Thorned Crowns - E.V. Grimm - E-Book

Thorned Crowns E-Book

E.V. Grimm

0,0
1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Man sagt, Dornröschen sei dazu verdammt gewesen, hundert Jahre zu schlafen. Sie haben gelogen. Die siebzehnjährige Rory Vale weiß, was es heißt, ausgehöhlt zu sein – mit fünf Jahren von ihrer königlichen Mutter verlassen, zwischen Pflegefamilien hin- und hergeschoben, ihr ganzes Leben von Abwesenheit geprägt. Als ein seltsamer Waschbärangriff ihr eine Wunde hinterlässt, aus der Dornen statt Krusten sprießen, tut Rory es als allergische Reaktion ab. Bis ihr Halbbruder, Prinz Leo, im Briarcliff-Palast in ein mysteriöses Koma fällt. Bis Mädchen in der ganzen Stadt zusammenbrechen, schwarze Adern breiten sich unter ihrer Haut aus, dornige Muster brechen aus ihrem Fleisch hervor. Bis ein mit Wachs versiegelter Brief von der Mutter eintrifft, die sie verstoßen hat: „Komm nach Hause. Du bist immun.“ Nur du kannst das wieder in Ordnung bringen.* Hinter Briarcliffs uralten Mauern entdeckt Rory, dass der Palast, den sie nie wiedersehen wollte, sich verwandelt hat – Korridore verändern sich ohne Vorwarnung, Porträts flüstern Geheimnisse und Pflanzen bewegen sich zielstrebig. Ihr Bruder schlafwandelt durch die Hallen und summt vergessene Schlaflieder, während Königin Mab klinische Experimente an komatösen Mädchen mit vertrauten Gesichtern durchführt – allesamt Nachkommen hingerichteter Königinnen. Mit Hilfe von Kai, einem Gärtner, dessen Schwester zu den Vermissten zählt, deckt Rory die Wahrheit auf: Sie wurde nicht aus Grausamkeit, sondern aus Schutzgründen ausgesetzt. Gentechnisch verändert als „Die hohle Prinzessin“ wurde Rory geschaffen, um als perfektes Gefäß für das Bewusstsein des Gartens zu dienen – ein uraltes botanisches Wesen, das Jahrhunderte auf einen geeigneten Wirt gewartet hat. Während sich die Verwandlung beschleunigt und ihr eigener Körper sie verrät, muss Rory sich entscheiden: sich dem Versprechen des Gartens von Macht und Verbundenheit zu ergeben oder um ihre Autonomie zu kämpfen, während die schwarzen Wurzeln nach ihrem Herzen greifen. Denn der wahre Fluch von Briarcliff ist nicht der endlose Schlaf – es ist das Bewusstsein, das in einem Körper gefangen ist, der nicht mehr der eigene ist. In dieser düsteren, feministischen Nacherzählung von Dornröschen verhindern Dornen nicht das Erwachen. Sie sorgen dafür, dass man nie wieder richtig schläft.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Der Flüsternde Dorn

Kapitel 2: Adern wie schwarze Wurzeln

Kapitel 3: Palast der Dornen

Kapitel 4: Der vergiftete Garten der Königin

Kapitel 5: Geheimnisse in den Archiven

Kapitel 6: Die Kirche der brennenden Hexe

Kapitel 7: Garten der gläsernen Mädchen

KAPITEL 8: MITTERNACHTSBLÜTEN

KAPITEL9:DER TEICH DER VERGESSENEN KÖNIGINNEN

KAPITEL 10: DAS ERWECKEN DES HERZENS DES GARTENS

Epilog

Impressum

Thorned Crowns

Erstes Buch der TWISTED EVER AFTER-Reihe

(Eine verdrehte Nacherzählung von Dornröschen)

von

E.V. Grimm

Thorned Crowns

Copyright © E.V. Grimm 2025

Diese Ausgabe wurde 2025 von JDI Publications veröffentlicht

Dieses Impressum von [email protected]

Das Recht von E.V. Grimm, als Autor dieses Werkes anerkannt zu werden, wurde von ihm gemäß dem Urheberrechts-, Design- und Patentgesetz von 1988 geltend gemacht

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung der Verleger reproduziert, in einem Datenabfragesystem gespeichert oder in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch, elektrostatisch, auf Magnetband, mechanisch, durch Fotokopie, Aufnahme oder auf andere Weise übertragen werden: JDI Publications, Uttaradit, 53000, Thailand

Diese Geschichten sind fiktive Werke. Namen, Charaktere, Orte und Vorfälle sind entweder Produkte der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen, Orten oder Personen, ob lebend oder tot, ist rein zufällig

Kapitel 1: Der Flüsternde Dorn

Der Waschbär lag im Sterben, und Aurora Vale wusste es in dem Moment, als sie ihn sah.

