Ein Sommer in Himmelblau - Lorena Schäfer - E-Book
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Ein Sommer in Himmelblau E-Book

Lorena Schäfer

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Beschreibung

Ein unterhaltsamer Roman rund um das Thema Neuanfang für alle LeserInnen von Meike Werkmeister und Katharina Herzog. Für alle, die Lust auf Van-Life und eine Liebesgeschichte vor toller Bergkulisse haben»Langsam glitten wir nebeneinander durch das klare Wasser. Der See glitzerte im Sonnenlicht und die gleichmäßige Bewegung hatte etwas Beruhigendes. Das Bergpanorama sah von hier noch viel imposanter aus. Ein Gefühl der Freiheit überkam mich und ich hätte am liebsten einmal laut gejauchzt.« Milena leitet eine erfolgreiche PR Agentur in Hamburg und hat ihr Leben fest im Griff. Da erreicht sie die Nachricht, dass sie den Campingplatz ihrer Großtante Lotte am Walchensee im Bayerischen Alpenvorland geerbt hat. Notgedrungen muss Milena in den Süden Deutschlands reisen, um sich um Lottes Nachlass zu kümmern. Doch anstatt dem erwarteten Spießertum wird sie von abenteuerlichem Van-Life und einer atemberaubenden Aussicht überrascht. Und dann ist da auch noch der attraktive Camper-Mechaniker Gus, mit dem Milena allerdings nur eine rein geschäftliche Beziehung führen möchte … oder? »Es ist ein sommerlicher Wohlfühlroman, den man von Anfang bis Ende genießen kann. Ein Traum in Sommerblüten.« ((Leserstimme auf Netgalley))»Klasse, hat mich gefesselt,ein sehr schönes Buch.« ((Leserstimme auf Netgalley))»Als großer Walchenseefan begeistert mich der Schauplatz natürlich sehr, Campingfreunde kommen auch voll auf ihre Kosten. Absolut empfehlenswert!« ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Giessel Design

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Catja, die für mich das Wort Freundschaft neu definiert hat

Kapitel 1

»Könnten Sie bitte die Rothenbaumchaussee nehmen?«, bat ich den Taxifahrer und tastete im Fußraum nach meiner Mascara, die eben vom Sitz gerollt war.

»Dauert aber länger als der Mittelweg«, brummte der Fahrer von vorn.

»Ich weiß. Trotzdem, bitte.«

Der kleine Umweg würde mir genau die Zeit verschaffen, die ich brauchte, um mich fertig zu schminken. Und die Rothenbaumchaussee hatte keine Schlaglöcher, sodass ich mir auch noch schnell die Fingernägel lackieren konnte.

Ich hatte die Taxifahrten in der Stadt perfektioniert. Es waren die Pausen, um mich für anstehende Termine vorzubereiten oder mein Outfit zu wechseln. Es hatten schon einige Hamburger Taxifahrer meine Unterwäsche gesehen.

Schließlich fand ich die Mascara direkt neben meinen Füßen und hob sie auf. Mit einer Hand hielt ich den kleinen Kosmetikspiegel, mit der anderen tuschte ich mir die Wimpern. Ich bürstete meine aschblonden Haare, die ich normalerweise zu einem Knoten trug, und ließ sie mir über die Schultern fallen.

Vorsichtig schraubte ich das kleine Nagellackfläschchen mit dem Namen Nailed it auf und pinselte die nachtblaue Farbe auf meinen linken Daumennagel. Passt perfekt zum Motto des Abends, dachte ich zufrieden.

Ich war auf dem Weg zum jährlichen Sommerfest der Agentur. Seit drei Jahren führte ich den Sitz von Neuland PR in Hamburg und war mit vierunddreißig die jüngste Standortleiterin. Es lief so gut, dass ein zweites Büro mit Fokus auf Digitalunternehmen eröffnet werden würde.

Mein Chef Henry reiste extra aus Berlin an und hatte eine große Neuigkeit für heute Abend versprochen. Er liebte solche Auftritte. Ich war mir sicher, dass es sich dabei um die Leitung des neuen Büros handeln musste. Ich hatte in den letzten Monaten alles dafür gegeben, damit er sie mir übertrug. Mein Team hatte den Pitch für die Hamburger Limonadenmarke gewonnen und gleichzeitig den Auftrag für eines der größten Immobilienprojekte der Stadt in Harvestehude an Land gezogen. Ich liebte meinen Job und arbeitete härter als alle anderen Leiter in Berlin, Düsseldorf und Leipzig.

Als ich meine Nägel ohne Ausrutscher fertig lackiert hatte, lehnte ich mich zurück und schaute nach draußen. Die langsam untergehende Sonne spiegelte sich in den hohen Gebäuden der HafenCity.

»Da wären wir«, sagte der Fahrer, als wir schließlich vor den Landungsbrücken hielten.

Ich bezahlte mit der Firmenkreditkarte und stieg vorsichtig aus, um mit den gefährlich hohen Stilettos nicht auf mein langes schwarzes Kleid zu treten.

Die MS Princess lag an Brücke drei und war ein Veranstaltungsschiff, das den ganzen Abend durch den Hafen schippern würde. Ich sah schon von Weitem die grün-weißen Ballongirlanden, die meine Mitarbeiterin Josie passend zu den Farben des Agenturlogos über das Deck hatte spannen lassen.

