Ein ungezähmtes Mädchen - Simona Ahrnstedt - E-Book
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Ein ungezähmtes Mädchen E-Book

Simona Ahrnstedt

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Beschreibung

Im Dezember 1880 begegnen sie sich zum ersten Mal: Beatrice Löwenström, die nach dem Tod ihrer Eltern das biedere Heim des Onkels kaum verlassen hat, und der so wohlhabende wie charismatische Seth Hammerstaal werden einander in der Stockholmer Oper vorgestellt – zwischen ihnen knistert es auf Anhieb. Danach kreuzen sich ihre Wege immer wieder: auf Bällen, Jagdaus ügen und Landpartien. Bald erkennt Beatrice, dass sie und Seth mehr verbindet als bloße Leidenschaft. Dabei ahnt sie nicht, dass ihr Onkel sie längst dem hartherzigen Grafen Rosenschöld versprochen hat und dass dem jedes Mittel recht ist, seine Ansprüche an sie geltend zu machen und den rothaarigen Wirbelwind zu zähmen …

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Simona Ahrnstedt

Ein ungezähmtes Mädchen

Roman

Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn

Über dieses Buch

Im Dezember 1880 begegnen sie sich zum ersten Mal: Beatrice Löwenström, die nach dem Tod ihrer Eltern das biedere Heim des Onkels kaum verlassen hat, und der so wohlhabende wie charismatische Seth Hammerstaal werden einander in der Stockholmer Oper vorgestellt – zwischen ihnen knistert es auf Anhieb. Danach kreuzen sich ihre Wege immer wieder: auf Bällen, Jagdausflügen und Landpartien. Bald erkennt Beatrice, dass sie und Seth mehr verbindet als bloße Leidenschaft.

Dabei ahnt sie nicht, dass ihr Onkel sie längst dem hartherzigen Grafen Rosenschöld versprochen hat und dass dem jedes Mittel recht ist, seine Ansprüche an sie geltend zu machen und den rothaarigen Wirbelwind zu zähmen …

Vita

Simona Ahrnstedt ist Psychologin. Sie wohnt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in der Nähe von Stockholm. «Ein ungezähmtes Mädchen» ist ihr erster Roman.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. KapitelDank

Für meine Freundinnen.

Ich weiß nicht, womit ich euch verdient habe.

Danke, dass es euch gibt.

Es ist eine weltweit anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der im Besitze eines ordentlichen Vermögens ist, nach nichts so sehr Verlangen haben muss wie nach einem Weibe.

Jane Austen, 1813

Prolog

Gamla Stan, Stockholm

November 1880

Der Plan war so wunderbar einfach.

Jetzt bedurfte es nur noch ein paar wohlgesetzter Worte an die richtigen Personen, und dann würde seine gesellschaftliche Isolierung endgültig der Vergangenheit angehören. Er lächelte in sich hinein und stieg aus der Kutsche auf das Kopfsteinpflaster. Kälte und Nieselregen empfingen ihn. Er schlug den Kragen hoch und schob die Hände in die Taschen, um sich gegen den empfindlich kalten Wind zu schützen, der von Saltsjö herüberwehte.

Natürlich würde sie leiden, aber am Ende würde sie sich doch fügen müssen. Er sog die Luft tief ein und atmete wieder aus. Was sie wollte, fühlte oder dachte, würde ja ohnehin keinen interessieren.

Mit langen Schritten ließ er die schmutzige, enge Gasse hinter sich und ging hinunter Richtung Skeppsbron. Abgesehen von der einen oder anderen Verkäuferin und einem älteren Mann mit Pelzmantel und Hut standen dort unten am Kai nur ein paar vereinzelte, abgearbeitete Menschen, arme Teufel, die sich im kalten Wind duckten. Unten auf Blasieholmen lockte der Neubau des Grand Hotels mit all seinem Luxus. Er beschleunigte seine Schritte auf den letzten Metern, überquerte Schienen, wich einer Pferdebahn aus und näherte sich schließlich dem Hoteleingang. Mit einer tiefen Verbeugung öffnete der Portier ihm die Tür, und er trat ein. Im Foyer legte er Mantel und Handschuhe ab und ließ sich von der Wärme, dem Luxus und den gedämpften Geräuschen umhüllen.

Er hatte eine äußerst wichtige Unterredung vor sich, eine entscheidende Verhandlung.

Er hatte eine Unschuld zu verkaufen.

1

Die Oper, Stockholm

Dezember 1880

Beatrice Löwenström stieg aus der Droschke. Es lag Frost in der Luft, und die Kälte des Pflasters drang durch die Sohlen ihrer neuen Abendschuhe. Während der Kutscher ihrer Cousine und ihrem Onkel beim Aussteigen behilflich war, sah sie sich um. Rundherum rollten Kutschen, Droschken und der eine oder andere vierrädrige Landauer mit hochgeklapptem Verdeck heran. Die Hufe und Hufeisen erzeugten ohrenbetäubendes Geklapper auf dem Kopfsteinpflaster. Eine Gruppe Kinder stand am Sockel des Gustav-Adolf-Denkmals und gaffte staunend auf die eintreffenden Besucher. Es versetzte ihr einen Stich ins Herz, als sie die dünne Kleidung der Kinder sah. Unter ihrem eigenen Mantel, durch all die Schichten aus Baumwolle, Leinen und Seide, durch meterweise Taft, Volants, Spitzen und Stickerei, konnte Beatrice dennoch den eisigen Wind auf der Haut spüren. Diese Kinder mussten völlig durchgefroren sein.

Ihre Begleitung ging bereits auf den Eingang zu, während Beatrice immer noch wie angewurzelt dastand. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte an der erleuchteten Fassade empor. Manche fanden, die Oper – die demnächst ihr hundertjähriges Jubiläum feiern sollte – sei unmodern und heruntergekommen, doch ihr hatten die weißen Säulen und die gewölbten Portale immer gefallen. Als sie gerade den anderen hinterherlaufen wollte, donnerte noch ein Landauer heran und schnitt ihr den Weg ab. Mit dem lackierten Aufbau, den roten Speichen und den vergoldeten Ornamenten war er luxuriöser als die meisten anderen Equipagen auf dem Opernvorplatz, und sie fragte sich unwillkürlich, wem das Gefährt wohl gehören mochte. Der Kutscher zog die Zügel an, und die mit Federbüschen geschmückten Pferde schnaubten.

«Bea! Komm, dir wird doch kalt!», rief Sofia, und Beatrice nickte widerstrebend. Es nieselte leicht, und sie tastete kurz mit der Hand nach ihrer Kapuze, um sich zu vergewissern, dass sie gegen den Regen geschützt war. Durch die Feuchtigkeit bekam ihr Haar widerspenstige Locken, sie konnte nur hoffen, dass ihre hübsche Hochsteckfrisur nicht zu sehr litt. Sie eilte der kleinen Gesellschaft nach, die schon auf dem Weg nach drinnen war. Wie gerne hätte sie einen Blick auf den Insassen der protzigen Equipage geworfen.

 

In ebendiesem Landauer erhob sich Charlotta Wallin gerade von ihrem Sitz. Die Diamanten, die sie um den Hals trug, blitzten.

«Freust du dich nicht auch, dass du ihn gekauft hast?», fragte sie, während sie sich das Kleid glattstrich.

«Dass ich ihn gekauft habe?», echote Seth Hammerstaal ironisch. Der Wagen – der diese Woche von Stockholms teuerstem Polsterer geliefert worden war – war mit einer absurden Menge goldener Quasten verziert und mit dickem Samt ausgeschlagen. Amüsiert blickte Hammerstaal seine Geliebte an. «Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, wolltest du ihn unbedingt haben», sagte er und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. «Ich bin zufrieden, wenn du glücklich bist.»

«Keiner meiner Freunde hat so einen Wagen», sagte Charlotta und zog sich den Nerz um die Schultern. «Nur ich.»

«Wir könnten auch einfach nach Hause fahren», schlug er vor, als ihm wieder in den Sinn kam, wie sie den Nachmittag verbracht hatten. «Dann kannst du mir zeigen, wie glücklich du bist.»

Doch Charlotta schüttelte nur den Kopf. «Mach jetzt keine Schwierigkeiten, Liebling, wir haben doch immer solchen Spaß, wenn wir zusammen ausgehen.»

«Nicht so viel Spaß, wie wir bei dir zu Hause haben.» Er öffnete den Wagenschlag, stieg aus und hielt ihr die Hand hin.

«Versuch es gar nicht erst. Ich weiß, dass du froh bist, doch mitgekommen zu sein», lachte sie und legte ihre Finger in seine.

«Überglücklich», versicherte er, und Charlotta lachte erneut. Vom Eingang strahlte ihnen das Licht entgegen, und je näher sie kamen, umso lauter wurde das Stimmengewirr. Seth unterdrückte ein Stöhnen, als ihm einfiel, dass sie Aida sehen würden. Aida war lang. Unerträglich lang.

 

Im Foyer wimmelte es nur so von Besuchern. Herausgeputzte Frauen mit ihren Familien, ältere Herren mit graumeliertem Backenbart und Gruppen junger Männer mischten sich mit jungen Damen der besseren Gesellschaft und Männern in Fräcken oder dunklen Anzügen.

