Thriller Quartett 4037 - 4 Krimis in einem Band - Alfred Bekker - E-Book

Thriller Quartett 4037 - 4 Krimis in einem Band E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: YYY Alfred Bekker: Tiefster Hass Earl Warren: Bount Reiniger oder Lieber erben als sterben Earl Warren: Lebenslänglich für Bount Reiniger Earl Warren: Bount Reiniger und der Club der Leichenmacher Bount Reiniger pirschte durch den Steinbruch in den Catskills. Die Wälder rundum hatten buntes Laub. Die Oktobersonne schien viel zu heiß für die Jahreszeit. Bount steckte in einem tarnfarbenen Kampfanzug. Handgranaten hingen am Gürtel. In den Händen hielt er ein AR-16-Schnellfeuergewehr. Am Stahlhelm auf seinem Kopf waren Zweige zur Tarnung befestigt. Ein rollender Stein alarmierte Bount. Er wirbelte herum. Doch er sah schon in die Gewehrmündung des Gegners. Der breitschultrige Mann im Kampfanzug hatte sein Gesicht schwarz bemalt. »Jetzt bist du dran«, sagte der andere mit tiefer Genugtuung. Sein Sturmgewehr blitzte auf. Bount spürte harte Schläge gegen die Brust. Er rollte über den Boden und verlor das Gewehr. Die Garbe verstummte. Der andere näherte sich und stieß Bount Reiniger mit seinen Springerstiefeln an. Blitzschnell trat Bount ihm die Beine weg. »Du bist tot«, beschwerte sich der andere empört.

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Earl Warren, Alfred Bekker

Thriller Quartett 4037 - 4 Krimis in einem Band

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 4037 - 4 Krimis in einem Band

Copyright

Tiefster Hass

Bount Reiniger oder Lieber erben als sterben

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Lebenslänglich für Bount Reiniger

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Bount Reiniger und der Club der Leichenmacher

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Thriller Quartett 4037 - 4 Krimis in einem Band

von Alfred Bekker, Earl Warren

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Tiefster Hass

Earl Warren: Bount Reiniger oder Lieber erben als sterben

Earl Warren: Lebenslänglich für Bount Reiniger

Earl Warren: Bount Reiniger und der Club der Leichenmacher

Bount Reiniger pirschte durch den Steinbruch in den Catskills. Die Wälder rundum hatten buntes Laub. Die Oktobersonne schien viel zu heiß für die Jahreszeit.

Bount steckte in einem tarnfarbenen Kampfanzug. Handgranaten hingen am Gürtel. In den Händen hielt er ein AR-16-Schnellfeuergewehr. Am Stahlhelm auf seinem Kopf waren Zweige zur Tarnung befestigt.

Ein rollender Stein alarmierte Bount. Er wirbelte herum. Doch er sah schon in die Gewehrmündung des Gegners. Der breitschultrige Mann im Kampfanzug hatte sein Gesicht schwarz bemalt.

»Jetzt bist du dran«, sagte der andere mit tiefer Genugtuung.

Sein Sturmgewehr blitzte auf. Bount spürte harte Schläge gegen die Brust. Er rollte über den Boden und verlor das Gewehr. Die Garbe verstummte. Der andere näherte sich und stieß Bount Reiniger mit seinen Springerstiefeln an.

Blitzschnell trat Bount ihm die Beine weg.

»Du bist tot«, beschwerte sich der andere empört.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Alles rund um Belletristik!

Tiefster Hass

Kriminalroman von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.

Eine Reihe von Anschlägen auf Kliniken stellt die Ermittler vor ein Rätsel. Stecken radikale Aktivisten dahinter? Als dann das Morden beginnt, müssen die Fahnder umdenken...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker.

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

„Sie können schon gehen, Meredith.“

Dr. Miles Guthrie saß hinter seinem Schreibtisch und sah einige Laborwerte durch, die gerade noch per Kurier in die Praxis gebracht worden waren.

„Bis Morgen, Dr. Guthrie.“

„Ich sehe mir nur noch kurz die Befunde an, dann gehe ich auch nach Hause!“

Miles Guthrie hörte, wie die Schritte seiner Arzthelferin auf dem Flur verklangen. Wenig später fiel die Tür ins Schloss.

Guthrie überflog die Laborergebnisse.

Das Telefon klingelte. Guthrie nahm den Hörer ans Ohr.

„Miles Guthrie?“, krächzte eine verzerrte Stimme.

„Am Apparat.“

„Du Kindermörder!“

„Hören Sie, ich…“

„Aber noch heute Abend wirst du selbst tot sein.“

Es machte klick. Die Verbindung war unterbrochen.

Guthrie seufzte hörbar.

Dieser Spinner hat mir gerade noch gefehlt!, dachte er. Als ein Gynäkologe, in dessen Praxis im Rahmen der gesetzlichen Grenzen auch Abtreibungen durchgeführt wurden, war es gewöhnt, dass religiöse Fanatiker und sogenannte Lebensschützer in ihm eine willkommene Zielscheibe ihrer Kampagnen sahen. Das war auch der Grund dafür, dass Guthrie seine Praxis im Brandon Tower, 332 Washington Lane, Hoboken eingerichtet hatte - einem Gebäude mit erstklassigem Sicherheitsstandard. Rund um die Uhr sorgten die bewaffneten Security Guards eines privaten Sicherheitsunternehmens dafür, dass kein Unbefugter ins Gebäude gelangen konnte. Flure, die Eingangshalle und die Aufzüge waren ebenso mit einer Videoüberwachungsanlage ausgestattet wie das zum Brandon Tower gehörige unterirdische Parkhaus.

Seit Guthrie vor drei Jahren auf einem Ärztekongress von einem fanatischen Lebensschützer mit einem Messer angegriffen worden war, trug er häufig einen Revolver bei sich.

Guthrie legte die Befunde zur Seite. Er konnte sich jetzt einfach nicht mehr auf die Ergebnisse konzentrieren.

Immerhin, das hast du erreicht, Krächzer!, dachte Guthrie.

Krächzer – das war der Name, den er diesem Anrufer für sich persönlich gegeben hatte. Der Krächzer verfolgte ihn schon seit langem mit seinen Todesankündigungen. Manchmal täglich, dann wieder nur alle vier bis fünf Wochen. Die Polizei hatte die Identität des Krächzers bisher nicht herausbekommen. Alles, was man wusste, war, dass er mindestens dreimal von einer bestimmten Telefonzelle in der Nähe des Times Square angerufen hatte und ansonsten verschiedene Prepaid Handys benutzt. Außerdem gehörte der Krächzer zu einem guten Dutzend Anrufern, die Guthrie mehr oder minder regelmäßig mit Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen bedachten. Zwei von ihnen hatte die Polizei erwischt.

Die meisten von ihnen nahm Guthrie nicht besonders ernst. Ihre Rhetorik mochte martialisch klingen, aber Guthrie schätzte die Meisten von ihnen als harmlos ein. Menschen, für die es nur schwarz oder weiß gab und die nicht bereit waren, sich mit der Not, die eine Frau vielleicht zu der Entscheidung trieb, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, überhaupt zu beschäftigen.

Aber Guthrie wusste spätestens seit dem Messeranschlag auf dem Ärztekongress, dass es eine kleine Minderheit in den Reihen der Abtreibungsgegner gab, die bereit waren, weiter zu gehen.

Einmal war sein Wagen angezündet worden. Die Polizei hatte die Täter bislang ebenso wenig ermitteln können, wie die Identität des Krächzers und der anderen Anrufer. Manche von ihnen waren für Guthrie im Laufe der Zeit zu so etwas wie guten Bekannten geworden.

Guthrie versuchte so wenig wie möglich daran zu denken, dass da draußen vielleicht tatsächlich jemand auf ihn lauern mochte.

Der Arzt war überzeugt davon, dass seine Arbeit wichtig war und getan werden musste. Also setzte er sie trotz der damit verbundenen Gefahren fort und versuchte ansonsten einfach, alle nur denkbaren Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.

Miles Guthrie streifte den weißen Kittel ab, hängte ihn an einen Haken an der Wand seines Behandlungszimmers, ging in den Vorraum und nahm Jackett und Mantel von der Garderobe.

Kurz bevor er die Praxis verlassen wollte, klingelte noch einmal das Telefon.

Guthrie zögerte. Eine Frau in Not oder der Krächzer – beides war möglich. Schließlich gab Guthrie sich einen Ruck, ging zum Tresen, hinter dem Meredith normalerweise ihren Platz hatte und nahm das Gespräch entgegen. „Unbekannter Anrufer“ stand im Display.

„Hier Dr. Guthrie“, meldete er sich.

Auf der anderen Seite der Leitung war nur ein schweres Atmen zu hören. Dann machte es klick und die Verbindung war unterbrochen.

Der Schweiger!, dachte Guthrie. Von dir habe ich schon länger nichts mehr gehört!

2

Guthrie ging zu den Aufzügen. Unterwegs begegneten ihm vor allem Raumpflegerinnen und Angehörige des Wachpersonals. Nur ab und zu mischte sich noch einer der Anwälte und Architekten, deren Büros im Brandon Tower ebenfalls zu finden waren, dazwischen.

Mit dem Aufzug ging es hinab in die Tiefgarage. Überall folgten ihm Kameraaugen.

Guthrie fuhr einen Porsche. Ein fester Platz war für ihn reserviert.

Bis auf zwanzig Yards hatte er sich dem Wagen genähert, als plötzlich das Licht ausging. Es war stockdunkel. Nur noch Schwärze umgab ihn. Miles Guthrie griff unter das Jackett, wo er seinen Revolver trug. Er zog den kurzläufigen 38er hervor und war vollkommen orientierungslos. Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Da war nichts, auf das er hätte zielen können.

Er konnte nicht die Hand vor Augen sehen.

Wie blind stand er da.

Er griff zum Handy. Nicht, weil er hoffte, eine Verbindung zu bekommen. In diesen Katakomben war jeder Netzkontakt ausgeschlossen. Aber das Display war eine Lichtquelle - wenn auch keine besonders starke.

Er klappte das Gerät auf.

Ein schwacher Schein leuchtete auf.

Nur Sekundenbruchteile, nachdem das Display aufblitzte, ertönte ein Geräusch, das an ein kräftiges Niesen erinnerte. Blutrot leuchtete Mündungsfeuer auf. Zweimal kurz hintereinander geschah das.

Guthrie fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden. Das Handy und der 38er Revolver entglitten seinen Händen und rutschten über den Asphalt. Einen Augenblick lang leuchtete das Display noch, dann schaltete es sich automatisch ab.

Schritte hallten in der Dunkelheit.

