The Others: Sie sind unter uns - Jess Haines - E-Book

The Others: Sie sind unter uns E-Book

Jess Haines

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Beschreibung

Vampirjägerin wider Willen

Vampire? Sollen ihr bloß vom Hals bleiben! Privatdetektivin Shiarra hat für Kreaturen der Nacht nicht viel übrig. Doch ihr neuer Auftrag macht einen gefährlich attraktiven Vampir zu ihrem Feind, einen trotteligen Zauberer zu ihrem Verbündeten — und sie selbst zur Zielscheibe eines übermächtigen Gegners …

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Seitenzahl: 381

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Über das Buch

Normalerweise hält sich Privatdetektivin Shiarra Waynest von übersinnlichen Wesen fern — ganz besonders, nachdem ihr Exfreund Chaz ihr in einer Vollmondnacht wenig feinfühlig demonstriert hat, dass er ein Werwolf ist. Doch jetzt, in akuter Geldnot, nimmt Shiarra den Auftrag eines mächtigen Hexenzirkels an: Sie soll einen magischen Gegenstand aus dem Besitz des Vampirs Alec Royce entwenden — eine kleine Skulptur, »Fokus« genannt, mittels derer man Vampire und Werwölfe kontrollieren kann.

Doch Royce lässt sich nicht hinters Licht führen. Nachdem er Shiarra die Wahrheit über den Auftrag entlockt hat, zwingt er sie, einen teuflischen Pakt mit ihm einzugehen. Noch bevor Shiarra einen Weg findet, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, überschlagen sich die Ereignisse: Mehrere Mitglieder des Hexenzirkels werden auf brutale Weise getötet — eine gegnerische Macht hat den »Fokus« in ihren Besitz gebracht, und es entbrennt ein blutiger Kampf, in dem Shiarra selbst zur Zielscheibe wird. Gleichzeitig muss sie feststellen, dass Royce eine gleichermaßen faszinierende wie verstörende Anziehungskraft auf sie ausübt …

Über die Autorin

Jess Haines arbeitete als Drehbuchautorin und Redakteurin und schrieb Kurzgeschichten, bevor sie mit The Others: Sie sind unter uns ihren ersten Roman verfasste. Die gebürtige New Yorkerin lebt heute in Los Angeles. Weitere Bände um die Privatdetektivin Shiarra Waynest sind in Vorbereitung.

Inhaltsverzeichnis

Über das BuchÜber die AutorinKAPITEL 1KAPITEL 2KAPITEL 3KAPITEL 4KAPITEL 5KAPITEL 6KAPITEL 7KAPITEL 8KAPITEL 9KAPITEL 10KAPITEL 11KAPITEL 12KAPITEL 13KAPITEL 14KAPITEL 15KAPITEL 16KAPITEL 17KAPITEL 18KAPITEL 19KAPITEL 20KAPITEL 21KAPITEL 22KAPITEL 23KAPITEL 24KAPITEL 25KAPITEL 26KAPITEL 27KAPITEL 28KAPITEL 29KAPITEL 30KAPITEL 31KAPITEL 32KAPITEL 33KAPITEL 34KAPITEL 35KAPITEL 36KAPITEL 37KAPITEL 38KAPITEL 39KAPITEL 40KAPITEL 41KAPITEL 42KAPITEL 43KAPITEL 44KAPITEL 45KAPITEL 46KAPITEL 47KAPITEL 48KAPITEL 49DANKSAGUNGCopyright

KAPITEL 1

Lange, schlanke Finger streichelten den Stiel eines Weinglases, um dann nach oben zu gleiten und ein paar Tropfen vom Glas zu wischen. Sinnliche Augen von der Farbe eines sturmerfüllten Sommerhimmels blickten mich über den Tisch hinweg an und lockten mit dem unwiderstehlichen Drängen einer Frau. Mir war klar, was sie versuchte, aber das machte es nicht einfacher, ihr zu widerstehen.

Ich holte tief Luft, wandte meinen Blick so beiläufig wie möglich ab und schaute stattdessen durch das Fenster neben unserem Tisch nach draußen. Es war besser, auf das sich kräuselnde Wasser in dem künstlichen Teich zu starren, als durch Veronikas Augen einer dunklen Verzauberung anheimzufallen. Ein einzelner Schwan glitt ahnungslos und ehrwürdig über das Wasser, auf dem sich die Lichter spiegelten. Ein junges Paar warf ihm lachend Brotstücke zu, um ihn näher zu locken.

Schwäne sind hübsch, aber bösartig, wenn man ihnen zu nahe kam. Darin ähnelten sie meiner Tischgenossin.

Sie wartete immer noch atemlos auf meine Antwort. Mit einem Seufzen löste ich den Blick von dem Schwan und schaute zurück zu der Magierin. Dabei achtete ich sorgfältig darauf, ihr nicht in die Augen zu sehen.

»Hören Sie, es ist nicht so, als könnte ich das Geld nicht gebrauchen. Aber ich töte keine Vampire im Auftrag von Magiern. Ich bin nur ein Mensch und komme gar nicht gegen diese Typen an. Außerdem bin ich Privatdetektivin und keine Auftragsmörderin. Mal abgesehen davon, dass es illegal ist, ohne schriftliche Ermächtigung einen Vamp zu töten.«

Es kostete mich meine ganze Willenskraft, nicht in diese leuchtenden Augen zu schauen und meine Meinung zu ändern. Natürlich hasste ich Vampire. So wie jeder andere Mensch auch. Aber deshalb würde ich noch lange nicht losziehen und einen von ihnen jagen. Das wäre Selbstmord. Mein Job war schon unheimlich genug, ohne dass wütende Vampire auf der Liste der Stalker standen, die sich für den Ärger revanchieren wollten, den ich ihnen verursacht hatte.

»Shiarra, Sie sollen ihn nicht umbringen. Finden Sie nur …« Sie brach ab und ihre überzeugende Stimme ging in ein kehliges »Hmmmm« über, bevor sie weitersprach. »Finden Sie nur heraus, was er vorhat. Halten Sie ihn falls nötig ein wenig auf. Finden Sie heraus, wo er die Statue aufbewahrt. Mein Hexenzirkel kümmert sich dann um den Rest.«

Ihre kirschfarbenen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das raubtierhafter wirkte als das jedes Vampirs. Als sie bemerkte, dass ich auf ihre Unterlippe starrte, ließ sie die feuchte Zunge darübergleiten. Meine Güte, ich hasse Magier.

Warum nur hatte Jenny, unsere Rezeptionistin alias Buchhalterin, diesen Termin ausgemacht, ohne mich vorher zu fragen? Ich erinnerte mich daran, dass sie regelmäßig mit meiner Partnerin unsere Rechnungen durchsprach, und wahrscheinlich fand sie, dass unser Geldmangel schwerer wog als meine moralische Entrüstung. Normalerweise beendete ich die Unterhaltung, wenn ich rausfand, dass unser potenzieller Kunde ein Other war. Jenny wusste das. Sie wusste aber auch, dass ich mir den Vorschlag der Magierin zumindest anhören würde, wenn das Geld so knapp war.

Nachdem ich jetzt erfahren hatte, was sie wollte, bereute ich jedoch, mich auf dieses Abendessen eingelassen zu haben.