Beatrice öffnete ihren Fächer, während sie auf die anderen wartete. Der Duft von Parfum und Puder mischte sich mit dem Geruch von Zigarrenrauch. Sie hatte sich schon Sorgen gemacht, ihr neues Kleid – das an der Taille so eng saß, dass sie kaum atmen konnte – könnte zu tief ausgeschnitten sein, aber sie sah mehrere Frauen mit wesentlich großzügigerem Dekolleté. Als sie in ihrem Rücken ein Rascheln vernahm, drehte sie sich um. Sie lächelte ihrer Cousine Sofia zu, die sich mit großen Augen im Foyer umsah.

«Die anderen kommen auch gleich», sagte Sofia. «Papa hat einen Bekannten getroffen.» Sie legte Beatrice eine Hand auf den Unterarm. «Ich hatte ja keine Ahnung, dass so viele Leute hier sein würden», flüsterte sie und öffnete ebenfalls ihren Fächer. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in ihrem engen Kleid. Ein Mann blieb vor ihnen stehen und musterte Sofia ungeniert. Das Mädchen rückte näher an Beatrice. «Ich bin froh, dass du diesmal mitgegangen bist», murmelte sie hinter ihrem Fächer. Der Mann schritt über die Steinfliesen davon, doch die Erleichterung währte nicht lang, denn schon blieb der nächste vor Sofia stehen und riss bei ihrem Anblick die Augen auf. Mit der ein Jahr jüngeren Cousine auszugehen war nur selten besonders erhebend für das Selbstwertgefühl, das wusste Beatrice, aber dieses Schauspiel war ja fast schon absurd. Sofias neues puderrosa Kleid tat natürlich seinen Teil dazu. Mit den Rosen und den schmalen Samtbändern – eine Spezialanfertigung von Augusta Lundin, Stockholms gefragtester Schneiderin – und der unglaublich schmalen Taille unterstrich es die zarte Schönheit des Mädchens. Morgen musste ihr Pförtner sicher Scharen von Männern verscheuchen, Männer, die in der vagen Hoffnung, noch einen Blick auf die blonde, braunäugige Siebzehnjährige zu erhaschen, vor ihrem Haus herumstrichen.

«Ich nehme an, es besteht keine Möglichkeit, dass du weniger bedauernd dreinblickst, liebste Cousine?», fragte Beatrice.

Sofia machte eine abwehrende Geste. «Da kommt Edvard», sagte sie rasch und zeigte diskret auf ihren Bruder, der gerade auf sie zuging.

Nonchalant kam Edvard Löwenström durch die Menschenmenge geschlendert. Er trug einen dunklen Frack, eine elegante graue Hose und eine bunte Krawatte. Man musste wohl zugeben, dass Gott wirklich einen guten Tag gehabt hatte, als er die Geschwister schuf, dachte Beatrice, während sie beobachtete, welches Aufsehen Edvard bei den weiblichen Opernbesuchern erregte. Die Schönheit der Geschwister war geradezu überwältigend. Unsicher strich Beatrice mit der Hand über die hellgrüne Seide ihres eigenen Kleides. Vorn war es ganz glatt und lag eng an, doch auf der Rückseite war der Stoff kunstvoll drapiert und mit Volants, Bändern und kleinen Rosen verziert und endete in einer kurzen Schleppe. Ein schönes Kleid, doch neben Sofia und Edvard hätte sie genauso gut unsichtbar sein können. Trotzdem richtete sie sich kerzengerade auf, als Edvard zu ihnen trat.

«Was ist denn?», fragte sie, als Edvard sie nach einer kurzen Verbeugung eingehend musterte.

«Nichts», erwiderte er. «Ich seh dich bloß zum ersten Mal in einem Abendkleid. Es steht dir gut.» Er zwinkerte ihr zu. «Papa hat mich gebeten, schon mal vorzugehen», fuhr er fort, bevor Beatrice auf sein Kompliment reagieren konnte. Er reichte den beiden Mädchen den Arm. Seine Schwester hakte ihn auf der einen Seite unter, Beatrice auf der anderen, und zusammen bahnten sie sich auf dem schwarz-weißen Marmorboden einen Weg durch die Menge.

Da die Aida ein großer Erfolg war, war die Oper gut besucht, und es war nicht einfach, zu dritt nebeneinanderzugehen. Beatrice blieb etwas zurück und stieß prompt mit einem anderen Besucher zusammen. Der Zusammenprall war heftig, und sie verzog schmerzlich das Gesicht, während sie eine Entschuldigung murmelte.

«Keine Ursache», erwiderte der Mann. Sie blickte auf und sah in ein Paar intelligente graue Augen. Der Mann neigte höflich den Kopf und wandte sich dann wieder seiner Begleiterin zu, einer lachenden Frau in einem derart tief ausgeschnittenen Kleid, dass Beatrice den Blick kaum abwenden konnte. Ihre bloßen Schultern waren gepudert, und die eng anliegenden hautfarbenen Handschuhe verstärkten die Illusion von Nacktheit noch. Die goldene Abendtoilette war wahrhaft großartig. Und das Dekolleté … Beatrice hatte noch nie so ausladende Brüste gesehen, einen solchen Überfluss an … nun ja, an allem eben. Die Frau lachte und gestikulierte, und fasziniert betrachtete Beatrice das üppige Fleisch. Es hätte sie nicht gewundert, wenn … Aus irgendeinem Grund warf der Mann Beatrice noch einen Blick zu, und sie kam wieder zu sich. Zu spät, sich noch rechtzeitig abwenden zu können. So ertappte er Beatrice, wie sie mit offenem Mund dastand und das Paar angaffte. Der Mann verzog den Mund, hob eine Augenbraue, und Beatrice schämte sich, weil ihr klar war, dass er sehr wohl wusste, wohin sie gestarrt hatte. Verlegen machte sie den Mund zu, doch der Mann hatte sich schon wieder abgewandt. Er sagte etwas zu der Frau in dem ausgeschnittenen Kleid, und sie lachte laut auf. Beatrice merkte, dass sie den Atem angehalten hatte, und atmete aus. Gleichzeitig versuchte sie sich einzureden, dass das elegante Paar bestimmt nicht über sie gelacht hatte. Verlegen hastete sie Sofia und Edvard nach.

 

Die Familie Löwenström hatte Plätze in der ersten Reihe, rechts von der königlichen Loge. Rundherum wurde laut geplaudert und gelacht. Die meisten gingen nur in die Oper, um zu sehen und gesehen zu werden, doch Beatrice wartete ungeduldig auf den Beginn der Aufführung. Als der Vorhang sich hob, biss sie sich aufgeregt auf die Lippen. Mit dem Einsetzen der Musik verschwand sie in einer anderen Welt, einer Welt unter ägyptischer Sonne, die von Sklavinnen und Pharaonen bevölkert war. Ab und zu warf sie einen verstohlenen Seitenblick auf Sofia, die ebenso mit glänzenden Augen das Geschehen auf der Bühne verfolgte. Als die letzten Töne vor der Pause verklungen waren, brandete der Applaus auf, und der Vorhang wurde wieder vorgezogen. Für Beatrice war es magisch gewesen.

Da sah sie, wie unten auf dem Parkett ein großer, breitschultriger Mann aufstand. Der Mann, mit dem sie im Foyer zusammengestoßen war. Seine Begleiterin – die Frau in dem tiefausgeschnittenen Kleid – raffte Fächer, Schleppe und Abendtäschchen zusammen, während sie gleichzeitig mit ihren Nachbarn sprach. Unterdessen ließ der Mann seinen Blick über die Sitzreihen schweifen. Er trug einen schwarzen Anzug und hatte kurzes Haar, doch er war schlecht rasiert, was seinem ernsten Gesicht etwas beinahe Verletzliches verlieh. Seine Begleiterin wandte sich mit einer koketten Geste zu ihm um, und er ergriff sofort ihre Hand und schenkte ihr ein langsames, verwegenes Lächeln, bei dem Beatrice unversehens Schmetterlinge im Bauch bekam. Doch die Frau versetzte ihm nur einen neckischen Klaps mit dem Fächer und führte ihre Unterhaltung fort. Also ließ der Mann seine Blicke wieder über den Saal wandern. Als er zu den Logen hinaufschaute, zog sich Beatrice hastig ins Dunkel zurück.

Das hätte noch gefehlt, dass er sie erneut dabei erwischte, wie sie die Leute anstarrte wie eine plumpe Landpomeranze.

 

In der Pause verschwanden die meisten Männer in die Cafés rund um die Oper, doch Edvard und Onkel Wilhelm gingen lieber ins Foyer, das den besseren Gesellschaftsklassen vorbehalten war. Beatrice und Sofia schlossen sich ihnen an, statt während der Pause im Salon zu sitzen. Ihre Füße versanken im dicken Teppich, ein offener Kamin verbreitete Wärme, und die Gläser klirrten leise. Beatrice erhaschte einen kurzen Blick auf sich in einem der zahllosen goldgerahmten Spiegel. Edvard hatte recht, Grün stand ihr wirklich gut, dachte sie. Die glamouröse Robe war so gänzlich anders als ihre sonst schlichten Kleider, dass sie ihrem Spiegelbild einfach zulächeln musste. Unter den Kristalllüstern plauderten elegante Frauen mit Männern im Frack. Ja, es machte tatsächlich Spaß, diese feinen Herrschaften zu beobachten, doch ein Teil von Beatrice wäre lieber auf Entdeckungsreise durch die Oper gegangen.

