The Weekend Away - Sarah Alderson - E-Book
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The Weekend Away E-Book

Sarah Alderson

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Beschreibung

Die Inspiration für den Netflix Film »The Weekend Away«

Die Freundinnen Orla und Kate machen gerade schwere Zeiten durch. Orla hadert mit ihrem Dasein als junge Mutter, und Kate hat eine unschöne Trennung hinter sich. Ein gemeinsames Mädelswochenende in Lissabon ist da genau das Richtige. In der pulsierenden portugiesischen Hauptstadt lassen es sich die beiden gutgehen und stürzen sich ins Nachtleben. Doch als Orla am nächsten Morgen aufwacht, ist Kate verschwunden – und Orla kann sich an nichts erinnern. Verzweifelt versucht sie, die letzte Nacht zu rekonstruieren, um Kate zu finden. Was sie entdeckt, übersteigt selbst ihre schlimmsten Befürchtungen …

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Buch

Die Freundinnen Orla und Kate machen gerade schwere Zeiten durch. Orla hadert mit ihrem Dasein als junge Mutter, und Kate hat eine unschöne Trennung hinter sich. Ein gemeinsames Mädelswochenende in Lissabon ist da genau das Richtige. In der pulsierenden portugiesischen Hauptstadt lassen es sich die beiden gutgehen und stürzen sich ins Nachtleben. Doch als Orla am nächsten Morgen aufwacht, ist Kate verschwunden – und Orla kann sich an nichts erinnern. Verzweifelt versucht sie, die letzte Nacht zu rekonstruieren, um Kate zu finden. Was sie entdeckt, übersteigt selbst ihre schlimmsten Befürchtungen …

Weitere Informationen zu Sarah Alderson

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Sarah Alderson

The Weekend Away

Thriller

Aus dem Englischen von Andrea Brandl

Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Weekend Away« bei Avon, a division of HarperCollinsPublishers Ltd, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2022

Copyright © Sarah Alderson 2020

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: UNO Werbeagentur, München

Artwork: © Netflix 2022. Used with permission.

Redaktion: Annekatrin Heuer

KS · Herstellung: ik

Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN: 978-3-641-29174-7

www.goldmann-verlag.de

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Für Nichola

Prolog

Rob steht die blanke Panik ins Gesicht geschrieben.

»Kriegst du das hin?«, frage ich besorgt.

»Klar«, erwidert er. »Wir schaffen das. Fahr los und amüsier dich.«

Marlow beginnt in seinen Armen zu zappeln und streckt ihre molligen Händchen nach mir aus. Plötzlich verspüre ich den Drang, meine Pläne zu ändern. Trotz seiner Beteuerungen bin ich nicht überzeugt, dass Rob die Sache tatsächlich meistert. Es ist das erste Mal, dass ich ihn mit dem Baby allein lasse, und so toll mir die Idee, mit meiner besten Freundin übers Wochenende nach Lissabon zu reisen, vorkam, bereue ich meine Zusage jetzt.

Aber es ist zu spät, um zu kneifen. Kate hat geschrieben, sie sei bereits auf dem Weg zum Flughafen.

Auf einmal bekommt Marlow einen Schluckauf. Ich nehme meine Kleine auf den Arm und lasse zu, dass sie mit ihren klebrigen Händen mein Haar packt. »Fütter sie regelmäßig«, ermahne ich Rob. »Und sieh zu, dass sie pünktlich ins Bett kommt.«

»Das sollte ich wohl hinkriegen«, murmelt er.

Ich küsse Marlow zum Abschied, kneife sie in ihre niedlichen Pausbäckchen und drücke Rob einen flüchtigen Kuss auf den Mund.

»Mach dir keine Sorgen«, sagt er. Offenbar hat er gemerkt, dass ich genau das tue.

Ich nicke und schnappe mir meinen Koffer. Rob hat recht. Es ist bloß ein Wochenende, mehr nicht. Das wird mich schon nicht umbringen.

Vielleicht wird es sogar ganz nett.

Kapitel 1

»Du meine Güte, Kate, das ist ja der Wahnsinn.« Ich lasse meinen Koffer an der Eingangstür stehen und stürze in fassungsloser Begeisterung zum Fenster, geradezu magisch angezogen von der grandiosen Aussicht. Die Sonne scheint durch raumhohe Fenstertüren, die die gesamte Front einnehmen. Mein Blick schweift über das Sammelsurium aus pastellfarben gestrichenen Häusern. Jenseits der Dächer kann ich etwas Blaues ausmachen – vermutlich der Fluss. Der Tejo, soweit ich weiß. Wie auch immer er heißen mag, jedenfalls sieht er allemal einladender aus als die schlammbraune Themse.

Kate tritt neben mich und drückt grinsend meine Schulter. »Nicht übel.« Lachend dreht sie sich um und eilt zielstrebig zu unserem Gepäck zurück. »Also, wo ist die Duty-free-Tüte? Das muss gefeiert werden!«

Während sie die Flasche Dom Pérignon herauszieht, die sie am Flughafen erstanden hat, entriegle ich die Tür und trete hinaus auf den Balkon. Ich bin wie elektrisiert. Erst nach einem Moment wird mir bewusst, dass meine Aufregung nicht von dem starken Kaffee im Flugzeug herrührt; vielmehr ist es der verbotene Kick der Freiheit. Als wäre ich eine Gefangene, die einen Tunnel aus dem Knast gegraben hat, auf der anderen Seite des Zauns auftaucht und feststellt, dass ihr tatsächlich die Flucht gelungen ist. Ein geradezu schwindelerregendes Triumphgefühl durchströmt mich.

Doch sobald ich meine Euphorie in Worte kleiden kann, erfasst mich eine Angst, die mein Hochgefühl augenblicklich im Keim erstickt. Wie es Marlow wohl geht? Ob Rob daran gedacht hat, sie rechtzeitig hinzulegen? Eine Viertelstunde zu spät, und sie ist morgen den ganzen Tag unausstehlich. Er schläft ja sonst wie ein Stein – bekommt er es mit, wenn sie nachts aufwacht? Was, wenn er ihr die Windel nicht wechselt und sie einen Ausschlag kriegt? O Gott, oder wenn er ihr Weintrauben gibt und sie daran erstickt?

Unwillkürlich taste ich nach meinem Handy, da fällt mir ein, dass es ja in meiner Handtasche liegt, die ich irgendwo an der Tür in die Ecke geworfen habe. Ich kämpfe gegen den Drang an, es herauszukramen und Rob eine Nachricht zu schicken. Aber so eine Mutter und Ehefrau will ich nicht sein. Rob schafft das schon. Er hat bereits häufiger auf die Kleine aufgepasst und weiß, was zu tun ist. Allerdings schien ihm die Vorstellung, das gesamte Wochenende mit Marlow allein zu sein, Bauchschmerzen zu bereiten. Nein, sage ich mir. Ich muss meine Angst überwinden und die Reise genießen. Sich jetzt verrückt zu machen bringt überhaupt nichts.

Ich schließe die Augen, hole tief Luft und nehme den Geruch der fremden Stadt in mich auf. Eine angenehme Wärme liebkost meine Haut. Sofort durchströmt mich wieder diese herrlich elektrisierende Begeisterung. Drei volle Tage kann ich mich nur um mich kümmern, kann essen und trinken, worauf ich Lust habe, kann ausschlafen, sozusagen in mein altes Leben zurückkehren – in die Zeit, bevor ich Mutter wurde und mir nicht bewusst war, wie wunderbar es sein kann, in Ruhe pinkeln und Sachen tragen zu können, an denen keine Reste von Babyerbrochenem kleben.

»Hier!«

Ich wirble herum. Kate drückt mir ein Glas Champagner in die Hand. »Prost.«

»Prost!« Ich stoße mit ihr an. »Das ist der pure Wahnsinn«, wiederhole ich und vollführe eine Geste, die das Apartment und die Aussicht umfasst. »Ich kann es nicht glauben.« Ich lasse den Blick über den Balkon schweifen, die eleganten Sitzmöbel, die Liegestühle und … Mit schief gelegtem Kopf betrachte ich das viereckige Ding in der Ecke. »Moment mal, ist das ein Whirlpool?«

»Ja. Habe ich dir das gar nicht erzählt?«

»Nein. Sonst hätte ich meinen Badeanzug eingepackt.«

»Wir brauchen doch keinen Badeanzug.« Lachend geht Kate nach drinnen, um die Champagnerflasche zu holen. Ich folge ihr. Es gab Zeiten, in denen ich mir keine Sekunde einen Kopf darüber gemacht habe, wenn meine Freundin oder sonst jemand mich nackt sah. Heute hingegen würde ich lieber sterben, als mich vor Rob auszuziehen.

Das Problem ist der Schwabbel, der früher nicht da war. Meine Brüste, einst zwei stolz schwebende Heliumballons, sind zu schlaffen Tüten geschrumpft, die der Erdanziehungskraft nichts mehr entgegenzusetzen haben, und wo sich früher ein flacher Bauch befand, wölben sich heute teigige Speckröllchen, die selbst dem strammsten Sportprogramm trotzen. Fairerweise muss ich einräumen, dass meine Handvoll Sit-ups einmal pro Woche wahrscheinlich nicht viel bringen, und die Schokoladencroissants, die ich mir meistens morgens auf dem Weg mit Marlow in den Park oder zu den Treffen irgendeiner Krabbelgruppe genehmige, sind wohl eher kontraproduktiv. Ich habe zwar versucht, dem Zucker abzuschwören, musste allerdings feststellen, dass Kuchen das Einzige ist, was diese Zusammenkünfte halbwegs erträglich macht oder mich durch einen zwölfstündigen Solo-Babybespaßungsmarathon trägt.