Sein verfilztes Fell glänzte mit etwas, das zu dunkel für Regenwasser und zu dickflüssig für Blut war. Die Augen des Tieres fixierten die ihren durch die Gitterstäbe der Falle - trüb, aber wachsam, feindselig auf eine Weise, die ihre Haut kribbeln ließ. Das schummrige Neonlicht des Tierheims warf seltsame Schatten auf sein Gesicht, und für einen desorientierenden Moment hätte Rory schwören können, dass sein Maul Worte formte.

»Der hat die ganze Nacht rumgetobt«, sagte Dennis, der Nachthausmeister. Er lehnte sich auf seinen Mopp und hielt sicheren Abstand. »Dr. Merritt denkt, es ist Tollwut, aber ich hab schon tollwütige Tiere gesehen. Das ist was anderes.«

Rory zog sich Gummihandschuhe an und nahm einen Fangstock von der Wand. »Hat jemand die Tierkontrolle angerufen?«

»An einem Sonntag? In Thornfield?« Dennis schnaubte. »Du siehst die Tierkontrolle vor dir, Prinzessin.«

Sie biss die Zähne beim Spitznamen zusammen. »Ich bin Freiwillige, keine Tierärztin.«

»Tja, der Doktor ist beschäftigt mit Mrs. Peabodys Ausstellungspudeln. Er meinte, wir sollen ihn bis morgen früh in Schach halten.«

Der Waschbär gab ein ersticktes Geräusch von sich - kein Fauchen, kein Knurren, sondern etwas, das zwischen Sprache und Schmerz lag. Er drückte sich gegen die Käfigstäbe und hinterließ Schlieren einer schwarzen Substanz, wie Teer oder Baumharz. Rory kauerte sich hin, um besser sehen zu können, und das Tier verharrte regungslos.

»Rooory«, schien es zu sagen, obwohl sie wusste, dass das unmöglich war.

Ihr stockte der Atem. Die Neonröhre über ihr flackerte.

»Was hast du gerade-«

Der Waschbär stürzte vor, seine Pfote schoss mit unnatürlicher Geschwindigkeit durch die Gitterstäbe. Krallen streiften ihr Handgelenk, bevor sie zurückzucken konnte. Drei dünne Blutlinien traten hervor.

»Scheiße!« Dennis sprang zurück. »Alles okay bei dir?«

Rory umklammerte ihr Handgelenk und erwartete Schmerz, erwartete das Brennen einer Infektion oder Schlimmeres – aber der Kratzer pulsierte nur mit einer dumpfen Wärme.

»Mir geht's gut«, log sie.

Der Waschbär brach zusammen und zuckte krampfhaft. Schwarze Flüssigkeit sickerte aus seinem Maul, seinen Ohren, sogar aus seinen Augen. Jeder Tropfen, der den Betonboden traf, zischte.

»Wir müssen ihn einschläfern«, sagte sie mit einer Stimme, die ruhiger war als ihre Hände.

Dennis wurde blass. »Ich mach keine Einschläferungen.«

»Dann hol mir das Kit. Oder wir warten, bis es noch mehr leidet.«

Während er davoneilte, kniete sich Rory erneut hin. Das sterbende Tier lag still, sein Blick auf sie gerichtet.

»Was bist du?«, flüsterte sie.

Sein Maul öffnete sich. Diesmal war sie sich sicher:

»Hoooohl.«

Die Deckenleuchte flackerte heftig und stabilisierte sich dann wieder. Die Augen des Waschbären wurden glasig.