Edvard und Onkel Wilhelm hatten sich zurückgezogen und eine gedämpfte Unterhaltung begonnen. Irgendjemand hatte ein Fenster zum Strömmen hin geöffnet, und in der brackigen Abendluft lag schon ein Hauch von Winter. Beatrice musterte ihren Onkel, der den ganzen Abend über noch kein Wort mit ihr gesprochen hatte. Dann spähte sie sehnsüchtig zur offenstehenden Tür. Sie musste sich wirklich beherrschen, um nicht ungeduldig mit dem Fuß zu wippen. Sofia hatte eine ältere Frau begrüßt, eine Bekannte ihrer Mutter, und Beatrice gab sich Mühe, ein wenig Interesse für ihre Konversation aufzubringen. Aber wenn sie schon mal in der Oper war, hatte sie keine Lust, sich darüber zu unterhalten, wo man die besten Seidenbänder kaufen konnte oder wie schwer es doch war, die Stockholmer Mädchen zu brauchbaren Dienstmädchen zu erziehen. Wie konnte man hier stehen und keine Lust verspüren, sich gründlich umzusehen? Sie warf einen Seitenblick auf Onkel Wilhelm. Wie sie gelesen hatte, sollte irgendwo im Haus ein einzigartiges Porträt von Jenny Lind in der Rolle der Norma hängen. Auch sonst sollte es jede Menge Gemälde und Skulpturen geben, die sie zu sehen gehofft hatte. Sie wippte mit dem Fuß. Sie öffnete ihren Fächer. Sie klappte ihn wieder zusammen. Es war ganz klar, dass ihr strenger Vormund es nicht zu schätzen wissen würde, wenn sie sich davonschlich und die Oper auf eigene Faust erkundete. Sie seufzte.

Da lehnte sich Sofia zu ihr. «Wer ist denn das da?», flüsterte sie und blickte auf einen Mann, der sich gerade zu Edvard und Onkel Wilhelm gesellt hatte.

«Keine Ahnung», antwortete Beatrice.

Der Mann schien etwas über sechzig zu sein. Er war groß und konservativ gekleidet mit seinem Frack und dem weißen Halstuch. Edvard nickte ihnen zu, und der Mann zuckte leicht zusammen, als er Sofia sah, aber das war ja nichts Besonderes, daraus konnte Beatrice ihm keinen Vorwurf machen. Dann blickte er Beatrice an. Seine Augen waren hell und kalt wie die Wintersonne, und als die drei Männer auf sie zugingen, war nicht die Spur eines Lächelns auf seinem Gesicht.

«Graf Rosenschöld, darf ich Ihnen meine Schwester Sofia vorstellen?», sagte Edvard. «Und das hier ist meine Cousine Beatrice.»

Beatrice knickste, und der Graf verneigte sich. Irgendetwas schien kurz in den blassen Winteraugen aufzuglimmen, doch Beatrice wusste es nicht zu deuten.

«Sehr erfreut», sagte der Graf, und wenn in seinen Augen ein wenig Wärme gelegen hätte, hätte sie ihm vielleicht sogar glauben können.

 

Ein Stückchen von ihnen entfernt stand Seth Hammerstaal und betrachtete die Gesellschaft.

«Jemand da, den du kennst?», erkundigte sich Charlotta und folgte seinem Blick. Sie nahm ein Stück Konfekt aus der Schachtel, die Seth ihr hinhielt, und steckte es sich in den Mund.

Er legte den Kopf schief. Den Grafen kannte er freilich, die anderen jedoch nicht.

«Warum fragst du?», wollte er wissen.

«Er sah böse aus, als er dich vorhin angesehen hat», erklärte Charlotta und nahm sich noch eine Nascherei. «Was hast du ihm getan?»

«Wie kommst du darauf, dass ich ihm etwas getan haben könnte?», fragte er ungerührt.

Doch Charlotta ließ sich von seinem nonchalanten Ton nicht täuschen. Dass die Presse ihn als rücksichtslosen Geschäftsmann darstellte, kam sicher nicht von ungefähr. Skeptisch zog sie die Augenbrauen hoch und sah ihn an.

«Kann sein, dass ich ihm vor ein paar Jahren ein, zwei wirtschaftliche Tiefschläge verpasst habe», antwortete Seth Hammerstaal schließlich. Charlotta lachte.

«Wie heißt er denn? Ich hab ihn noch nie gesehen.»

«Nein, Graf Rosenschöld geht nur selten in die Oper, nehme ich an», antwortete Seth. «Wenn ich mich nicht täusche, zieht er die etwas weniger respektablen Etablissements vor.»

Charlottas Augen glänzten auf. «Ein Graf, sagst du?»

Seth musterte seine schöne Geliebte. Charlotta hatte eine Vorliebe für Aristokraten und ihr Kapital. Oft hatte sie einen Grafen oder Prinzen als Gönner. Er selbst war eine der wenigen Ausnahmen. Andererseits war er natürlich auch unanständig reich.

«Ein Graf», bestätigte er.

«Hm.»

«Du bist ein großes Mädchen, Charlotta», sagte Seth. «Wenn du unbedingt einem Grafen nachstellen willst, werde ich dich nicht davon abhalten. Aber Rosenschöld ist ein echter Teufel. Du solltest wissen, worauf du dich einlässt, bevor du ihn umgarnst.»

«Bist du denn kein bisschen eifersüchtig?», wunderte sich Charlotta und zog einen Schmollmund.

Doch Seth schüttelte nur den Kopf. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu der großen, rothaarigen Frau, die neben dem Grafen stand und von einem Fuß auf den anderen trat, während sie die Blicke durchs Foyer schweifen ließ. Es war dieselbe, mit der er vorhin zusammengestoßen war, fiel ihm auf. Er verzog amüsiert den Mund, während er ihre Ungeduld beobachtete. Charlotta redete weiter mit ihm, aber das Gespräch begann ihn langsam zu ermüden, und wie es aussah, wollte die Rothaarige gleich gehen. Sie sollten sie lieber nicht allein lassen, dachte er und drückte Charlotta die Konfektschachtel in die Hand. «Ich muss mal ein bisschen frische Luft schnappen», entschuldigte er sich. «Du hast sicher ein Dutzend Freunde hier.» Er blickte auf Rosenschöld. «Und den guten Grafen natürlich. Ich lass dich kurz allein. Tu, was du willst, aber ich erwarte, dass wir die Nacht zusammen verbringen.»

Charlotta zuckte mit den Schultern, während Seth auf den Ausgang zusteuerte. Die rothaarige Frau war dabei, sich davonzustehlen. Er sah sie zur Treppe gehen und folgte ihr.

2

Beatrice lief rasch durch einen schmalen Korridor. Sie blickte geradeaus, bog um eine Ecke, um eine weitere Ecke, und als sie eine Tür entdeckte, die nur angelehnt war, trat sie leise ein und sah sich um. Der Raum war leer bis auf wenige Bilder. Sie überlegte, ob sie …

«Sie sollten nicht alleine hier herumlaufen», sagte eine Stimme hinter ihr. Beatrice zuckte zusammen und drehte sich um. Unsicher sah sie rasch nach allen Seiten. Vom Flur her hörte man zwar Stimmen, doch hier war niemand. Bis auf sie und den Mann, mit dem sie vorhin zusammengestoßen war und der jetzt am Türrahmen lehnte. Beatrice öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, überlegte es sich dann aber anders. Es gab nichts zu sagen – er hatte recht, sie sollte hier nicht alleine sein. Schließlich war sie eine junge Frau, und ihr Ruf hing von ihrem Benehmen ab. Es war ihr schon immer wahnsinnig ungerecht vorgekommen, dass Edvard stundenlang fortbleiben konnte, manchmal nächtelang, ohne dass sich jemand um seinen Ruf sorgte, während Sofia und sie nirgends ohne Begleitung hingehen konnten, ohne eine Anstandsdame oder einen Verwandten.

«Es gibt einen Raum mit noch mehr Bildern», sagte er und sah sie mit glänzenden Augen an. «Würden Sie den gerne sehen?»

Beatrices Instinkt schlug sofort Alarm. Sie wusste, dass sie so ein Anerbieten ablehnen musste, dass sie zu ihrer Familie zurückkehren musste und nicht mit fremden Männern sprechen durfte. Dennoch konnte sie sich die Frage nicht verkneifen: «Wo denn?»

Er stieß sich vom Türrahmen ab. «Kommen Sie.»

Sie folgte ihm schweigend und mit gesenktem Kopf. Ihr Herz klopfte wie wild. Was sie hier tat, war etwas ganz anderes, als heimlich einen verbotenen Roman zu lesen oder sich bei Sonnenschein nach draußen zu schleichen, statt schön brav im Haus zu sitzen und zu sticken. Was sie hier tat, war einfach töricht.

Sie gelangten zu einem der Korridore, die zu den Künstlerlogen führten. Die ganze Zeit wagte sie nicht, ihn anzusehen. Er drückte die Klinke und öffnete eine Tür. Stimmengewirr und gedämpftes Gelächter schlug ihnen entgegen.

«Wo sind wir hier?», flüsterte sie. Das Blut rauschte ihr derart in den Ohren, dass sie die eigene Stimme kaum hörte.

«Im Künstlerfoyer. Seien Sie still, sonst werden wir gleich wieder rausgeworfen.»

