Theodosia – Buch zur TV-Serie - Maike Stein - E-Book

Theodosia – Buch zur TV-Serie E-Book

Maike Stein

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Beschreibung

Eine mutige Nachwuchs-Archäologin rettet die Welt

Die 14-jährige Theodosia und ihr jüngerer Bruder Henry begleiten ihre Eltern, die beide begeisterte Archäologen sind, nach Ägypten zu einer Ausgrabung im Tal der Könige. Als Theodosia und ihr Bruder in einem Grab ein ägyptisches Amulett finden, entwickelt Theo plötzlich magische Fähigkeiten und kann in Zukunft und Vergangenheit sehen. Ihr eröffnet sich eine Welt voller Geheimnisse, aber auch Gefahren: Schneller als ihr lieb ist, muss Theo gegen dunkle Magie und uralte Mächte kämpfen, die die Welt unterwerfen wollen.

Buch zur 1. Staffel der aufwändig verfilmten Action-TV-Serie mit farbigen Filmfotos.

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Seitenzahl: 367

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© 2022 cbj Kinder und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Straße 28, 81673 München Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten Licensed by ZDF Studios GmbH, Mainz © 2022 Cottonwood Media – ZDF – ZDF Studios GmbH Alle Rechte vorbehalten Geschrieben von Maike Stein, basierend auf der TV-Serie »Theodosia« Basierend auf den Büchern der »Theodosia and the Serpents of Chaos«-Reihe von R.L. LaFevers, in englischer Sprache veröffentlicht von Houghton Mifflin Harcourt Für das Fernsehen bearbeitet von Joe Williams Die Drehbücher wurden geschrieben von Joe Williams, George Poles, Joanne Lau, Claire Miller, Lucy Guy, Davey Jones und Asher Pirie Musik von Alexandre Lessertisseur Regie: Matthias Hoene, Alexander Jacob und Matt Bloom Produzenten: Zoé Carrera Allaix, Cécile Lauritano und David Michel Umschlaggestaltung: Grafik Guter Punkt GmbH unter Verwendung eines Filmfotos © 2022 – Cottonwood Media – ZDF – ZDF Studios – Fotos: Nicolas VELTER / Creation RYSK Fotos im Innenteil: © 2022 – Cottonwood Media – ZDF – ZDF Studios – Fotos: Nicolas VELTER Lektorat: Carola Henke hf · Herstellung: AJ Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-30222-1V001www.cbj-verlag.de

Kapitel 1

Kapitel 1

Kleine Brüder nerven. Das war bei Weitem keine neue Erkenntnis für Theodosia und galt universell, also hier im Tal der Könige, Ägypten, genauso wie daheim in London, Großbritannien. Da waren sie am spannendsten Ort auf der Welt, und was tat Henry? Er kurbelte an seiner angeblichen Erfindung – einer elektrischen Taschenlampe – herum und produzierte nichts weiter als klägliches Geflacker und jede Menge Funken. Die sprangen in eine Tonschale und setzten, was immer darin war, in Brand. Hoffentlich keine Artefakte! Sie schnappte sich einen Krug mit Wasser und leerte ihn über den Flammen.

»Glückwunsch, Henry. Du hast das Feuer entdeckt.« Theo verdrehte die Augen und ging weiter. Henry schnaubte und trottete ihr, Proteste murmelnd, hinterher, aber sie schenkte ihm keine weitere Beachtung. Lieber schlüpfte sie unter die Schatten spendenden Planen, wo ihr Vater einen seiner neuen Funde mit behutsamen Pinselstrichen säuberte. Er winkte sie näher heran.

»Seht ihr diese Hieroglyphen hier?« Er tippte mit dem Pinsel auf die Tonscherbe. »Achtzehnte Dynastie, das ist sicher. Das heißt, der Eingang zu Haremhabs Grab könnte ganz in der Nähe sein.«

Pharao Haremhabs Grab, das wäre ein Fund! Theo blickte von der Tonscherbe zu der vergilbten Karte, die fast den ganzen Tisch bedeckte. »Könnte es hier sein?« Sie deutete auf ein Gebiet ganz am ausgefransten Rand der Karte.

Ihr Vater runzelte die Stirn. »Hmmm, da kann ich keine Hinweise auf ein Pharaonengrab erkennen. Sieht mir eher nach einem Haufen Steine und Kamelknochen aus.«

Theo konnte es nicht erklären, aber sie war fest davon überzeugt, dass sich an diesem Ort etwas finden ließ. »Darf ich es nachprüfen?« Sie drehte sich zu ihrer Mutter. »Ist auch gar nicht weit von hier.«

»Sicher doch, nur zu!« Ihre Mutter lächelte, und Theo wollte sich schon beglückwünschen, doch natürlich hatte ihr Vater Einwände.

»Auf gar keinen Fall kann sie allein gehen! Das ist viel zu gefährlich, Henrietta!«

Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Wirklich, Alistair, sie ist alt genug und kann auf sich aufpassen.«

»Genau«, stimmte Theo sofort zu. »Danke, Mama.« Sie ging im Kopf schon die Liste mit Dingen durch, die sie mitnehmen musste: Laterne, Wasserflasche, Notizbuch, Stifte, Baumwollhandschuhe, ein Kompass schadete sicherlich auch nicht … Da riss ein Räuspern ihres Vaters sie aus ihren Gedanken.

»Aber du nimmst Henry mit!«

»Was?«, empörte sich Theo. Aber weder ihrer noch Henrys Protest halfen. Und so stapften sie wenig später gemeinsam über sandige An- und Abstiege, Theo voraus und Henry nörgelnd hinterher.

»Du hast echt eine verdrehte Vorstellung von Spaß«, grummelte er, als sie wieder eine Anhöhe erreichten.

»Ich hab dich nicht gezwungen mitzukommen.« Theo schloss die Finger um den Riemen ihrer Umhängetasche und kniff die Augen zusammen. War das da unten an dem Felsen eine Zeichnung? Entschlossen stapfte sie den Hügel hinunter, ignorierte Henrys lautes Seufzen.

Sie stoppte erst vor dem in den Felsen gemeißelten Zeichen. »Das ist eine Kartusche!« Sie trat näher an den Felsen und musterte die von einer Linie umschlossenen Hieroglyphen. Kein Zweifel, das war eine Kartusche. Doch die Zeichen waren zu verwittert, um den Namen zu entziffern. Trotzdem konnten sie nur eines bedeuten! Sie fuhr zu Henry herum. »Ist dir klar, was das heißt?«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Dass wir endlich umkehren können?«

»Nein! Irgendwo hier muss ein Königsgrab sein! Vielleicht sogar das von Haremhab.« Theo trat ein paar Schritte zurück und ging an dem Felsen entlang, umrundete einen Vorsprung – und blieb abrupt stehen. Vor ihr gähnte ein Loch in der Felswand. »Der Eingang!« Sie konnte ihr Glück kaum fassen.

Henry stöhnte. »Da sind doch bestimmt nur wieder uralte Scherben drin. Wer interessiert sich schon dafür?«

»Ich.« Theo war so aufgeregt, dass Henrys Gemeckere sie nicht störte. »Du kannst ja hier draußen in der Hitze warten. Ich gehe da rein.« Sie zog ihre Grubenlampe aus der Tasche, aber Henry kurbelte sofort seine elektrische Taschenlampe an.