Keiner sagt einem vorher, wie schwer es ist, ein Kind großzuziehen und seine Figur zurückzubekommen, schon gar nicht diese verdammten Promis, die am Tag nach der Geburt schon wieder in Leggings und bauchfreien Tops posieren. Wobei – das stimmt nicht ganz: Viele Frauen warnen, wie brutal das Kinderkriegen ist, nur bleibt die Vorstellung davon so lange abstrakt, bis man es am eigenen Leib erlebt. Fast, als würde einem jemand erklären, dass lebenslängliche Einzelhaft eine ziemliche Herausforderung sein kann. Theoretisch kann man es sich ausmalen, aber erst wenn man mutterseelenallein in seiner Zelle sitzt und sich vor Augen führt, dass man für den Rest seines Lebens nur noch diese Wand anstarren wird, dämmert einem, wie gewaltig diese Herausforderung sein wird.

Beschämt werfe ich Kate einen verstohlenen Blick zu, als sie mir nachschenkt. Sie ist so schick und gepflegt in ihren Louis-Vuitton-Stiefeln, den Skinny Jeans und dem tief ausgeschnittenen Top, das ihre unverschämt kess wippenden Brüste und trainierten Arme perfekt zur Geltung bringt. Auch ihr Make-up wirkt wie frisch aufgetragen, obwohl wir fast sechs Stunden unterwegs waren. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal Lippenstift getragen (ganz zu schweigen davon mir die Beine rasiert) habe, und meine einst dank regelmäßiger Pilates-Stunden straffen Oberarme laufen Gefahr, zu schlaffen Winkeflügeln zu verkommen.

Kate und ich hatten früher einmal ungefähr dieselbe Statur – einen Meter dreiundsechzig und schlank –, weshalb wir uns gegenseitig Kleider leihen konnten; inzwischen liegen Welten zwischen uns. Ich war nie neidisch auf Kates Figur und bemühe mich jetzt, nicht in die Falle zu tappen und mich mit ihr zu vergleichen. Immerhin habe ich kürzlich ein Baby bekommen, verdammt noch mal! Es dauert eben, bis ich wieder in meine engen Jeans passe.

»Ich habe einen Tisch in diesem Restaurant reserviert, von dem mir meine Freundin erzählt hat«, sagt Kate, ohne zu ahnen, dass ich innerlich längst in einem unerfreulichen Figurenvergleich feststecke. »Um zehn.«

Ich schaue auf meine Uhr. Es ist kurz vor sieben. »Du liebe Zeit.« Ich unterdrücke ein Gähnen. »Normalerweise liege ich um zehn im Bett.«

»Schlafen kannst du noch, wenn du tot bist, Orla«, erwidert Kate und stellt augenzwinkernd ihr Glas ab.

Ich stöhne. In unseren Zwanzigern, als wir uns eine winzige Wohnung in Stoke Newington teilten und jeden Freitag und Samstag durchfeierten, legten wir auf dem Heimweg nach einer durchgetanzten Nacht meistens einen Boxenstopp in dem Bagelshop in der Brick Lane oder in der Kebabbude an der Ecke Old Street ein, um uns mit Essen vollzustopfen, ehe wir ins Bett fielen und bis nachmittags schlummerten.

Offenbar muss Kate meine Miene bemerkt haben, während ich über meine tiefe Erschöpfung und das Verschwinden meiner einst unermesslichen Energiereserven sinniere. »Na gut«, meint sie. »Leg dich eine Weile hin, ich wecke dich um neun.« Sie grinst. »Komm, wir sehen uns mal die Schlafzimmer an.«

Ich folge ihr. Wie zwei ausgelassene Kleinkinder reißen wir auf unserer Erkundungstour durch das Apartment sämtliche Türen auf. In der Küche, einem Hochglanztraum mit den neuesten Markengeräten, steht ein langer Tisch, der locker zwölf Personen Platz bietet.

»Wie um alles in der Welt hast du diese Bude hier gefunden?« Ich bewundere das kostbare Porzellan und die hauchzarten Weingläser in den Schränken.

»Airbnb.« Kate öffnet den Kühlschrank, der mehrere Mineralwasserflaschen, Milch, Eier und Kaffee beherbergt. »Soweit ich weiß, lebt der Besitzer in der unteren Wohnung und vermietet diese hier.«

»Wie viel kostet sie?«, frage ich leicht zögerlich.

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf«, wiegelt Kate feixend ab. »Toby zahlt.«

Ich werfe ihr einen Blick zu, doch sie zuckt bloß die Achseln. »Er hat eine der Kreditkarten beim Sperren übersehen, aber keine Angst, das merkt er gar nicht.«

Lachend schüttle ich den Kopf.

»Der elende Dreckskerl schuldet mir was«, brummt sie, was ich nur bestätigen kann. Ehrlich gesagt konnte ich Toby von Anfang an nicht leiden, doch nachdem herauskam, dass er Kate betrog, habe ich mit meiner Abneigung nicht länger hinter dem Berg gehalten. Der Mann sieht noch nicht mal gut aus, womit ich natürlich nicht andeuten möchte, dass eine attraktive Fassade seinen Fehltritt verzeihlicher gemacht hätte. Aber miterleben zu müssen, wie ein derart mittelmäßiger Typ wie Toby eine Frau betrügt, die in einer komplett anderen Liga spielt als er, ist schon besonders schlimm.

Ich habe nie verstanden, was Kate an diesem Kerl mit seinem Billardkugel-Schädel und seiner in krassem Gegensatz dazu stehenden schwarzen Körperbehaarung findet, aber wahrscheinlich besitzt Toby ein gewisses Charisma. Und außerdem, wie Kate ständig witzelte, legen sich kleine, glatzköpfige Männer im Schlafzimmer wohl wesentlich mehr ins Zeug, damit ihre Partnerin auf ihre Kosten kommt. Das will ich mir lieber nicht bildlich vorstellen.

Das Apartment hat zwei riesige Schlafzimmer. Ein großes mit einem angrenzenden Bad und ein weiteres, das schöner aussieht als jedes Hotelzimmer, das ich je betreten habe. Alles ist in Weiß gehalten – die himmlisch weiße Bettwäsche, die Kissen, die Wände, der Eames-Sessel in der Ecke, die Leinenvorhänge –, gleichzeitig verhindern geschickt platzierte farbige Akzente, dass der Raum zu klinisch wirkt. Blau und gelb gemusterte, wie mit dem Winkelmesser angeordnete Kissen zieren das Bett, eine Wand ist mit hübschen, blau gemusterten Fliesen versehen – ein Arrangement wie aus einem exklusiven Designmagazin.

»Du schläfst im großen Zimmer«, ordnet Kate an.

»Aber nein, das hier ist wunderbar. Ein Traum.«

»Ich bestehe darauf«, entgegnet sie. »Du hast es dir verdient.« Bevor ich widersprechen kann, rollt meine Freundin ihren Koffer in das kleinere Schlafzimmer. Während ich mich mit einem kleinen Trolley begnügt habe, ist Kates Koffer so groß, dass sie ihn am Flughafen-Check-in aufgeben musste. Ihre Kosmetika und Schuhe nähmen viel zu viel Platz ein, um in einen Handgepäckkoffer zu passen, meinte sie. Das ist typisch Kate. Sie hatte in ihrer und Tobys Wohnung das zweite Schlafzimmer für ihre Klamotten und das dritte für ihre Schuhe und Handtaschen in Beschlag genommen.

Ich zerre meinen Trolley mit der kaputten Rolle ins Hauptschlafzimmer, das nach demselben Farbmuster gestaltet ist, und lasse mich aufs Bett sinken. Draußen ziehen bauschige weiße Wolken über den violett verfärbten Himmel. Es ist herrlich, einfach hier zu liegen und zu spüren, wie der Stress der letzten Jahre von mir abfällt. Unglaublich, was ein bequemes Bett und die Aussicht auf ein Wochenende mit Ausschlafen und viel Lachen bewirken können.

Eine Minute später stürmt Kate herein und fällt neben mir aufs Bett. Kurz berühren sich unsere Arme. Dann liegen wir eine Weile schweigend da und betrachten die Wolken, die allmählich die Farbe von rosa Zuckerwatte annehmen.

»Ich freue mich so, dass wir das gemacht haben«, sage ich nach einem Moment der friedlichen Stille.

»Ich auch«, murmelt Kate.

Ich wende den Kopf und bemerke erschrocken die Traurigkeit auf ihrem Gesicht, als sie zum Fenster hinaussieht. Kurz frage ich mich, ob sie geweint hat, aber wahrscheinlich liegt es am rosigen Abendlicht, das in den Raum fällt. Traurig zu sein ist nicht Kates Stil. Wann immer sie etwas aufregt, kompensiert sie es mit ätzendem Humor. Weinen und Jammern gehören schlicht nicht zu ihrem Repertoire. Wenn sie früher, vor ihrer Ehe mit Toby, von einem Typen abserviert wurde, heulte sie ihm keine Träne nach, sondern haute einen ihrer berühmten Kate-Sprüche raus: »Auf geht’s, rauf auf den Gaul. Andere Mütter haben auch schöne Söhne.«

Wenn sie einen Kunden verlor, griff sie zum Hörer, um den nächsten, noch größeren Fisch an Land zu ziehen. Selbst als sie herausfand, dass Toby es auf seinen zahlreichen Geschäftsreisen nach Seoul und Shanghai mit Escort-Girls getrieben hatte, brach sie nicht in Tränen aus oder vergrub sich tagelang mit tonnenweise Eiscreme im Bett, wie ich es getan hätte. Nein, Kate buchte sich mit seiner Kreditkarte einen Erster-Klasse-Flug nach Mauritius und verbrachte eine Woche im Four Seasons, schlürfte Cocktails am Strand und hatte wilden Sex mit dem Poolboy – dem weisen Rat folgend, dass man am besten über einen Kerl hinwegkam, indem man sich schleunigst unter einen anderen legte, wie sie mir später verriet. Ich kenne niemanden, der einer Depression besser Herr wird als Kate. Eigentlich könnte ich eine Menge von ihr lernen, nur leider ist mein Kreditkartenlimit sehr viel niedriger.

