ganz abgesehen davon, dass er nicht alle Tassen im Schrank hatte, bedeutete er einfach Ärger, so simpel war das.

»Wie ich schon sagte, Sir, sie ist nicht verfügbar.« Jens Ton war jetzt professionell eisig, und ich dachte darüber nach, ihr eine Gehaltserhöhung zu geben. Sie ließ den aufdringlichen Widerling wirklich wunderbar auflaufen. »Sie können eine Nachricht bei mir hinterlassen oder später noch mal anrufen.« Sie hielt inne und lauschte auf seine Antwort. Bald schon nickte sie mit verschlagener, triumphierender Miene. »Ja, ich werde dafür sorgen, dass sie die Nachricht sofort bekommt. Wie lautet sie?«

Sie zog die Beine vom Tisch, öffnete eine E-Mail und tippte Jacks Nachricht ein. Als sie mich im Augenwinkel sah, zog sie eine Grimasse; ihre Stimme am Telefon klang dabei unverändert kühl und höflich.

»Ja, ich werde ihr die Nachricht zukommen lassen, sobald sie frei ist. Danke, dass sie Halloway and Waynest Investigations angerufen haben.«

»Danke, dass du ihn abgewimmelt hast«, sagte ich, sobald sie aufgelegt hatte. »Dieser Kerl macht nichts als Ärger.«

»Echt? Ich werde dir die Nachricht weiterleiten, weil er eine Telefonnummer hinterlassen hat, aber ich weiß nicht, ob es dir irgendetwas sagen wird. Er hat mir nur diktiert: ›Sagen Sie ihr, diesmal sind es nicht wir.‹ Irgendeine Ahnung, wovon er spricht?«

Ich zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Das ist alles, was er gesagt hat. ›Wir sind es nicht‹?«

»Ja.«

»Ich habe keinen blassen Schimmer.«

Sie schüttelte den Kopf, drehte sich wieder zum Computer um und schickte mir die Mail. E-Mails sind meine liebste Form von Nachrichten. Sara war viel organisierter als ich, wenn es darum ging, Memos und Klebezettel nicht zu verlieren. Mein Schreibtisch war ein Durcheinander aus Wollmäusen, angekauten Stiften und verschiedensten Visitenkarten, die ich schon vor langer Zeit hätte abheften und aufräumen müssen.

»Wenn er hier auftaucht und dich belästigt, während ich nicht in der Stadt bin, ruf die Polizei!«

»Okay«, antwortete sie, ohne auch nur von ihrem Spiel aufzuschauen. Ich tat mein Unbehagen mit einem Schulterzucken ab und drehte mich wieder Richtung Büro, aber dann stoppte sie mich mit einem Wort. »Oh, Shia?«

»Ja?«

»Fast hätte ich es vergessen. Irgendein Kerl namens Alex oder so hat letzte Nacht auf der Mailbox vom Büro eine Nachricht für dich hinterlassen. Ich habe sie an dein Telefon weitergeleitet.«

Ich hatte meine Anrufe bis jetzt ignoriert, weil ich jeglichen neuen Notfällen aus dem Weg gehen wollte, bevor ich die Stadt verließ. Welcher Alex sollte versuchen, mich zu erreichen, bevor ich verreiste? Alex Mills, der Versicherungsagent? Nein, er war selbst im Urlaub. Alex Temps, der Klient, für den ich vor ein paar Wochen eine gestohlene Antiquität aufgespürt hatte? Nein, nein, er hatte sich von Anfang an über meine Tarife beschwert und war nicht im Mindesten dankbar gewesen, als ich meine Aufgabe erfüllt hatte. Er hatte bereits gezahlt, und zwar 150 Dollar zu wenig, dieser geizige Bastard. Ich bezweifelte, dass ich jemals wieder von ihm hören würde. Wer konnte es sonst sein?

Moment mal. Ein »Alex«, der mich ungefähr zur selben Zeit anrief wie Jack der Weißhut?

Oh nein. Nein, nein, nein. Das konnte nur eines bedeuten.

Ich unterdrückte einen Schauder und achtete darauf, dass mein Gesicht ruhig und ausdruckslos blieb. Ich wollte Jen nicht aufregen. Hätte sie die Nachricht genauer angehört oder jetzt einen besorgten Gesichtsausdruck an mir bemerkt, käme sie selbst auf die Lösung. Und im Moment wollte ich mich wirklich nicht mit ihren waidwunden, missbilligenden Blicken herumschlagen müssen.

»Danke, Jen. Ich höre sie ab.«

»Kein Problem.«

Ich schloss die Tür, ging um meinen Schreibtisch herum und schob die Papiere zur Seite, um ein letztes Mal den Vertrag anschauen zu können. Aber meine Konzentration war dahin, genau wie meine gute Laune. Ein Weißhut und Alec Royce hatten versucht, mich zu erreichen, und ich hatte keine Ahnung, warum.

Die Uhr an meinem Computer verkündete 15:15 Uhr, was bedeutete, dass ich immer noch zwei Stunden Zeit hatte, bevor mein Freund Chaz mich zum ersten richtigen Urlaub seit Monaten abholte.

Sich im Krankenhaus von seinen Verletzungen zu erholen oder von der Arbeit fernzubleiben, bis die Effekte einer vampirischen Blutbindung nachließen, rechne ich übrigens nicht als Urlaub.

Sara sollte auf mein Apartment aufpassen und meine Nachrichten im Blick behalten, während ich weg war. Es ging nur um ein paar Tage, aber es war mehr (freiwillig genommener) Urlaub, als ich seit einer ganzen Weile gehabt hatte. Ihr Freund lieh mir einen seiner Laptops, damit ich meine E-Mails checken und Kontakt halten konnte. Er hatte gedroht, mir eine Woche lang jede Nacht seinen Vertrauten auf den Hals zu hetzen – eine winzige schwarze Maus namens Bob –, wenn seinem geliebten Fragware 5 000 irgendetwas geschah. Ich hatte hoch und heilig geschworen, dass ich ihn wie meinen eigenen behandeln würde. Wer würde schon wollen, dass eine Maus im Schlaf auf einem herumkrabbelt? Igitt.

Außerdem sollte sich die Lage sowieso entspannen. Meine aktuellen Klienten waren darüber informiert, dass ich ein paar Tage nicht in der Stadt war, und Jen sollte bis zu meiner Rückkehr alle Anrufe an Sara weiterleiten. Aber dass jetzt Jack und Royce wieder aufgetaucht waren, änderte alles.

Ich starrte stirnrunzelnd auf das blinkende Licht an meinem Telefon und dachte ernsthaft darüber nach, die Nachricht vor meiner Abfahrt nicht mehr abzuhören. Alec Royce bedeutete, wie Jack der Weißhut, einfach nur Ärger. Er war reich, gut aussehend und hatte in der Vergangenheit ein paar halbherzige Versuche unternommen, mich Chaz auszuspannen. Eigentlich sollten wir fähig sein, getrennte Wege zu gehen, nachdem ich sein Leben gerettet hatte und er den Gefallen erwidert hatte, indem er meins rettete.