»Ich weiß, dass ich wegen der Werwolf-Geschichte in der Botschaft letzten Monat Schlagzeilen gemacht habe. Aber das war mein erster Auftrag, bei dem ich es mit Übernatürlichen zu tun bekam. Ich habe weder die Erfahrung noch die Ausrüstung, um mich Vampiren in den Weg stellen zu können.«

Ich bemühte mich um einen vernünftigen Tonfall, klang aber vermutlich nur gereizt und ängstlich. Diese Frau machte mich nervös. Verzweifelt versuchte ich mir einzureden, dass mir ihr Vorschlag Sorgen bereitete und nicht diese knisternde, magische Aura, die sie umgab. Oder lag es daran, dass sie mich anmachte? Egal was, es gefiel mir nicht.

»Offen gesagt glaube ich nicht, dass Sie genug zahlen können, damit ich mein Leben riskiere. Warum holen Sie sich kein Halbblut? Oder vielleicht sollte sich ein anderer Magier um diesen Vampir kümmern? «

Zwischen ihren perfekten Brauen in dem feingeschnittenen Gesicht erschienen kleine Falten. Ihr Haar hatte einen wunderschönen Mahagoniton, der nicht ganz zu dem dunklen Braun ihrer Augenbrauen passte. Ich hasste sie dafür, dass sie scheinbar mühelos so gut aussah. Meine eigenwilligen roten Locken würden niemals so raffiniert lässig fallen wie ihre Frisur. Wahrscheinlich benutzte sie einen Zauber.

»Der Alterslose würde uns sofort als Magier erkennen. Das kann nicht funktionieren. Ein Halbblut würde erst töten und hinterher Fragen stellen. Dasselbe gilt für einen Werwolf.« Sie hielt einen Moment nachdenklich inne. »Es sei denn, Royce ist schneller.«

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Sehr motivierend.«

Sie trommelte mit ihren perfekt manikürten Fingernägeln auf den Tisch, lehnte sich ebenfalls zurück und musterte mich noch einmal von oben bis unten. Etwas in ihren Augen verriet mir, dass sie umschwenkte und ihre Strategie änderte.

»Ein Mensch ist unsere einzige Chance. An Ihnen haftet nicht der Geruch von Magie. Sie verfügen über eine gewisse Vertrautheit mit Übernatürlichen und haben bewiesen, dass Sie fähig sind, mit ihnen fertig zu werden.«

Für den Bruchteil einer Sekunde verzog Veronika spöttisch die Lippen. Ich hätte es übersehen, wäre mein Blick nicht auf ihre Lippen und ihre Nase gerichtet gewesen, um ihr nicht in die Augen zu schauen. Sofort kehrte der raubtierartige Ausdruck zurück, der mir verriet, dass es ihr nur mühsam gelang, ihre Verachtung für niedere, reinblütige Menschenwesen zu verstecken. Sie tat alles, um mich nervös zu machen. Leider funktionierte es.

»Wie ich schon sagte, sollen Sie ihn nicht töten. Wir wollen ihn nur beobachten lassen. Da er jede Menge willige Blutspender hat und außerdem für seine Zurückhaltung bekannt ist, können Sie sich ihm nähern, ohne einen Angriff befürchten zu müssen. Schlimmstenfalls erteilt er Ihnen in seinen sämtlichen Läden Lokalverbot.«

Jetzt war es an mir, mit den Fingernägeln auf dem Tisch zu trommeln. »Abgesehen von einem jähen, schmerzhaften Tod ist das das Schlimmste, was mir passieren kann. Alex Royce besitzt die Hälfte aller Restaurants und Nachtclubs in der Stadt. Das sind die Orte, an denen ich nach meinen Zielpersonen suche.«

Ich warf einen Blick auf die Uhr, um ihr zu signalisieren, dass ich nicht mehr länger dableiben und dieses irre Gespräch führen würde — selbst wenn sie die Rechnung bezahlte.

Sie seufzte dramatisch und versteckte ihren Verdruss nicht länger. Damit gab sie auch den süßlichen Tonfall auf und verringerte diese verdammte Aura, die sie ausgestrahlt hatte, seit wir hier saßen. Kein Wunder, dass der Kellner seit gut einer Stunde unsere Gläser nicht mehr aufgefüllt hatte.

»Shiarra Waynest, Sie vergessen dabei etwas. Die andere Hälfte der Stadt gehört dem Circle, und wir sind mehr als bereit, Sie angemessen zu entschädigen. Fünftausend plus Spesen, und zusätzliche zehntausend, wenn Sie das finden, wonach wir suchen. Fünftausend Vorschuss, und Sie bekommen eine Ausrüstung aus dem Tresorraum des Circle. Wir werden Sie beschützen. Und wenn Sie diese Aufgabe gut erfüllen, winken Folgeaufträge.«

Ich lehnte mich sprachlos zurück. Fünftausend als Vorschuss? Mein übliches Honorar überstieg selten zweitausend. Manchmal waren es an die vier, wenn der Job knifflig oder ein bisschen gefährlich war. Plus Ausrüstung? Spesen? Vielleicht war das tatsächlich ein verstecktes Geschenk des Himmels. Ich fragte mich, ob sie wusste, dass ich bis über beide Ohren verschuldet war und mich meine Autoraten fast umbrachten. Außerdem hatte ich eine vage Ahnung, dass meine Lizenz als Privatdetektivin bald erneuert werden musste. Und hinter der nächsten Ecke wartete bereits die Steuer. Memo an mich selbst: Jenny eine Dankeskarte und einen Bonus zukommen lassen.

Veronika deutete mein Schweigen offenbar als schlechtes Zeichen. »Ist das zu wenig? Schön, dann sagen wir zehn, wenn Sie Informationen liefern und nochmal zwanzig, wenn Sie den Aufbewahrungsort des Artefakts gefunden haben.«

Ich hob meine Serviette an die Lippen, um zu verstecken, dass ich meinen Mund nicht mehr zubekam. Dann schloss ich die Augen, atmete tief durch und erinnerte mich daran, dass ich direkt in eine tödliche Falle lief, wenn ich diesen Job annahm. Aber dann dachte ich niedergeschlagen an den Stapel Rechnungen, der jeden Tag größer wurde. Am schlimmsten war die Mahnung von meinem Vermieter, die vor ein paar Tagen in meinem Briefkasten gelandet war. Ich hatte noch nicht den Mut gefunden, sie zu öffnen. Mein Anteil an diesem Auftrag würde reichen, um die Miete zu zahlen und vielleicht noch ein paar andere Gläubiger zu befriedigen, die einen Großteil meines Einkommens für sich beanspruchten.

»Also?«

Obwohl ich das Gefühl hatte, dass ich einen Teil von mir betrog — einen wichtigen Teil —, sagte ich die Worte, die sie hören wollte: »Ich werde es tun. Wonach soll ich suchen?«

Veronica lehnte sich zurück und lächelte grimmig. In ihren Augen lauerte etwas Hinterhältiges. Ich konnte nur hoffen, dass ich lange genug am Leben blieb, um diese Entscheidung zu bereuen.