Vorsichtig ging ich den Holzsteg hinunter und über einen roten Samtteppich an Bord. Josie hatte bei der Dekoration wirklich alles gegeben.

Das Schiffsinnere war bereits voll mit Menschen in schicken Anzügen und Abendkleidern. Ich schüttelte allerlei Hände, um Kunden, Investoren und Mitarbeiter zu begrüßen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis Josie endlich neben mir stand und mit wichtiger Miene sagte: »Es tut mir leid, dass ich dich unterbreche, Milena, aber wir bräuchten dringend deine Hilfe.«

Ich lächelte die Vorsitzende des Kommunikationsverbands, mit der ich mich bis eben unterhalten hatte, entschuldigend an und lief Josie hinterher. Sie lotste mich in einen winzigen Abstellraum und schloss die Tür hinter uns.

»Ich könnte dich knutschen«, sagte ich und umarmte sie. Dann nahm ich gierig das Lachsbrötchen, das sie mir entgegenstreckte.

Josie spitzte mit einem Augenzwinkern ihre Lippen, um mir zu signalisieren, dass sie mein Angebot annehmen würde. Besorgt fragte sie: »Hast du heute überhaupt schon etwas gegessen?«

»Nur ein Franzbrötchen zwischen den beiden Vormittagsterminen.« Genüsslich biss ich in den Lachs. Mmmh, war das lecker. »Übrigens«, sagte ich mit vollem Mund. »Du siehst umwerfend aus.«

Josie klimperte mit ihren langen Wimpern und strich sich über ihr dunkelgrünes eng anliegendes Kleid, das perfekt zu ihrem braunen Bob passte. Dann seufzte sie. »Da draußen sind so viele attraktive Männer. Aber wir bleiben bei der Regel, oder? Kein Sex mit Kollegen oder Kunden …«

Ich lachte. »Keine Regel, nur ein gut gemeinter Rat. Das endet immer im Chaos.« Ich schluckte den letzten Bissen meines Brötchens hinunter und fragte dann: »Ist Henry schon da?«

Josie nickte. »Kurz vor dir angekommen. Er sitzt an der Bar und spricht mit der Gründerin von Elbstadt Sports.«

Die neue Onlinefitness-Plattform war der große Newcomer in der Start-up-Szene. Bisher hatte die Gründerin sich noch nicht entschieden, ob sie ihr Budget für das nächste Jahr bei uns oder bei Creative Communications, unserem größten Konkurrenten, ausgeben würden.

»Ich habe den Kellnern Bescheid gegeben, dass sie Champagner ausschenken sollen, wenn deine Beförderung verkündet wird.« Josie nahm die Türklinke in die Hand. »Bereit?«

»Bereit«, sagte ich entschlossen.

Zusammen drängten wir uns durch die Menge an die Bar, wo Henry mich freudig anstrahlte. »Milena!«

Wir umarmten uns innig, und ich reichte mit meinen ein Meter zweiundsechzig trotz waghalsiger Absätze Henry nur bis zur Brust.

»Ich habe gehört, du hast den Limonaden-Pitch quasi im Alleingang gehalten?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ohne mein Team hätte das nicht geklappt.« Ich mochte große Ziele haben, aber ich war überzeugt von Fairness und Ehrlichkeit.

»Das ist die richtige Einstellung.« Henry nickte anerkennend. Dann sah er auf seine Armbanduhr und stellte seinen Drink auf der Theke ab. »Entschuldigt mich, ich muss unsere Gäste offiziell begrüßen.«

Er ging durch den großen Saal und trat auf der anderen Seite auf die Bühne. Josie und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu.

»Liebe Gäste«, sagte Henry ins Mikrofon.

Das Stimmengewirr im Saal wurde leiser und ebbte dann ab.

»Herzlich willkommen zu unserem Sommerfest! In diesem Moment werden die Leinen gelöst, und Sie sind dazu gezwungen, die nächsten Stunden mit uns zu feiern.«

Einzelnes Gelächter erklang aus der Menge.

»Ein großes Dankeschön an das Hamburger Team, insbesondere an unsere Leitung, Milena Weigel, die Sie alle ja gut kennen.«

Ich straffte meine Schultern. Nun kam der Moment, auf den ich die letzten Monate hingearbeitet hatte.

»Das vergangene Jahr ist fantastisch verlaufen. Daher haben wir beschlossen, ein zweites Büro hier in Hamburg zu eröffnen, das sich auf unsere Digitalkunden fokussiert.«

Henry machte eine dramatische Pause, und mein Herz klopfte schneller.

»Ich freue mich, Ihnen heute Abend verkünden zu dürfen, dass wir Arne Suter, den bisherigen Leiter von Creative Communications, für das neue Büro von Neuland PR gewinnen konnten und er zugleich Elbstadt Sports als Kunden mit an Bord bringt.«

Die Menge applaudierte begeistert, während ich nur stocksteif dastand und mir die Gesichtszüge entglitten. Das musste ein Fehler sein. Wie in Trance beobachtete ich, wie Arne Suter, mein größter Feind in dieser Stadt, auf die Bühne trat und Henry ihm stolz auf die Schulter klopfte. Ich konnte kaum hinsehen.

»Milena?«, flüsterte Josie neben mir.

Ich versuchte, trotz meiner zitternden Lippen ein Lächeln aufzusetzen. »Alles gut«, sagte ich.

Josies Blick verriet, dass sie mir kein Wort glaubte.