Ein letzter, gedämpfter Schuss war zu hören. Aber diesmal war noch nicht einmal Mündungsfeuer zu sehen, denn der Killer hatte die Mündung direkt auf die Schläfe des regungslos daliegenden Opfers gehalten.

3

Ich holte meinen Kollegen Milo Tucker wie beinahe jeden Tag an der bekannten Ecke ab. Er konnte ein Gähnen nicht unterdrücken. Mir ging es nicht anders.

„Ich hoffe, Mandys Kaffee sorgt gleich dafür, dass wir nicht einschlafen!“, sagte Milo.

Ich grinste. „Das ist der Nachteil des bequemen Sitzmobiliars in Mister McKees Büro.“

Wir hatten eine lange Nacht hinter uns. Viele Stunden hatten wir uns zusammen mit einem Dutzend anderer Kollegen des FBI Field Office New York um die Ohren schlagen müssen, um Ricky Fratella, den Chef eines Drogenrings auf frischer Tat bei einem Deal zu ertappen. Fratella hatte geglaubt, das Geschäft seines Lebens machen zu können. In Wirklichkeit war er in eine Falle getappt. Monatelange, sehr aufwendige Ermittlungen konnten damit wahrscheinlich zum Abschluss gebracht werden.

Eine halbe Stunde später fanden wir uns im Besprechungszimmer von Mr Jonathan D. McKee, dem Chef unseres Field Office ein.

Außer uns waren noch die Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina sowie die Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell anwesend.

Mr McKee wartete, bis Mandy allen einen Becher Kaffee serviert hatte. Die Sekretärin unsers Chefs wollte gerade den Raum verlassen, da traf auch unser Innendienstler Max Carter ein. „Wenigstens sind wir nicht die Letzten, Jesse!“, raunte Milo mir zu, während ich mir bereits den ersten Schluck Kaffee genehmigte.

„Guten Morgen“, begrüßte uns Mr McKee. „Da alle Anwesenden an der gestrigen Operation gegen Ricky Fratella beteiligt gewesen sind, möchte ich Ihnen mein ausdrückliches Lob aussprechen. Das war gute Arbeit! Ich habe heute Morgen bereits mit Bezirksstaatsanwalt Thornton telefoniert und er ist sehr zuversichtlich, dass die Anklage bei Ricky Fratella und seinen Helfershelfern auf sicheren Füßen steht. Und das verdanken wir in erster Linie der sorgfältigen Ermittlungsarbeit und der gewissenhaften Beweissicherung, die von den Mitarbeitern dieses Field Office geleistet wurde.“ Mr McKee machte eine kurze Pause. Ohne einen weiteren Übergang kam er nun zu seinem Hauptanliegen – dem neuen Fall, mit dem er zumindest einen Teil der Agenten unseres Field Office betrauen würde. „Ich weiß, dass Ihnen allen die letzte Nacht noch sehr in Knochen steckt, aber wir können uns leider keine Pause gönnen. Heute Morgen wurden wir offiziell mit den Ermittlungen in einem Fall betraut, der bereits jetzt die Medien beschäftigt wie kaum ein anderer Mordfall der letzten Jahre. Es geht um den Fall Miles Guthrie. Jeder von Ihnen, der während Fahrt hier her die Frühnachrichten gehört hat, müsste die wesentlichen Fakten bereits kennen.“

Ich hatte die Meldung über den Tod des Arztes Dr. Miles Guthrie auch gehört – war allerdings nur mit halbem Ohr bei der Sache gewesen. Der Meldung nach war Guthrie am Vorabend in einer Tiefgarage erschossen worden, nachdem er monatelang von militanten Abtreibungsgegnern und sogenannten Lebensschützern bedroht worden war. Natürlich kochten die Emotionen auch unter den Hörern der Radiosender bereits hoch, noch bevor überhaupt nähere Umstände der Tat bekannt waren. Die Hörer waren vom Sender aufgefordert worden, anzurufen und ihre Meinung zu äußern, wovon die New Yorker ausgiebig Gebrauch machten. Während die einen in Guthries Tod die gerechte Strafe für einen vielfachen Kindermörder sahen, waren andere empört darüber, mit welch brutalen Methoden religiöse christliche Gruppen Ärzte einzuschüchtern versuchten, die letztlich nichts anderes taten, als sich nach den bestehenden Gesetzen zu richten.

Über die näheren Hintergründe der Tat war natürlich noch so gut wie nichts bekannt. Alles, was bisher auf dem Tisch lag waren Vermutungen.

Mr McKee hob die Augenbrauen. „Dr. Guthrie hatte seine Praxis im Brandon Tower von Hoboken und Sie werden sich mit Recht fragen, was wir mit dem Fall zu tun haben. Schließlich wäre dafür normalerweise eine der drei Homicide Squads der Polizei von Hoboken zuständig. Und falls man denen dies aufgrund des gewaltigen öffentlichen Interesses an dem Fall nicht zutrauen würde, wären schließlich zunächst unsere Kollegen vom FBI Field Office New Jersey dran. Der Umstand, der diesen Fall auf unseren Schreibtisch gebracht hat, ist Dr. Guthries Wohnsitz. Er lebt hier in New York. Außerdem bestehen vermutlich Zusammenhänge mit einer Reihe von Anschlägen auf Kliniken und Arztpraxen, in denen legale Abtreibungen durchgeführt wurden und die sich allesamt auf dem Gebiet der Stadt und des Staates New York befinden. Es erschien daher sinnvoll, uns die Ermittlungen führen zu lassen.“ Mr McKee wandte sich an Max Carter. „Bitte, Sie haben auf die Schnelle bereits einiges über Guthrie zusammengetragen und auch ein paar Ansatzpunkte für unsere Ermittlungen gefunden.“

Max nickte. Während Mr McKees Ausführungen war er damit beschäftigt gewesen, das Laptop hochzufahren und den Beamer zu installieren.

Wenig später erschien das Gesicht eines grauhaarigen, energisch dreinblickenden Mannes. Die Augen waren strahlend blau, das Kinn wirkte markant, die Nase war lang und gerade.

„Dieses Foto stammt aus der Presse“, sagte Max. „Man kann es im Internet finden und wurde anlässlich eines gynäkologischen Symposiums an der Columbia University im vergangenen Jahr aufgenommen. Vor drei Jahren wurde Guthrie Opfer einer Messerattacke auf einem medizinischen Kongress hier in New York. Er wurde nur leicht verletzt. Die Täterin war eine gewisse Alana Matthews. Da sie als Aktivistin einer radikalen Gruppe von sogenannten Lebensschützern wegen verschiedener einschlägiger Delikte bereits vorbestraft war, bekam sie keine Bewährung mehr und verbrachte anderthalb Jahre auf Rikers Island, bevor sie wieder auf freien Fuß kam. Seitdem ist sie nicht mehr straffällig geworden. Von der Gruppe, der sie damals angehörte, haben wir dafür umso mehr gehört. Sie nennt sich LIFE IS DIVINE oder kurz LID und gehört zu den radikalsten Gruppen in der Szene der sogenannten Lebensschützer. Angeführt wird diese Organisation von Moses Garrison, einem charismatischen Prediger, der von sich behauptet, früher Missionar in den Urwäldern am Amazonas gewesen zu sein.“

„Gibt es irgendetwas, das eine konkrete Verbindung zwischen Dr. Guthrie und LID herstellt?“, erkundigte sich Mr McKee, nachdem er an seinen Kaffeebecher genippt hatte.

Max nickte. „Die gibt es tatsächlich! Dr. Guthrie wurde laut Angaben des Hoboken Police Department seit langem telefonisch belästigt und mit Drohbriefen überhäuft, wie es vielen Medizinern geht, die auf seinem Gebiet tätig sind und zu der Problematik eine aufgeklärte Haltung haben. Die meisten dieser anonymen Quälgeister ließen sich nie ermitteln, aber gegen zwei Personen wurden eine Geldstrafe und eine gerichtliche Verfügung verhängt, nach der die Täter unter Androhung von Haft weder telefonisch noch sonst wie Kontakt mit Dr. Guthrie aufnehmen oder sich seiner Praxis oder seiner Wohnung nähern durften.“

„Fragt sich nur, ob sie sich auch daran gehalten haben“, warf unser indianischer Kollege Orry Medina ein.

„Die beiden heißen George Braddock und Michael Matlanovich“, fuhr Max fort. „Ihre Adressen sind bekannt. Die gerichtlichen Auflagen beinhalten auch eine Meldepflicht bei jedem Umzug innerhalb der nächsten zwei Jahre. Also können wir davon ausgehen, dass die Adressen stimmen.“

Mr McKee wandte sich an Jay und Leslie. „Sie beide kümmern sich um Matlanovich und Braddock. Wir brauchen ihr Alibi und müssen wissen, ob sie sich in die gerichtlichen Anordnungen gehalten oder Dr. Guthrie weiter schikaniert haben.

„In Ordnung“, nickte Jay.

„Es gibt da noch ein weiteres interessantes Detail“, erklärte Max. „Sowohl Matlanovich als auch Braddock arbeiteten zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung als Ordner bei den Veranstaltungen von Moses Garrison und seiner Organisation.“

„Auf jeden Fall ist die Verbindung Grund genug, diese Organisation mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen, zumal sie mit einer ganzen Anzahl von weiteren einschlägigen Delikten in Verbindung gebracht werden“, äußerte Max seine Einschätzung. „So wurde vor vier Wochen im St. Joseph’s Hospital in Queens ein Stromausfall von LID-Aktivisten herbeigeführt, der dazu führte, dass sämtliche Operationen – damit auch zwei Abtreibungen – abgesetzt werden mussten.“

„Was ist mit den Tätern?“, hakte Mr McKee nach.

„William C. Blaise und Tara McMillan – beides Aktivisten von LID. Die beiden sind untergetaucht, die City Police fahndet nach ihnen. Vermutlich waren noch weitere Täter an dem Anschlag beteiligt, aber anhand der Aufnahmen der Überwachungskameras konnten nur diese beiden zweifelsfrei identifiziert werden.“

„Da das jetzt unser Fall ist, werden wir auch dort ansetzen“, erklärte Mr McKee. „Vielleicht könnten Sie uns noch ein paar Worte zu den Zielen sagen, die LIVE IS DIVINE verfolgt!“

Max nickte und blätterte in einer Mappe mit Computerausdrucken und Notizen. „Gerne“, sagte er. „Kristallisationspunkt ist der Prediger Moses Garrison. Er wurde als Robert Garrison geboren und änderte seinen Namen auf legalem Weg, nach dem er seine sogenannte Wiedergeburt als Christ erlebte. Seitdem zieht er als charismatischer Prediger durch das Land und wettert in Football-Stadien und Eishockey-Arenen gegen Abtreibung, Homosexualität und Sittenverfall. Außerdem hat er wöchentlich eine Sendung auf dem Kabelsender ‚God’s Television’, den hier in New York eigentlich jeder empfangen können müsste.“

„Und wer finanziert diesen Garrison?“, fragte Clive. Der flachsblonde Italoamerikaner war nach Mr McKee der zweite Mann in der Hierarchie des Field Office.