»Grubenlampen sind doch nur was für Anfänger«, stichelte er und folgte ihr in den Tunnel. Immerhin brachte er das Teil zum Leuchten, das musste sie ihm lassen. Je tiefer sie in den Felsen eindrangen, desto kühler wurde es. Henry hatte natürlich keinerlei Geduld für die Höhlenforschung. »Was für ein fantastisches Königsgrab!«, spottete er und beleuchtete die schmucklosen Felswände. »Für ungeschulte Augen ist das einfach nur eine alte Höhle.«

Wenn er sich nur ein klein wenig mehr für die Ausgrabungen ihrer Eltern interessieren würde, wüsste er es besser, und Theo konnte sich eine Belehrung nicht verkneifen. »Die eigentliche Grabkammer liegt weiter unten. Da muss noch ein tiefer Schacht kommen, der hinun…« Mitten im Wort verlor sie den Boden unter den Füßen und schrie laut auf. Sie stürzte! Fiel durch plötzliche Dunkelheit, griff wild um sich, fand keinen Halt, bis der Felsboden sie unsanft stoppte. Sie konnte gerade noch zur Seite ausweichen, bevor Henry neben ihr landete. Theo setzte sich auf und suchte in ihrer Tasche nach der Grubenlampe. In ihrem Licht zeigte sich eindeutig, wo sie gelandet waren. »Die Grabkammer! Das ging ja schneller als gedacht.« Sie grinste Henry an, der sich einen Ellbogen hielt und sich umblickte. Bis auf den steinernen Sarkophag schien die Kammer leer.

»Da war wohl schon vor uns jemand hier.« Womit Henry vermutlich recht hatte. Viele der alten Grabstätten waren im Laufe der Jahrtausende von Grabräubern ausgeräumt, um ihre Goldschätze erleichtert worden. Der Schein ihrer Grubenlampe fiel auf einen Gegenstand, den die Grabräuber offenbar für wertlos gehalten und zurückgelassen hatten. Es war eine Katzenstatue, die sie aus den ins dunkle Holz geschnitzten Augen anzuzwinkern schien. »Wie schön du bist«, raunte Theo ihr zu. »Henry! Schau dir die an! Die sieht aus wie neu!«

Henry, der sich bereits aufgerappelt hatte und sich über den halb offen stehenden Sarkophag beugte, drehte sich zu ihr um. »Ganz im Gegensatz zu dem alten Haremhab hier.« Henry nickte unbeeindruckt in Richtung der Mumie.

Theo schüttelte den Kopf. Sie hatte längst die Hieroglyphen an der Seitenwand des Sarkophags gelesen. »Das ist kein Königsgrab«, erklärte sie ungeduldig. »Das da ist Amenemhab, Kriegsminister unter Thutmosis dem Dritten.« Sie drückte die Katzenstatue an sich und stand auf. »Wenn du in unserem Geschichtsunterricht aufgepasst hättest, dann wüsstest du auch, dass er auf vielen Feldzügen an der Seite des Pharaos war. Es hieß, sie hätten magische Kräfte.« Nachdenklich sah sie die Katzenstatue an. »Was meinst du, meine Hübsche, hatten sie die?«

»Meine Hübsche?« Henry schüttelte sich. »Die Augen von dem Biest sind doch total gruselig.«

»Achte nicht auf ihn.« Theo strich der Katzenstatue über den Kopf. »Ich bring dich an einen staubfreien Ort, versprochen.« Fürs Erste quartierte sie die Katze in ihrer Tasche ein.

»He, sieh dir das an!« Henry winkte sie aufgeregt näher. »Da ist doch noch ein Schatz drin!«

Theo trat neben ihn an den halb offen stehenden Sarkophag und stellte ihre Grubenlampe auf dem steinernen Rand ab. Im Licht der Lampe glitzerte etwas. Theo beugte sich tiefer über den Sarkophag. Auf der Brust der Mumie lag tatsächlich ein Schatz. »Das ist ein Horusauge.« Sie starrte fasziniert auf das Amulett, so groß wie ihre Hand, geformt wie ein Auge und mit vielen leuchtenden Steinen verziert. »Ein Schutz-Amulett für das Leben nach dem Tod.«

»Das hat ihm ja nicht viel gebracht«, bemerkte Henry trocken.

Aber Theo beachtete seine Worte kaum, denn von dem Horusauge stieg ein grünlich schimmerndes Licht auf und darin schwebten einzelne Hieroglyphen. Sie tanzten umeinander, leuchteten hell auf und vergingen, bevor Theo sie interpretieren konnte. Sie schluckte. »Hast du das gesehen? Diese … diese schwebenden Hieroglyphen?«

»Was?« Henry starrte sie an. »Bist du bei unserem Sturz zu hart mit dem Kopf aufgeschlagen?«

Also hatte er nicht gesehen, was sie gesehen hatte, obwohl sie hätte schwören können, dass er genau wie sie auf das Horusauge geblickt hatte. »Vergiss es«, sagte sie schnell. Vielleicht hatte sie einen Moment geträumt? Trotzdem streifte sie lieber die Baumwollhandschuhe über, froh, dass sie die eingesteckt hatte.

Henry grinste breit. »Jetzt sag bloß, du glaubst wirklich an den Quatsch über Flüche und so.«

»Natürlich nicht.« Theo blinzelte, aber das grüne Licht, die tanzenden Hieroglyphen blieben verschwunden. »Aber ich will das Amulett nicht beschädigen.«

»Na klar.« Henry verschränkte die Arme vor der Brust und überließ es trotz allem Spott ihr, nach dem Amulett zu greifen. Sie schloss eine Hand darum … und mit einem Mal verschwand die Grabkammer um sie herum. Sie blickte in eine weite Wüstenlandschaft. Eine Gestalt kam auf sie zu, gewandet wie eine alte ägyptische Herrscherin.

Theodosia.

Theo keuchte auf. Woher kannte die ihren Namen? Wer war das? Und vor allem: Was ging hier vor? Die Frau kam weiter auf sie zu.

Theodosia.

»Stopp!« Sie fuhr zurück und schloss die Augen.

»Was hast du?«, drang Henrys Stimme zu ihr durch.