Ich musste dringend raus hier. »Ich will nur kurz frische Luft schnappen«, murmelte ich und drängte mich durch die Menge, um an einem Seitenausgang an Deck zu gehen.

Draußen atmete ich geräuschvoll die kühle Luft ein. Die Enttäuschung kroch in mir hoch und ließ meine Brust eng werden.

Wie hatte das passieren können? Ich hatte jeden Auftrag angenommen und mein Team immer wieder motiviert. Zusammen hatten wir einen Pitch nach dem anderen gewonnen. Es wäre der einzig logische Schritt gewesen, mehr Verantwortung übertragen zu bekommen. Ich lehnte mich an die Reling und fühlte mich auf einmal schrecklich müde.

Da ging die Tür auf, und Henry trat heraus.

»Milena, hier bist du.« Er kam zu mir. »Wieso bist du denn so schnell verschwunden? Ich wollte dir Arne gern persönlich vorstellen.«

Darauf konnte ich wirklich verzichten. Ich drehte mich zu Henry und fragte ihn geradeheraus: »Warum hast du nicht mir die Leitung übertragen?«

Er runzelte die Stirn und brauchte einen Moment, um zu begreifen, was ich meinte. »Du hast damit gerechnet, dem zweiten Büro ebenfalls vorzustehen?«

Ich nickte.

Henry fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht. »Milena. Du bist meine beste Mitarbeiterin, das wissen wir beide. Aber du kannst nicht zwei Büros gleichzeitig leiten. Du bist jetzt schon am Anschlag.«

Ich reckte den Hals. »Ich kann das wirklich schaffen.«

»Im letzten Jahr hast du keinen Tag Urlaub gemacht und zusätzlich an achtunddreißig Wochenenden gearbeitet.«

Wenn er das so sagte, hörte es sich an, als wäre ich ein Workaholic. Waren es wirklich so viele gewesen? »Ich gebe eben alles«, verteidigte ich mich.

Henry seufzte. »Du schreibst E-Mails nachts um vier, und Silke telefoniert öfter mit dir als mit ihrer Mutter.«

Blut schoss mir in den Kopf. Ja, ich hatte in der letzten Zeit vielleicht ab und zu bei Henry daheim angerufen, wenn ich ihn nicht an sein Handy bekommen hatte. Aber seine Frau Silke und ich hatten uns immer bestens unterhalten.

Henry ging einen Schritt auf mich zu. »Es tut mir leid, dass du enttäuscht bist. Aber ich habe eine Verantwortung meinen Mitarbeitern gegenüber. Wenn du so weitermachst, schlitterst du geradewegs in einen Burn-out.«

Ich runzelte die Stirn. Natürlich arbeitete ich viel, aber das war noch nicht besorgniserregend. Bisher war es nur zwei Mal vorgekommen, dass ich im Büro über dem Laptop eingeschlafen war und am nächsten Morgen in denselben Klamotten weiterarbeiten musste. Der Mitarbeiter der Reinigungsfirma, der seinen Rundgang gemacht hatte, hatte mich glücklicherweise früh genug aufgeweckt. Im Rollcontainer meines Schreibtischs hatte ich vorsorglich Zahnpasta und Erfrischungstücher verstaut, und der Händetrockner im Damen-WC eignete sich überraschend gut als Föhn, um etwas Schwung in meine platt gelegenen Haare zu bekommen.

Henry sah mich an, als würde er meinen Gedanken folgen können, und ich verscheuchte sie schnell.

Er fuhr fort: »Ich würde mir wünschen, dass du mal eine Pause machst. Und für Entspannung und Ausgleich sorgst.«

Gequält sah ich ihn an. Die Agentur bot Yoga und Meditationskurse an, doch ich war kläglich daran gescheitert. Meine Gedanken waren ständig wieder zu den anstehenden Terminen und Aufgaben gewandert, und während die anderen Teilnehmer ein friedliches »Ohmmm« gesungen hatten, hatte ich innerlich schon an neuen Kundenpräsentationen gebastelt. Okay, der Punkt ging an Henry, das musste ich zugeben. Aber vielleicht war Yoga ja nur der falsche Weg für mich gewesen. »Ich werde mir etwas einfallen lassen«, sagte ich und überlegte bereits, wie ich ihm zeigen konnte, dass ich seinen Rat ernst nahm. Vielleicht sollte ich die täglichen Joggingrunden an der Alster zu einem Marathontraining ausbauen? Ich würde Henry beweisen, dass ich die richtige Wahl gewesen wäre, um beide Büros zu leiten.

Henry nickte zufrieden. »Gut. Dann stell ich dir jetzt Arne vor.«

Er ließ nicht locker. Doch ich konnte ihm nicht erklären, warum ich Arne Suter nicht gegenüber treten wollte. Alles, was ich nun gegen ihn vorbrachte, würde sich so anhören, als könnte ich nicht professionell mit meiner Niederlage umgehen. Bei dem Gedanken, von nun an jeden Tag mit ihm zusammenarbeiten zu müssen, wäre ich am liebsten in das eiskalte Wasser vor uns gesprungen und weit weggeschwommen. Doch das Schiff würde noch weitere drei Stunden durch den Hafen schippern und ich mich nicht davor drücken können.

»Ich komme gleich nach«, versicherte ich Henry in unbekümmertem Tonfall, um meine Abneigung zu überspielen. »Ich muss nur noch dringend eine Nachricht beantworten.«

Er nickte, öffnete die Tür und ging wieder hinein.