Allerdings war der Kerl ein Vampir, und ich hätte es besser wissen sollen, als zu glauben, dass er mich im letzten Monat einfach so vergessen hatte. Er hatte Drohungen und Nötigung eingesetzt, um mich einen Vertrag unterschreiben zu lassen, der mich nach den Buchstaben des Gesetzes an ihn band. Und später hatte er mich, um mein Leben zu retten, auf viel greifbarere Weise an sich gebunden – mit Blut. Auch wenn ich dankbar war, dass er mich gerettet hatte – die Art und Weise, wie er mich aus den Fängen von Max Carlyle befreit hatte, verursachte mir immer noch Albträume. Die Erinnerung an den Geschmack seines Blutes auf meinen Lippen jagte mir einen Schauder über den Rücken, der nicht nur unangenehm war. So angewidert und entsetzt ich auch war, es war eine elektrisierende Erfahrung gewesen, sich so gebraucht, so sicher, so vollkommen zu fühlen – während der Zeit, als ich in seiner Macht war.

Wie man sich bestimmt vorstellen kann, habe ich seitdem mein Möglichstes getan, um ihm aus dem Weg zu gehen.

Ich hatte gedacht, meine Handynummer zu ändern würde ihn und einige der anderen unerwünschten Elemente aus meiner Vergangenheit davon abhalten, mich zu kontaktieren, aber die Nummer meiner Detektei stand in den Gelben Seiten und im Internet. Ich war nicht begeistert zu erfahren, dass er wieder mit mir sprechen wollte. Aber mich anzurufen war immerhin ein wenig besser, als hier in meinem Büro oder, noch schlimmer, in meinem Apartment aufzutauchen.

Leise fluchend hob ich den Hörer ab und tippte den Code ein, der die Nachrichten abspielte. Ich musste erst ein paar andere abhören, bevor Royce’ glatte, kultivierte Stimme erklang.

»Hier ist Alec und ich hinterlasse eine Nachricht für Ms. Waynest. Shiarra, ich wollte nur sicherstellen, dass du weißt, dass ich nichts mit dem zu tun habe, was eventuell passiert, während du nicht in der Stadt bist. Falls jemand versucht, es anders darzustellen, wüsste ich eine kurze Benachrichtigung zu schätzen, damit ich Maßnahmen ergreifen kann. Ich hoffe, bei dir läuft alles gut und du genießt deinen Urlaub.«

Na, das war ja mal verwirrend. Sowohl Jack als auch Royce erklärten mir, dass sie nicht für das verantwortlich waren, was passieren würde, während ich verreist war. Erstens, wie hatte Royce herausgefunden, dass ich eine Reise plante? Ich veröffentlichte meinen Terminkalender ja nicht in den Nachrichten. Und worüber machten sie sich zweitens solche Sorgen?

Es war nicht ungewöhnlich, dass Royce sich absicherte. Obwohl er nicht mehr versucht hatte, Kontakt zu mir aufzunehmen, seitdem ich nach dem Nachlassen der Blutbindung aus seinem Haus geflohen war, war es nicht untypisch, dass er versuchte, seinen guten Namen zu schützen. Sollte er sich Gedanken machen, dass jemand seine Pläne durchkreuzen könnte oder dafür sorgen, dass er schlecht dastand, würde er etwas dagegen unternehmen.

Jacks Aktion dagegen ergab in meinen Augen kaum einen Sinn. Wir waren nicht gerade als Freunde auseinandergegangen. Tatsächlich hatte ich ihn das letzte Mal gesehen, kurz bevor ich mit der Ankündigung auf den Lippen, dass ich mich bei den Monstern sicherer fühlte als bei den Jägern, aus dem supergeheimen Weißhut-Hauptquartier gestiefelt war.

Ja, ich sollte wohl ein wenig an meiner Sozialkompetenz arbeiten.

Trotzdem spielte es keine Rolle. Worum auch immer sie sich Sorgen machten, es konnte auf keinen Fall schlimmer sein als das, was ich bereits durchgemacht hatte. Gegen verrückte Zauberer und psychotische Vampire zu kämpfen stand nicht auf meiner To-do-Liste für den Urlaub. Ich rechnete zwar mit ein paar unangenehmen Momenten, da es bei dieser Reise darum ging, Chaz’ inoffizielle Familie besser kennenzulernen, aber das sollte eigentlich nicht ausreichen, um Royce oder Jack dazu zu bringen, mir irgendeine Warnung zukommen zu lassen.

Chaz und ich redeten schon eine Weile über etwas Derartiges. Das größte Problem an unserer Beziehung war, dass Chaz ein Werwolf ist. Er ist der Anführer des Sunstriker-Rudels, einem der wenigen Werwolfrudel, die in und um New York City leben. Das größte Rudel sind die Moonwalker, und sie erheben auf den Central Park genauso Anspruch wie auf einige andere Parks und Reservate um Long Island. Das bedeutete, dass die Sunstriker und viele der anderen, kleineren Rudel bis an Orte wie den Caumsett State Park, das Blue Mountain Reservat oder sogar bis in die Catskills fahren mussten, wenn sie sich als Rudel versammeln oder jagen wollten. All diese langen Fahrten, nur um Ärger mit den Moonwalkern zu vermeiden.

Für die kleineren Rudel war das ziemlich unpraktisch. Nicht jeder konnte, ohne Misstrauen zu erwecken, erklären, warum er jeden Monat um Vollmond herum drei oder vier Tage frei brauchte. Wie man sich vorstellen kann, führt das dazu, dass die Parks und Reservate, die nicht von den Moonwalkern beansprucht werden, heiß begehrt und heftig umkämpft sind. Manchmal geraten die kleineren Rudel in Scharmützel, weil sie an Vollmond um dieselben Jagdreviere konkurrieren. Gewöhnlich geriet es nicht so außer Kontrolle, dass Menschen wie ich in ihre Probleme verwickelt wurden. Sollten Chaz und ich allerdings während des Höhepunktes des Mondzyklus zusammenbleiben, musste ich mich innerlich darauf vorbereiten, von jeder Menge pelziger Kreaturen umgeben zu sein.

Dieser Urlaub war unser »Probelauf«, um zu sehen, wie ich damit umging, zu Vollmond in der Gesellschaft von einer ganzen Wagenladung verwandelter Werwölfe zu sein. Heute Abend würden wir zu der Hütte in Hunter fahren. Während der Tagesstunden sollte ich die Leute kennenlernen, aus denen sich seine Sippe zusammensetzte. Freitag, Samstag und Sonntag war der Mond voll, und ich würde sie nachts als Rudel kennenlernen. Aber ich musste aufpassen. Niemand würde besonders ausgeglichen sein, und manche von ihnen verwandelten sich vielleicht sogar schon vor Vollmond.