Theo blinzelte. Sie stand noch immer in der Grabkammer. Und nur Henry war bei ihr, keine unbekannte Frau aus längst vergangener Zeit. Theo klammerte sich mit ihrer freien Hand an den Rand des Sarkophags. Der kühle, feste Stein beruhigte sie ein wenig. »Das war …« Eindeutig schwer in Worte zu fassen. Ihr Herz pochte, ihre Gedanken wirbelten durcheinander. »Merkwürdig«, sagte sie schließlich, als ihr Herz etwas langsamer schlug. »Ich glaube, ich hatte so eine Art Tagtraum? Das alles hier war weg, und ich hab das alte Ägypten gesehen, also es war eher so, als wäre ich selbst dort – eine Frau kam auf mich zu. Und …«

»Netter Versuch.« Henry schnaubte. »Aber auf deine Witze fall ich nicht mehr rein.«

»Seh ich aus, als würde ich Witze machen?« Sie riss die Augen weit auf, starrte auf die Stelle, wo eben noch die unbekannte Frau gestanden hatte. »Sie wirkte königlich. Vielleicht die Frau eines Pharaos – vielleicht aber auch …«

»Ja, klar. Das nennt sich Gehirnerschütterung, Theo.« Er tippte sich mit einem Finger an die Stirn. »Du bildest dir Dinge ein.«

»Ach ja?« Sie senkte den Blick auf die Mumie. Hatte sich da etwas bewegt? Theo erstarrte vor Schreck. »Bilde ich mir das ebenfalls ein? Oder siehst du auch diese ägyptische Kobra?« Die tödlich giftige Schlange wand sich unter der Mumie hervor, schwenkte zischelnd den Kopf von einer Seite zur anderen.

Henry packte sie am Arm. »Nein, die ist keine Einbildung. Was machen wir jetzt?«

»Ruhig bleiben. Vor allem ruhig bleiben«, sagte Theo leise. »Die hat bestimmt kein Interesse, da raus…« Sie schluckte den Rest ihres Satzes hinunter, denn die Schlange tat genau das: Sie glitt langsam über den Rand des Sarkophags.

Henry grub die Finger schmerzhaft fest in ihren Arm. »Kein Interesse, ja?«

Theo machte einen Schritt nach hinten. »Ruhig bleiben«, wisperte sie, obwohl alle Nerven in ihrem Körper sie anschrien wegzurennen. »Wir lassen die Schlange nicht aus den Augen und gehen langsam rückwärts.« Sie war die Ältere. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Henry beschützen. »Wir dürfen nicht in Panik geraten«, beschwor sie ihren jüngeren Bruder. Und auch sich selbst.

Die Schlange glitt an der Außenwand des Sarkophags hinab auf den Boden. Sie wandte den Kopf in alle Richtungen, ihre Zunge schnellte immer wieder hervor, als wollte sie die Luft schmecken. Langsam senkte sie sich ganz auf den Boden, entschloss sich für eine Richtung. Die falsche. Sie schlängelte sich zischend auf sie zu. Das Licht der Grubenlampe verlosch, ließ sie mit dem Zischen im Dunkeln zurück.

Henry presste sich zitternd an Theo. »Wie wäre es jetzt mit Panik?«

Theo schob sich vor Henry und hielt das Horusauge hoch. Als könnte es die Schlange erschrecken. Oder wenigstens abwehren. Über das Zischen legte sich ein anderes Geräusch, Licht flackerte, verlosch, flackerte wieder auf.

»Ha, geschafft!«, triumphierte Henry, als seine elektrische Lampe die Dunkelheit vertrieb. »Was sagst du jetzt?«

Die Kobra schlängelte sich am Sarkophag entlang und war ihnen schon ein deutliches Stück näher gekommen. Doch sie hielt abrupt inne, hob ihren Kopf leicht an. Theo konnte den Blick nicht abwenden. »Warum beißt sie mich nicht?« Die Schlange verharrte so regungslos wie sie.

Die Schlange sah nicht sie an. Sie blickte direkt auf das Amulett, das Theo ihr immer noch entgegenstreckte. »Das Horusauge«, flüsterte sie und ging zögernd einen Schritt auf die Schlange zu. »Es beschützt uns.«

»Das ist doch Quatsch. Mach das ni…« Aber auch Henry verstummte, als die Schlange sich von ihnen abwandte und auf die Wand hinter dem Sarkophag zuhielt. Mit angehaltenem Atem folgte Theo ihr, das Horusauge weiter auf die Schlange gerichtet. Die kroch auf einen Lichtstrahl am Boden zu, der durch ein kleines Loch in der Wand fiel, gerade groß genug, dass die Schlange hindurchpasste. Ohne einen Blick zurück verschwand sie.

Theo atmete tief durch. Still dankte sie dem Horusauge, denn ganz egal, was Henry meinte, sie wusste, dass das Amulett sie gerettet hatte. Sie steckte es in ihre Tasche. Jetzt mussten sie nur noch einen Weg aus der Grabkammer finden. Und das hereinfallende Licht konnte nur eines bedeuten. »Irgendwo in dieser Wand muss sich ein Ausgang verstecken.« Sie fuhr mit den Händen über die Zeichnungen, tastete Vorsprünge und Erhebungen ab. Da sah sie im Schein von Henrys elektrischer Lampe an der Felswand einen Anubis-Kopf.

»Warte mal, ich glaube, der ist hohl.« Sie steckte eine Hand in den hohlen Schakalkopf des Totengottes und tastete darin herum. Schnell stieß sie an ein Stück Metall. Das fühlte sich wie ein Hebel an! Versuchsweise zog Theo daran. Der Hebel gab nach, ließ sich zur Seite bewegen. Ein Knirschen. Ein Rucken: Die gesamte Felswand schob sich nach oben!

Hand in Hand traten sie nach draußen, atmeten erleichtert die heiße Wüstenluft ein und genossen das Brennen der Sonne.

Als sie endlich wieder im Ausgrabungslager ihrer Eltern eintrafen, wusste selbst Theo nicht mehr, ob sie sich das mit den grün leuchtenden Hieroglyphen eingebildet hatte oder nicht. Nachdem ihr erster Durst gestillt war, zeigte sie ihrer Mutter das Horusauge.

»Was für ein fantastischer Fund«, staunte ihre Mutter.

»Können wir uns das Grab noch mal ansehen, Papa?«

Ihr Vater seufzte. »Ich fürchte, wir haben schlechte Nachrichten.« Wie immer überließ er das Aussprechen der schlechten Nachricht ihrer Mutter.

»Kairo gibt uns keine neue Genehmigung für Ausgrabungen. Hier ist sofort Schluss. Leider.«

Bevor Theo die Worte auch nur halbwegs verdaut hatte, jubelte Henry: »Heißt das, wir fahren heim?«

»Genau das, mein Junge.« Ihr Vater lächelte. »London, wir kommen!«

Theos Stöhnen ging im Jubel ihres Bruders unter.

Kapitel 2

Kapitel 2

Theo las konzentriert in dem Buch Die ägyptische Religion von Adolf Erman, der leider nicht viel von Magie hielt. Trotzdem erhoffte Theo sich zwischen den Zeilen Hinweise auf das, was sie in der Grabkammer mit dem Horusauge erlebt hatte, vielleicht sogar eine Erklärung (jedenfalls eine bessere als eine Gehirnerschütterung). So hob sie den Blick nicht von den Seiten, weder beim Aussteigen aus dem Zug noch den ganzen Weg über am Gleis entlang, durch den Bahnhofsausgang hinaus auf den Vorplatz – und hätte eine Stimme sie nicht aufgeschreckt, wäre sie bis nach Hause zwischen den Zeilen verschwunden geblieben.

