The stars we reach - Emerald Bay, Band 1 - Lorena Schäfer - E-Book

The stars we reach - Emerald Bay, Band 1 E-Book

Lorena Schäfer

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Beschreibung

Nachdem Ivy ihren Freund Leon beim Fremdknutschen erwischt hat, will sie nur noch eins: keine Kerle mehr in ihrem Leben! Sie packt die Koffer und erfüllt sich endlich ihren Traum, Australien zu bereisen. Schließlich landet sie in dem kleinen Küstenort Emerald Bay, der sie sofort verzaubert. Hier will sie auf einer Farm aushelfen und ihr Leben neu sortieren. Sie hat jedoch nicht damit gerechnet, dass ihre Mitbewohnerin Taylor in Wahrheit ein verdammt gut aussehender Typ ist. Taylor renoviert das Haus am Meer, in das nun auch Ivy einzieht. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen, doch nach und nach schleicht sich Taylor dennoch in ihr Herz. Aber ist Ivy überhaupt bereit für eine neue Liebe?

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Seitenzahl: 401

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Inhalt

Cover

Titel

Widmung

Playlist

IVY

IVY

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

TAYLOR

IVY

TAYLOR

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

TAYLOR

IVY

IVY

Ich danke ...

Ivy’s Rezeptesammlung

Australische Lamingtons

Ivys Apple Crumble

Blueberry Tarte à la Rosewood Farm

Impressum

Lorena Schäfer

Für Vivi,

die wie ich an die ganz großen Liebesgeschichten glaubt

Playlist

Coastline – Hollow Coves

Nothing Else – Angus & Julia Stone

Heartbeat -SAILR

Waves – Beachfriends

Bloom – The Paper Kites

At Home – Jon Bryant

Be Slow – Harrison Storm

Acoustic – Billy Raffoul

I Got You, Honey – Ocie Elliot

For the Very First Time – Joel Stewart

Hold You – Jack Botts

You Belong With Me – Taylor Swift

Taylor – Jack Johnson

I'll Be There for You – The Rembrandts

It Must Have Been Love – Roxette

IVY

»Es hatte nichts mit dir zu tun, Ivy.«

Die Worte steckten in meinem Kopf fest, obwohl ich mir geschworen hatte, nicht mehr darüber nachzudenken. Vor meinem inneren Auge lief immer wieder dieselbe Szene ab: wie Leon auf der zerschlissenen Couch seines WG-Zimmers mit einer anderen knutschte.

Anscheinend half nicht mal ein Flug an das sprichwörtlich andere Ende der Welt, damit ich ihn vergaß. Wobei ich vor wenigen Wochen noch in Tränen ausgebrochen wäre. Nun war ich nur noch wütend. Stinkwütend. Und ich würde nicht so blöd sein, je wieder einem Jungen zu vertrauen.

Gerade fuhr der Bus vom Highway ab und folgte der Beschilderung nach Emerald Bay. Ich hatte es nach einem ganzen Tag im Flugzeug und drei weiteren Stunden Fahrt vom Flughafen in Sydney endlich geschafft. Draußen schien die Sonne im krassen Gegensatz zu dem eisigen Schneeregen, der mich in Deutschland ins Flugzeug begleitet hatte. Hier in Australien war Ende Januar noch Hochsommer.

Liegt es vielleicht daran, dass sie lange blonde Haare hat? Ich zupfte gedankenverloren an meinen dunkelbraunen Haaren, die mir knapp über die Schulter reichten. Oder an ihrem perfekt gebräunten Körper? Im Gegensatz zu mir, die auch im Sommer nur eine Rötung auf ihrer blassen Haut davontrug. Oder weil sie schon so erfahren ist? Ich hatte später herausgefunden, dass sie bereits einundzwanzig war und zwei Semester über Leon Maschinenbau studierte. Ich hingegen war achtzehn und hatte vor Leon keinerlei Erfahrung mit Jungs gesammelt.

Schluss damit, Ivy, befahl ich mir zum wiederholten Mal. Es liegt daran, dass Leon ein Mistkerl ist und nicht an deiner Erfahrung, Körbchengröße oder der Form deines Hinterns.

Der Bus wurde langsamer und bog in einen Kreisverkehr. Welcome to Emerald Bay stand in blauen Buchstaben auf einem großen, weißen Holzschild. Ich war tatsächlich hier. In Australien, the land down under. Weit weg von ... weit weg von daheim eben. Schließlich hielt der Bus mit einem lauten Zischen an, und die Türen gingen auf.

Schnell griff ich nach meinem Koffer und meinem vollgepackten Rucksack und beeilte mich, zur Tür zu kommen.

»Vielen Dank«, rief der ältere Herr, der vor mir ausstieg, dem Busfahrer zu. Dieser tippte vergnügt an seine Baseballmütze und rief zurück: »No worries, mate.« Waren hier alle so freundlich?

Schwülwarme Luft schlug mir entgegen, als ich mit meinem Gepäck aus dem Bus trat. Hohe Bäume, darunter auch einige Palmen, säumten den Wegesrand, und lautes, fremdes Vogelgezwitscher drang aus ihrer Richtung zu mir herüber.

Die weitesten Reisen, die ich bisher gemacht hatte, waren mit meiner Mutter nach Holland und mit Leon nach Italien gewesen. Und nun stand ich alleine hier. Ganz alleine.

Schnell schob ich diese beängstigenden Gedanken von mir und sah mich um. Auf der anderen Straßenseite entdeckte ich einen kleinen Supermarkt, daneben ein Postamt und ein Gebäude, auf dem groß Visitor Center stand. Ich musste grinsen. Was es wohl in Emerald Bay alles an Sehenswürdigkeiten zu besichtigen gab? Auf den Bildern im Internet hatte der Ort verträumt und nach wenig Aufregung ausgesehen. Genau das Richtige für mich, nach allem, was passiert war.

Ich hatte mich nach der Trennung von Leon über Wochen in meinem Bett verkrochen und mein Zimmer nicht verlassen. Mit Arianas One Last Time in Dauerschleife auf den Ohren hatte meine Mutter mir irgendwann ihren Taschenspiegel hingehalten. Noch immer hallten ihre Worte in mir nach: »Ivonne, mein Schatz. Du musst dringend wieder raus. Etwas ganz Neues machen, das nichts mit Leon zu tun hat.«

Ich hatte meinen Kopf vom Kissen gehoben, erschrocken mein verheultes Gesicht und die tiefen Augenringe in dem winzigen Spiegel angesehen und beschlossen, dass es so wirklich nicht weitergehen konnte. Meine Mutter hatte Recht. Und je weiter ich von Leon wegkam, desto größer war die Chance, dass ich ihn endlich vergessen würde.

Seit Jahren träumte ich davon, den Kontinent auf der anderen Seite des Globus zu sehen. Als ich in der zwölften Klasse die Chance gehabt hatte, an einem Schüleraustausch in Australien teilzunehmen, hatte Leon mich bestürzt gefragt: »Und was passiert dann mit uns?« Wir hatten uns ein halbes Jahr zuvor kennengelernt, und ich war davon ausgegangen, dass drei Wochen ohne einander kein Problem sein würden. Doch Leon hatte bestimmend gesagt: »Du kannst nicht einfach für so lange Zeit weggehen.« Ich war so in ihn verliebt gewesen, dass ich meine Teilnahme zurückgezogen hatte. Aber jetzt war Leon nicht mehr da, und mir war schnell klar, was ich machen wollte.