Sie ging unter einem Himmel nach Hause, der von tiefen Wolken geschwollen war. Die Straßen in der Nachbarschaft glänzten vom Regen, obwohl es seit Stunden nicht mehr gestürmt hatte. Die Luft fühlte sich feucht an und seltsam duftend - wie überreife Rosen. Rory hielt die Ärmel ihres Hoodies tief über ihre Hände gezogen und vermied es, auf ihr Handgelenk zu schauen, auch wenn es unter dem Stoff kribbelte.

Sie kam an einer Gruppe streunender Katzen vorbei, die neben einem Briefkasten hockten. Sie fauchten sie im Chor an, ihre Augen glänzten wie winzige Laternen. Eine von ihnen knurrte, tief und guttural. Kein Katzengeräusch. Nicht ganz.

Sie beschleunigte ihren Schritt. Als sie zurückblickte, beobachteten sie sie immer noch.

Ihr Handy vibrierte. Ein verpasster Anruf von der Schule. Eine Sprachnachricht, die sie nicht öffnete. Das Telefon fühlte sich schwer in ihrer Hand an, als würde es mehr als nur Worte tragen.

Am Rand des Parks blieb sie stehen. Das Gras wurde braun und kräuselte sich nach innen, trotz des Regens der letzten Woche. Eine Reihe von Rosensträuchern säumte den Weg. Sie blühten - Spätsaison, zu üppig, zu rot - und als sie vorbeiging, zitterten die Blütenblätter.

Eine Blüte drehte sich unmerklich zu ihr. Sie stolperte zurück, ihr Herz machte einen Satz. Nichts bewegte sich. Kein Wind. Kein Geräusch.

Nur der Duft: Kupfer und Zucker.

Als sie das Haus erreichte, hatte die Dämmerung sich wie eine schwere Decke über die Nachbarschaft gelegt. Jess' Auto war weg. Die Verandalampe flackerte, als sie die Tür aufschloss, und für einen kurzen Moment schwor sie, dass sie Flüstern in den Wänden hörte – trocken und kratzend, wie Wind durch Dornen.

Drinnen war die Luft abgestanden. Ihr Pflegeheim roch leicht nach Mikrowellenessen, Lavendelreiniger und etwas, das sie nicht einordnen konnte – Erde, vielleicht. Sie wusch ihre Hände, obwohl sie sich nicht schmutzig anfühlten. Sie begutachtete den Kratzer. Die Haut war blau angelaufen, die Linien etwas dunkler. Eine Erinnerung regte sich in ihrem Hinterkopf – eine Geschichte, die sie nicht zuordnen konnte. Eine Gestalt, die aus dem Boden aufstieg.

Sie dachte an die Stimme des Waschbären, wie er ihren Namen gesagt hatte. Niemand hatte ihren vollen Namen seit Jahren ausgesprochen – nicht so. Rory war sicherer. Langweiliger. Weniger... erinnert.

Jess wartete am nächsten Morgen in der Küche, schlürfte Instantkaffee aus einer angeschlagenen Tasse und blätterte durch Papierkram. »Du siehst beschissen aus«, sagte sie, ohne aufzublicken. »Wieder Waschbär dienst?«

Rory brummte und setzte sich an den Tresen. Der Verband an ihrem Handgelenk zog bei jeder Bewegung. Sie widerstand dem Drang zu kratzen. Ihre Träume waren erfüllt gewesen von Feuer und Stimmen, mit Dornen, die unter ihrer Haut krochen.

Jess fragte nicht weiter. Das war ihre Vereinbarung – gegenseitiges Schweigen, es sei denn, das Haus stünde in Flammen.

Ein Paket lag auf dem Tisch. Tiefroter Umschlag, Wachssiegel mit einer gekrönten Schere. Die Luft schien in seiner Nähe kälter zu sein.

»Sonderlieferung«, sagte Jess. »Persönlich zugestellt. Und deine Schule hat angerufen. Schon wieder.«

Rorys Magen zog sich zusammen. Sie erkannte das Siegel sofort.

»Was wollte Direktor Weaver diesmal?«

»Anwesenheit. Beteiligung. Das übliche Lied. Du bist klug, Rory. Du musst nur diese letzten drei Monate durchstehen. Vermassle es jetzt nicht.«

»Ja, nun, vielleicht bin ich es einfach leid, hier zu sein«, murmelte Rory.