Es handelte sich um einen verhältnismäßig schlichten Raum, groß, mit Fenstern, die auf den Strömmen hinausgingen, Holzboden und hellgrauen Wänden – und er war voller Menschen. Der Sänger, der die Hauptrolle in der Oper spielte, unterhielt sich gerade mit dem Dirigenten und trank ein Bier. Ein Schauspieler – einer der äthiopischen Sklaven – lümmelte rauchend auf einem roten Sofa. Und unter dem Kristalllüster kabbelten sich zwei Orchestermusiker. Um die beiden Eindringlinge kümmerte sich keiner.

«Haben Sie Angst?», flüsterte der Mann. Beatrice schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Angst, sie war vor Schreck wie gelähmt. «Folgen Sie mir», forderte er sie auf und trat ein. Beatrice zögerte kurz, doch dann sah sie die Bilder. Dort – in einem mächtigen Goldrahmen – hing Jenny Lind, die weltberühmte Sopranistin. Und dort, ein Kupferstich von Gustav III. Und dahinter, die Wand entlang, hingen noch mehr Porträts und waren Skulpturen aufgereiht.

Während Beatrice den Blick über die Gemälde wandern ließ, war sie sich der Gegenwart ihres Begleiters überaus bewusst. Sie studierte ein Porträt, blinzelte zum Deckengemälde empor, bis ihr Blick an einem weiteren Bild im Goldrahmen hängen blieb. Unterdessen spürte sie seine Augen im Rücken. Er stand hinter ihr und sah sie an. Sie drehte sich um. «Was ist?», fragte sie.

Doch er schüttelte nur den Kopf und verzog den Mund. «Nichts.» Dann zeigte er auf ein farbenfrohes Bild. «Gefällt Ihnen das?»

Beatrice rümpfte die Nase. «Finden Sie das nicht ein wenig zu prätentiös?», meinte sie.

Einer seiner Mundwinkel zuckte amüsiert. «Wie sollte ich das wissen?», gab er zurück. «Ich weiß ja nicht mal, was das bedeutet.»

Sie lachte auf. «Verzeihen Sie, aber …» Da signalisierte eine Glocke das Ende der Pause, und Beatrice schlug sich die Hand vor den Mund. Sie war viel zu lange weggeblieben.

«Wir müssen gehen», sagte er. «Kommen Sie, ich führe Sie zurück.»

Schweigend liefen sie durch den Korridor. Vor der Tür zum großen Foyer blieben sie stehen. Sie sah den Mann fragend an und überlegte, was sie jetzt sagen sollte. Sie war ein großes Risiko eingegangen, als sie ihm gefolgt war. Jetzt fühlte sie sich verletzlich, als ob er etwas über sie wüsste, was sie einem Fremden lieber nicht verraten hätte.

Doch der Mann lächelte nur wieder sein schwer zu deutendes Lächeln. «Adieu», sagte er.

Einen Moment schien es, als wollte er noch etwas hinzufügen, aber schließlich verbeugte er sich einfach nur und verließ den Raum.

 

Seth überredete Charlotta, die Oper vor Beginn des letzten Aktes zu verlassen. Wie Aida ausging, wusste er bereits, und er hatte keine Lust auf Tragödien, zumindest nicht heute. Also verließen sie ihre Plätze und fuhren zu ihr.

Mit nichts anderem am Leib als ihrem schweren Parfum empfing Charlotta ihn in ihrem Bett. Und hinterher schlief sie so rasch ein wie immer, doch Seth lag noch wach. Nicht einmal ihr Schäferstündchen hatte seine Rastlosigkeit mildern können. Zerstreut streichelte er ihr das glänzende blonde Haar und ertappte sich bei dem Gedanken, wie es aussehen würde, wenn es feuerrot wäre.

Charlotta murmelte irgendetwas im Schlaf.

Schließlich stand er auf und ging durch die Wohnung. Charlotta hatte sie möbliert gemietet, und am anderen Ende des Hauses gab es eine kleine vernachlässigte Bibliothek. Mit einer Petroleumlampe in der Hand suchte er die Regale ab, bis er ein Wörterbuch fand und darin das Wort nachschlug.

Dann klappte er das Lexikon wieder zu, ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich an. Pfeifend bummelte er das kurze Stück zum Blasieholmstorg und zu seinem eigenen Zuhause.

3

Im Haus der Familie Löwenström, Stockholm

Gemessen daran, dass ihre Cousine und sie sonst eigentlich ein eher beschauliches gesellschaftliches Leben führten – und selbst das war noch großzügig ausgedrückt –, schien der Dezember geradezu ein hektischer Monat werden zu wollen, dachte Beatrice. Sie machte sich gerade für einen Besuch beim Landeshauptmann fertig, zu dem die ganze Familie fahren wollte – außer Tante Harriet, die wie immer unpässlich war. Beatrice legte ein Paar Ohrringe an und freute sich über die Abwechslung in ihrem Alltag. Tante Harriet war kränklich, und Onkel Wilhelm arbeitete von frühmorgens bis spätabends, wobei er sowieso keinen Wert auf Geselligkeit legte. In der Wintersaison, in der die meisten ihrer Altersgenossinnen diverse gesellschaftliche Ereignisse besuchten, mussten Sofia und Beatrice miteinander und mit ihrer englischen Gesellschafterin vorliebnehmen. Sie lasen, machten kleine Erledigungen und besuchten ab und zu ein paar Freunde. Am Wochenende ging die ganze Familie in die Kirche, und ein paar wenige Male im Monat lud der Onkel abends Geschäftsfreunde ein, für die die Cousinen anstelle von Tante Harriet die Gastgeberinnen spielten. Beatrice hatte einige Jahre gebraucht, um sich an dieses langweilige Dasein zu gewöhnen, das nur durch ein paar Monate Sommerfrische auf dem Land unterbrochen wurde. Als sie noch jünger waren, hatten die Mädchen wenigstens Gouvernanten gehabt und waren von Edvards Hauslehrer mit unterrichtet worden, aber nach ihrer Konfirmation war man der Meinung, dass weitere Bildung für sie überflüssig sei.

Immerhin komme ich viel zum Sticken, dachte sie und zog die langen Abendhandschuhe an, die zu ihrem neuen elfenbeinfarbenen Kleid gehörten. An der Vorderseite war es glatt, fast keusch, doch hinten breitete es sich zu einer eleganten, goldbestickten Schleppe aus. Sie griff den dazugehörigen Schal und ging zur Treppe.

«Bist du fertig?», erkundigte sich Sofia, die schon auf sie wartete. Beatrice nickte. Sie war froh, dem Haus in der Drottninggatan eine Weile zu entkommen.

Die Familie verabschiedete sich vom Portier und trat hinaus in die Abendkühle. Das Wetter war umgeschlagen, schon die ganze letzte Woche war es sehr kalt gewesen. Auf dem Mälaren und Saltsjön hatte sich eine erste dünne Eisschicht ausgebreitet, und in der Luft lag das Versprechen von Schnee.

 

Im Salon der großen Residenz des Landeshauptmanns stand die Gastgeberin, Karin Hielm, und begrüßte die nach und nach eintreffenden Gäste. Sie gab ihnen die Hand, verbeugte sich vor den Aristokraten und umarmte die Frauen, die sie gut kannte. In einer großen Kristallschale wartete schon die Bowle. Die schweren Vorhänge waren vorgezogen, um die Kälte draußen zu halten, und in mehreren Kaminen brannte ein Feuer, das den Raum gut erwärmte. Beatrice nippte an der roten Bowle.

Karin und ihr Mann, der Landeshauptmann von Stockholm, Hjalmar Hielm, luden jeden Herbst zu einem großen, wenn auch eher formlosen Abendessen ein, zu dem um die dreißig Gäste kamen. Sofia und Beatrice hatten sich schon wochenlang auf diesen Abend gefreut. Beatrice wurde einem Mann namens Johan Stjerneskanz vorgestellt, einem jungen Juristen, der nach Karins Worten außerordentlich geschickt und begabt sei. Sofia knickste vor einem älteren Grafen und seiner Frau und lobte das Kleid ihrer Tochter. Der Landeshauptmann gab Wilhelm Löwenström die Hand, machte einen kleinen Scherz und kassierte dafür nur eine gequält amüsierte Miene. Der allzu ernsthafte Wilhelm hatte die unglückliche Neigung, Scherze misszuverstehen.

«Wie schön, euch zu sehen», sagte Karin. Sie drückte den Mädchen die Hand und lächelte sie liebevoll an. «Ich muss mich ein wenig unter meine Gäste mischen, aber ich habe hier jemand, mit dem ihr bereits bekannt seid, wie ich gehört habe.»

Sie trat einen Schritt beiseite, und Beatrice erblickte einen Mann, den sie sofort wiedererkannte.

Graf Rosenschöld kam ihnen über den weichen Teppich entgegen. Unangenehm berührt überlegte Beatrice, was der Mann hier wohl machte. Natürlich wusste sie, dass Karin und Hjalmar jeden kannten, der in Stockholm etwas darstellte, aber mit Rosenschöld hätte sie nun wirklich nicht gerechnet in dieser hübschen und gemütlichen Wohnung.

«Fräulein Beatrice. Fräulein Sofia.»

Beatrice knickste und musterte sein Gesicht. Eigentlich sieht er gar nicht so übel aus, trotz seines Alters, und wenn er nicht so arrogant wäre, könnte ich ihn vielleicht sogar mögen, dachte sie. Doch als der Graf seinen Blick ganz ungeniert auf Sofias Ausschnitt ruhen ließ, kam Beatrice zu dem Schluss, dass sie ihn doch niemals würde respektieren können.

