The promises we made. Als wir uns wieder trafen - Simona Ahrnstedt - E-Book

The promises we made. Als wir uns wieder trafen E-Book

Simona Ahrnstedt

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Beschreibung

Früher war es Liebe, jetzt ist sie sein Bodyguard. Die Zeit der Gefühle ist vorbei. Doch was, wenn das Herz das anders sieht? Als Teenies waren sie hoffnungslos ineinander verliebt. Doch ihre Liebe zerbrach. Mittlerweile ist Dessie eine toughe Security-Expertin, mit Gefühlen hat sie nicht viel am Hut. Sam hat aus dem Nichts ein Hotelimperium aufgebaut und viele Neider. Er braucht dringend einen Bodyguard. Ist es Schicksal, dass ausgerechnet Dessie sein Leben schützen soll? Sie war seine erste große Liebe, die Frau, die sein Herz brach. Dessie ist fest entschlossen, ihr Herz diesmal aus dem Spiel zu lassen. Doch wie soll sie einen Typen beschützen, der sie einst im Stich gelassen hat? Vor allem wenn aus dem Jungen von einst ein verboten attraktiver Mann geworden ist.

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The promises we made. Als wir uns wieder trafen

Die Autorin

Simona Ahrnstedt kam 1967 in Prag zur Welt und zog als Kind mit ihren Eltern nach Schweden. Sie ist Psychologin und Verhaltenstherapeutin. Ihre Romane stehen in Schweden regelmäßig an der Spitze der Bestsellerliste. Sie wird die skandinavische Queen of Romance genannt. Sie ist die erste schwedische Liebesromanautorin, deren Romane ins Englische übersetzt und in den USA erscheinen werden. Simona Ahrnstedt lebt mit zwei Teenies in der Nähe von Stockholm.

Das Buch

Eine Personenschützerin und die erste Liebe, die eine zweite Chance bekommt  Als Teenies waren sie hoffnungslos ineinander verliebt. Doch ihre Liebe zerbrach. Mittlerweile ist Dessie eine toughe Security-Expertin, mit Gefühlen hat sie nicht viel am Hut. Sam hat aus dem Nichts ein Hotelimperium aufgebaut und viele Neider. Er braucht dringend einen Bodyguard. Ist es Schicksal, dass ausgerechnet Dessie sein Leben schützen soll? Sie war seine erste große Liebe, die Frau, die sein Herz brach. Dessie ist fest entschlossen, ihr Herz diesmal aus dem Spiel zu lassen. Doch wie soll sie einen Typen beschützen, der sie einst im Stich gelassen hat? Vor allem wenn aus dem Jungen von einst ein verboten attraktiver Mann geworden ist.

Simona Ahrnstedt

The promises we made. Als wir uns wieder trafen

Roman

Aus dem Schwedischen von Maike Barth

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe im Ullstein Paperback 1. Auflage Juli 2021 © für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021 © Simona Ahrnstedt 2020 Titel der schwedischen Originalausgabe: Med hjärtat som insats (Forum, Stockholm) Published by agreement with Salomonsson Agency Umschlaggestaltung: zero-media, München Umschlagmotive: © FinePic®, MünchenFoto der Autorin: © Kate GaborISBN: 978-3-8437-2614-6

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

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Nachwort

Leseprobe: The one that I want

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

~ 1 ~

 

Grußwort

Hallo liebe deutsche Leser*innen,

ich freue mich riesig, euch Dessie und Sam vorzustellen und ihre Geschichte mit euch in meinem neusten Roman zu teilen.

Die Idee zu einem weiblichen Bodyguard kam mir während eines Urlaubs (erinnert ihr euch, als man noch reisen konnte??), und ich bin so glücklich, wie die Geschichte letztendlich geworden ist. Ich hoffe, sie gefällt euch auch.

Viel Spaß beim Lesen und eine große Umarmung aus Schweden!

Tschüss!Simona

~ 1 ~

Sam Amini warf einen demonstrativen Blick auf seine Rolex. Dann sah er ebenso demonstrativ zur Wanduhr hinter dem Empfangstresen. Er hasste es, warten zu müssen, und jetzt waren es schon zehn Minuten über der verabredeten Zeit.

»Er kommt gleich«, sagte die Rezeptionistin, die sich als Johanna vorgestellt und seinen Blick bemerkt hatte.

»Danke!« Sam blickte sich in der Rezeption von Lodestar Security um. Nicht zum ersten Mal. Der fensterlose, anonyme Raum hätte ebenso gut zu einem Wirtschaftsprüfer gehören können, aber Lodestar auf der Insel Kungsholmen in Stockholm war der beste private Sicherheitsdienstleister in Schweden. Er beschäftigte ausschließlich ehemalige Militärangehörige und Polizisten. Johanna mit der leisen, freundlichen Stimme würde ihn vermutlich auf zehn verschiedene Arten töten können. Hierher kam man, wenn man Probleme hatte. Und die hatte Sam.

Große Probleme.

Wieder schaute er auf seine Uhr. Stand auf und setzte sich abermals hin. Johanna schenkte ihm ein reizendes, aber auch bestimmtes Lächeln, das ihm bedeutete, dass er störe und damit aufhören solle. Sam griff sich ein Wirtschaftsmagazin vom Tisch. Von der ersten Seite blickte ihm ein bekanntes Gesicht entgegen: Douglas Ankarcrona, sein ehemaliger Geschäftspartner und Kumpel. Beim Gedanken an ihn musste er grinsen. Douglas und er waren damals wirklich komplett durchgeknallt gewesen. Sie hatten zusammen studiert, zusammen gefeiert und zusammen ihr erstes Unternehmen gegründet. In Interviews und Pressemitteilungen hatten sie sich selbst großspurig als verrückte Visionäre bezeichnet. Verrückt, ja, hatten die meisten Journalisten befunden.

»Hallo, Sam! Entschuldige, dass du warten musstest. Wir hatten ein akutes Problem im Irak«, sagte Tom Lexington, als er die Rezeption betrat und Sam die Hand hinstreckte.

Sam legte die Zeitschrift weg. »Kein Problem.« Sogar er kapierte, dass akute Probleme im Irak dringender waren als die eines nervösen Hotelkönigs. Er erhob sich, und sie gaben sich die Hand. Sam hatte zwar schon mit Tom telefoniert, aber heute begegneten sie sich zum ersten Mal. Tom Lexington war ein beeindruckender Mann, dunkelhaarig und breit wie ein Schrank. Der Beste in seiner Branche, laut Sams Freund und Mentor, dem Finanzmagnaten David Hammar. Das war Sam gerade recht, denn er zog es vor, mit den Besten zu arbeiten.

Tom führte ihn in einen Konferenzraum. Die Fensterscheiben waren getönt, die Wände mattgrau, eine Glaswand gab den Blick in die Büros frei, und Sam vermutete, dass alle Räumlichkeiten praktisch uneinnehmbar waren. So arbeitete Tom Lexington nun einmal, das hatten alle gesagt, bei denen Sam sich erkundigt hatte. Sicherheit hatte bei Tom höchste Priorität, was Sam sehr gelegen kam. Er brauchte seriöse Partner, denn wie es schien, steckte er ernsthaft in der Klemme.

»Also, Sam Amini, womit kann ich dir helfen?«

Sam leitete die Hotelkette Responsibility, die ihm auch gehörte. Er hatte eintausendfünfhundert Angestellte, und er war zur Zielscheibe geworden. »Ich brauche jemanden, der meine aktuelle Sicherheitslage analysiert.«

Tom lehnte sich in seinem Stuhl zurück, formte mit den Händen ein Dreieck und nickte. Sam vermutete, dass Tom schon alles über ihn gelesen hatte, was verfügbar war.

»Und warum kommst du gerade jetzt zu mir?«

»Ich bin daran gewöhnt, dass sich die Leute an mir reiben«, begann Sam. Das war schon so, seit er als Zwanzigjähriger an die Öffentlichkeit getreten war. Damals war er der Skandalpromi gewesen, jedermanns bevorzugtes Hassobjekt, und er hatte gelernt, mit jedem Stuss, der über ihn geschrieben wurde, umzugehen. Das machte ihm heute nichts mehr aus. Aber hier ging es um etwas anderes. »Ich werde bedroht. Das Unternehmen und ich.«

»Welche Art von Drohungen?«

»Hass-Mails. Extrem intensive Aktivitäten im Netz.«

Die Hotelbranche war viel komplexer, als die meisten glaubten. Im Prinzip verkaufte man sein Produkt an Menschen auf der ganzen Welt und musste sie dann dazu bringen, an diesen einen bestimmten Ort zu reisen. Sams Hotels hatten zufriedene Gäste, was man auch an den Bewertungen ablesen konnte. In der letzten Woche hatten alle Hotels der Responsibility-Gruppe allerdings haufenweise negative Bewertungen erhalten. Dabei handelte es sich ganz offensichtlich um einen gezielten Angriff. »Und ein paar eigenartige Vorfälle«, fügte er hinzu.