Das würde zweifellos ein seltsames verlängertes Wochenende werden. Aber ich war mir halbwegs sicher, dass ich damit klarkommen konnte. Solange Chaz bei mir blieb, war alles in Ordnung.

Um ehrlich zu sein, freute ich mich mehr darauf, zusammen mit Chaz in einer Hütte im Wald zu schlafen, als eine Menge haariger Leute durch die Büsche huschen zu sehen. Aber, hey, ich konnte damit umgehen.

Auch wenn ich in Bezug auf den Vertrag, den ich gerade hatte unterschreiben wollen, als Jack anrief, schrecklich nervös war. Wir gingen zwar wieder miteinander aus, aber Chaz und ich hatten nicht miteinander geschlafen, seitdem er mir offenbart hatte, dass er in Wahrheit ein Werwolf war. Von Rechts wegen durfte er mich nicht einmal anfassen. Selbst in derselben Hütte zu schlafen überreizte eigentlich schon die gesetzlichen Bestimmungen – aber ich war es leid, vorsichtig sein zu müssen, und noch mehr war ich es leid, wie distanziert er mich behandelte, seitdem sowohl Royce als auch dieser irre Vampir Max Carlyle mich vorübergehend durch Blut an sich gebunden hatten. Ihm anzubieten, eine Mitteilung einer Other-Mitbürger/Menschen-Beziehung und vertraglich verbindliche Vereinbarung zu unterschreiben, sollte ihn eigentlich aufrütteln und ihm verdeutlichen, dass ich nicht vorhatte, mich aus dem Staub zu machen. Dass ich wirklich mit ihm zusammen sein wollte und dass ich ihm wieder vertraute.

Ich machte mir eher Sorgen, ob er mir wirklich genug vertraute, um den Vertrag ebenfalls zu unterschreiben.

Dieser kleine Camping-Ausflug schien die perfekte Gelegenheit, die Dinge zwischen uns wieder in Ordnung zu bringen. Wir hatten einen guten Gruppenrabatt in einem kleinen Hotel-Resort in den Catskills bekommen. Es war zu früh für Schnee, aber schon zu kalt für die meisten Camper. Außerdem hatte die Schule wieder angefangen, und die Feriensaison war offiziell beendet. Chaz hatte mir versichert, dass der Kerl, dem das Resort gehörte, kein Problem mit den Sunstrikern hatte, weil er ebenfalls ein Werwesen war. Und er war in der übernatürlichen Gemeinde gut bekannt, weil er ein großes, bewaldetes Gebiet in den Bergen gekauft und einen Zaun darum gezogen hatte, um Jäger und Touristen fernzuhalten. Rudel, die sich bei ihm einmieteten, wussten so genau, wie weit sie auf ihrer Jagd ungefährdet laufen konnten.

Es war schwer, sich vorzustellen, was schiefgehen sollte. Schließlich hatte ich Chaz’ Rudel schon kennengelernt. Mit ein paar von ihnen war ich sogar schon beim Essen oder im Kino gewesen. Das einzige Mal, als ich das gesamte Rudel gesehen hatte, war kurz vor dem Kampf mit David Borowsky, dem verrückten Zauberer, der mithilfe eines seltsamen magischen Artefakts alle Werwölfe und Vampire in New York hatte versklaven wollen. Sicher, sie waren gefährlich, aber nachdem ich die Freundin des Rudelführers war und dabei geholfen hatte, ihnen die haarigen Ärsche zu retten, müssten sie eigentlich ihren Hunger und ihr Temperament kontrollieren können, solange ich nichts allzu Dummes anstellte.

Was sollte schon schiefgehen?

Über all diese Dinge dachte ich nach, während ich den Vertrag anstarrte. Scheiß drauf. Ich schob die Papiere in meine Tasche und folgte Jens Vorbild. Während ich darauf wartete, dass die Zeit verging und Chaz mich abholen kam, lenkte ich mich mit einem Kartenspiel ab.

Kapitel 2

Ich war nicht begeistert, als ungefähr eine Stunde bevor Chaz kommen sollte, ein vertrautes Gesicht im Büro auftauchte. Obwohl ich angestrengt alles ignoriert hatte, was jenseits der Grenzen meines eigenen Büroraumes vor sich ging, konnte ich doch nicht überhören, wie Jen draußen mit jemandem diskutierte. Ich beschloss, dass Sara sich darum kümmern konnte, falls es wichtig war.

Dann wurde Jens Stimme lauter, laut genug, dass ich mitbekommen musste, mit wem sie sprach und wen der Besucher sehen wollte.

»Mr. Pradiz, ich fürchte, Sie werden nächste Woche zurückkommen müssen. Es hat sich nichts geändert, seitdem ich Ihnen vor einer Stunde am Telefon gesagt habe, dass sie nicht verfügbar ist. Würden Sie jetzt bitte gehen?«

Oh, verdammt noch mal. »Mr. Pradiz« war der Boulevardreporter, der mein Privatleben auf jeder Titelseite in der Stadt ausgebreitet hatte, während ich damit beschäftigt gewesen war, am Leben zu bleiben. Er war mir gefolgt, seitdem Royce einen von Max Carlyles Lakaien verscheucht und damit eine Entführung verhindert hatte. Wir hatten die vage Abmachung, dass ich ihm die Knüller in dem übernatürlichen Rummel zuspielte, der scheinbar immer um mich herum tobte, solange er mich verdammt noch mal in Frieden ließ und darauf wartete, dass ich zu ihm kam, wenn ich eine Story hatte. Mir gefiel nicht, dass er mir folgte, aber er hatte sich nur bereit erklärt, einen gewissen Abstand zu wahren und sich weder mir noch meinen Freunden in der Öffentlichkeit zu nähern. Dass er ausgerechnet jetzt hier auftauchte, konnte nichts Gutes bedeuten. Was auch immer er wollte, es hatte Zeit, bis ich wieder da war.

Ich stöhnte, stemmte mich aus meinem quietschenden Bürostuhl, öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Jims Kleidung war sauber, aber nichtssagend, seine Haut gebräunt von Stunden in der Sonne, und seine blonden Haare waren der aktuellen Mode folgend ein wenig zerzaust. Abgesehen von der winzigen Digitalkamera, die aus einer Hemdtasche hervorlugte, schien er mit nichts bewaffnet zu sein als der absoluten Unfähigkeit, Andeutungen zu verstehen. Das eifrige Leuchten, das in seinen haselnussfarbenen Augen aufglühte, kaum dass er mich sah, alarmierte mich.

Er grinste und zeigte mit geübtem Charme Zähne, die weißer waren als weiß. Es hätte vielleicht attraktiv ausgesehen, wenn ich nicht schon dem Charme viel schlimmerer Räuber ausgesetzt gewesen wäre – wie Max Carlyle und Alec Royce.