KAPITEL 2

Am nächsten Morgen saßen wir in unserem winzigen Pausenraum im Büro. Meine Partnerin Sara Halloway starrte mich über den zerkratzten Küchentisch hinweg entsetzt an. Sie hielt die Kaffeetasse vergessen vor dem Mund und blinzelte — als wolle sie sicherstellen, dass ich keine Erscheinung war.

»Erklär mir das nochmal. Langsam.«

Ich rieb mir mit der Hand über das Gesicht und stöhnte. Wie sollte ich ihr meinen Plan erklären, ohne völlig verrückt zu klingen?

»Ich weiß. Ich kann auch nicht glauben, dass ich den Job angenommen habe.«

Ich zog den zerknüllten Scheck aus der hinteren Tasche meiner Jeans, legte ihn auf den Tisch und strich ihn sorgfältig glatt. Dann starrte ich auf die fünftausend Dollar unter meinen Fingern, um mich nicht Saras ungläubigem Blick stellen zu müssen. Zweifel hatte ich selbst schon genug.

»Wonach sollst du suchen? Du weißt, dass es gefährlich sein muss, wenn sie dir so viel zahlen.«

»So viel zahlen? Für den Circle sind das Peanuts.«

Ich schüttelte den Kopf und strich mir ein paar lose Strähnen aus dem Gesicht, bevor ich nach meiner Kaffeetasse griff. »Es ist immer gefährlich, wenn ein Vampir oder ein Blender involviert ist. Du meinst, noch gefährlicher? Eins steht fest: Wer oder was mein Gegner auch ist, er wird mich umbringen, wenn ich nicht aufpasse. Aber vielleicht ist es das Risiko wert. Wenn es zu haarig wird, kann ich immer noch aussteigen. «

Sie stöhnte entnervt. Aber zumindest hielt sie mir keine Gardinenpredigt wegen meines rassistischen Ausrutschers, die Magierin als Blender bezeichnet zu haben.

»Das ist Teil der Abmachung. Die Anzahlung kann ich auf jeden Fall behalten.« Ich deutete auf den Scheck. »Ich kann den Vertrag jederzeit auflösen, wenn es so aussieht, als wäre mein Leben in Gefahr. Veronika hat mir den Papierkram direkt nach dem Abendessen gemailt. Ich habe es mir gestern Nacht noch durchgelesen; es ist klar und präzise, und ich will verdammt sein, wenn das keine faire Abmachung ist.«

Sara kniff nachdenklich die blauen Augen zusammen. »Was für eine Ausrüstung werden sie dir geben? Hat sie davon was erwähnt?«

Ich zuckte mit den Achseln. Ich hatte jede Menge eigene Ausrüstung und bezweifelte, dass ich überhaupt etwas vom Circle brauchte.

»Nichts Konkretes. Sie hat von ein paar ›Schätzen aus dem Tresorraum‹ gesprochen — was auch immer das heißt.«

Sara nickte schweigend. Das beruhigte mich. Offenbar begann sie ernsthaft über den Auftrag nachzudenken. Vielleicht fing sie sogar an, denselben verschrobenen Sinn in dem Plan zu sehen wie ich.

Ich nutzte diesen Moment und fügte hinzu: »Ehrlich, so gefährlich scheint der Job gar nicht zu sein. Sie hat mich nur gebeten, so viel wie möglich über irgendein Artefakt herauszufinden.«

Der misstrauische Ausdruck kehrte in ihr Gesicht zurück. »Hat sie dir irgendwas darüber erzählt?«

Ich nickte. »Ein wenig. Sie hat mir ein Bild gezeigt. Es ist eine Statue aus schwarzem Stein von der Größe einer Faust, Sieht aus wie ein geflügelter Drache mit kleinen Rubinen als Augen. Uralt, mächtig, unbezahlbar, bla bla bla.«

Sara kniff wieder die Augen zusammen, aber diesmal war es dieser gefährliche Lass-es-nicht-drauf-ankommen-Blick. »Erläutere den Bla-bla-bla-Teil etwas genauer.«

»Sie hat mir nicht gesagt, wofür man es benutzt oder worin seine Macht liegt. Ich soll mich bei Royce einschleimen, um mehr darüber herauszufinden. Inklusive des Verstecks.«

Entsetzt sah sie mich an. Ich hätte ihren Gesichtsausdruck witzig gefunden, wenn ich am gestrigen Abend nicht genauso geguckt hätte, als ich zum selben Schluss gekommen war wie sie gerade eben. »Du musst persönlich mit diesem Blutsauger reden? Von Angesicht zu Angesicht? Du bist verrückt!«

»So verrückt nun auch nicht.« Ich bemühte mich, sie nicht merken zu lassen, dass mir bei ihren Worten vor Angst das Adrenalin in die Adern schoss. »Reporter interviewen ihn ständig, ohne dass es Probleme gibt. Er taucht regelmäßig in seinen Restaurants und Nachtclubs auf und es gab nie irgendwelche Vorfälle. Bis auf letztes Jahr, als dieser Weißhut bei der Eröffnung seines neuen Restaurants La Petite Boisson versucht hat, ihn zu pfählen. Erinnerst du dich?«

Wow, ich war super. Meine Stimme hatte während dieser Ansage nicht einmal gezittert.

Sie lachte leise, und ihre blauen Augen funkelten amüsiert. »War das nicht der Typ, der die Frau des Bürgermeisters in die Bowle geschubst hat?«

Ich lächelte zurück und entspannte mich ein wenig. »Genau der. Der Schuss ging für die Weißhüte nach hinten los. Die arme, missverstandene Minderheit der Vampire …«

»Ja, ich glaube, sie hat Royce sogar auf die Wange geküsst, nachdem er ihr aufgeholfen und den gesamten Vorfall heruntergespielt hat. Der Klatschpresse hat es gefallen.« Saras Miene wurde wieder ernst. Ich wappnete mich, weil ich ahnte, was kommen würde. »Du weißt, dass er trotzdem gefährlich ist. Ich bitte dich. Ein Vampir!« Es folgte eine unheilvolle Pause, bevor sie fortfuhr: »Wie und wo willst du ihn überhaupt treffen?«

Ich konnte nicht verhindern, dass ich unter ihrem misstrauischen Blick errötete. Meine blasse Haut wird zwar schnell rot, aber dieses Gespräch wurde mir auch mit jeder Minute unangenehmer. »Ich wollte mich als Restaurant- und Nachtclubkritikerin vorstellen. Es gibt auf seiner Internetseite einen Eventkalender, in dem genau verzeichnet ist, wann er in seinen Clubs auftaucht. Ich dachte, das wäre die beste Art, in seine Läden reinzukommen, um mit ihm zu reden.«

Sie schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. Ich wollte protestieren, aber sie kam mir zuvor. »Das kann nicht funktionieren. Er hat seine Presseabteilung und Marketingleute, die sich um die Journalisten kümmern. Ganz abgesehen von der Security. Sie würden dich auf Meilen erkennen. Du arbeitest oft in der Gegend, und seit der Sache in der Botschaft bist du ziemlich bekannt. Das mag dir nicht aufgefallen sein, weil sie uns in den Clubs in Ruhe lassen, aber das machen sie nur, weil wir normalerweise niemanden belästigen. «

Jetzt war es an mir, die Stirn in Falten zu legen. Ich hatte die Journalistenidee für einen Geniestreich gehalten. »Was schlägst du vor?«

Sie grinste mich an, und mir schwante, dass mir ihre Idee nicht gefallen würde. »Geh als du selbst. Ohne Vorwand.«

Ich lachte ungläubig. »Nimmst du mich auf den Arm? Erst wird er mir ins Gesicht lachen — und mich dann rausschmeißen. Und wie kommst du darauf, dass er diesmal mit mir reden wird, was er die hunderte Male, die ich vorher schon in seinen Clubs war, nicht getan hat?«

»Vertrau mir, Shia.« Ihr neunmalkluger Gesichtsausdruck wurde gegen alle Erwartung noch selbstgefälliger. »Ich habe eine Idee.«

KAPITEL 3

Der Rest des Tages zog sich wie Kaugummi. Ich steckte bis zum Hals in Papierkram, den ich nach meinen letzten Aufträgen noch erledigen musste. Damit war ich bis kurz nach dem Mittagessen beschäftigt. Anschließend wollte Jenny ein paar Zahlen mit mir durchsprechen.