„Garrison erwirtschaftet mit seinen Auftritten und den dazugehörigen Büchern, Videos etc. ein Millionenvermögen, von dem der größte Teil einer Stiftung mit der Bezeichnung LIFE IS DIVINE FOUNDATION zufließt“, berichtete Max. Er wandte das Gesicht Mr McKee zu und fuhr fort: „Ich werde nachher mit Nat sprechen, dass er diese Stiftung und die mit ihr zusammenhängenden Finanzströme mal etwas genauer unter die Lupe nimmt.“

„Tun Sie das“, stimmte Mr McKee zu. „Aber dazu werden Sie frühestens heute Mittag Gelegenheit haben, denn zurzeit ist Nat beim Zahnarzt und lässt sich eine Wurzel behandeln.“

Nat Norton war bei uns im Field Office der Spezialist für Betriebswirtschaft. Häufig genug waren gerade seine Erkenntnisse es, die uns durch das Aufspüren verdeckter Geldströme bei unseren Ermittlungen auf den richtigen Weg brachten.

Mr McKee wandte sich an Milo und mich. „Ich möchte, dass Sie beide sich zusammen mit einigen Kollegen aus unserem Erkennungsdienst nach Hoboken begeben, zum die Verhältnisse am Tatort genauer zu untersuchen, sich mit den Kollegen des Hoboken Police Department kurzschließen.“

„In Ordnung, Sir“, nickte ich.

„Clive, Sie nehmen sich diesen Moses Garrison vor.“

„Er wird seine Hände in Unschuld waschen!“, erwiderte der Italoamerikaner.

Mr McKee teilte diese Einschätzung. „Natürlich. Vermutlich ist er im juristischen Sinn gesehen sogar unschuldig, auch wenn sich die eigentlichen Täter von ihm haben inspirieren lassen. Jedenfalls nehme ich nicht an, dass diese Bewegung so straff geführt ist, dass er eine direkte Befehlsgewalt hätte.“

„Oh, ich widerspreche Ihnen ungern, Mister McKee“, mischte sich Max ein. „Was Sie sagen, mag für andere charismatische Erweckungsprediger ja im Allgemeinen zutreffen, aber was Garrison angeht, wissen wir ehrlich gesagt noch gar nicht so viel über die Führungsstrukturen dieser Organisation. Auf wirtschaftlicher Ebene gibt es diese bereits erwähnte Stiftung und ansonsten hat er sicher einen großen Pulk von Anhängern, die eher locker mit ihm und seinen Idee verbunden sind. Aber davon abgesehen scheint es innerhalb dieser Anhängerschaft durchaus Kreise zu geben, die sehr viel strengere Organisationsformen angenommen haben und sich stark nach außen abschotten. In wie fern Garrison hier über eine direkte Befehlsgewalt verfügt und vielleicht sogar konkretere Aktionen anordnen kann, ist noch lange nicht geklärt.“

„Wie auch immer, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Mörder von Dr. Guthrie und die Urheber einiger weiterer krimineller Aktionen gegen Abtreibungskliniken und –praxen im direkten Umfeld dieses Predigers zu finden sind“, schloss Mr McKee.

„Zurzeit versuchen wir gerade den gegenwärtigen Aufenthaltsort von Alana Matthews ausfindig zu machen“, erklärte Max.

„Ich denke, wir hätten damit zunächst einmal alles besprochen“, stellte Mr McKee fest. „Damit wäre die Sitzung beendet.“

„Eine Frage noch!“, meldete sich Clive zu Wort.

Mr McKee hob die Augenbrauen. „Bitte!“

„Wo wird die gerichtsmedizinische Untersuchung durchgeführt?“

„Da Guthrie Bürger der Stadt New York ist und man den Fall außerdem jetzt uns übertragen hat, wurde die Leiche in das gerichtsmedizinische Labor der Scientific Research Division in der Bronx überführt. Soweit ich weiß, ist Dr. Brent Claus mit der Obduktion betraut.“ Mr McKee blickte auf die Uhr. „Die Sektion hat vor einer halben Stunde begonnen und dauert für gewöhnlich drei Stunden. Danach werden wir mit ersten Ergebnissen rechnen können.“

4

Milo und ich machten uns mit dem Sportwagen auf den Weg. Wir nahmen den Lincoln Tunnel, um das New Jersey Ufer des Hudson River zu erreichen. Dort ging es dann Richtung Nordwesten nach Hoboken. Der Brandon Tower war eher unüblich für diese vor den Toren New Yorks gelegenen Stadt, die ähnlich wie West New York oder Union City eher von klassischer Industrie geprägt sind als von modernen Dienstleistungszentren. Aber offenbar hatten die Ärzte, Rechtsanwälte und Architekten, die hier residierten, den Vorteil erkannt, den es bedeutete, nur einen Katzensprung vom Big Apple entfernt zu sein und nicht einmal halb so hohe Mieten bezahlen zu müssen.

Ich fuhr den Sportwagen in die zum Tower gehörende Tiefgarage. Mit seinen fünfzehn Stockwerken war das Gebäude für New Yorker Verhältnisse eher ein Zwerg – hier in Hoboken aber durchaus ein markanter Umriss in der Stadtsilhouette.

An der Zufahrt waren sowohl Beamte der örtlichen Polizei, als auch Mitarbeiter des privaten Security Service postiert, die normalerweise im Brandon Tower für Sicherheit sorgten.

Ich ließ die Scheibe des Sportwagens herunter und zeigte meine ID-Card vor.

Der Officer des Hoboken Police Department winkte uns durch.

„Captain Alonso von der Homicide Squad erwartet Sie bereits“, sagte der Uniformierte.

„Danke“, gab ich zurück.

„Der Tatort befindet sich auf Deck 2. Ansonsten läuft hier der Betrieb ganz normal. Wir kontrollieren allerdings, wer rein und wieder heraus fährt und nehmen die Personalien auf.“

„Das ist sonst nicht der Fall?“, fragte ich.

„Eine Videoüberwachung muss normalerweise reichen“, mischte sich jetzt der neben dem Officer stehende Security Guard in das Gespräch ein. „Wenn irgendetwas vorfällt, können wir das vom Kontrollraum aus sehen und sind innerhalb weniger Augenblicke mit einem Dutzend Mann hier vor Ort. Aber im Moment müssen wir den Besuchern des Brandon Towers einfach das Gefühl von Sicherheit vermitteln, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

„Vollkommen“, nickte ich.

Wir fuhren weiter und gelangten schließlich auf Deck 2, von dem ungefähr ein Viertel mit Flatterband abgesperrt und als Tatort gekennzeichnet worden war.

Ich parkte den Sportwagen zwischen den anderen Einsatzfahrzeugen.

Die Kollegen Sam Folder und Mell Horster – zwei Erkennungsdienstler aus unserem Field Office – folgten uns in einem blauen Ford aus dem Bestand unserer Fahrbereitschaft.

Wir stiegen etwa gleichzeitig aus.

„Hallo Jesse!“, begrüßte mich Sam Folder. „Dave Chesnut wird gleich auch noch hier auftauchen. Aber er macht zuerst noch einen kleinen Umweg über die SRD-Labors in der Bronx, um sich das Projektil abzuholen, das in Guthries Kopf steckte.“

Dave war unser Chefballistiker. Zwei der Schüsse, die Guthrie getroffen hatten, waren glatt durch seinen Körper gegangen und steckten jetzt im grauen Beton, der uns hier umgab. Aus der Berechnung der Schussbahnen mit Hilfe von Laserprojektionen konnte man den Standpunkt ermitteln, von dem aus der Täter geschossen hatte.

Milo verzog das Gesicht. „Was mit dem Kopf geschehen ist, mag man sich überhaupt nicht vorstellen.“

Ich ließ den Blick schweifen. Weiße Kreidemarkierungen deuteten an, wo Guthrie gestorben war. Die Blutlache auf dem Asphalt war selbst jetzt noch unübersehbar, obwohl das Verbrechen am vorangegangen Abend geschehen war.

Ein paar Passanten standen außerhalb des Flatterbandes und sahen den Kollegen bei der Arbeit am Tatort zu. Graue, dreiteilige Anzüge und seriös wirkende Business-Kostüme herrschten vor. Die meisten dieser Passanten blieben nur kurz stehen. Ihre Terminkalender erlaubten es ihnen nicht, ihrem Voyeurismus nachzugeben.

Ein Mann mit stämmiger Figur, hoher Stirn und markanten, wie gemeißelt wirkenden Gesichtszügen fiel mir auf. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Er trug einen Kaschmirmantel und hatte die Hände tief in den Taschen vergaben. Im Gegensatz zu den anderen Passanten schien er keinerlei Eile zu haben.

„Captain Jeff Alonso, Chief der Homicide Squad III des Hoboken Police Department“, holte mich eine raue, heisere Stimme aus meinen Gedanken.

Der Mann, zu dem diese Stimme gehörte, war Mitte dreißig. Er trug eine fleckige, abgeschabte Lederjacke und Jeans. Alonso hielt uns seine ID-Card entgegen und wir taten dasselbe.

„Ich bin Agent Milo Tucker und dies ist mein Kollege Jesse Trevellian“, stellte Milo uns beide vor. „Außerdem sind noch die Agenten Sam Folder und Mell Horster von unserem FBI-eigenen Erkennungsdienst mitgekommen. Ein Ballistiker ist noch unterwegs.“

„Ehrlich gesagt, bin ich froh, dass ich diesen Fall los bin“, bekannte Jeff Alonso und machte eine wegwerfende Geste.

Ich runzelte etwas überrascht die Stirn. „So?“

„Der Mord an Dr. Guthrie wird jede Menge Staub aufwirbeln. Wir haben bereits im Verlauf des Morgens mehr als ein Dutzend hasserfüllter Anrufe bekommen, wonach Dr. Guthrie den Tod verdient hätte und dass man die Tat als den Vollzug eines göttlichen Richterspruchs sehen müsse. Auf so etwas kann ich gerne verzichten.“

„Konnten Sie einige dieser Anrufe zurückverfolgen?“

„Ja. Diese Personen wohnen in einem Umkreis von dreißig Meilen um New York City. Die Kollegen vor Ort überprüfen die Alibis, aber ich persönlich glaube nicht, dass der oder die Täter so dumm sein könnten, sich auf diese Weise selbst ans Messer zu liefern. Nein, das sind nur Leute, die ihre Meinung mit missionarischem Eifer unbedingt mitteilen müssen.“

„Haben Sie bereits ungefähr rekonstruiert, was geschehen ist?“, fragte Milo.