»Ah, also sind Sie doch da! Ms. Waynest, nur ein paar kurze Fragen …«

»Nein.«

»Es dauert nur eine Minute …«

»Nein.«

In seinen Augen erschien ein ungeduldiges Funkeln und noch etwas anderes, über das ich nicht genauer nachdenken wollte. Sein Lächeln geriet ins Wanken. »An Ihrer Stelle würde ich mich nicht einfach abweisen. Sie haben mich noch nicht mal angehört.«

»Das muss ich auch nicht. Sie beschatten mich jetzt seit über einem Monat – wenn Sie also immer noch nicht rausgefunden haben, was zur Hölle auch immer Sie von mir wissen wollen, dann kann es auch noch ein paar Tage warten. Ich werde mich bei Ihnen melden, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin. Zur Hölle, ich verspreche Ihnen sogar ein Exklusivinterview, wenn Sie mir versprechen, sich bis dahin verdammt noch mal von mir fernzuhalten.«

»Ein Exklusivinterview?«, fragte er und zog eine gebleichte blonde Augenbraue nach oben. »Himmel. Sie müssen wirklich verzweifelt versuchen, etwas vor mir zu verstecken.«

»Leck mich.«

»Danke, aber Sie sind nicht mein Typ«, antwortete er ausdruckslos. Ich runzelte die Stirn, und sein Lächeln kehrte zurück, strahlender als jemals zuvor. »Ich bin doch nur an einer Story interessiert. Mir ist zu Ohren gekommen, dass es um Sie herum bald heiß wird. Ich will wissen, warum.«

»Schön. Sie können warten, bis ich zurück bin. Bitte, Jim, ich verspreche Ihnen, dass ich mich bei Ihnen melde, solange Sie mich verdammt noch mal bis Montag in Frieden lassen.«

»So verlockend das Angebot auch ist, ich bin mir nicht sicher, ob ich es annehmen kann. Aber ich sage Ihnen etwas – hier ist meine Karte. Rufen Sie mich an, wenn Sie herausfinden, dass Sie der Sache nicht gewachsen sind.«

Er schenkte mir noch ein schleimiges Lächeln, als er die Karte in Jens Richtung warf, dann schlenderte er aus dem Büro. Sie murmelte etwas Unhöfliches über seine Theatralik und schob das Papierstück über die Arbeitsplatte in den Mülleimer. Ich war kurz in Versuchung, lauthals eine Erklärung zu verlangen, aber die Vorstellung, dass seine Äußerung mir tatsächlich den Urlaub vermiesen könnte, war abschreckend genug, um mich davon abzuhalten.

Jen trommelte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte und sah mit einem Stirnrunzeln durch das Glas der Tür seiner verschwindenden Gestalt hinterher. »Shia, ich weiß, dass es mich nichts angeht, aber du solltest wirklich rausfinden, was los ist, und diese Leute dazu bringen, dich in Ruhe zu lassen. Sie scheinen mir alle nichts als Ärger zu bedeuten.«

»Nein, ehrlich?«

»Er ist nicht der Erste, der vorbeischaut.«

Das jagte mir einen kalten Schauder über den Rücken. »Wer war noch da?«

»Noch ein paar Reporter. Ein Mädchen mit blonden Haaren – sie sah aus, als wäre sie bis an die Zähne bewaffnet, und trug eine Anstecknadel der Weißhüte. Sie hat versucht, mich zu überlisten, damit ich ihr verrate, wo du hinfährst, aber ich bin sie losgeworden, ohne irgendwas preiszugeben. Oh, und ein Kerl namens Devon hat gesagt, dass er mal vorbeischauen will, sobald du wieder in der Stadt bist. Der war ziemlich süß.« Der hoffnungsvolle Blick, den sie mir bei der Erwähnung des ehemaligen Weißhutes zuwarf, sorgte nicht dafür, dass meine Sorgenfalten verschwanden. Kein bisschen. »Auf jeden Fall wollten sie dich alle sehen, aber keiner von ihnen wollte eine Nachricht hinterlassen oder warten. Ich habe ihnen allen erzählt, du wärst schon weg, damit sie uns nicht weiter belästigen.«

»Danke, Jen«, sagte ich und zog mich wieder in mein Büro zurück. »Das war richtig so. Mach dir keine Sorgen. Nächste Woche werde ich mich schon um das kümmern, was sie so aufregt – was auch immer es ist.«

Ich zog die Tür hinter mir zu, lehnte mich dagegen und schloss die Augen. Irgendwas Großes musste vor sich gehen, aber was auch immer es war, es konnte gern ohne mich stattfinden. Ich würde meinen Urlaub nicht absagen – nicht für Reporter, nicht für Vampire und definitiv nicht für Weißhüte, selbst wenn besagte Weißhüte gar keine eingetragenen Mitglieder mit Anstecknadeln mehr waren.

Die Welt würde nicht enden, nur weil ich das ein wenig aufschob. Wären Royce und Jack der Meinung gewesen, dass ein großes, böses Monster auf dem Weg in die Stadt war, hätten sie sich in ihren Nachrichten konkreter ausgedrückt. Übers Wochenende würde ich das alles einfach aus meinen Gedanken streichen.

Ein kurzer Anfall von Paranoia brachte mich dazu, eine Liste von allen zu schreiben, die versucht hatten, mich zu erreichen, bevor ich es mir wieder vor meinem Computer gemütlich machte. Ich würde diese Leute kontaktieren – sobald ich zurück war.

Glücklicherweise kam Chaz zu früh – ungefähr eine Viertelstunde, nachdem ich mich wieder in die farbenfrohe Ablenkung des Internets versenkt hatte. Jen beäugte ihn anerkennend über ihre Brille hinweg, während er ein paar unserer neuen Broschüren durchblätterte. Sie zeigte mir mit erhobenen Daumen ihre Zustimmung, als ich meinen Koffer aus dem Büro schleppte. Ich grinste und zwinkerte zurück. Ich war glücklich, dass ich die Stadt verließ und für ein paar Tage meine Sorgen hinter mir lassen konnte.

Chaz ist Fitnesstrainer, also ist sein Zeitplan ziemlich flexibel. Praktisch, wenn er sich um Rudelangelegenheiten kümmern muss. Außerdem bedeutet es, dass er einen wunderbar durchtrainierten Körper hat, der die unglaubliche Stärke, die er als Werwolf hat, allerdings nur andeutet. Als er sah, wie ich mich mit dem Koffer abkämpfte, trat ein amüsiertes Funkeln in seine babyblauen Augen. Sofort kam er zu mir, um mich irritierend keusch zu umarmen und den Griff in eine Hand zu nehmen. Er hob die schwere Tasche mühelos.

»Hey, Liebes, lass mich das tragen! Bereit zum Aufbruch?«

Ich lächelte und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn kurz auf die Wange zu küssen. »Natürlich. Ich kann es kaum erwarten, hier wegzukommen.«

»Vergiss nicht, mir deine Schlüssel dazulassen«, rief Sara aus ihrem Büro.