Normalerweise ließ ich das Sara erledigen, aber sie war nach dem Mittagessen verschwunden, um ihre neuste Zielperson zu suchen, einen charmanten, liebestollen Teenager, der vor drei Wochen aus dem Haus seiner Eltern weggelaufen war. Es war nicht das erste Mal, dass er abgehauen war, aber dieses Mal war er mit einem Vamp durchgebrannt. Seine Eltern waren fanatische Weißhüte (eingetragen, mit kurzen Antivampir-Pamphleten in der Tasche – kein Witz). Der Junge zählte jedoch zu den Gruftis. Von daher war sein Verschwinden weder besonders überraschend noch unerwartet. Zumindest für Sara und mich.

Da der Junge neunzehn war (und die Eltern irre), kümmerte sich die Polizei keinen Deut um das Problem. Sie hatten pro forma alles getan, was auf eine Vermisstenanzeige folgte — es wurden eine Suchmeldung rausgegeben und ein paar Plakate aufgehängt. Und dann hatte das freundliche Ehepaar Borowsky gewartet, bis die Spur quasi kalt war, bevor sie uns engagierten.

An der Stelle kam Saras clevere Idee ins Spiel, wie ich Royce treffen konnte. Ich würde in einen seiner Läden gehen, mich nach dem Jungen erkundigen und dann sagen, dass ich das Management sprechen wollte. Schließlich war Royce der einflussreichste Vampir in der Stadt. Fast jeder Blutsauger in drei Staaten musste seine Schritte, Geschäfte, politischen Bestrebungen und — am wichtigsten — wen er ›verwandelte‹ mit Royce absprechen. Er müsste mir zumindest den Schöpfer des Vamps nennen können, der mit dem Jungen durchgebrannt war.

Also hatte ich jetzt einen legitimen Grund, um mit ihm zu reden. Deswegen fühlte ich mich trotzdem nicht besser.

»Shia? Hast du gehört, was ich gerade gesagt habe?«

Ups. »Tut mir leid, Jen, was?« Es kostete mich echte Anstrengung, mich auf die Zahlen vor meinen Augen zu konzentrieren. Ich hasse Buchhaltung.

»Ich habe gesagt, dass wir zwei unserer Lizenzen nächste Woche verlängern müssen, und selbst mit der Anzahlung vom Circle wird es knapp bei der Miete und den Versicherungen. Wir schreiben rote Zahlen.«

Ich blinzelte. »Wie bitte?«

Jenny seufzte, drehte sich um und zeigte auf eine Tabelle im Computer.

»Siehst du das hier? Mit dem, was ihr mir zahlt, plus Gas, Strom und noch ein paar anderen Sachen, arbeitet ihr mit Verlust. Hat Sara das nicht mit dir besprochen? «

Ich schüttelte den Kopf und wurde langsam wütend. »Wie lange weißt du das schon? Wann hast du es Sara zum ersten Mal gesagt?«

»Nachdem wir es vor sieben Monaten kaum geschafft haben, die Miete zu zahlen. Ich weiß nicht wie, aber Ms Halloway …« Oh Gott. Wenn sie Sara ›Ms Halloway‹ nannte, dann saßen wir wirklich in der Tinte. »… hat das Geld irgendwie aufgetrieben und den Tag gerettet. Sie hat uns schon ein paar Mal aus der Bredouille geholfen. Es tut mir leid, ich hätte früher etwas gesagt, aber ich dachte, du wüsstest es.«

Was hieß, dass Sara ihren Geldbeutel öffnete, um uns über Wasser zu halten. Super.

Einer der Vorteile, mit Miss Sara Jane Halloway zu arbeiten, bestand darin, dass ihre Eltern sehr erfolgreich mit Aktien und Immobilien gehandelt hatten, bevor sie vor drei Jahren bei einem schrecklichen Unfall ums Leben kamen — ein betrunkener Fahrer auf der Autobahn, der ihren Wagen und drei oder vier weitere gerammt hatte. Sara und ihre jüngere Schwester Janine hatten je zur Hälfte geerbt — und jetzt waren beide sehr, sehr wohlhabend.

Janine und die restlichen Verwandten wurmte es, dass Sara nicht entsprechend der Familientradition in den Immobilienhandel einstieg, sondern sich zusammen mit mir als Privatdetektivin selbstständig gemacht hatte. Janine war auch nicht in die Immobilienbranche gegangen, aber aus irgendeinem Grund erwartete sie von Sara, dass sie die Lücke füllte und das Imperium leitete.

Obwohl sie das nie zugeben würde, war ich mir fast sicher, dass Sara nur deshalb als Privatdetektivin arbeitete, weil es ihre Familie auf die Palme trieb.

Wir hatten uns vor fünf Jahren auf dem College kennengelernt. Ich arbeitete an einem Abschluss in Strafrecht, sie bemühte sich halbherzig um einen Doppelabschluss in Betriebswirtschaft und Körperschaftsrecht. Ich versuchte panisch, meine Noten gut genug zu halten, um mein Stipendium nicht zu verlieren. Sie dachte gerade darüber nach, alles hinzuschmeißen und einen längeren Urlaub in den Hamptons zu verbringen.

Nachdem wir ein paar Kurse gemeinsam besucht hatten, half ich ihr ein wenig und drängte sie, wenigstens das Semester durchzuziehen. Am Ende des nächsten Jahres hatten wir beide unsere Abschlüsse und waren enge Freundinnen. Ich traf ihre Eltern ein paarmal, als Sara mich zu Partys oder anderen Feierlichkeiten auf den Besitztümern ihrer Familie mitnahm. Die Eltern waren so weit ganz nett, aber mit dem Rest ihrer Verwandtschaft konnte ich nicht viel anfangen, besonders nicht mit der neurotischen, ständig jammernden Janine.

Viel öfter lud ich sie ins Haus meiner Eltern ein — ein kleines, in die Jahre gekommenes Haus auf einem Hügel mit Blick über die Meerenge. Es war winzig im Vergleich zu dem, was Sara gewöhnt war, aber die Wärme und Zuneigung meiner irisch-katholischen Familie sorgten dafür, dass sie viel lieber zu uns ging als zu ihrem eigenen Clan.