Während ich meine Freundin im goldenen Schein des Sonnenuntergangs betrachte, überlege ich, ob Kates Behauptung, es gehe ihr prima, eine Lüge war. Vielleicht hat sie in Wahrheit mächtig zu kämpfen? Nach allem, was hinter ihr liegt, wäre es kein Wunder, und erst jetzt dämmert es mir, wie dumm ich war. Warum ist mir der Gedanke nicht schon früher gekommen? Aber Kate gehört zu den Menschen, die stets so beherrscht wirken, dass man die Risse in der Fassade anfangs gar nicht bemerkt, das ist das Problem.

Bei näherem Hinsehen fällt mir auf, wie nervös und angespannt sie offenbar ist. Trotz des Make-ups entdecke ich unter ihren Augen tiefe Ringe, und auf dem Flug war sie ungewöhnlich still. Außerdem hat sie die Häutchen an ihren Daumennägeln abgeknabbert, was sie nur tut, wenn sie unter Strom steht.

Schlagartig wird mir bewusst, was für eine lausige Freundin ich war. Früher haben wir uns alles anvertraut, waren enger verbunden als manche Schwestern; definitiv steht Kate mir näher als meine Schwester, die in Irland lebt und die ich nur sehr selten besuche. Als ich mit zweiundzwanzig von Cork nach London zog – ich konnte es kaum erwarten, endlich meinem Heimatkaff zu entfliehen –, landete ich in einer WG in West Hampstead, mit Kate als Mitbewohnerin.

Vom ersten Moment an war es, als hätten wir uns schon immer gekannt. Wir waren beide Sternzeichen Schütze, hatten beide unsere Väter mit acht Jahren verloren, liebten beide die Empfehlungen von Richards und Judys Buchclub im Fernsehen, lasen gern Klatschmagazine und zogen mit Begeisterung um die Häuser. Mittwochs feierten wir Wochenhalbzeit in unseren lausigen Zeitarbeitsjobs. Wir genehmigten uns eine Flasche Red Tower für vier Pfund und verteilten den kompletten Inhalt auf einmal in die Gläser, um kein zweites Mal aufstehen zu müssen, ehe wir uns zu einem Buffy –Im Bann der Dämonen-Marathon aufs Sofa warfen. Wir sind die Art Freundinnen, die sich ständig gegenseitig ins Wort fallen, schneller quasseln als der Hochgeschwindigkeitszug in Busan und problemlos eine gesamte Unterhaltung lediglich mit Mimik gestalten können.

Acht Jahre teilten wir uns eine Wohnung, bis ich mit Rob zusammenzog, und auch danach trafen wir uns mindestens ein- oder zweimal pro Woche und telefonierten dazwischen täglich. Inzwischen hören wir manchmal eine ganze Woche nichts voneinander, und wenn, dann bin ich mit den Gedanken woanders oder muss mitten im Satz unterbrechen, um irgendeine Baby-Krise in den Griff zu kriegen.

Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich auch vor Marlow keine gute Freundin war. Drei Jahre vergeblicher IVF-Versuche verwandelten mich in eine miesepetrige Zimtzicke, wie mein Bruder meinte. Ich war dauerdeprimiert und wahrscheinlich ziemlich mit mir selbst beschäftigt. Kate versuchte zwar, Mitgefühl zu zeigen, doch ich merkte ihr an, dass sie, die keinen Kinderwunsch verspürte, meine Gefühle nicht nachvollziehen konnte. Sie verstand nicht, weshalb es mir so zusetzte, dass es bei mir einfach nicht klappen wollte.

Nachdem Kate sich vor sechs Monaten von Toby getrennt hatte, rief ich sie häufiger an, jedoch war Marlow gerade erst ein paar Monate alt und ich in einem Kreislauf aus Stillen und tiefster Erschöpfung nach all den schlaflosen Nächten gefangen. Ich bekam kaum noch etwas von der Welt ringsum mit. Und Kate schien so guter Dinge zu sein, dass ich offen gestanden vermutete, sie hätte die Trennung unbeschadet überstanden. Sie hatte ihre gewohnte Kate-Taktik eingeschlagen – nicht zurückblicken, sondern nur nach vorn –, aber vielleicht hatte ich nur nicht registriert, dass das alles eine Show war und es ihr in Wahrheit viel schlechter ging, als ich dachte.

»Ich habe unsere Mädels-Wochenenden vermisst«, sage ich und schiebe meinen Arm unter ihren.

Lächelnd wendet sie sich mir zu, und der Anflug von Traurigkeit ist so schnell verflogen, dass ich überlege, ob ich ihn mir nur eingebildet habe. Vielleicht projiziere ich ja einen Teil meiner eigenen heimlichen Unzufriedenheit auf sie. »Stimmt«, erwidert Kate. »Wie lange ist es her?«

Ich rechne nach. »Mindestens zwei Jahre«, erkläre ich. »Letztes Jahr war ich schwanger.«

»Aber es muss viel länger her sein, schließlich waren vorher all die IVF-Behandlungen. Ich glaube, wir sind das letzte Mal vor vier Jahren zusammen verreist.«

»Unmöglich, dass es so lang her ist.« Ich runzle die Stirn. Aber wahrscheinlich hat sie recht. »Wo waren wir damals?«

»In Valencia«, antwortet Kate ohne Zögern.

»Stimmt ja. Schön war es dort.« Ich denke an unser Boutique-Hotel mit den Himmelbetten und offenen Kaminen in den Zimmern.

»Erinnerst du dich noch an Paris?«, fragt Kate verträumt. »An dieses schäbige kleine Hotel im Marais?«

Ich lache. »Gott … die Mousse au Chocolat in diesem Restaurant an der Place des Vosges … die vergesse ich für den Rest meines Lebens nicht. Das war das Beste, was ich je im Mund hatte.«

»Lass das bloß Rob nicht hören«, kichert sie.

»Du hast diesem Amerikaner am Nebentisch erzählt, du könntest Französisch …«

»Und daraufhin hat er das Gericht bestellt, von dem du behauptet hast, es sei Ente, dabei war es Schweinebacke.«

Wir brechen in schallendes Gelächter aus.

»Das muss eine halbe Ewigkeit her sein. Damals gab es noch keine Smartphones und Übersetzungsapps«, sage ich.

Wir liegen da und zählen die Orte auf, die wir gemeinsam besucht haben, angefangen mit Paris. Mit dem Eurostar. Es war mein erster Trip dorthin, und ich kam mir unglaublich mondän vor, kaufte mir sogar in einem Billigladen eine Baskenmütze, um mit den Pariserinnen mithalten zu können. Doch als ich feststellte, wie die französischen Frauen sich tatsächlich kleideten, verschwand das Ding ganz schnell in meiner Tasche. Stattdessen erstand ich einen Schal. Allerdings habe ich es nie geschafft, ihn so elegant zu binden wie die Französinnen.

Nach diesem Paris-Wochenende beschlossen Kate und ich, fortan jedes Jahr in eine andere Stadt zu reisen, solange wir lebten. Damals malten wir uns fröhlich aus, dass wir, wenn wir über neunzig wären, die ganze Welt bereist hätten und uns mit zwei Liegestühlen an der Küste von Margate zufriedengeben könnten. Mehrere Jahre hielten wir unser Versprechen, wobei wir bei der Qualität unserer Hotels, Restaurants und des Alkohols, den wir im Duty-free-Shop am Flughafen besorgten, jedes Mal eine Schippe drauflegten. Am Ende war ich es, die unsere Abmachung nicht länger einhalten konnte.

»Es tut mir leid, dass wir so lange nicht mehr verreisen konnten.« Ich spüre einen Anflug von schlechtem Gewissen.

»Nicht so schlimm.« Kate drückt meine Hand. »Jetzt sind wir ja hier. Holen wir das Maximum heraus.« Sie rollt vom Bett und schnappt ihr leeres Glas vom Nachttisch. »Schlaf ein bisschen. Ich wecke dich in zwei Stunden, dann gehen wir abendessen.«

Kapitel 2

»Aufwachen, Schlafmütze.« Kate rüttelt mich am Arm.

Ich blinzle, dann setze ich mich auf und schaue mich um, schlaftrunken und desorientiert. Es ist dunkel. Als Kate die Nachttischlampe anknipst, dauert es einen Moment, bis ich wieder weiß, wo ich bin.