Ich schlug mir vor die Stirn und wühlte in meiner Tasche herum, während sie sich von dem Überwachungsprogramm löste, das sie gerade testete, um uns zu verabschieden.

»Danke, dass du dich um mein Zeug kümmerst, während ich weg bin. Und während meiner Abwesenheit keine Ausflüge nach Kalifornien!« Mit einem Grinsen warf ich ihr meinen Autoschlüssel zu.

»Da mach dir mal keine Sorgen«, erklärte sie lachend, als sie die Schlüssel fing. Sie schob die Hände in die Hosentaschen und folgte uns aus dem Büro die Treppe nach unten. »Zu viel Arbeit. Ich kann es kaum erwarten, dass endlich Thanksgiving ist. Kocht deine Mom dieses Jahr wieder?«

»Aber auf jeden Fall. Ich hoffe nur, dass mein Dad sich bis dahin beruhigt hat. Zumindest redet Mom endlich wieder mit mir.«

Meine Eltern hatten beide fast einen Herzinfarkt bekommen, als sie herausfanden, dass ich mit Others verkehrte. Nach meinem Ausflug ins Krankenhaus, nachdem ich von einem Werwolf zusammengeschlagen worden war, hatten sie mir ziemlich eingeheizt, weil ich mein Leben so führte, wie ich es eben führte. Als sie herausgefunden hatten, dass ich vertraglich an Alec Royce gebunden war, hatten sie mich fast enterbt. Glücklicherweise beruhigte meine Mom sich langsam und hatte entschieden, dass mir weder Hörner noch Schwanz wachsen würden und dass ich auch nicht die Dämonen der Hölle zu Familienessen mitbringen würde. Was meinen Dad anging, tagte die Jury noch.

»Du bist seine einzige Tochter«, sagte Chaz stirnrunzelnd. »Ich glaube nicht, dass er noch viel länger wütend auf dich bleiben kann. Außerdem bist du am Leben und unverletzt. Zählt das denn gar nicht?«

»Nicht, wenn es um Others geht. In der Beziehung ist er nicht gerade liberal.«

Sara schlug mir die Hand auf die Schulter. »Mach dir darum keine Sorgen, er kommt schon drüber weg. Erinnerst du dich an das eine Mal, als er nach der NYU-Party Kaution für uns hinterlegen musste? Er war nur ungefähr zwei Wochen sauer, danach hat er mit uns darüber gelacht. Diesmal kann es nicht viel anders laufen.«

»Ich weiß nicht«, murmelte ich und wurde rot, als Chaz mich eingehender musterte. »Vielleicht habt ihr recht. Wahrscheinlich interpretiere ich zu viel hinein.«

»Das ist die richtige Einstellung!«

Mir gelang ein Lächeln, dann kletterte ich in den Jeep, während Chaz meine Tasche auf dem Rücksitz verstaute und auf den Fahrersitz rutschte. Sara winkte uns fröhlich hinterher, als wir uns in den Verkehr einfädelten.

»Schöne Reise! Und bring dich nicht in Schwierigkeiten, weil ich nämlich nicht raus ans Ende der Welt fahre, um dich abzuholen.«

Lachend wechselten Chaz und ich einen Blick. Der Tag war voller Verheißungen. Der Verkehr würde ziemlich dicht sein, bis wir die Jersey Turnpike erreichten, aber danach sollte es eine glatte Fahrt werden. Wir hatten schon ein paar Mal Ausflüge gemacht, aber noch nie hatten wir so viel Zeit sorglos miteinander verbracht. Sicher, sein Rudel wäre in der Gegend, aber ich konzentrierte mich mehr auf die Zeit, die wir zusammen verbringen würden – nur wir beide.

Er warf mir einen Blick zu. Ich hatte das Gefühl, einen Schatten des Zweifels in seinen Augen zu entdecken, aber bevor ich nachfragen konnte, sagte er: »Hast du dich genauso darauf gefreut wie ich?«

»Darauf kannst du wetten. Ich konnte den ganzen Tag an nichts anderes denken.«

Sein Gesicht leuchtete in einem Lächeln auf. »Ich bin froh, das zu hören. Ich war ein wenig besorgt, dass du kalte Füße kriegen könntest. Nicht jeder wäre bereit, sich in der Nähe einer Menge verwandelter Werwölfe herumzutreiben.«

Ich drückte beruhigend seine Hand. »Mach dir keine Sorgen. Ich habe es seit unserem ersten Treffen weit gebracht.«

Das war mal eine heftige Untertreibung. Ich spürte immer noch einen peinlichen Stich, wenn ich an die gedankenlosen Aussagen dachte, die ich vor Chaz über Others gemacht hatte, bevor ich wusste, dass er ein Werwolf war. Er hatte mir in harten Zeiten beharrlich zur Seite gestanden, und seine Loyalität und sein Mut hatten mir bewiesen, wie dumm es gewesen war, mich von ihm zu trennen, nachdem er mir sein wahres Wesen enthüllt hatte. Wir kamen wieder zusammen, nachdem ich verstanden hatte, dass nicht alle Others geistlose, gewalttätige Monster sind und dass ich etwas Gutes unnötigerweise aufgegeben hatte. Er hatte mich unterstützt und beschützt, während wir im letzten Jahr einige ziemlich beängstigende Monster bekämpft hatten; und auch das zeigte mir, dass ich ihn besser halten sollte.

Es hatte mich viel Zeit gekostet, meine Bedenken zur Seite zu schieben und mich für eine echte Bindung zu entscheiden. Den Vertrag zu unterschreiben bedeutete, dass er mich legal in einen Werwolf verwandeln konnte. Mein Leben läge in seinen Händen, auch wenn Chaz mich gut genug kannte, um zu wissen, dass ich es ihm nie verzeihen würde, falls er das wirklich täte. Diese Art von Vertrauen würde hoffentlich den Bruch zwischen uns kitten, der entstanden war, als Royce mich mit Blut gebunden hatte.

Aber andererseits, wenn der Vertrag erst unterschrieben war, konnten wir wieder sehr viel mehr tun, als nur Händchen halten. Das sollte einen Teil der Spannung herausnehmen – in mehr als nur einem Sinn –, die sich im Laufe des letzten Monats aufgebaut hatte. Wenn man bedachte, dass ich keine Intimitäten mehr erlaubt hatte, seitdem ich herausgefunden hatte, dass er ein Werwolf war – war das wirklich schon fast ein Jahr her? –, war es beinahe ein Wunder, dass er nicht mehr darauf drängte, in die Kiste zu springen, ob jetzt mit Vertrag oder ohne. Der Mann hatte die Geduld und Standhaftigkeit eines Heiligen. Ich würde nicht riskieren, dass er mir noch mal durch die Finger glitt. Sobald zwischen uns alles geklärt war, konnte ich mich den anderen, gewichtigeren Auswirkungen stellen, die eine Vertragsunterzeichnung nach sich ziehen würde.