Ich hatte mir meinen Laptop geschnappt, Australien in das Suchfeld des Browsers eingegeben und mich stundenlang durch Bilder von langen Stränden, Koalas und Kängurus gescrollt. Das erste Mal hatte ich wieder so etwas wie Glücksgefühle in mir. Aber wie sollte ich mir das finanzieren? Kurz darauf hatte ich begonnen, nach möglichen Jobs und einem Working-Holiday-Visum zu suchen.

Bis zu unserer Trennung hatte ich mein Leben komplett nach Leon ausgerichtet. Er war ein Jahr älter als ich und hatte bereits begonnen, in unserer Heimatstadt Dortmund zu studieren. Für mich war klar gewesen, dass ich ihm nach meinem Abi dorthin folgen würde, um in seiner Nähe zu bleiben. Da ich keine Ahnung hatte, was ich mit meiner Zukunft anfangen wollte, hatte ich mich für BWL entschieden. BWL, hatte Leon gesagt, wäre genau das Richtige für mich. Ich würde damit immer einen guten Job bekommen. Und damit war der Weg für mich irgendwie vorgezeichnet gewesen: Leon und ich studierten zusammen und würden später in der Nähe Arbeit finden. Er war ein Familienmensch, der niemals weit wegziehen wollte. Na ja, und dann war eben doch alles anders gekommen. Zwei Monate meines Lebens hatte ich letztendlich mit Wirtschaftslehre und Rechnungswesen vergeudet, und es hatte mich nicht die Bohne interessiert.

Wenn man verliebt ist, geht man eben Kompromisse ein, hatte ich mir immer wieder gesagt.

Ich hatte mir einfach nie Gedanken darüber gemacht, was ich wirklich werden wollte. Aber jetzt konnte ich meine Zukunft plötzlich selbst in die Hand nehmen. Es war ein fremdes Gefühl, das mir Angst einflößte. Was, wenn ich wieder eine falsche Entscheidung traf? Wäre es wirklich nützlich für meine Zukunft, die nächsten Monate mit Aushilfsjobs in einem anderen Land zu verbringen? Doch der Gedanke daran, erneut in einem Hörsaal zu sitzen, um Gewinn-und-Verlust-Rechnungen durchzugehen, schnürte mir den Magen zu.

Ich hatte Anzeige um Anzeige auf australischen Jobseiten durchforstet und mich schließlich als Erntehelferin auf einer Farm in dem kleinen Küstenort Emerald Bay beworben. Hier würde ich starten und danach mit meinem Work-&-Travel-Visum durch das Land reisen. Schon als Kind hatte ich meiner Oma in ihrem Schrebergarten geholfen. Wir hatten zusammen Tomaten und Gurken angepflanzt und Kartoffeln geerntet. Inzwischen liebte ich es, mit frischen Zutaten zu kochen. Was aus der Not heraus entstanden war, weil Mum wieder ganztags arbeiten ging, sobald ich in die fünfte Klasse kam, entwickelte sich später zu einer echten Leidenschaft. Leon hatte meine Foodie-Liebe immer belächelt. Aufgegessen hatte er allerdings all meine Kochversuche gerne.

Mein Handy gab einen lauten Ton von sich und riss mich aus meinen Gedanken. Ich nahm meinen Rucksack vom Rücken und holte es heraus. Taylor, meine neue Mitbewohnerin, hatte mir eine Nachricht geschrieben:

Welcome to Australia! Hab dir den Schlüssel unter die Fußmatte gelegt, da ich nicht weiß, ob ich es pünktlich zu deiner Ankunft schaffe. Fühl dich einfach schon mal wie zu Hause.

Ich hatte die Adresse des Hauses in meinem Handy abgespeichert: 431 Kangaroo Hill, Emerald Bay. Sie las sich wie aus einer Reisebroschüre, und ich hatte mich direkt verliebt.

Ich öffnete Google Maps. Laut Routenbeschreibung musste ich in Richtung Norden laufen. Ich schulterte meinen Rucksack wieder und zog meinen Koffer hinter mir die Main Street entlang. War das heiß! Der Schweiß rann mir den Rücken herunter, und meine Klamotten klebten bereits unangenehm an mir, als ich nach einigen hundert Metern abbog und einer steil nach oben verlaufenden Straße folgte. Einstöckige Holzhäuser mit grünen Vorgärten säumten hier die Straßen, und in einer Einfahrt stand sogar ein Boot! Es war ein komplett anderer Anblick als die Reihenhaussiedlungen aus grauem Beton, die ich von daheim gewöhnt war.

Ich hatte das Zimmer am Kangaroo Hill auf einer Plattform für WG-Gesuche gefunden. Die Vermieterin ließ das Haus derzeit renovieren, und die Miete war dadurch billiger, was mir, mit einem Blick auf meinen Kontostand, sehr entgegenkam.

Taylor hatte mir ein Bild von dem zu vermietenden Zimmer gesendet, und ich hatte beim Anblick des großen Betts und der weißen Holzdielen nur geantwortet: Wann kann ich einziehen?

Wir hatten einige Nachrichten hin und her geschrieben und verstanden uns bereits super. Ich war froh, dass ich hier schon jemanden kannte. Denn trotz meiner Vorfreude auf Australien hatte ich auch ein bisschen Angst davor, ganz alleine in einem völlig fremden Land zu sein. Taylor war neunzehn, also ein Jahr älter als ich, und ich freute mich darauf, bei einer Einheimischen zu leben. Zusammen würden wir bestimmt all das tun, was Mitbewohnerinnen so zusammen machten. Kochen, Netflix-Serien anschauen und über Jungs lästern. No boys allowed.

Mit Leon hatte sich meine Freizeit vor allem um Fußball gedreht. Entweder spielte er selbst und wollte, dass ich ihm dabei zusah, oder es lief irgendein Spiel im Fernsehen.

Aber damit war jetzt Schluss. Ab sofort würde es keine Typen mehr in meinem Leben geben, nach denen ich mein Leben ausrichtete. Jetzt konzentrierte ich mich auf mich selbst und nahm meine Zukunft selbst in die Hand. Dies war der Beginn der neuen Ivy.

IVY

Die australische Sonne brannte weiterhin unermüdlich auf mich herunter, als ich meinen Koffer über das heiße Pflaster zog. Hoffentlich holte ich mir keinen Sonnenbrand, bevor ich überhaupt richtig angekommen war.

»Hier muss es doch irgendwo sein«, fluchte ich und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Kurz darauf machte die Straße eine Biegung und tatsächlich: Dort entdeckte ich endlich das kleine Holzhaus von Taylors Bildern. Es war weiß gestrichen und hatte graue Fenster, graue Dachschindeln und eine wunderschöne Veranda aus Holz, die einmal ringsherum verlief.

Mit letzter Kraft zog ich meinen Koffer bis zur Einfahrt und trug ihn die Stufen zur Haustür hinauf. Vorsichtshalber klopfte ich zuerst, doch im Inneren rührte sich nichts.

Ich hob die Fußmatte aus braunem Bast vor mir an, und tatsächlich lag ein Schlüssel darunter. Erleichtert steckte ich ihn ins Schloss und öffnete die Tür. Frischer Farbgeruch schlug mir entgegen. Im Eingangsbereich wurde ich von allerlei Brettern, Farbeimern und Werkzeugen begrüßt. Sie gehörten bestimmt den Bauarbeitern, die hier derzeit renovierten. Vorsichtig schlüpfte ich daran vorbei. Das quadratische Haus war nicht groß, aber durch die hellen Dielen wirkte es warm und gemütlich. Das, was sich nicht unter großen Plastikplanen verbarg, sah wunderschön aus. Vom Flur gingen drei Türen ab. Eine führte ins Bad und die anderen beiden in zwei Schlafzimmer.