Jeff Alonso nickte. „Gestern gegen halb neun am Abend verließ Dr. Guthrie seine Praxis. Seine Arzthelferin Meredith Jones hatte bereits ungefähr eine Viertelstunde zuvor die Praxis verlassen. Die anderen Angestellten von Dr. Guthrie waren bereits zwei Stunden früher gegangen.“

„Wo finden wir Meredith Jones?“, fragte ich.

„In der Praxis. Sie ist damit beschäftigt, die Patienten an andere Ärzte zu verweisen.“

„Ich nehme an, Dr. Guthries Weg bis ins Parkhaus lässt sich durch die Videoüberwachung lückenlos dokumentieren.“

„So ist es“, bestätigte Jeff Alonso. „Lieutenant Withers ist zusammen mit den Kollegen des Security Service im Kontrollraum damit beschäftigt, die wichtigen Bildsequenzen aus den Aufzeichnungen herauszusuchen und auf Datenträger zu kopieren, sodass Sie sich ein Bild machen können.“

„Danke.“

„Guthrie erreichte also das Parkhaus und ging auf seinen Porsche zu.“ Alonso streckte die Hand in Richtung des Wagens aus, der noch immer an seinem Platz stand. „Dann fiel das Licht aus. Und zwar im gesamten Parkhausbereich. Die genaue Ursache dafür wird noch untersucht.“

„Dies bedeutet wahrscheinlich, dass sämtliche Überwachungskameras mit einem Schlag blind waren“, schloss Milo.

„Genau. Der Täter hatte mit der Dunkelheit allerdings keinerlei Probleme. Er hat Guthrie zielsicher erschossen, ist dann an Guthrie herangetreten und hat ihm einen aufgesetzten Kopfschuss gegeben. Ob der Arzt zu diesem Zeitpunkt bereits tot war, wird wohl erst die Obduktion ergeben.“

„Ich nehme an, wenn das Licht komplett ausgeschaltet ist, sieht man hier nichts mehr“, sagte ich.

„Nicht mal die Hand vor Augen“, bestätigte Alonso. „Wir haben das heute Morgen ausprobiert. Wir haben am Tatort einen 38er Revolver gefunden, der Guthrie gehört haben muss. Aber angesichts der Lichtverhältnisse hat ihm die Waffe natürlich nicht helfen können.“

„Der Täter muss ein Nachtsichtgerät getragen haben“, meinte ich. „Anders ist es nicht erklärbar, dass er Guthrie überhaupt treffen konnte.“

„Daran haben wir auch schon gedacht.“

„Wie hat der Täter das Parkhaus verlassen?“, mischte sich nun Milo wieder ein.

„Auch das ist noch nicht geklärt“, sagte Alonso. „Die simpelste Methode wäre, das Parkhaus einfach zu Fuß über die Ausfahrtsrampe zu verlassen. Es herrschte dort überall totale Dunkelheit und in dem kleinen Bereich, der vielleicht von außen durch die Straßenbeleuchtung etwas Licht abbekommen hat, gibt es keine Kameras mehr. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, dass er mit dem Aufzug ins Erdgeschoss fuhr und das Haus auf ganz normalem Weg durch den Haupteingang verließ. Aber da wäre er aufgefallen, da die meisten Büros zu diesem Zeitpunkt längst Feierabend hatten und auch keine Kundschaft mehr empfingen. Möglichkeit drei: Er hätte sich in seinen Wagen setzen und abwarten können, bis der Stromausfall beendet war. Aber dann wäre er vermutlich auch leicht aufgefallen. Schließlich haben die Kollegen des Security Service sofort versucht, alles abzuriegeln und Kontrollen durchzuführen. Und selbst wenn er ihnen durch die Lappen gegangen wäre, müsste man ihn in den Videoaufzeichnungen sehen. Schließlich ist die gesamte Strecke bis zu der Ausfahrtschranke nahezu lückenlos erfasst.“

„Und wenn er während der Dunkelphase bereits gefahren ist?“, fragte Milo. „Angenommen er verfügte tatsächlich über ein Nachtsichtgerät, dann konnte er sich doch einfach ans Steuer setzen und wäre von den Kameras nicht gesehen worden, solange er die Beleuchtung einschaltete. Ich nehme doch nicht an, dass die Kameras auch über Mikrofone verfügen, sodass man später das Motorengeräusch hätte hören können.“

Alonso schüttelte den Kopf. „Nein, das tun sie nicht. Ein bisschen Privatsphäre muss ja schließlich bleiben. Allerdings hätte er dazu die Schranke entweder über den Haufen fahren oder passieren müssen. Da die Schranke unbeschädigt ist und sie nachweislich zum fraglichen Zeitpunkt nicht passiert wurde, scheidet diese Möglichkeit aus.“

„Das Einfachste ist oft auch das Effektivste“, mischte sich jetzt Sam Folder in das Gespräch ein. „Ich nehme an, dass die erste Möglichkeit zutrifft und er das Parkhaus zu Fuß verlassen hat. Zeit genug müsste er dafür eigentlich gehabt haben.“

„Gut möglich“, gab Alonso zu.

„Dann werden wir den Eingangsbereich nach Fußabdrücken und anderen Spuren absuchen, die wir später mit dem, was wir am Tatort finden abgleichen können“, kündigte Sam an.

„Ich fürchte, dazu ist es bereits zu spät“, entgegnete Alonso.

Sam hob die Augenbrauen. „Wie kommen Sie darauf, Captain Alonso?“

„Es hat in der Zwischenzeit jede Menge Publikumsverkehr gegeben.“

„Das mag sein, aber wenn unsere Theorie stimmt, dann war darunter seit gestern Abend ganz gewiss nur ein einziger Fußgänger – Dr. Guthries Mörder.“

5

„Wer das Schwert nimmt, der wird durch das Schwert umkommen, so sagt Jesus, der Herr!“, dröhnte die tiefe Stimme von Moses Garrison durch den Raum. Garrison war eine imposante Erscheinung. Ein zwei Meter großer Mann mit vollem, sehr dichtem grauem Haar und einem grau durchwirkten Bart, der bis auf Brusthöhe hinabreichte. „Was tut denn ein sogenannter Arzt, der eigentlich geschworen hat, den Menschen zu helfen und sie mit Gottes Hilfe zu heilen, wenn er das durchführt, was man beschönigend einen Schwangerschaftsabbruch nennt? Jawohl, meine Brüder und Schwestern, er nimmt eine Waffe und greift ein menschliches Wesen an – dazu noch ein besonders hilfloses! Was macht es schon für ein Unterschied, ob es nun ein Schwert ist oder ein medizinisches Instrument, das den kleinen menschlichen Körper zerstückelt? Der Herr sagt, dass das Leben heilig ist! Und dass Gott es gesandt hat – diesen Odem, den er Adam einhauchte und der uns allen seitdem innewohnt! ‚Du sollst nicht töten’, so steht es schon in dem Gesetz, das Gott uns am Sinai gab. Und wer dagegen verstößt ist ein Sünder, der selbst des Todes ist…“

„Danke, aus!“, rief ein Mann mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, dem die Krawatte wie ein Strick um den Hals hing. Er nahm ein Glas Wasser, trank es aus und stellte zurück auf seinen Skripttisch. „Alles klar. War das Licht okay?“, wandte er sich an einen der Techniker.

„Ja!“, kam es knapp zurück.

Moses Garrison entspannte sich ebenso deutlich wie die Kameraleute hinter ihren Geräten. Normalerweise wurde Garrison stets durch das Publikum angespornt. Vor leeren Rängen imaginären Zuschauern zu predigen, daran mochte er sich einfach nicht gewöhnen. Andererseits kam seine Sendung gut an und war auf ‚God’s Television’ der absolute Quotenspitzenreiter. Also gab es keinen Grund, seine Fähigkeiten als TV-Prediger in Frage zu stellen.

„Alles perfekt im Kasten!“, rief der Mann mit den Hemdsärmeln.

Zwei Männer traten von hinten an ihn heran - der eine flachsblond, der andere mit blauschwarzem Haar und dunklen Teint.

„Agent Clive Caravaggio, FBI. Dies ist mein Kollege Agent Medina. Wir haben ein paar Fragen an Mister Moses Garrison.“

Der Mann mit den Hemdsärmeln drehte sich herum. Er starrte einen Augenblick lang auf den Dienstausweis, den Clive ihm entgegen hielt. Dann atmete er tief durch und wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht. „Sie kommen zu einem ungünstigen Zeitpunkt, Agent Caravaggio! Wir zeichnen hier gerade eine Sendung für ‚God’s Television’ auf und sind ohnehin schon im Zeitplan hinterher.“

„Das tut mir leid, Mister…“, antwortete Clive.

„Wir würden das nicht tun, wenn es nicht unbedingt erforderlich wäre“, ergänzte Orry Medina. „Dürfen wir erfahren, wer Sie sind?“

„Cameron. Frank Cameron, ich bin hier der Aufnahmeleiter und ausführender Produzent in einer Person.“ Er seufzte. „Wenn es Ihr Geld kosten würde, würden Sie das nicht machen! Da bin ich mir ziemlich sicher.“

„Wir sind sicher schnell fertig“, versprach Orry.

Frank Cameron nickte. Er machte seiner Crew ein Zeichen und rief: „Wir machen zwanzig Minuten Pause! Aber das mir hinterher jeder pünktlich ist!“ Er wandte sich an die beiden FBI-Agenten und knurrte: „Kommen Sie!“

Clive und Orry folgten ihm auf die Bühne. Als Hintergrund wurde eine blaue Wand verwendet, die späte gegen jeden beliebigen Hintergrund ausgetauscht werden konnte.

„Mister Garrison?“, fragte Clive. „Ich bin Agent Caravaggio vom FBI Field Office New York. Mein Kollege Medina und ich hätten ein paar Fragen im Zusammenhang mit dem Tod von Dr. Miles Guthrie an Sie.“

„Reverend Garrison – so viel Zeit muss sein, Gentlemen!“, mischte sich Cameron ein.

„So weit uns bekannt ist, hat Mister Garrison weder ein Theologiestudium absolviert, noch steht er einer Kirchengemeinde vor oder hat sich sonst wie als Geistlicher qualifiziert – nach welchem Bekenntnis auch immer!“, hielt Orry ihm entgegen.