Seufzend drehte ich mich um und schaute aufs Wasser. Der Wind war für Ende Juni noch recht kühl, aber ich genoss die Brise auf meiner Haut. Das Schiff fuhr Richtung Westen, der untergehenden Sonne entgegen, und der Hamburger Hafen rief wie immer ein Gefühl der Freiheit in mir hervor. Ich liebte mein Leben so, wie es war. Ich arbeitete gern, besuchte die aufregendsten Events der Stadt und hatte meine große Wohnung im Stadtteil Ottensen mithilfe einer Innendesignerin perfekt eingerichtet.

»Mach dich niemals von einem Mann abhängig.« Das Mantra meiner Mutter, die nie über die Scheidung von meinem Vater hinweggekommen war, hatte ich fest verankert. Seitdem ich mit neunzehn dem Mief meines Heimatdorfes hatte entfliehen können, arbeitete ich daran, ein aufregendes und selbstbestimmtes Leben in der Großstadt zu führen. Ja, in den letzten zwei Jahren hatte ich mich nur auf den Job und nichts anderes konzentriert. Doch es war nach der Sache mit Arne auch bitter nötig gewesen. Und trotzdem stand ausgerechnet er nun im Inneren dieses Schiffs und sprach vermutlich bereits mit all meinen Kollegen und Kunden.

Einen Schritt nach dem anderen, sagte ich zu mir und atmete einmal tief durch. Erst würde ich diesen Abend hinter mich bringen müssen, dann konnte ich mir Gedanken darum machen, wie ich mit Operation Arne weiterverfahren würde.

Entschlossen lief ich zu einem der Kellner, der ein Tablett voller Sektgläser trug, nahm eines und trank es in einem Zug leer.

Er schaute mich mit großen Augen an.

»Harter Abend«, erklärte ich, straffte meine Schultern und ging zurück zum Fest.

Kapitel 2

Am nächsten Morgen erwachte ich mit leichtem Kater und schweren Lidern. Zum Glück war Samstag und ich musste nicht ins Büro.

Ich richtete mich im Bett auf und ließ meinen Kopf nach hinten sinken. Den gestrigen Abend hatte ich so professionell wie möglich zu Ende gebracht. Als ich Arne die Hand geschüttelt hatte, hatte ich vor allen Umstehenden betont, wie sehr ich mich darauf freute, in Zukunft mit ihm zusammenzuarbeiten. Am liebsten hätte ich ihm sein triumphierendes Grinsen aus dem Gesicht gewischt, doch die Aussicht darauf, meinen Ruf nur für diesen Moment der Freude zunichtezumachen, hatte mich zurückgehalten.

Ich hatte mit allen Kunden gesprochen und zum Schluss sogar mit Josie getanzt. Niemand wäre darauf gekommen, dass ich am liebsten direkt nach Hause geflohen wäre, um mich in meinem Bett zu verkriechen.

»Private Probleme haben in der Arbeit nichts verloren«, hatte mein Vater stets gepredigt, »sie könnten jederzeit gegen dich verwendet werden.«

Ich schwang meine Beine aus dem Bett und ging in die Küche, um mir aus der großen Industriemaschine einen Espresso zu gönnen. Eigentlich war das Gerät Verschwendung für mich allein, aber es war nun mal das neueste Modell mit Top-Bewertungen gewesen.

Ich zog die Vorhänge vor den hohen Fenstern zurück, und Sonnenlicht fiel in die stuckbesetzte Altbauwohnung. Manchmal fühlte ich mich ein wenig verloren in den weitläufigen Räumen, doch es hatte Sinn gemacht, größtmöglich in den Immobilienmarkt zu investieren.

Ich nahm den Espresso und ging zu dem kleinen französischen Balkon vor meiner Küche. Ich liebte es, von dort die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten, und genoss das Stimmengewirr, das aus den Restaurants nach oben drang, wenn ich bis spät in die Nacht über Präsentationen brütete.

Auch jetzt setzte ich mich an den großen Esstisch und klappte meinen Laptop auf. Ich wollte noch einmal die Quartalszahlen durchgehen, die ich am Montag Henry präsentieren würde.

 

Den Tag über verbrachte ich vor dem Bildschirm, obwohl es einer der ersten wärmeren Sommertage in Hamburg war und die Sonnenstrahlen mich unermüdlich daran erinnerten. Doch mit dem Auftauchen von Arne hatte sich die Lage verändert. Ich musste einfach noch härter arbeiten, um mich gegen ihn zu behaupten. Ich dachte an sein schmieriges Grinsen und hätte mich am liebsten für die nächsten Wochen krankgeschrieben, um ihm nicht begegnen zu müssen.

 

Es war bereits Abend, als ich die letzten Zahlen in die Tabelle vor mir eintrug. Mein Handy vibrierte und ich nahm ab, ohne den Blick von dem Bericht abzuwenden. »Milena Weigel, Neuland PR.«

»Ist da Millie?«, fragte eine tiefe Stimme am anderen Ende.

Meinen früheren Spitznamen hatte ich in Hamburg abgelegt, um seriöser in der Geschäftswelt zu wirken. »Hier spricht Milena Weigel«, betonte ich daher noch einmal. »Unser Büro hat heute zu, aber ich kann mir gern Ihre Nummer notieren, um –«

»Millie, hier ist Paul.«

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass der Lebensgefährte meiner Großtante Lotte am Apparat war. Wir sprachen nur selten miteinander, da mich Lotte immer direkt anrief.