Von den Fotos wusste ich, welches meins sein würde, und ich schleppte meinen Koffer hinein. Ein Bett aus hellem Stoff nahm den Großteil des Raumes ein, daneben stand ein Nachtschränkchen mit Muschelgriff. Die Wand dahinter war mit weißem Holz verkleidet, und ein großes Bild, das einen Strand in sanften Farben zeigte, hing darüber. Auf dem Boden lag ein Teppich aus Jute, der farblich perfekt auf die Rollos am Fenster abgestimmt war. Nur der alte Wandschrank aus braunem Holz passte nicht so richtig zum Rest. Trotzdem war das Zimmer in Wirklichkeit noch schöner als auf Taylors Bildern. Hier sollte ich tatsächlich die nächsten Wochen leben?

Aufgeregt lief ich durch den Rest des Hauses. Das Bad war etwas in die Jahre gekommen. Grüne Fliesen und ein alter Boden mit Gelbstich sahen nicht gerade nach Wellness-Oase aus. Ich fuhr mit dem Finger über den Waschbeckenrand. Wenigstens war es sauber.

Ich spähte durch die halbgeöffnete Tür des anderen Zimmers, das Taylor gehören musste. Hier herrschte noch Chaos zwischen Farbeimern, aber man konnte schon erahnen, dass es ebenso toll aussehen würde, wenn es erst fertig war. Ich runzelte die Stirn. Große Hoodies und dicke Arbeitsschuhe lagen auf den Dielen. Hatten die Handwerker ihre Klamotten hier liegen lassen?

Als Nächstes ging ich den Flur entlang auf eine große Wohnküche zu, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte. Eine nagelneue Küche inklusive großem Kühlschrank war bereits eingebaut worden, und auch der Gasherd sah aus, als hätte ihn noch niemand benutzt. In der Mitte standen vor einer großen Kücheninsel drei Hochstühle. Hier würde ich bestimmt neue Rezepte ausprobieren können. Vielleicht lernte ich sogar Leute kennen, die ich zum gemeinsamen Essen hierher einladen konnte? Ein großer Tisch aus hellem Holz stand in der Ecke, und ein gemütlich aussehendes Sofa diente als Eckbank. Es war zu schön, um wahr zu sein.

Wenn Leon mich hier sehen könnte!

»Alleine nach Australien? Du?«, hatte er mich skeptisch gefragt, als ich ihm von meinen Plänen erzählte. Er hatte die Tüte mit seinen restlichen Sachen entgegengenommen – obwohl ich sie eigentlich hätte verbrennen sollen – und dabei ungläubig den Kopf geschüttelt.

»Was soll das denn heißen?«, hatte ich ihn schnippisch gefragt.

»Komm schon, Ivy«, hatte er geantwortet. »Wie willst du denn dort allein zurechtkommen? Ohne mich bist du doch total unselbstständig.«

Vor Wut war mein Kopf hochrot angelaufen. War Australien bis dahin nur ein Plan gewesen, hatte ich mir in dem Moment geschworen, ihn in die Tat umzusetzen und Leon zu beweisen, dass er Unrecht hatte.

Natürlich war ich trotzdem ein bisschen nervös. Ich versuchte nicht daran zu denken, dass ich mein Studium geschmissen hatte und nun ganz alleine am anderen Ende der Welt saß. Aber ich hatte es hierher geschafft – und damit war der erste Schritt getan.

Zurück in meinem Zimmer holte ich Shampoo und Duschgel aus meinem Koffer und lief ins Bad. Dort drehte ich in der alten Badewanne den Hahn auf und ließ mit einem wohligen Seufzen das kalte Wasser über meinen verschwitzten Körper laufen. Danach fühlte ich mich wie neugeboren. Hundemüde, aber wie neugeboren. Meine Haare konnten bei dieser Wärme an der Luft trocknen, sodass ich sie nur kurz mit den Fingern entwirrte. Dann wickelte ich eins der Handtücher aus dem Regal neben dem Waschbecken um mich und wollte gerade über den Flur zurück in mein Zimmer laufen, als ich aus dem Augenwinkel eine Person am Küchentresen lehnen sah. Mir entfuhr ein lauter Schrei, als die Person nicht Taylor, sondern ein groß gebauter Kerl mit blonden Haaren und Dreitagebart war.

»Was machst du hier?«, rief ich hysterisch und schlang das Handtuch noch ein bisschen fester um mich.

Er hob beschwichtigend die Hände und sagte schnell: »Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.«

Der hatte Nerven.

»Wer geht denn einfach in ein Haus, ohne zu klopfen?« Ich funkelte ihn wütend an. Er wollte etwas zu seiner Verteidigung sagen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Weiß Taylor, dass du hier herumspazierst?«

Er schaute mich irritiert an. »Was weiß ich?«

»Es ist nicht sehr höflich, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten«, sagte ich vorwurfsvoll. »Taylor meinte, dass nur sie und ich einen Zugang zum Haus haben. Weiß sie, dass du hier bist?«

Er schaute mich entgeistert an, dann verwandelte sich seine Miene plötzlich in ein breites Grinsen. »Ja.«

»Wirklich?«, fragte ich ihn verunsichert.

»Ja, Taylor weiß, dass ich hier bin.«

Mist. Sie hatte überhaupt nichts von einem Freund erzählt. Vielleicht war er ein One-Night-Stand, der hier übernachtet hatte? Ich musste den Typen dringend loswerden.

»Hat sie dir auch gesagt, dass ich heute hier einziehe?«

Wieder nickte er mit diesem süffisanten Grinsen im Gesicht.

»Dann würde ich dich bitten zu gehen. Ich möchte jetzt in Ruhe meine Sachen auspacken, bis sie daheim ist. Falls du sie hörst, kannst du ihr gerne ausrichten, dass ich angekommen bin.«

Erhobenen Hauptes stolzierte ich in mein Zimmer, machte mit einem Schwung die Tür hinter mir zu und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Ich versuchte, mein klopfendes Herz zu beruhigen. Dem hatte ich es gezeigt. Ab sofort würde mich kein Typ mehr in Verlegenheit bringen. Hier kam die neue Ivy, so wie ich es mir selbst versprochen hatte: selbstbewusst und unaufhaltbar.

Kurz horchte ich, ob der Typ noch im Haus war, aber es war alles still. Der würde wohl so schnell nicht mehr auftauchen. Ich schlüpfte in ein weißes Crop Top und meinen Jeansrock und begann, meine restlichen Sachen aus dem Koffer in den Wandschrank einzuräumen.

Dann hämmerte es laut an der Haustür. Wer konnte das sein? Vielleicht hatte Taylor ja ihren einzigen Schlüssel für mich unter die Fußmatte gelegt und kam jetzt nicht herein?

Schnell lief ich zur Haustür und öffnete sie erwartungsvoll. »Du schon wieder!«, rief ich genervt, als der Kerl von eben lächelnd vor mir stand.

Ich musste zugeben, dass er in dem schwarzen Tanktop, das seine muskulösen Arme betonte, verdammt gut aussah. Er war von der Sonne gebräunt und hatte beige Cargoshorts und dicke Timberland Boots an.

Er grinste und streckte mir eine braune Papiertüte entgegen, aus der es verboten lecker roch. »Herzlich willkommen in Emerald Bay! Ich habe extra noch mal geklopft.«

Ich hatte seit dem Brötchen im Flugzeug, das verdächtig nach Füßen geschmeckt hatte, nichts mehr gegessen, und mein Magen rumorte wie aufs Stichwort.

