This isn't happiness - Mary Newnham - E-Book

This isn't happiness E-Book

Mary Newnham

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Beschreibung

Amy und Josh sind seit zehn Jahren ein Paar, man hat sich gut eingerichtet, alles läuft prima. So prima, dass die eigentlich geplante Hochzeit immer wieder verschoben wird, und das schon seit Jahren. Als Josh‘ Eltern der Geduldsfaden reißt und sie kurzerhand einen Trautermin festlegen, kann Amy eine unangenehme Wahrheit nicht länger verdrängen: Ihr Liebesleben ist komplett erlahmt. Es knistert nicht mehr, Josh kuschelt lieber mit seinem Seitenschläferkissen als mit ihr, und sie selbst findet Astronomie-Podcasts mittlerweile überraschend sinnlich. Wie konnte das passieren? In ihrem Bestreben, der Beziehung neuen Schwung zu verleihen, greift sie zu immer extremeren Maßnahmen ...

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Seitenzahl: 425

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Inhalt

Über das Buch

Titel

Skogsfräken

Opa

Hochzeit von Amy und Josh

Mandarine

Petey und die Brains

Riesenbaby

Zwerg

Dim Sum

Twerk

Brendan Dassey

Hochzeit von Amy und Josh

Lace

Pinker Latexanzug

The Owl and the Pussycat

Größer

Sextipp 1: Keine Handys im Schlafzimmer

Aubergine, Pfirsich, Wassertropfen

Sextipp 2: Gib ihm das Gefühl, der Größte zu sein

Scones in Reading

Hochzeit von Amy und Josh

Sextipp 3: In Dessous investieren

Ausgestopfte Eule

Pochierte Brust

Natalie

The Gherkin

Möhre

Fachschaftsleitung

Fische

Pelzmantel

Sterne

Embryonalstellung

Die Kiste

Geburtstagskind

Batman

Taylor Swift

Hochzeit von Amy und Josh

Wollmützenmann

Versammlung

Only Fans

Hummer

Bessy’s

LB29

Petunia

Hochzeit von Amy und Josh

Tosh

Bunsenbrenner

Tampons

Sofa

Debbie Harry

Big Purple Pleasure

Wonderwall

Fünf

Pegging

Benommen

HWSS Suzanna

Hobnobs

Quasi viral

Von Frau zu Frau

Labor

We Can Do It!

Nash

Komet

September

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Cover

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Inhaltsbeginn

Impressum

über das buch

Amy und Josh sind seit zehn Jahren ein Paar, man hat sich gut eingerichtet, alles läuft prima. So prima, dass die eigentlich geplante Hochzeit immer wieder verschoben wird, und das schon seit Jahren. Als Josh’ Eltern der Geduldsfaden reißt und sie kurzerhand einen Trautermin festlegen, kann Amy eine unangenehme Wahrheit nicht länger verdrängen: Ihr Liebesleben ist komplett erlahmt. Es knistert nicht mehr, Josh kuschelt lieber mit seinem Seitenschläferkissen als mit ihr, und sie selbst findet Astronomie-Podcasts mittlerweile überraschend sinnlich. Wie konnte das passieren? In ihrem Bestreben, der Beziehung neuen Schwung zu verleihen, greift sie zu immer extremeren Maßnahmen ...

mary newnham

this isn’t happiness

Aus dem Englischen von Johanna Czerny

skogsfräken

135 nächte

Joshs Rücken ist eine haarlose weiße Wand mit sieben Muttermalen – vier auf der linken Schulter und drei entlang seiner Wirbelsäule. Wenn man sie lange genug anstarrt, kann man darin den Großen Wagen oder ein klotzköpfiges Spermium erkennen. Er schmiegt sich fest an seinen schwedischen Lover, Skogsfräken. Als wir das pflegeleichte Ikeakissen letzten Sommer gekauft haben, hätte ich nicht gedacht, dass es zu einem Konkurrenten werden würde, aber an Morgen wie diesem packt mich die Eifersucht auf den maschinenwaschbaren Skandinavier.

Es war nicht immer so. Als abgeranzte Studis sind wir aufgewacht, haben uns unter der dünnen Decke gesucht, und ich bin ihm so nahegekommen, dass seine Haut vor meinen Augen verschwommen ist. Aber es ist wohl normal, dass mein Körper nach zehn Jahren seinen anfänglichen Reiz verloren hat.

Joshs Wecker klingelt, es ist also Punkt sechs. Es gibt kein Geräusch auf dieser Erde, das ich mehr hasse, als den Weckton »Radar« von Apple. Josh windet und streckt sich und dreht sich um.

»Wie geht’s deinem Kopf, Laborratte?«, fragt er, sein Lächeln zu breit für die frühe Uhrzeit.

»Wieso hast du mich nicht aufgehalten?« Meine Stimme klingt wie Radiorauschen. Es sollte eigentlich ein ruhiges, heimeliges Silvester mit Pete und Nina in Clapham Junction werden, aber billiger Prosecco und andere Mächte (Sambuca) haben dem einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich kann mich vage daran erinnern, dass Nina und ich Aretha Franklins »Respect« in leere Weinflaschen hineingesungen haben, und Pete Josh mitten im Northcote Records zu einem Liegestützwettbewerb herausgefordert hat. Der Rest ist etwas verschwommen.

Josh springt aus dem Bett, schnappt sich ein Paar Boxershorts von dem zusammengelegten Haufen auf der Kommode und riecht einmal lang und kräftig daran.

»Die sind sauber«, stöhne ich.

»Saubere Unterwäsche, was für ein schöner Start ins neue Jahr.« Er zieht sie nach oben, schlüpft dann in seine Sporthose und schnürt sie um seine gertenschlanken Hüften fest.

»Willst du wirklich an Neujahr ins Fitnessstudio gehen?«, frage ich angewidert.

»Heute ist Brusttag«, antwortet er gekränkt. »Muskeln scheren sich nicht um den Kalender, Amy.« Ich verdrehe die Augen. Erst kam der Joe-Rogan-Podcast, dann die wöchentlichen Fitnessstudiobesuche und jetzt lebe ich mit einem Mann zusammen, der offenbar für den Krieg trainiert. So viele Motivationssprüche habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Zu jeder Gelegenheit lässt er einen fallen, auch wenn man nicht danach gefragt hat (und es fragt nie jemand danach). Eine weitere Umstellung, die mit dem neuen Lifestyle einhergeht, ist, dass die Wochentage jetzt nach Körperteilen benannt sind. Heute ist Montag, also Brusttag. Morgen ist Rückentag, Mittwoch Beintag und so weiter. Ich habe nie eingewilligt, dass sich diese Fitnessroutine derart in mein Hirn einbrennt und dort Raum einnimmt, aber was will man machen?

Josh fängt an, in der Mitte unseres Schlafzimmers Ausfallschritte zu machen.

»Mum wird uns heute um einen Gefallen bitten«, sagt er.

»Wenn es wieder darum geht, uns um Gary zu kümmern, können wir dann bitte, bitte, bitte Nein sagen?«, bettele ich.

»Was hast du gegen Gary?«, fragt er und wirft mir einen finsteren Blick zu.

»Hast du es schon vergessen? Er hat alles angebellt. Ständig.«

»Gary ist toll.« Er wirkt empört.

Ich verkneife mir eine weitere Bemerkung. Den ersten Morgen des neuen Jahres möchte ich nicht damit verbringen, Gründe aufzulisten, weshalb Gary, der zerzauste, wirre Springerspaniel, nicht toll ist. »Du glaubst also, darum geht es bei dem Gefallen? Ums Hundesitten?«

Er zuckt mitten im Ausfallschritt mit den Achseln und wirft mir jenes Lächeln mit den Grübchen zu, das ihn bisher durchs Leben gebracht hat. Josh sieht im klassischen Sinne gut aus: er hat dichtes dunkles Haar, wasserblaue Augen und einen markanten Bart (mit der Meinung mache ich mich vielleicht unbeliebt, aber ich bevorzuge ihn glatt rasiert). Seine einzige Unsicherheit besteht darin, dass er gerne 1,85 Meter statt 1,80 Meter groß wäre. Mir ist das schnurzegal, weil er so oder so ein Stück größer ist als ich, aber Männer sind da eigen.

»Na gut, mehr Muskelmasse, ich komme!«, ruft er und schießt in die Höhe. Er küsst mich auf die Stirn und stürmt davon, als würde er sonst den Zug verpassen.