»Es ist Viertel nach neun«, sagt sie. »Zeit aufzustehen.«

Gähnend schwinge ich die Beine über die Bettkante, obwohl ich mich am liebsten zurückfallen lassen, mir die Decke über den Kopf ziehen und weiterschlafen würde. Kate hat sich bereits ausgehfertig gemacht und sieht atemberaubend aus in ihrem schwarzen Minikleid mit den Rüschenärmeln und den goldfarbenen Sandaletten, die ihre gebräunten, wohlgeformten Beine perfekt zur Geltung bringen. Niedergeschlagen denke ich an meine eigenen Kleider – ich habe nur bequeme Sachen eingepackt, weil ich dachte, es sei geeigneter für unsere Besichtigungstouren durch die auf Hügeln erbaute Stadt. Also habe ich lediglich Sneakers und ein Paar flache Sandalen dabei und auch nichts annähernd so Schickes wie Kates Kleid – ganz zu schweigen davon, dass ich solche Klamotten gar nicht besitze. Kate hat massenhaft schöne Kleider im Schrank, weil sie Mode liebt, leidenschaftlich gern shoppen geht und das Geld hat, sich ständig neue Sachen zu kaufen. Ein weiterer Grund ist zweifelsohne, dass sie als PR-Beraterin in der Filmbranche häufig zu Premieren und Aftershow-Partys eingeladen ist und, wie die Queen, lieber sterben würde, als sich zweimal im selben Outfit blicken zu lassen.

Während Kate den letzten Rest Champagner in mein leeres Glas gießt, öffne ich meinen Trolley und beginne zu kramen: Jeans, ein Sommerkleid, Shorts, eine Bluse, ein Kapuzensweatshirt, mehrere T-Shirts und schließlich mein karierter Flanellschlafanzug. Das einzige halbwegs abendtaugliche Kleidungsstück ist ein paillettenbesetztes Top von H&M, das ich mit einer Jeans kombinieren wollte, aber natürlich hatte ich nicht mit einem Dinner in einem Sterne-Restaurant gerechnet, sondern dachte, wir würden in einem der vielen kleinen Einheimischenlokale ohne Dresscode essen.

»Ich weiß nicht, was ich anziehen soll.« Frustriert stopfe ich das Top wieder in den Koffer. Ich wünschte, Kate hätte mich vorgewarnt, dass sie einen Tisch in einem schicken Lokal reserviert hat.

»Willst du dir was von mir borgen?«, fragt sie. Bevor ich darauf antworten kann, ist sie aufgestanden und ruft mir über die Schulter zu, ihr zu folgen.

Ihr Zimmer ist nicht länger eine Oase in Weiß, sondern wirkt, als hätte eine Horde besonders verzweifelter Einbrecher darin gewütet. Überall liegen Kleider und Schuhe herum. Früher, zu unseren WG-Zeiten, war es genauso. Es trieb mich regelmäßig in den Wahnsinn, dass man in der gesamten Wohnung über ihre Schuhe, Jacken, Taschen, schmutzigen Teller und Tassen stolperte, als sei Kate mit Personal aufgewachsen, das ihr alles hinterherräumte, dabei stammt sie aus einer Sozialsiedlung in Nord-London.

Wann immer wir uns deswegen in die Haare kriegten, kam sie mit dem Argument an, das Leben sei zu kurz, um sich mit Banalitäten wie Aufräumen aufzuhalten, wenn man es mit schönen Dingen wie einem Einkaufsbummel oder einem Kneipenbesuch genießen könne. Am Ende siegte jedes Mal mein Ordnungsfimmel, und Kate half schließlich mit, als sie mich auf allen vieren die Badezimmerfliesen schrubben sah, wenn auch unter Protest. Sobald sie befördert wurde und ein bisschen besser verdiente, engagierte sie eine Putzfrau, die einmal wöchentlich zum Saubermachen erschien.

Jetzt stehe ich da und beobachte, wie sie rasch ein paar Sachen in ihren Koffer wirft und den Deckel zuknallt, ehe sie ein Kleid vom Boden pflückt und mir hinhält – das blaue Seidenminikleid mit Jacquard-Muster ist der Hammer, allerdings weiß ich bereits, dass ich es nicht mal über die Hüften bekäme und ich mich am Ende mit Gewalt herauskämpfen müsste wie eine Raupe, die sich von ihrem Kokon befreit. Eine Nummer, die ich zumindest nicht komisch fände. Als Kate mein Gesicht bemerkt, lässt sie den Fummel fallen und schnappt ein besticktes, tief ausgeschnittenes Maxi-Kleid.

»Hier«, sagt sie und hält es mir an den Körper. »Probier das mal.«

Ich nehme das Kleid mit ins Badezimmer und schließe die Tür, weil ich mich nicht vor ihr ausziehen will. Erstaunlicherweise sieht der Fummel, gefertigt von einem Designer, den sogar ich kenne, ziemlich gut aus, obwohl ich wegen der Spaghetti-Träger auf den BH verzichten muss, was in meinem Fall nicht unbedingt von Vorteil ist. Glücklicherweise drückt der Empire-Schnitt meine Brüste jedoch so effektiv hoch wie ein Push-up. Dies ist das erste Mal, dass ich ein Maxi-Kleid trage. Beim Anblick meines Spiegelbilds überlege ich allerdings, ob ich nun, da ich vierzig geworden bin, meinen Kleidungsstil möglicherweise überdenken sollte.

Auf den Ablagen um mich herum stehen zahlreiche Seren, Cremebehälter, Schminkzeug und Haarprodukte. Ich schnappe mir den Lockenstab. Wann habe ich das letzte Mal etwas mit meinen Haaren angestellt, außer sie zu waschen und zu einem Zopf oder einem lockeren Knoten zusammenzubinden?

Kate streckt den Kopf zur Tür herein. »Ah!«, ruft sie und tritt ein. »Das sieht super aus! Du musst das Kleid behalten.«

Ich will protestieren, doch sie unterbricht mich. »Nein, ich bestehe darauf. Dir steht es viel besser als mir. Und erst diese Möpse! Die reinsten Wassermelonen! Ich bin echt neidisch. Vielleicht sollte ich mir auch ein Baby zulegen.« Sie nimmt mir den Lockenstab aus der Hand. »Soll ich dir die Haare machen?«

»Gern.«

Sie schiebt meine Klamotten zur Seite, um den Lockenstab einzustecken. »Hübsch«, bemerkt sie, hält meinen BH hoch und wirft ihn mir zu.

»Ein Geschenk von Rob zum Valentinstag.« Ich fange ihn auf. Er ist aus gepolsterter Seide und in einem Nudeton gehalten, nicht gerade sexy, aber immerhin von Agent Provocateur. Geschenke sind nicht gerade Robs Stärke, deshalb muss ich ihm zumindest in dem Punkt Respekt zollen. Normalerweise kriege ich Socken von Marks & Spencer, einen Amazon-Gutschein oder ein Parfum, das er eindeutig selbst ausgesucht hat, weil es hübsch verpackt ist, aber riecht, als würde es allenfalls Joan Collins tragen.

Während wir warten, bis der Lockenstab aufheizt, widmet sich Kate meinem Make-up. Früher war das unsere Standardprozedur vor dem Ausgehen – ich als lebende Leinwand, an der Kate den Picasso in sich rauslassen konnte. Als sie jetzt mit dem weichen Pinsel über meine Lider streicht, wird mir bewusst, wie sehr ich es vermisst habe, mich in Schale zu werfen. Vor Marlow, als ich noch ein Leben hatte, gehörte jeden Morgen eine Viertelstunde meiner Gesichtspflege und dem Make-up, inzwischen kann ich von Glück sagen, wenn die Zeit für einen Spritzer Deo reicht.

Sobald Kate fertig ist, dreht sie mich dem Spiegel zu. Im ersten Moment erkenne ich mich selbst kaum wieder. Um meine Augenwinkel herum hat sie einen dunklen Orangeton aufgetragen – eine Farbe, die ich normalerweise nie verwenden würde, die jedoch das Blau meiner Augen erstaunlicherweise toll hervorhebt und sie fast kobaltfarben leuchten lässt; der seidige Puder verleiht meiner gespenstischen Blässe einen gesunden, frischen Glow.

»Lecker«, bemerkt sie triumphierend.

Ich erröte leicht. Es ist lange her, dass ich mich das letzte Mal als attraktiv oder schön empfunden habe – mit vor Milchstau drückenden Brüsten und einer zusammengeflickten Vagina ist das alles andere als einfach –, doch nun hege ich die leise Hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist. Zwar fühle ich mich neben Kate sicher nicht wie eine Prinzessin, aber auch nicht länger wie die hässliche Schwester.

»Ich besorge uns ein Uber«, sagt sie und zieht ihr Handy heraus.

Wenige Minuten später verlassen wir das Apartment im dritten Stock und gehen die Treppe hinunter, nachdem ich mich vergewissert habe, dass die Tür abgeschlossen ist und ich die Adresse auf meinem Handy gespeichert habe, für den Fall, dass wir später zu betrunken sind, um uns daran zu erinnern. Dann folge ich in meinen flachen Sandalen Kate, deren Absätze auf den Stufen klappern.

Dieses »Mum-Gen«, das mich so vernünftig sein lässt, war schon viele Jahre vor Marlows Geburt aktiviert. Ich bin ein Mensch, der vorausdenkt und sich um alles Mögliche sorgt, wohingegen Kate sich weigert, sich wegen etwas einen Kopf zu machen, das womöglich gar nicht passiert. Mein Verhalten mag etwas mit meiner Persönlichkeit zu tun haben, liegt aber auch an meiner Arbeit. Ich leite die Personalabteilung einer großen Wohnungsbaugesellschaft mit mehreren hundert Angestellten, oder zumindest habe ich das bis zum Mutterschutz getan. Zu meinen Aufgaben gehört es, ständig dafür zu sorgen, dass Vorschriften und Regeln konsequent eingehalten werden und nichts schiefläuft. Risiken einzuschätzen, ist dabei genauso wichtig wie klare Strukturen. Kates Leben hingegen besteht daraus, Kontakte zu pflegen und zu kungeln, dem Ego von Schauspielern zu schmeicheln und wichtige Studiobosse bei Laune zu halten. Sie ist permanent gezwungen, Krisen zu bewältigen und blitzschnelle Entscheidungen zu treffen.