Heutzutage sahen sich Unternehmensbosse fast schon automatisch einem Bedrohungsszenario gegenüber. So war es einfach. Sam, der als Flüchtling aus dem Iran gekommen war und sich darüber hinaus für die Zukunft eingewanderter Jugendlicher, die Umwelt und die Chancengleichheit engagierte, erhielt eigentlich ständig mehr oder weniger bizarre Drohungen. Dass er sich in der Öffentlichkeit provokativ gab, trug dazu bei, das war ihm klar. Einige Menschen konnten es schlichtweg nicht ertragen, dass ein Mann wie er eine Meinung zu gesellschaftlichen Fragen hatte. In seinen eigenen Augen war er einfach nur »Sam« oder vielleicht noch »Sam aus Akalla«, aber für viele andere war er ein Schlag ins Gesicht. Allein schon wegen seines Aussehens. Das war zermürbend.

»Diesmal fühlt es sich anders an«, fuhr er fort. »Als ob eine geplante Operation dahinterstecken würde.«

Sam hatte sich schon immer auf sein Bauchgefühl verlassen, und als er gestern eine Mail bekommen hatte, in der stand, »du gehörst aufgeschlitzt, du Araberschwein«, und heute eine mit »du sollst verrecken«, hatte er entschieden, dass es jetzt so weit war.

»Kürzlich ist ein Auto direkt auf mich zugerast. Ich weiß nicht, ob ich mir das einbilde.«

Tom hörte zu.

»Ich habe auch ein paar Anrufe bekommen. Dass ich mich vorsehen soll oder dass sie mich abknallen, wenn sie mir auf der Straße begegnen. Aber das Schlimmste ist, dass sie meine Mutter bedroht haben.«

Gestern hatte seine Mutter angerufen und ihm erzählt, dass sie eine SMS bekommen hatte, in der stand, ihr Sohn sei Ungeziefer und sie würden ihn kaltmachen. Sam konnte die Angst in Azitas Stimme nur schwer ertragen. Er selbst war vor allem wütend.

»Wir können uns das einmal anschauen. Hast du die Polizei informiert?«, fragte Tom.

»Wir haben Anzeige erstattet, aber es hat sich nichts getan.« Sam konnte sich nicht einmal mehr darüber aufregen. Schon als er neunzehn war, hatte er sein Vertrauen in die Polizei vollständig verloren und seitdem auch nicht wiedergefunden.

»Ja, so läuft es leider meistens. Wenn ich ehrlich sein soll, bekommst du sogar noch weniger Unterstützung für präventive Maßnahmen, wenn du reich bist. Sie gehen davon aus, dass du es dir leisten kannst, dich selbst darum zu kümmern. Sie würden es zwar niemals zugeben, aber so ist es. Du musst schon ziemlich übel zusammengeschlagen werden, damit sie deine Anzeige nicht nach ganz unten in den Stapel legen.«

»Ich möchte möglichst gar nicht zusammengeschlagen werden. Die Drohungen gegen mich habe ich alle aufgehoben.«

»Was glaubst du, wer dahintersteckt?«, fragte Tom.

Darüber hatte sich Sam natürlich auch schon seine Gedanken gemacht. »Ich würde auf Rechtsextreme tippen.« Sie machten ihm das Leben zur Hölle, hassten ihn für alles, hassten ihn dafür, dass er der war, der er war. Sie rotteten sich zusammen, bewerteten in regelmäßigen Abständen auf verschiedenen Internetportalen seine Hotels negativ und organisierten Hasskampagnen in den sozialen Medien und auf der Seite des Reiseforums Flashback. Meist ignorierte er das und versuchte, sein Leben normal weiterzuleben, aber jetzt nahm das Ganze gerade völlig neue Dimensionen an.

»Ich habe in der letzten Zeit ziemlich im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Wir haben ein Event eines bekannten schwedischen rechtsextremen Politikers abgesagt, und er hat sich auf Twitter darüber beschwert. Ich vermute, dass sie das getriggert hat. Und ich weiß nicht, ob du davon gelesen hast, aber wir wollen hier in Stockholm ein großes Hotel eröffnen, Lux by Mälaren. Wir haben dort ganz bewusst viele Migranten eingestellt, was für ziemliches Aufsehen gesorgt hat.«

»Ich habe davon gehört. Was erwartest du von uns?«

»Zum einen will ich wissen, inwieweit ich Grund zur Beunruhigung habe, vor allem was mein Personal betrifft, zum anderen brauche ich jemanden, der mich in Sicherheitsfragen berät.« Responsibility war ein großes Unternehmen, und es war höchste Zeit für gebündelte Sicherheitsmaßnahmen. Wenn seinen Angestellten, für die er schließlich eine Fürsorgepflicht hatte, oder einem seiner Gäste etwas zustieße oder sogar seiner Mutter – hier lief ihm ein Schauer das Rückgrat hinunter –, würde er damit nicht leben können.

Tom wischte über sein iPad. »Wie ich sehe, hast du früher eine andere Sicherheitsfirma beauftragt. Weshalb kommst du jetzt zu uns?«

Sam gefiel dieser Mann. Tom stellte direkte Fragen und wusste offensichtlich, was er tat. »Ich will den Besten haben, und David Hammar sagte, das seist du. Die andere Firma war ganz in Ordnung.« Wenn man zwei Meter große Muskelpakete wollte, die überall auffielen.

»Ich hätte da ein paar passende Leute«, sagte Tom. »Aber zuerst sammeln wir Informationen, und zwar umfassend. Denn wir sind die Besten. Und wir führen gründliche Hintergrundrecherchen durch.«

Tom Lexington musterte Sam durchdringend und ohne zu blinzeln. »Ich erwähne das nur, um klarzustellen, dass wir alles herausfinden werden. Auch solche Dinge, die du vielleicht lieber verschweigen möchtest.«

»Das ist okay«, antwortete Sam. Toms Männer durften seine Geschäfte gern eingehend unter die Lupe nehmen.

»Dann schlage ich Folgendes vor«, sagte Tom.

Sam blickte durch die Scheibe des Konferenzraums und war kurzzeitig abgelenkt. Eine Bewegung und eine Farbe draußen vor dem Raum hatten seine Aufmerksamkeit erregt. Er war im Allgemeinen nicht unkonzentriert, aber es gab gewisse Dinge, auf die er immer noch reagierte, auch noch nach so vielen Jahren.

Er konnte einen blonden Kopf erahnen und ein bestimmtes Profil, das er bisher noch bei keiner anderen Frau gesehen hatte.

Er musste es sich eingebildet haben. Das kam hin und wieder vor. Dass er glaubte, sie zu sehen. Aber es war niemals sie, sondern immer eine Fremde.

Mal abgesehen davon, dass sie es diesmal wirklich war.

Zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren hatte Sam sich nicht getäuscht. Sie war es, und sie war hier.

Er rührte sich nicht. Tom Lexingtons leise Stimme verklang. Sam starrte, ohne zu blinzeln, vor sich hin, und die Erinnerungen überrollten ihn. Das hysterische Weinen. Die Anschuldigungen und der unerhörte Verrat. All das, wovon er sich nie mehr erholt hatte. Es kam ihm vor, als sähe er wieder das Blaulicht damals in der Frühlingsnacht und als hätte er wieder den Geschmack des Alkohols im Mund. Abermals durchlebte er die höhnischen Blicke und all die Gefühle, von denen er sich geschworen hatte, sie niemals wieder an sich heranzulassen.

»Sam?«

Toms Stimme erreichte ihn wie durch einen langen Tunnel. Der Puls hämmerte in seinen Schläfen und dröhnte ihm in den Ohren. Er zwang sich dazu zu atmen. Sich zusammenzureißen. Für einen kurzen Moment war er wieder in jene Nacht zurückversetzt gewesen. Er hatte die Schreie förmlich hören können.

Sam zeigte durch die Scheibe des Konferenzraums. »Arbeitet sie hier?«, fragte er so gleichgültig er konnte.

Tom war seinem Blick gefolgt. »Meine rechte Hand.« Seine Stimme klang entspannt, aber Sam hörte dennoch die Frage darin.

Er räusperte sich und warf Tom einen betont gelassenen Blick zu. »Tatsächlich?« Das Ganze klang so unwahrscheinlich. Dessie Dickson. In einer Sicherheitsfirma. Sie arbeitete doch sicher in der Verwaltung?

»Sie ist eine der Besten in meinem Team«, sagte Tom.

Sam starrte ihn als, als ob er angekündigt hätte, gleich aus dem Fenster zu springen und einen Rundflug zu machen. Dass Dessie im Personalmanagement oder in der Rechtsabteilung arbeitete, hätte er sich noch vorstellen können. Aber Personenschützerin? Sein Herz hämmerte wie der Kolben einer Dampflok. Das war Schicksal. Es konnte nur Schicksal sein. Aber was hatte es zu bedeuten?

»Macht sie das, wovon wir gesprochen haben? Hintergrundrecherchen?«

»Sicher, aber …«

»Kann ich sie haben?«, sagte er, ohne nachzudenken. Hätte er das getan, hätte er natürlich nicht nach ihr gefragt. Hätte er nachgedacht, dann wäre er aufgestanden und gegangen, statt um die Unterstützung der Frau zu bitten, die seine Jugend zerstört hatte. Aber die Worte waren raus.