Vielleicht ist er ja ein Freund von Taylor und will nur nett sein? Plötzlich bereute ich mein forsches Auftreten von eben ein bisschen. Trotzdem. Ich war mit dem Vorsatz hergekommen, meine Zeit hier möglichst ohne Männer zu verbringen.

Ich räusperte mich und antwortete ihm nun in einem etwas versöhnlicheren Tonfall: »Das ist nett von dir, aber ich möchte wirklich auf Taylor warten.«

In diesem Moment hielt ein Auto vor der Einfahrt, und das Fenster wurde heruntergelassen. Eine ältere Dame mit großer Sonnenbrille auf der Nase saß am Steuer und rief: »Taylor, du hast die Veranda ja neu gestrichen! Sieht toll aus!«

Taylor.

Taylor?

Ich schaute ihn nur entgeistert an, als es mir wie Schuppen von den Augen fiel.

Taylor grinste mich nur wissend an. Dann winkte er in Richtung des Autos und antwortete: »Vielen Dank, Mrs Pike!«

Sie winkte vergnügt zurück, gab Gas und fuhr davon.

IVY

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Am liebsten hätte ich mich auf der Stelle in tausend Einzelteile aufgelöst. Mein Kopf war bestimmt knallrot, und mein Gehirn versuchte verzweifelt, zu verstehen, was hier passierte. Ich hatte meinen Mitbewohner Taylor in seinem Haus angeschrien und dann rausgeschmissen. Taylor war kein Mädchen. Taylor war ein Junge. Und noch dazu ein verdammt gutaussehender. Ich machte auf dem Türabsatz kehrt und eilte ins Haus.

»Warte, Ivy!«, rief Taylor mir hinterher.

Etwas verloren lief ich in der Küche umher, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte.

Taylor stellte die Tüte mit dem Essen auf den Küchentresen und setzte sich auf einen der hohen Stühle.

»Sorry, dass du jemand anderen erwartet hast. Das war wohl echt ein riesiges Missverständnis.« Er schaute mich entschuldigend mit seinen strahlend grünen Augen an. Sein australischer Akzent war ganz anders als das Englisch, das ich in der Schule gelernt hatte. Er verschluckte die Endungen der Wörter, was sich ziemlich süß anhörte. Reiß dich zusammen, Ivy. Wieso fällt dir das überhaupt auf? »Wollen wir noch mal von vorne anfangen?«, fragte Taylor mit schiefgelegtem Kopf.

Doch ich hörte gar nicht richtig hin, sondern lief weiter nervös zwischen Kühlschrank und Theke hin und her. »Taylor Swift, Taylor Mommsen«, zählte ich auf, »beides Frauen.«

»Taylor Lautner, Taylor Kitsch«, erwiderte er nur leichthin.

Shit. Er hatte Recht.

»Setz dich doch erst mal«, bat er mich und zeigte auf den Stuhl neben sich.

Ich blieb stehen und ließ mich dann nach kurzem Zögern erschöpft darauf fallen.

»Es tut mir echt leid, dass ich so unhöflich zu dir war«, entschuldigte ich mich zerknirscht.

»Kein Problem.« Seine Augen funkelten. Er fand die ganze Situation anscheinend wirklich witzig.

Ich aber nicht. Ich wollte nicht schon wieder einen Jungen in meiner Nähe haben wie die letzten Jahre. Ich wollte genau das Gegenteil.

»Dein Profilbild«, versuchte ich es noch einmal.

»Ich hatte bis vor Kurzem noch lange Haare.« Er fuhr sich mit einer Hand durch seine Strähnen, die jetzt kurz geschnitten waren. Auf dem Bild hatte man ihn lediglich von hinten gesehen, mit einer wallenden langen Mähne und im Hintergrund das strahlend blaue Meer. Ich wäre nie darauf gekommen, dass Taylor keine Frau war.

»Aber das Haus ... und das Schlafzimmer. Es ist so perfekt eingerichtet«, versuchte ich mich an den letzten Strohhalm zu klammern.

»Und das können etwa nur Frauen?«, fragte Taylor stirnrunzelnd.

»Nein, natürlich nicht!« Er hatte Recht, was für eine blöde Annahme. Warum dachte ich überhaupt so in Klischees?

»Ich mache eine Ausbildung zum Zimmermann«, erklärte er. »Und Inneneinrichtung ist mein Ding. Phoebe, unsere Vermieterin, hat mir den Auftrag gegeben, das Haus zu renovieren und lässt mich dafür im Gegenzug hier wohnen.«

»Das machst du alles alleine?«, fragte ich ungläubig.

Er nickte und sagte, nicht ohne Stolz in der Stimme: »Nur noch ein Jahr, dann bin ich offiziell Meister.«

Ich war eingeschüchtert von so viel Zielstrebigkeit. Hier saß ich nun, mit einem abgebrochenen Studium und einer nahenden Karriere als Erntehelferin – und Taylor wusste schon so genau, was er erreichen wollte.

»Aber ...«, versuchte ich es wieder, doch musste es mir nun eingestehen. Ich steckte am anderen Ende der Welt mit einem heißen Australier als Mitbewohner in diesem Haus fest. Die meisten hätten das als Jackpot bezeichnet, aber für mich war es eine Katastrophe. Ich hatte mich auf eine Mädels-WG gefreut, mit Pyjamapartys, Serienmarathons und Kochabenden. Okay, vielleicht wäre gar nicht so viel Gilmore-Girls-Feeling nötig gewesen. Aber jetzt musste ich meinen Alltag schon wieder nach einem Typen ausrichten.

Der Jetlag, zweiunddreißig Stunden ohne Schlaf und nun das – ich war auf einen Schlag fix und fertig. Meine Augenlider wurden schwer, und ich wollte mich nur noch in das Bett in dem wunderschön renovierten Zimmer verkriechen, um den ganzen Schlamassel zu vergessen.

Langsam erhob ich mich und zeigte auf das Essen, das Taylor geholt hatte. »Danke für das Essen, aber ich bin komplett kaputt und will unbedingt ins Bett. Tut mir leid.«

Er sah mich verständnisvoll an. »Klar, du musst hundemüde sein.« Er deutete auf den großen Kühlschrank. »Ich packe deine Portion da rein. Falls du heute Nacht aufwachst und Hunger hast.«

»Das wird bestimmt nicht passieren«, erwiderte ich. Ich fühlte mich, als könnte ich tagelang durchschlafen. »Bis morgen«, sagte ich und verließ die Küche.

»Bis morgen«, rief mir Taylor hinterher, und ich meinte, immer noch Belustigung in seiner Stimme zu hören.

In meinem Zimmer zog ich mich um, fiel in mein Bett und wurde in der nächsten Sekunde von tiefem Schlaf übermannt.

Als ich das nächste Mal wach wurde, wusste ich zunächst nicht, wo ich war. Schwaches Licht fiel durch das Fenster, denn die Vorhänge waren nicht zugezogen. Hatte ich gestern Abend vor Müdigkeit kaum mehr stehen können, war ich nun hellwach. Bäume-ausreißend hellwach.

Ich schaute auf mein Handy. Ich hatte fast zehn Stunden geschlafen. War es hier an der Ostküste Australiens fünf Uhr morgens, musste es in Deutschland gerade mal acht Uhr abends sein. Mein Körper war vollkommen aus dem Gleichgewicht.