Jess hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. Rory stand auf und schnappte sich den Umschlag. Die Stille spannte sich zwischen ihnen wie ein Draht.

Sie trug ihn nach oben, ohne ihn zu öffnen. Schloss sich im Badezimmer ein und setzte sich auf den Wannenrand. Ihr Spiegelbild sah fremd aus – blass, mit hohlen Augen, etwas, das sich hinter den Pupillen bewegte.

Sie brach das Wachs auf. Drinnen: ein Blatt dickes Pergamentpapier.

Aurora,

Man benötigt Sie im Palast. Ihr Bruder ist an einer Krankheit erkrankt, die jeder gewöhnlichen Behandlung trotzt. Tests deuten darauf hin, dass Sie gegen das, was ihn plagt, immun sein könnten. Ich würde nicht fragen, wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe.

Am Dienstag um zwölf Uhr wird ein Wagen geschickt. Seien Sie bereit.

- M

Kein »bitte«. Keine Entschuldigung. Nur Mab. Immer Mab.

Rory starrte auf den Brief und wartete auf Wut. Aber sie kam nicht. Nur das hohle Drücken der Unvermeidlichkeit.

Sie griff nach ihrem Feuerzeug. Das teure Papier kräuselte sich, schwärzte und löste sich im Waschbecken auf.

Zu wenig. Zu spät.

Der Juckreiz kehrte zurück. Sie rollte ihren Ärmel hoch. Der Kratzer war nicht mehr nur rot – er war dunkler, tiefer, als ob die Adern darum herum schwarz geworden wären. In der Mitte: eine winzige grüne Knospe.

Sie schrubbte daran. Nichts änderte sich.

Der Spiegel beschlug, obwohl das Wasser kalt war.

Und dann erschien hinter ihrem Spiegelbild eine andere Frau – gekrönt mit Dornen, gehüllt in Rauch. Ihre Augen waren sturmgrau, erfüllt von Kummer und Flammen.

Rory starrte wie angewurzelt. Die Frau bewegte sich nicht, sprach nicht – bis sich ihre Lippen öffneten.

Sie sah der brennenden Hexe zu.

Ein einzelnes schwarzes Blütenblatt fiel aus Rorys Mund ins Waschbecken.

Sie zuckte zurück und hustete. Ihr Atem bildete Nebel.

Das Mal pulsierte unter ihrer Haut. Ein Flüstern hallte in ihren Knochen wider.

Dies war nicht der Anfang.

Etwas hatte bereits begonnen.

Kapitel 2: Adern wie schwarze Wurzeln

Der Fernseher in der Cafeteria flimmerte, sein altertümlicher Bildschirm zog für einen Montag eine ungewöhnlich große Menschenmenge an. Rory drängte sich näher, Neugier kribbelte wie ein Ausschlag unter ihrer Haut.

"-fünfter Fall wurde heute Morgen bestätigt", sagte der Nachrichtensprecher mit grimmigem Blick hinter seinem plastischen Glanz. "Obwohl die Behörden zur Ruhe mahnen, wächst die Besorgnis, da Prinz Leonard Vale weiterhin im Briarcliff-Palast in kritischem Zustand liegt."

Die Aufnahmen zeigten Ärzte in Schutzanzügen, die durch die Palasttore verschwanden. Darunter lief ein roter Lauftext: BRIARCLIFF-VIRUS - NEUROLOGISCHER AUSBRUCH ODER MEHR?

»Hey, ist Vale nicht auch dein Nachname?« Mina Chen schob sich neben sie, mit großen Augen hinter ihrer Retro-Brille. »Also, dein richtiger?«

Rory versteifte sich. Die meisten an der Thornfield High wussten, dass sie in einer Pflegefamilie lebte. Nur wenige brachten sie mit der königlichen Familie in Verbindung. Sie hasste den Klang ihres vollen Namens im Mund anderer, als ob er nicht wirklich zu ihr gehörte.

»Das ist ein häufiger Name«, murmelte sie.