»Aus Einsiedl«, fügte Paul hinzu, und ich konnte an seinem Tonfall erkennen, dass etwas nicht in Ordnung war. Lotte und Paul wohnten in einem kleinen bayerischen Dorf am Walchensee.

Als er nicht weitersprach, machte mein Magen einen großen Satz. »Lotte geht es gut, oder?«, versicherte ich mich bei ihm, während ich langsam aufstand. Es konnte viele Gründe für seinen Anruf geben. Vielleicht hatte Lotte ihn nur gebeten, mir auszurichten, dass sie heute viel auf dem Campingplatz zu tun hatte. Sie und ich sprachen mindestens einmal im Monat miteinander. Es war so etwas wie ein Ritual geworden. Oder sie hatte eine Sommergrippe und war zu schwach, um selbst zu telefonieren. Das hörte man immer wieder von älteren Leuten. Es gab bestimmt eine einfache Erklärung.

»Millie«, sagte Paul langsam, und ich merkte, wie schwer ihm die Worte über die Lippen kamen. »Lotte … ist gestern gestorben.«

Mein Magen hatte die Kontrolle übernommen, und die Nachricht kam nicht in meinem Gehirn an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, stattdessen wurde mir übel. »Was?«, fragte ich nach einem Moment der Stille leise und sank langsam auf den Stuhl zurück.

»Sie ist morgens einfach nicht mehr aufgewacht.«

Ich konnte die Trauer in Pauls Stimme durch das Telefon hören. »Aber …« Ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Das kann nicht sein. Sie war doch noch so fit.«

»Ja«, bestätigte Paul. »Aber einundachtzig ist eben doch ein beträchtliches Alter.«

Meine Augen füllten sich mit Wasser, doch ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten.

»Ich habe heute ihr Testament gefunden«, fuhr Paul fort. »Und da steht drin, dass du den Campingplatz erben wirst.«

»Wie bitte?«, fragte ich entgeistert.

»Den Campingplatz«, wiederholte Paul. »Mit allem Drum und Dran.«

Der Campingplatz am Ufer des Sees war Lottes Lebensaufgabe gewesen. Sie hatte es geliebt, ihn zu leiten und für das Wohl ihrer Gäste zu sorgen. Als Kind hatte ich oft meine Sommerferien dort verbracht und die Zeit bei Lotte weit weg von den Streitereien meiner Eltern geliebt. Einsiedl bedeutete für mich Baden im See, Eis essen und Mückenstiche zählen. Doch das letzte Mal war ich mit fünfzehn dort gewesen. Später war immer etwas dazwischengekommen. »Aber ich kenne mich damit ja gar nicht aus«, widersprach ich panisch. Inzwischen passte ich zu einem Campingplatz wie der Hamburger Hafen zu den bayerischen Bergen.

»Am besten ist es, du kommst gleich in den nächsten Tagen hierher, hat der Notar gesagt«, ignorierte Paul meinen Einwand.

»Nach Bayern?«

»Ja, natürlich nach Bayern.«

Ich merkte, wie er ungeduldig wurde.

»Ich muss los, es kommen gerade neue Gäste an, und das hat doch bisher immer alles Lotte gemacht. Bis dann, Millie.« Damit legte er auf.

Ich schaute auf mein schwarzes Telefondisplay. Für einen Moment saß ich regungslos da, dann lief ich ziellos in der Wohnung hin und her.

Ich hatte immer einen Plan, eine Strategie oder eine Idee, was ich als Nächstes tun würde. In meinem Job konnte ich mir kein Zögern erlauben, und ich hatte alles dafür getan, dass ich immer besten gewappnet war. Doch was war hierfür die richtige Strategie?

Normalerweise zückte ich mein Handy und sprach mit meinem Team darüber, wie wir weiter vorgehen würden. Doch wen sollte ich jetzt anrufen? Josie war meine Mitarbeiterin, und wir verstanden uns wirklich gut, aber wir redeten kaum über private Themen. Ich hatte nur losen Kontakt zu Freundinnen aus der Schulzeit, doch unsere Gespräche beschränkten sich hauptsächlich auf Oberflächliches wie die Hochzeiten von ehemaligen Klassenkameraden.

Mit zitternden Händen fing ich in meinem Schlafzimmer an, Kleidungsstücke, die auf dem Boden lagen, aufzuräumen. »Jedes große Ziel muss in kleine Aufgaben unterteilt werden«, sagte ich mir immer beim Start eines Projekts. Ich musste mich also nur darauf konzentrieren, was es zu tun gab … Schritt für Schritt. Dann würde ich das Ganze schon hinkriegen.

Ich hob das Kleid auf, das ich gestern getragen hatte. Während ich auf dem Schiff über Etat-Kürzungen diskutiert und Kanapees gegessen hatte, war Lotte schon nicht mehr am Leben gewesen.

Ich sank auf mein Bett. Ich würde nicht mehr mit ihr sprechen können und ihren weisen Ratschlägen lauschen. Und ich würde sie nicht mehr in Einsiedl besuchen können, wie ich es mir in all den Jahren vorgenommen hatte.

Ein kehliger Laut, der sich anhörte wie das Wimmern einer Katze, entfuhr mir, und ich schlug die Hand vor den Mund. Dann rollte ich mich auf dem Bett zusammen und ließ meinen Tränen freien Lauf.