Ich bleibe mit seinem schmuddeligen grauen Abdruck neben mir zurück. Wir sollten uns dieses Jahr dringend neue Laken kaufen. Auf seinem Nachttisch steht ein Foto von uns, das ich ihm geschenkt und dort hingestellt habe. Es ist von einem Après-Ski-Abend in den Alpen vor zwei Jahren. Wir stehen dort, aufgebläht in Skikleidung, sein Arm um meine Schultern gelegt, mit identischem Grinsen. Er hatte mir nur eine Stunde zuvor einen Antrag in einer Gondel gemacht, die wir uns mit einem Pärchen aus Ohio teilten. »Oh meein Gooott!«, »Oh meein Gooott!«, »Oh meein Gooott!« bildete das Hintergrundrauschen dieses intimen Moments.

Ich hole mein Notizbuch (nicht Tagebuch) aus der Schublade meines Nachtkästchens. Es wurde gekauft, damit ich darin unsere Hochzeit planen kann. Auf die erste Seite habe ich »Amys und Joshs Hochzeit« geschrieben, darunter befindet sich eine lange Liste, von der noch nichts abgehakt wurde. Uns wurde schnell bewusst, dass wir eine Zeit lang sparen müssten, wenn wir für die Anzahlung für unser Traumhäuschen auf dem Land etwas zurücklegen und uns unsere Traum-Hochzeitslocation – natürlich eine dieser rustikalen Scheunen (ich weiß, es ist klischeehaft) – leisten wollen. Das tun wir nun also – sparen. Ich blättere zur letzten Seite des Notizbuchs, die mit einer Strichliste gefüllt ist, und ziehe eine diagonale Linie durch vier der Striche, um einen weiteren Fünferblock zu vollenden. Das wären dann 135 sexlose Nächte nacheinander.

So manche Haftstrafe ist kürzer als das.

Also lege ich selbst Hand an. Pornos sind mir zu gehaltlos. Stattdessen gönne ich mir Graham Moores, den Astrophysik-Podcaster, der mit seinem rauchigen Südstaatendialekt über das Universum redet und dabei klingt wie ein sternguckender Cowboy.

Ich setze meine Ohrhörer ein und ziehe meine Schlafanzughose mit Sternchenmuster aus. Grahams Stimme dringt mir ins Ohr und durch meinen ganzen Körper. »Die durchschnittliche Umlaufgeschwindigkeit, also die Durchschnittsgeschwindigkeit des Gesamtorbits des Pluto, liegt bei 16.809 Kilometern pro Stunde. Wie ihr wisst, ist das im Vergleich zur Erde ein Schneckentempo. Diese umkreist nämlich mit einer Geschwindigkeit von 107.218 Kilometern pro Stunde die Sonne …«

Unter der Decke entfährt mir ein leichtes Stöhnen, als ich komme. Ich liege da, die Arme ausgebreitet, und genieße diese selige Minute, in der sich mein Körper wieder erholt. Graham. Was für ein Mann.

So. Jetzt kann das neue Jahr beginnen.

*

Ich schaffe es noch vor Fifi ins Badezimmer. Fifi ist unsere Mitbewohnerin, die sich die meiste Zeit in ihrem Schlafzimmer verkriecht und sich nur blicken lässt, um schüsselweise Heinz Tomatencremesuppe aufzuwärmen. Wenn sich unsere Wege kreuzen, sind die Gespräche unbeholfen und peinlich und für keine von uns beiden angenehm. Allerdings zahlt sie ihre Miete, ist ordentlich und holt uns keine Verbrecher ins Haus. Mehr kann man sich von einer Londoner Mitbewohnerin nicht wünschen.

Ich wasche mir den Kater vom Leib und versuche, mich vorzeigbar zu machen. Anders als bei Josh ist an meinem Aussehen nichts Anziehendes. Ich bin eine blasse, straßenköterblonde, braunäugige, stinknormale Physiklehrerin, die eigentlich ins Fitnessstudio gehen sollte. Ich habe den Dreh nie rausbekommen, wie ich meine Haare in elegante Formen bringe, immer perfekt manikürte Nägel habe oder ein Outfit zusammenstelle wie die Frauen auf Instagram, aber wen interessiert das schon? Es schaut sowieso niemand hin. Ich trockne meine Haare mit dem Handtuch und ziehe mein geliebtes schwarzes Strickkleid an. Fertig.

Als ich in die Küche komme, ist Josh wieder aus dem Fitnessstudio zurück und mixt sich einen Post-Workout-Proteinshake, eine hellrosa Pampe, die die Farbe seiner Wangen hat.

»Bereit für das große Neujahrsessen der Butters?«, fragt er. Nein, ich bin nicht bereit, übrig gebliebenes Rindfleisch und trockene Mince Pies herunterzuwürgen, um deiner Mum zu gefallen. Das sage ich aber nicht.

»Nach dem Kaffee«, murmle ich, während ich nach der Kanne greife.

»Koffein.« Er schnalzt und schüttelt missbilligend den Kopf. Das ist derselbe Mann, der den Großteil unserer Beziehung nur mithilfe von Flat Whites überlebt hat. Aber seit er in diesen Fitnesskult hineingezogen worden ist, glaubt er, Koffein sei genauso schlimm wie Heroin.

»Dein Ring ist übrigens hier.« Er hält meinen Verlobungsring – beziehungsweise den seiner verstorbenen Oma Ellie – in die Höhe. Er ist aus gehämmertem Silber mit einem gigantischen Amethyst. Als er an jenem Tag in der Gondel das Samtkästchen öffnete, schrie eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf: »WAS IN ALLER WELT IST DAS?« Dann stellte er mir die Frage, und ich habe geweint, als er ihn mir angesteckt hat. Tränen des Glücks, versteht sich.

»Oh, ich habe ihn beim Abspülen abgenommen«, antworte ich und stecke den helllila Edelstein wieder an.

opa

Egal, was in der Welt geschieht, eines bleibt immer gleich: die Butters.

Josh parkt immer hinter dem weißen Van seines Vaters. Gary rastet aus, sobald der Motor ausgeschaltet ist, dann öffnet sich die rote Tür des kleinen rechteckigen Hauses, und Joshs Eltern erscheinen Arm in Arm. Sein Dad, Jason Butters, ist ein Glatzkopf mit einem überraschend sanften Gesicht. Sein Leben dreht sich um Manchester United, üppige Samstagsfrühstücke und seine Kinder. Linda Butters ist eine mollige Frau, die so unschuldig wirkt wie ein Muppet. In den Achtzigern mag sie vielleicht wilde Nächte erlebt haben, aber davon ist jetzt keine Spur mehr zu sehen.

»Ich hoffe, ihr habt Hunger mitgebracht!«, ruft Linda von der Türschwelle aus.

Das Haus von Joshs Familie ist ein Butters-Schrein. Sobald man es betritt, wird man von den Familienglanzlichtern der letzten drei Jahrzehnte begrüßt. Hier hängt ein gerahmtes Foto des sechzehnjährigen Josh, wie er beim Familiengrillen einen Burger isst, und dort eines seiner älteren Schwester Laura, die als Kleinkind in einem Baum sitzt. Daneben gibt es die klassischeren Bilder wie von Joshs Abschlussfeier und Lauras und Rays Hochzeit. Laura ist durch ihre gigantische Hochsteckfrisur beinahe so groß wie Ray, während Ray die Kamera durch seine Brillengläser mit einem Blick durchbohrt, als würde man ihn gegen seinen Willen dort festhalten. Linda und Jason haben sich neben Laura aufgestellt und sehen aus, als würden sie vor Stolz gleich zu einer Konfettiwolke zerplatzen. Und neben Josh, braun gebrannt und von etwas außerhalb des Bildes abgelenkt, stehe ich.

Bevor ich Josh kennengelernt habe, gab es von mir keine aufgehängten Fotos. Meine Eltern hatten für Andenken und das Schwelgen in Erinnerungen nichts übrig, und die wenigen Familienfotos, die wir besaßen, wurden in einem Fotoalbum im Esszimmerregal aufbewahrt. Die Wände unseres Hauses wurden genutzt, um die Erfolge der Elmans zur Schau zu stellen. Mums Diplom in Zahnmedizin hing im Esszimmer. Dads »Gynäkologe des Jahres (2002)«-Urkunde nahm einen etwas unvorteilhaften Platz in unserer Küche ein. Wo sich keine Urkunden befanden, hingen Landschaftsgemälde. Dad trieb sie in Antiquariaten und Secondhandläden auf und rühmte sich damit, ein »gutes Auge« zu haben. Mum war stillschweigend anderer Meinung und hatte bei ihrer Trennung eine diebische Freude daran, die ganzen Landschaftsmalereien wegzuwerfen.