Beim Gedanken an die Arbeit lodert spontan Vorfreude in mir auf, die allerdings sofort von Schuldgefühlen erstickt wird. Zuzugeben, und sei es nur vor mir selbst, dass ich es kaum erwarten kann, wieder ins Büro zurückzukehren, fühlt sich falsch an. Ich war überzeugt gewesen, dass ich jeden Tag meiner Elternzeit genießen würde, doch obwohl Rob und ich eine einjährige Auszeit geplant hatten, frage ich mich inzwischen, ob neun Monate nicht auch ausgereicht hätten. Aber natürlich darf man so etwas nicht laut sagen – dass man lieber zur Arbeit als mit seiner kleinen Tochter zum frühkindlichen Musikunterricht oder zum Babyschwimmen gehen würde.

Manchmal finde ich Zuflucht in Online-Chatgruppen, in denen sich andere Mütter über die Monotonie austauschen, die sie empfinden, wenn sie den ganzen Tag zu Hause sind. Das lindert meine Einsamkeit ein wenig. Allerdings reicht mein Selbstbewusstsein noch nicht aus, um meinen Frust jemandem in der realen Welt anzuvertrauen. Zu groß ist meine Angst, die Leute könnten mich für egoistisch oder für eine schlechte Mutter halten, vor allem nach dem Kampf, den ich hinter mir habe, um überhaupt schwanger zu werden.

Als Kate und ich an dem Apartment in der Etage unter uns vorbeilaufen, öffnet sich die Tür, und ein Mann tritt heraus und verstellt uns den Weg.

»Hi«, sagen Kate und ich.

Der Typ ist etwa Mitte dreißig, mit schütterem Haar und einer runden Künstlerbrille, und mustert uns mit eulenhaftem Blick.

»Hi«, erwidert er und streckt Kate seine schmale Hand hin. »Ich bin Sebastian. Mir gehört die Wohnung, die Sie gemietet haben. Freut mich.« Er spricht hervorragendes Englisch, lediglich mit dem Hauch eines Akzents.

»Ja, klar.« Kate schüttelt ihm die Hand. »Ich bin Kate, das ist Orla.« Sie zeigt auf mich.

»Freut mich.« Ich schüttle Sebastian ebenfalls die Hand.

Sein Blick schweift kurz zu meinem Dekolleté, was mich erröten lässt, sowohl vor Verlegenheit als auch vor leisem Stolz. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich ein Mann zuletzt so angesehen hat, nicht mal Rob.

»Sie sind nur zu zweit?«, fragt Sebastian.

Ich nicke. »Ja, nur wir zwei.«

»Und jetzt gehen Sie aus?«, fragt er weiter, obwohl es auf der Hand liegt.

»Ja, wir möchten etwas essen«, antworte ich.

»Wir sollten dann mal«, fügt Kate ungeduldig hinzu. »Der Wagen wartet.«

Sebastian scheint jedoch nicht zur Seite treten zu wollen. »Jedenfalls wollte ich nur Hallo sagen. Sollten Sie irgendetwas brauchen, egal was, geben Sie mir einfach Bescheid. Ich helfe gern. Ich arbeite von zu Hause aus und bin das ganze Wochenende hier. Sie können also jederzeit vorbeikommen.«

»Toll«, entgegne ich. »Danke. Machen wir.« Ich will an ihm vorbeitreten, aber Sebastian rührt sich immer noch nicht vom Fleck.

»Wenn ich Ihnen zeigen soll, wie der Whirlpool funktioniert …«, fährt er in seiner hohen, leicht fisteligen Stimme fort.

»Das kriegen wir bestimmt hin«, unterbricht Kate mit einem verkniffenen Lächeln und schiebt sich an ihm vorbei.

»Danke.« Ich folge Kate und lächle den Vermieter höflich an.

»Schönen Abend«, ruft er uns hinterher.

Im Wagen zieht Kate ihren Lippenstift nach, wobei sie die Handykamera als Spiegel benutzt. Währenddessen blicke ich auf die abendliche Stadt, auf das erleuchtete Schloss auf dem Hügel, die prächtige Brücke, die genauso aussieht wie die Golden Gate Bridge, und den bunten Mix aus barocker, römischer und sogar gotischer Architektur. Das alles weiß ich, weil ich es im Reiseführer gelesen habe. Die Gegend, in der wir wohnen, Alfama, befindet sich im maurischen Teil der Stadt und besteht aus einem Labyrinth enger Kopfsteinpflastergassen, die sich über mehrere Hügel schlängeln. Ich bin hingerissen von dem Zauber dieses Viertels, mit seinen steilen Treppen, den üppigen rosa Bougainvilleen, die sich wie Wasserfälle über die teils farbigen Gemäuer ergießen. Es ist, als würde man in ein vergangenes Jahrhundert zurückreisen oder sei in einen Fantasy-Roman versetzt worden.

Als Kate mit dem Lippenstift fertig ist, legt sie den Arm um mich und zieht mich für ein Selfie zu sich heran. Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und wischt den roten Abdruck ab, den er hinterlassen hat. Dann legt sie mir beide Hände ums Gesicht. »Du weißt, dass ich dich lieb habe, oder?«, fragt sie. Ihre Miene und auch ihr Tonfall sind untypisch ernst und feierlich.

»Natürlich«, antworte ich verwirrt.

»Gut.«

Die spontane Liebes- und Freundschaftserklärung erstaunt mich. Wir beteuern uns zwar ständig gegenseitig unsere Zuneigung, aber in letzter Zeit vielleicht nicht mehr so häufig. Kate muss betrunken sein. Normalerweise verträgt sie einiges, allerdings kann sie sehr rührselig werden, wenn sie einen im Tee hat.

»Du bist meine beste Freundin«, erklärt sie mit Nachdruck, als bestünde die Gefahr, dass ich es anzweifle.

»Und du meine«, erwidere ich lachend.

»Das darfst du nie vergessen«, setzt sie hinzu und schaut mich dabei auf eine derart merkwürdige Art an, dass mir das Lachen im Hals stecken bleibt.

Kapitel 3

Einige Zeit später betreten wir das von Kerzenschein erhellte Restaurant. Sein hohes Glasdach und die üppige Pflanzendekoration lassen den Raum wirken wie ein Gewächshaus in Kew Gardens. Unser Kellner führt uns zu einem mit weißem Leinen eingedeckten Tisch im hinteren Teil des Raums, doch Kate besteht auf einem Platz in der Mitte. Sie will sehen und gesehen werden, und ich schließe mich ihr an, weil ich meine neu gewonnene Freiheit bis zum Anschlag genießen und mich amüsieren will.

»Hier ist es besser«, stellt Kate fest, schlägt mit einer ausladenden Geste ihre Serviette auf und bestellt eine Flasche Champagner.

Als ich die Speisekarte zur Hand nehme, beiße ich mir vor Schreck auf die Lippe. Allein beim Preis für den Champagner – knapp zweihundert Euro – wird mir ganz anders. Ist die Flasche mit Blattgold verkleidet? Ich wäre auch mit einem Prosecco zufrieden, der bloß ein Viertel davon kostet und zumindest für meinen unkultivierten Gaumen genau gleich schmeckt.

»Das Essen geht auf mich«, sagt Kate, als hätte sie meine Gedanken gelesen.

Ich öffne den Mund, um zu protestieren. Sie hat bereits das Apartment bezahlt und unsere Flüge auf Businessclass upgraden lassen. »Ehrlich«, fährt Kate fort und drückt meine Hand. »Wir haben es uns verdient, außerdem geht das alles auf Tobys Rechnung, schon vergessen?« Lachend zwinkert sie mir zu.

»Sicher?«, frage ich. »Wird er nicht sauer, wenn er es merkt?«

»Doch, aber er hat nach allem, was er getrieben hat, nicht das Recht dazu.« Kate drückt die Schultern durch und reckt das Kinn, während sie sich umschaut. »Außerdem ziehen wir ihn bei der Scheidung ohnehin bis aufs Hemd aus, meint mein Anwalt, deshalb spielt es keine Rolle, ob mein lieber Ehemann jetzt blecht oder später.«

Toby besitzt eine Marketingagentur, die große Kampagnen für Markeneinführungen und Musikveranstaltungen organisiert. Bei dem umwerfenden Penthouse, das er mit Kate bewohnt hat, und all den Luxusurlauben an den schönsten Flecken der Welt, von den Seychellen bis zur Karibik, wird er wohl recht anständig verdienen, vermute ich.

»Er hat die Firma verkauft«, erzählt Kate, als der Kellner mit dem Champagner im Eiskübel erscheint. »An eine amerikanische Agentur. Für mehrere Millionen. Mein Anwalt sagt, mir steht mindestens die Hälfte zu. Von allem.«

Mir fällt die Kinnlade herunter. »O Gott«, flüstere ich. »Das ist ja ein Vermögen. Was machst du bloß damit?«

Sie zuckt die Achseln. »Weiß ich noch nicht. Vermutlich ein Haus kaufen.«

»Wo denn?«

»Vielleicht in Richmond.«

Ich starre meine Freundin verblüfft an. Bisher war alles außerhalb der Londoner Innenstadt, insbesondere die reichen, hippen Vororte, ein absolutes No-Go für sie. Kate ist ein Stadtmensch und will mitten im Getümmel sein. Sie sei wie ein schwarzer Taxifahrer, scherzte sie oft – keine zehn Pferde bekämen sie auf die Südseite des Flusses. Trotz ihres Vermögens und ihres Lebensstils ist Kate ein Kind der Arbeiterklasse geblieben und hat für die feinen Schnösel und Angeber, von denen es in Richmond nur so wimmelt, bloß Verachtung übrig. Ich kann sie mir jedenfalls nur sehr schwer in Barbour-Jacke und Gummistiefeln mit einem Labradoodle im Park vorstellen.