Ich hatte es zu schätzen gewusst, dass Sara mir geholfen hatte, das Anfangskapital für meine verrückte Idee aufzubringen. Aber ich hatte ihr auch von Anfang an gesagt, dass wir das Geschäft verkaufen würden, wenn es keinen Gewinn abwarf. Ich wollte keine Belastung sein und noch weniger ein Schmarotzer. Ich hasse es, Leuten etwas zu schulden.

Sie hatte ein wenig gezickt und protestiert, aber schließlich hatten wir uns geeinigt. Ich hatte ihr inzwischen sogar den Großteil des Anfangskapitals zurückgezahlt, das sie mir vorgestreckt hatte. Noch ein paar Aufträge wie der letzte und ich würde schon bald alle Schulden abgetragen haben.

Mir gefiel die Idee nicht, die Detektei zu verkaufen, aber ich wollte auch nicht in den Ruf kommen, nur wegen des Geldes mit Sara befreundet zu sein. Davon hatte ich schon auf dem College genug ertragen. Und mit zwei erfolgreichen Brüdern im Nacken war ich nicht gerade begeistert von der Idee, meinen Eltern sagen zu müssen, dass mein Geschäft nicht lief. Sie warfen mir sowieso ständig vor, dass ich Privatdetektivin war und nicht wie Mike als Anwalt arbeitete. Besonders meine Mom brachte diesen Punkt gerne an, dicht gefolgt von dem Vortrag, dass es höchste Zeit sei, zu heiraten und ein paar Enkelkinder in die Welt zu setzen. Sara zog mich regelmäßig damit auf und brachte es auch noch Wochen später aufs Tapet.

Aber ich wollte Jenny nicht noch länger warten lassen. Also holte ich tief Luft, riss mich zusammen und erzählte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen. »Wenn Sara wieder da ist, spreche ich die Zahlen mit ihr durch. Hör mal, es ist Freitag. Warum nimmst du dir nicht früher frei? Ich muss mich sowieso für heute Abend fertig machen. Vorher räume ich noch ein bisschen auf und schließe dann ab.«

In den braunen Augen hinter der Brille schimmerte ein Hauch von Mitleid, obwohl sie zuhause vermutlich sofort ihren Lebenslauf ins Internet stellen würde. Sie war davon überzeugt, dass wir untergehen würden. Aber mit Saras Großzügigkeit und meinem letzten Vertrag war ich sicher, dass wir aus diesem Loch wieder herauskrabbeln konnten.

Und warum machte mir die Situation dann so zu schaffen?

»Ich habe gehört, dass dein Job mit diesem Vampir zu tun hat, dem all die Nachtclubs gehören. Der ständig in den Nachrichten ist. Stimmt das?«

Ich zog eine Grimasse und nickte. Ihrem fragenden Blick wich ich aus.

»Sei vorsichtig, Shia. Diese Kreaturen sind gefährlich. «

»Ich weiß. Mach dir keine Sorgen. Ich habe nicht vor, mehr zu tun, als ihm ein paar Fragen zu stellen und wieder zu gehen. Vampire verursachen mir eine Gänsehaut.«

Sie legte die Hand auf meinen Arm, und ihr ernstes Gesicht, gepaart mit dem sorgenvollen Ton ihrer Stimme, überraschte mich. »Ich mache keine Witze, Shia. Meine Cousine ist vor ungefähr zwei Jahren gestorben, als sie einen … eins von diesen Monstern gedatet hat.«

Ich riss die Augen auf und erinnerte mich erst nach einem Moment daran, den Mund wieder zu schließen. »Das tut mir leid. Ich wusste es nicht. Wann? Warum hast du nichts gesagt?«

Sie schüttelte den Kopf, und diesmal war sie es, die den Blickkontakt mied. Ihre Stimme senkte sich zu einem gebrochenen Flüstern und in ihren Augen stand blankes Entsetzen. »Es passierte ein paar Monate, bevor ich bei euch anfing. Shia, du musst vorsichtig sein. Der Gerichtsmediziner — er hat gesagt, dass sie Stunden gebraucht hat, um zu sterben. Sie ist ausgeblutet. Sie haben sie … danach liegen lassen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass das jemandem passiert, den ich kenne. Nicht nochmal. Nicht dir. Bitte, nicht auch noch dir.«

Wie von selbst hob ich die Hand, um Jenny vorsichtig eine Träne von der bleichen Wange zu wischen. Dass sie selbst bei dieser sanften Berührung erzitterte, war beängstigend. Um ihretwillen lächelte ich und nahm ihre kalten Hände in meine. Ich versuchte, sie zu beruhigen, und zwang mich, meine eigenen Zweifel zu verbergen. Aber ich wusste, dass die Angst in meinen Augen meine Worte Lügen strafte.

»Ich passe auf. Ich verspreche es.«

KAPITEL 4

Royce’ Clubs sind genauso gut besucht wie seine Restaurants, wenn auch gewöhnlich etwas pikanter. Von Vamps geführte Lokale sind momentan ›in‹. Ich nehme an, manche Leute fasziniert der Gedanke, mit Blutsaugern zu verkehren.

Sein neuestes Restaurant La Petite Boisson (anscheinend klingt ›Das kleine Getränk‹ auf Französisch einfach besser) ist die Art von Lokalität, wo man den Bürgermeister, berühmte Persönlichkeiten, Staatsgäste aus anderen Ländern und Ähnliches trifft. Dort würde ich auffallen wie ein bunter Hund. Ganz abgesehen davon, dass ich mir in einem solchen Laden nicht mal ein Glas Wasser leisten konnte.

Glücklicherweise stand auf der Internetseite, dass Royce heute Abend im Underground sein würde, einem seiner weniger exklusiven Nachtclubs. Dort war ich schon oft gewesen. Die Türsteher kannten mich vom Sehen und ließen mich normalerweise an der Schlange vorbei, wenn ich mit ein paar Scheinen wedelte. Es ist nicht gerade mein Stammlokal, vor allem, weil es zur SM-Szene zählt. Die vorherrschenden Musikrichtungen sind harter Industrial oder dunkler Techno und unter der Decke hängen Käfige, in denen sich Tänzerinnen und Tänzer in engen Lederoutfits räkeln.

Vielleicht stellen sich manche Leute so einen angenehmen Abend vor, aber ich bekomme davon nur Kopfweh.

Bedauerlicherweise schien ein Großteil der Findediesen-betrügerischen-Mistkerl-Klienten zu glauben, dass ihre besseren Hälften in genau solchen Clubs abhingen. Noch bedauerlicher war, dass sie meistens Recht hatten. Ab und zu irrten sie sich, und ich durfte feststellen, dass er tatsächlich Überstunden machte. Einmal hatte der Freund, den ich überwachen sollte, heimlich einen zweiten Job angenommen, um für seine paranoide Freundin einen Verlobungsring zu kaufen. Ja, wirklich. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung für die Menschheit.