»Ich weiß nicht …«

Sam betrachtete den groß gewachsenen Securitychef, schätzte ihn in Sekundenschnelle ein und manipulierte ihn mit Leichtigkeit. »Ist sie nicht gut?«

Toms Gesicht zuckte, als ob Sam ihn geohrfeigt hätte. »All meine Mitarbeiter sind gut«, entgegnete er brüsk.

»Aber?«

»Sie ist mehr als bloß gut.«

Klar. Sam sah wieder zu dem blonden Kopf hinüber. Dessie hatte schon immer in allem geglänzt, was sie anpackte: Schule, Sport, Herzenbrechen.

»Dann will ich sie.« Jetzt war er sich sicher. Er wollte, dass Dessie durch sein Unternehmen ging, für ihn arbeitete, sah, was er erreicht hatte. Dann bekäme er vielleicht sein … sein … was? Er wusste es nicht. Seine Rache? Seinen Abschluss?

»Bist du dir sicher?«, fragte Tom.

Und wie, dachte Sam nachdrücklich, nickte aber nur, weil er wusste, dass seine Stimme ihn verraten würde.

Dessie. Was für eine Ironie, dass er ihr ausgerechnet hier begegnen musste.

»Ja, ich will sie«, sagte er dann gefasst und in entspanntem Ton. »Unbedingt.«

Ja, dachte er, wieder und wieder. Er saß da wie versteinert und unterdrückte all seine Gefühle.

Ja!

~ 2 ~

Nein!

Dessie Dickson duckte sich blitzschnell hinter den Computerbildschirm und versuchte so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Aber sie wusste, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Sie kannte den dunkelhaarigen, groß gewachsenen Mann, der sie durch die Scheibe des Konferenzraums hindurch anstarrte.

Eswar er.

Dessie blieb hinter dem Computer hocken, denn was hätte sie auch sonst tun sollen?

Es hatte damit angefangen, dass sie plötzlich ein Brennen an ihrer Stirn gespürt hatte wie von einem Laserstrahl. All ihre Instinkte und Reflexe, all das, was sie an einigen der gefährlichsten Orte der Welt am Leben erhalten hatte, hatte sie gewarnt. Hatte ihr befohlen, sofort die Flucht zu ergreifen. Und, hatte sie darauf gehört?, dachte Dessie bitter, als sie sich hier wie ein Feigling verkroch. Keineswegs. Schließlich saß sie ja im Büro, wo sie in Sicherheit war. Also hatte sie die Gefahrensignale ignoriert und stattdessen den Kopf gehoben, um zu sehen, was los war. Und da war er.

Sam Amini.

Wie ein Geist aus der Vergangenheit.

Vielleicht hätte sie ahnen sollen, dass dieser Tag komplett in die Hose gehen würde. Manche Tage waren einfach so. Doch in letzter Zeit hatten sie sich gehäuft. Schlechte Tage. Schlechte Nächte. Erinnerungen und Geheimnisse, die wieder hochkommen wollten. Mentale Barrieren, die zu kippen drohten. Dinge, die sie getan hatte und die sie nun wieder einholten.

Eigentlich hatte es gestern schon angefangen. Nach einem langen Arbeitstag mit jeder Menge Papierkram, Besprechungen und Problembewältigung war Dessie zu ihrem ersten Tinderdate seit Ewigkeiten gehastet. Mit einem Sachbuchautor. Er schrieb als Ghostwriter Biografien für Prominente, und Dessie hatte schon zwei Tage lang mit ihm gechattet. Sie hatte ihn treffen wollen, um auf andere Gedanken zu kommen und vielleicht ein bisschen Sex zu haben, um einen Teil der Dunkelheit und der Angst zu verjagen, mit der sie zu kämpfen hatte, seit DEM EREIGNIS. Das war jedenfalls der Plan gewesen. Ein netter Fremder auf Tinder, was konnte da schon schiefgehen? Als sie chatteten, schien er ihr ganz okay zu sein. Er mochte IPA-Bier, joggte und reiste gern. Ein ganz gewöhnlicher Typ. Ziemlich witzig. Viel mehr erwartete sie gar nicht. Sie hatten sich in einem Hipsterpub auf Kungsholmen getroffen, ein paar Gläser getrunken, und sie war schon drauf und dran, mit ihm nach Hause zu gehen, als er den Mund aufgemacht und gesagt hatte: »Wie, Black Lives Matter? Alle Leben sind doch wohl gleich wichtig?«, als sie sich gerade über etwas unterhielten, was sie beide im Internet gelesen hatten.

Dessie war erstarrt, hatte sich aber gedacht, dass er ja vielleicht einfach nur keine Ahnung hatte. »Ja, genau. Aber wenn du das so sagst, meinst du es ja eigentlich gar nicht«, hatte sie entgegnet.

»Ich habe ja wohl ein Recht auf meine eigene Meinung«, hatte er gesagt, wobei seine Nasenflügel vor Empörung bebten.

Dessie hatte sich bemüht, höflich und pädagogisch zu sein. »Auf jeden Fall, aber das ist ja keine Meinung, sondern eher eine Wertung, und zwar eine Scheißwertung.«

»Black Lives Matter ist umgekehrter Rassismus. Darf man Weiße etwa nicht mehr verteidigen?« Er hatte defensiv geklungen, und zu ihrer Schande musste Dessie bekennen, dass sie den Bruchteil einer Sekunde gezögert hatte. Sie wollte Sex, wollte ihren eigenen Gedanken mal für ein paar Augenblicke entkommen, wollte sich wie eine normale junge Frau ohne Traumata und blutige Geheimnisse fühlen. Aber das funktionierte nicht. Der Typ war ein Arschloch, und das hatte sie ihm auch gesagt, laut, und dann war sie gegangen, während er ihr beleidigt hinterhergerufen hatte, dass man offenbar in diesem gottserbärmlichen politisch korrekten Land überhaupt nichts mehr sagen dürfe. Sie war erst spät nach Hause gekommen, denn sie wohnte in Gåshaga ganz am anderen Ende von Lidingö und wollte um keinen Preis ein Taxi nehmen, also war sie zuerst mit der U-Bahn und dann mit der Lidingöbanan durch die Gegend gejuckelt und erst nach Mitternacht zu Hause gewesen. Sie hatte miserabel geschlafen, wie immer seit … seit dem Ereignis, dem Schrecklichen, das im letzten Jahr geschehen war und das sie weit mehr belastete, als sie zunächst gedacht hatte. Selbstverständlich belastete es sie. Schließlich waren dabei Menschen umgekommen.

Heute Morgen war sie früh aufgestanden und eine Sechs-Kilometer-Runde am Wasser gelaufen, hatte im Wohnzimmer Liegestütze gemacht und dann rasch geduscht, und nun saß sie hier im Büro, schwitzte nach und war völlig neben der Spur. Außerdem war ihr Haar widerspenstig, egal, wie viel sie föhnte, stylte oder hochsteckte, und dann tauchte auch noch Sam Amini auf. Wie eine scharfsichtige, breitschultrige und durch und durch grauenhafte Erinnerung an ihre Vergangenheit. Ausgerechnet er musste hier und heute aufkreuzen. Sam, der erste Mann, den sie je geliebt hatte. Sam, der sie vernichtet hatte, sodass sie Jahre gebraucht hatte, um sich davon wieder zu erholen.

Dessie streckte den Rücken durch und zog ihre weiße Hemdbluse zurecht. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass sie Sicherheitsexpertin war und keine verletzliche und unerfahrene Neunzehnjährige mehr mit dem Herz in der Hand. Sie war darauf gedrillt, zu kämpfen, zu schießen und sich zu verteidigen. Sie hatte Selbstmordattentäter in Afghanistan überlebt, Scharfschützen in Somalia und testosterongesteuerte kampfgeile Militärs in Schweden. Da hatte sie keine Angst vor Sam und den Gefühlen, die er vor langer Zeit in ihr geweckt hatte. Sie hatte keine Angst, und sie empfand auch nichts. Nicht das Geringste. Sie hatte einfach nur beschlossen, sich hier hinter dem Computer und dem Bericht, den sie gerade schrieb, zu verschanzen.

»Desirée?«

Dessie blickte auf. Tom war lautlos neben sie getreten.

»Ja, Boss?« Dessie bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, sie sei hellwach und hoch motiviert. Sie hatte eine Schwäche für Tom, er war ein toller Chef, und sie war seine rechte Hand, die Kronprinzessin und Second in Command. Sich seines Vertrauens würdig zu erweisen, stand auf all ihren Listen an oberster Stelle. Tom war einfach so: Für ihn wollte man sein Bestes geben. Dessie schwor sich selbst, bald seinen Erwartungen gerecht zu werden. Sie musste nur zuerst noch die grauenhaften Ereignisse des letzten Sommers verarbeiten. Die Angst überwinden, die Erinnerungen und die Albträume. Und natürlich dafür sorgen, dass die Ereignisse nicht noch weitere Folgen hatten, weder für sie selbst noch für einen der Menschen, die sie liebte.

Sie atmete tief durch. Aber danach, wenn sie das alles hinter sich hätte, würde sie wieder ihr bestes und zuverlässigstes Selbst sein. Und nie, nie wieder irgendwelche katastrophalen Fehler begehen. Niemals wieder, schwor sie sich im Stillen.

»Hast du Zeit?«, fragte Tom.