»Hier, fang!«

Sie sah den kleinen weißen Ball nur aus dem Augenwinkel auf sich zufliegen, aber erwischte ihn trotzdem lässig mit einer Hand. Dann erst blickte sie von ihrem Buch hoch und in das strahlende Gesicht eines Jungen. »Dieser Ball«, er deutete mit seinen langen dunklen Fingern auf den Ball in ihrer Hand, »ist ein magischer Ball.«

Theo betrachtete den Ball von allen Seiten. »Besonders magisch sieht der nicht aus.« Trotzdem musste sie lächeln. Irgendwie schien es ihr passend, dass sie bei all ihrem Nachdenken und Lesen über Magie hier als Erstes einem Straßenzauberer begegnete.

Der nickte ihr zu. »Das liegt vermutlich nur daran, dass das Zauberwort noch fehlt.«

Theo konnte den Blick nicht von seinen Händen lösen, seinen eleganten Gesten. Etwas an diesem Zauberer hielt sie im Bann. Magie? Sie biss sich auf die Lippe. »Abrakadabra?«

»Schnell, gib mir den Ball zurück, bevor er verschwindet!«

Theo lachte und warf ihm den Ball zu. Er fing ihn auf, warf ihn hoch, schnappte ihn mit einer Hand aus der Luft, schloss sie zur Faust, blies darauf – und als er sie wieder öffnete, war der Ball verschwunden! »Puh, gerade noch rechtzeitig.«

»Wie hast du das gemacht?«

»Wie gesagt«, er hielt inne und zog den Ball unter seiner Achsel hervor, »das ist Magie. Und jetzt – mein Lieblingstrick mit zwei Bällen!« Er präsentierte Ball Nummer zwei, schien ihn aus seiner Armbeuge hervorzuzaubern. »Allerdings ist der nicht so beeindruckend wie der berühmte Trick mit – vier Bällen!« Er hielt beide Hände hoch, je zwei Bälle zwischen den Fingern jeder Hand. »Weißt du, die meisten Menschen behaupten, es sei nur ein Trick …«

»Sie Dieb! Ich warne Sie! Lassen Sie los!«

Das war ihr Vater. Theo fuhr herum. Ihr Vater rangelte mit einem Unbekannten um einen ihrer Koffer. Der sprang auf und verteilte seinen Inhalt über das Straßenpflaster. Sofort beugten sich die beiden Männer über die durcheinandergepurzelten Gegenstände. Das Horusauge! Theo rannte los, gerade als der Dieb danach griff.

»Fassen Sie das nicht an!«, warnte sie. Doch der Dieb schloss bereits eine Hand um das Auge. Das Amulett leuchtete grün, noch intensiver, als Theo sich vom ersten Mal daran erinnerte. Der Dieb stieß einen Schmerzensschrei aus und das Amulett fiel klirrend auf die Steine. Theo bückte sich danach, froh darum, dass sie ihre dünnen Lederhandschuhe trug.

Der Dieb kniete auf der Straße und starrte seine Hand an.

»Lassen Sie mich Ihre Hand sehen!«, verlangte Theo. Doch der Dieb sprang wortlos auf und rannte davon. Kopfschüttelnd blickte ihr Vater dem Flüchtenden nach.

»Der Kerl hat doch tatsächlich versucht, unser Gepäck zu stehlen.«

»Hat er was mitgehen lassen?«, erkundigte Henry sich.

»Nein. Aber nur dank Theo! Sie hat ihn wohl verschreckt.«

Als sie in einer Kutsche vom Bahnhof davonrollten, drehte Theo sich noch einmal um. Der Zauberer starrte gedankenverloren vor sich hin, nahm ihr kleines Winken nicht wahr. Eine bislang unbekannte Art der Enttäuschung stieg in Theo auf.

Doch die wurde bald von der Aufregung vertrieben, wieder zu Hause zu sein. Theo sprang als Erste aus der Kutsche und rannte die Stufen zum Eingang des Hauses hinauf. Museum für Legenden und Antiquitäten stand über der breiten Tür, die, wie immer zu den Öffnungszeiten des Museums, unverschlossen war. Theo schlüpfte hinein und sog den vertrauten Geruch von Holzpolitur und feinem Staub ein, genoss das Geräusch ihrer Schritte auf dem Steinfußboden der weiten Eingangshalle. Sie wanderte zwischen den Säulen hindurch zu der Glasvitrine mit der Maske von Sethos dem Ersten und empfahl ihm, mal zu lächeln. Natürlich kam er ihrer Aufforderung nicht nach. Theo hauchte auf die Glasscheibe und zog mit einem Finger ein Lächeln in die beschlagene Stelle, direkt vor Sethos’ Mund. Na bitte, ging doch.

»Hände weg von den Exponaten«, erscholl sogleich die Stimme von Clive, dem Assistenzkurator des Museums. Theo drehte sich langsam zu ihm um.

»Oh, du bist das«, knurrte er. »Wieso wundert mich das nicht?« Wie gewohnt hielt er sich steif aufrecht und war tadellos gekleidet.

»Hallo, Clive.« Bei seinem Anblick fühlte Theo jedes Körnchen Dreck der langen Reise an sich. »Wieder mal alle Museumsbesucher vergrault?«

Clive öffnete den Mund, zweifellos für eine harsche Zurechtweisung, doch dann verzog er die Lippen zu einem Lächeln, als der Rest ihrer Familie hereinkam. »Mr und Mrs Throckmorton, was für eine schöne Überraschung! Willkommen daheim«, schmetterte er übertrieben fröhlich.

»Danke, Clive.« Ihr Vater reichte ihm seine Reisetasche. »Tut gut, wieder hier zu sein.«

»Hatten Sie eine angenehme Reise, Sir?«, erkundigte sich Clive, immer noch mit diesem angestrengten Lächeln.

»Hervorragend. Hätte nicht besser sein können.« Ihr Vater strebte auf die Treppe zu. »Also, dann wollen wir uns mal frisch machen.« Als er hinzufügte: »Könnten ein paar mehr Besucher hier sein, Clive«, musste Theo sich ein Lachen verbeißen. Schnell folgte sie ihrem Vater nach oben in den ersten Stock, wo es über die Galerie zu weiteren Ausstellungsräumen ging und auf der anderen Seite durch eine Tür zu ihren Privaträumen.

Nach der langen Rückreise, in der sie nie einen Raum für sich gehabt hatte, tat es unendlich gut, die eigene Zimmertür hinter sich zu schließen. Theo atmete tief durch und ließ sich auf ihr Bett fallen. Mit einem zufriedenen Seufzer schloss sie die Augen. Hier, umgeben von all ihren vertrauten Sachen und Gerüchen, befand sie es für gut möglich, dass sie Dinge gesehen hatte, die gar nicht da waren. Gut möglich, dass Magie nichts anderes war als Zauberei, und Zauberei bestand aus nichts weiter als Tricks und Geschicklichkeit. Wie sie der Junge vor dem Bahnhof so beeindruckend vorgeführt hatte. Theo grinste bei der Erinnerung.