Ich schickte meiner Mutter eine Nachricht, dass ich gut in meinem neuen Zuhause angekommen war. Seit meiner Ankunft am Flughafen hatte ich nichts mehr von mir hören lassen. Ich versuchte wieder einzuschlafen, aber drehte mich nur rastlos von einer Seite auf die andere. Immer wieder kam mir die Situation mit Taylor gestern Abend in den Sinn, und ich hätte am liebsten die Bettdecke über meinen Kopf gezogen, als ob ich die Verwechslung damit ungeschehen machen könnte.

Taylor und ich hatten uns in unseren Nachrichten vor allem über das Haus und Emerald Bay unterhalten. Auf meine Frage, was er gerne machte, hatte er geantwortet, er würde gerne surfen gehen und mit seinen Freunden Zeit verbringen. Nichts hatte mich denken lassen, dass er kein Mädchen war. Ich hatte es einfach angenommen. Was sollte ich jetzt nur tun? Mir direkt ein anderes Zimmer suchen?

Ratlos stand ich auf und ging ans Fenster. Die Morgendämmerung hatte bereits eingesetzt, und ich konnte die Umrisse der vielen Sträucher und Palmen im Garten erkennen. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, wo ich war. Durch das Chaos gestern Abend hatte ich meine neue Umgebung noch gar nicht in Ruhe betrachten können.

Leise schlich ich aus meinem Zimmer und über den Flur zur Verandatür in der Küche. Sie quietschte, als ich sie langsam aufmachte. Ich atmete die frische Luft ein, die nach Salz roch. Ganz in der Nähe hörte ich tatsächlich leise das Meer rauschen. Mit nackten Füßen ging ich über die hölzerne Veranda in den Garten. Das Gras war noch feucht und fühlte sich ganz anders als daheim an, irgendwie dicker und starrer. Es wurde langsam heller, und ich erkannte einen weißen Gartenzaun, der einmal um das Grundstück verlief. Am anderen Ende entdeckte ich ein kleines Tor zwischen all den hohen Pflanzen. War das etwa ...?

Aufgeregt lief ich hinüber, öffnete es und stand tatsächlich vor einer steilen Holztreppe, die einige Meter hinunter zum Strand führte. Vorsichtig stieg ich hinunter und hielt mich dabei an dem hölzernen Geländer fest. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Dass das Haus am Kangaroo Hill schön war, hatte ich mir schon gedacht – aber dass ich in erster Reihe am Meer wohnen würde, damit hätte ich nie im Leben gerechnet! Vor mir erstreckte sich der Strand von Emerald Bay und die unendliche Weite des Ozeans. Obwohl es noch so früh am Morgen war, sah ich in der Ferne schon Surfer im Wasser, die versuchten, die ersten Wellen zu reiten. Und am Horizont tauchte die aufgehende Sonne den Strand in ein warmes goldenes Licht.

Ich widerstand dem Drang, mich einmal selbst zu kneifen, um mir bewusst zu machen, dass dieser Anblick echt war. Hier stand ich barfuß am Strand in Australien in meinem Lieblings-Micky-Maus-T-Shirt und alten Boxershorts. Beides hatte ich vor einer gefühlten Ewigkeit Leon geklaut. Leon. Mein Herz bekam wieder mal einen kurzen Stich.

Ich versuchte, meine Gedanken an ihn abzuschütteln und mich stattdessen auf meine Situation hier zu konzentrieren. Gestern Abend wäre ich am liebsten aus dem Haus geflohen. Jetzt wusste ich nicht mehr, was ich denken sollte. Das hier war ein Traum. Doch es war mein fester Vorsatz gewesen, hierherzukommen, um Abstand von Jungs zu bekommen.

Gedankenverloren sah ich auf den Ozean vor mir und schüttelte schließlich den Kopf. Ich würde später entscheiden, wie es mit meiner Wohnsituation weitergehen würde. Im Moment konnte ich sowieso nichts daran ändern, und ich hatte schließlich auch meinen ersten Arbeitstag auf der Farm vor mir. Ich warf einen letzten Blick auf das glitzernde Wasser und stieg dann die Treppe wieder nach oben. Als ich das Gartentor hinter mir schloss und auf das Haus zuging, sah ich, wie Taylor mit einer Tasse in der Hand auf die Veranda trat. Mist, ich hatte nicht damit gerechnet, dass er auch schon wach war. Was mich aber noch mehr beunruhigte, war sein nackter, durchtrainierter Oberkörper, den er genüsslich streckte, während er ausgiebig gähnte.

Keine Kerle mehr, Ivy!, sagte ich mir. Kerle bedeuten Unglück, egal wie gut sie aussehen. Besonders, wenn sie gut aussehen.

Und Unglück war das Letzte, was ich wollte.

IVY

Taylor entdeckte mich natürlich und rief: »Guten Morgen! Na, warst du schon am Strand?«

»Ja, es ist einfach wunderschön da unten.«

Er nickte lächelnd und nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse.

»Wieso bist du schon wach?«, fragte ich.

»Meine Schicht auf dem Bau beginnt um sieben«, erklärte er. »Dann kann ich nachmittags hier weitermachen.« Sein Blick fiel auf mein Outfit, und ich fühlte mich für einen kurzen Moment unwohl, so komplett ungeschminkt und in meinen ältesten Sachen.

Taylor runzelte die Stirn, und ich wollte gerade etwas zur Verteidigung des blassen Mickys auf meinem T-Shirt sagen, als er mir zuvorkam: »Du solltest hier immer Thongs tragen.«

»Was?«, fragte ich verständnislos.

»Ach so, Flip-Flops sagt ihr dazu, oder?« Er zeigte auf die Zehentrenner an seinen Füßen. »Die heißen hier in Australien Thongs.« Er deutete in den Garten. »Es könnte sich jederzeit eine Schlange oder ein Skorpion im Gras verstecken, daher solltest du auf keinen Fall barfuß laufen.«

Ich starrte ihn entsetzt an, und er lachte, als er meinen Gesichtsausdruck sah.

»Keine Panik, ich bin hier aufgewachsen, und mir ist noch nie etwas Ernsthaftes passiert. Aber man sollte immer vorsichtig sein.«

»Noch nie etwas Ernsthaftes«, wiederholte ich tonlos.

»Nein, hier sind alle Haushalte mit Gegengift ausgestattet. Und die richtig gefährlichen Tiere findest du auch eher im Outback, in der Mitte des Landes, nicht an der Küste.«

Ich sah wohl nicht sonderlich überzeugt aus, denn Taylor lachte wieder. »Es ist wirklich nicht so schlimm, wie es sich anhört.«

Beunruhigt suchte ich das Gras ab, aber konnte keine Tiere entdecken. Stattdessen fiel mein Blick auf einen Baum mit grünen Früchten, und ich traute meinen Augen kaum. »Sind das etwa Avocados?«, fragte ich begeistert.

Taylor nickte.

Daheim gönnte ich es mir nur selten, mit der teuren Frucht zu kochen, und hier hingen direkt vor mir bestimmt Dutzende davon. Sofort fing ich an, in meinem Kopf Rezeptideen durchzugehen.

Taylor unterbrach meine Gedanken: »Wo wir schon beim Essen sind – hast du Lust zu frühstücken?«

Ich wägte kurz ab, aber ich würde es nicht komplett vermeiden können, Zeit mit ihm zu verbringen. »Okay«, sagte ich daher zögerlich und folgte ihm in die Küche.

Taylor öffnete den Kühlschrank und zählte den Inhalt auf. »Toast, Marmelade, Bacon ...« Er hielt inne. »Oder dein Abendessen von gestern?«

»Was ist es denn?«, fragte ich neugierig.