Er betrachtete sie forschend, als sähe er ihr an, dass sie dunkle Geheimnisse hatte, und versuchte sie zu ergründen. Tom hatte sie schon etliche Male gefragt, wie es ihr gehe, aber sie hatte entgegnet, es sei alles in Ordnung, es gehe ihr gut. Er schien nicht wirklich überzeugt, und da standen sie nun und waren sich des anderen nicht mehr sicher.

Dessie versuchte sich aus der Affäre zu ziehen. »Ich sitze gerade an der Analyse der …«

Tom unterbrach sie. »Ich habe einen neuen Kunden, den ich dir vorstellen möchte. Er hat nach dir gefragt.«

Es war offensichtlich, wen Tom damit meinte. Er und Sam hatten bestimmt eine Stunde im Konferenzraum miteinander gesprochen, zwei ernste dunkelhaarige Männer mit gerunzelten Brauen und zurückhaltender Körpersprache. Und dann war Tom aufgestanden und auf sie zugekommen.

»Aber …«, begann sie mit einer vagen Geste in Richtung Computer.

»Komm mit«, sagte er und machte auf dem Absatz kehrt.

Tom war ein ehemaliger Elitesoldat und Hauptmann bei den Streitkräften, und Dessie gehorchte ihm reflexmäßig.

Widerstrebend folgte sie ihm, nahm den Ausblick durch die getönten Fensterscheiben wahr, das glitzernde Wasser, die einzelnen Stockholmer Stadtteile. Sie gingen durch die offene Bürolandschaft, wo ihre Kollegen in voneinander getrennten Sitzgruppen ihre Einsätze besprachen.

Lodestar wuchs unaufhörlich und wimmelte nur so von kompetenten Mitarbeitern. Derzeit befanden sich an die zwanzig Angestellte im Büro, aber die meisten Mitarbeiter waren im Einsatz, sowohl in Schweden als auch weltweit. Man könnte sagen, dass die Leute von Lodestar die Besten der Besten waren. Männer und auch ein paar Frauen, die man praktisch überallhin schicken konnte, um praktisch jedes Problem zu lösen. Wenn sie sich in diesem Umfeld auch weiterhin behaupten wollte, würde sie tun müssen, was von ihr verlangt wurde. Dessie schaute zu ihren Kollegen Bashir und Isak hinüber, die soeben aus Syrien zurückgekehrt waren, wo sie einen entführten Arzt befreit hatten. Johanna Skott glitt an ihr vorüber, um Kaffee zu holen. Sie war nicht nur Rezeptionistin, sondern auch ihre beste Verhandlungsführerin bei Geiselnahmen. Eine Frau, die sich geschickt im Hintergrund hielt und kein Aufhebens um sich machte, aber eine ihrer besten Sicherheitskräfte war.

Wusste irgendeiner ihrer Kollegen, was Dessie im letzten Sommer getan hatte? Nein, das war doch wohl nicht möglich? Sie hatten doch sicher keine blasse Ahnung davon? Tom nutzte die allmorgendlichen Besprechungen dazu, Recht und Gesetz, Moral und Integrität zu predigen. »Niemand steht über dem Gesetz«, erinnerte er sie immer wieder. Das war der Grundsatz von Lodestar. »Sicherheitsfirmen stehen immer unter Beobachtung. Niemand soll Lodestar bei irgendwelchen Unregelmäßigkeiten ertappen«, hatte er erst letzte Woche gesagt und einen Mitarbeiter gefeuert, der an einem illegalen Waffengeschäft beteiligt gewesen war. Die Woche davor hatte einer der Leibwächter gehen müssen, weil er mit einem Auftraggeber im Bett gewesen war. Es nahm Tom jedes Mal richtig mit, wenn er sich nicht auf seine Leute verlassen konnte. Er war einer der moralischsten Menschen, die Dessie kannte. Neben seinen zwei Kindern, die er über alles liebte, waren der Ruf und der gute Name von Lodestar sein drittes Baby. Alle wussten das.

»Alles in Ordnung?«, fragte er und warf ihr noch einen prüfenden Blick zu. Ihr wurde klar, dass sie sich zusammenreißen musste. Immer häufiger sah er sie mit diesem prüfenden Gesichtsausdruck an.

»Alles gut«, log sie. Sie hasste es, vor Tom Geheimnisse zu haben, aber es war besser, dass er nichts wusste. Besser für ihn und besser für das Unternehmen.

»Super. Das ist Sam Amini«, sagte Tom.

Als wüsste Dessie nicht ganz genau, wen sie vor sich hatte. Sie zwang sich, den wohlbekannten Augen zu begegnen, seine kantigen Gesichtszüge zu sehen.

Die Erinnerungen brachen wie eine Sturzflut über sie herein. Gefühle, die sie begraben, und Gedanken, die sie nicht mehr gedacht hatte. Das war doch grotesk. Sie war erwachsen. Damals waren sie Teenager gewesen, und sie hätte längst damit abgeschlossen, alles vergessen und begraben haben müssen.

Sam musterte sie. Es war unmöglich, seine Gedanken zu lesen, und Dessie war immerhin Expertin für Körpersprache. Sie erwiderte seinen Blick, ob eine Zehntelsekunde oder mehrere Minuten lang – sie hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Die Jahre hatten seine Gesichtszüge markanter und erwachsener gemacht, aber auch schärfer und unversöhnlicher. Trotzdem waren sie ihr so vertraut, dass ihr Herz unregelmäßig schlug, als wollte es das Unerhörte daran betonen, dass Sam und Dessie sich wieder begegneten. Dies war der Mann, der ihr, während er sich in ihr bewegte, zugeflüstert hatte, dass dies für immer sei, dass er sie liebe, dass er ihr gehöre und sie ihm. Um sich dann in jeder Hinsicht von ihr abzuwenden, mental, seelisch und körperlich. Sie hatte nicht gewusst, dass etwas so wehtun konnte. Eine Zeit lang hatte sie geglaubt, sie müsse sterben, und hatte sich fast schon darauf gefreut, nur um diesen Schmerzen zu entkommen. Eine Teenagerliebe, hatten die Leute gesagt. »Sei froh, dass du ihn los bist«, ihre Mutter. »Das geht vorüber«, hatten ihr alle versichert. Und es war ja auch vorübergegangen. Zumindest hatte sie das geglaubt. Bis jetzt.

Dessie zwang sich, die Rückenlehne des Stuhls loszulassen, und schob beide Hände in die Taschen ihrer hellgrauen Anzughose. Sam hatte ihr nicht die Hand gegeben, also tat sie das auch nicht. Erkannte er sie überhaupt wieder? Schließlich war das schreckliche Wochenende, an dem ihr ganzes Leben in Trümmer gegangen war, schon viele Jahre her. Und sie selbst hatte sich ebenfalls verändert. Sie war nicht mehr die junge, naive und blauäugige Neunzehnjährige. Sie hatte sich selbst sorgfältig wiederaufgebaut und war stärker geworden. Selbstsicherer. Unabhängiger. Ihr Herz war von einer stabilen Mauer umgeben und uneinnehmbar wie eine Festung.

»Und das ist Desirée Dickson. Wie gesagt: eine der besten Personenschützerinnen von Lodestar«, fuhr Tom fort.

Ein Glitzern trat in Sams Augen. Nicht mehr als die Andeutung eines Funkelns, die auch eine Spiegelung der Lampe oder der Leuchtstoffröhren hätte sein können. Aber Dessie wusste auf einmal: Sam erinnerte sich an sie. Er wusste genau, wer sie war, und das war auch der Grund dafür, dass er und Tom jetzt vor ihr standen.

Ihr ganzes militärisches Training, die harten, strapaziösen Jahre, die nur die Zähesten durchstanden, hatten schon vor langer Zeit allen Hass in Dessie ausgelöscht. Man war kein guter Personenschützer, wenn man sich durch das Leben hasste. Hass war eine irrelevante Emotion. Dessie bildete Lodestars Personal dazu aus, nicht impulsiv zu handeln, sondern in schwierigen Situationen ruhig zu bleiben, und so war sie auch selbst, beherrscht und analytisch. Doch jetzt schien all ihre Geistesgegenwart sie verlassen zu haben. Wie konnte Sam es wagen, hierherzukommen und sie treffen zu wollen? Hatte er das Recht dazu nicht schon vor fünfzehn Jahren verspielt?

Sie registrierte seine ebenso vertrauten wie fremden Gesichtszüge. Sog seinen neuen Duft ein. Früher hatte er nach Seife und Waschmittel gerochen, jetzt duftete er nach teurem Aftershave mit Sandelholz und Teer. Früher hatte er verwaschene T-Shirts und Jeans getragen, jetzt trug er einen langärmeligen pechschwarzen Rippenpullover mit kleinen Knöpfen am Hals, schwarze Cargohosen und eine goldene Uhr am Handgelenk. Smart. Casual. Sie kämpfte gegen ihre Erinnerungen an und versuchte, die Wucht ihrer Gefühle in den Griff zu bekommen. Früher einmal hatte sie Sam so sehr geliebt, dass sie für ihn die Sterne vom Himmel geholt hätte. Sie war verliebt und dumm gewesen und sicher, dass sie für immer zusammenbleiben würden.