Wie zum Beispiel, meinen Eltern von ihm zu erzählen. Aber das konnte warten. Vielleicht würde ich mir diese kleine Überraschung für Weihnachten aufbewahren. Meine Mom mochte Chaz wirklich, aber sie hielt ihn für einen Menschen. In Anbetracht der Tatsache, dass sie gerade erst wieder angefangen hatte, mit mir zu reden – nach mehreren Wochen eisigen Schweigens –, konnte ich nicht voraussagen, wie sie auf Chaz’ kleines Geheimnis reagieren würde.

Sobald mir klar geworden war, dass ich mich nicht vor ihnen verstecken konnte, hatten meine Mom und mein Dad voller Entsetzen und Unverständnis meiner Erklärung dafür gelauscht, warum ich meine Zeit mit Werwölfen, Magiern und Vampiren verbracht hatte. Es war einfach nicht mehr möglich gewesen, zu verstecken, was in meinem Leben vor sich ging, nachdem mich Vampire und Cops verfolgten und ich am ganzen Körper neue Wunden, Nähte und Narben hatte. Ich hatte nur ausgelassen, dass Chaz ein Werwolf war und Saras Freund ein Magier. Glücklicherweise rissen sich Arnold und Chaz am Riemen, wann immer sie mit meinen Eltern oder Brüdern zusammen waren, und achteten sorgfältig darauf, ihre wahre Natur nicht preiszugeben. Bis jetzt schien keiner aus meiner Familie etwas zu ahnen. Allerdings vermutete ich, dass mein Dad mehr wusste, als er zugab, und nur abwartete, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war, um mich in Bezug auf meine »alternative Lebensweise« zur Rede zu stellen.

»Wie heißt noch mal dieses Resort, wo wir hinfahren?«

Chaz zog seine Hand aus meiner, um das Handschuhfach zu öffnen und mir eine bunte, gefaltete Broschüre zu geben.

»Es heißt Pine Cone Lodge. Der Besitzer heißt Bruce Cassidy. Er wohnt schon seit Jahren da draußen. In der Nebensaison bietet er sein Resort als Rückzugsort und Versteck für Werwölfe an. Dillon sagt, er führt den Laden schon, seitdem Kolumbus Land gesichtet hat.«

»Jesus, er ist so alt? Bist du dir sicher, dass er ein Werwesen ist, kein Vampir?«

Er lachte. »Nein, nein. Nichts in der Art. Das war nur ein Witz. Er ist ein Werwesen, nur eben ein altes. Soweit ich gehört habe, ist er ein wenig über siebzig.«

»Du warst noch nie da?«, fragte ich, während ich mir die Broschüre ansah. Darauf waren malerische Bilder von Wäldern mit schneebedeckten Bergen im Hintergrund, und ein paar Aufnahmen von winzigen, rustikalen Holz- oder Steinhütten, die zwischen den Bäumen standen. Oh, und jede davon hatte einen Kamin! Das versprach romantische Abende. Zumindest bis zum Mondaufgang morgen Abend, wenn Chaz keine andere Wahl blieb, als sich zu verwandeln und mit dem Rest des Rudels auf die Jagd zu gehen.

»Ich persönlich noch nicht, nein. Dillon hat ihn getroffen, als er noch zum Firepaw-Rudel gehörte. Ich habe mit Moonwalker-, Ravenwood-, und Timber-Falls-Werwölfen gesprochen und auch mit einigen der unabhängigen Werkatzen«, sagte er. »Alle haben mir versichert, dass das Resort das beste bezahlbare werfreundliche Reiseziel ist, wenn man nicht quer durchs Land fahren will.«

Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch und schob mir eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht. »Werkatzen? Ich wusste gar nicht, dass es sie in den USA gibt. Ich dachte, sie wären alle in Afrika oder Südamerika.«

»Nö. Hier gibt es auch ein paar.« Er hielt inne und umrundete erst einen Idioten, der ihn geschnitten hatte, bevor er weitersprach: »Sie sind viel unauffälliger als Rohrik Donovan und das Moonwalker-Rudel.«

»Das kann man über so gut wie jedes Werwesen sagen. Ich habe noch nie irgendwen außer den Moonwalkern gesehen, die ihren Rudelstolz so weit treiben, dass sie sich Aufkleber ihrer Symbole auf die Autos kleben.«

»Sie haben gute Gründe, stolz zu sein. Zu ihrer Zeit haben sie einige große Dinge vollbracht. Hätte es Rohrik nicht gegeben, wäre ich für dich immer noch menschlich.«

Das brachte mich zum Lachen. »Ja, wahrscheinlich schon.«

»Die Sunstriker sind auch stolz darauf, wer sie sind. Inzwischen hat so gut wie jeder die Rudeltätowierung.«

Ich streckte die Hand aus und ließ meine Finger sanft über die Tätowierung an seinem rechten Oberarm gleiten, die teilweise von seinem Hemdsärmel verdeckt wurde. Es war das einfache Symbol einer Sonne, die von einem Speer durchbohrt wurde. Nichts allzu Auffälliges. Der Teil, der unter dem Ärmel versteckt war, sah ein wenig anders aus als beim Rest des Rudels: zwei gekreuzte Speere über der Sonne, gerade groß genug, dass jemand, der danach Ausschau hielt, Chaz als den Anführer seines Rudels identifizieren konnte.

Obwohl ich die Tätowierung schon hundertmal gesehen hatte, hatte ich nicht verstanden, dass es das Symbol des Rudels war, bis Chaz es mir erklärt hatte. Vorher hatte ich es nie als etwas Außergewöhnliches empfunden, besonders, da er, versteckt unter seiner Kleidung, noch andere Tätowierungen hatte. Außerdem waren die Wärme und die stahlharten Muskeln unter seiner Haut immer eine faszinierende Ablenkung für mich.

Aber im Moment lenkte ich ihn vom Fahren ab. Ich hörte auf, ihn zu reizen, als er mit quietschenden Reifen nur Zentimeter vor der Stoßstange seines Vordermannes anhielt. Er warf mir einen gespielt bösen Blick zu, und ich wurde rot und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln.

»Also, was sollte ich wissen, bevor ich den anderen begegne? Ich will keine dummen Fehler begehen und mich vor all deinen Freunden zum Narren machen.«

Chaz warf mir einen amüsierten Seitenblick zu. »Du? Komm schon.«

Ich schlug ihn grinsend auf den Arm. »Ja, ich. Jetzt ehrlich, was muss ich wissen? Ich würde mich gerne mit den anderen anfreunden.«

Er dachte über meine Frage nach, dann, nach einem Moment der Stille, sprach er.