Taylor stellte als Antwort die braune Tüte auf die Küchentheke und zog eine Pappschale mit Deckel heraus.

Darunter verbarg sich eine Portion Fish & Chips. Sofort lief mir das Wasser im Mund zusammen, und ich seufzte genüsslich.

»Heißt das, ja?«, fragte Taylor und öffnete eine Schublade mit Besteck, während ich zustimmend nickte.

Du wirkst bestimmt total verfressen, nagte plötzlich eine leise Stimme in mir.

»Lass mich das lieber essen«, hatte Leon immer gesagt, wenn ich mich mal wieder durch die neuesten Food-Blogs gekocht hatte. »Nicht, dass das alles auf deinen Hüften landet.« Egal wie meine Hüften aussahen – es änderte nichts daran, dass er mich betrogen hatte. Und wieso konnte ich ihn nicht einfach mal aus meinem Kopf streichen?

»In Deutschland wäre es jetzt eh Zeit fürs Abendessen«, stellte ich fest.

»Einleuchtend«, bestätigte Taylor und hielt mir eine Gabel hin.

Ich nahm sie und stach genüsslich in den Fisch. Er war perfekt durchgebraten und schmeckte immer noch fangfrisch.

»Mmmh, ist das lecker«, sagte ich mit vollem Mund.

»Aus dem besten Laden der Stadt.« Taylor deutete auf die Tüte, auf die schwungvoll der Name Three Pines gedruckt war. Er steckte zwei Scheiben Toast in den Toaster und began, sich in einer Pfanne Speck anzubraten, während ich weiteraß. Ich war froh, dass er das Missverständnis von gestern nicht noch einmal ansprach und wir einfach nur zusammen frühstückten.

Ich versuchte, meinen Blick von ihm abzuwenden, doch das war gar nicht so einfach. Er hatte sich noch immer nichts übergezogen, und so war sein Oberkörper weiterhin nackt. Um seinen Hals trug er ein schwarzes Lederband, an dem ein Anhänger aus Holz hing. Ich musste mich zwingen, den Blick abzuwenden und fokussierte mich stattdessen auf meine Pommes. So konnte es nicht weitergehen. Ich musste klare Regeln aufstellen, bis ich entschieden hatte, ob ich hierbleiben würde.

»Wir brauchen als Erstes einen Badezimmerplan«, schlug ich vor.

Taylor wendete eine Scheibe Speck und runzelte die Stirn. »Einen was?«

Keine Ahnung, warum mir genau das in den Sinn kam, aber ich hatte tatsächlich keine Lust, noch einmal nur im Handtuch bekleidet vor ihm zu stehen.

»Einen Badezimmerplan«, wiederholte ich ungeduldig. »Wie sollen wir das ansonsten hinbekommen? Dass wir uns nicht im Bad begegnen?«

»Wir ... drehen den Schlüssel im Schloss herum?«, fragte er leichthin.

Gutes Argument. »Aber es wäre doch viel besser, wenn wir feste Regeln hätten. Damit jeder seinem eigenen Tagesablauf folgen kann.«Taylor sah immer noch nicht überzeugt aus, aber zuckte nur mit den Schultern. »Okay, wenn es dir so wichtig ist.« Er setzte sich mit seinem Teller gegenüber an die Theke.

»Stehst du jeden Morgen so früh auf?«, fragte ich.

Er nickte.

»Gut. Dann bekommst du den Slot von sechs bis halb sieben, und ich bin danach dran. Abends kannst du bis acht hinein und ich wieder danach.«

»Aber auf die Toilette kann ich schon, wenn ich muss, oder?«, feixte Taylor und grinste mich an.

»Natürlich«, sagte ich. Dieses Gespräch entwickelte sich irgendwie nicht so, wie ich es geplant hatte.

Für eine kurze Zeit aßen wir schweigend weiter. Dann fragte Taylor: »Wann musst du auf der Rosewood Farm sein?«

»Um acht«, antwortete ich.

»Ich kann heute später anfangen und dich hinfahren«, bot er mir an.

Auf keinen Fall wollte ich einen Gefallen von ihm annehmen. Ich würde das allein schaffen. »Nein, mach dir keine Umstände.« Ich schüttelte den Kopf.

»Ganz sicher?«, hakte er noch einmal nach. »Es ist wirklich nicht einfach, dort hinzukommen.«

»Auf jeden Fall«, bestätigte ich mir meine Aussage eher selbst. Ich war dabei, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

»Okay«, sagte Taylor skeptisch und stellte sein Geschirr in die Spülmaschine. »Dann werde ich wohl mal meinen Slot zum Duschen nutzen, bevor meine Zeit um ist.«

Ich lief hochrot an, als er fröhlich pfeifend an mir vorbei ins Badezimmer ging. Das konnte ja heiter werden.

TAYLOR

»Du musst aufpassen. Genau dann, wenn du es am wenigsten erwartest, macht dein Leben eine Wendung und stellt alles mit einem Wimpernschlag auf den Kopf.« Das war der Lieblingsspruch meines Grandpa Jim gewesen. Obwohl ich als kleiner Junge nicht wirklich verstanden hatte, was er damit meinte, hatte ich zustimmend genickt und unsere Angelruten im Meer betrachtet.

Im letzten Jahr hatte ich schließlich begriffen, was er damit sagen wollte: Wäge dich nicht in Sicherheit. Das Leben ändert sich in einem kurzen Moment, und dann ist alles anders. Und jetzt war auch noch Ivy hier.

Ich steckte den Schlüssel in das Zündschloss meines Pick-ups und sah noch einmal zum Haus hinüber. Es war, als hätte es sich verändert, seitdem sie gestern Abend wie ein Wirbelwind hineingestürmt war. Ich musste bei dem Gedanken an ihren peinlich berührten Gesichtsausdruck, als sie ihre Verwechslung bemerkt hatte, grinsen. Ich hatte sie einfach damit aufziehen müssen. Das war schon immer meine Art gewesen, auch wenn mir mein bester Freund Nathan des Öfteren prophezeite, dass mich meine große Klappe irgendwann in Schwierigkeiten bringen würde.

Es war Ivy offensichtlich extrem unangenehm, nicht mit einer Frau zusammenzuwohnen, ganz egal, wie laut und selbstbewusst sie aufgetreten war. Und doch ... meinte ich, hinter ihrem toughen Auftreten etwas tief Verletztes in ihren Augen gesehen zu haben. Ich hatte in der letzten Nacht kaum schlafen können und ständig daran denken müssen. Aber vielleicht irrte ich mich auch?

Heute Morgen hatte sie mir jedenfalls mehr als klar gemacht, dass sie keinerlei Hilfe von mir annehmen wollte. Und wenn ein Badezimmerplan ihre Bedingung für unser Zusammenleben war, konnte sie ihn haben. Hauptsache, sie entschied sich nicht, direkt wieder auszuziehen.

Ich hatte das zweite Zimmer so schnell wie möglich fertig renoviert, damit es ebenfalls vermietet werden konnte, denn ich war es nicht gewohnt, alleine zu leben. Zuvor hatte ich bei meinen Eltern gewohnt. Doch inzwischen baute ich schon seit ein paar Monaten das Haus im Auftrag meiner Vermieterin Phoebe um, und sie ließ mir freie Hand bei der Gestaltung. Sie übernahm alle Kosten, und ich durfte sogar umsonst dort wohnen. Wir kannten uns schon, seitdem ich mit ihrer Enkelin Billie in die Schule gegangen war, und sie sah mich als Teil der Familie. Hier in Emerald Bay kannte ohnehin jeder jeden. Was an den meisten Tagen schön und an manchen ziemlich nervig war. Wenn Nathan und ich mal wieder die Schule geschwänzt hatten, um mit unseren Surfbrettern besonders große Wellen zu erwischen, war es nur eine Frage von Stunden gewesen, bis unsere Eltern davon Wind bekommen hatten.