„Die Kirchen sind zu Treffpunkten lauwarmer Kompromiss-Christen geworden, die das Wort Gottes nicht mehr ernst nehmen“, erklärte Garrison. „Diejenigen, die sich mir angeschlossen haben, nennen mich üblicherweise Reverend, aber das muss für Sie nicht gelten.“

„Ich schlage vor, wir gehen in einen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können“, sagte Clive.

Garrison wechselte einen etwas verwirrten Blick mit Cameron. Dieser zuckte mit den Schultern und beteuerte: „Ich habe keine Ahnung, was das Ganze soll!“

„Mit dem Tod dieses unglückseligen, gottesfernen Arztes, der das Leben als etwas ansah, dass man im Abort verschwinden lassen kann, weil der Staat ihm dafür keine Strafe androht, habe ich nichts zu tun.“

„Wir verdächtigen Sie auch keinesfalls. Unsere Fragen dienen der Information.“

„Welcher Information? Das ist doch vollkommen lächerlich! Sie können mich gerichtlich vorladen lassen, wenn Sie glauben, dass das Ihrer Sache dient, aber ich weigere mich, mir Ihr Geschwätz auch nur anzuhören.“

„Warum so feindselig?“, fragte Clive. „Wir sollten versuchen zu kooperieren, soweit das möglich ist.“

Garrison durchbohrte Clive förmlich mit seinem Blick und fuhr aufgebracht fort: „Deine Rede sei ja, ja oder nein, nein, so heißt es in der Bibel und daran habe ich mich immer gehalten! Alles, was ich zu dem Thema zu sagen habe, habe ich gesagt! Und zwar öffentlich! Jede Woche lege ich in meiner Sendung auf ‚God’s Television’ Zeugnis ab und mehr als 200 Veranstaltungen im Jahr im ganzen Land hätten Ihnen die Möglichkeit gegeben, sich über meine Ansichten zu informieren! Oder Sie hätten ich eines meiner Bücher anschaffen können! Aber nein, Sie bevorzugen natürlich den großen Auftritt und stören mich bei meiner Arbeit!“

„Den großen Auftritt überlassen wir gerne Ihnen, Reverend Garrison“, erwiderte Clive. „Ich denke, es wäre aber für alle Seiten das Beste, wenn wir die anstehenden Fragen unter sechs Augen klären können.“

„Meinetwegen auch unter acht Augen, wenn Sie glauben, dass Sie dazu einen Anwalt nötig haben!“, ergänzte Orry.

Garrison seufzte. „Na gut“, gestand er zu.

Orry und Clive folgten ihm in einen Büroraum.

„Ich möchte Sie auf folgendes hinweisen“, eröffnete Garrison das Gespräch, nachdem sich alle gesetzt hatten. „Soweit ich das über die Medien mitbekommen habe, wurde dieser Mörder-Arzt gestern Abend erschossen. Ich habe vor zehntausend Menschen in New Rochelle gepredigt. Davon gibt es eine Videoaufzeichnung, die irgendwann in nächster Zeit auch auf ‚God’s Television’ läuft und als DVD zu beziehen ist. Außerdem…“

„Wie ich schon sagte, Ihnen persönlich wird in dieser Hinsicht nichts vorgeworfen, auch wenn man natürlich auf dem Standpunkt stehen könnte, dass Ihre Predigten die Tat vielleicht inspiriert haben…“

„Ich predige keine Gewalt! Aber ich verschweige auch nicht, dass das Gericht des Herrn mit aller Härte die Sünder treffen wird! Halleluja!“

„Es gab in letzter Zeit eine Reihe von Sachbeschädigungen und Anschlägen auf Kliniken im Großraum New York. Der Gipfel war der provozierte Stromausfall im St. Joseph’s, der unter Umständen einigen Menschen das Leben hätte kosten können“, erwiderte Clive.

Garrison breitete die Arme aus. „Das ist bedauerlich. Aber ich habe nichts damit zu tun!“

„Zwei der Täter wurden anhand der Videoüberwachung identifiziert: William C. Blaise und Tara McMillan. Beide waren Aktivisten von LIFE IS DIVINE.“

„Sie können mich nicht im Ernst für das haftbar machen, was Menschen, die meinen Predigten lauschen, anschließend tun. Es kommen Mörder, Huren und andere verworfene Seelen in meine Gottesdienste und schon so mancher wurde dort durch die Verkündigung von Gottes Wort geläutert!“

„Blaise und McMillan waren Angestellte Ihrer Stiftung – nicht nur irgendwelche Anhänger“, gab Orry zu bedenken.

„Was das mit dem Fall Guthrie zu tun hat, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft“, entgegnete Garrison.

Clive versuchte, es ihm zu erklären. „Blaise und McMillan zählen für uns durchaus zum erweiterten Kreis der Tatverdächtigen. Es ergibt sich einfach ein beunruhigendes Gesamtbild der Aktivitäten Ihrer Organisation.“

„Jetzt übertreiben Sie mal nicht!“

„Guthrie wurde – wie andere Ärzte auch – mit Drohanrufen und Hassbriefen drangsaliert. Zwei der Täter wurden verurteilt – George Braddock und Michael Matlanovich. Sie arbeiten als Ordner bei Ihren Veranstaltungen. Und dann ist da noch Alana Matthews, die vor drei Jahren Guthrie mit einem Messer attackierte. Zuvor war auch sie als Aktivistin von LIFE IS DIVINE tätig und wurde sogar mit der Durchführung von Predigerseminaren betraut!“

„Dass wir Guthries Mörder im Umkreis Ihrer Organisation suchen, dürfte Sie doch angesichts dieser Tatsachen kaum überraschen“, ergänzte Orry.

Garrison saß wie versteinert da. Sein Gesicht wirkte wie das gemeißelte Standbild eines alttestamentarischen Patriarchen. Der Blick war nach innen gekehrt. Schließlich murmelte er: „Sie werden von mir kein Wort des Bedauerns über Guthries unrühmliches Ende hören. Er hat geerntet, was gesät hat: Den Tod nämlich!“

Clive hob die Augenbrauen. „Ich hatte gehofft, Sie könnten uns dabei behilflich sein, Ihre Organisation von jedem Verdacht rein zu waschen, sodass wir uns auf andere Verdächtige konzentrieren könnten“, erklärte er. „Aber da scheine ich bei Ihnen leider auf Granit zu beißen.“

„Ich soll Auskünfte über meine Mitbrüder geben? Für wen halten Sie mich? Ich bin kein Judas!“

„Es soll unter Ihren Anhängern Gruppen geben, die eine radikalere Vorgehensweise bevorzugen würden“, stellte Orry fest. „Könnte es sei, dass Teile von LIFE IS DIVINE Ihrer Kontrolle aus den Händen geglitten sind?“

Moses Garrison erhob sich mit hochrotem Kopf. Er ging zu einem der Wandregale des Büros. Neben Akten mit Geschäftsberichten und Steuerratgebern stand dort auch ein Bibelexemplar in Leder. Garrison nahm es heraus und knallte es auf den Tisch. „Alles, was ich sage, gründet sich auf das Wort Gottes. Ich predige, was mir mein Gewissen gebietet und welche Schlussfolgerungen der Einzelne daraus zieht, damit habe ich nichts zu tun.“

„Machen Sie es sich damit nicht ein bisschen einfach?“, fragte Orry.

„Ich gehe den geraden Weg in der Nachfolge des Herrn. Das Leben ist für mich etwas Heiliges und ich empfinde es als Hohn, dass unsere Gesetze auf der einen Seite Mord bestrafen, ihn an aber in anderen Fällen einfach geschehen lassen.“

Es klopfte an der Tür. Frank Cameron öffnete.

„Können wir weiter machen, Reverend?“

„Sofort!“

„Sie wissen, dass wir heute die Sendungen des nächsten Monats aufzeichnen müssen!“

Garrison wandte sich an Clive. „Ich denke, es gibt nichts weiter zu besprechen, Agent Caravaggio.“

„Falls Ihnen irgendetwas einfällt, dass mit dem Fall zu tun hat, dann lassen Sie es uns bitte wissen“, forderte Clive und reichte ihm eine seiner Visitenkarten. Garrison zögerte zunächst. Dann nahm er sie und steckte sie ein.

„Kommen Sie in meine Gottesdienste und lassen Sie Gottes Wort in Ihr verstocktes Herz, Mister Caravaggio!“

6

Ich begleitete Sam Folder auf dem Weg zur Ausfahrtsrampe, während Milo mit dem Leiter des Security Service sprach. Sam und ich gingen die Strecke ab, von der wir annahmen, dass auch der Täter sie gegangen war. Einer der Security Guards begleitete uns und stand uns Rede und Antwort. Er hieß Roger Dolinsky und war am Vorabend der Schichtführer gewesen. Ich versuchte zwischenzeitlich, das Field Office zu erreichen, um weiter zu geben, dass der Täter vermutlich ein Nachtsichtgerät benutzt hatte. Aber mein Handy bekam erst Netzkontakt, als wir die Auffahrtsrampe erreichten. Ich bekam Max Carter an den Apparat.

„Es muss ein Gerät gewesen sein, dass auf Infrarotbasis arbeitet und dadurch auch bei absoluter Dunkelheit funktioniert.“

„Die Herkunft dieses Gerätes könnte ein Ermittlungsansatz sein“, glaubte Max. „Schließlich sind die Infrarotgeräte fiel seltener und technisch aufwendiger als diejenigen, die auf dem Prinzip der Restlichtverstärkung arbeiten.“

„Ich hoffe, ihr bekommt etwas heraus.“

„Nachtsichtgeräte werden vorwiegend beim Militär benutzt“, stellte Max fest. „Da der Täter damit umgehen und sogar schießen konnte, liegt der Schluss nahe, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der das in der Army gelernt hat.“

„Du kannst ja mal nachsehen, ob einer der frommen Lebensschützer, die bis jetzt auf unserer Liste stehen, vielleicht ein martialisches Vorleben als Marine oder etwas in der Art hatte“, schlug ich vor.

Ich hörte, wie Max an seinem Terminal herumtippte.

„Volltreffer!“, stieß er dann hervor. „William C. Blaise war bei der Army. Ich werde mal sehen, ob sich darüber Näheres in Erfahrung bringen lässt.“

Max unterbrach die Verbindung.

Wir erreichten die Schranke. Sam sah sich um.

„Waren Ihre Leute gestern hier?“, fragte ich inzwischen Roger Dolinsky.