Ich betrete die Küche der Butters. Wie immer herrscht dort Chaos: Leere Sektflaschen von Silvester reihen sich auf der Küchenzeile aneinander, und wo ich auch hinsehe, liegt goldenes Konfetti. In der Ecke kämpft der Weihnachtsbaum um sein Überleben, und Robbie Williams dröhnt aus den Lautsprechern. (Jasons Musikgeschmack besteht zum Großteil aus Popmusik der Neunziger, also wird hier nichts anderes gespielt.) Mir macht das nichts aus: Ich mag Robbie. Er erinnert mich an meine Kindheit so wie Flutschfinger und Furbys.

»Heiß! Heiß! Heiß!«, ruft Lauras Ehemann Ray, als er an mir vorbeirauscht. Er quetscht eine Schale mit braunen Bällchen auf den Küchentisch, der sowieso schon vor Essen überquillt. Es gibt Würstchen in allen Größen, eine Auswahl an Soßenklassikern, teils schon angegessen, eine Platte mit eingedrückten Mince Pies, Scheiben trockenen Rinderbratens, aufgeschnittenes Brot und eine Schüssel mit Pringles. Auf jedem Platzdeckchen liegt ein Knallbonbon, bereit, geöffnet zu werden.

»Was ist das?«, fragt Laura und deutet dabei auf den Kohlkopf in Joshs Hand. Sie sitzt mit ihrem Handy am Tischende. Lauras Lieblingsbeschäftigung ist es, durch Instagramvideos zu scrollen, wahrscheinlich solche mit Titeln wie »POV: Du bist verheiratet« oder »POV: Du hasst deinen Job«. Sie hat Ray über eine Dating-App kennengelernt und ihn von Kent nach Maidenhead geholt, damit sie in der Nähe ihrer Eltern wohnen kann. Er bemalt Warhammer-Minis und verdient ein Schweinegeld mit seinem IT-Job. Laura arbeitet in der Personalabteilung eines Pharmaunternehmens. Sie hasst jede Sekunde davon, bleibt aber wegen der guten Mutterschutzkonditionen. Ich wette, dass sie dieses Jahr schwanger wird. Vor Kurzem hat sie sich blondieren und einen Bob schneiden lassen und gleicht jetzt ihrer Mutter aufs Haar.

»Unser Beitrag zum Essen«, meint Josh und hält dabei stolz den Kohl hoch. Er war das Einzige, das wir außer Proteinriegeln zu Hause hatten.

»Ein Kohlkopf? Du bist echt ein Nichtsnutz. Mein Zeug ist von Marks & Spencer«, sagt sie und vertieft sich wieder in ihr Handy.

Linda nimmt mich am Arm. »Ich brauche deine Hilfe, Amy. Das war eigentlich Jasons Job, aber der Fußball hat ihn wohl wieder völlig vereinnahmt.« Sie zieht mich mit zum Herd, wo ein Turm aus Lauras M&S-Boxen aufragt. Sie nimmt eine von oben und verzieht das Gesicht. »Garnelen … im … Speckmantel. Was ist bloß aus der Welt geworden?« Einen Moment lang vertieft sie sich in die Zubereitungsanweisungen und windet sich dann verlegen. »Ach, ich weiß nicht.«

»Überlass das mir«, sage ich. Es ist nicht so, als wäre Linda unfähig, Vorspeisen aufzuwärmen, sie will es bloß nicht. Kurz umschließt sie mich mit einer ihrer nach Pfirsichtuttifrutti duftenden Umarmungen.

»Du bist ein Schatz. Was würden wir nur ohne dich tun?«

»Mum. Was hast du mit dem Kohl vor?«, macht Josh auf sich aufmerksam.

»Leg ihn einfach zur Seite, Liebling. Wir, äh …« Sie starrt ins Leere. »Sag mal, Joshy, könntest du mit deinen neuen Muskelbergen die Kartoffeln stampfen?«

Josh zögert einen Moment. »Ich … wollte mir gerade noch das Ende des Spiels ansehen, wenn das okay ist?« Er schenkt ihr sein Grübchen-Lächeln.

Linda stemmt die Hände in die Hüften und bedenkt ihren Sohn mit einem warmen Seufzen. »Na, dann geh schon.«

Ohne weiter darüber nachzudenken, läuft er ins Wohnzimmer, wo Jason den Schiedsrichter wild beschimpft. Typisch.

Ich mache mich daran, die Bleche nach Dauer geordnet in den Backofen zu schieben. Ray darf die Kartoffeln stampfen, den Wein öffnen und die Spülmaschine anschalten. Ein Jubelgebrüll kommt aus dem Wohnzimmer, wohl ein Tor für Manchester. Ich frage mich kurz, ob es wohl schlecht ist, dass mein Verlobter mehr Geräusche beim Fußballschauen macht als im Bett, schiebe den Gedanken dann aber beiseite, um mich meiner Aufgabe zu widmen.

»Wo ist Ellie?«, fragt eine leise, krächzende Stimme. Ich drehe mich um und sehe Opa mit leerem Blick in die Küche schauen. Opa ist nicht mehr ganz »da«, seit Oma Ellie vor fünf Jahren gestorben ist. Er sieht aus wie hundertfünf. Sein Mund ist weiß verkrustet, ein flaumiger Haarkranz erstreckt sich von Ohr zu Ohr und all die Adern, die durch seine Haut schimmern, lassen ihn quasi blau wirken. Er trägt immer Anzug und Krawatte; auf der von heute ist ein tanzender Pinguin zu sehen.

»Ich hoffe, du magst Essen von M&S, Opa«, sagt Laura. Opa kneift die Augen zusammen, als könnte er nicht erkennen, woher die Stimme kam.

»Wo ist Ellie?«, fragt er noch mal.

»Komm, setz dich hin, Dad.« Linda parkt ihn am Ende des Tisches. Ich öffne den Ofen und schiebe die Hähnchennuggets hinein.

»Wer ist das Mädchen da drüben mit dem fetten Hintern?«, ruft Opa.

»Paps, sag so was nicht«, flüstert Linda laut.

»Aber wer ist die?«

»Das ist Amy, Joshs Verlobte.« Immer noch lautes Flüstern. »Bitte, Paps, so reden wir nicht mit den jungen Leuten.« Ich tue so, als hätte ich nichts gehört, aber drehe mich weg, um meinen Hintern aus Opas Sichtlinie zu bewegen. Josh und Jason drängen in Hochstimmung in die Küche, was nur bedeuten kann, dass Manchester United gewonnen hat. Josh kommt rüber, schaut mir über die Schulter und greift nach einer der M&S-Schachteln.

»Wusstest du, dass in diesen Hähnchennuggets zweihundert Kalorien sind?«, fragt er.

»Joshy! Du wirst uns mit diesem Gerede nicht das Essen verderben«, herrscht Linda ihn an und richtet einen Löffel auf ihren Sohn. »Und du, mein Lieber …«, sie dreht sich zu Jason, der gerade eine Dose Budweiser aus dem Kühlschrank nimmt, »… lässt es besser langsam angehen. Einen beduselten Butters können wir hier nicht gebrauchen.«

Ein lauter Knall ertönt. Ich zucke zusammen, Linda quiekt und Gary bellt. Opa packt sein nun geöffnetes Knallbonbon aus. Er betrachtet unzufrieden ein Miniatur-Kartenset und setzt sich dann eine lila Papierkrone auf.

»Ich will jetzt essen!«, verkündet er.

Wegen Rays Zwangsstörung können wir uns erst setzen, nachdem sämtliche Speisen korrekt angerichtet wurden. Nach langem Hin- und Herschieben passt endlich alles. Zumindest einigermaßen. Linda schlägt als Erste zu und spießt ein dickliches Würstchen auf ihre Gabel.

»Morgen fängt das Fasten an«, verkündet sie in die Runde. Der Duft von experimentellen Festtagshäppchen steigt mir in die Nase und bringt den warmen Prosecco von letzter Nacht in meinem Magen in Wallung.

»Braten?«, fragt Josh und lässt ein leicht graues Stück Rindfleisch über meinem Teller schweben. Ich schüttle den Kopf, mir ist übel, und reiße ein Stück altes Baguette ab.