Nachdem ich im Büro noch ein wenig aufgeräumt hatte, schloss ich ab und ging nach Hause, um mich umzuziehen. Schwarze Hosen und eine Kostümjacke würden im Underground niemanden vom Hocker reißen. Als ich dann einen halben Block vom Club entfernt im Licht einer Straßenlampe stand, war ich froh, dass ich mir die Zeit dafür genommen hatte. Ich trug eine von den zwei schwarzen Lederhosen, die ich besitze, kombiniert mit einer weißen Bluse mit Fledermausärmeln. Dazu trug ich eine lange, militärisch geschnittene Wolljacke, um mich warm zu halten. Ich stopfte die Hände in die Taschen, starrte zu dem hässlichen Neonschild über dem Eingang und zitterte nicht nur wegen des beißenden Windes, der vom Fluss heranwehte.

Die Schlange war lang. Offenbar war ich nicht die Einzige, die heute Abend einen Blick auf den Clubbesitzer erhaschen wollte. Die Füße taten mir jetzt schon weh. Die Absätze an meinen Stiefeln waren für mich ungewohnt hoch, aber ich hatte ja auch nicht vor zu tanzen. Zumindest nicht viel. Schließlich war ich zum Arbeiten hier.

Ich seufzte leise, zog die zitternde Hand aus der Tasche und hielt meinen Kragen am Hals geschlossen, bevor ich schicksalsergeben die Straße überquerte und an der Latex- und Leder tragenden Menge vorbeiging, die hinter einer schwarzen Samtkordel anstand. Wie süß, jemand hatte seit dem letzten Mal, als ich hier war, kleine Handschellen an die Kordel gehängt. In der Luft hing ein verräterischer Duft, der nicht von Zigaretten stammte.

Das war die gute alte Clubszene, wie ich sie kannte und liebte. Es gab ehrlich nicht viele Unterschiede zwischen den von Vampiren geführten Clubs und denen mit menschlichen Eigentümern. Heutzutage entschied der Stammbaum des Besitzers darüber, ob etwas cool war oder nicht. Von Werwölfen geführte Restaurants und Bars waren weniger verbreitet, aber auch sie schienen mehr Gäste anzulocken als die von Menschen geführten.

Bruno, der blonde Türsteher zur Linken, war gebaut wie ein Lastwagen und konnte einen mit seinen riesigen Fäusten wahrscheinlich ungespitzt in den Boden rammen. Als ich dreist vor die Schlange trat, um ihn zu begrüßen, musterte er mich von oben bis unten. Ich streckte ihm die Hand entgegen, und er schenkte mir ein Hollywoodlächeln voller strahlend weißer Zähne. In meiner Handfläche waren die erwarteten Scheine versteckt, um durch Bestechung an der zwei Blocks langen Schlange von Möchtegern-Gästen vorbeizukommen. Sie warteten wahrscheinlich schon seit Stunden in der Kälte.

»Hey, Red, du siehst gut aus heute Abend.« Er winkte den anderen drei Türstehern zu und löste die Samtkordel, um mich durchzulassen. Meine Hand verschwand fast in seiner. Es sah aus wie ein Händeschütteln, aber in Wirklichkeit schnappte er sich die Kohle. Ich konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als er seinen breiten, schwieligen Daumen über mein Handgelenk gleiten ließ. Ich fragte mich kurz, ob er wohl meinen rasenden Puls spüren konnte, bevor ich die Hand zurückzog und rasch in die Jackentasche steckte.

»Hast du dich schon entschieden, ob du mein Angebot annimmst?«

Ich lachte, wenn auch etwas gezwungen. Igitt, dabei hatte ich mich so bemüht, das ›Angebot‹ zu vergessen, das er mir beim letzten Mal gemacht hatte.

»Noch nicht, Blondie. Vielleicht das nächste Mal.«

Einer der anderen Türsteher, der aussah, als wäre er neu, hielt mir die Tür auf. Ich ließ ihn nicht lange warten und stiefelte begleitet von lautstarken Beschwerden und einem Pfeifkonzert in den Club. Vielleicht hätte ich die Lederhosen nicht anziehen sollen.

Durch den Eingangsflur zu gehen war immer ein wenig einschüchternd. Es war ein kurzer, stockfinsterer Flur, nur erhellt von kurzen Stroboskop-Stößen, deren Lichtschein unter der Metalltür am Ende durchdrang. Ich spürte bereits die Vibrationen der Musik in meinen Knochen. Ich holte tief Luft, ließ die Hand in die Tasche meiner Lederhose gleiten und zog eine silberne Kette mit dazu passendem silbernem Kreuz hervor. Es war kein toller Schutz, aber zumindest sollte es Royce davon abhalten, auf dumme Gedanken zu kommen.

Nachdem ich mir die Kette um den Hals gelegt hatte und das Kreuz gut sichtbar auf meinem Brustbein lag, ging ich durch die Tür. An der Garderobe gab ich meine Jacke bei einem über und über tätowierten Kerl mit blauem Irokesenschnitt ab, der mehr Piercings hatte, als ich zählen konnte.

An der ersten Bar war es viel zu voll, also schob ich mich durch die Menge in Richtung der Tanzfläche im zweiten Raum. Der Laden hatte insgesamt vier Stockwerke mit drei Tanzflächen, wovon eine auch eine Bühne besaß. Daneben gab es eine Reihe ruhigerer Räume mit gemütlichen Sofas und zusätzlichen Shows. Hier konnte man sich vom Tanzen erholen oder sich an den Exhibitionisten aufgeilen, die oft ihre eigene Vorstellung gaben. Die »privaten« Räume, die es dem Hörensagen nach auch noch gab, und die Büros der Angestellten waren meines Wissens nach in den oberen Stockwerken. Ich war nie dort gewesen und hatte auch keinerlei Interesse daran. Besten Dank.

Vor einer Weile hatte ich mich mit einem der Barkeeper im ersten Stock angefreundet. James half mir oft dabei, meine Zielpersonen zu finden. Und wenn die gesuchte Person nicht auftauchte, konnte man sich mit ihm wenigstens nett unterhalten. Unglücklicherweise wurde er gerade so von Gästen belagert, dass er kaum Zeit hatte, mein Winken zu erwidern. Und da ging sie hin, meine tolle Idee, ihn zu fragen, wo ich Royce finden konnte.

Widerwillig schaute ich mich um und beschloss, meine nervöse Energie für ein paar Minuten auf der Tanzfläche abzureagieren, bis an der Bar ein Platz frei wurde. Ich musste mich beruhigen, sonst würde ich mich wie der letzte Trottel aufführen und auch so anhören, wenn ich den Vamp endlich gefunden hatte.

Ich folgte der am wenigsten nervigen Musik und stellte erleichtert fest, dass die dritte und kleinste Tanzfläche kaum gefüllt war. Ebenso wie die Bar daneben. Gloria halleluja!

Nach zwei Songs ohne Tanzpartner war mir sterbenslangweilig. Hier tanzten nur wenige Leute, sodass man sich nicht zu sehr auf die Pelle rückte.

Ich schlängelte mich um die zuckenden Körper auf der Tanzfläche herum, um zur Bar zu kommen. Dann wartete ich nur ein paar Minuten, bis mir der Barkeeper seine Aufmerksamkeit schenkte. Ich schrie ihm meine Bestellung von einer Flasche Wasser ins Ohr. So sehr ich mir auch etwas Stärkeres gewünscht hätte, um meine Nerven zu beruhigen und mir Mut anzutrinken —, hielt ich es für keine gute Idee, beschwipst einen Vampir zu befragen.