Fast verblassten darüber die Erinnerungen an die Geschehnisse in der Grabkammer. Aber nur fast. Sie streckte sich nach ihrer Tasche, die sie vor dem Bett abgestellt hatte, und nahm die Katzenstatue heraus. Das Gesicht wirkte täuschend echt. Und irgendwie vorwurfsvoll. Theo strich über das glatte Holz. »Irgendwann bringe ich dich zurück. Versprochen.« Natürlich änderte sich der Gesichtsausdruck der Katze nicht. Theo schüttelte den Kopf über sich selbst und betrachtete die Statue von allen Seiten. »Ich nenne dich … Re.« Das dunkle Holz der Statue hatte einen so tiefen Glanz, dass ihr der Name des altägyptischen Sonnengottes nur angemessen schien.

Die Augen der Statue leuchteten grün auf. Theo fuhr hoch. »Was …?« Sie starrte in das Katzengesicht. Doch es blieb starr. Hab ich das wirklich gesehen?, fragte sich Theo. Sie schüttelte die Statue, als könnte sie die so zu einer Antwort bringen. Aber natürlich blieb sie stumm. »Zwinker mir noch mal zu, wenn ich nicht verrückt bin«, murmelte sie. Keine Reaktion.

Stattdessen wurde ihre Zimmertür aufgerissen. Theo schreckte zusammen und sprang von ihrem Bett auf. »Henry! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du anklopfen sollst?«

»Anklopfen tut meinen Fingerknöcheln weh.«

Theo verdrehte die Augen und stellte Re auf ihren Schreibtisch. »Unfassbar«, sagte sie in Henrys Richtung und wusste selbst nicht, ob sie damit ihren Bruder oder eine vielleicht zwinkernde Katzenstatue meinte.

»Was wirklich unfassbar ist«, fuhr Henry unbeeindruckt fort, »ist, dass Mama mich nicht allein in die Spielhalle gehen lassen will. Also, was ist, kommst du mit oder kommst du mit?«

»Tut mir leid, ich hab zu tun.« Theo verschränkte die Arme. Sie musste dem Geheimnis dieser Statue auf den Grund gehen.

»Bitte.« Henry blickte sie mit großen Augen an. »Außerdem müssen wir sonst beide beim Auspacken helfen.«

Theo seufzte. Sah ganz so aus, als müsste das Geheimnis der Statue warten. Wenn sie nur die Wahl zwischen Auspacken und Penny Arkade hatte, fiel die Antwort leicht. »Na los, gehen wir.«

In der Spielhalle begrüßte sie der übliche Lärm. Vom Flipperautomaten blickte immer noch die sehr stümperhafte Nachbildung einer Mumie auf die Spielenden hinab, die jedes Mal in höhnisches Gelächter ausbrach, wenn jemand verlor.

Theo sah dem Spieler zu, der sich gerade daran versuchte, aber er gab schon bald auf. Das bekam sie doch bestimmt besser hin! Eilig trat sie an den Automaten, bevor jemand anderes ihn in Beschlag nehmen konnte. Sie steckte eine Münze in den Schlitz und der Automat spuckte drei Metallkugeln für sie aus. Also dann. Theo legte die erste auf das Spielfeld, zog an dem Kolben, der die Kugel auf die leicht schräge Fläche schoss. Kurz danach verschwand die Kugel in einem der zahlreichen Löcher auf der Spielfläche. Theo fluchte. Sie legte die zweite Kugel auf, zog den Kolben zurück, so weit die fest gespannte Metallfeder es zuließ, und gab ihn frei. Ein heftiger Knall – und schon rollte die zweite Kugel los. Sie presste die Lippen aufeinander, als auch Kugel Nummer zwei unverzüglich in eines der Löcher plumpste. Die lachende Mumie hatte ihren Spaß. Na warte, dir werde ich’s zeigen! Theo beugte sich über den Automaten. »Aller guten Dinge sind drei. Komm schon«, murmelte sie vor sich hin.

»Wenn du den Versuch auch vermasselst, verrätst du mir deinen Namen, ja?« Der Zauberer vom Bahnhof stand neben ihr.

»Unbekannte bekommen von mir keine persönlichen Informationen.«

»Unbekannte?«, protestierte er. »Wir kennen uns seit Stunden!«

Theo musste grinsen. Sie schoss die Kugel auf das Spielfeld und griff eilig nach den Hebeln für die Flipper. »Komm schon«, murmelte sie vor sich hin. Aber die Kugel ignorierte ihre Beschwörungen, steuerte wie die zuvor zielstrebig ein Loch an. Theo schloss die Augen. Das grelle Lachen der Mumie ließ sich so allerdings nicht ausblenden.

»Ah, so ein Pech …«

Theo blinzelte. Der Zauberer vom Bahnhof stand immer noch neben ihr.

»… aber was ist das?« Der Junge gestikulierte mit einer Hand, während er die andere zur Faust geschlossen hielt. »Sieh genau hin.« Er klopfte mit einem Fingerknöchel auf die Faust und öffnete sie mit großer Geste. Auf seiner Handfläche ruhte eine Metallkugel.

Theo riss die Augen auf. »Wie hast du das gemacht?«

»Ein Zauberer verrät nie seine Tricks.« Er reichte ihr die Kugel.

In dem Moment betrat ein Mann die Spielhalle. Kein Zweifel, das war der Dieb vom Bahnhof! Schon hatte er sie ebenfalls entdeckt und machte kehrt. Theo hatte nur einen Gedanken im Kopf: hinterher!

»Tut mir leid, ich muss weg!«, rief sie dem Zauberer zu, während sie schon losrannte. Sie schnappte sich Henry, zog ihn mitten im Spiel von seinem Automaten weg. »Ich hab den Dieb vom Bahnhof gesehen. Los! Wir müssen hinter ihm her!«

Henry stöhnte, rannte aber mit ihr hinaus auf die Straße. Sie blickte sich im Getümmel von Fußgängern, Kutschen und Pferden um. Doch wohin sie auch spähte, Theo konnte den Dieb nicht entdecken.

»Und dafür hast du mich von meinem Spiel gezerrt? Ich hatte gerade einen Lauf«, beschwerte sich Henry. »Außerdem macht das keinen Sinn. Wieso sollte der Dieb vom Bahnhof ausgerechnet hier auftauchen?«

»Er war es aber. Ganz sicher.« Theo blickte weiter hektisch um sich, wollte nicht aufgeben.

»Ach ja? So sicher, wie du in der Grabkammer eine Ägypterin aus längst vergangenen Zeiten gesehen hast?«

Nein, viel sicherer, dachte Theo.

Den ganzen restlichen Tag verfolgten Theo Gedanken an Magie und Flüche, an den Dieb, der ihnen ein zweites Mal entkommen war. Hatte er ihre Familie nur zufällig ausgewählt, heute Morgen am Bahnhof, oder hatte er von dem Horusauge gewusst? Aber woher? Und sie hatte ihn wirklich in der Spielhalle gesehen! Je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer war sie. Konnte das alles Zufall sein?