»Wo ist der Truthahn?«, fragt Opa.

»Paps, wir haben den Truthahn gegessen«, antwortet Linda.

Opa lacht ungläubig. »Welche Frau bringt an Weihnachten keinen Truthahn auf den Tisch?«

Linda seufzt und legt ihr Besteck ab, um es ihm zu erklären. »Weihnachten ist vorbei, Paps. Ich habe dir die Pinguinkrawatte geschenkt, die du gerade trägst. Heute ist das Neujahrsresteessen. Mama hat das immer gemacht, erinnerst du dich?« Sie nimmt ihre Gabel wieder auf und ersticht noch ein Würstchen.

Opa schaut seinen Teller an, als wäre er ein Rätsel. Ich kann es ihm nicht verübeln. Angesichts des Kartoffelpüreeberges, der zwei Bällchen aus Bratenfüllung, einer Garnele im Speckmantel und einer Handvoll Ferrero Rocher wäre ich auch verwirrt.

»Warum probierst du nicht die Blauschimmelkäsebällchen von M&S?«, meint Linda und legt eines auf seinen Teller. Opa versucht, es auf seine Gabel zu bekommen und schiebt es stattdessen vom Teller, woraufhin es auf den Boden kullert. Gary isst es.

»Um was für einen Gefallen wolltest du uns bitten, Mum?«, fragt Josh.

Opa schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Wo bleibt der Truthahn?«

»Paps«, Linda stöhnt. Opa steht auf. »Paps. Paps. Setz dich. Hier, nimm ein Hähnchennugget.«

»Nein«, er schlurft aus der Küche und schimpft im Gang weiter. »Ich lasse nicht zu, dass diese Familie Weihnachten ohne einen Truthahn feiert.«

Josh steht auf.

»Lass ihn.« Linda bedeutet ihm, sich zu setzen. »Er geht normalerweise die Straße runter und kommt dann wieder zurück.« Die Haustür fällt ins Schloss, und man hört nur noch Robbie »Old Before I Die« singen. Das nächste Lied ist »Angels«. Jason steht auf. »Ich schaue nach ihm«, sagt er. Josh steht auch auf, aber sein Vater hält ihn zurück. »Bleib hier, Josh. Deine Mutter muss mit dir reden.« Er tätschelt Lindas Schulter, bevor er die Küche verlässt. »Komm, Ray«, befiehlt Jason aus dem Gang. Rays einziger Protest besteht aus einem kurzen Seufzen, bevor er aufsteht. Als die Haustür ins Schloss fällt, bricht Linda in Tränen aus.

»Mum, alles in Ordnung? Was ist los?«, fragt Josh. Es wirkt, als hätte er seine Mutter vorher noch nie weinen sehen, was merkwürdig ist, denn sie heult ständig: egal ob beim Festumzug der Königsfamilie, beim Bake-Off-Finale oder beim Längsparken auf einer geschäftigen Straße.

»Tut mir leid. Oje, oje. So wollten wir das neue Jahr eigentlich nicht beginnen, oder?« Sie trocknet ihre Wangen und fängt dann wieder an zu schluchzen.

»Mum, du solltest sie einfach fragen«, meint Laura.

»Was fragen?«, hakt Josh nach.

»Na los, Mum«, ermuntert Laura sie. Linda schnauft lang und zitternd ein. Ich starre das zerfledderte Baguettestück auf meinem Teller an und bereite mich mental auf das vor, was gleich kommt.

Linda schnieft. »Ich habe einen Wunsch, und zwar, dass Paps … die Hochzeit … meines Sohnes miterlebt.«

»Wir heiraten doch«, sagt Josh. Wir werfen uns gegenseitig einen Seitenblick zu, und er ergänzt: »Früher oder später.« Das scheint Laura wütend zu machen.

»Aber wann soll ›früher oder später‹ denn sein?« Sie wedelt mit den Händen.

Josh zuckt mit den Schultern. »Vielleicht nächstes Jahr oder das danach.« Linda fängt noch stärker an zu heulen. Josh und ich sehen uns alarmiert an. »Wieso? Was ist los? Stimmt etwas nicht?« Laura streicht mit gequälter Miene über den Rücken ihrer Mutter. Ich habe plötzlich ein mieses Bauchgefühl.

»Opa geht es von Tag zu Tag schlechter. Heute hielt er Ray für unsere Putzkraft«, sagt sie. Meiner Meinung nach ist der Gedanke gar nicht so abwegig, weil Ray ständig aufräumt oder kocht. Also scheint es mir nicht fair, Opa für diesen Fehler zu verurteilen. Laura richtet den Blick zur Decke und fügt hinzu: »Wir finden alle, dass eure Hochzeit früher stattfinden sollte.«

»Wie früh?«, fragt Josh, aber ich schalte mich ein, bevor Laura antworten kann.

»Wir würden ja früher vor den Altar treten, Laura, aber Josh und ich wollen im Chipping Barn heiraten, was ein Vermögen kostet. Außerdem sparen wir für diese nervige Anzahlung, damit wir zuerst aufs Land ziehen können. Du weißt, dass ein Eigenheim unsere Priorität ist. Nach meinem Budgetplan kann die Hochzeit also frühestens in zwei Jahren sein, stimmt’s Josh?« Ich gebe ihm mit den Augenbrauen zu verstehen, dass er mich unterstützen soll. Er sagt nichts, legt aber den Kopf schief.

Laura wirkt plötzlich sehr selbstzufrieden. »Deswegen werden wir die Kosten für den Chipping Barn übernehmen. Mum, Dad, Ray und ich.« Ihre zuvor aggressiv herumfuchtelnden Hände sind jetzt in die Luft gestreckt, als wollte sie »Überraschung!« rufen.

»Ihr würdet das alles bezahlen?«, fragt Josh. Er sprüht vor Aufregung wie ein Kind bei der Bescherung. Ich dagegen bin etwas misstrauischer. Die Butters sind super, wenn es um Zeit mit der Familie oder Fernseh-Quizshows geht. Aber praktisches Denken gehört nicht zu ihren Stärken.

Vor ein paar Jahren, kurz nach dem Uniabschluss, sind wir alle im Januar nach Cornwall in den Urlaub gefahren. Josh hat gerade seine »Möchtegern-Surfer-Phase« durchgemacht, also hat uns Linda mit einer Surfstunde überrascht. Ich war zu höflich, um abzulehnen, und so sind wir eine Stunde lang von Surfbrettern in den eiskalten Atlantischen Ozean gestürzt und anschließend beide krank geworden. Positiv gesehen haben Josh und ich den Rest des Urlaubs in einem Steinhäuschen unter einer Daunendecke zusammengekuschelt mit schnoddrigem Sex verbracht. Eine wesentlich bessere Alternative zu dem ursprünglichen Reiseplan aus Krabbenfischen und Minigolfspielen mit seinen Eltern. Außerdem hat es Josh glücklicherweise von seiner Möchtegern-Surfer-Phase geheilt.

»Rays Boss hat ihm einen Riesenbonus gegeben, und Mum und Dad helfen gerne aus«, meint Laura.

»Das ist wirklich lieb, aber es ist teurer als …«

»Wir haben vorbeigeschaut und mit den Veranstaltern gesprochen, das geht in Ordnung. Wir kümmern uns darum«, beteuert Laura erneut.

»Ihr habt vorbeigeschaut und mit ihnen gesprochen?«, frage ich.

»Das ist doch ums Eck …«, fügt Laura hinzu, als sei die Strecke, die sie dafür gefahren sind, meine größte Sorge. Ich zwinge meine zusammengepressten Zähne zu einem Lächeln.

»Okay … Aber selbst wenn wir alles Geld der Welt hätten, haben sie eine achtzehn Monate lange Warteliste.« Als ich das Thema anspreche, winden die beiden sich, als wäre es ihnen plötzlich unangenehm. Linda betrachtet eindringlich ihre Hände, während ihre Finger sich verknoten.

»Was ist los, Mum?«, schaltet sich Josh ein.

»Du hast recht, sie sind komplett ausgebucht. Allerdings gab es eine Absage am 24. Februar.«

»Nächstes Jahr? Das hört sich machbar an«, sage ich erleichtert. Von ihrem Verhalten her hatte ich Schlimmeres befürchtet.

»Dieses Jahr«, murmelt Laura.