Nach einigen Minuten Plauderei verbeugte sich der Graf endlich und ging weiter. Beatrice und Sofia tauschten einen erleichterten Blick, da kam auch schon der nächste Freund der Familie auf sie zu und forderte Sofias Aufmerksamkeit.

Beatrice hatte diese Wohnung schon immer gemocht. An den Wänden hingen so viele Gemälde und Fotografien, dass die rote Brokattapete kaum mehr zu sehen war. Es gab kein Sofa und keinen Stuhl, der nicht mit einem gehäkelten Überwurf oder einem Seidenschal dekoriert war. Die zahlreichen Leuchter sorgten für ein weiches, gemütliches Licht. Am anderen Ende des Salons sah Beatrice, wie Karin ihre Freunde begrüßte, sie zum Lachen brachte und allen das Gefühl gab, willkommen zu sein. Beatrice mochte Karin und Hjalmar sehr. Karin war klug und hatte immer ein freundliches Wort für sie übrig, während der Landeshauptmann überhaupt nichts dabei fand, mit einer jungen Frau zu diskutieren und sich ihre Ansichten anzuhören, ohne ärgerlich zu werden. Das Paar war für sein gastfreundliches Heim und seine großzügigen Soupers bekannt und … Da sah Beatrice, wie Karin einen weiteren Gast begrüßte, und beinahe wäre ihr das Herz stehen geblieben. Das war er – der dunkelhaarige Mann aus der Oper. Die Dame des Hauses hakte sich bei ihm unter und steuerte direkt auf Beatrice zu.

Als läge ein eigenes Kraftfeld um ihn, dachte sie, eine beherrschte Energie, die seine ganze Umgebung dumpf und beschränkt wirken ließe – so kam es ihr vor. Der Salon hallte immer noch vom Gelächter der Gäste und dem Klirren der Gläser wider, doch als dieser Mann den Raum durchquerte, schienen alle Geräusche zu verstummen.

Und dann standen die beiden auch schon vor ihr.

«Das ist Seth Hammerstaal», stellte Karin ihn vor und lächelte strahlend. «Er ist erst vor kurzem aus New York zurückgekommen. Ich glaube, wir haben uns zum letzten Mal vor einem Jahr gesehen.» Sie drückte seinen Arm. «Auf jeden Fall hat er mir schrecklich gefehlt.»

Beatrice sah den Mann namens Seth an. Sie fragte sich, ob er wohl erwähnen würde, dass sie sich bereits begegnet waren, doch er verriet mit keiner Miene, ob er sie überhaupt wiedererkannte. «Seth, darf ich dir Beatrice Löwenström vorstellen? Sie ist die Nichte von Wilhelm Löwenström, den du schon begrüßt hast.» Karin blickte sie beide an. «Seltsam, dass ihr zwei euch noch nicht begegnet seid.»

 

Beatrice. Der Name passt zu ihr, dachte Seth und musterte das ausdrucksvolle Gesicht. In Karins Salon glänzte sie in ihrem hellen Kleid wie ein Sonnenstrahl.

«Entschuldigt mich», sagte Karin, die gerade einen neu eingetroffenen Gast entdeckt hatte. «Seth, bist du so gut und unterhältst Beatrice ein wenig?» Sie lächelte und verschwand.

Beatrice sah aus, als hätte sie die Gastgeberin am liebsten am Arm festgehalten – aber die war schon wieder weg.

«So, Fräulein Beatrice. Wie möchten Sie denn unterhalten werden?», fragte er.

Sie runzelte die Stirn, und ihm dämmerte, dass sie die Zweideutigkeit seiner Worte wahrscheinlich gar nicht erfasst hatte. «Haben Sie denn noch weitere Gemälde ansehen können?», fuhr er deshalb rasch fort. Sie warf ihm einen verunsicherten Blick zu, und Seth begriff, dass sie nervös war. Der Ruf einer Frau konnte allzu leicht Schaden nehmen, und dass sie ihm in der Oper gefolgt war, konnte ihrem Ansehen durchaus großen Schaden zufügen, wenn es bekannt wurde. «Ich habe niemand davon erzählt», raunte er ihr zu.

Auf ihrem Gesicht machte sich Erleichterung breit, und sie lächelte ihn an. «Danke», sagte sie. «Ich war nicht einmal sicher, ob Sie sich überhaupt an mich erinnern.»

Seth ließ den Blick über den zarten Hals schweifen, wo rote Haarlocken schneeweiße Haut umspielten. Das war keine Frau, die er so schnell vergessen konnte.

«Sagen Sie, wie hat Ihnen denn überhaupt die Aida gefallen?», erkundigte er sich und fragte sich insgeheim, ob sie wohl gemerkt hatte, dass er die Oper vor Ende der Vorstellung verlassen hatte.

«Ich fand sie ganz wunderbar», antwortete sie. «Ich liebe solche Geschichten.»

«Sie meinen Wirklichkeitsflucht und tragische Liebe?», fragte er skeptisch.

Sie nickte. Weitere Strähnen ihres roten Haares lösten sich aus ihrer Hochsteckfrisur. Eine Strähne hier, eine Locke da. «Sie fanden die Oper also nicht prätentiös?», fragte er weiter.

«Wie bitte?»

«Sie wissen schon, anspruchsvoll, anmaßend», erwiderte er ernst.

Beatrice brach in Gelächter aus, und es versetzte ihm einen Stich. Sie hatte Grübchen. Und einen ziemlich breiten Mund. «Wissen Sie, ich musste das Wort zu Hause nachschlagen.»

«O Gott.» Sie biss sich auf die Lippen. «Ich muss auf Sie ja ganz schön …»

«Gebildet wirken?», schlug er vor, und sie errötete leicht. Die nächste Strähne löste sich aus dem Knoten und kringelte sich um ihren Hals.

«Ich bitte um Entschuldigung», sagte sie. «Ich weiß, dass das eigentlich kein Kompliment ist – wir Frauen sollten ja nicht zu belesen sein, nicht wahr?»

Seth fragte sich, was für ein Dummkopf ihr das eingeredet haben mochte. Bestimmt dieser düstere Onkel.

«Ich habe nichts gegen gebildete Frauen», beteuerte er und bot ihr den Arm. Nach kurzem Zögern legte sie die Hand auf seinen Unterarm und ließ sich langsam von ihm durch den Raum führen. «Sie mögen die Oper also», setzte er die Unterhaltung fort.

«Ich habe noch nicht viele Aufführungen erlebt, aber als ich ein kleines Mädchen war, durfte ich einmal ins Ballett gehen, zu Giselle», erzählte sie. «Ich war völlig verzaubert.» Sie wandte ihm das Gesicht zu. Ihre Augen waren dunkelblau und standen leicht schräg, was ihr ein exotisches Aussehen verlieh.

«Ist Giselle nicht an gebrochenem Herzen gestorben?», fragte er misstrauisch.

Sie verzog den Mund. «Ich war damals elf und habe hinterher eine Woche lang geweint wie ein Schlosshund.»

«Aber gefallen hat es Ihnen?», lachte Seth.

«Ja, sehr. Aber danach durfte ich nie wieder ins Ballett. Und Papa verbot mir auch für mehrere Monate, Romane zu lesen. Er hatte Angst, dass es mich zu sehr aufwühlen könnte.»

«Und Sie haben ihm natürlich gehorcht?», hakte Seth nach, obwohl er die Antwort bereits erahnte. Beatrice Löwenström, die sich heimlich durch Opernkorridore schlich, um sich Gemälde anzusehen, wirkte nicht gerade wie ein durch und durch gehorsames Mädchen.

«Nicht im Geringsten. Dann hab ich sie eben heimlich gelesen», erklärte sie mit schuldbewusster Miene.

«Und das hat er nicht bemerkt?»

Sie lächelte immer noch, aber irgendetwas glomm in ihren dunklen Augen auf. «Nein», erwiderte sie. «Und dann kam es eben so, wie es kam.»

Seth musterte sie gründlich von oben bis unten. Sie hat wirklich überall Sommersprossen, stellte er fest, auf der Nasenspitze, an den Ohren, sogar auf den Lippen. Seth – der nie zuvor über Sommersprossen nachgedacht hatte – fand sie nun faszinierend.

«Ja, ich sehe schon, das Resultat war katastrophal», murmelte er und beobachtete vergnügt, wie sich ihre Augen weiteten. Dieses Mädchen war ja leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Außerdem war sie viel zu unschuldig für einen Mann wie ihn. Trotzdem, er amüsierte sich.

 

Seth hätte sein Gespräch mit Beatrice Löwenström nur zu gern fortgesetzt, aber ihm wurde eine andere Tischdame zugewiesen, nämlich Leonite von Wöhler. Schon während er den Stuhl für die attraktive junge Frau vom Tisch zog, damit sie Platz nehmen konnte, erzählte sie ihm, dass ihr Vater eine Position bei Hofe hatte. Er musste einen Seufzer unterdrücken. Hofklatsch war nun wirklich das Grässlichste, was er sich vorstellen konnte.

Auf der anderen Seite des Tisches war Beatrice in eine lebhafte Unterhaltung mit ihrem Tischherrn vertieft. Sie lachten und kicherten, und worüber auch immer sie und der ältere Mann, ein Universitätsprofessor, sich unterhielten, es musste um Längen interessanter sein als Leonites Sermon über Bälle, Gesellschaften und die Bekannten ihrer Eltern. Er stocherte in seinem Essen. Schon immer hatte er eine Schwäche für intelligente Frauen gehabt und wünschte sich nun, Beatrice würde neben ihm sitzen.