»Vor allem sei einfach du selbst. Vermeide es, ihnen direkt in die Augen zu sehen. Das wird als Herausforderung betrachtet, und zu dieser speziellen Zeit könnten sie es zu persönlich nehmen, um es durchgehen zu lassen. Abgesehen davon werden sie wahrscheinlich für dich so menschlich sein, wie sie können. Natürlich bis zu dem Moment, wo es unvermeidbar wird.«

»Mit unvermeidbarem Moment meinst du, wenn sie sich verwandeln, richtig?«

»Ja.«

»Also tut ihr sonst nichts Seltsames, wenn ihr allein seid?«, neckte ich ihn. »Irgendwas, was ich besser nicht sehen sollte?«

Er lachte leise. »Das ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Wir sind wie alle anderen, verstehst du? Wir haben alle unsere schlechten Angewohnheiten und dunklen Geheimnisse, genau wie die meisten Menschen.« Ich verstand den Blick, den er mir zuwarf, nicht ganz, aber trotzdem wurde mir ungemütlich, und ich lief rot an. Seine Worte erinnerten mich an das Verlangen nach einem anderen Mann, das mich einst erfüllt hatte, das sich aber auf Blut bezogen hatte, nicht auf Sex.

Oder vielleicht ein wenig von beidem. Gleichzeitig.

Plötzlich musste ich das Fenster ein wenig herunterkurbeln, um frische Luft zu bekommen.

Nachdem er mein Unbehagen anscheinend nicht bemerkt hatte, da er sich wieder auf die Straße konzentrierte, fuhr Chaz unbeschwert fort: »Der größte Unterschied liegt darin, dass wir eine Familie sind, wenn auch nicht notwendigerweise blutsverwandt, und wir uns für unser Überleben auf die anderen verlassen.«

»Bedeutet das, dass ich mir Sorgen machen sollte?«

»Nö. Stimmt schon, wir hatten noch nie auf einem dieser Ausflüge jemanden dabei, der nicht zur direkten Familie gehörte oder bald schon in einen von uns verwandelt werden sollte. Also könnten sie ein wenig nervös sein. Aber sie wissen alle, wer du bist, und ich kann so ziemlich garantieren, dass das gesamte Rudel sich von seiner besten Seite zeigen wird. Seth und ein paar seiner Freunde könnten dir ein wenig Probleme machen, aber alle anderen sind ziemlich locker, sobald du sie erst mal kennengelernt hast. Rede einfach mit ihnen, wie du mit anderen auch sprichst, und alles sollte gut werden.«

»Okay. Wer ist Seth?«

»Seth ist der Sohn von Ricky und Armina. Er ist ein ziemlicher Trottel. Baggert alles in Röcken an. Wenn er dich auch nur anfasst, bringe ich ihn um.«

Ich warf ihm einen Blick zu.

»Das war ein Witz, Shia.«

Wieder errötete ich. »Tut mir leid. Ich kriege es nicht immer mit.«

Sein Lächeln wurde breiter, sodass ich mich noch dümmer fühlte, weil ich voreilige Schlüsse gezogen hatte. »Es ist okay. Ich weiß, was für einen Ruf wir haben. Das ist zum Teil ein Grund, warum ich dich mitgenommen habe: Damit du siehst, wie wir sind, wenn wir nicht versuchen, uns vor der Öffentlichkeit zu verstecken. Ich bezweifle, dass wir auch nur ansatzweise deine Erwartungen erfüllen.«

»Ich auch«, sagte ich und sah wieder auf die Broschüre in meinen Händen. Was auch immer sonst los war, die Lodge war rustikal, malerisch und lag in der Mitte von Nirgendwo. Wenn ich mich blamieren sollte, waren diesmal wenigstens keine Cops oder Reporter anwesend, die alles fotografierten oder filmten.

Nur jede Menge Werwölfe, die in der gesamten Other-Gemeinde verbreiten konnten, was für ein Trottel ich war.

Kapitel 3

Hunter, New York, war einer der coolsten Wintersportorte, die ich je gesehen hatte. Na ja, der einzige Wintersportort, den ich je gesehen hatte. Er war voller kleiner Geschäfte und großer Häuser, die sich um eine Handvoll Straßen im Schatten der Catskill Mountains verteilten. Viele der Läden waren geschlossen, manche sogar verrammelt, bis die Skisaison anfing. Es gab nur wenige Straßenlaternen, überwiegend auf der Hauptstraße. Ein paar Leute waren unterwegs, um einzukaufen oder trotz der kalten Bergluft ein Schwätzchen mit Freunden zu halten. Es gab nicht viele Restaurants, aber wir merkten uns jedes einzelne, für den Fall, dass wir später mal Lust auf Essen bekamen.

Unser Resort lag irgendwo tiefer in den Bergen, ein paar Kilometer von der eigentlichen Stadt entfernt. Wir bogen von der Hauptstraße ab und folgten für eine Weile einer kleinen Seitenstraße, dann ging es auf einen winzigen, ausgefahrenen Feldweg. Ich hatte ihn nicht gesehen, bis wir quasi schon draufstanden. Der Weg war breit genug, um als Straße durchzugehen, aber er schien weder viel befahren noch allzu gut gepflegt zu sein. Der robuste kleine Jeep holperte mit quietschenden Stoßdämpfern durch unzählige Schlaglöcher. Ab und zu wurden wir von einem niedrig hängenden Ast gestreift.

Chaz machte einen beiläufigen Kommentar über ein Auto hinter uns, das uns den ganzen Weg über gefolgt war. Trotz der Dunkelheit fuhr der Fahrer nur mit seinen düsteren Nebelscheinwerfern durch die Bäume. Es war möglich, dass der Fahrer nicht wollte, dass wir ihn bemerkten, genauso gut konnte es aber ein anderer Werwolf mit guter Nachtsicht sein. Ich achtete nicht darauf; meine Aufmerksamkeit lag auf der unheimlichen dunklen Straße vor uns.

Diese gierigen Äste in der Dunkelheit jagten mir Angst ein. Die Zweige waren so dicht, dass der Mond uns den Weg kaum erleuchten konnte. Chaz musste meine Hand loslassen, um mit dem Lenkrad zu kämpfen, damit wir nicht von der Straße abkamen. Jenseits der Fenster sah ich nichts als Schwärze. Das einzige Licht, das über die dichten Bäume und Büsche glitt, kam von unseren Scheinwerfern. Chaz versicherte mir ein paarmal, dass er prima sehen konnte und dass wir auf dem richtigen Weg waren. Ich traute seinen Augen um einiges mehr als meinen, aber trotzdem klammerte ich mich an meinem Sitz fest und hoffte inständig, dass es bald vorbei war.

Nach einer gefühlten Ewigkeit aus Holpern und kratzenden Geräuschen fuhren wir auf eine so gut erleuchtete Lichtung, dass ich für einen Moment geblendet war. Ich blinzelte ins Licht, hob die Hand, um meine Augen zu beschatten, und musterte die Fläche.