Einer der Männer, die träge an der Wand lehnten und die Tänzer beobachten, kam zu mir herüber. Es kostete mich Kraft, nicht aufzustöhnen und die Augen zu verdrehen. Der Typ war gekleidet wie der Großteil der Möchtegern-Gruftis auf der Tanzfläche, wenn auch ohne das weiße Make-up, den Eyeliner und die unzähligen Piercings. Geschätzt nach seiner glatten, ein wenig dunklen Haut war er Ende zwanzig, höchstens Anfang dreißig.

Ich wappnete mich für einen platten Anmachspruch, aber der Kerl überraschte mich mit seinen scharfsinnigen Worten.

»Allein, hm? Sie wirken nicht wie die üblichen Gäste. Was führt Sie hierher?«

Diese Direktheit gefiel mir. Ich nippte an meinem Wasser, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Es konnte nicht schaden, ihm die Wahrheit zu sagen. Zumindest würde er dann weiterziehen und sein Glück woanders versuchen.

»Ich hatte gehofft, den Clubbesitzer zu erwischen, um kurz mit ihm zu reden. Eigentlich wollte ich den Barkeeper nach ihm fragen. Er ist ein Freund von mir, hat aber gerade zu tun. Jetzt schlage ich die Zeit tot, bis es an der Bar leerer ist.«

Als ich genauer hinsah, entdeckte ich, dass er dunkle Haare hatte, die ihm bis auf die Schultern hingen und seine genauso dunklen Augen zum Teil verdeckten. Im dämmrigen Licht konnte ich nicht sagen, ob sie schwarz oder dunkelbraun waren. Er hatte markante Gesichtszüge, breite Schultern und einen flachen Waschbrettbauch, den ich durch sein schwarzes Netzhemd bewundern konnte. Seine Lederhosen schienen ihm auf den Körper gemalt zu sein und betonten die muskulösen Beine. Er sah (wage ich es zu sagen?) teuflisch gut aus.

Bei meiner Antwort zog er eine Augenbraue hoch, und sein Blick glitt zu dem Kreuz an meiner Halskette. Es war ein kurzer Blick, nicht lüstern, sondern interessiert. Trotzdem wurde ich rot. Kommen Sie schon, der Kerl schaute auf meine (wenn auch kleinen) Brüste. Und mit einem Kreuz um den Hals loszuziehen, um mit einem Vamp zu reden, war wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Entweder gehörte ich zu den Weißhüten oder ich stand ihnen zumindest nah. Das war nicht nur klischeehaft, sondern — je nachdem, wen man fragte — unhöflich.

Aber es war mir egal, ob ich einen gesellschaftlichen Fauxpas beging, so lang es dafür sorgte, dass Royce seine Reißzähne bei sich behielt.

Mit seinem nächsten Satz überraschte mich der Typ noch mehr: »Da kann ich Ihnen helfen. Folgen Sie mir.«

KAPITEL 5

Einem Fremden aus einer von Vamps geführten Bar folgen? Ich zögerte, aber nur kurz. Dann entschied ich, dass es immer noch besser war, mitzugehen, als selbst nach Royce zu suchen oder darauf zu warten, dass James einen Moment Zeit für mich hatte. Auf unserem Weg in die hinteren Bereiche des Clubs entging mir nicht, dass der Kerl von hinten fast genauso gut aussah wie von vorne. Na so was. Wenn das die Art von Leuten war, die sich in Royce’ Gefolge aufhielt, dann sollte ich vielleicht öfter herkommen, und wenn es nur zum Schauen war. Während ich ihm folgte, fragte ich mich, ob der Kerl zur Security gehörte oder zum Vamp-Futter.

Wir schlängelten uns durch die Massen bis zu einem Aufzug, der hinter einer Ecke verborgen lag, zu der ich noch nie vorgedrungen war. Sobald wir drin waren, zog er einen Schlüssel hervor und schaltete damit den Knopf für den mir bis jetzt unbekannten vierten Stock frei. Selbst im Lift konnte ich noch die Bässe der Musik hören, sodass es unmöglich war, sich zu unterhalten. Als der Aufzug fast unhörbar klingelte, bedeutete mir der Mann, vorzugehen. Er hielt mir die Tür auf, und ich betrat einen ruhigen, hell erleuchteten Flur. Zu beiden Seiten gingen schwere Mahagonitüren ab, die wahrscheinlich zu den Büros des Managements führten. Ich fühlte mich, als würde ich eine andere Welt betreten. Die nüchterne Ausstattung hätte besser in eine teure Anwaltskanzlei gepasst als in einen Nachtclub. Sobald die Lifttüren sich geschlossen hatten, hörte ich nur noch das sanfte Plätschern des Zierspringbrunnens, in dem Wasser über Steine rieselte.

Der Mann ging geräuschlos an mir vorbei und führte mich zu der letzten Tür am Ende des Flurs. Es gab kein Schild, das verraten hätte, wessen Büro es war. Er öffnete die Tür, schaltete das Licht an und trat ein.

Vor mir lag ein eleganter Raum mit weißem Teppich und weißen Wänden. Zwei Chrom-und-Leder-Sessel standen vor einem schwarzen Schreibtisch, und zwei schwarze Ledersofas umrahmten einen glänzenden Marmortisch. Der Mann bat mich, auf einem der Sofas Platz zu nehmen, was ich ein wenig steif tat. Meine Wasserflasche behielt ich in der Hand, da ich keine Untersetzer sah und ich es nicht riskieren wollte, den Vamp zu verärgern, indem ich Flecken auf seinen hübschen, glänzenden Tisch machte.

Nachdem ich mich gesetzt hatte, bemerkte ich eine kleine Bar mit zwei Barhockern aus Chrom in einer der Ecken. Auf dem Schreibtisch lagen keine Papiere, sondern nur ein Stift, ein Kalender und ein silberner Briefbeschwerer in Form einer kleinen Pyramide. Kein Computer? Kein Telefon? Seltsam.

An den Wänden hingen geschmackvolle, englische Gemälde mit Reitern und Jagdszenen. Ein paar Topfpflanzen, überwiegend Farne und Efeu, brachten ein wenig Farbe in den Raum. Die Aussicht hinter dem Schreibtisch war fantastisch und zeigte die mondbeschienene Flussmündung ins Meer. Irgendwie verband sich die Mischung aus moderner Schlichtheit und englischem Lord zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre. Ich weiß nicht, was ich von Royce’ Büro erwartet hatte, aber jedenfalls nicht das.

Nachdem ich alles gemustert hatte, sagte ich: »Vielen Dank, dass Sie mich hier hochgebracht haben. Ich hoffe, ich habe Ihnen keine Umstände bereitet. Kommt Royce in absehbarer Zeit?«

Der Mann lachte leise, schloss die Tür und setzte sich auf das andere Sofa. Dann überraschte er mich wieder, als er sich zurücklehnte und die Füße mit den Kampfstiefeln auf den Tisch legte.

»Er ist hier. Was wollten Sie mich fragen, Ms Waynest? «

Oh Gott!

Allein mit ihm in seinem Büro. Allein mit einem Vampir. O Gott, und ich hatte ihm auf den Hintern geschaut!