»Ernsthaft? Du würdest deine Innenstadtwohnung aufgeben und dorthin ziehen, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen?«

Kate runzelt die Stirn. »Ja. Ich denke, es ist Zeit für eine Veränderung. Man kann nicht immer dasselbe Leben führen. Es wäre schön, ein eigenes Haus mit Garten zu haben. Vielleicht könnte ich mein eigenes Gemüse anpflanzen.«

»Und als Nächstes erzählst du mir, dass du dir zwei Komma vier Kinder wünschst«, kichere ich. Offenbar ist mir der Champagner auf leeren Magen in den Kopf gestiegen.

Mit einem kaum merklichen Nicken zitiert Kate den Kellner herbei und schaut mich wieder an. »Vielleicht tue ich das tatsächlich.«

Ich verschlucke mich beinahe an meinem Champagner und muss mein Glas abstellen. »Was? Du willst Kinder? Ehrlich?« Ich bin zutiefst entsetzt. Nichts hätte mich mehr überraschen können als das, nicht einmal wenn sie verkündet hätte, dass sie aus dem Hamsterrad aussteigen, der Männerwelt abschwören und ins Kloster gehen wolle.

Kate wirft mir einen gekränkten Blick zu. »Wieso ist das so schrecklich?«

Ich schüttle den Kopf, weil ich meine Freundin nicht verletzen will. »Ist es gar nicht. Nur … ich hätte nicht gedacht, dass du dir Kinder wünschst.«

»Tue ich auch nicht.« Sorgfältig faltet sie die Serviette auf ihrem Schoß. »Bis jetzt zumindest nicht. Und Gott sei Dank, dass ich mit Toby keine bekommen habe. Kannst du dir das vorstellen? Er wäre ein grauenvoller Vater geworden. Also, was nimmst du?« Unvermittelt wechselt Kate das Thema und schlägt die Speisekarte auf. »Der Tintenfisch hört sich gut an, oder? Aber der Schweinebauch soll auch klasse sein.«

Wir bestellen, wobei Kate sich für das teuerste Gericht auf der Karte entscheidet – Austern, dann den Tintenfisch – und ich für das preiswerteste, Sardinen, eine lokale Spezialität, wie ich gelesen habe.

Als der Kellner verschwunden ist, lächelt Kate mich an, hebt ihr Glas und stößt mit mir an. »Auf die Mutterschaft.«

»Auf die Mutterschaft«, murmle ich, während ich die Neuigkeit immer noch verdaue. Ich dachte immer, Kate wollte keine Kinder. Schließlich hat sie in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen zu betonen, wie sehr sie ihren Job und ihre Freiheit liebt und Freundinnen sie langweilen, die kein anderes Thema als ihren Nachwuchs kennen. Daraufhin habe ich mich bemüht, meine eigenen Schwärmereien über Marlow in ihrer Gegenwart auf ein Minimum zu beschränken. Und obwohl sie Marlows Patentante ist und meine Kleine mit teuren Kleidchen und exklusiven Holzspielsachen verwöhnt, habe ich Kate nie gebeten, ihr die Windel zu wechseln oder als Babysitter einzuspringen. Ich weiß, wo bei meiner Freundin der Spaß aufhört. Mir ist aber auch klar – und dieses Thema habe ich eingehend mit Rob diskutiert, der Zweifel an meiner Wahl hatte und Kate nicht als Marlows Patin haben wollte –, dass sie ihre Sache ganz hervorragend machen wird, wenn Marlow erst größer ist.

Zugegebenermaßen bin ich ein klein wenig eifersüchtig, wenn ich daran denke, dass Kate die glamouröse Tante in Marlows Leben sein wird, mit ihrer Wahnsinnskarriere, der teuren Garderobe und den Reisen zu Filmfestivals und Veranstaltungen auf der ganzen Welt, aber bis gerade eben wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass Kate es sein könnte, die mich beneidet. Tut sie es? Allein die Vorstellung ist befremdlich.

Die Frage ist, ob sie mit ihren einundvierzig Jahren überhaupt noch schwanger werden kann. Bei mir war es schon ziemlich kompliziert, und nicht nur wegen des Alters, sondern auch, weil mein Uterus ein Komplettversager ist. Aber viele Frauen werden schon vom Hinsehen schwanger, und wer kann schon wissen, wie es bei Kate ist? Es wäre jedenfalls typisch für sie. Ihr fällt praktisch alles in den Schoß – Männer, Erfolg, Aufmerksamkeit. Wieso nicht auch ein Baby?

»Ich habe meine Eizellen einfrieren lassen«, verkündet sie ohne Vorwarnung.

»Wie bitte?« Ich verschlucke mich beinahe an meinem Champagner.

»Schon vor einigen Jahren.« Kate zuckt die Achseln. »Ich fand es sinnvoll. Ich wusste, dass Toby keine Kinder will, war aber unsicher, wie ich dazu stehe, und nachdem ich mitbekommen hatte, wie schwierig es bei dir war, wollte ich es eben tun; für den Fall, dass ich es mir irgendwann anders überlege.«

Ich schaue sie völlig entgeistert an. »Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?«

Sie lächelt entschuldigend. »Damals stecktest du gerade mitten in deinen IVF-Behandlungen. Es war eine schwierige Zeit für dich, und ich wollte dich nicht nerven.«

»Weshalb hätte mich das nerven sollen?« Im Gegenteil, es kränkt mich, dass meine Freundin mir etwas derart Wichtiges vorenthalten hat. War ich so mit meinen eigenen Problemen beschäftigt? Hätte es mich tatsächlich genervt, in Kates Pläne eingeweiht zu werden? Auch wenn mir der Gedanke nicht gefällt, muss ich zugeben, dass da etwas dran ist. Damals empfand ich alles, was mit der Fruchtbarkeit anderer Frauen zu tun hatte, als Affront. Selbst beim Anblick von Pränatal-Vitaminen mit dem Foto einer Schwangeren auf dem Etikett rannte ich tränenüberströmt aus der Apotheke.

Kate beißt sich auf die Lippe. »Ich weiß auch nicht. Tut mir leid. Ich fand es nicht so bedeutsam. Schließlich habe ich nicht den Entschluss gefasst, schwanger zu werden, sondern bloß meine Eizellen entnehmen und einfrieren lassen. Das tun heutzutage doch alle. Es ist das neue Botox. Die Leute veranstalten sogar Eizellen-Partys.«

Ich ziehe die Brauen hoch. Meint sie das etwa ernst?

»Ja, ehrlich«, beharrt sie. »Das ist aktuell der letzte Schrei in Hollywood.«

Hollywood. Klar. Manchmal vergesse ich, dass Kate in einer anderen Welt lebt als ich. Ich nippe an meinem Wasserglas und sammle mich. »Und? Wirst du sie verwenden?«, frage ich. »Also, die Eier.« Keine Ahnung, warum, aber die Vorstellung, dass Kate Mutter wird, irritiert mich.

»Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortet sie, als der Kellner eine Platte mit Austern vor uns auf den Tisch stellt.

»Denn wenn ja, ist so was vom Speiseplan gestrichen«, scherze ich. »Und Alkohol gibt’s auch keinen mehr.«

Kate legt den Kopf schief. »Willst du etwa behaupten, ich bekäme das nicht hin?«

»Nein, natürlich nicht«, wiegle ich eilig ab. »Ich meine, wenn ich es geschafft habe …« Ich wollte keineswegs andeuten, dass ich ihr nicht zutraute, eine neunmonatige Schwangerschaft erfolgreich zu überstehen, aber vielleicht habe ich es unbewusst doch getan. Vielleicht ist es das, was mich plötzlich stört: Der Entschluss erscheint mir so spontan und unüberlegt. Typisch Kate. Hat sie überhaupt eine Ahnung, was es bedeutet, ein Kind großzuziehen? Wie schwer das ist? Ein Kind zu bekommen ist etwas völlig anderes, als sich ein neues Paar Schuhe zu kaufen. Man kann die lieben Kleinen nicht zurückbringen, nur weil man merkt, dass sie einem nicht gefallen, oder in den hintersten Winkel des Schranks verbannen und vergessen. Und man kann das Kinderkriegen auch nicht mit diesem Hals-über-Kopf-Trip nach Vegas vergleichen, als Kate aus einer Laune heraus mit Toby durchbrannte, um ihn zu heiraten.

Kinder kann man nicht einfach beiseitestellen, wenn man keine Lust mehr auf sie hat. Außerdem – wie sollte Kate das ganz allein anstellen, ohne Hilfe? Natürlich hat sie haufenweise Geld, doch selbst mit allen Nannys dieser Welt ist ein Leben als alleinerziehende Mutter kein Zuckerschlecken. Zwei Freundinnen von mir sind Single und verdienen eine Tapferkeitsmedaille. Ich glaube nicht, dass ich das hinbekäme, und Kate traue ich die Geduld dafür nicht zu.