»Dieses Jahr?«, platzt es aus mir heraus. »Du meinst, in sieben Wochen? Ihr wollt, dass wir in sieben Wochen heiraten?« Josh drückt sanft meinen Oberschenkel und sagt, ich solle mich beruhigen. Linda fängt an zu schluchzen, und zwar so richtig.

»Ich wusste es … Ich wusste, es wäre zu viel verlangt.«

»Nein, Mum, wir können schon heiraten …«, setzt Josh an, aber ich falle ihm ins Wort, bevor er etwas Verheerendes sagen kann.

»Wir würden dann heiraten, das schon. Aber es ist nahezu unmöglich, dass meine Familie so kurzfristig kommen kann. Dad und Jean-Ivy sind wahrscheinlich im Urlaub, und Mum macht eine Kreuzfahrt in der Adria.«

Laura unterbricht mich. »Tja, daran haben wir schon gedacht. Wir haben sie angerufen, und deine Mutter meinte, sie würde ihre Kreuzfahrt stornieren, wenn nötig, und dein Vater und seine Frau haben Zeit, also …«

»Wow. Ist das nicht toll, Amy?« Josh rüttelt an meinem Bein. Mir wird klar, dass ich eine Ein-Frau-Armee bin, der langsam die Munition ausgeht.

»Okay, na gut. Vielleicht hat meine Familie Zeit, aber was ist mit meinen Brautjungfern? Rebecca hat jetzt ein Baby, Abi hat ihre Laborarbeit, und Nina ist Workaholic. Sie sind viel beschäftigte Frauen.«

Laura wirft mir ein Siegeslächeln zu, und mir rutscht das Herz in die Hose. »Sie haben alle zugesagt. Das Gute an einer Hochzeit im Februar ist, dass alle Zeit haben.«

»Sie haben Zeit, weil im Februar keiner aus dem Haus gehen will«, murmle ich. Josh legt einen Arm um mich und stimmt mit ein.

»Februar ist kein schlechter Monat, Amy. Mit der Erderwärmung haben wir wahrscheinlich sogar eine Hitzewelle.« Die Familie lacht. Sie alle haben dasselbe Lachen, wie eine Zeichentrickfamilie – diese Art von lebhaftem Gekicher. Dann fügt er hinzu: »Komm schon, Ames. Wieso nicht?«

»Wieso nicht? Weil …« Sie alle warten, dass ich meinen Satz beende. Linda hat die Hände gefaltet, als würde sie um ihr Leben betteln. Das ist absurd. Ich kann meine Hochzeit nicht schnell mal auf nächsten Monat verlegen.

Erstens gibt es bei der Hochzeitsplanung so viel zu tun. Deswegen nehmen sich Leute auch mindestens ein Jahr Zeit, um alles zu erledigen. Wichtiger ist allerdings, dass ich mir nicht sicher bin, ob es angebracht ist, mitten in unserer »Trockenphase« zu heiraten. Ich habe gehofft, dass sich unsere »Situation« klären würde und lange vergessen wäre, bis wir vor den Altar treten. Was passiert, wenn wir in unserer Hochzeitsnacht keinen Sex haben? Ich bin mir sicher, ich habe irgendwo mal gelesen, dass das Unglück bringt.

Die Eingangstür kracht ins Schloss. Opa kommt mit einem gigantischen rohen Truthahn in die Küche.

»Ich habe Weihnachten gerettet«, verkündet er, und Linda bekommt einen Heulkrampf.

*

Glückwunsch, Opa, du alter Kauz. Josh winkt seiner Familie wild aus dem Auto zu. Sie stehen alle auf der Türschwelle, grinsend und synchron winkend. Er hupt und rast davon.

»Hat das nicht Spaß gemacht?«, schwärmt er. Ich wende mich mit verschränkten Armen zum Fenster. »Hab allerdings zu viel Rinderbraten gegessen. Den sollte ich morgen wieder verbrennen.« Meine Arme spannen sich an. Er plappert weiter, sich der Frau, die gleich in seinem Auto explodieren wird, nicht bewusst. »Aber Rind ist eine gute Proteinquelle. Wusstest du, dass hundert Gramm so viel Protein haben wie drei Eier? Ich hatte also …«

»Josh, wir heiraten in sieben Wochen.«

Er schaut mich an, schaut auf die Straße, schaut wieder zu mir, wieder auf die Straße. »Du hast gesagt, es wäre okay. Du hast gesagt …« Ich reiße die Arme hoch.

»Wie in aller Welt soll eine Hochzeit in sieben Wochen okay sein?« Wir schweigen, während er die Information verarbeitet. Ich fahre fort: »Sind wir überhaupt bereit dafür?« Wieder Stille.

»Wieso sollten wir nicht bereit sein?« Er lacht. »Die Location wird gebucht, sie kümmern sich ums Essen …«

»Aber sind wir bereit, wo wir doch …« Ich wedle mit den Händen in meinem Schoß herum, damit ich es nicht aussprechen muss: Sind wir bereit zu heiraten, wenn wir keinen Sex haben? Josh denkt nach und nickt.

»Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht«, meint er, und ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus, dass wir endlich darüber reden können.

»Zum Glück. Ich hatte Angst, dass ich mir zu viele Gedanken mache. Was sollen wir tun?«, frage ich vorsichtig.

»Na ja, wenn wir für die Hochzeit in Bestform sein wollen, sollten wir unsere Gesundheit schnellstens auf Vordermann bringen. Kein Alkohol. Keine Kohlenhydrate. Jeden Tag ins Fitnessstudio, aber das kriegen wir hin.« Er lächelt mich unschuldig an.

»Warte. Willst du damit sagen, ich sollte mehr auf meine Gesundheit achten?«

»Nein. Nein. Nein«, beteuert er schnell, als er merkt, dass wir von unterschiedlichen Dingen sprechen. »Aber du darfst dich mir gern anschließen, wenn du willst. Ich nenne es das ›Hochzeit-in-sieben-Wochen-Blitztraining‹!«

Ich bin sprachlos. Ich sitze hier wie gelähmt, weil unser Sexleben tot ist, und er denkt sich Namen für Gym-Workouts aus. Er muss sich sicher sein, dass dieses Problem nur eine Kleinigkeit ist, wenn es ihn nicht so beschäftigt wie mich. Vielleicht spürt er tief im Herzen (oder in seinen Lenden), dass wir bald wieder Sex haben werden.

»Du glaubst also, dass mit uns alles in Ordnung ist?« Ich suche in seinem Gesicht nach Hinweisen.

»Wieso sollte es das nicht sein?«

»Ich weiß nicht.«

»Die Laborratte macht sich mal wieder zu viele Gedanken.« Er lacht.

»Positiv betrachtet können wir schneller in unser Häuschen ziehen, wenn der Chipping Barn bezahlt ist, stimmt’s?«, sage ich und versuche, mich zu überzeugen, dass diese vorgezogene Hochzeit nicht die schlimmste Idee der Welt ist. Josh blinkt und fährt auf die Überholspur.

»Ja. Klar.«

Unser Häuschen. Seit wir nach London gezogen sind, reden wir davon, in einem Häuschen auf dem Land zu wohnen. Wir wissen schon genau, wie es aussehen soll. Es wird aus Stein sein, mit einem Kamin im Wohnzimmer und Einmachgläsern voll mit Körnern in der Küche. Josh möchte es seinem Dad gleichtun und einen Grillplatz und einen Gartentisch haben, an dem unsere Freunde im Sommer sitzen können. Wir werden ein Kingsize-Bett haben und mit Blick auf Kornfelder aufwachen. Es wird ein Gästezimmer geben und ein weiteres für, hoffentlich, ein Baby. Josh wünscht sich wie jeder Mann einen Hund. Aber darüber unterhalten wir uns dann, wenn die Zeit gekommen ist. Wir wissen noch nicht genau, wo das Häuschen stehen soll, aber Josh möchte in der Nähe von London und seiner Familie in Maidenhead bleiben, also wäre ein Dorf in Berkshire oder Oxfordshire ideal. Mir ist der Ort völlig schnuppe. Ich will einfach weit weg von London sein, auf dem Land, wo ich nachts die Sterne sehen kann und nicht die Haare einer fremden Frau aus dem Abfluss pulen muss.

»Aber ist es überhaupt möglich, eine Hochzeit in sieben Wochen auf die Beine zu stellen?«, rudere ich zurück.

»Wir haben doch im Prinzip schon alles geklärt, oder nicht?«, erwidert Josh.