«Das wäre doch mal was – Monets Gemälde im Original zu sehen», hörte er sie gerade sagen.

«Gefallen sie Ihnen?», gelang es Seth rasch über den Tisch hinweg einzuwerfen. Beatrice lächelte ihr strahlendes Lächeln. «Das Wenige, was ich gesehen habe, hat mir sehr gut gefallen.»

Zu seiner Linken stieß Leonite ein gekünsteltes Lachen aus. «Ich persönlich verstehe nur etwas von Bildern, auf denen man erkennen kann, was eigentlich dargestellt ist.» Sie warf Beatrice einen höhnischen Blick zu. «Ist das denn wirklich Kunst?»

«Monets Kunst ist in Paris eine große Sensation», entgegnete Beatrice. «Der Impressionismus scheint eine ganz neue Art des Ausdrucks zu sein.»

«Ich finde das hässlich», sagte Leonite abfällig. «Und ganz sicher ist es nichts, worüber sich eine Frau den Kopf zerbrechen sollte.»

Als Beatrice die elegante Deutsche ansah, blitzte etwas in ihren Augen auf. «Frauen sollten also nicht allzu viel eigene Ansichten haben, oder? Haben Sie das so gemeint? Wir sollten lieber die Männer entscheiden lassen, was wir uns ansehen und gut finden?»

Leonites sinnliche Lippen kräuselten sich amüsiert. «Und was ist daran so verkehrt?»

Seth merkte, wie Beatrice mit sich kämpfen musste, um Leonite nicht weiter zu provozieren, und er konnte sich seine Bemerkung nicht verkneifen: «Ja, das ist auch meine persönliche Erfahrung. Frauen lassen gern die Männer entscheiden», behauptete er im überheblichsten Ton, den er zustande brachte.

Beatrices dunkle Augenbrauen schnellten hoch, während Leonite zustimmend den Kopf senkte. Doch Beatrice ignorierte die Deutsche und wandte sich direkt an Seth. Ihre langen, schmalen Finger strichen über ihr Weinglas. «Ihre Erfahrung?», wiederholte sie. «Hm.»

«Klingt ja ganz so, als würden Sie das bezweifeln.» Er lehnte sich zurück. Beatrice musterte ihn.

«Meine Erfahrung sagt mir, dass die Leute die Dinge gern so betrachten, wie es ihren eigenen Interessen am dienlichsten ist. Sie sind nur empfänglich für Wahrnehmungen, die ihre bereits bestehenden Meinungen bestätigen. Was dem widerspricht, lassen solche Leute links liegen.»

Leonite schwieg, und alle anderen Unterhaltungen am Tisch waren verstummt, doch Beatrice schien diese Aufmerksamkeit nicht verlegen zu machen. Seth sah, wie sie tief Luft holte, wahrscheinlich um eine weitere treffsichere Bemerkung hinzuzufügen. Sie hatte sein Argument elegant abgeschmettert. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so gut amüsiert hatte. «Manche Leute würden jetzt sagen, dass Sie nicht so mit einem Mann sprechen sollten», erklärte er.

«Manche Leute würden sicher noch mehr sagen als das», erwiderte sie trocken. «Aber Sie haben natürlich recht, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich unhöflich war. Ich werde ab jetzt versuchen, ein besserer Mensch zu werden.»

Seth sah, wie es in einem ihrer Mundwinkel zuckte, und er wusste, er wusste, dass da noch mehr nachkommen würde. Unter dem Lachen, den Grübchen und dem leichten Ton verbarg sich ein stählerner Kern. Seth warf einen verstohlenen Blick zu Beatrices Onkel – er war ein Mann, der höchstwahrscheinlich der Meinung war, dass Frauen still und gehorsam zu sein hatten. Ungefähr wie Kinder. Oder Hunde. Sie hatte es sicher nicht leicht bei ihm.

«Sie versprechen aber das Gleiche, ja?», sagte Beatrice nun zu ihm. Seth wusste im ersten Moment nicht, wovon sie redete, und sie musste es sofort gemerkt haben. «Dass Sie ein besserer Mensch werden, meinte ich», erklärte sie.

Seth lachte laut auf. Leonites olivgrüne Augen glühten hingegen empört. Sie war eine Frau, die nur Schwarz und Weiß, Richtig und Falsch kennt, dachte er. Doch er wusste, dass die Welt weder das eine noch das andere war. Und Beatrice wusste es ebenfalls.

«Eine Frau muss akzeptieren, dass der Mann gewisse Dinge eben besser weiß», bemerkte Leonite scharf. Kopfschüttelnd sah sie Beatrice an, und das Licht spiegelte in ihren dunklen Korkenzieherlocken. «Das ist nichts, worüber man Witze machen müsste, das ist einfach eine Tatsache. Der Mann muss das Haupt der Frau sein.»

«Sie teilen diese Meinung natürlich, nicht wahr?» Seth hatte sich wieder an Beatrice gewandt. «Ich meine, dass der Mann das Haupt der Frau sein muss.»

Beatrice legte den Kopf zur Seite, und Seth hätte schwören können, dass sie ihm kurz zuzwinkerte. «Eine schwere Frage», sagte sie dann. «Ich für meinen Teil bin sehr wählerisch, wenn es um das Haupt geht, das über mich herrschen soll.» Sie hob ihr Glas, und ihre ganze Haltung schien ihn herauszufordern. «Meinen Sie nicht, dass ich mir meinen eigenen Kopf erlauben sollte, auch wenn ich nur eine Frau bin?»

Seth hob sein Glas, um ihr zuzuprosten. «O doch», erwiderte er. Zwischen ihnen sprühten die Funken förmlich. Ihre Augen blitzten, und plötzlich verspürte er eine unbändige Lust, sich einfach über den Tisch zu beugen, Beatrice Löwenström an sich zu ziehen und sie zu küssen.

Graf Rosenschöld nutzte diese Gelegenheit, um sich über den Tisch zu lehnen und den Zauber zu brechen. «Das Fräulein Beatrice scheint die eigene Stimme ja gar zu gern zu hören», bemerkte er. «Dabei ist es doch eine sehr wertvolle Eigenschaft, wenn eine Frau weiß, wann sie den Mund halten sollte, nicht wahr?»

Seth sah, dass Leonite und mehrere der männlichen Anwesenden diese Meinung zu teilen schienen.

«Zu oft die eigene Stimme zu Gehör zu bringen steht einem jungen Fräulein nicht besonders gut zu Gesichte», fuhr der Graf fort und erntete beifälliges Gemurmel.

Obwohl Seth den Grafen ohnehin für einen der unsympathischsten Menschen überhaupt hielt, hätte er nie gedacht, dass der Mann noch weiter in seiner Achtung sinken könnte, doch offenbar war nichts unmöglich. Seth erwog, ob Karin es ihm verzeihen würde, wenn er aufstünde und dem Grafen einen wohlverdienten Schlag ins Gesicht verpasste.

«Halten Sie es für falsch, wenn man Frauen erlaubt, zu lernen und sich zu bilden?», erkundigte sich nun Beatrice. Ihr Ton war ruhig, doch Seth bemerkte die roten Flecken, die sich auf ihrem Hals gebildet hatten.

«Die Aufgabe jeder anständigen Frau besteht darin, sich zu verheiraten», verkündete Rosenschöld. «Studien wären doch nur Verschwendung.» Er hob sein Weinglas. «Frauen ist es nicht zuträglich, wenn sie ihr Gehirn anstrengen, davon werden sie nur krank und schwach. Es gibt viele, die diese Ansicht vertreten.»

«Eine Ansicht ist nicht unbedingt wahr, nur weil sie von vielen Menschen vertreten wird», erwiderte Beatrice sanft. Der Graf ignorierte sie und warf einen galligen Blick zu Wilhelm Löwenström hinüber, der die Unterhaltung mit zornrotem Gesicht verfolgt hatte.

«Ihre Nichte hört sich gar zu gern reden», bemerkte der Graf kühl. «Dabei nimmt sie keine Rücksichten auf Rang oder Alter. Vielleicht müssten Sie ihr einmal sagen, dass sie auch andere am Tisch zu Worte kommen lassen sollte?» Er legte den Kopf schief. «Oder ist sie so schwer zu lenken?»

Beatrice setzte an, erneut etwas zu sagen, doch ihr Onkel fiel ihr ins Wort.

«Schluss jetzt», rief er, und unter den Gästen machte sich betretenes Schweigen breit. Beatrice senkte den Blick.

«Nicht alle teilen Ihre Ansicht, Rosenschöld», mischte sich Seth mit kalter Stimme ein. Beatrice sah ihn verunsichert an. Seine Unterstützung schien sie zu überraschen. Was hatte sie erwartet? Dass er sie wie Rosenschöld und ihr Onkel angreifen würde?

«Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass die Frau dem Manne physisch unterlegen ist», erklärte der Graf. Unverhohlen ließ er den Blick über Beatrice wandern. «Der Körper einer Frau ist empfindlich und gerät leicht aus dem Gleichgewicht, sie sollte weder Körper noch Gehirn unnötigen Anstrengungen aussetzen.» Rosenschölds helle Augen blieben an Beatrices Brust hängen, und Seth spürte geradezu, wie sich etwas in ihm zusammenballte. Er begriff, dass er nahe dran war, aufzuspringen und einem von Karins prominentesten Gästen den Hals umzudrehen. «Das ist ganz einfach eine Frage des gesunden Menschenverstandes und der Wissenschaft», schloss der Graf.

