Ticket ins Glück - und zurück - - Sabine Schubert - E-Book

Ticket ins Glück - und zurück - E-Book

Sabine Schubert

4,6

Beschreibung

Tess: Lisa ist die heißeste Versuchung, der ich je widerstehen wollte. Trotzdem widersteht sie ihr. Die Draufgängerin braucht dringend einen Dämpfer, fällt es Tess auch schwer. Das heiße Spiel um Kontrolle, Verlangen und Enthaltsamkeit zieht auch die anderen Urlauber und Mitarbeiter auf der paradiesischen Insel in ihren Bann. Aber was ist, wenn aus einem heißen Spiel plötzlich Liebe wird? Eine Liebe, für die Lisa nicht bereit ist, die sie nicht mal sieht. Eine Liebe zwischen zwei Menschen, deren Leben sich abseits der Urlaubsinsel nicht vereinen lassen. Eine Liebe, auf der der Schatten von Tess' Vergangenheit liegt: Vivien - die Ex, die Tess nicht loslassen will und mit sich in den Abgrund zieht...

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Drei Wochen Urlaub lagen vor Tess Dearing. Zugegeben, sie musste nebenbei auch arbeiten, aber es würde eine schöne Arbeit sein und sie würde in der Sonne sitzen. Oder liegen, je nach dem...

Seetauglich war sie nicht, aber da musste sie durch, wenn sie auf die Insel ihrer Träume gelangen wollte. Bisher hatte sie das mit Medikamenten auch immer geschafft, so auch in diesem Jahr. Dennoch war sie froh, als sie von dieser schaukelnden Nussschale herunterkam und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Es war ein Holzsteg. Man konnte durch die einzelnen Latten zum Wasser hindurchsehen. Es glitzerte in paradiesischem Türkis. Der weiße Sandstrand lud sie schon ein und die Sonne gab dem Bild das Tüpfelchen, das es perfekt machte. Tess hätte ewig auch nur dort stehenbleiben können und wäre glücklich bis in die Tiefen ihres Herzens gewesen, aber dann wäre sie wohl irgendwann umgefallen.

Ein junger Inselbewohner nahm ihr die zwei Taschen ab. Viele Kleider würde sie hier nicht brauchen, daher waren die auch in der kleineren Tasche verstaut. Bei der größeren zuckte der Mann kurz zusammen, tat aber, als wäre es gar nicht so schlimm. Tess wusste, dass es das doch war, sie hatte sie schließlich von ihrer Wohnung ins Taxi und dann über den Flughafen tragen müssen.

Das Gepäck von Tess und den anderen Touristen wurde auf Kutschen geladen, vor die jeweils vier Pferde gespannt waren. Straßen suchte man hier vergeblich. Genauso wie ein Handynetz, aber genau deshalb liebte Tess es so. Hier hatte alles auch Zeit. Es musste nicht immer schnell und sofort gehen.

Hinter dem Sandstrand lag ein paradiesischer Wald mit bunten Vögeln, tropischen Pflanzen und Geräuschen wie im Regenwald. Es war traumhaft. Für fast alle. Neben Tess in der Kutsche saß ein Mann im Anzug. Das wäre Tess schon mal viel zu warm gewesen. Sie trug nur ein dünnes Sommerkleid und FlipFlops. Der Mann tippte die ganze Zeit auf seinem Handy herum oder hielt es in die Höhe und schimpfte am laufenden Band.

„Hier gibt es keinen Empfang.“ sagte Tess lächelnd. „Auf der ganzen Insel nicht.“

Er verdrehte die Augen. „Na großartig! Wo bin ich denn hier gelandet?“

Tess antwortete nicht. Der hätte sie nur noch weiter mit sich nach unten gezogen und das wollte sie nicht. Sie war froh, dass er sein Handy einpackte. Dann sah er ständig auf die Uhr und trieb den Kutscher an, der ihn geflissentlich ignorierte. Tess erlebte es zum ersten Mal, dass sie leicht genervt an dem hohen Hotel ankam.

Es lag auf einem Hügel und wirkte wie eine typische Inselhütte. Das Dach war mit Stroh und Palmenwedeln bedeckt, obwohl es ein richtig großes Haus war. Man musste auch nicht auf Luxus verzichten. Es gab fließend warmes Wasser, einen Pool, Sauna, Massagebereich, Telefon und Internet, einen Fernseher auf jedem Zimmer und so weiter. Man konnte also Urlaub im ursprünglichen Paradies machen, ohne auf den zur Normalität gewordenen Luxus verzichten zu müssen. Das sollte den Mann doch auch freuen, dachte Tess, aber das war falsch gedacht.

Der Mann stand an der Rezeption vor ihr. Eigentlich hatte er sich einfach vor sie gestellt und da sie keine Lust hatte, sich aufzuregen, sie war schließlich im Urlaub, ließ sie ihm den Vortritt.

Er klärte alles und bekam seinen Zimmerschlüssel. „Wo kann ich ein Auto mieten?“ fragte er dann und Tess musste leise lachen.