»Geklärt?« Ich werde laut. Diese Situation kostet mich gerade den letzten Nerv. »Was ist mit dem Kuchen? Dem Junggesellinnenabschied? Oder … oder … meinem Kleid?«

Josh zuckt mit den Achseln, als seien das leicht zu lösende Probleme. »Einen Kuchen aussuchen dauert nur ein paar Sekunden. Wir nehmen einfach eine Biskuittorte mit Vanillebuttercreme, dreistöckig, weißes Marzipan, Braut und Bräutigam obendrauf. Kuchen erledigt.« Ich wimmere angesichts seiner Gleichgültigkeit. »Und ich dachte, du wolltest das Kleid deiner Mutter tragen.«

»Das will ich auch, aber … Was ist mit den Einladungen? Ich wollte selbst welche basteln, doch jetzt habe ich keine Zeit mehr dafür. Himmel, am Ende müssen wir diese E-Mail-Dinger nehmen.«

»Amy, du hättest nie welche selbst gebastelt. Du kannst nicht mal eine Briefmarke gerade aufkleben.« Er tätschelt liebevoll mein Bein. Ich schiebe seine Hand weg und hole dann demonstrativ mein Handy heraus.

»Dann sollte ich wohl besser meinen Brautjungfern schreiben. Was hältst du davon? ›Danke fürs Bescheid geben, dass ich nächsten Monat heirate. Kann es kaum erwarten. Küsschen. Küsschen.‹«

Die Stille zwischen uns wird nur vom Brummen des Motors durchbrochen. »Du willst aber noch heiraten, oder?« Joshs Blick ist nachdenklich auf die Straße gerichtet.

»Natürlich will ich das. Ich will bloß keine Scheißhochzeit, das ist alles. Erinnerst du dich an die Hochzeit von Rebecca und Knauser-Tim? Alle wissen noch, wie scheiße die war. So etwas will ich nicht.«

Rebecca, meine beste Schulfreundin, hat sich in den geizigsten Mann in ganz England verliebt (der liebevoll Knauser-Tim genannt wird). Wegen des knappen Hochzeitsbudgets haben wir beim Junggesellinnenabschied Töpferwaren in Barnet bemalt. Aber am schlimmsten war der Hochzeitstag. Es gab Billigsekt statt Champagner, und sie ist bei ihrer Hochzeitsparty im Ford Fiesta aufgefahren.

»Erstens bist du zum Glück nicht Rebecca. Und ich bin zum Glück nicht Knauser-Tim. Wir sind wir, und deswegen wird es auch nicht scheiße. Zumindest solange du keine selbst gemachten Einladungen verschickst, Laborratte.« Er lacht und tätschelt noch mal mein Bein.

Wir werden zu Hause von einem vertrauten Geräusch begrüßt: Fifi, die sich schnell die Treppe hinauf verzieht und ihre Schlafzimmertür hinter sich zumacht. Josh lässt sich aufs Sofa fallen und ruft die nächste Folge von Making a Murderer auf, damit wir sie anschauen können. Ich geselle mich mit meinem Notizbuch zu ihm und fange an, eine neue Hochzeits-To-do-Liste zu schreiben.

Hochzeit von Amy und Josh

Einladungen

E-Mail-Einladungen gestalten und versenden

Location

Location besuchen und Catering absegnen

Sitzordnung

Hochzeitskleid

Anprobe der Brautjungfernkleider

Mums Kleid anprobieren

Junggesellinnenabschied

Teekränzchen in London recherchieren

Mit Rebecca reden

Abklären, wer wann Zeit hat

Band

Recherchieren

Blumen

Rebecca fragen, wo sie ihre Blumen gekauft hat

Kuchen

Tortenverkostung im Clapcake buchen

Meine erste Aufgabe ist es, eine echte (nicht ironische) Nachricht an meine Brautjungfern und Familie zu schicken, um ihnen mitzuteilen, dass ich inzwischen auch von meiner eigenen Hochzeit weiß.

Hallo!!! Joshs Familie hat uns heute überrascht!Der 24. Februar ist gebongt. Kann’s kaum erwarten!!!

Nina: Super! Bis morgen . Bist du noch beim Pubquiz dabei?

Rebecca: NA ENDLICH!!! Lass uns den Junggesellinnenabschied planen! Am Samstag? Ich bring Benny mit.

Abi: Juhuuuuu!!!!

Mum: OK. Ich rufe an, wenn ich in Salvador bin. LG

Dad: Jean-Ivy und ich haben eine Überraschung. Du erfährst sie an ihrem Geburtstag. Shui, Berkley Square, Mayfair, 19 Uhr. Bis dann.

Oh Gott, bitte keine weiteren Überraschungen.

mandarine

136 nächte

Der erste Arbeitstag des Jahres. Das ganze Land stöhnt aus einem Munde, während sich alle aus den Ferien schleppen. Meine erste Aufgabe: einen Mars aus Pappmaché auf einem Fahrradanhänger befestigen. Seit zehn erfolglosen Minuten stehe ich damit vor der Wohnung und friere mir den Arsch ab. Büroangestellte machen auf ihrem Weg zur Stockwell Station einen Bogen um mich und werfen mir verwirrte Blicke zu. Ich erkläre ihnen, dass es der Mars ist, aber sie ignorieren mich. Ich versuche noch mal, ihn festzumachen, ziehe das Gummiband hoch und schiebe es um den roten Ball. Es schnalzt zurück und erwischt meinen Finger.

»Verdammte Scheiße!« Mein Finger nimmt dieselbe Farbe an wie der rote Planet. Ich starte einen neuen Versuch, als Josh über mir auftaucht, vom Workout verschwitzt.

»Ich mach schon«, sagt er und zieht das Gummi mit einer fließenden Bewegung über den Ball. Er tritt zurück und starrt ihn lange an.

»Was? Was ist los?«, frage ich.

»Nichts. Ich frage mich nur, warum du eine Riesenmandarine mit zur Arbeit nimmst.«

»Mandarine?«, erwidere ich genervt. »Das ist der Mars. Guck.« Josh kneift die Augen zusammen. Ich schubse ihn sanft. »Wir müssen bald los, weil mich dieses Ding bremsen wird. Wir dürfen nicht zu spät zur Lehrerkonferenz kommen.«

»Wir kommen nicht zu spät.« Joshs entspannter Ton bereitet mir Sorge.

»Wir müssen in zwanzig Minuten los.« Ich hasse es, Leuten Druck zu machen, aber bei Josh führt manchmal kein Weg drumherum.

»Was dich nicht fordert, bringt dich nicht weiter.« Er strubbelt mir liebevoll durchs Haar und läuft in die Wohnung. Ich bleibe zurück und starre mein im Anhänger festgeschnalltes YouTube-Projekt an. Acht Stunden Basteln … und das alles für eine gigantische Frucht. Na super.

*

Wir kommen zu spät. Josh konnte die Arbeitshefte seiner Neunten nicht finden, also mussten wir beide das Haus auf den Kopf stellen. Tja, ich sage zwar »wir beide«, aber Josh hat nach Betreten jedes Raumes sofort verkündet, sie seien nicht dort. Am Ende habe ich sie neben dem Sofa unter einem Men’s-Health-Magazin gefunden. Als wir endlich auf unsere Fahrräder steigen, versichert er mir noch einmal, dass wir nicht zu spät kommen werden, und radelt davon, während ich mit meinem Planeten hinterherschlenkere.

»Was zum Teufel is’n das?« Ich stecke an einer roten Ampel fest, wo eine Gruppe Teenager auf meinen Anhänger zeigt. »Ist das ’n entzündeter Hodensack? Ey! Lady!« Die Ampel wird grün, und ich strample, so schnell ich kann, bis ihr Lachen nicht mehr zu hören ist. Nachdem ich einen Mittelfinger von einem Ladenbesitzer kassiert habe, der mich zu langsam fand, und einen Collie im Park verstört habe, kommt endlich das weiße Schild der Clapham Highschool für Mädchen in Sicht.