Wir hatten den Wald verlassen und einen Parkplatz vor einem großen Holzhaus erreicht. Wie schon die Straße bestand der Parkplatz nur aus festgestampfter Erde. Jemand hatte sich die Zeit genommen, Baumstämme zu positionieren, um die Grenzen festzulegen und zumindest einen Hinweis darauf zu geben, wie man parken sollte. Auf dem Parkplatz verteilt standen ungefähr vierzig andere Autos; Chaz und ich mussten nach dem Rest des Rudels angekommen sein. Wir stiegen aus, und ich zitterte in dem kalten Wind, der die Äste um uns schüttelte. Ich zog meine dünne Jacke fester um mich, aber es half so gut wie nichts.

Das Haus selbst war beeindruckend. Eine riesige Doppeltür wurde rechts und links von flackernden Gaslichtern erleuchtet, ebenso wie die gepflegten Hecken um das Gebäude und ein geschnitztes Schild, auf dem stand:Willkommen in der Pine Cone Lodge. Die Fensterläden vor den großen, überwiegend erleuchteten Fenstern standen offen, und in den Räumen bewegten sich Leute. In der Luft hing der Geruch von Holzfeuer, der sich mit dem sauberen Duft von frischer Erde, Birkensaft und Kiefern verband. Irgendwo in der Ferne schrie eine Eule. Die Berge erhoben sich um das dicht bewaldete Tal, in dem wir uns befanden.

»Es ist wunderschön«, sagte ich, zog meine Tasche höher auf die Schulter und half Chaz dabei, unser Gepäck aus dem Auto zu holen. »Ich war schon länger nicht mehr in den Bergen. Das ist toll!«

»Schon, ich wünschte nur, die Straße würde auch zu den eigentlichen Hütten führen. Das ganze Zeug hochzutragen wird kein Spaß.«

Ein kurzer Blick über die Schulter zeigte mir, dass hinter uns niemand mehr auf den Parkplatz fuhr. Wer auch immer uns gefolgt war, er musste auf irgendeinen anderen Waldweg abgebogen sein. Oder er wollte nicht, dass wir ihn bemerkten.

Ich unterdrückte meine Paranoia und nahm Chaz’ Seesack, während er meinen Koffer hochhob. Ein paar Leute standen draußen. Die einen unterhielten sich und rauchten, die anderen waren an ihren Autos beschäftigt. Ich sah mich um, weil ich herausfinden wollte, wem das Klatschen galt, das ein paar von ihnen angestimmt hatten. Es waren nicht viele; andere wanderten mit einem angewiderten Gesichtsausdruck davon. Es kostete mich eine Weile, zu verstehen, dass sie mir applaudierten.

»Was zur Hölle soll das?« Ich zischte Chaz’ die Frage ins Ohr und lehnte mich nah genug zu ihm, dass kein Other in der Menge mich hören konnte, nicht mal mit ihren überempfindlichen Ohren.

Chaz grinste den Leuten zu und winkte, während er gleichzeitig aus dem Mundwinkel mit mir sprach. »Sie sind froh, dass du da bist. Ein paar von ihnen haben nicht geglaubt, dass du wirklich kommst. Lächle einfach oder irgendwas. Sei höflich.«

Ich fühlte mich ziemlich schlecht, als ich winkte. Die Leute johlten noch ein bisschen, dann rannten sie vor uns ins Haus, wahrscheinlich, um die Nachricht zu verbreiten, dass wir angekommen waren. Einer von ihnen, ein Kerl mit einer erschreckenden Anzahl von Piercings und Tätowierungen, blieb zurück, um uns die Tür aufzuhalten.

Wir eilten hinein und bestaunten den großen Innenraum. Bis auf einen Steinkamin, in dem ein großes Feuer prasselte, war alles aus Holz oder in Erdfarben gehalten. Die Möbel sahen aus, als wären sie handgeschnitzt, und es gab Teppiche und Kissen in Erdtönen von Braun bis Grün. Die Fenster neben dem Kamin öffneten sich auf das Tal, sodass man dahinter die kleineren Lichter der verschiedenen Hütten leuchten sehen konnte.

Ein paar Leute saßen ums Feuer und unterhielten sich bei einem Bier. Sie sahen auf und winkten freundlich, als wir hereinkamen. Ich zwang mich zu einem Lächeln, als zwei von ihnen mir mit ihrem Drink salutierten, dann konzentrierte ich mich auf den uralt wirkenden Typ, der sich aus einem Sessel stemmte und mit einem breiten Grinsen auf seinem gebräunten, ledrigen Gesicht zu uns schlurfte. Trotz seines Alters lag sein Hemd an Armen und Rücken eng über festen Muskeln, und dichte Haarbüschel standen aus dem Kragen und den Ärmeln hervor.

Er strahlte die ruhige Energie eines Werwesens aus. Mir stellten sich die Nackenhaare auf. Chaz schien nicht beeinträchtigt, denn er erwiderte das Lächeln des Kerls und stellte die Taschen ab, um die angebotene Hand zu schütteln.

»Willkommen, willkommen! Gehören Sie zu den Sunstrikern?«

»Ja, Sir. Ich bin Chaz Hallbrook, und das ist Shia. Sie sind Mr. Cassidy, richtig?«

»Nennen Sie mich Bruce.« Er schüttelte Chaz’ Hand herzlich, dann drehte er sich mit schräg gelegtem Kopf zu mir um. »Junge Dame, Sie sehen aus, als könnten Sie und Ihr Junge hier ein heißes Essen und ein starkes Getränk gebrauchen. Lassen Sie mich George holen, damit er Ihnen die Hütte zeigt und Sie sich frisch machen können. Das Abendessen wurde bereits serviert, aber wir haben noch jede Menge Essen – also kommen Sie einfach zurück, sobald Sie bereit sind.«

Ich lächelte und schüttelte ihm die Hand, als er sie mir anbot. Seine Handfläche war rau wie Schmirgelpapier. »Das klingt wunderbar. Danke.«

»Oh, jederzeit«, sagte er, dann wandte er sich ab, um in den Flur zu unserer Linken zu rufen: »George!«

Wir warteten eine Minute, in der das Schweigen nur vom Prasseln des Feuers und dem Murmeln der Gespräche unterbrochen wurde.

»GEORGE!«

Ich zuckte zusammen, weil dieses Brüllen so laut gewesen war.

»WAS! Ich bin beschäftigt!«, kam es zurück.

»Gäste, George!«

Als Antwort erklang ein Geräusch, das sich verdächtig nach einem unterdrückten Fluch anhörte. Kurz darauf erschien ein breit gebauter Mann. Er trug locker sitzende Jeans und ansonsten nicht viel. Seine Haut war verschmutzt mit etwas, was aussah wie Ruß und Fett, und über einer Schulter trug er eine große Zange. Obwohl ich nicht starren wollte, konnte ich mich doch nicht ganz davon abhalten. Georges Stimme war tief und schwerfällig, und es lag ein gereizter Ton darin.

»Pops, ich habe dir gesagt, dass ich am Reservegenerator arbeite. Kann Daisy es nicht machen?«

»Sie bedient an der Bar. Zeig ihnen einfach nur Nummer zwölf, ja?«