„Nein. Jedenfalls nicht zu Fuß“, erklärte der Security Guard. „Ich habe ein paar Posten an das Ende der Ausfahrtrampe beordert, nachdem wir begriffen hatten, was geschehen war.“

„Wann war das der Fall?“

„Bereits unmittelbar nach der Tat. Wir konnten den Mündungsblitz der Waffe sehen – außerdem noch ein anderes Licht.“

„Haben Sie eine Ahnung, worum es sich gehandelt haben könnte?“

„Die Polizei meint, es stamme von Guthries aufleuchtenden Handy Display. Als der Strom ausfiel, wollte er damit wohl für Licht sorgen.“

„Ich habe etwas gefunden“, meldete Sam. „Hier ist jemand durch einen Ölfleck gelaufen. Ich werde Fotos von dem Abdruck machen, sodass wir hinterher das Profil und die Größe des Schuhs haben.“ Sam sah Dolinsky einen Moment lang an. „Wir werden nicht umhin können, es mit den Schuhen Ihrer Leute zu vergleichen. Auch wenn angeblich keiner von denen zu Fuß hier gewesen ist – es könnte ja sein, dass Sie sich irren.“

„Ich möchte von Ihnen noch wissen, wie Ihre Anordnungen lauteten, nachdem Ihnen bewusst wurde, dass ein Schuss gefallen war.“

„So klar, wie Sie vielleicht denken, war das erst gar nicht. Im Vordergrund standen zunächst der Stromausfall und die Gebäudesicherung. Dann wurden alle Ein- und Ausgänge mit Posten besetzt und ich bin mit mehreren Männern ins Parkdeck gegangen. Wir hatten nur eine Taschenlampe. Auf solche Einsätze sind wir nämlich nicht vorbereitet.“

„Verstehe.“

„Der Hausmeister war auch dabei. Wir sind zum Sicherungskasten gegangen und haben den Strom wieder eingeschaltet. Aber weshalb die Sicherung rausgeflogen ist, kann sich niemand erklären.“

„Könnte der Täter sie nicht einfach ausgeschaltet haben?“

„Der Kasten wird mit einem elektronischen Schloss gesichert. Man braucht eine Chip Card in Verbindung mit einem Zahlencode, um an die Sicherungen heranzukommen. Der Hausmeister besitzt eine solche Karte – und wir natürlich auch.“

„Zeigen Sie mir gleich den Kasten“, verlangte ich.

„Gerne, Agent Trevellian.“

„Zuerst möchte ich mit Ihnen aber noch die Rampe hinaufgehen, um zu sehen, wo Ihre Leute postiert waren.“

„Sie meinen, der Täter könnte meinen Männern durch die Lappen gegangen sein?“ Dolinsky schüttelte den Kopf. „Unmöglich!“

„So, wie Sie mir das geschildert haben, war der Täter längst weg, als Ihre Leute die Rampe abriegelten!“, hielt ich ihm entgegen.

Wir erreichten das Ende der Rampe. Eine Asphaltbahn führte zurück zur Straße. Auf der anderen Seite schloss sich ein Park an. Ein Hot Dog Stand befand sich dort und sorgte dafür, dass all die von ihrer Terminhetze geplagten Anwälte und Ärzte im Brandon Tower schnell satt werden konnten.

Ein Mann stand im eigentlichen Ausfahrtsbereich auf einem Stück, das weiß gestreift war. Kein Fußgänger hatte dort Zugang.

„Hey, Sie!“, rief der Security Guard unwirsch. „Gehen Sie da weg!“

Der Mann war etwa vierzig Jahre alt und hager. Ich schätzte ihn auf ein Meter achtzig. Die Hände hatte er in den Taschen seiner Jacke vergraben.

„Alles klar!“, sagte der Hagerere. Er wirkte dennoch wie angewurzelt.

„Hören Sie schwer?“, rief Dolinsky.

„Warten Sie mal, ich möchte mit dem Mann reden“, verlangte ich.

Kurz entschlossen ging ich auf ihn zu und zog meinen Dienstausweis. „Jesse Trevellian, FBI! Darf ich fragen, wer Sie sind und was Sie hier tun?“

„Hier soll etwas passiert sein.“

„Sie haben meine Frage nicht beantwortet.“

Er zog einen Presseausweis und hielt ihn mir unter die Nase. Ich sah ihn mir an. Er hieß Jay McIntosh. „Ich sehe mich nur um, dass ist ja wohl nichts Verbotenes.“

„Nein. Aber es wundert mich, dass Sie nicht einfach mit dem Wagen in die Garage fahren und ein Parkticket erwerben!“

„Das bekommen Sie nur, wenn Sie sich bei der Einfahrt in der Sicherheitszentrale melden und angeben können, bei wem Sie einen Termin haben. Die Angestellten haben natürlich eigene Parkausweise. Aber ansonsten ist es schwer, da hineinzukommen.“

„Sie kennen sich aber aus!“

Er schluckte. Ich fragte mich, weshalb McIntosh meinem Blick dauernd auswich. Er vermied es regelrecht mich anzusehen. Ein Goldkreuz fiel mir auf, das um seinen Hals baumelte.

„Ich bin hinter der Guthrie-Story her. Untersuchen Sie den Fall, Agent Trevellian?“

„Ja.“

„Vielleicht können Sie mir ja weiter helfen.“

„Tut mir leid, aber erstens stehen wir in unseren Ermittlungen noch ganz am Anfang und zweitens kann ich nicht ohne Absprache mit dem Field Office Informationen heraus geben, die entweder fahndungsrelevant sind oder die Rechte Dritter verletzen könnten.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das ist schade“, bekannte er.

„Für welche Zeitung schreiben Sie?“

„Ich… bin freier Journalist. Mal für den Hoboken Chronicle, mal bringen Sie von mir etwas in ein paar lokalen Radio- und Fernsehsendern. Warum fragen Sie?“

„Weil Sie weder eine Kamera oder ein Aufnahmegerät dabei haben!“

„Ich mache Hintergrundreportagen, keine Foto-Stories. Und da muss man erst einmal gründlich recherchieren! Die Kamera habe ich im Übrigen im Wagen liegen…“ Er sah auf die Uhr. „Leider muss ich jetzt weg…“

„Sie sind mit dem Wagen da?“

„Sagte ich doch.“

„Wo haben Sie ihn abgestellt?“

„Man muss ein Stück durch den Park und dann links.“

„Gehen wir zusammen, Mister McIntosh.“

Er sah mich ziemlich perplex an. „Ich verstehe jetzt nicht so ganz, was hier läuft, Agent Trevellian!“

„Ganz einfach. Wir gehen davon aus, dass der Täter zu Fuß das Parkhaus verlassen hat. Er muss also ganz in der Nähe seine Wagen abgestellt haben. Möglicherweise auf dem Parkplatz, den Sie erwähnten.“

Ich begleitete McIntosh zum Parkplatz. Hoboken ist keine Großstadt und der Parkplatzbedarf ist ganz gewiss nicht mit dem in New York vergleichbar. Aber auch hier werden freie Asphaltflächen, auf denen man seinen Wagen abstellen kann, in bestimmten Gegenden immer knapper. Jenseits des Parks befanden sich zahlreiche Geschäfte. Dementsprechend hoch lagen die Parkgebühren.

„Was bringt es Ihnen zu wissen, dass der Täter seinen Wagen hier vermutlich abgestellt hat?“, fragte McIntosh.

„Er könnte Spuren hinterlassen haben!“

„Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass Sie davon ausgehen, hier Reifenprofile eines Wagens zu finden, der gestern Abend abgestellt war?“

„Ich weiß nur, dass unsere Erkennungsdienstler sich alle Mühe geben werden.“ Ich gab ihm meine Karte. „Falls Sie bei Ihren Recherchen etwas herausfinden, das mit dem Fall zu tun hat, dann lassen Sie es mich wissen, Mister McIntosh.“

Er steckte die Karte ein. „Glauben Sie nicht, dass Sie von mir etwas ohne Gegenleistung hören.“

„Darüber könnte man reden!“

Mir fiel zum ersten Mal das rötliche Feuermal auf der Außenseite der rechten Hand auf, die er bis dahin stets in seiner Jackentasche vergraben hatte. Jay McIntosh bezahlte sein Parkticket am Automaten, stieg in seinen Wagen – einen silbergrauen Mitsubishi – und fuhr bis zur Schranke. Nachdem er sein Ticket in den Schlitz gesteckt hatte, öffnete sich die Schranke und er fuhr davon. Ich griff zum Handy und rief Sam an.

„Was gibt es, Jesse?“

„Ich habe hier vielleicht einen Fingerabdruck des Täters.“

„Wie bitte?“

„Na ja, nicht gerade auf dem Silbertablett. Ihr werdet ein bisschen danach suchen müssen.“

„Du sprichst in Rätseln, Jesse!“

7

Die nächste halbe Stunde verbrachte ich damit, die Betreiberfirma des Parkplatzes ausfindig zu machen. Der Platz gehörte zu einem Hotel, etwa fünfzig Yards entfernt. Es war nicht schwer, den Direktor davon zu überzeugen, uns zu helfen. Sofern der Täter tatsächlich den Parkplatz benutzt hatte, musste er die Schranke passiert und sein Ticket abgegeben haben.

Wenn wir die Tickets der letzten Nacht auf Fingerabdrücke untersuchten und diese anschließend durch den Computer jagten, stießen wir vielleicht auf jemanden, der sich in irgendeinen Zusammenhang zu Dr. Guthrie bringen ließ.

Ich ließ mir die in Frage kommenden Tickets übergeben. Captain Alonso stellte ein paar Männer ab, um die Mülleimer auf dem Weg zum Parkplatz zu durchsuchen. Vielleicht hatte der Täter ja unterwegs etwas weggeworfen.

Ich kehrte in die Tiefgarage zurück und ließ mir von Roger Dolinsky den Sicherungskasten zeigen. Er lag in einer Nische, etwa 50 Yards vom eigentlichen Tatort entfernt. Die Kameras erfassten diesen Bereich nicht und der Täter hatte das vermutlich ausgenutzt, um die Sicherung abzuschalten. So lautete jedenfalls die bis jetzt plausibelste Theorie, denn Mell Horster hatte den Sicherungskasten erkennungsdienstlich untersucht und jede Menge Fingerabdrücke sichern können, die noch mit denen des Hausmeisters und der Security Guards abgeglichen werden mussten.

Ein Rätsel war nach wie vor, wie der Mörder es geschafft hatte, das elektronische Schloss zu überwinden.

„Vor drei Wochen wurde eine Überprüfung sämtlicher elektronischer Schlösser im Brandon Tower durchgeführt“, verriet mir Dolinsky.