»Hier, nimm eine Auster.« Sie schiebt mir die Platte hin.

Ich schüttle den Kopf. Bei meinem Glück erwische ich bestimmt die einzige auf dem Teller, die schlecht ist, und kriege eine Fischvergiftung.

»Nun mach schon«, drängt sie. »Die sind gut.«

Ach, was soll’s. Seit Jahren habe ich keine Meeresfrüchte mehr gegessen. In der Zeit, als ich schwanger zu werden versuchte, hatte ich viel zu große Angst, mir könnte schlecht werden. Ich schnappe mir eine, träufle ein wenig Zitrone darüber und lasse sie in meinen Mund gleiten, wo sie einen Geschmack nach Meerwasser hinterlässt. »Lecker«, sage ich. »Danke.«

Ich bin gemein. Kate ist meine beste Freundin, und ich sollte sie in ihrer Entscheidung unterstützen, egal, wie ich darüber denke. »Du wirst eine wunderbare Mutter sein.«

Sie lächelt. »Danke.«

»Hast du vor, dir einen Samenspender zu suchen?«, frage ich.

Sie schiebt sich noch eine Auster in den Mund. »Kann sein«, erwidert sie. »Es wäre eine Alternative. Allerdings will ich keine alleinerziehende Mutter sein. Vielleicht gibt es ja wieder einen Mann in meinem Leben, diesmal einen anständigen. Einen, der nicht mit Prostituierten schläft und mich wie ein Stück Dreck behandelt.«

Sie legt ihre Gabel hin und greift nach ihrem Champagnerglas, das der Kellner mehrfach nachgefüllt hat.

»Darauf trinke ich«, sage ich.

Kate lächelt, als wir anstoßen. »Glaubst du ernsthaft, dass ich eine gute Mutter wäre?« Ich höre den Anflug von Besorgnis in ihrer Stimme.

Ich zwinge mich zu nicken. »Klar. Denk doch nur daran, wie sehr Marlow dich liebt.«

Kates Lächeln wird eine Spur breiter. »Marlow und ich haben eine Menge gemeinsam. Wir trinken gern aus der Flasche und mögen es, wenn jemand da ist, der alles für uns tut.«

Ich lache. Es macht mich froh, über meine Kleine zu sprechen. Kurz überlege ich, wie sie und Rob sich wohl schlagen.

»Wie läuft es eigentlich mit Rob?«, unterbricht Kate meine Gedanken und lehnt sich zurück, damit der Kellner die Teller abräumen kann. »Besser?«

Ich warte, bis der Hauptgang und eine Flasche Sauvignon Blanc serviert werden.

»Eigentlich ganz gut«, erwidere ich. Ich habe Kate von den Hochs und Tiefs unserer Ehe in den letzten Jahren erzählt, die Situation aber womöglich positiver dargestellt, als sie es in Wahrheit ist. »Es wird allmählich.«

Ich widme mich meinen Sardinen, die mich aus toten Augen anstarren, aber leckerer schmecken, als sie aussehen.

Kate säbelt einen von Saugnäpfen bedeckten Arm ihres Tintenfischs durch. »Seid ihr wieder im Sattel?«, erkundigt sie sich. »Sexmäßig, meine ich?«

Wie gewohnt, redet sie nicht um den heißen Brei herum. »Ja«, antworte ich. »Also, nicht so oft wie früher …«

»Was soll das heißen? Wie oft macht ihr es? Einmal die Woche? Einmal im Monat?«

»Ein- oder zweimal pro Monat, würde ich sagen.«

Sie mustert mich mit aufgerissenen Augen. »Du meine Güte, ein Wunder, dass dein Jungfernhäutchen nicht wieder zusammengewachsen ist. Wie um alles in der Welt kannst du ohne regelmäßige Orgasmen existieren?«

Ich werde rot und werfe einen flüchtigen Blick über meine Schulter, aber zum Glück scheint uns niemand zuzuhören.

»Ich bin immer so müde«, gestehe ich, als würde das alles erklären. »Mit Marlow und all der Hausarbeit ist Sex so ziemlich das Letzte, wonach mir abends der Sinn steht. Außerdem darfst du gerne mal ausprobieren, wie sich der Sex anfühlt, nachdem deine Vagina mit fünfzehn Stichen genäht werden musste.«

Kate zuckt zusammen. »Nein, danke.«

»Tja, wenn du dir ein Baby wünschst …« Ich lache. »Du solltest lieber wissen, was auf dich zukommen kann. Die ploppen nicht einfach raus wie ein Korken aus der Champagnerflasche.«

»Vielleicht entscheide ich mich ja für einen Kaiserschnitt«, kontert sie und lacht ebenfalls.

»Das ist auch nicht viel besser.«

»Bei der Gelegenheit kann man gleich die Bauchdecke straffen lassen.« Kate grinst. »Alle Promis machen das so. Oder sie engagieren eine Leihmutter und umgehen dadurch diese lästige Zeit, in der man nur immer fetter wird.«

Ich blicke auf meinen Teller, von dem mich eine Sardine aus ihrem Kartoffelbett heraus vorwurfsvoll anstarrt.

»Nicht dass du fett gewesen wärst«, wiegelt Kate eilig ab. »Außerdem war das bloß ein Witz. Ich bin keine dieser Schickimicki-Tanten, die sich zu schade dafür sind, ihr Baby rauszupressen.«

»Vielleicht wirst du aber eine, wenn du nach Richmond ziehst.«

Sie lacht noch lauter und schenkt uns Wein nach, ohne auf den Kellner zu warten. Ich halte die Hand über mein Glas, weil ich bereits jetzt merke, dass ich betrunken werde, aber Kate schlägt sie weg. »Los, komm, heute Abend lassen wir es mal so richtig krachen.«

Widerstrebend ziehe ich die Hand weg, sodass meine Freundin nachschenken kann. »Ich will bloß nicht über der Kloschüssel enden.«

Früher schon hat Kate mehr vertragen als ich, und seit der Schwangerschaft und Stillzeit bin ich den Alkohol nicht mehr gewohnt. Seufzend nippe ich an meinem Glas. »Ehrlich, mir ist einfach nicht danach.«

»Wonach?«, fragt Kate. »Nach Wein? Was ist los mit dir?«

»Nein, ich meinte Sex mit Rob.«

»Wieso nicht? Stehst du nicht mehr auf ihn?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, das ist es nicht.« Rob ist immer noch attraktiv, dank seiner täglichen Fahrradkilometer auch gut in Form, und als Freunde und Partner verstehen wir uns super. Wir lieben uns nach wie vor, und ich weiß, dass er Sex mit mir haben möchte; er versucht mich ja immer wieder zu motivieren. »Aber ich bin einfach nie wirklich in Stimmung dafür«, erkläre ich. »Ich fühle mich nicht attraktiv. Das ist das Problem, glaube ich. Ich will noch nicht mal, dass er mich nackt sieht. Und Rob ist sehr visuell veranlagt, einer, der am liebsten das Licht anlässt.«

Kate grinst. »Aber du hast doch immer noch alles, was du brauchst. Du bist echt eine scharfe Mum. Da drüben an der Bar ist zum Beispiel ein Typ, der dich beim Reinkommen mit Blicken ausgezogen hat.«

Ich schaue zur Bar hinüber, wo jedoch so viele Leute sitzen, dass ich nicht herausfinden kann, wen sie meint. »Danke.« Ich wende mich meiner Freundin wieder zu. »Trotzdem – meistens fühle ich mich wie eine fette, alte, unförmige Kuh.«

»Bist du aber nicht. Sondern eine Wahnsinnsfrau. Wie kommt Rob mit dem Sexmangel klar?«

»Gut«, beteuere ich, obwohl ich ehrlicherweise keine Ahnung habe, ob es stimmt. Mein Mann zeigt sich verständnisvoll, was allerdings logisch ist, schließlich ist er ein netter Kerl.

»Vorsicht«, mahnt Kate. »Sieh dir Toby an. Obwohl wir ein tolles Sexleben hatten, ist er eiskalt fremdgegangen.«

Ich wollte mir gerade einen Bissen in den Mund schieben, halte jedoch mitten in der Bewegung inne. »Was meinst du damit? Rob würde nie eine Affäre anfangen.«

»Weiß ich doch«, erwidert sie beschwichtigend. »Das will ich auch gar nicht behaupten. Ich warne dich nur, dass Männer, die nicht genug Sex bekommen, sich anderweitig umtun, selbst die Netten.« Sie muss das Entsetzen auf meinem Gesicht bemerkt haben, denn sie fügt eilig hinzu: »Aber natürlich nicht Rob. Dass Rob jemals eine Affäre hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er liebt dich heiß und innig. Und Marlow. Entschuldige, das war wohl Projektion.«

Ich lege mein Besteck hin. »Nein, du hast ja recht. Mir kam der Gedanke auch schon«, gestehe ich. »Aber nur, weil er eine Zeitlang so distanziert war. Damals war Marlow erst ein paar Monate alt. Aber wir haben darüber geredet. Er sagte, er fühle sich ausgeschlossen, weil ich stillen würde und die ganze Zeit zu Hause sein könnte, wohingegen er zur Arbeit müsse. Wahrscheinlich ist so was am Anfang bei Männern ziemlich verbreitet – zumindest steht das in den Ratgebern. Aber seither ist alles bestens. Er erklärt mir ständig, dass er mich liebt, schenkt mir Blumen, und wenn wir Sex haben, ist es auch gut … wenn man bedenkt, dass von meinem Beckenboden praktisch nichts mehr übrig ist.«

»In dem Fall«, sie lacht, »vergiss einfach, was ich gesagt habe. Was verstehe ich schon von Ehe und Beziehungen? In dem Punkt bin ich eine Vollkatastrophe. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist.«

Ich nicke und starre auf meinen Teller, als mir unvermittelt die Tränen kommen.