Mina scrollte bereits. »Schau mal – Leo Vale ist gestern während einer Zeremonie zusammengebrochen. Sie sagen, es ist wie ein Koma, aber anders.« Sie hielt ein Foto von einem kaum zwölfjährigen Jungen hin, blass und bewusstlos unter Krankenhauslaken. »Jetzt fallen auch Mädchen ins Koma. Sie... wachen einfach nicht mehr auf.«

Rorys Blut gefror. Der verbrannte Brief von Mab spielte sich in ihrem Kopf ab:

Dein Bruder ist erkrankt... Tests deuten darauf hin, dass du immun sein könntest.

Der Nachrichtensprecher fuhr fort: »Drei weitere Mädchen zwischen neun und fünfzehn Jahren wurden heute Morgen eingeliefert, alle zeigen einen Ausschlag und plötzlichen neurologischen Ausfall-«

Statisches Rauschen zog über den Bildschirm. Für eine halbe Sekunde wurde die Krawatte des Sprechers blau. Sein Gesicht veränderte sich – nur minimal – und kehrte dann zum Normalzustand zurück.

»Hast du das gesehen?«, fragte Rory.

Aber Mina war bereits abgelenkt, gefesselt von ihrem Handy.

Rory stand wie erstarrt da. Die Sendung lief weiter: »...die Behörden betonen, dass kein Grund zur Beunruhigung besteht.«

Die Glocke läutete. Die Schüler verstreuten sich. Rorys Blick verweilte auf dem letzten Bild: der Arm eines bewusstlosen Mädchens, mit dornenartigen Mustern unter der Haut.

Muster, die den spinnenartigen Linien an Rorys Handgelenk viel zu ähnlich sahen.

Im Tierheim herrschte an diesem Nachmittag gedämpfte Stimmung. Selbst die lautesten Hunde wimmerten nur.

Rory saß auf einem Metallhocker im Labor und beobachtete, wie Doc Merritt hinter ihrem Schreibtisch auf und ab ging. Ein Ventilator summte in der Ecke und wirbelte den Geruch von Desinfektionsmittel und Fell auf. Ihr Handgelenk pochte unter dem Verband.

»Kein Tollwut«, sagte Merritt. »Keine zoonotische Infektion, die ich je gesehen habe.«

Sie schob einen Objektträger zu Rory. »Sieh selbst.«

Unter der Linse sah Rory längliche Zellen – aderartige Strukturen, die sich wie Wurzeln verzweigten und leicht pulsierten. Lebendig.

»Das war in seinem Blutkreislauf«, sagte Merritt. »Und in seinem Gehirn.«

Rorys Haut kribbelte. »Ist es pflanzlich oder tierisch?«

»Ein unheiliger Hybrid. Ich habe die Proben zur Bestätigung an die Universität geschickt. Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte.« Merritt rieb sich die Stirn. »Es ist lange her, dass ich etwas gesehen habe, das ich nicht klassifizieren konnte.«

»Lange her?«, fragte Rory.

Merritt zögerte. »Vor etwa neun Jahren wurde ein Hund eingeliefert. Innere Blutungen, neurologisches Versagen. Nichts wie das hier... aber das Blut hatte denselben Geruch.«

»Welchen Geruch?«

»Verwesung. Aber süß, wie Kompost nach Regen.«

Rory berührte instinktiv ihr Handgelenk.

Merritt bemerkte es. »Sie sollten das untersuchen lassen. Nur für den Fall.«

»Werde ich«, log Rory.

Später wischte sie in Stille die Zwingerfußböden. Ihre Gedanken kreisten um den Waschbären, die Nachrichten, den Umschlag. Um Mab.

Sie erinnerte sich an das letzte Mal, als sie ihre Mutter gesehen hatte. Sechs Jahre alt. Leo hatte gehustet, Mab war wie eine Sturmfront in Seide in das Pflegeheim gefegt. Rory erinnerte sich an ihr Parfüm – Jasmin und Nelken – und wie die Frau kein einziges Mal Blickkontakt hergestellt hatte.

»Du wirst hier sicherer sein«, hatte Mab gesagt.

Sicherer wovor?

Ihr Handy vibrierte erneut. Eine Nachricht von Mina:

Alles okay bei dir? Du hast vorhin komisch ausgesehen.

Sie begann eine Antwort zu tippen – *Alles gut. Nur müde.* Dann löschte sie es.

Was würde sie überhaupt sagen? Dass ihrem Handgelenk Wurzeln wuchsen?

---ENDE DER LESEPROBE---