Jetzt wusste sie es besser.

~ 3 ~

Sam hätte einiges darum gegeben zu erfahren, was Dessie gerade dachte. Aber ihre Miene war ausdruckslos. Er konnte überhaupt keine Empfindungen darin entdecken, nur glatte, blasse Haut und einen unergründlichen Blick. Sie war noch die Dessie von früher und war es natürlich zugleich auch wieder nicht. Fünfzehn Jahre waren vergangen. Aber sie hatte noch die gleiche weiche Haut, die er stundenlang gestreichelt hatte. Dieselben grauen Augen mit den langen Wimpern. Das dicke blonde Haar, das zu einem strammen Pferdeschwanz zusammengebunden war. Er wusste noch, wie sich ihr Haar anfühlte, wenn er seine Hand darin begrub. Diese Gefasstheit sah ihr gar nicht ähnlich. Er erinnerte sich daran, wie sie nach Luft gerungen hatte, als er ihre Brust umfasst hatte, und wie sie ihre Schreie mit dem Handrücken gedämpft hatte, als sie unter seinen Fingern gekommen war. Von dem jungen, fröhlichen Mädchen, das ihn immer zum Lachen gebracht hatte, war nichts mehr zu sehen. Aus Dessie war eine ernste Frau geworden, und das brachte Sam aus dem Gleichgewicht. Von allen Berufen, die Dessie sich hätte aussuchen können – Juristin, Ärztin, Wissenschaftlerin –, war sie offenbar ausgerechnet Soldatin geworden. Er konnte es immer noch nicht richtig glauben, und es passte ihm nicht, vor ihr aus der Fassung zu geraten. Doch diese Wirkung hatte sie immer schon auf ihn gehabt. Sie hatte ihm das Gefühl gegeben, den Boden unter den Füßen zu verlieren, ausgeliefert und verletzlich zu sein. Vielleicht hatte er gedacht, dass diese Emotionen mit den Jahren verschwunden wären, dass fünfzehn Jahre ihn verändert hätten, ihn stärker und selbstsicherer gemacht hätten, doch da waren sie nun also wieder. Die Gefühle von damals. Komplex und gefährlich.

»Sam erwägt, eine neue Sicherheitsfirma zu beauftragen«, sagte Tom, der die frostige Stimmung überhaupt nicht wahrzunehmen schien. »Er interessiert sich für unser Security-Paket.«

Dessie hatte die Hände tief in ihren Hosentaschen vergraben. Ballte sie sie darin zur Faust? Sam war beklommen zumute.

Während er sich aus der Machtlosigkeit seiner Kindheit heraus- und aus der Armut hochgearbeitet hatte und von einem wütenden und frustrierten Jungen aus der Vorstadt zu einem erfolgreichen Unternehmer in der City aufgestiegen war, hatte er zugleich an sich selbst gearbeitet. Nach einigen ziemlich wilden und gut dokumentierten Jahren im Rampenlicht hatte er sich zielstrebig die Ecken und Kanten der Jugend abgeschliffen.

Je älter er wurde, desto sicherer war er seiner selbst, seiner Motive und seiner Fähigkeiten. Die meisten Lehrer und Studienberater hatten nicht an ihn geglaubt. Allzu viele Menschen hatten ihn bereitwillig wissen lassen, dass aus einem wie ihm nie etwas werden würde, und er hatte ihnen geglaubt und sie dafür gehasst. Aber er hatte gelernt, all das von sich abzuschütteln.

Sam versuchte die Frau, die vor ihm stand, sachlich und unparteiisch zu betrachten. Dessie war schön. Nicht so, dass es einem direkt ins Auge sprang, das war sie nie gewesen, sondern eine Frau, deren Schönheit man sich annähern musste, um sie schätzen zu lernen, um die intelligenten Augen und den sinnlichen Mund wahrzunehmen. Zu der grauen Hose trug sie eine weiße Hemdbluse – schlichte Kleidungsstücke, die die Linien und Kurven verbargen, an die sich Sam nur allzu gut erinnerte. Ihr einziger Schmuck waren kleine Goldohrringe, und sie trug auch keinen Ring am Finger.

»Er braucht jemanden, der die aktuelle Sicherheitslage in seinem Unternehmen gründlich unter die Lupe nimmt«, fuhr Tom fort.

Dessie nickte, als drehte sich das Gespräch lediglich ums Wetter. Bisher hatte sie noch kein Wort gesagt, sondern nur zugehört, ohne allzu großes Interesse zu zeigen. Erinnerte sie sich tatsächlich nicht an ihn? War das überhaupt möglich?

»Du weißt schon, dass wir uns schon einmal begegnet sind?«, konnte er sich nicht enthalten zu fragen.

Dessie hob eine lange, gewölbte Augenbraue.

»Du erinnerst dich vielleicht nicht an mich?«, sagte er rau. Verflixt, wieder einmal war es ihr gelungen, ihn zu verunsichern.

»Ich erinnere mich an dich.« Ihre Stimme war klar und deutlich. Der graue Blick unergründlich.

Sam hatte sich all die Jahre darum bemüht, sie nicht aus den Augen zu verlieren, auch wenn er das nie zugeben würde. Dann und wann, meistens, wenn er getrunken hatte oder wenn er gerade verlassen worden war, hatte er Dessie gegoogelt. Immer Dessie und nie eine andere Frau. Aber Dessie hatte ein Leben im Verborgenen geführt, und er erkannte, dass er nichts mehr von ihr wusste. Er hatte zum Beispiel nicht gewusst, dass sie hier arbeitete. Sie kam aus der oberen Mittelschicht, mit wohlsituierten Eltern, die gute Zeugnisse erwarteten. Sie war mit finanzieller Sicherheit und hohem sozialem Status aufgewachsen. All dem, das Sam nicht gehabt hatte. Wie war sie da bei Lodestar gelandet?

Sam sah sich selbst nicht als jemanden, der mit den Dingen haderte. Das führte zu nichts. Schließlich bedeutete hadern, sich mit sinnlosen Gedanken im Kreis zu drehen. Unsympathische Menschen, Tyrannen oder privilegierte Personen, die glaubten, alles denken und sagen zu dürfen – sie alle ignorierte Sam. Er ließ sie nicht zu Wort kommen oder zeigte ihnen die kalte Schulter. Diese Strategie funktionierte immer. Bei Säufern, die ihm sagten, er solle dahin zurückgehen, wo er hergekommen war, ebenso wie bei Schnöseln aus der Oberschicht, die sich noch nie Gedanken darüber machen mussten, wovon sie im nächsten Monat ihre Miete bezahlen sollten. Außer bei Dessie Dickson. Sie hatte er noch nie ignorieren können. Als er sie das erste Mal erblickt hatte, war die Welt stehen geblieben.

Sam wollte sich gerade Tom zuwenden, um ihm zu sagen, dass das Ganze doch keine gute Idee sei, als dessen Handy klingelte, laut und wütend.

»Gut, dass ihr euch schon kennt«, sagte Tom und starrte auf das Display. »Übernimmst du, Desirée? Das ist ein wichtiger Anruf.« Er hielt sein Handy hoch, weil wohl ein dritter Weltkrieg drohte, und verschwand mit langen Schritten, während er ins Mikro murmelte.

Sam und Dessie taxierten sich gegenseitig. Sie waren jetzt erwachsene Menschen, rief er sich ins Gedächtnis. Er war Unternehmensboss, und sie war genau das, was er brauchte: eine Sicherheitsexpertin.

Im Verlauf seines gesellschaftlichen Aufstiegs hatte Sam sich auch Gegner gemacht. Menschen, nach deren Geschmack er zu sehr in der Öffentlichkeit stand, denen er zu großspurig, zu heftig war. Zweifellos hatte er Feinde, und daher wäre es naiv, keine Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Und sosehr er Dessie als Privatperson auch misstraute, so hatte sie jedenfalls alles, was sie anpackte, stets gut gemacht. Klassenbeste. Hochintelligent. Beharrlich und stark und fleißig wie kaum jemand sonst. Ihre Kompetenz stellte Sam nicht infrage. Aber seiner selbst konnte er sich nicht sicher sein. War es klug, sich in eine Zusammenarbeit mit einer Frau zu stürzen, die ihn verraten und erniedrigt hatte – und ihm Narben zugefügt hatte, die bis heute nicht ganz verschwunden waren?

Er betrachtete ihr ausdrucksloses Gesicht und dachte daran, wie sie damals alle gegen ihn aufgehetzt hatte. An die Vorwürfe, die alles zerstört hatten. Wie er ihretwegen verprügelt worden war, wie ihre Eltern seine Mutter gedemütigt hatten. Shit, das hatte er beinahe vergessen. Wut kochte in ihm hoch. War Dessie eigentlich klar, was er seitdem alles erreicht hatte? Dass er erfolgreich war? Sam schämte sich beinahe dafür, dass er sich so sehr wünschte, dass Dessie wüsste, was er alles geleistet hatte. Er spielte verschiedene Szenarien im Kopf durch. Vielleicht konnte er eine Zeit lang mit ihr arbeiten und Tom dann mitteilen, dass es nicht funktioniere, ihn um einen männlichen Kollegen bitten, und damit wäre es das dann gewesen?