 

Ich musste irgendwann einfach eingeschlafen sein, denn als ich wach wurde, war es draußen bereits wieder hell.

Mit schmerzendem Kopf ging ich in die Küche und trank ein großes Glas Wasser. Dann öffnete ich die Kühlschranktür, schloss sie jedoch gleich wieder. Ich hatte keinen Hunger, obwohl ich seit gestern Mittag nichts gegessen hatte. Die Leere, die sich in mir ausgebreitet hatte, füllte auch meinen Magen.

Lotte und ich hatten eine besondere Beziehung gehabt. Sie war die Tante meines Vaters und während er und ich uns nie sehr nahe gestanden hatten, war das bei Lotte anders gewesen. Die Schuld lag wie ein schwerer Felsbrocken auf meinem Herzen. Seit Jahren hatte ich ihr versprochen, sie mal wieder zu besuchen, doch es war immer etwas dazwischengekommen. Erst das Studium, dann die Arbeit. Und in den letzten Jahren hatte ich nichts anderes mehr im Kopf gehabt als meinen Job.

Henry hatte recht. Ich hatte alles um mich herum vergessen, weil ich so damit beschäftigt gewesen war, ein Projekt nach dem anderen abzuschließen.

Ich setzte mich an den Tisch und zog den Laptop zu mir heran. Mit einem Finger tippte ich langsam Campingplatz Einsiedl in das Suchfeld ein. Es öffneten sich die Kartendaten des Standorts, Bewertungen und einige Fotos, die von Nutzern hinzugefügt worden waren. Eine Website gab es nicht – in der Hinsicht war Lotte altmodisch gewesen.

Ich klickte mich durch die Fotos von Sonnenaufgängen vor herrlichem Bergpanorama. In meiner Erinnerung war der See genauso tiefblau wie auf den Bildern. Doch die Wohnwagen und Zelte riefen inzwischen eher Skepsis in mir hervor. Wer wollte auf dünnen Isomatten mit Mückenbesuch schlafen, wenn es wunderbar bequeme Betten in Hotels gab?

Als Kind hatte ich viel Spaß auf dem Campingplatz gehabt, aber mein Leben hatte sich komplett gewandelt. Ich machte selten Urlaub, doch wenn, verbrachte ich ihn inzwischen in schicken Ressorts oder noblen Stadthotels. Wie sollte ich mich nun um die Leitung eines Campingplatzes kümmern?

Auf einem der Bilder war Lotte zu sehen, und ein heftiger Stich durchfuhr mein Herz. Sie grinste verschmitzt über den Rand ihrer Lesebrille in die Kamera. Die beste Gastgeberin der Welt hatte jemand daruntergeschrieben.

Immer wieder hatte sie mir angeboten, dass ich sie besuchen könne, um eine Pause einzulegen, doch ich war nicht gefahren. Wir hatten regelmäßig telefoniert und Lotte hatte keinen Druck auf mich ausgeübt, sondern immer Verständnis für meinen vollen Terminkalender gehabt. Sie war neben meinen Eltern meine einzige Familie gewesen. Meine Großeltern waren bereits tot und meine Eltern hatten beide keine Geschwister. Und trotzdem hatte ich mir nicht die Zeit für sie genommen. Ich fühlte mich auf einen Schlag sehr allein.

Lotte hatte sich für mein Leben in Hamburg interessiert und war stolz auf mich gewesen. Und während meine Eltern mich als Puffer zwischen ihnen und ihrem Scheidungskrieg genutzt hatten, war sie die eine Person gewesen, die keine Ansprüche an mich gestellt hatte. »Hauptsache, du bist glücklich, Kind«, hatte sie immer gesagt. Die Vorstellung, an den Walchensee zu fahren, ohne dass Lotte dort auf mich wartete, war schrecklich. Doch Paul hatte betont, ich solle so schnell wie möglich kommen.

Ich öffnete Google Maps und sah mir die Route nach Bayern an. 881 Kilometer waren es von meiner Wohnung bis zum Campingplatz – über neun Stunden Fahrt. Ich sah nach, ob es eine Bahnverbindung gab, die schneller war, aber das Ergebnis war ernüchternd.

Wie sollte das gehen? Ich konnte nicht einfach meine Sachen zusammenpacken und an den See fahren. Ich hatte nächste Woche wichtige Meetings.

Sofort schämte ich mich für meine Gedanken.

Ich wechselte wieder zu dem Bild von Lotte und fuhr mit dem Finger über ihr Gesicht auf dem Bildschirm.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Ich hatte Arbeitstermine vorgezogen, um mich vor der einen Sache zu drücken, die Lotte sich noch von mir gewünscht hatte. Wenn es also ihr Wille gewesen war, dass ich den Campingplatz erbte, dann würde ich fahren. Ich würde mein Bestes geben, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, bis ich einen neuen Käufer gefunden hatte, der den Platz mit genauso viel Herzblut weiterführen würde. Das war ich ihr schuldig.

Entschlossen klappte ich meinen Laptop mit einem Schwung zu. Henry wollte, dass ich eine Pause machte? Die konnte er haben. Ich nahm mein Handy und wählte seine Nummer.

»Milena?«, brummte er noch etwas schlaftrunken ins Telefon.

»Guten Morgen.«

»Du bist so früh schon auf den Beinen? Über die Quartalszahlen sprechen wir morgen, nicht an einem Sonntag«, scherzte er.