Als er sah, dass mir die Kinnlade runterfiel und ich plötzlich sprachlos war, grinste er und ermöglichte mir damit einen unnötig guten Blick auf seine perlweißen Eckzähne. Da sie gerade nicht zum Saugen ausgefahren waren, kamen sie mir kaum länger vor als bei einem Menschen. Aber die rasiermesserscharfen Spitzen waren nicht zu übersehen, zumindest für mich.

»Sie sind überrascht. Machen Sie sich keine Sorgen, ich weiß, dass sie geschäftlich hier sind und nicht zum Vergnügen. Ich nehme an, dass sie nicht erwartet haben, mich unter diesen Umständen zu treffen?«

»Ähm, nein, nicht wirklich.«

Nicht in knallenger Lederhose und mit durchsichtigem Netzhemd. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass er so gut aussah und so … lebendig. Etwas machte mich jedoch misstrauisch. Er war auf mich zugekommen, und jetzt hatte er mich bei meinem Namen genannt. Ich war ihm nie zuvor begegnet. Warum also sollte er mich ansprechen?

»Woher wussten Sie, wer ich bin?«

Er zuckte mit den Achseln und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sein Blick ließ meinen nicht los, und das wurde jede Sekunde nervenaufreibender.

»Ich lege Wert darauf, mich mit denen vertraut zu machen, die meine Lokalitäten für eigene Zwecke nutzen. In natura sind Sie übrigens viel hübscher. Dieses Bild in der Zeitung letzten Monat wurde Ihnen nicht gerecht.«

Verdammt. Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, aber ich würde mich nicht von seinen Schmeicheleien ablenken lassen. Damit mein rotes Gesicht von meinen Locken verborgen wurde, senkte ich den Kopf und wühlte in meiner Handtasche nach dem Bild, das ich mitgebracht hatte. Wie konnte ein Vamp besser gebräunt sein als ich?

»Ich … Hören Sie, eigentlich wollte ich Sie um Ihre Hilfe bitten. H&W-Ermittlungen hat einen Klienten, dessen Sohn verschwunden ist. Er wurde das letzte Mal gesehen, als er das Haus fluchtartig mit einem Vampir verließ.«

»Verstehe.«

Diese nichtssagenden Worte waren nicht gerade ermutigend. Royce saß reglos da und schwieg. Es war gespenstisch. In diesem Moment bemerkte ich, dass sich seine Brust nicht hob und senkte, um zu atmen. Er bemühte sich nicht mehr, für mich den Menschen zu spielen. Toll.

Ich fand das Bild schließlich in der hinteren Hosentasche. Es war nur leicht zerknittert. »Das ist der Junge, David Borowsky, und seine Freundin Tara. Kommt Ihnen einer der beiden bekannt vor?«

Als er sich vorlehnte, um das Bild zu nehmen, berührten sich unsere Finger. Beinahe hätte ich mich geschüttelt. Sein Blick huschte von dem Foto zu mir, dann konzentrierte er sich voll auf das Bild. »Hm«, murmelte er und runzelte die Stirn. »Sie gehört nicht zu mir. Und auch nicht zur Herde eines meiner momentanen Gäste. Sie wildert.«

Wildern. Nur zu hören, dass er so beiläufig ein Wort benutzte, das bedeutete, dass ein Vamp das Leben eines Menschen auslöschte, verursachte mir Übelkeit.

Als ich schwieg, sah er mich nachdenklich an. »Ich werde Ihnen helfen, sie zu finden. Sie sollten sich eine Befugnis für ihre Vernichtung holen. Haben Sie die nötigen Verbindungen?«

Ich schüttelte den Kopf und konnte mein Glück kaum fassen. Das würde ihn zumindest für ein paar Tage an mich binden und damit hatte ich vielleicht den Zugang, den ich brauchte, um diese kleine Statue zu finden. Ich wunderte mich jedoch, dass er mich erkannt hatte und gleichzeitig nicht wusste, dass ich keine Vernichtungen ausführte. H&W ist auf verschwundene Personen, Überwachung und Verfolgung spezialisiert, plus Fotografieren und Videoüberwachung unserer Zielpersonen. Wenn wir im Laufe eines Auftrages ein Verbrechen aufdeckten, überließen Sara und ich den Rest unseren Klienten oder der Polizei. Meine Kontakte in den zuständigen Polizeidienststellen waren ziemlich locker und nicht intensiv genug, um kurzfristig eine solche Befugnis zu bekommen.

»Dann werde ich mich für Sie darum kümmern.« Er zeigte auf das Foto. »Kann ich es behalten?«

»Sicher«, krächzte ich und fühlte mich der Situation nicht gewachsen. Was zur Hölle tat ich hier? Ich musste verrückt sein, bei einem Auftrag einen Vampir zum Partner zu nehmen.

»Sehr schön. Ich bin sicher, dass wir die Informationen irgendwo in den Akten haben. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir sicherheitshalber Ihre Karte hier zu lassen? Ich werde Ihnen auch meine Durchwahl geben.«

Er stand mit gletscherartiger Langsamkeit auf, um zu seinem Schreibtisch zu gehen. Dort nahm er den Stift und zog eine Schublade auf, um eine Visitenkarte herauszuholen. Wahrscheinlich bewegte er sich absichtlich so langsam, damit ich nicht noch mehr Angst bekam. Er kritzelte etwas auf die Rückseite der Karte und kam zum Sofa zurück. Wir tauschten die Karten, und dieses Mal gelang es mir, nicht zusammenzuzucken, als sich unsere Finger berührten. Zumindest nach außen erschien ich ruhig. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass mein Magen etwa auf Höhe meiner Knie hing.

Als das erledigt war, streckte er mir seine Hand entgegen. Es kostete mich einen Moment, zu verstehen, dass er mir auf die Füße helfen wollte. Ich zögerte bei der Vorstellung, meine Hand in seine zu legen und noch schlimmer, es war ein merkliches Zögern. Er lächelte, aber nicht verärgert, sondern amüsiert.

»Ich beiße nicht ohne Erlaubnis, Ms Waynest. Oder wollten Sie noch ein wenig bleiben und sich mit mir unterhalten?«

Oh nein! Ich schüttelte heftig den Kopf. Wahrscheinlich zu heftig, aber ich ergriff seine Hand und stand schnell auf, ohne dass er viel dazu beitrug. Er hatte mein Zittern wahrscheinlich gespürt, egal wie kurz die Berührung gewesen war. Ich hatte jedenfalls gespürt, wie kalt er war; und das jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.

»Soll ich Sie nach unten begleiten?«

Nachdem ich mühsam geschluckt hatte, gelang es mir, ein paar Worte hervorzupressen. »Nein, ich finde den Weg allein.« Ich zögerte wieder. Meine nächsten Worte fühlten sich an, als hätte ich Glasscherben im Mund: »Vielen Dank, Mr Royce. Ich melde mich.«

Er grinste, und ich erhaschte noch einen Blick auf seine Reißzähne. Dann wandte er sich ab und ging zum Fenster. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, und wie aus weiter Ferne drangen seine Worte durch den Nebel meiner Angst: »Das Vergnügen war ganz meinerseits, Ms Waynest. Ich bin mir sicher, dass wir uns bald wieder sprechen. Gute Nacht.«

KAPITEL 6

A