»Ist unsere gemeinsame Vergangenheit ein Problem für dich?«, fragte er und hoffte fast, dass sie Ja sagen würde. Dann könnte er sich auf sein eigentliches Ziel konzentrieren: sein Unternehmen zu noch größerem Erfolg zu führen und sein Personal und seine Mutter zu schützen, statt in dem Morast der Verzweiflung zu waten, der seine Jugend war.

»Keine Spur«, antwortete sie.

Ihre Stimme war tiefer, als er sie in Erinnerung hatte. Sanfter, aber auch gefährlicher, mit verborgenen Geheimnissen.

Plötzlich lächelte sie, und sein Blick wurde von dieser Bewegung angezogen. Diese Lippen hatte er geküsst, bis sie rot und geschwollen waren. Hatte zugesehen, wie sie ihn umschlossen. Hatte sie mit seinen Fingern berührt und es geliebt, dass die Unterlippe so viel fülliger war als die Oberlippe.

»Ist das etwa für dich ein Problem?«, fragte sie.

Dessies Augen waren kühl und grau, aber auf einmal sah Sam das, was er brauchte, um seine Entscheidung zu treffen. Hätte er sie nicht so genau beobachtet, hätte er nicht so dicht neben ihr gestanden, wäre es ihm entgangen. Aber jetzt sah er es. Einen Hauch von Verunsicherung. Nervosität. Er ließ sie nicht kalt.

»Quatsch«, antwortete er mit gespielter Unbekümmertheit.

»Na dann.« Sie warf ihm einen Blick zu, als wollte sie ihn herausfordern. Die Unsicherheit war wie weggeblasen, und sie belauerten sich wie zwei Kontrahenten im Ring. Man hätte die Luft zwischen ihnen mit einem Bajonett zerteilen können.

»Mein Assistent schickt dir alle Informationen«, sagte er kurz angebunden und trat einen kleinen Schritt zurück. Leo würde sich darum kümmern.

»Ich muss jetzt gehen, aber ich möchte, dass das Ganze rasch und effektiv erledigt wird. Bist du sicher, dass du das schaffst?«

Zwei rosa Flecken an ihrem Hals verrieten sie. Dessie definierte sich über ihre Kompetenz und hatte es schon immer gehasst, wenn jemand diese anzweifelte.

»Selbstverständlich schaffe ich das«, sagte sie kühl.

Um sie herum war die Geräuschkulisse der Büros zu hören, und irgendwo telefonierte immer noch Tom Lexington. Aber hier und jetzt gab es nur ihn und Dessie, eingeschlossen in eine Blase aus Misstrauen und Erinnerungen. Er bereute es natürlich jetzt schon. Aber er würde nicht einknicken. Nie wieder. Und schon gar nicht vor ihr.

~ 4 ~

»Du musst Kontakt zu deiner Wut bekommen«, sagte Dessie zu einer der Frauen, die sie ausbildete. Sie leitete einen Selbstverteidigungskurs für sechs Auslandskorrespondentinnen, und dieser Satz war ihr ständiges Mantra. Dass Frauen besser darin werden mussten, Zugang zu ihrer Wut zu finden und sie in einer Verteidigungssituation für sich zu nutzen. Dadurch hatte sie selbst wohl auch das überlebt, was ihr mit neunzehn passiert war, dachte Dessie, während sie zusah, wie die Frau ihren Mut für den Gegenangriff zusammenraffte – dass sie endlich zu ihrer eigenen Wut gefunden hatte.

Nach der Geburtstagsparty, auf der damals alles aus den Fugen geraten war, war Sam aus ihrem Leben verschwunden. Das letzte Mal, dass Dessie ihn gesehen und mit ihm gesprochen hatte, war an jenem Freitagabend, als der Streifenwagen ihn mitnahm. Sie selbst war ohne Antworten zurückgeblieben, zerschlagen und am Boden zerstört. Den Rest des Jahres war sie wie ein Zombie herumgelaufen. Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wie sie es geschafft hatte, die Abiturprüfung zu bestehen. Die ganzen Sommerferien hatten ihre Eltern sie bekniet, geschimpft und gedroht. »Dessie, du musst etwas unternehmen«, hatte ihre Mutter geweint, als Dessie es nicht einmal mehr schaffte, aus dem Haus zu gehen, geschweige denn sich auf das Jurastudium zu konzentrieren, zu dem sie angenommen worden war. »Wie kannst du mir das nur antun? Du warst doch immer so tüchtig.«

Es stimmte, sie war immer fleißig und brav gewesen, dachte Dessie, während sie beobachtete, wie die Journalistinnen den Puppen, die sie aufgebaut hatte, in den Schritt boxten. Hoden, Hals und Augen – das waren die verwundbaren Stellen eines männlichen Angreifers, und keine verließ ihren Kurs, bevor sie sich traute, diese Stellen zu attackieren. Sie war neunzehn Jahre alt gewesen, hatte sich in ihrem Mädchenzimmer in der Villa unter der Bettdecke verkrochen und kaum noch die Kraft zum Leben aufgebracht. In regelmäßigen Abständen war ihr Vater hereingekommen und hatte sie aufgefordert, sich zusammenzureißen. Aber wie machte man das? Wie riss man sich zusammen, wenn man am liebsten nichts und niemanden sehen wollte? Es hatte fast ein halbes Jahr gedauert, bis sie diese lähmende Trauer hinter sich lassen konnte. Doch dann war sie eines Morgens, als sonst niemand im Haus war, aufgestanden, um zu frühstücken, und hatte dabei eine Anzeige in Dagens Nyheter für eine Ausbildung bei den Streitkräften entdeckt, und spontan hatte sie noch in derselben Woche eine Bewerbung losgeschickt. Bis heute wusste Dessie nicht, was sie damals dazu bewogen hatte, diesen Schritt zu machen. Vielleicht hatte das Gemecker der Eltern eine Rolle dabei gespielt, oder vielleicht hatte sie es auch schlichtweg nur gründlich sattgehabt, immer das zu tun, was von ihr erwartet wurde. Womöglich hatte sie unbewusst erkannt, dass sie etwas brauchte, das sie wieder aufrichtete.

Beim Einstellungstest zeigte sie gute Leistungen, bestand alle körperlichen Tests problemlos, war gesund und hatte auch beim Sehtest perfekte Ergebnisse. Offenbar war sie die optimale Soldatin, woran auch ein gebrochenes Herz nichts änderte. Sie war schon immer geschwommen, Rad gefahren und hatte Sport getrieben und bewarb sich jetzt um Aufnahme in ein Jägerregiment. Sie erinnerte sich an die schockierten Gesichter ihrer Eltern, als sie ihnen den Brief mit der Zusage zeigte.

»Wem willst du damit etwas beweisen?«, hatte ihr Vater sie angefaucht. Er war Anwalt und hatte erwartet, dass sie in seine Fußstapfen treten würde. »Du bist ein Mädchen. Warum willst du mit einem Haufen Männer durch den Dreck robben? Glaubst du, das macht Spaß? Hast du unsere Familie nicht schon genug zum Gespött gemacht?«

»Was haben wir nur falsch gemacht? Du wirfst alles weg, was sollen die Leute dazu sagen?«, hatte ihre Mutter gejammert.

In gewissem Sinne konnte sie ihre Eltern sogar verstehen, dachte Dessie, während sie ihre Kursteilnehmerinnen beobachtete. »Super, Antonia«, lobte sie eine der Frauen, die soeben einen gezielten Tritt in den Schritt der Puppe gelandet hatte. Antonia hatte schwer kämpfen müssen, um ihre Aggressivität zu finden, zu Anfang hatte sie gekichert und herumgealbert, aber jetzt kämpfte sie wie eine Tigerin. Zu Dessies großer Freude.

Sie ging herum und leitete die schwitzenden, brüllenden und kickenden Frauen an, während ihre Erinnerungen weiter auf sie einstürmten. Ihre Mutter und ihr Vater hatten damals gerade große Probleme mit ihrer kleinen Schwester gehabt. Patricia, zwei Jahre jünger als Dessie und frühreif, war abwechselnd aufsässig und aggressiv, dann wieder liebreizend oder geradezu beängstigend überschwänglich gewesen. Mit zwei schwierigen, unbegreiflichen Töchtern waren sie nicht fertiggeworden. Ihr Vater verlangte, dass Dessie zur Vernunft komme und sich ihrem Jurastudium widme, und wandte sich danach wieder Patricia zu. Aber Dessie hatte genug davon, sich immer nur nach anderen zu richten. Nie wieder würde sie zulassen, dass jemand sie so verletzte wie Sam. Entschlossen packte sie ihre Koffer und zog zu Hause aus, um Soldatin zu werden.

Bei den Streitkräften hatte es ihr besser gefallen, als sie erwartet hatte. Endlich war sie wieder auf die Beine gekommen. Nach dem Grundwehrdienst hatte sie die Offiziersausbildung absolviert, aber das Soldatenleben sagte ihr am meisten zu, also bewarb sie sich mit Unterstützung ihrer Vorgesetzten bei den Spezialkräften in Karlsborg.