»Du bist doch glücklich, oder?«, hakt Kate nach.

Ich hebe den Kopf und schlucke. Meine Freundin betrachtet mich mit zusammengekniffenen Augen. Kate kennt mich besser als alle anderen Menschen und hat meine aufgesetzte Gelassenheit längst durchschaut.

»Keine Ahnung«, platze ich heraus. Der Wein hat meine Zunge gelöst. Mir ist klar, dass ich lieber den Mund halten sollte, doch die Worte sprudeln nur so aus mir heraus. »Ich sollte doch eigentlich glücklich sein. Ich habe einen wunderbaren Mann, eine wunderbare Tochter und so vieles, wofür ich dankbar sein müsste, aber aus irgendeinem Grund bin ich niedergeschlagen. Schon eine ganze Weile.«

Zu meinem Entsetzen kullern mir die Tränen übers Gesicht. Wieso erzähle ich ihr das? Kates blaue Augen weiten sich verblüfft. Klappernd landet ihr Besteck auf ihrem Teller, als sie über den Tisch hinweg nach meiner Hand greift. »Du meine Güte, wieso hast du denn nie etwas gesagt?«

Ich kämpfe gegen die Tränen an. »Ich kann das nicht erklären. Bis jetzt habe ich es auch niemandem gestanden, sondern tue so, als wäre alles in Ordnung. Ich hoffe einfach, dass es irgendwann von allein besser wird. Aber ich bin so unendlich müde, und der Gedanke, dass ich eigentlich glücklich sein sollte, macht es nur noch schlimmer.«

Kate starrt mich, wie vom Donner gerührt, an. »Ich fasse es nicht, dass du mir nie etwas erzählt hast! Ich wäre doch für dich da gewesen. Weiß Rob Bescheid?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein. Er hat zwar ein paarmal mitbekommen, dass ich geweint habe, versteht es aber nicht. Er vermutet, es liegt an den Hormonen. Vielleicht ist es auch so.«

»Glaubst du, es ist eine postnatale Depression?«

Meine Unterlippe bebt. Es ist das erste Mal, dass mich jemand so rundheraus fragt, abgesehen von der Gesundheitsberaterin in der Sozialstation, die ich aber aus Angst, sie würde mich verachten, angelogen habe. »Kann schon sein.« Es fühlt sich an, als stecke ein dicker Kloß in meiner Kehle fest.

»Warst du beim Arzt?«, erkundigt Kate sich.

Ich schüttle den Kopf. Eigentlich überlege ich schon seit einer Weile, mir einen Termin zu holen, verwerfe die Idee aber jedes Mal wieder. So traurig bin ich auch wieder nicht, nur ein bisschen bedrückt. Und ich will mich nicht mit Medikamenten zudröhnen, sondern aus eigener Kraft wieder auf die Beine kommen. Bestimmt geht dieser Zustand bald vorbei. Rob meint das auch.

»Das ist nichts, wofür man sich zu schämen braucht«, fährt Kate fort, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Und eine anständige Dröhnung hier und da kann durchaus hilfreich sein.«

Ich nicke. Wenn jemand das weiß, dann Kate. Sie schluckt seit Jahren immer wieder Antidepressiva.

»Wieso gehst du das Problem nicht an, sobald wir wieder zu Hause sind? Rede mit jemandem. Such dir Hilfe.« Sie runzelt die Stirn und blickt mich entgeistert an. »Ich wünschte wirklich, du hättest mich eingeweiht.«

Ich nicke. Meine Hand zittert, als ich nach meinem Glas greife und einen großen Schluck Wein trinke. Jetzt, da ich mich Kate anvertraut habe, ist mir, als wäre bereits ein Zentnergewicht von meinen Schultern genommen worden. Sie hat recht: Ich hätte längst den Mund aufmachen sollen. Vermutlich habe ich mich für meine Traurigkeit geschämt, schließlich habe ich so lange Zeit verzweifelt versucht, schwanger zu werden. Und nachdem sich mein Wunsch erfüllt und ich ein gesundes, wunderschönes Baby zur Welt gebracht hatte, erschien mir meine Niedergeschlagenheit kleinlich und undankbar.

»Apropos Dröhnung.« Schwungvoll zieht Kate ein silbernes Pillendöschen aus ihrer Handtasche.

»Was ist das?«, erkundige ich mich mit einem nervösen Blick auf die anderen Tische, weil mir natürlich klar ist, was es enthält. Zumindest kann ich es mir denken.

»Lust auf eine kleine Line?«

»Koks?«, flüstere ich entsetzt.

Kate nickt. »Bringt dich im Handumdrehen auf andere Gedanken.«

»Wie um alles in der Welt hast du das Zeug ins Flugzeug geschmuggelt?«

»Ach, das ist super einfach, wenn man den Dreh raushat.« Sie zwinkert mir verschwörerisch zu. »Du packst es zu den Tampons. Also, wie sieht’s aus? Willst du was?«

Nervös drehe ich mich um. »Was? Hier? Jetzt?«

»Selbstverständlich«, antwortet sie todernst. »Ich ziehe mir mitten im Restaurant am Tisch eine Line rein.« Sie schüttelt den Kopf. »Bestimmt nicht. Auf der Damentoilette. Kommst du mit?«

»Nein, danke.«

Sie kneift die Augen zusammen und schaut mich wieder mit diesem verschlagenen Grinsen an – wie das Teufelchen auf meiner Schulter. »Na los.« Sie schmollt.

Früher hätte ich Ja gesagt und alles genommen, was sie mir anbietet. Ohne eine Pille Ecstasy oder eine Line Koks oder auch beides gingen wir nie auf Tour. Aber diese Zeiten sind lange vorbei. »Ich kann nicht«, entgegne ich, »sonst bin ich komplett außer Rand und Band.«

»Genau.« Kates Augen beginnen zu leuchten. »Amüsieren wir uns. Meine Freundin hat mir von diesem Club erzählt …«

»Club?«, unterbreche ich entsetzt. »Ich dachte, wir wollten bloß abendessen.«

Sie schneidet eine Grimasse. »Lissabon ist berühmt für sein Nachtleben. Ich dachte, wir gehen in die Bar, von der ich gehört habe, und ziehen dann weiter in einen Club …«

Die Verblüffung muss mir ins Gesicht geschrieben sein, denn ihr Lächeln verblasst.

»Oh«, Kate wirkt ein wenig geknickt, »ich dachte, du hättest Lust.«

Ich bin unschlüssig, was ich darauf erwidern soll. Ich will meine Freundin nicht verärgern, aber nach einer Clubnacht steht mir definitiv nicht der Sinn. Ehrlicherweise würde ich mich am liebsten ins Bett legen. Es ist meine erste Nacht ohne Marlow seit neun Monaten – mein erstes Mal in Freiheit seit ihrer Geburt –, und ich kann nur an eines denken: endlich ausschlafen.

»Ich wollte einfach mal alles vergessen und mich so richtig amüsieren«, sagt sie. »Die Monate mit der bevorstehenden Scheidung waren ziemlich schwer.«

Ich nicke mitfühlend. »Ich weiß. Tut mir leid.«

Sie lächelt halbherzig. »Und es hört sich an, als müsstest du auch mal wieder daran erinnert werden, wie es ist, frei und unbeschwert zu sein.«

»Na gut, gehen wir noch in eine Bar«, erwidere ich, das Wort »Club« kommt jedoch nicht über meine Lippen. Einen Club betrete ich heute unter Garantie nicht. Außerdem wären wir ohnehin die Ältesten, wie zwei Mütter in der Schuldisco. Und sich mit über vierzig immer noch wie ein Teenager zu benehmen ist doch ein bisschen erbärmlich, oder nicht?

Grinsend steht Kate auf. »Super«, sagt sie. »Ich verschwinde jetzt kurz auf die Toilette, bin gleich wieder da.«

Ich beobachte, wie meine Freundin sich zwischen den Tischen hindurchschlängelt, und überlege, ob sie in zehn Jahren immer noch die wilde Partymaus oder eher ein Hausmütterchen sein wird wie ich, das lieber mit einem schönen Buch früh ins Bett will. Letzteres scheint mir nur sehr schwer vorstellbar. Viel eher wird Kate, sollte sie ein Baby bekommen, die glamouröseste Mum in der SUV-Schlange vor dem Schultor sein, mit perfektem Make-up und Manolos an den Füßen, während all die anderen Mütter in Jogging- oder Schlafanzughosen und Uggs herumstehen. Bei dem Gedanken muss ich lächeln.

Sobald Kate außer Sichtweite ist, hole ich mein Handy heraus. Rob hat mir eine süße Nachricht geschrieben; die beiden amüsieren sich offenbar prächtig. Er hat sogar ein Foto von sich und Marlow angehängt. Meine Kleine sitzt in ihrem Hochstuhl und ist über und über mit orangefarbener Sauce bekleckert, sodass sie wie ein Oompa Loompa aussieht. Sogar das Haar steht ihr vom Kopf ab, wie bei Rob, wenn er morgens aufwacht. Augenblicklich durchströmt mich tiefe Sehnsucht nach meiner Familie. »Ich vermisse euch«, schreibe ich.

»Wir dich auch«, antwortet Rob mit einem Herz-Emoji.