Theo setzte sich an ihren Schreibtisch, zündete eine Kerze an und nahm ihr Tagebuch aus der verschlossenen Schublade (Kleiner-Bruder-Schutz). Sie blätterte durch die Seiten, die sie während ihrer Zeit in Ägypten geschrieben hatte. Einiges fehlte noch – insbesondere ihr Ausflug in die Grabkammer. Theo zog neue Tinte in ihren Füllfederhalter auf, setzte Re neben die Kerze und begann im Kerzenlicht zu schreiben und zu zeichnen. Schließlich legte sie den Federhalter zur Seite und zeigte der Katze ihre letzte Zeichnung. »Was meinst du, Re? Ist das gut so?«

Natürlich antwortete die Statue nicht. Theo klappte ihr Tagebuch zu. Flüche, Magie, Visionen – alles nur Legenden, Tricks, Einbildungen. Sie strich Re über den Rücken. Die Statue leuchtete grün auf. Theo riss ihre Hand zurück und starrte. Vor ihr auf dem Schreibtisch hockte eine echte Katze. Eine echte Katze, die sie ansah und – schnurrte. Vorsichtig streckte Theo eine Hand aus. Sie strich über echtes Fell. Und die Katze schmiegte den Kopf in ihre Hand. Dann stieß sie ein raues Miauen aus und sprang auf den Boden, rannte zur Tür. Die Theo nur angelehnt hatte.

»Re!« Theo schnappte sich die Kerze und eilte hinter der Katze her. »Re! Warte!« Doch die Katze war schon zur Tür hinaus. Theo setzte ihr nach. Passierte das wirklich? Oder lag sie eigentlich im Bett und schlief und all das war ein wirklich merkwürdiger Traum? Ein Traum, der sich sehr lebendig anfühlte. Vor ihr huschte Re in die Ausstellungsräume. Theo folgte ihr, wünschte sich, sie hätte die Nachtsicht einer Katze und müsste sich nicht auf das begrenzte Licht einer Kerzenflamme verlassen. Re war jedenfalls längst aus der Reichweite ihres Lichtkreises verschwunden. Ein lautes Rumpeln ließ sie zusammenzucken. Wo kam das her? Was stellte Re an? Theo folgte den Geräuschen, die klangen, als würde die Katze das Arbeitszimmer ihres Vaters verwüsten. Sie stürmte hinein. Doch wer da wahllos Papiere, Bücher, Artefakte und alles, was ihm sonst noch in die Finger kam, vom Schreibtisch warf, war keine Katze. Es war der Bahnhofsdieb.

»Sie schon wieder!«

Der Dieb blickte auf. »Wo ist es?«, herrschte er sie an. »Wo ist das Horusauge?«

Oh nein, ihr Vater hatte es in eine Schublade des Schreibtisches gelegt, als sie ihm Gute Nacht gesagt hatte … Aber das würde sie dem Mann bestimmt nicht verraten. Theo schnaubte, ihre Empörung vertrieb ihre Angst. Der Dieb fegte ein paar Papiere von der Schreibtischplatte. Seine Hand war mit einem Verband umwickelt und – Theo schluckte – und sie schimmerte grün. In dem Schimmern tanzten Hieroglyphen um den Verband und halb davon verborgen zeigte sich die Tätowierung einer Schlange auf der Unterseite seines Arms. In dem grünen Licht wirkte sie lebendig. Theo erschauerte. »Was – was ist mit Ihrer Hand?«

Der Dieb beachtete ihre Worte nicht. »Ich muss das Auge haben!«, schrie er sie an. »Gib es mir!«

»Niemals! Raus hier!«

Doch der Dieb riss eine Schublade nach der anderen auf, durchwühlte sie. Er entdeckte eine Schachtel, öffnete sie und stieß einen Triumphschrei aus. Er hob das Amulett mit beiden Händen in die Höhe. »Das Horusauge wird uns den Weg zeigen.« Er fixierte es, während er langsam hinter dem Schreibtisch hervorkam. Das Amulett überzog sein Gesicht mit einem grünen Schein, leuchtete immer stärker, sprühte grüne Funken. Der Dieb schrie auf, als das grüne Leuchten mehr und mehr von seinem Körper umschloss. Das Amulett jedoch hielt er fest umklammert.

Die Magie war eindeutig kein Traum! Theo schnappte sich die Baumwollhandschuhe, die ihr Vater auf dem Schreibtisch zurückgelassen hatte, und streifte sie eilig über. »Lassen Sie das Amulett los!«, schrie sie.

»Ich kann nicht«, jammerte der Dieb und wand sich vor Schmerzen.

Theo stürzte sich auf ihn und packte das Amulett mit einer Hand. Sie zog und zerrte daran, bis sie es endlich an sich reißen konnte. Der Dieb stürzte zu Boden, stöhnte – das grüne Leuchten verlosch. Theo blickte auf das Amulett, das so harmlos in ihren Händen ruhte. Welches Geheimnis verbirgst du?, fragte sie stumm. Ihr Herz pochte so heftig, dass es in ihren Ohren rauschte. Wie aus weiter Entfernung hörte sie das Keuchen des Diebes. Er sprang auf und rannte zu dem offen stehenden Fenster. Mit einem Satz war er hindurch und fort, bevor Theo auch nur die Hand nach ihm ausstrecken konnte.

Ein helles Leuchten ließ sie den Blick wieder auf das Amulett senken. Kein Grün dieses Mal, ein Strahlen hell wie Sonnenschein. Ich sehe dich, Theodosia, erklang die Stimme, die sie auch in der Grabkammer gehört hatte. Theo schrie auf und ließ das Amulett fallen. Sie wich zurück und stieß gegen den Schreibtisch. Das Strahlen erlosch.

Sie rang um Atem, versuchte sich zu beruhigen, da stürmten ihre Eltern ins Zimmer.

»Was zur Hölle ist hier los?«, rief ihr Vater.

»Wir haben Schreie gehört.« Ihre Mutter musterte sie besorgt.

»Ein Einbrecher«, stotterte Theo. »Hier war ein Einbrecher. Er wollte das Amulett stehlen.«

»Gute Güte!« Ihr Vater rannte zum Fenster, aber natürlich war der Dieb längst fort. Ihre Mutter legte ihr einen Arm um die Schultern.

»Alles in Ordnung mit dir, Schatz?«

Theo nickte, obwohl sie nicht sicher war. Immerhin hatte sie keine Verletzungen. Sie atmete gerade zum ersten Mal wirklich durch, da bückte sich ihr Vater nach dem Amulett. »Warte! Du darfst das nicht anfassen!« Doch ihr Vater hatte es schon berührt. Schnell nahm Theo es in ihre behandschuhten Hände. »Alles in Ordnung?«, fragte sie ängstlich und starrte auf den schmalen grünen Streifen, der über den Zeigefinger ihres Vaters wanderte und unter seiner Haut verblasste.

»Mir geht’s gut.« Ihr Vater umschloss ihre Hände. »Ich mach mir nur Sorgen um dich.«

Und ich mir um dich, dachte Theo. Was hatte das Amulett ihrem Vater angetan?

Kapitel 3

Kapitel 3

Irgendwann musste Theo über ihren kreiselnden Gedanken eingeschlafen sein, denn jetzt fuhr sie aus tiefstem Schlaf hoch, geweckt von einem Höllenlärm. Sie hielt sich die Ohren zu. Aber das half nicht. Der Lärm zerrte an ihren Nerven. So sehr, dass sie aus dem Bett sprang und nach der Quelle suchte.