»Nein, deswegen rufe ich nicht an«, beruhigte ich ihn und holte Luft. »Ich habe darüber nachgedacht, was du auf der Feier zu mir gesagt hast. Und ich werde mir deinen Rat zu Herzen nehmen. Es gibt da eine familiäre Angelegenheit, die ich klären muss, daher möchte ich ab Montag eine Woche Urlaub einreichen.«

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Henry besorgt.

»Ein Todesfall in der Familie«, sprach ich die traurigen Worte aus. Es war unumkehrbar. Lotte war nicht mehr da.

»Das tut mir leid, Milena«, sagte er mitfühlend. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Jetzt haben wir ja auch Arne zur Verstärkung. Mach dir keine Sorgen.«

Dass dieser schmierige Typ sich meine Projekte unter den Nagel riss, war allerdings meine größte Furcht. »In einer Woche bin ich wieder da«, versicherte ich Henry daher. »Die Quartalszahlen hab ich schon vorbereitet. Josie weiß über alles Bescheid und kann mich vertreten. Und du kannst mich natürlich jederzeit erreichen.« Ich dachte an den Campingplatz im tiefsten Bayern. Vermutlich war der Empfang dort nicht ganz so gut. »Falls ich keine Verbindung habe, sprecht mir auf die Mailbox, ich rufe zurück.«

»Keine Verbindung? Wohin fährst du?«, fragte Henry.

»Zum Campen nach Bayern«, sagte ich nur knapp.

»Also das hätte ich als Allerletztes vermutet.«

Ich auch, dachte ich. Ich auch.

 

Eine Stunde später hatte ich Josie und mein restliches Team darüber informiert, dass ich am Montag nicht ins Büro kommen würde, und ihnen meine Termine der nächsten Woche weitergeleitet.

Josie hatte mir sofort geantwortet: Geht es dir gut?? Das letzte Mal, als du tatsächlich freigemacht hast, bist du für drei Tage zum Christmas Shopping nach New York geflogen!

Mit ihrer Nachricht hatte sie ohne Absicht weiteres Salz in meine Wunde gestreut. Ich hatte im letzten Jahr tatsächlich nur wenige Tage Urlaub genommen. Wäre ich doch einfach nach Einsiedl gefahren, um … Doch ich versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken.

Ich hatte Josie die wichtigsten Infos zu meinem überhasteten Aufbruch geschrieben und versprochen, mich in den nächsten Tagen noch einmal bei ihr zu melden.

Ich war zu meinem Kleiderschrank gelaufen, und nun stand ich für einen Moment ratlos davor. Das letzte Mal, als ich nach Einsiedl gefahren war, hatte ich mit meiner Mutter darüber gestritten, ob Avril Lavigne wohl auch im Sommer eine Krawatte um den Hals trug. Sie hatte mir einige Röcke in den Koffer gepackt, und ich war die gesamten Ferien in ausgefransten Jeans-Shorts herumgelaufen. Die Krawatte war geblieben. Als ich daran dachte, musste ich lächeln. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.

Ich betrachtete die Businessoutfits und schicken Abendkleider vor mir. Nichts davon schrie nach Outdoor-Abenteuer. Schließlich entschied ich mich für Jeans, einige T-Shirts, zwei Röcke und meine Sportsachen. Damit konnte ich nicht allzu falsch liegen. Warum Menschen gern Urlaub in ausgebauten Autos oder Zelten verbrachten, erschloss sich mir einfach nicht.

Online hatte ich alles bestellt, was ich für die nächste Woche in der Natur brauchte. Expresslieferung sei Dank, würde mir das Paket in den kommenden Tagen direkt an den Campingplatz geliefert werden.

Ich packte die Sachen in einen silbernen Reisekoffer, verstaute den Laptop in meiner Handtasche und stellte die Alarmanlage an. Dann zog ich die Tür hinter mir zu und ging schnell hinunter in die Tiefgarage, bevor ich es mir doch noch einmal anders überlegen konnte. Am liebsten wäre ich wieder ins Bett gegangen und hätte mir die Decke über den Kopf gezogen.

Ich fuhr kaum Auto in Hamburg, da ich meistens mit dem Taxi unterwegs war. Doch jetzt war ich froh, mein Gepäck einfach in den Kofferraum des roten Minis verstauen und in den Wagen steigen zu können. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, startete den Motor und fuhr schwungvoll die Auffahrt nach oben.

 

Ich hatte gerade Hamburg hinter mir gelassen, als mein Handy über die Freisprechanlage klingelte. Frank zeigte das Display an. Ich atmete einmal tief durch und hob ab.

»Hallo?«

»Hallo, Milena.« Die raue Stimme meines Vaters erklang aus den Lautsprechern. »Hat dich die traurige Nachricht inzwischen erreicht?«

»Ja«, antwortete ich.

»Dieser Paul hat auch mich angerufen. Anscheinend hat Lotte alles, was sie hatte, dir vererbt.«

Typisch mein Vater. Keine Zeit für Gefühlsduseleien, wie er es nennen würde. Stattdessen kam er wie immer direkt auf den Punkt. Ich konnte in seiner Stimme nicht erkennen, ob er sauer war, weil er als ihr Neffe nicht von Lotte bedacht worden war.

»Ich bin in diesem Moment auf dem Weg nach Einsiedl«, sagte ich daher, um ihm zu zeigen, dass ich meine Aufgabe ernst nahm.