„Wir brauchen Name und Adresse der Firma, die das durchgeführt hat“, erklärte ich.

„Ich werde dafür sorgen, dass Sie bekommen, was Sie brauchen.“

Inzwischen war auch längst unser Chefballistiker Dave Chesnut am Tatort eingetroffen und hatte mit seinen Untersuchungen begonnen.

Mit Hilfe von Laserpointern waren die Schussbahnen exakt zu ermitteln. Dasselbe galt für den Standort, von dem aus der Schütze geschossen hatte. Seine Größe konnte auf Grund von Daves Ermittlungsergebnissen auf ein Meter achtzig geschätzt werden.

Milo hatte sich in der Zwischenzeit zusammen mit den Kollegen des Security Service und der hiesigen Polizei die Videoaufzeichnungen noch einmal genau angesehen. Erkenntnisse, die wesentlich über den bisherigen Erkenntnisstand hinausgingen, ergaben sich dadurch jedoch nicht.

„Wir haben bereits damit begonnen, aus den Videoaufzeichnungen all die Personen herauszufiltern, die im fraglichen Zeitraum überhaupt im Parkhaus anwesend waren“, meinte Milo.

„Wobei sich der Täter durchaus auch Stunden früher hier her begeben und sich unbemerkt in der unbeobachteten Nische aufgehalten haben könnte“, gab ich zu bedenken.

Milo nickte. „Wäre das nicht jemandem aufgefallen?“

„Offenbar nicht.“

Zusammen mit Milo suchte ich schließlich die Praxis des ermordeten Arztes auf. Meredith Jones hielt dort nach wie vor die Stellung.

Als Milo und ich die Praxis betraten, war sie jedoch nicht allein.

Ein Mann mit kantigem Gesicht und hoher Stirn war bei ihr. Ich erkannte ihn als jenen Passanten wieder, der sehr ausdauernd die Arbeiten am Tatort beobachtet hatte.

„Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker“, stellte ich uns vor und hielt dabei zuerst Meredith Jones und anschließend dem Mann mit der hohen Stirn meine ID-Card unter die Nase. „Miss Jones?“

„Captain Alonso hat Sie mir bereits angekündigt“, sagte Meredith Jones.

„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“, wandte sich Milo an den Mann.

Dieser lächelte verhalten. „Mein Name ist Maxwell. Dr. Eric Maxwell, ich bin Gynäkologe am Bethesda Hospital, Manhattan.“

„Sind Sie so etwas wie eine Vertretung für Dr. Guthrie?“, erkundigte ich mich.

Maxwell schüttelte den Kopf. „Nein. Miles und ich kennen uns vom Studium. Ich hatte heute Morgen einen Termin bei meinem Anwalt, der hier im Brandon Tower seine Kanzlei unterhält. Dadurch habe ich das ganze Theater hautnah mitbekommen. Von Miles’ Tod hatte ich natürlich zuvor schon aus dem Autoradio erfahren.“ Ich bemerkte sein Zögern. Eine tiefe Furche erschien mitten auf seiner Stirn. Er musterte mich einen Moment und fuhr dann fort: „Ich musste einfach vorbeischauen, um Näheres zu erfahren.“

„Hatte Sie in letzter Zeit Kontakt zu Dr. Guthrie?“

„Nein.“

„Wann zuletzt?“

„Ehrlich gesagt seit dem Studium so gut wie gar nicht mehr. Wissen Sie, wir machen einen sehr anstrengenden Job, der viel von denjenigen fordert, die sich dafür entschiedenen haben. Da bleibt nicht viel Zeit, um Freundschaften zu pflegen.“

„Ich habe Dr. Maxwell gesagt, dass sehr wahrscheinlich diese Fanatiker von den sogenannten Lebensschützern dahinter stecken!“, äußerte sich nun Meredith Jones. „Zumindest war das die Vermutung von Captain Alonso.“

„Genau wissen wir das natürlich noch nicht“, schränkte ich ein. „Aber Sie haben Recht, im Moment deutet einiges in diese Richtung.“

„Das, was Miles geschehen ist, kann jedem von uns passieren“, murmelte er. „Ich kenne das! Drohanrufe, Farbbeutel, die gegen das Auto geschleudert werden… Wahrscheinlich muss unsereins damit leben lernen – auch wenn es schwer fällt, so viel Intoleranz zu akzeptieren. Für diese Leute gibt es nur schwarz oder weiß. Grautöne interessieren sie nicht. Wenn eine Frau vergewaltigt wurde oder selbst noch ein halbes Kind ist und deswegen die Verantwortung für ein Baby einfach nicht tragen kann, dann interessiert diese Eiferer das nicht im Geringsten. Und die einzige Empfehlung, die sie Teenagern geben können besteht darin, auf Sex vor der Ehe völlig zu verzichten! Wie unrealistisch das ist, brauche ich Ihnen sicher nicht zu erläutern.“

„Unsere Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang“, sagte ich.

Dr. Maxwell erhob sich von seinem Platz. „Ich muss jetzt zum Dienst. Meine Schicht im Bethesda Hospital beginnt in einer Stunde und Sie wissen ja, wie die Verkehrsverhältnisse im Big Apple um diese Zeit sein können.“

„Allerdings“, nickte ich.

„Falls mir irgendetwas einfallen sollte, was Ihnen vielleicht weiterhilft - die Nummer des FBI steht ja im Telefonbuch.“

„Sie können auch mich persönlich anrufen.“ Ich reichte ihm meine Karte und Maxwell steckte sie ein.

Er verabschiedete sich noch von Meredith Jones und verließ anschließend die Praxis.

„Bevor Sie mir Ihre Fragen stellen, übergebe ich Ihnen schon einmal das hier“, eröffnete die Arzthelferin das Gespräch und gab Milo einen braunen Umschlag.

„Was ist das?“, fragte ich.

„Die Drohbriefe der letzten drei Monate und Aufzeichnungen von unfreundlichen Anrufen.“

„Warum ist das nicht bei der Polizei gelandet?“

„Dr. Guthrie hat nicht mehr daran geglaubt, dass man ihm dort weiterhelfen konnte.“

„Immerhin kam es zu zwei Verurteilungen“, gab ich zu bedenken.

Meredith Jones lächelte gequält. „Sie meinen Braddock und Matlanovich?“

„Ja.“

„Soll ich Ihnen was sagen? Der ganze Wirbel um den Prozess hat Dutzende von weiteren Fanatikern dazu ermutigt, uns zu terrorisieren. Und wer sagt Ihnen, dass diese beiden Typen nicht erneut damit angefangen haben und dabei nur geschickter vorgegangen sind? Zum Beispiel, indem sie darauf geachtet haben, ihr Prepaid Handy regelmäßig zu wechseln oder nicht immer dieselbe Telefonzelle zu benutzen und so weiter. Einige verändern ihre Stimme. Manche wurden fast so etwas wie gute Bekannte. Dr. Guthrie gab ihnen Namen. Da war zum Beispiel der Krächzer, der erkennbar seine Stimme verstellte und sich auf diese Weise wohl davor schützen wollte, eventuell von der Polizei identifiziert zu werden.“

„Gab es in letzter Zeit irgendwelche besonderen Vorfälle?“, fragte Milo. „Ich meine damit Attacken und Belästigungen, die über das Maß hinausgingen, das Dr. Guthrie offenbar gewöhnt war.“

„Dr. Guthrie hat versucht, diese Dinge so gelassen wie möglich zu nehmen. Er sagte mir mal, wenn seine Stunde geschlagen hätte, sei es nun einmal soweit. Aber er wollte sich weder davon abbringen lassen, seinen Beruf auszuüben, noch sich dauernd durch Leibwächter abschirmen zulassen. Das sei kein Leben mehr, so fand er.“ Meredith Jones wischte sich kurz über die Augen. Sie musste schlucken. „Versprechen Sie mir, dass Sie denjenigen zur Rechenschaft ziehen, der dieses Verbrechen zu verantworten hat!“

„Wir werden auf jeden Fall tun, was wir können“, versicherte ich.

8

Jay McIntosh fühlte, wie ihm der Puls bis zum Hals schlug. Er stand an einer der Piers von West New York. Es war ein klarer, kühler Tag. Man hatte eine freie Sicht auf Manhattan. Der Riverside Park umsäumte das gegenüberliegende Hudson-Ufer, dahinter lagen die Gebäude der Columbia University.

Jay McIntoshs Hand krampfte sich um den Griff der Pistole, die er in seiner Jackentasche verborgen hielt.

Er lief den weit ins Wasser ragenden Pier entlang. Zwei Angler waren zu finden. Das Kreischen der Möwen erfüllte die Luft.

Die Unterhaltung mit diesem FBI-Agenten namens Trevellian hatte McIntosh innerlich aufgewühlt.

Ihm war schlecht.

Wovor hast du jetzt Angst?, ging es ihm durch den Kopf. Davor, das Falsche getan zu haben oder davor, zur Rechenschaft gezogen zu werden? Gott gab uns die Freiheit der Entscheidung – und diese Entscheidung hatte dein Herz längst gefällt. Das ist das Einzige was zählt…

Er presste die Lippen aufeinander und erreichte schließlich das Ende der Pier.

Ein kräftiger Wind ließ das Wasser des Hudson sich kräuseln.

Miles Guthrie, du hast genau das bekommen, was du verdient hast!, durchfuhr es Jay McIntosh. Wut erfüllte ihn und es dauerte einige Augenblicke, bis er sich wieder einigermaßen beruhigen konnte. Du wirst jetzt vor wahrscheinlich schon vor deinem himmlischen Richter stehen, Guthrie!, überlegte McIntosh. Und der wird dich nicht nach den Buchstaben eines zweifelhaften, von Menschen gemachten Gesetzes freisprechen, das Mord legalisiert! Den Mord an ungeborenen Kindern ebenso wie den Mord an einer schwach gewordenen Seele…

Jay McIntosh nahm die Waffe aus der Tasche.

Das Ding musste jetzt schleunigst verschwinden.

Er schleuderte es in einem hohen Bogen in den Hudson und scheuchte damit ein paar Möwen auf, die dicht über der Wasseroberfläche nach Beute Ausschau hielten.

9

Unsere Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell suchten die Adresse von George Braddock auf. Der als Ordner für die LIFE IS DIVINE FOUNDATION tätige Braddock wohnte in einem Mietshaus an der Clinton Street in der Lower East Side.

Das Apartment trug die Nummer E 221 und lag im vierten Stock. Das Gebäude verfügte über keinen nennenswerten Sicherheitseinrichtungen und gehörte damit eher der unteren Kategorie an.