 

Graf Carl-Jan Rosenschöld freute sich, diese aufmüpfige Frau endlich auf ihren Platz verwiesen zu haben. Sie war ganz grau im Gesicht. Und vorbildlich still.

Eigentlich hatte er heute Abend gar nicht kommen wollen. Fräulein Beatrice hatte bereits in der Oper keinen guten Eindruck auf ihn gemacht, und er wollte sich eigentlich nach einer anderen umsehen. Doch jetzt hatte sich die Lage geändert, befand er. Dieser Hammerstaal hat den ganzen Abend die Augen nicht von ihr abwenden können, und jetzt hat er sie verteidigt, als würde ihm etwas an ihr liegen. Der Graf schauderte. Gott, wie er diesen Seth Hammerstaal hasste. Dass dieser Emporkömmling von Beatrice begeistert war, war ein unerwarteter Umstand. Er lehnte sich zurück und ließ den Blick über die Tafel schweifen. Vielleicht sollte er die Sache doch noch einmal überdenken? Natürlich würde er die blonde Cousine vorziehen, die still und schüchtern neben dem jungen Stjerneskanz saß. Doch Wilhelm Löwenström war offenbar nicht so versessen auf seinen gesellschaftlichen Aufstieg, dass er seine siebzehnjährige Tochter für eine Eintrittskarte in die feinsten Salons getauscht hätte.

Doch mit seiner Nichte verhielt es sich offenbar anders. Der Graf betrachtete Beatrices weiße Brust und ihre bedrückte Haltung. Sie hatte einen gesunden Körper, alles saß, wo es sitzen sollte, und er brauchte wirklich eine junge Frau. Auf der anderen Seite des Tisches murmelte Hammerstaal eine Frage, und die Rothaarige antwortete ihm mit einem Lächeln. Der Graf hatte seine Entscheidung getroffen. Er warf einen Blick zu Wilhelm Löwenström. Sie würden so bald wie möglich über die Einzelheiten ihrer Absprache reden.

 

Nach dem Abendessen versammelten sich die Frauen in einem der Salons, wo Kaffee, Tee und Süßigkeiten serviert wurden, während die Männer sich zu Zigarren und Cognac in den Rauchsalon des Landeshauptmanns zurückzogen.

«Herr Hammerstaal scheint ja ein interessanter Mann zu sein», sagte Leonite von Wöhler eifrig zu Karin, die neben ihr auf dem roten Sofa saß. Beatrice setzte sich in einen Rokokostuhl zu den beiden. Leonite nahm sich ein Stück Konfekt aus der großen Silberschale und ignorierte Beatrice völlig. Karin goss Tee in die dünnen chinesischen Tassen.

«Er ist sehr beschäftigt. Ein äußerst gefragter Mann», antwortete sie und reichte Beatrice eine Tasse.

Leonite beugte sich interessiert vor. «Wirklich?»

«Ja», Karin nickte. Sie reichte die Silberschale mit den Süßigkeiten herum, und Beatrice nahm sich eine Praline mit kandierten Rosenblättern.

«Ist er bei Hofe? Papa hat noch nie von ihm gesprochen», sagte Leonite.

Karin schüttelte den Kopf. «Seth fühlt sich am Hof nicht wohl», erklärte sie. «Er geht seine eigenen Wege. Doch es heißt, dass Seine Majestät von seinen Kenntnissen und Erfahrungen sehr beeindruckt ist.»

Beatrice musste über Karins stolzen Ton lächeln, doch Leonite runzelte die Stirn. Offenbar wollte ihr nicht in den Kopf, wie jemand sich nicht für das höfische Leben interessieren konnte. Beatrice unterdrückte ein Lachen und nahm einen Schluck von ihrem heißen Tee. Karin wandte sich an Sofia, die sich ebenfalls zu ihnen gesetzt hatte. Sie saß sehr aufrecht, und ihre Augen strahlten.

«Würdest du wohl etwas für uns singen?», bat Karin.

«Sehr gern», antwortete Sofia.

 

Als sich die Männer wieder den Frauen anschlossen, hielt Seth als Erstes nach Beatrice Ausschau. Sie stand auf der anderen Seite des Raumes, und er wollte gerade zu ihr gehen, als Leonite ihm zurief, dass sie ihm einen Platz auf dem Sofa freigehalten habe. Einladend klopfte die Deutsche mit dem Fächer auf das Polster neben sich, und er musste sich wohl oder übel zu ihr setzen, während man Stühle für die Gesangseinlage zusammenstellte. Doch Seths Blicke wanderten die ganze Zeit zu Beatrice hinüber. Ihr rotes Haar war zu einer komplizierten Frisur aufgetürmt und zog das Licht geradezu auf sich. Sie saß auf einem Stuhl in der hinteren Reihe und schien ganz in Gedanken versunken. Als ihre Cousine begann, ein romantisches Lied zum Besten zu geben, lächelte sie leise. Seth dachte nicht weiter über seine Motive nach, als er sich bei seiner Nachbarin entschuldigte und aufstand. Leonite hatte er inzwischen gründlich satt, und mit Beatrice hatte er zum letzten Mal zwischen Obst und Käse ein Wort gewechselt.

Während er langsam das Zimmer durchquerte, redete er sich ein, dass er überhaupt kein Interesse daran hatte, etwas mit einer so jungen Frau anzufangen. Aber er hatte ja auch gar nicht vor, sie zu verführen, dachte er, während er sich ihr näherte. Er wollte nur ein wenig mit ihr plaudern und sehen, ob sie aus der Nähe betrachtet noch genauso schimmerte oder ob die flackernden Kerzen seinen Augen einen Streich spielten. Er stellte sich hinter sie, so nah, dass er sie riechen konnte. Er hatte einen jungen, blumigen Duft erwartet, stattdessen roch er etwas Würziges, Warmes. Sie drehte sich nicht um, doch sie spürte seine Nähe: Er sah, dass sich die feinen Flaumhärchen an ihrem Nacken aufstellten, als er sich zu ihr hinunterbeugte.

«Sie mögen Musik», flüsterte er.

«Sehr», antwortete sie.

Ihre zarte Haut hatte die Farbe von Sahne. Er sah die Sommersprossen, die unter ihrem schweren Haarknoten verschwanden. Wie es sich wohl anfühlen würde, sie mit der Zunge zu verfolgen, dachte er, diese kleinen rotgoldenen Flecken zu kosten … «Ihre Cousine singt wunderbar», murmelte er ihrem Nacken zu.

Beatrice bebte, bevor sie antwortete. «Wenn sie Musik spielt oder singt, vergisst sie ihre Schüchternheit.»

«Spielen Sie auch ein Instrument?», fragte er, immer noch im Flüsterton, um den Gesang nicht zu stören.

«Sagen wir es so: Niemand, der mich jemals gebeten hat, ihm etwas vorzuspielen, hat diesen Wunsch ein zweites Mal vorgebracht», erwiderte sie.

Seth unterdrückte ein Lachen. «Sie sollten Ihre Fehler vor fremden Leuten besser verbergen.»

Sie wandte den Kopf ein wenig. «Sie haben vollkommen recht. Anscheinend trete ich heute dauernd ins Fettnäpfchen. Aber jetzt seien Sie still, Sie stören die Musik.»

Seth verzog den Mund. Er wusste sehr gut, dass er viel zu dicht hinter ihr stand. Anstand und guter Ton geboten, dass er ein Stück von ihr abrückte. Doch Anstand war noch nie seine starke Seite gewesen. Stattdessen rückte er noch ein Stückchen näher heran und sah, wie sie leicht zitterte. Ihr Rücken war nur noch einen Hauch von seiner Hemdbrust entfernt. Nonchalant lehnte er sich mit der Schulter an die Wand. Er konnte nicht anders, und er wusste auch nicht, ob er überhaupt anders wollte. Und nur weil es ihm so natürlich vorkam, diese duftende Frau zu berühren, ließ er langsam einen Finger über ihren Arm nach oben gleiten, an der Seite, die den Blicken der anderen Gäste entzogen war. Er streichelte sie, über das seidenumhüllte schmale Handgelenk bis hinauf zum Rand ihres Handschuhs. Sie gab einen erstickten Laut von sich, doch er konnte sich nicht bremsen. Behutsam glitt sein Finger über die nackte Haut, und auf einmal war er es, der erschauerte. Sie war so unglaublich weich, und seine eigene Reaktion überraschte ihn mehr als alles andere. Er hatte gehandelt, ohne nachzudenken, und jetzt konnte er sie nicht mehr loslassen, daher blieb er so stehen, während sie beide dem Lied lauschten.

Schließlich verklang die Musik, und Beatrices blonde Cousine nahm den verdienten Applaus entgegen. Obwohl Beatrice den Arm nicht weggezogen hatte, nahm Seth seine Hand nun fort, bevor sie doch noch irgendjemand sah. Beatrice senkte den Kopf und schwieg.