Wenn die Grundausbildung schon strapaziös gewesen war, war das noch gar nichts im Vergleich zu den Spezialeinsatzkräften. Dessie erinnerte sich mit einem Lächeln daran. Wahrscheinlich war es Glück, dass sie vorher nicht genau gewusst hatte, wie hart es werden würde. Es kam vor, dass sie innerhalb eines einzigen Tages mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug in eiskaltes Wasser springen und an Land schwimmen mussten, woran sich eine längere Schießübung anschloss, die mit einer Klettertour abgerundet wurde – all das mit schwerem Gepäck. Es gab keinerlei Vorzugsbehandlung für Frauen, die kleiner, leichter oder schwächer waren. Die Ausbildung hatte sie zu einer Expertin für Nahkampf, Personenschutz, Verhörtechnik, Krankenversorgung und Waffen gemacht. Genau genommen war sie zur Geheimagentin ausgebildet worden, dachte sie. Das war zweifellos das Härteste gewesen, was sie in ihrem Leben gemacht hatte. Aber sie war daran gewachsen! Es hatte ihre Selbstsicherheit enorm gestärkt, als sie entdeckte, dass sie Herausforderungen liebte, sich selbst zu pushen, immer weiterzumachen, auch wenn ihr Körper und ihr Hirn ihr zuschrien, sie solle aufgeben.

Alles, und zwar wirklich alles, in den Spezialeinheiten unterlag der Geheimhaltung. So kannten sie und die anderen einander beispielsweise nur unter ihren jeweiligen Codenamen. Ihrer war Foxy. Ein Name, den sie insgeheim geliebt hatte.

»Toll gemacht«, sagte Dessie, als sie die Stunde für heute beendete. Sie umarmten sich, und Dessie räumte die Sporthalle auf.

Als eine von nur ganz wenigen Frauen in der Welt war Dessie Elitesoldatin geworden. Sie hatte an geheimen Operationen teilgenommen und Dinge getan, die sie mit ins Grab nehmen würde. Schwedische Elitesoldaten wurden zu Einsätzen in die ganze Welt geschickt. Damals war sie zu der Frau geworden, die sie heute war. Eine Frau, die allein zurechtkam. Doch kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag hatte sie gemerkt, dass sie vielleicht auch noch etwas anderes ausprobieren wollte. Ihr Körper musste extrem viel einstecken, immer tat ihr irgendwo etwas weh, und außerdem war sie neugierig auf das Leben als Zivilistin und sehnte sich nach fließendem, sauberem Wasser und einem weichen Bett. Kurz darauf verließ sie die Truppe und begann für Tom Lexington und Lodestar zu arbeiten. Schwedische Offiziere, und besonders Frauen, waren heiß begehrt. Private Sicherheitsunternehmen wuchsen explosionsartig in Schweden, auch wenn nicht jedes ein gutes Ansehen genoss. Tom und Lodestar waren vor einigen Jahren von der Tageszeitung Aftonbladet heruntergemacht worden. Aber er besaß den Respekt der Branche. Er war äußerst integer, befolgte die Regeln und arbeitete unter anderem für das Außenministerium. Tom war The Real Deal.

Dessie nahm ihre Wasserflasche und machte das Licht aus. Sie war Leibwächterin im Irak gewesen, hatte entführte Schweden in Mali gerettet und verdeckte Operationen an den gottverlassensten Orten der Erde durchgeführt. Da würde sie ja wohl mit einem schwedischen Hotelkönig fertigwerden, dachte sie und zog die Hallentür hinter sich zu.

Frisch geduscht, das geföhnte Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, klopfte Dessie an den Türrahmen von Toms Büro. »Hast du einen Moment?«

Er winkte sie herein. Das Büro war voller Ordner und Papiere. Auf dem Tisch stand ein Foto von Toms Familie im Silberrahmen. Er wollte gern mehr Zeit mit seiner Frau Ambra und ihren zwei kleinen Kindern verbringen. Das hatte er Dessie bei einem ihrer Einsätze anvertraut. »Ich will weniger arbeiten«, hatte er gesagt. »Das Leben ist kurz, und ich habe auf jemanden wie dich gewartet. Ich möchte alles an dich übergeben.« Seitdem hatte er ihr alles beigebracht, was mit der Firma zu tun hatte, und sie ermuntert, sich weiterzubilden und sich Kenntnisse im Management anzueignen.

Dass ihr hier so viel Vertrauen entgegengebracht wurde, rührte Dessie immer noch. Frauen, die Bestätigung suchten, waren beim Militär schnell wieder weg vom Fenster. Vielmehr brauchte man eine innere Triebkraft, und die hatte sie gefunden. Es motivierte sie, die Beste zu sein, zu einem Team zu gehören und etwas zu bewegen. Mittlerweile war ihr Bedürfnis nach Bestätigung gleich null. Außer was Tom betraf, vielleicht. Sie nahm seinen Glauben an sie sehr ernst, arbeitete an ihrem MBA, einem Abendstudium für Führungspersönlichkeiten, und machte sich mit allen Fragen der Unternehmensführung vertraut. Es war hart, das in Teilzeit, zusätzlich zu ihrem Job, zu machen, aber sie wollte Tom nicht um alles in der Welt enttäuschen.

»Wie läuft’s?«, fragte er und bedeutete ihr, sich zu setzen.

»Ich bin fast fertig.« Sie hatte alle Informationen zusammengestellt, die sie von Sams Assistenten erhalten hatte, einem jungen Mann namens Leopold Garbo. Sie hatte die üblichen Streifzüge durch diverse Social-Media-Kanäle gemacht, potenzielle Bedrohungen aufgelistet und einen Maßnahmenkatalog erstellt.

»Dessie, ich weiß, dass das eigentlich unter deinen Fähigkeiten ist. Aber vielleicht brauchst du das?« Er betrachtete sie. »Als Abwechslung?«

Tom war fürsorglich, aber Dessie wollte nicht, dass er ihr Sonderrechte einräumte.

»Abwechslung wovon?«, fragte sie brüsk.

Aber Tom ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast dich verändert.«

»Was meinst du damit?«, fragte sie, obwohl sie es ja wusste. Sie war nicht sie selbst.

»Eine Second in Command, die neben der Spur ist, kann ich nicht brauchen. Erzähl mir, was los ist.«

»Ich bin aber nicht neben der Spur«, beharrte sie.

Tom betrachtete sie mit gequältem Blick. »Was ist letzten Sommer passiert?«

»Nichts«, log sie.

Im letzten Juni war sie in Toms Büro spaziert und hatte gekündigt, weil sie etwas tun musste, das Lodestar in Verruf bringen könnte. Sie würde lieber sterben, als dem Unternehmen zu schaden. Also hatte sie trotz seiner Proteste gekündigt, war in die Türkei gereist und hatte dort eine entführte Frau befreit. Das war die kurze Version. Die lange … Nun ja. Die lange Version war, dass der blutige Einsatz sie für das Leben gezeichnet hatte.

»Ich schlafe nicht so gut. Vielleicht liegt es an der Frühlingssonne? Sorry, Boss, ich werde mich zusammenreißen.«

Es war Tom anzusehen, dass er ihr nicht glaubte. Als sie einen Monat später erschöpft und übel zugerichtet zurückgekehrt war, hatte er sie wieder eingestellt, aber seitdem wirkte er nachdenklich, als wäre er sich nicht sicher, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

»Es ist nichts«, sagte sie mit Nachdruck.

Tom sah keine Spur überzeugt aus. Er konnte unglaublich hartnäckig sein.

»Du weißt, dass wir eine Psychologin unter Vertrag haben. Sie ist gut. Du solltest mit ihr sprechen. Mal ein paar Dinge klären.«

»Vielleicht«, sagte Dessie ohne Überzeugung.

Tom runzelte die Brauen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Es ist mir ernst. Wenn das so weitergeht, müssen wir zwei mal ein ernstes Gespräch führen.«

»Wenn was so weitergeht?«

»Jetzt mach aber mal einen Punkt. Du bist blass, arbeitest viel zu viel, schläfst schlecht und hast miese Laune.«

»Ich verspreche, dass ich heute früher nach Hause gehe. Ich bin mit meinen Nichten und danach mit einer Freundin verabredet. Punkt fünf gehe ich. Und ich werde schlafen.«

Mit jemandem über alles zu sprechen, kam überhaupt nicht infrage. Psychologen waren absolut nicht ihr Ding. Als ob Reden helfen könnte bei dem, was passiert war.

»Gut. Dann sprechen wir beide also später noch einmal darüber. Sieh zu, dass du das mit dem Schlaf in den Griff kriegst.« Tom nickte in Richtung der Papiere, die sie mitgebracht hatte. »Jetzt erzähl mir von Sam Amini. Ist das ein Fall für uns?«

Erleichtert über den Themenwechsel ging Dessie die Informationen durch. »Familiärer Hintergrund: Einwanderer der ersten Generation. Ist als Kind mit alleinerziehender Mutter aus dem Iran gekommen.«

»Die Mutter ist uns bekannt?«

»Yep. Azita Amini. Sie leitet ein Unternehmen für biochemische Forschung. Hier in Schweden hat sie wieder ganz bei null angefangen. Vergangenes Jahr hatte sie ein populäres Sommerprogramm im Radio.« Dessie konnte sich noch gut an Azita erinnern. Sie hatte unglaublich hart gearbeitet, um ihr Ziel zu erreichen, und sie hatte sich Sorgen um ihren Sohn gemacht. Wegen dem, was damals passiert war, war sie stinksauer auf Dessie gewesen. Diese Erinnerungen regten sich unruhig in ihr und drängten an die Oberfläche.