Mit Aufzug fuhren Leslie und Jay in den vierten Stock, wo sie etwas später vor Braddocks Tür standen. Routinemäßig postierten sich die beiden Agenten rechts und links von der Tür.

„Ich schätze, Mister Braddock wird nicht begeistert von unserem Besuch sein“, glaubte Jay.

„Warten wir es ab.“

Leslie betätigte die Klingel.

Keine Reaktion.

Leslie versuchte es ein zweites Mal und rief: „Mister Braddock? Machen Sie auf, hier spricht das FBI! Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen!“

Im nächsten Moment krachten zwei Schüsse durch das Holz der Tür. Die großkalibrigen Geschosse stanzten daumendicke Löcher in das Holz und blieben auf der gegenüberliegenden Seite in der Steinwand stecken.

„Ihr kriegt mich nicht!“, rief eine heisere Männerstimme. Das ratschende Geräusch eines Pump Action Gewehrs ertönte und eine Sekunde später donnerte der nächste Schuss durch das Holz.

Jay riss seinen Magnum Revolver vom Kaliber .357 aus dem Gürtelholster, den der ehemalige Cop als einziger FBI-Agent des Field Office New York trug.

Von der anderen Seite war zu hören, wie die Waffe erneut durchgeladen wurde. Der Schuss folgte sofort danach.

„Jetzt“, rief Jay.

Er trat die Tür ein und ließ sie zur Seite fliegen, ging aber sofort wieder in Deckung. Der Kerl auf der anderen Seite hatte die Waffe erneut durchgeladen und schoss in den Flur.

Den Revolver hielt Jay mit beiden Händen.

George Braddock lud jetzt erst das Gewehr durch.

„Waffe weg!“, schrie Jay.

Aber Braddock hörte nicht darauf.

Er taumelte mit seinem Pump Action Gewehr rückwärts auf die Tür zum Nebenraum zu und feuerte dabei. Der Rückstoß des ungezielten Schusses riss Braddock zur Seite, sodass die Kugel einen halben Meter über Jay Kronburgs Kopf in den Türsturz hinein krachte.

Braddocks Augen waren geweitet. Panik erfüllte ihn. Er schnellte in den Nachbarraum hinein. Jay verzichtete auf einen Warnschuss. Innerhalb geschlossener Räume war das auf Grund zu erwartender Querschläger zu gefährlich.

Jay setzte nach.

Leslie folgte ihm mit SIG Sauer P226 im Anschlag, der Standardwaffe beim FBI.

An der Tür stoppten sie. Leslie versuchte in den Nachbarraum einzudringen. Eine Kugel, die dicht an ihm vorbei zischte und schließlich in einen der Schränke hinein fuhr, ließ ihn sofort wieder in Deckung gehen.

„Ihr kriegt mich nicht!“, rief Braddock.

Wenig später stürzten sie nacheinander in den Nachbarraum – ein völlig mit Möbeln überladenes Wohnzimmer.

Die Tür zu dem schmalen, zur Straße ausgerichteten Balkon stand halb offen.

George Braddock saß rittlings auf dem Geländer und lud das Pump Action Gewehr nach.

„Seien Sie vernünftig, Mister Braddock! Wir sind nur hier, um mit Ihnen zu reden!“, rief Jay.

Braddock schloss das Magazin der Waffe. Er blickte kurz hinunter auf die Clinton Street, wo sich bereits ein paar besorgte Passanten versammelt hatten.

„Ich springe!“, rief er.

„Mister Braddock!“

„Gehen Sie weg! Verschwinden Sie!“

Jay schnellte durch die Balkontür auf Braddock zu. Leslie war ihm dicht auf den Fersen.

Braddock legte das Gewehr an und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Der Schuss krachte ins Nichts und ließ die Scheibe des benachbarten Fensters zerbersten. Der Rückstoß gab ihm einen Schubs und sorgte zusätzlich dafür, dass Braddock über die Balkonbrüstung gerissen wurde. Jay packte Braddock am Arm. Dieser schrie und ließ das Gewehr fallen. Es segelte in die Tiefe. Einen Moment später war der Aufprall zu hören.

Leslie Morell trat hinzu und mit vereinten Kräften zogen die beiden FBI-Agenten George Braddock wieder auf den Balkon.

Er schnappte nach Luft und war zunächst unfähig nur ein einziges Wort zu sagen.

„Was sollte dieses Theater, Mister Braddock?“, knurrte Jay ihn an. „Wieso haben Sie gleich auf uns geschossen, obwohl wir Sie in keiner Weise bedroht haben? Um ein Haar würden mein Kollege und ich jetzt aussehen wie ein Sieb!“

Braddock stieß einige unverständliche Laute hervor.

„Es hat keinen Sinn, Jay“, stellte Leslie fest. „Der ist völlig außer sich.“

Leslie legte ihm Handschellen an und klärte in pro forma über seine Rechte auf. Allerdings war es sehr zweifelhaft, ob er davon überhaupt ein Wort mitbekommen hatte.

Sie führten den Gefangenen in die Wohnung. Jay nahm mit dem Field Office Kontakt auf und meldete die vorläufige Festnahme von Braddock.

„Es kommt jemand, der sich um ihn kümmern wird“, kündigte er nach dem Gespräch an.

„Ich sammle inzwischen das Gewehr von der Straße auf“, sage Leslie. „Es ist schon genug Schaden damit angerichtet worden.“

„Tu das.“

„Glaubst du, du kommst hier allein zurecht?“

„Ich denke schon.“

10

George Braddock saß in Handschellen in einem der Sessel im Wohnzimmer. Er zitterte leicht. Jay war schnell klar, dass die Reaktionsweise dieses Mannes nicht normal war. Um eine psychiatrische Begutachtung kam man in seinem Fall wohl nicht herum. Während Leslie Morell sich auf den Weg machte, um das Pump Action Gewehr sicherzustellen, bewachte Jay den Gefangenen.

„Sie werden von Dr. Guthries Tod gehört haben“, sagte er.

„Er hat verdient, was ihm widerfahren ist!“, rief Braddock. „Der Herr wird ihn richten, so wie er euch richten wird, die ihr Schergen Babylons und der Götzen seid!“

„Wo waren Sie gestern Abend zwischen acht Uhr und Mitternacht?“

„Erwarten Sie wirklich eine Antwort von mir?“

„Sie haben das Recht zu schweigen, wenn Sie sich selbst belasten! Aber ich dachte, Sie möchten vielleicht etwas tun, um uns deutlich zu machen, dass Sie nichts mit dem Mord an Guthrie zu tun haben.“

„Jemand muss das Schwert Gottes sein – so wie ihr als Diener der Götzenherrschaft fungiert!“

„Vielleicht bekommen unsere Verhörspezialisten ja etwas Vernünftiges aus Ihnen heraus, Mister Braddock. Tut mir leid, Sie haben es nicht anders gewollt!“

„Sie haben doch Ihr Urteil längst gefällt!“

„Nein, das ist nicht wahr. Mein Kollege und ich sind eigentlich nur hier gewesen, um Ihr Alibi für die Tatzeit zu überprüfen, wobei Sie mir unglücklicherweise nicht behilflich sein wollen.“

„Warum sollte ich auch nur einen Finger für die Diener des satanischen Systems krumm machen, das unser Land beherrscht und es zulässt, dass unschuldige Kinder getötet werden!“

„Haben Sie sich vielleicht zum Richter über Dr. Guthrie aufgeschwungen?“

„Gott richtet. ‚Mein ist die Rache’, spricht der Herr.“

„Es war ein Mensch, der Guthrie drei Kugeln verpasst hat. Nicht Gott.“

„Ein Mensch, ja! Ein Mensch, der zweifellos ein Werkzeug Gottes war! Ein Schwert in den Händen des Allmächtigen! Ein Wächter des Heiligen Lebens…“

Leslie Morell kehrte wenig später mit dem Gewehr zurück, das auf die Straße geschleudert worden war. Glücklicherweise hatte es niemanden verletzt.

„Aus dem Kerl bekommen wir keine vernünftige Aussage heraus. Entweder er hat Drogen genommen oder ist verrückt, Leslie.“

„Sehen wir uns hier ein bisschen um“, schlug Leslie vor. Er hob die Waffe an. „Bewaffneter Angriff auf zwei Bundesbeamte – da kommt einiges auf Sie zu, Mister Braddock.“

Jay zog sich Lastexhandschuhe an und sah sich um.

In einer Ecke stand ein Schreibtisch samt Computer. Ein Festnetzanschluss existierte nicht, dafür aber lag ein Handy neben dem Computer. Das Gerät war eingeschaltet. Jay sah sich im Menue die Anruflisten durch. Dann griff er in seine Jackentasche, um einen Zettel hervorzuholen, auf dem er sich einige Telefonnummern notiert hatte. Es handelte sich um Dr. Guthries Anschlüsse in der Praxis, zu Hause und mobil.

„Sieh an, das ist sehr interessant, Mister Braddock“, stellte Jay schließlich fest. „Hier taucht sehr häufig die Nummer des Ermordeten auf. Offenbar haben Sie gegen die Bewährungsauflagen verstoßen und Dr. Guthrie kontaktiert!“

Braddock verzog das Gesicht.

„Sie können mich mal!“, brüllte er.

„Zwei Anrufe – kurz bevor Guthrie ermordet wurde!“, gab Jay zu bedenken. „Die Verbindung kam zu Stande, das geht eindeutig aus dem Menue hervor.“

„Dann sind Sie der letzte Mensch, der mit Dr. Guthrie gesprochen hat, bevor er erschossen wurde“, erklärte Leslie.

„Vielleicht wollte er sich vergewissern, dass Guthrie noch in seiner Praxis ist. Sobald niemand mehr abnahm wusste er, dass er jeden Moment im Parkhaus auftauchen würde…“

„Verdammt, was wollen Sie von mir?“, kreischte Braddock unverhältnismäßig heftig.

„Wie wäre es einfach mit der Wahrheit?“, erwiderte Jay.

„Die Wahrheit?“ Er lachte heiser. „Die Wahrheit wollen Sie doch nicht hören! Sie wollen mir diesen Mord in die Schuhe schieben und wenn ich ihn nicht zugebe, werden Sie vermutlich Beweise fälschen oder mich verprügeln!“

Jay und Leslie wechselten einen etwas irritierten Blick.

Schließlich sagte Jay: „Das ist Unsinn, Mister Braddock! Aber Sie sollten uns schon erklären, was das hier zu bedeuten hat!“ Dabei hob er das Handy etwas an, das er daraufhin Leslie übergab.

Jay sah sich noch ein wenig um. Im Gefrierfach des Kühlschranks entdeckte eine Automatik, Kaliber 45.