 

In dieser Nacht lag Beatrice noch lange wach, Sofia war schon längst eingeschlafen. Sie fragte sich, ob sie sich das alles vielleicht nur eingebildet hatte. Seth Hammerstaal war weltgewandt, erfahren und wahrscheinlich sehr vermögend. Und er sah gut aus, trotz der zynischen Fältchen um die Augen. Gegenüber Sofia hatte sie natürlich kein Wort über die Geschehnisse verloren. Sie teilten all ihre Gedanken miteinander, aber irgendetwas bewog sie, diese neuen Gefühle für sich zu behalten. Sie gestand sich ein, dass sie auch Angst hatte, sich lächerlich zu machen und zu erzählen, was sie fühlte, diesen unwahrscheinlichen Gedanken in Worte zu fassen – dass ein Mann wie dieser sich für eine Frau wie sie interessieren könnte. Doch ihr Gespräch schien ihn amüsiert zu haben. Sie blinzelte ins Dunkel. Von der Straße drangen die Geräusche der Stadt herauf, späte Kneipenbesucher auf dem Heimweg, Handwerksgesellen, die sich nach ihrer Nachtschicht heimschleppten, vereinzelte Rufe in den Gassen. Doch ihre Gedanken wanderten immer wieder zu der Szene im Musikzimmer. Die Liebkosung war ebenso überraschend wie unschicklich gewesen, und hinterher hatte sie sich doch erwartet, dass er noch mehr tun oder sagen würde. Doch abgesehen von einigen oberflächlichen Bemerkungen unterhielten sie sich nicht weiter, und irgendwann verabschiedete sich die Familie Löwenström und fuhr nach Hause. Ich verstehe überhaupt nichts mehr, dachte sie, während der Schlaf sich hartnäckig weigerte, zu ihr zu kommen. Sie wusste nur, dass dieser Abend irgendetwas in ihr für immer verändert hatte.

4

Nybroviken, Stockholm

Sofia vergrub die Hände in ihrem Pelzmuff. Es hatte geschneit, ganz Stockholm lag unter einer knirschenden Schneedecke, und die Kinder fuhren Schlitten in den Gassen. Dazu schien die Sonne, es war ein perfekter Wintertag. Der Schnee lag wie ein Schleier auf dem Nybroviken, auf dem man eine Eisbahn freigefegt hatte, die wie schwarzer Kristall glänzte. Draußen auf dem Eis bewegten sich Erwachsene und Kinder in dicker Winterkleidung, die einen mit Schlittschuhen, die anderen mit Tretschlitten, manche auch zu Fuß. Am Ufer stand eine Frau, die heiße Mandeln verkaufte, und rundherum tollten Kinder und Hunde im Schnee. Ein Blasorchester spielte, und wenn Sofia nicht so nervös gewesen wäre, hätte sie das alles ganz wunderbar gefunden.

Doch kaum konnte sie einmal durchatmen, stand er auch schon vor ihr: Johan Stjerneskanz, der Mann, den sie auf Karins Abendgesellschaft kennengelernt hatte und der die blauesten und nettesten Augen hatte, die sie je gesehen hatte. Johan begrüßte erst Beatrice und Edvard, bevor er sich an Sofia wandte.

«Ich habe mich schon darauf gefreut, Sie hier zu sehen», sagte er und ergriff ihre Hand. Er trug dicke Handschuhe und einen bunten Schal, und Sofia spürte, wie sie unter seinem freundlichen Blick errötete. Sie wusste, dass sie in ihrer kurzen, figurbetonten Jacke hübsch aussah. Die Jacke hatte enganliegende Ärmel und war an den Kanten mit demselben hellgrauen Pelz gesäumt, aus dem auch der Muff gefertigt war. Andererseits hatte ihr gutes Aussehen Sofia schon oft in Verlegenheit gebracht. Sie hasste die aufdringlichen Blicke und das Starren der Männer, doch jetzt wünschte sie sich zum ersten Mal, dass ein Mann sie hübsch finden würde. Vor allem dieser Mann hier. Johan, an den sie die ganze Woche gedacht hatte. Sie hatte so viel von ihm geredet, dass Bea sie irgendwann anflehte, endlich aufzuhören. Als dann eine Einladung von Johans Mutter zum Schlittschuhlaufen auf dem Nybroviken eintraf, war Sofia überglücklich gewesen. Doch im nächsten Moment hatte sie fast geweint vor Enttäuschung, weil ihr einfiel, dass sie ja gar nicht Schlittschuh laufen konnte. Prompt wollte sie die Einladung ablehnen, doch Beatrice hatte die Einwände ihrer Cousine ignoriert und in ihrer beider Namen angenommen.

«Dieses Winterpicknick ist wirklich eine großartige Idee», sagte Beatrice laut und sah Sofia aufmunternd an.

«Mama veranstaltet jedes Jahr eines», erklärte Johan. «Aber wie Sie sehen, neigen ihre Gesellschaften immer dazu auszuarten.» Er zeigte mit einer ausholenden Handbewegung auf das Gewimmel von Gästen. «Ich weiß nicht, ob wir hier gemeinsame Bekannte haben», fuhr er fort. «Obwohl, doch – Fräulein Leonite haben Sie ja schon bei Hielms kennengelernt, nicht wahr? Die muss hier irgendwo sein.»

Edvard und Beatrice bejahten, aber Sofia konnte sich nicht an Leonite erinnern. An jenem Abend hatte sie weiß Gott anderes im Kopf gehabt.

«Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie Ihre Schlittschuhe anziehen können», sagte Johan.

Sofia hatte versprochen, das Schlittschuhfahren doch einmal auszuprobieren, um nicht nur als Zuschauerin am Rand zu sitzen. Also setzte sie sich auf eine Bank am Ufer, als wäre es das Natürlichste der Welt. Bea, die schon als Kind Schlittschuh gelaufen war, schnürte sich die Stiefel selbst, während Johan vor Sofia kniete. Er war blond, und wenn sie die Hand ausgestreckt hätte, hätte sie eine der Locken berühren können, die unter seinem Hut hervorlugten.

«Ich freue mich, dass Sie kommen konnten», sagte er so leise, dass nur sie ihn hörte.

Ich mich auch, dachte Sofia.

Der blonde Jurist hatte etwas in ihr geweckt, und von einem Abend auf den anderen hatte sich ihr ganzes Leben verändert. Johan war bei Karins Souper so freundlich gewesen, so behutsam und geduldig. Als sie aufblickte, sah sie, dass Bea gerade die ersten Schritte aufs Eis machte, und sie wurde selbst von kühnem Mut gepackt. Sie würde auch Schlittschuh laufen, sie würde ihnen allen beweisen, dass sie nicht feige war.

«Vorsichtig, Fräulein Löwenström», warnte Johan, nachdem er ihr die Stiefel geschnürt hatte. «Wenn Sie mir ein paar Minuten geben, bin ich gleich bei Ihnen.»

Er eilte davon, und Sofia stand entschlossen auf. Hochkonzentriert ging sie zum Eis hinab, wie sie es vorhin bei Bea beobachtet hatte, und es klappte ganz ausgezeichnet. Hunderte von Tanzstunden mussten sich doch wohl auszahlen. In ihrem neuen Korsett steckten außerdem acht Zentimeter breite und fünfundvierzig Zentimeter lange Metallplatten. Dieses monströse Ding gab immerhin einen gewissen Halt, dachte sie und streckte den Rücken. Einen Fuß nach dem anderen setzte sie aufs Eis und machte dann ein paar wacklige Schritte auf ihre Cousine zu, die weiter draußen auf sie wartete.

«Warte, Sofia, ich helfe dir», rief Beatrice und fuhr ihr entgegen.

«Ich brauche keine Hilfe», erwiderte Sofia stolz. Noch ein kleines Schrittchen – ha! –, das ging ja ganz hervorragend. Doch dann bekam sie zu spüren, dass ihre Bewegungen ungeübt und ungeschickt waren, sie geriet ins Schwanken und ruderte mit den Armen. Hinter sich hörte sie einen Ruf vom Ufer, vor sich sah sie Beas ungläubigen Blick. Erschrocken riss sie die Augen auf, schrie auf – und stieß dann mit ihrer Cousine zusammen, die nicht mehr rechtzeitig hatte ausweichen können. Mit einem kräftigen Rums stürzten beide aufs Eis. Bea hat den schlimmsten Stoß abgefangen, dachte Sofia schuldbewusst, doch dann brach sie in Gelächter aus. So etwas Tollkühnes hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gemacht.

Johan war sofort bei ihnen, beugte sich besorgt zu Sofia hinunter und reichte ihr die Hand. «Sind Sie verletzt?»

Zum ersten Mal sah Sofia Johan direkt in die Augen, und ein euphorisches Gefühl durchzuckte sie. Sie ergriff seine Hand und wandte sich ihrer Cousine zu, die immer noch unter ihr auf dem Eis lag. «Ich bin dir wirklich dankbar, liebe Bea», sagte sie. «Dass du mich zum Schlittschuhlaufen mitgenommen hast, war eine gute Idee. Aber erinnere mich nächstes Mal daran, dass ich zuerst das Anhalten üben muss.»

Beatrice quietschte vor Lachen, und Sofia musste selbst so lachen, dass sich ihr Griff um Johans Hand lockerte und sie erneut auf ihrer Cousine landete. Es dauerte eine ganze Weile, bis Johan ihr auf die Füße geholfen hatte. Sie ordnete ihre Kleidung und versuchte, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, während sie sich gleichzeitig an Johans Rockärmel festklammerte. «Lassen Sie mich bloß nicht los», kicherte sie. Das kleine Abenteuer erheiterte sie so sehr, dass sie darüber ihre Schüchternheit ganz vergaß.

Johan fing ihren Blick auf und legte seine Hand auf die ihre. «Niemals», erwiderte er feierlich.