Ich ließ das Fenster herunter und fuhr aus der Auffahrt den Kangaroo Hill hinunter in Richtung Stadtzentrum. Wie jeden Morgen betrachtete ich dabei den tiefblauen Himmel über der Küste. Früher hatte ich mir nie vorstellen können, an irgendeinem anderen Ort der Welt zu leben. Doch in den letzten Monaten verspürte ich diesen inneren Drang, einfach davonzulaufen und Emerald Bay und alles, wofür es inzwischen stand, hinter mir zu lassen. Ich kannte jede Ecke und jeden Winkel dieses Orts.

Als ich am Greenside Park vorbeifuhr, winkte ich der Tai-Chi-Gruppe zu, die dort – wie jeden Freitag – ihre Übungen machte. Dann lenkte ich den Wagen auf den Schulparkplatz der Emerald Bay State School, wo wir derzeit die marode Sporthalle erneuerten. Mein Chef Tom und meine Kollegin Izzie arbeiteten bereits an der neuen Holzkonstruktion, die wir in der letzten Woche für das Dach erstellt hatten. Ich liebte es, mit Holz zu arbeiten, und es faszinierte mich immer wieder, was sich alles daraus erschaffen ließ. Was ich tagsüber auf der Baustelle lernte, versuchte ich am Abend am Kangaroo Hill umzusetzen.

Ich stieg aus und nahm meinen Werkzeuggürtel von der Ladefläche des Pick-ups. »Guten Morgen!«, rief ich den anderen zu, als ich auf sie zulief.

Tom nickte nur kurz, während er hochkonzentriert Holzlatten ausmaß, und Izzie begrüßte mich mit einem High Five, als ich vor ihr zum Stehen kam.

»Na, wie war der erste Abend mit der neuen Mitbewohnerin?«, fragte sie und klemmte sich drei Nägel zwischen die Vorderzähne.

»Unspektakulär«, antwortete ich, obwohl die erste Begegnung mit einer nicht mehr als in ein Handtuch eingewickelten Ivy alles andere als langweilig gewesen war. Doch das musste ich Izzie nicht gleich auf die Nase binden. »Sie ist früh ins Bett, weil sie müde vom Jetlag war.«

Izzie nickte verständnisvoll. »Isch schie nett?«, presste sie durch die zusammengebissenen Zähne hervor und hämmerte einen der Nägel in das Holz vor ihr.

Ich musste grinsen. Ivy hatte alles dafür getan, dass unsere erste Begegnung nervenaufreibend verlaufen war. Und als sie heute Morgen mit zerzausten Haaren in ihrem Pyjama vor mir gesessen und Fish & Chips verspeist hatte, war ich hin und weg von ihr gewesen. Ich hatte mich darauf konzentrieren müssen, mein Frühstück zu essen und nicht ständig meinen Blick über ihre elfenbeinfarbene Haut wandern zu lassen.

»Wir haben uns gut verstanden«, antwortete ich stattdessen vage. Izzie schien mit der Antwort zufrieden zu sein und hakte nicht weiter nach.

»Mist.« Ich fasste an meinen Gürtel. »Ich habe mein Winkeleisen vergessen. Bin gleich wieder da!«

Ich lief zurück auf den Parkplatz, der sich inzwischen mit Autos gefüllt hatte. Ich lächelte, als ich die Kinder sah, die in ihren blauen Schuluniformen von ihren Eltern vor der Schule abgesetzt wurden. Nathan und ich hatten immer wieder versucht, wenigstens ohne Krawatte durch das Schultor zu kommen, waren aber jedes Mal erwischt worden.

Ich fand das Winkeleisen in einer Ecke des Pick-ups, wo es während der Fahrt hingerutscht sein musste, und steckte es in meinen Gürtel. Ich war schon wieder auf dem Weg zurück zur Halle, als ich plötzlich hinter mir jemanden rufen hörte: »Taylor Wilson!«

Ich drehte mich um und entdeckte Mrs Holmes, meine ehemalige Lehrerin. Sie trug ein graues Kostüm und hatte ihre Haare nach wie vor zu einem Dutt gebunden. Meine große Schwester Drew hatte bis zu ihrem Schulabschluss behauptet, Mrs Holmes hätte eine versteckte Kamera im Klassenzimmer installiert oder müsste übersinnliche Fähigkeiten besitzen, denn kein Mensch könne sehen, was sich alles hinter seinem Rücken abspielte.

Mrs Holmes strahlte mich an und schmunzelte. »Dass ich dich schon zwei Jahre später wieder auf diesem Gelände treffe, hätte ich nicht gedacht.«

Ich ging zu ihr und schüttelte ihr die ausgestreckte Hand. »Hi, Mrs Holmes. Wie geht es Ihnen?«, fragte ich ehrlich interessiert. Sie war zwar während meiner Schulzeit für die meisten meiner Einträge verantwortlich gewesen, aber hatte mich trotzdem immer fair behandelt.

»Es geht mir gut.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung des Schulgebäudes. »Jedes Jahr eine neue Rasselbande, die gezähmt werden will, aber ich glaube, nach dir und Nathan kann mich nichts mehr umhauen.«

Ich grinste und kratzte mich verlegen am Kopf.

Sie lachte und sagte dann zufrieden: »Aber wie ich sehe, gehst du trotz mangelnden Interesses an Shakespeare deinen Weg.«

Mit Englisch hatte ich überhaupt nichts am Hut, und mit Textanalysen oder Gedichtinterpretationen konnte man mich jagen. Nein, ich hatte viel lieber etwas mit meinen eigenen Händen erschaffen wollen. In der Schule hatte ich kaum stillsitzen können, weil es mich so in den Fingern gejuckt hatte.

»Ja«, bestätigte ich Mrs Holmes daher. »Es ist genau das, was ich machen wollte.«

»Geht es dir denn gut?«, fragte sie und legte ihren Kopf schief. »Ich habe gehört, dass ...«

Doch ich ließ sie nicht ausreden, obwohl ich wusste, dass sie es nur gut meinte. »Alles wunderbar, Mrs Hol‍mes.« Ich deutete hinter mir zur Sporthalle. »Ich muss leider dringend weitermachen.«

Sie nickte, und ich hielt ihren verständnisvollen Blick kaum aus. »Ich will dich nicht aufhalten. Alles Gute, Taylor.«

»Danke«, erwiderte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Schnell lief ich zurück zur Sporthalle und versuchte, das Gespräch so gut es ging zu verdrängen.

IVY

Als Taylor in seinem Pick-up davonfuhr, machte ich mich ebenfalls fertig. Ich hatte gelesen, dass Hut und Sonnencreme bei der Farmarbeit unabdingbar waren, also zog ich ein blaues Cap, ein schwarzes Tanktop und beige Shorts an und trug ausreichend Sonnenschutz auf meine noch blasse Haut auf.

Ich nahm meinen Rucksack, sperrte die Haustür hinter mir zu und lief den Hügel hinunter ins Stadtzentrum. Laut Internet gab es einen Bus, der durch Emerald Bay bis zum Stadtrand fuhr. Von dort wollte ich bis zur Farm laufen, auch wenn es ein ganzes Stück war.