Henry. Natürlich. Er stand strahlend vor dem Ding, das den Höllenlärm von sich gab, als hätte er damit die bedeutendste Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts gemacht. Theo schnaubte. »Was soll dieses Monstrum sein?«, schrie sie gegen den Lärm an.

»Das ist ein Einbrecher-Alarm!« Henry grinste. »So kann niemand mehr das Amulett stehlen.«

»Henry Throckmorton!« Ihr Vater, gefolgt von ihrer Mutter, stürmte auf die Galerie. »Stell sofort diesen infernalischen Lärm ab!«

Henry verdrehte die Augen bei der Kritik an seiner Höllenmaschine, aber er kam der Aufforderung ihres Vaters nach.

»Und was habe ich über den Einbruch gesagt?«

»Kein Wort über den Einbruch«, murmelte Henry. »Weil heute wichtiger Besuch kommt.«

Ihre Mutter strich ihm über den Kopf. »Ich finde ja, wir sollten allen davon erzählen, wie mutig Theo den Einbrecher verjagt hat.« Sie wandte sich zu ihr um. »Hast du nach all der Aufregung gut geschlafen, Schatz?«

»Ja, schon, danke. Aber – kann ich deine Hand sehen, Papa?«

»Da ist nichts, Theo.« Ihr Vater kratzte sich an der Hand, mit der er das Amulett berührt hatte. Die Haut wirkte gerötet und schuppig. »Nur ein harmloser Ausschlag.« Wie konnte er so gelassen bleiben? Theo holte schon tief Atem, da fragte ihre Mutter: »Wer möchte eine ägyptische Prinzessin kennenlernen?«

»Eher ringe ich mit einem Grizzlybären«, murrte Henry. Ausnahmsweise musste Theo ihm zustimmen.

Ihr Vater runzelte die Stirn. »Anwesenheit ist Pflicht«, verkündete er. »Wir müssen ihren Onkel, Rami Alaoui, beeindrucken.« Sein Stirnrunzeln vertiefte sich, als Henry stöhnte und Theo seufzte.

»Rami hat sehr viele Kontakte«, erklärte ihre Mutter, »und ist sehr einflussreich. Er könnte uns bei einer neuen Grabungslizenz helfen.«

Theo konnte sich nicht länger zurückhalten. »Papa, ich glaube, auf dem Horusauge liegt ein Fluch. Und jetzt hat er dich getroffen.« Sie deutete auf seine gerötete Hand. »Bitte, das ist mein …«

»Theodosia! Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt für Scherze«, rügte ihr Vater sie. »Hier geht es um unsere Arbeit und um die Zukunft des Museums. Nimm das bitte ernst. Zieh dein bestes Kleid an und dann komm wieder runter und begrüße mit uns unsere Gäste.«

So streng war ihr Vater selten. Also presste Theo die Lippen aufeinander und hielt alle Worte zurück, die aus ihrem Mund wollten.

»Und du«, ihr Vater wandte sich zu Henry, »du entfernst umgehend diese Monstrosität aus unseren Ausstellungsräumen!«

Damit machten sich ihre Eltern auf den Weg die Treppe hinunter. Theo presste noch immer die Lippen zusammen und stapfte in ihr Zimmer.

Überall lagen Bücher. Doch in denen fand sie bestimmt kein Gegenmittel, die Autoren glaubten ja nicht einmal an Magie.

Was tun, wenn man mit Büchern nicht weiterkam? Theo hielt den Atem an. Natürlich! Man ging zur Quelle! Warum war sie da nicht gleich draufgekommen.

Ägyptische Prinzessin und Grabungslizenzen längst vergessen, rannte sie ins Arbeitszimmer. Mit Handschuhen und allergrößter Vorsicht legte sie das Horusauge auf die Schreibtischplatte. Wie zuvor begann es unter ihrem Blick grün zu schimmern – und in dem Grün schwebten einzelne Hieroglyphen. Theo griff nach Papier und Stift und machte sich daran, sie abzuzeichnen.

Bald hatte sie eine Reihe von Zeichen vor sich und beugte sich konzentriert darüber. »Sieht aus wie eine Warnung«, murmelte sie vor sich hin. Aber wovor? Sie fuhr mit dem Finger die Reihe der Hieroglyphen entlang. Eine davon zeigte eine Schlange, die sie an die Tätowierung auf dem Unterarm des Einbrechers erinnerte. Theo runzelte die Stirn. War das Zeichen davor das für Horus? »Und berührst du sein Auge, verwandelt Horus dich in eine … eine Schlange?« Sie starrte auf das Papier. Ein Verwandlungsfluch? Das klang selbst in ihren Ohren zu abwegig. Es musste eine andere Deutung der Hieroglyphen geben. Vielleicht ergaben sie in einer anderen Reihenfolge mehr Sinn?

Gerade als sie den Stift wieder ansetzen wollte, stupste sie jemand weich am Ellbogen – und maunzte. Theo schrak hoch und lächelte gleich darauf. »Re, meine Schöne!« Sie kraulte Re zwischen den Ohren und die Katze schnurrte. Doch gleich darauf protestierte sie murrend, weil Theo plötzlich aufhörte.

Das war es! »Du!« Theo blickte in die glitzernden Katzenaugen. »Du bist wieder da! Mein Beweis, dass Magie wirklich existiert!«

Safiya starrte aus dem Fenster der Kutsche. So viele Orte, die sie lieber besuchen würde als das Museum für Legenden und Antiquitäten, zu dem ihr Onkel sie zwang. Onkel Rami saß entspannt neben ihr und enthielt sich immerhin weiterer Anweisungen zu ihrem Benehmen im Museum. Es wird dir gefallen, Safiya, hatte er gesagt, eine lebendige Geschichtsstunde. Safiya verzog die Lippen. Erstens war das ein Widerspruch in sich: lebendig und Museum. Zweitens: Es war einfach falsch, dass Grabräuber ihr Diebesgut ausstellten und Onkel Rami ihr den Mund verbot, wenn sie sagte, ägyptische Kunstschätze gehörten nach Ägypten, nicht nach Großbritannien. Zu schade, dass die Sache mit den Flüchen nur ausgedacht war und heutzutage als Abschreckung nicht mehr wirkte.

Ihre Kutsche bog in die Auffahrt des Museums ein und kam zum Stehen. »Benimm dich deiner Stellung angemessen, bitte«, sagte Onkel Rami. Er versuchte es mit einem strengen Gesichtsausdruck. »Sonst sehe ich mich gezwungen, dir jeden weiteren Ausflug für diese Woche zu verbieten.« Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, wurde die Tür von außen geöffnet. Safiya seufzte. Also dann. Sie konnte das. Sie würde das hinbekommen.

In der hohen Eingangshalle standen die Throckmortons genauso aufgereiht wie die vielen Marmorstatuen. Nur hielten sie nicht so still wie diese. Der Junge verbeugte sich ebenso hastig wie ungelenk, bei seinen Eltern sah es etwas eleganter aus. Falsch fühlte es sich bei allen an.

»Willkommen im Museum für Legenden und Antiquitäten«, begrüßte sie Mrs Throckmorton. »Ähm, ja, Antiquitäten, die …« Was Mr Throckmorton noch sagte, wurde von einem Mädchen übertönt, das die breite Treppe hinunterstürmte.