Auch wenn sie von außen wie ein Gefängnis aussieht, ist sie als eine der freundlicheren privaten Mädchenschulen im Südwesten Londons bekannt. Geschichte und Englisch sind die Paradefächer. Die Naturwissenschaften hinken noch etwas hinterher, aber wir nähern uns langsam an. Yvonne Thompson wurde letztes Jahr in Cambridge angenommen. Sie ist die erste Schülerin der Clapham High, die ein naturwissenschaftliches Fach in Oxford oder Cambridge studiert, und ich habe sie unterrichtet. Nicht dass Dr. Therone, unsere tyrannische Schulleiterin – eine Mischung aus Model und Militärausbilderin –, das gewürdigt hätte. Sie scheint in der Aufgabe aufzublühen, Macht über alle Menschen mit zwei X-Chromosomen auszuüben. Männer hingegen können gar nichts falsch machen. So hat Josh zum Beispiel ein stinknormales Vulkanexperiment gemacht und wurde daraufhin vor der ganzen Schule mit einem Büchergutschein belohnt. Habe ich einen Büchergutschein bekommen, als Yvonne in Cambridge angenommen wurde? Nen Scheiß hab ich.

Ich schiebe mein Rad in den Unterstand, wo Josh wie auf heißen Kohlen auf mich wartet.

»Wo hast du gesteckt?«, fragt er. Ich bleibe stehen und werfe ihm einen tödlichen Blick zu. »Oh«, macht er, als ihm klar wird, dass er mich zurückgelassen hat. »Warte, lass mich …« Er macht Mars aus dem Anhänger los und reicht ihn mir. Eine mickrige Geste.

Wir öffnen die Tür zum Lehrerzimmer. Dr. Therone ist mitten in ihrer Rede. Nina winkt aus der hinteren Reihe und deutet auf die Plätze, die sie für uns freigehalten hat.

»Miss Elman, wie sehen Sie das?«, sagt Dr. Therone gerade. Ich erstarre auf halbem Weg zwischen Tür und der Sicherheit meines Stuhls.

Josh erhebt das Wort. »Verzeihung, Dr. Therone …«

»Mr Butters, bitte setzen Sie sich.« Ihre Stimme ist so süß wie ihr Lächeln, dann wendet sie sich mir zu. »Ich habe Miss Elman gefragt.« Josh zögert einen Moment und nimmt dann neben Nina Platz. Ich kann immer noch nicht fassen, wie unverhohlen sie Josh bevorteilt. Das kann arbeitsrechtlich nicht okay sein. »Miss Elman?«, wiederholt sie.

»Entschuldigung. Ich weiß es nicht«, sage ich kleinlaut.

»Sie wissen es nicht, weil Sie drei Minuten zu spät waren.« Sie wirft mir einen finsteren Blick zu. »Wie kommt das?«

Ich halte den Mars hoch. »Ich musste damit Fahrrad fahren, und das hat uns Zeit gekostet.«

Dr. Therone fixiert den Mars, als wäre er ein Beutel voller Dung.

»Was soll das sein?«

»Der Mars.«

»Ich dachte, es sei ein Stück Obst. Wem ging es noch so?«, fragt sie in die Runde, aus der sie Murmeln und Nicken erntet.

»Der ist für mein Weltraummodell.«

Sie kneift missbilligend die Augen zusammen und schüttelt den Kopf. »Setzen Sie sich, Miss Elman.«

Ich stolpere über die Füße anderer Lehrkräfte, um zu dem Stuhl zwischen Josh und Nina zu kommen. Nina drückt mitleidig meinen Arm, und Josh flüstert ein stummes »Sorry«.

Dr. Therone marschiert mit finsterem Blick auf und ab. An ihr ist nichts Sanftes. Ihr schwarz gefärbtes Haar ist zu einem eleganten Pixiecut geschnitten, und ihr perfekter Lidstrich lässt sie wie eine Katze aussehen. Jeden Tag trägt sie einen andersfarbigen Anzug, der ihr auf den 1,80 Meter großen, schlanken Körper geschneidert ist. Heute hat er die Farbe von Zitronensorbet, um die Leute glauben zu machen, sie sei eine freundliche, liebenswerte Person. Aber sie ist das genaue Gegenteil. Letztes Jahr hat sie ihren »höchst einflussreichen Job im Verteidigungsministerium« verlassen (etwas, das sie zu jeder Gelegenheit erwähnt), um Direktorin der Clapham High zu werden. Seitdem traut sich niemand hier mehr zu atmen.

»Also, wo war ich?«, fragt Dr. Therone. »Ach ja. Ich bin hierhergekommen, um die Leistung dieser Schule zu verbessern, und dazu bin ich fest entschlossen. Dafür brauchen wir einen besseren Notendurchschnitt, und wir müssen mehr gewinnen, besonders im Sport. Mrs Redson, würden Sie uns bitte erklären, warum wir im letzten Trimester nur zehn Prozent aller Korbballspiele gewonnen haben?«

»P-pech?«, stottert Mrs Redson.

»Pech oder eine schlechte Trainerin?« Dr. Therone fährt fort und lässt Mrs Redson am Boden zerstört zurück. »Miss Elman, vielleicht haben Sie bessere Chancen. Ihre Aufgabe ist es, diesen Wissenschaftswettbewerb zu gewinnen.« Sie lässt einen Flyer in meinen Schoß fallen.

Das Imperial College und Science for Teens präsentieren:

Der große Wettbewerb zur Förderung des Bewusstseins für Naturwissenschaften

WAS IST LOS MIT DER WELT?

Kommt und stellt euer Thema einer Jury aus Forschenden des Imperial College vor.

Die Siegerschule erhält:

5.000 GBP für ihre naturwissenschaftliche Fachschaft

5.000 GBP Förderung für die Erforschung des Siegerthemas

Nur für 10. Klassen

Mehr Informationen auf www.ScienceForTeensLondon.co.uk

Nina rüttelt aufgeregt an meiner Schulter. Sie liebt Schulwettbewerbe, aber das liegt daran, dass die Schülerinnen Geschichte lieben und sie als Lehrerin vergöttern. Physik kommt dagegen bei Teenagerinnen selten gut an, und die meisten halten mich für eine blöde Kuh, weil ich versuche, ihnen das Fach beizubringen. Ich wette, dass mich meine Zehntklässlerinnen am liebsten in kleine Stücke hacken und in ein Reagenzglas stecken würden. Das wird die Hölle.

»Apropos Wettbewerb«, fährt Dr. Therone fort. »Mr Grim und Mrs Lector verlassen uns Ende des Schuljahrs, also wird es intern die Möglichkeit geben, zur Fachschaftsleitung der Natur- oder Geisteswissenschaften aufzusteigen. Bitte schicken Sie mir bis Freitag ein Motivationsschreiben, weshalb Sie für die Stelle in Betracht gezogen werden sollten. Ich führe nächste Woche die Bewerbungsgespräche durch.«

Eine Beförderung? Nina und ich werfen uns aufgeregte Blicke zu, wir könnten beide nächstes Jahr Fachschaftsleiterinnen sein. Das bedeutet ein mindestens zehntausend Pfund höheres Jahresgehalt und die Möglichkeit, endlich unsere Fachschaften auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Mrs Lector ist als Leiterin der naturwissenschaftlichen Fachschaft ganz in Ordnung, aber ihr Ruhestand ist schon einige Jahre überfällig.

»Kannst du dir vorstellen, dass wir beide befördert werden könnten?«, flüstert Josh mir plötzlich ins Ohr.

Ich lächle und tätschle sein Bein.

In einer Traumwelt würden sowohl Josh als auch ich befördert werden, aber er tritt gegen Nina an, die mit Leib und Seele für ihren Job brennt. Josh hingegen macht nur das Nötigste und geht zeitig nach Hause, was okay ist, aber damit kann er keine Beförderung erwarten. Ich bin überrascht, dass er überhaupt daran denkt, sich zu bewerben.

»Gibt es Ankündigungen?«, fragt Dr. Therone in den Raum. Ninas Hand schießt in die Höhe, und Dr. Therone stöhnt. »Miss Pascoe?« Nina klappt ihr Notizbuch auf.

»Die Oberstufenschülerinnen und ich nehmen am Samstag, dem 19. Mai, am ›Reclaim the Night‹-Protestmarsch gegen Gewalt gegen Frauen teil. Tragt euch das bitte in den Kalender ein, und schließt euch an. Was noch? Ah, Harriet Boldman, die liebe Rothaarige aus der Neunten, hat Probleme zu Hause, also seid bitte nett zu ihr, und …« Sie blättert um. »Ich sammle immer noch Kleidung für die Obdachlosenunterkunft für Frauen. Spendet weiter. Ihr braucht nicht alle Klamotten, die ihr im Kleiderschrank habt, Leute. Und … das war’s.« Nina schließt ihr Büchlein und lächelt in die Runde. Dr. Therone verdreht die Augen.