Als ich an der Haltestelle ankam, an der mich gestern der Airport Shuttle aus Sydney abgesetzt hatte, schaute ich mich suchend um. Bis auf eine weiße Bank und das Haltestellenzeichen war nichts zu sehen. Es gab keine Abfahrtstafel oder irgendeine andere Info, wie ich von hier wegkommen würde. In dreißig Minuten sollte ich auf der Farm sein und wollte auf keinen Fall bereits am ersten Tag zu spät kommen. Die Shops gegenüber hatten noch geschlossen, und es war niemand zu sehen. Langsam bekam ich Panik.

Kurzentschlossen lief ich Richtung Strand. Irgendjemand in diesem Ort musste mir doch sagen können, wann ein Bus abfuhr. Ich bog in die Straße ein, die direkt am Strand verlief. Die Pacific Avenue, wie ein Blick auf das Straßenschild verriet. Neben allerlei Geschäften und Cafés entdeckte ich am Ende ein Restaurant, aus dem bereits leise Musik drang. Three Pines stand auf dem Schild über dem Eingang – hier musste Taylor die Fish & Chips herhaben. Als ich darauf zuging, kam mir ein Surfer in einem offenen Neoprenanzug entgegen und hielt mir die große Tür aus Holz auf. »Danke«, sagte ich.

»No worries, mate.«

Das hatte ich so doch gestern schon mal gehört. Anscheinend waren hier alle überzeugt davon, dass es das Beste war, sich keine Sorgen zu machen. Die hatten leicht reden.

Ich ging hinein und schaute mich im leeren Restaurant um. Das Three Pines war modern eingerichtet. Über den hellen Holztischen hingen Lampen aus geflochtenem Korb, und die Seite zum Meer hin war komplett verglast. Im Moment waren die Türen zur Seite geschoben, sodass eine frische Brise hereinwehte. Ich trat hinaus auf die weitläufige Terrasse, über die unzählige Lampions gespannt waren. Doch auch hier war niemand, den ich fragen konnte. Mein Blick fiel auf einen grün bewaldeten Berg, der sich am Ende des Strands emporhob. Von dort oben musste man einen wunderschönen Ausblick über Emerald Bay haben. Ich nahm mir vor, so bald wie möglich hinaufzusteigen.

Als ich wieder hineinging, bemerkte ich einen schlaksigen Jungen in meinem Alter, der hinter der Theke stand.

»Hi, kann ich dir helfen?« Er lächelte mich freundlich an.

»Hi, ja bitte. Kannst du mir sagen, wann der Bus in der Main Street abfährt?«

Er runzelte die Stirn. »Leider schwer zu sagen. Louie, der Busfahrer, leitet freitagmorgens die Tai-Chi-Gruppe im Greenside Park. Wenn es dort länger dauert, fällt der Bus aus.«

Wollte er mich auf den Arm nehmen?

Als er meinen Gesichtsausdruck sah, lachte er. »Sorry, das muss komplett verrückt klingen, wenn man nicht von hier ist.« Er streckte mir seine Hand entgegen. »Ich bin übrigens Nathan.«

Ich schüttelte sie und erwiderte: »Ivy.«

Er stutzte. »Bist du nicht oben am Kangaroo Hill eingezogen?«

»Ja«, antwortete ich überrascht. Woher wusste er das?

»Mein Kumpel Taylor wohnt auch dort«, erklärte er mir.

Oh. Hatte Taylor ihm schon alles über meine peinliche Verwechslung erzählt? Falls ja, ließ Nathan sich jedenfalls nichts anmerken. Stattdessen sagte er: »Auf den Bus ist wie gesagt nicht so richtig Verlass, und er fährt auch nur drei Mal am Tag.«

Mist, wie sollte ich jetzt zur Farm kommen? Sie lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt – ich würde es auf keinen Fall rechtzeitig zu Fuß schaffen.

Nathan sah mir meine Verzweiflung wohl an, denn er fragte: »Wohin musst du denn?«

»Rosewood Farm«, antwortete ich und kramte panisch mein Handy hervor. Vielleicht gab es ja einen Taxistand in der Nähe?

»Du bist Erntehelferin beim alten Benfield?«, kombinierte Nathan.

Ich nickte nur und gab im Suchfeld auf meinem Handy Taxi Emerald Bay ein.

»Normalerweise fahre ich immer erst samstags raus zur Farm, um unsere Lieferung für die Küche abzuholen. Aber ich kann das gerne jetzt machen und dich dort absetzen.«

»Nein danke, ich nehm einfach ein Taxi.«

Nathan schmunzelte. »Auf ein Taxi kannst du hier leider lange warten. Außer dem Flughafenshuttle nach Sydney gibt es nur noch einen Fahrservice, den musst du aber mindestens einen Tag im Voraus buchen.«

Wo war ich hier nur gelandet?

Große Klasse, Ivy, schimpfte ich mit mir selbst. Du bist völlig blauäugig hierhergereist. Wahrscheinlich hatte Leon Recht: Du hast einfach nicht das Zeug zu so einem Abenteuer. Ich merkte, wie sich ungewollt Tränen in meinen Augen sammelten.

»Ich kann dich wirklich gerne fahren«, bot Nathan mir noch einmal an.

Obwohl ich es selbst schaffen wollte, musste ich mir eingestehen, dass das im Moment meine einzige Möglichkeit war.

»Das wäre wirklich toll«, sagte ich daher, plötzlich vollkommen ausgelaugt.

Nathan nickte und rief dann in Richtung Küche: »Dad, ich fahre kurz nach Rosewood, bin gleich wieder da!«

Aus der Küche erklang nur ein kurzes, tiefes »‘kay«, während Nathan seine Autoschlüssel vom Tresen nahm. Gemeinsam gingen wir nach draußen, und er zeigte auf einen alten Jeep. »Das ist meiner.«

Gleichzeitig steuerten wir auf die rechte Wagentür zu. Als ich ihn verdutzt anschaute, deutete Nathan durch das Fenster auf das Lenkrad. »Wir haben hier Linksverkehr, der Fahrer sitzt rechts.«

»Oh, ja klar«, stammelte ich, lief schnell auf die andere Seite und stieg ein. Der Boden war leicht sandig, und allerlei Wasserflaschen und Papiertüten lagen herum.

»Sorry«, entschuldigte sich Nathan und startete den Motor. »Ich habe selten Gäste in dem alten Ding hier.«

»Kein Problem«, erwiderte ich. Auf der Rückbank entdeckte ich einen schwarzen Neoprenanzug und daneben einen Kindersitz. Ich runzelte die Stirn. Ob das alles Nathan gehörte?

Wir fuhren die Pacific Avenue zurück, die sich nun langsam mit Leben füllte. Touristen schlenderten an den Cafés vorbei, und die Surfer kamen von ihrem ersten Wellenritt im Meer zurück.

Ich räusperte mich. »Du führst das Three Pines zusammen mit deinem Vater?«

Nathan nickte. »Es gehört meinen Eltern, aber ich habe schon immer ausgeholfen und arbeite inzwischen fest mit.«

»Hört sich toll an.«

Nathan zuckte mit den Schultern. »Das ist gar nicht so spektakulär. Irgendwie bin ich hier nach der Schule hängengeblieben.«

Ich schaute aus dem Fenster, wo der glitzernde Ozean an uns vorbeiflog. »Kann ich gut verstehen.«

»Und was hat dich hierher verschlagen?«, fragte Nathan.