»Sehr gut«, lobte er mich zufrieden. »Du fährst also runter und siehst selbst, wie viel Geld du für das alte Hippie-Lager heraushandeln kannst.«

Ich verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass Ferien auf einem Campingplatz Menschen nicht automatisch zu Hippies machten. Es hatte eh keinen Zweck. Mein Vater hatte seine Überzeugungen. Sogar reichlich viele, und er tat sie gern und laut kund. »Glaubst du, der Platz ist viel wert?«, fragte ich ihn stattdessen erstaunt.

Mein Vater lachte und sagte dann: »Direkter Seezugang? In den Bergen? Das Ding ist wahrscheinlich eine Goldgrube. Du musst es nur geschickt anstellen und die richtigen Interessenten anlocken. Denn du weißt ja …« Er machte eine dramatische Pause und ich sprach den Satz in meinem Kopf mit: Gut investiert ist schon gewonnen.

Er räusperte sich. »Wenn du erfolgreich verkaufst, könnte dein Plan von einer eigenen Agentur wahr werden.«

Ich zuckte zusammen und fuhr eine Schlangenlinie. Schnell konzentrierte ich mich wieder auf die Fahrbahn. Ich wusste nicht, dass mein Vater meinen Traum von einer eigenen Agentur überhaupt wahrgenommen hatte. Er selbst war der Gründer einer Firma für zahnmedizinische Geräte und seitdem ich denken konnte in der Welt unterwegs. Er hatte immer gearbeitet und war kaum zu Hause gewesen. »Meinst du wirklich?«, fragte ich ihn hoffnungsvoll.

»Ja«, sagte er. »Das könnte die Gelegenheit sein, um dich zu beweisen. Ich sehe das Ganze schon vor mir.«

Ich stellte mir vor, wie er seinen Freunden stolz von meinem Erfolg berichten würde. Er hatte meine bisherige Karriere in der Agentur zwar zur Kenntnis genommen, aber auf großes Lob von ihm konnte ich für diese Position noch nicht hoffen. Es war seine Erwartungshaltung an seine einzige Tochter.

»Ich muss Schluss machen«, unterbrach er meine Gedanken. »Das nächste Meeting startet.«

»Tschüss, Frank«, sagte ich und wir legten auf.

Mein Blick fiel auf das Navi. Ich hatte nur noch läppische 820 Kilometer vor mir.

 

Nach vier Stunden Fahrt hatte ich bereits meine Lieblingsplaylist, die ersten Kapitel des Sachbuchs auf Platz eins der Bestsellerliste und die neueste Folge eines Krimi-Podcasts gehört und konnte mich kaum mehr konzentrieren. Am nächsten Rastplatz fuhr ich ab und aß mit neidischem Blick auf die rauchenden Lastwagenfahrer neben mir mein pappiges Sandwich aus dem Tankstellenbistro. Ich hatte letztes Jahr mit dem Rauchen aufgehört, aber in diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine Zigarette. Mit jedem Kilometer, den ich dem Campingplatz näher kam, fühlte ich mich schrecklicher. Lotte würde dort nicht auf mich warten.

Um nicht Gefahr zu laufen, meinem Verlangen nachzugehen, zog ich mein Handy aus der Handtasche und scrollte durch Instagram. Anscheinend gab Jan Delay heute ein Open-Air-Konzert im Elbpark, denn der Feed war voll mit Videos davon. Außerdem erschienen die üblichen Aufnahmen von Restaurantbesuchen und der Eröffnung eines Nachtclubs am gestrigen Abend. Irgendwie sahen alle Fotos ähnlich aus.

Beim nächsten Bild musste ich zweimal hinsehen. Das war doch …! Die Gründerin von Elbstadt Sports hatte auf ihrem privaten Account ein Bild von sich und Arne auf der Agenturfeier geteilt und geschrieben: Kann es kaum erwarten, gemeinsam mit ihm Gas zu geben, #nextlevel.

Am liebsten hätte ich den Kackhaufen-Emoji darunter gepostet. Wenn ich den Anschluss in Hamburg nicht verlieren wollte, musste ich mich dringend gegen Arne und seine Absichten verteidigen.

Ich steckte mein Handy weg, setzte mich hinters Steuer und startete den Motor.

Ja, ich würde Lottes Wunsch erfüllen und mich um eine Nachfolge für ihren geliebten Campingplatz kümmern. Und mich dann auf direktem Weg zurück nach Hamburg machen

Kapitel 3

Die Sonnenstrahlen, die durch die Spitzenvorhänge des winzigen Zimmers schienen, malten Muster auf das Bettlaken. Als ich mich aufrichtete, um auf die Uhr zu schauen, gab das alte Bett ein lautes Knarzen von sich.

»Schon König Ludwig hat zu seiner Zeit hier übernachtet«, hatte mir die Wirtin am Tresen bei meiner Ankunft stolz erklärt.

Und anscheinend hatten die Zimmer seitdem keine Renovierung bekommen, war mir beim Anblick der dunkelbraunen Möbel durch den Kopf gegangen, und ich hatte kichern müssen.

Ich nahm die silberne Uhr, die mein Vater mir zum Uni-Abschluss geschenkt hatte, vom Nachttisch und blinzelte gegen das Sonnenlicht, um etwas erkennen zu können. Es war sieben Uhr. Zu dieser Zeit lief ich normalerweise meine Morgenrunde an der Alster, bevor ich ins Büro fuhr. Es war ungewohnt, an einem Montag an einem anderen Ort zu sein.