»Ambra hat die Radiosendung mal erwähnt«, sagte Tom und lächelte, wie immer, wenn er von seiner Frau sprach.

Es war Dessie immer ein wenig unangenehm, Zeugin zu werden, wie ihr Chef weich wurde, und daran zu denken, wie verliebt er war, also fuhr sie rasch fort: »Sam war bei einer der ersten Dokusoaps dabei, die er übrigens gewonnen hat.« Zwar hatte sie damals die berüchtigte Sendung nicht mitverfolgt, aber nach ihren umfassenden Recherchen wusste sie jetzt mehr darüber, als ihr lieb war. Sie hatte sich einige der übelsten Ausschnitte angesehen. Sam hatte sich sternhagelvoll gesoffen, tätowieren lassen und mit mehreren der Teilnehmerinnen heißen Sex gehabt. Live. Nach diesem Anblick hätte sie sich am liebsten die Augen ausgespült.

»Danach hat er sich dann aber zusammengerissen«, warf Tom ein.

»Mhm.« Keiner hatte geglaubt, dass aus Sam Amini noch einmal etwas anderes werden könnte als ein Skandalpromi, der sein Geld mit unwürdigen Gigs auf Festivals verdiente und in zunehmend schmierigeren Skandalreportagen auftauchte. Aber dann hatte er alle überrascht, einschließlich sich selbst, wenn man einem Interview in Dagens Industri Glauben schenken durfte.

Dessie berichtete weiter: »Er hat Wirtschaft in Uppsala studiert, hat zusammen mit Douglas Ankarcrona ein Unternehmen gegründet und ist Geschäftsmann geworden.«

»Ankarcrona? Der Name kommt mir bekannt vor.«

»Ein Typ von Östermalm aus reicher Familie. Betreibt mehrere Lokale in der City und hat ein paar Jahre lang die kleine Schwester einer guten Freundin einer der Prinzessinnen gedatet.« Auch eine Methode, um bekannt zu werden. Aber in diesen Kreisen schien jeder mit jedem zusammen zu sein.

»Ist zwischen ihm und Sam etwas vorgefallen? Sollten wir uns An­karcrona näher anschauen?«

Daran hatte Dessie auch schon gedacht. »Ich weiß nicht recht. Die beiden haben ein populäres Restaurant am Stureplan betrieben. Dann ging es mit der Popularität bergab, und sie haben sich getrennt. Und Sam hat sein jetziges Unternehmen gegründet, Responsibility. Im Laufe der letzten Jahre hat es sich von einer kleinen Nummer in der Hotelbranche zu einem Unternehmen mit Milliardenumsätzen und Hotels in ganz Skandinavien gemausert. Alle Häuser sind im Luxussegment angesiedelt und zeichnen sich durch Klimafreundlichkeit und persönlichen Service aus.«

Den Namen Responsibility fand sie angeberisch, aber so war Sam schon immer gewesen – tough und unerschrocken. »Das Unternehmen läuft gut, auch wenn immer mal wieder Probleme auftreten. Die Hotelbranche ist sehr konjunkturabhängig. Aber er hat sich immer wieder angepasst und kreative Lösungen gefunden.«

»Und Ankarcrona spielt dabei keine Rolle mehr?«, fragte Tom.

»Nein.« Aber irgendetwas an der Art, wie Sam und Douglas Ankarcrona sich getrennt hatten, irritierte sie.

»Und weiter?«

»Erfolgreiche Migranten ziehen ja immer den Hass aus der rechtsextremen Ecke auf sich. Die Kombination aus reich, erfolgreich und nicht weiß lässt ihre Synapsen durchbrennen.«

Die meisten dieser Rechten waren ziemlich hohl, das wussten sie beide, aber es kam vor, dass es jemandem gelang, eine größere Gruppe um sich zu scharen, die dann auch entsprechenden Schaden anrichten konnte. Diese Leute waren auf Gewalt aus und fielen unterschiedslos über Männer, Frauen und Kinder her. »Es könnte sich natürlich auch um ganz gewöhnliche organisierte Kriminalität handeln, wie sie jeden in der Branche treffen kann.« In Stockholm existierten mehrere kriminelle Vereinigungen, die die Hotel- und Restaurantbranche unter Druck setzten. Falls Sam mit einer von denen in Konflikt geraten war, saß er in einer bösen Klemme. Sie sah es schon vor sich und musste beinahe lächeln. Man konnte so einiges über Sam Amini sagen, aber er war keiner, der den Schwanz einzog.

»Außerdem sollen wir die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Sam selbst kriminell oder zumindest halb kriminell sein könnte«, fügte sie hinzu. Es kam gar nicht so selten vor, dass Neukunden eine weitaus weniger weiße Weste hatten, als es den Anschein erweckte. In diesem Fall wäre die Situation eine völlig andere. Lodestar hatte Verträge mit der Regierung und dem Außenministerium, konnte also nicht für Verbrecher arbeiten. Das wäre ein Deal Breaker.

»Dann wäre er angreifbar und erpressbar. Wir müssen ihn einer gründlichen Hintergrundrecherche unterziehen.«

»Ich durchforste schon das Darknet nach Infos.« Das war keine angenehme Beschäftigung, und Dessie hasste die dunkle Seite des Internets, wo Drogen, Prostitution und Kriminalität florierten, aber es war notwendig. Wenn Sam in irgendetwas verstrickt war, würde sie das herausfinden, da war sie sich sicher.

Tom studierte die Unterlagen, die sie vor ihm ausgebreitet hatte. »Irgendwelche ernsthaften Bedrohungen?«

»Ja, Boss. Sogar ziemlich besorgniserregende.«

Sie zeigte ihm einige der drastischsten Beispiele. »Die kamen als SMS, von einer unbekannten Nummer, die wir nicht nachverfolgen konnten. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten.«

Ihr Moslems seid die übelstenSchmarotzer, die es gibt.

Wenn wir erst an der Macht sind, wirst du sehen, was wir mit solchen wie dir machen.

Wir schlitzen dir deinen dreckigen Araberbauch auf.

Tom las mit einer Sorgenfalte über der Nasenwurzel.

Dessie war es gewöhnt, auf ihre Instinkte zu vertrauen, und jetzt sagten sie ihr, dass der oder die, von denen diese Drohungen stammten, Sam ernsthaft Böses wollten. »Ich brauche noch vierundzwanzig Stunden.«

Tom nickte zustimmend. »Hast du sonst noch etwas herausgefunden?«

»Nur das Übliche, würde ich sagen. Ein Mitarbeiter, der wegen Diebstahl entlassen wurde. Mehrere wütende Mails wegen Lärm von seinem neuen Hotel auf Blasieholmen. Da wird vor der Eröffnung renoviert. Und dann spuckt noch jemand auf Facebook außergewöhnlich viel Galle.«

Glücklicherweise waren die meisten Leute Vollidioten und schrieben in Foren, in denen sie anonym zu sein glaubten. So hatte es Dessie zum Beispiel nicht einmal eine Stunde gekostet, den Hater auf Facebook zu finden und sein ganzes Leben zu recherchieren.

»Ich bleibe dran«, sagte sie und sammelte ihre Unterlagen zusammen. Sie dachte schon, sie seien fertig, als Tom bedächtig fragte:

»Und was ist das zwischen dir und Sam?«

Dessie blinzelte nicht einmal. Viele hatten Angst vor Tom Lexington, aber nicht sie. Tom hatte sie persönlich rekrutiert, und solange sie ihn kannte, war er stets ruhig und gefasst gewesen. Er bekam nie Wutausbrüche und war Argumenten stets zugänglich. Seine Frage war ihr allerdings unangenehm, auch wenn sie begründet war.

»Wir waren zusammen auf dem Gymnasium. Aber wir haben uns sicher fünfzehn Jahre lang nicht gesehen.«

»Ist das alles?«

Sie hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. Ein Muster gespielter Gleichgültigkeit.

»Wir hatten mal was miteinander.«

Damit gab Tom sich jedoch nicht zufrieden. Natürlich nicht. »War es etwas Ernstes?«

Ich will dich heiraten, Dessie. Ich kann ohne dich nicht leben.

Die Erinnerungen waren ebenso überraschend wie ungebeten zur Stelle.

»Wir waren Teenager. Es hat nicht lange gehalten, wie das in dem Alter so ist.«

»Ich kann jemand anderen darauf ansetzen, aber du kennst ja die Situation. Wir haben extrem wenig Leute.«

»Ich weiß. Ich kriege das hin. Aber ich wollte dir das nicht vorenthalten.« Denn es gibt Grenzen dafür, wie sehr ich dich belügen will, dachte sie.

»Er ist ein guter Kunde, genau das, was wir brauchen und uns wünschen. Aber wenn es zwischen euch Schwierigkeiten gibt, lassen wir es lieber«, sagte Tom.

»Keine Schwierigkeiten, Boss. Ich mache das. Ich habe das im Griff.«