»Sonst noch jemand? Nein? Gut. Ich freue mich auf Ihre Bewerbungen in meinem Postfach.« Sie schreitet in Richtung Tür.

»Dr. Therone«, sage ich, als ich sie einhole. Sie wirbelt herum. »Ich muss mit Ihnen, wenn es Ihnen nichts ausmacht, über diesen Wissenschaftswettbewerb sprechen.«

»Ja?«, fragt sie.

»Na ja, mir ist aufgefallen, dass die Präsentation am 7. Februar ist, also schon in vier Wochen.« Ich warte darauf, dass ihr aufgeht, wie absurd diese Frist ist.

»Und?«, fragt sie. Oh.

»Und das ist nicht genug Zeit, etwas mit meiner zehnten Klasse auf die Beine zu stellen. Sie machen mir sowieso schon das Leben schwer. Und auch wenn sich mein Privatleben nicht auf meinen Beruf auswirken sollte, habe ich in sieben Wochen eine unerwartete Hochzeit zu organisieren. Könnten wir diesen Wettbewerb also auf nächstes Jahr verschieben?«

»Sie haben recht, Miss Elman. Ihr Privatleben sollte sich nicht auf Ihr Berufsleben auswirken.« Sie lächelt zufrieden. »Ich werde zwischendurch überprüfen, wie Sie mit Ihrem Projekt vorankommen.« Sie stolziert davon.

»Hier kommt die Braut, hier kommt die Braut«, singt Nina hinter mir. Sie sieht wie immer cool und gelassen aus, mit ihrer weiten Leinenhose und den Braids, die über ihre Schulter bis zu ihrer Hüfte fallen. In der Hand hält sie einen Kaffee und unterm Arm einen Stapel Lehrbücher über amerikanische Geschichte.

»Oh Gott, bitte nicht«, stöhne ich.

»Holla.« Sie legt ihre freie Hand auf meine Schulter. »Komm schon, das neue Jahr ist hier! Du heiratest, trittst bei einem Wettbewerb an und wirst möglicherweise befördert … Das wird großartig.«

»Hoffentlich.«

»Nicht nur hoffentlich. Sag es, das neue Jahr wird großartig.«

»Das neue Jahr wird großartig«, wiederhole ich monoton.

»Ausgezeichnet. Wir brauchen jeden Funken Zuversicht, wenn wir heute Abend die Dreißig vollmachen wollen.« Sie schreitet mit ihrem Bücherstapel davon. Josh kommt mit seiner Tasse Zitronentee zu mir herüber.

»Wenn wir beide befördert werden, verdienen wir mindestens zwanzigtausend Pfund mehr pro Jahr«, meint er.

»Bewirbst du dich?«, frage ich ungewollt erstaunt. Er lacht und runzelt gleichzeitig die Stirn.

»Wieso sollte ich mich nicht bewerben?«

»Oh, nur wegen Nina, weißt du. Sie brennt sehr für ihren Job, und du … na ja«, sage ich. Er wirkt verwirrt.

»Wirst du dich bewerben?«, fragt er.

»Klar. Ich trete gegen Mr Rawlinson an …« Ich deute auf Mr Rawlinson, der gerade in der Ecke des Lehrerzimmers ein Nickerchen macht. Er ist ein freundlicher älterer Herr, der allerdings in seiner Laufbahn schon viel zu viele Chemikalien geschnuppert hat. »Das hab ich in der Tasche.«

»Wir könnten einen zusätzlichen Skiurlaub machen, wenn wir beide befördert werden«, meint Josh.

»Oder uns ein Eigenheim leisten«, antworte ich.

»Oder das«, sagt Josh weniger begeistert. Er findet Sparen langweilig. Wenn es mich nicht gäbe, wäre er arm wie eine Kirchenmaus. »Wir sehen uns in der Mittagspause, Laborratte.« Er schlendert den Gang hinunter und klatscht auf dem Weg mit Schülerinnen ein.

*

Ich habe den Mars in das Weltraummodell gehängt. Meine Hoffnung war, dass er neben dem Plakat des Sonnensystems mehr Sinn ergeben würde, aber die Laborbeleuchtung lässt ihn noch mehr wie eine Mandarine aussehen. Ich füttere meine Neonfische und wünsche ihnen ein frohes neues Jahr. Sie schnellen im Aquarium hoch und saugen jede einzelne Flocke in ihre zuckenden silbrigen Körper. Dann schrillt die Glocke, und mir wird flau im Magen.

»Wünscht mir Glück«, sage ich zu den Fischen.

Die Zehntklässlerinnen trotten herein, lassen ihre Ranzen fallen und quietschen mit den Stühlen. Sie schaffen es zuverlässig, die Atmosphäre in meinem Labor zu trüben. Wie immer sitzt Beatrice ganz vorne mit ihren zwei Flechtzöpfen, die wie Dackelohren von ihrem Kopf baumeln. Sie ist in der ersten Dienstagsstunde meine einzige Rettung. Ich atme tief ein und beginne mit dem Unterricht.

»Ich habe etwas Aufregendes zu verkünden.« Ich werde von Arabella Hartfords verspäteter Ankunft unterbrochen. Sie schlendert mit perfekt gestylten Haaren und langem Lidstrich herein. Letzten Sommer ist sie auf TikTok viral gegangen, was sie quasi zu einer Berühmtheit macht. »Du bist zu spät«, sage ich, aber sie schenkt mir keine Beachtung. Stattdessen schaut sie mein Weltraummodell schräg an.

»Wieso hängt da ein Stück Obst von der Decke?«, fragt sie.

»Das ist kein Obst«, antworte ich.

»Moooooment mal. Ist das etwa der Mars?« Sie fängt an zu kichern, was sich wie ein ansteckender Virus auf die ganze Klasse ausbreitet.

»Wieso bist du zu spät?«, frage ich in meinem strengsten Tonfall.

»Mr Butters wollte sich mit mir unterhalten. Ich habe ihm gesagt, dass ich zu spät komme, aber er hat geredet und geredet.« Das ist ihre persönliche Masche. Sie will mich glauben lassen, dass mein Verlobter auf sie steht. Aber ich bin eine erwachsene Frau, also lassen mich ihre Spielchen kalt. (Auch wenn ich mir hin und wieder ausmale, wie ich ihren Kopf in mein Aquarium tunke.)

Ich wende mich wieder der Klasse zu. »Also, wer will für diese Fachschaft fünftausend Pfund gewinnen?« Ich hebe die Hand und verkünde mit schriller Stimme: »Ich.« Zwölf Zombiegesichter starren mich an. Ich räuspere mich. »Wir treten in einem Wissenschaftswettbewerb an. Wir suchen uns ein naturwissenschaftliches Thema aus, das mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte, und stellen es einer Jury vom Imperial College vor. Wenn wir gewinnen, fördern sie die Forschung daran, und unsere Schule erhält fünftausend Pfund. Aufregend, nicht wahr?« Ashwinis Hand schießt in die Höhe, und ich kenne ihre Frage bereits. »Ja, die Teilnahme ist Pflicht.« Sie lässt die Hand sinken, und die Klasse stöhnt laut auf. »Weil er sehr bald stattfindet, müssen wir mittwochs auch unsere Mittagspause dafür opfern.« Ein weiteres Stöhnen. »Am spaßigsten ist, dass ihr selbst ein Thema wählen könnt, für das ihr brennt. Ich vermute so was wie Umweltschutz, Plastik im Ozean, Meeresschildkröten vor Strohhalmen retten. Etwas in der Art?« Beatrice ist die Einzige, die nickt, die anderen sind totenstill. Ophelia hebt die Hand. »Ja?«

»Ich interessiere mich dafür, wie die Pille sich auf das Gehirn auswirkt«, sagt sie. Plötzlich kommt Leben in die Klasse, und ein Chor aus »Jaaaaaaaaas« stimmt ihr zu.

»Nein«, sage ich und massiere mir die Schläfen.

»Warum nicht?«, ruft jemand. Ich bekomme jetzt schon Kopfschmerzen, dabei sind noch keine fünfzehn Minuten der ersten Stunde des Jahres vergangen.

»Wir repräsentieren diese Schule. Wir können keine Präsentation zu Verhütung machen.«

Ophelia kontert. »Es geht nicht um Verhütung, sondern um den weiblichen Körper. Um den Menstruationszyklus. Das ist quasi Biologie.«

»Das ist nicht nur quasi Biologie … das ist