»Papa! Papa, du musst mit nach oben kommen, das musst du sehen! Sofort!« Sie zog ungeduldig an seinem Arm. Mr Throckmorton bedeckte ihre Hand mit seiner.

»Unsere Tochter. Theodosia. Sie hat die schlechte Angewohnheit, sich zu verspäten.«

Jetzt erst schien das Mädchen – Theodosia, was für ein Name! – sie beide zu bemerken. »Oh. Guten Tag. Hallo.« Ein schnelles Lächeln, dann wandte sie sich wieder an ihren Vater: »Das werden alle sehen wollen, glaub mir!«

»Theo«, rügte Mrs Throckmorton, »begrüß die Prinzessin mit einem Knicks, wie es sich gehört.«

Safiya unterdrückte einen Seufzer. Sie hasste diese Förmlichkeiten.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, protestierte Theo.

Safiya zuckte mit den Schultern. »Deine Entscheidung«, sagte sie schnell, bevor einer der Erwachsenen darauf bestehen konnte. »Aber es ist wirklich unnötig. Mein Vater ist nur der Dritte in der Thronfolge.« Doch es nutzte nichts.

Mrs Throckmorton stupste ihre Tochter an. »Theo, so behandeln wir unsere Gäste nicht.«

»Schon gut.« Theo knickste. In der folgenden Stille zupfte sie ihren Vater am Ärmel, deutete mit dem Kinn zur Treppe.

»Jetzt bin ich neugierig«, mischte Onkel Rami sich ein. »Was sollen wir uns denn alle so unbedingt ansehen?«

Theo lächelte triumphierend. »Folgen Sie mir!« Schon stürmte sie die Treppe hinauf. Die Erwachsenen folgten langsamer, während der Junge noch eine Verbeugung andeutete.

»Nach Ihnen, Eure Hoheit«, deklamierte er, und Safiya verdrehte die Augen. Oben holten sie die anderen wieder ein, gerade als Theo eine Tür aufstieß und sie alle hineinwinkte.

»Henry und ich haben im Grab von Amenenhab eine Katzenstatue gefunden«, sprudelte Theo hervor. »Und als wir wieder hier waren, ist die Statue lebendig …« Sie starrte auf den Schreibtisch. Auf dem stand eine Katzenstatue. Eine ganz und gar unlebendige Katzenstatue. Theo stürzte darauf zu. »Nein! Warum tust du mir das an?« Sie packte die Statue und schüttelte sie. »Bitte, komm schon.« Die Statue ließ sich weder von dem Geschüttel beeindrucken noch von einem Kraulen zwischen den Ohren.

Woher auch? Es war eine Statue. Safiya verschränkte die Arme.

»Irgendwie vermisse ich das katzentypische Fell«, durchbrach Onkel Rami schließlich die angespannte Stille. Theos Eltern lachten. Es klang gezwungen. Theo wirbelte zu den beiden herum.

»Bitte! Ihr müsst mir glauben. Hier geschehen magische Dinge.« Sie griff nach der Hand ihres Vaters. »Der Einbrecher hat das Auge auch berührt und er hat denselben Ausschlag bekommen wie du.«

Mr Throckmorton tätschelte den Kopf seiner Tochter und entzog ihr seine Hand. Safiya konnte darauf tatsächlich einen rötlichen Ausschlag entdecken, bevor er die Hand hinter seinem Rücken verbarg.

»Hier wurde eingebrochen?«, hakte Onkel Rami nach.

»Es wurde nichts gestohlen«, versicherte Mr Throckmorton hastig.

»Wen interessiert das?«, fuhr Theo auf. »Papa wurde von einem Fluch getroffen, und wir müssen das Gegenmittel finden, bevor …«

»Echt jetzt? Ein Fluch?« Safiya konnte sich das keine Sekunde länger anhören. »Ist das dein Ernst? Glaubst du, du darfst dich über uns lustig machen, weil wir aus Ägypten sind?«

»Nein, nein, natürlich nicht. Ich …« Theo blickte sich Hilfe suchend um. Mr Throckmorton hielt sich die Ohren zu und murmelte etwas davon, dass ihm alles zu laut war. »Papa! Deine Hand!«

Die war gerötet und sah mit dem Ausschlag nicht gerade hübsch aus, das musste Safiya zugeben. Aber den Aufstand, den Theo hier machte, rechtfertigte das noch lange nicht. Immerhin schien das auch Mrs Throckmorton so zu sehen, denn sie legte einen Arm um Theos Schultern und drängte ihre Tochter entschlossen Richtung Tür. »Ich denke, die Sache mit dem Einbruch hat dich etwas überanstrengt. Komm, besser, du legst dich hin.«

»Mama, mir geht es gut … wir müssen uns um Papa kümmern, er hat …« Was immer Theo noch sagte, wurde vom Zuziehen der Tür geschluckt. Eine Weile standen sie alle schweigend da, und Safiya hoffte schon, dass Onkel Rami genug hatte von dieser absurden Familie. Doch da räusperte sich Mr Throckmorton und schlug vor, die Ausstellung zu besichtigen. Und Onkel Rami nahm lächelnd an.

Also setzte auch Safiya ein Lächeln auf, stellte die Ohren auf Durchzug – glaubten diese Briten wirklich, ihr etwas über ägyptische Geschichte erzählen zu können? – und trottete brav von Vitrine zu Vitrine. Erst spürte sie nur einen leichten Druck in ihrem Brustkorb. Doch mit jedem Gegenstand, den sie sah, wuchs der Druck. Keines dieser Artefakte gehörte hierher. Museum für Legenden und Diebesgut, so sollte dieses Haus heißen.

Safiya bekam kaum noch Luft. Sie musste raus, sonst würde sie platzen. Sie sah sich nach der Treppe um und rannte los. Erst in der großen Halle blieb sie wieder stehen. Die Bewegung hatte den Druck in ihrer Brust gemildert und sie konnte immerhin wieder atmen. Gerade wollte sie tief Luft holen, da brach ein unglaublicher Lärm los – ein Rasseln und Scheppern und Rattern und Krachen. Safiya hielt sich die Ohren zu.

Plötzlich stand Henry neben ihr. Er deutete mit einem breiten Grinsen auf ein Gebilde in der Ecke neben der Tür, halb verborgen hinter einer großen Pflanze. »Es funktioniert!«, schrie er gegen den Lärm an. Er strahlte. »Lust, einen Dieb zu fangen?«

Alles war besser, als weiter diesem Lärm ausgesetzt zu sein. Safiya folgte Henry, der nach draußen rannte, um das Haus herum, eine weitere Treppe unter einem Durchgang hinab in einen Hof.

»Oh, du bist das.« Henry klang enttäuscht. Safiya rannte die letzten Stufen hinunter und sah, warum. In den kreuz und quer gespannten Stricken hatte sich kein Dieb verfangen, sondern Theo.

»Kannst du mir bitte hier raushelfen?« Sie funkelte ihren Bruder an. »Du und deine blöden Erfindungen«, stöhnte sie und zappelte ungeduldig. »Beeil dich!«