„Hier?“ fragte der junge Mann der Rezeption. „Gar nicht. Hier fahren keine Autos. Aber es stehen jede Menge Fahrräder für die Gäste bereit und die Pferde.“

Dem Mann war das Gesicht eingeschlafen. „Das war ein Scherz, oder?“

„Nein. Es gibt nicht mal Wirtschaftsfahrzeuge, weil die ganze Insel ein Naturschutzgebiet ist.“

Schnaufend strich er sich mit der ganzen Hand übers Gesicht. „Das ist ein Albtraum. Gibt es wenigstens Telefon?“

„Auf jedem Zimmer.“ bestätigte der Rezeptionist lächelnd, obwohl Tess ihm ansah, dass es ihm nicht leichtfiel. Na gut, sie kannte ihn auch schon.

„Hallo?“ fragte die andere Mitarbeiterin der Rezeption und schreckte Tess aus ihren Gedanken.

„Tut mir leid.“ schmunzelte sie und ging gleich zu ihr. Die war neu hier.

„Kein Problem.“ lächelte sie. „Er scheint interessant für sie zu sein.“

„Nicht im geringsten.“ lachte Tess leise. Der musste das ja nicht unbedingt mitkriegen, deshalb beugte sie sich auch ein Stück nach vorn. „Ich bin nur mit ihm angekommen und der ist nur am meckern. Ich glaube, für ihn ist das hier die Hölle.“

„Und für sie?“ lächelte die Fremde noch immer. Sie hatte sich ein bisschen über den Tresen gebeugt, genau wie Tess.

„Für mich ist es das Paradies auf Erden. Tess Dearing.“

„Lisa. Es freut mich.“

Noch einen Augenblick hielt sie Tess mit ihrem Blick fest, dann richtete sie sich auf und tippte auf den Computer. „So, Tess Dearing. Zimmer Dreihundertundsieben.“

Tess zuckte kurz. „Äh … Normalerweise gehe ich immer in das Strandhaus im Süden.“

„Sie kommen also öfter?“

„Jedes Jahr.“ nickte Tess und hätte geschworen, die flirtete mit ihr.

„Dann scheine ich bisher immer zur falschen Zeit hier gewesen zu sein.“

Jetzt war es amtlich, dachte Tess. Die flirtete tatsächlich. Nicht dass sie nicht anziehend gewesen wäre, Tess spürte Hitze in ihrem Schoß aufsteigen, als sie sie ansah, aber dafür war sie nicht hier.

„Sie haben ein Zimmer gebucht.“ sagte Lisa ungezwungen. „Wollen sie umbuchen?“

„Äh...“ Darauf war Tess nicht vorbereitet. Und ihre Finanzen gaben die Erhöhung auch nicht her.

„Tess!“ rief auf einmal eine alte Dame. Man hörte ihr das Alter an, aber auch die Freude.

Tess drehte sich um und strahlte schon, doch dann sanken ihre Mundwinkel. Die Frau saß in einem Rollstuhl. „Evi, was ist denn mit dir passiert?“ fragte sie besorgt, ließ sich die Umarmung aber nicht nehmen.

„Beinbruch, halb so schlimm.“ wehrte Evi ab. „Warum hast du nicht Bescheid gesagt, wann du kommst? Ich hätte dich doch abgeholt.“

„Damit?“ schmunzelte Tess und deutete auf den chicen Rollstuhl.

„Klar. Hättest dich ja auf meinen Schoß setzen können.“

Tess lachte auf. „So siehst du aus.“

Evi rollte um die Rezeption herum zu Lisa, die das Ganze äußerst skeptisch beobachtete. „Das Strandhaus im Süden für meine Tess.“

„Äh … Okay.“

„Zum normalen Zimmerpreis abzüglich zwanzig Prozent.“ fügte Evi hinzu und Tess war zufrieden. Sie hätte auch mit einem normalen Zimmer Vorlieb genommen, aber damit hatte sie nicht gerechnet gehabt. Und Lisa auch nicht. Was war hier los?

Sie machte alles fertig und übergab Tess den Schlüssel.

„Danke.“ lächelte sie. „Und ich hätte gern eines der Fahrräder für meinen Aufenthalt hier.“

„Steht schon auf deiner Terrasse.“ lächelte Evi. „Wie immer.“

„Du bist ein Schatz.“

„Isst du mit mir?“

„Heute Abend, okay? Ich bin echt alle. Ich komme gerade aus New York.“

„Oh.“ Evi runzelte die Stirn. „Dann hast du aber einen weiten Weg hinter dir.“

„Eben. Ich leg mich erst mal hin, okay?“

„Geht klar. Ich warte heute Abend auf dich.“

„Gegen Sieben.“ schmunzelte Tess. Das war immer so. Punkt Sieben musste es Abendessen geben.

Sie nahm Lisa den Schlüssel ab und verließ das Hotel wieder, um ihre vorübergehende Bleibe zu beziehen. Lisa sah ihr nach. Das kurze Kleid wippte mit jedem Schritt und die ellenlangen Beine schienen seidenweich.

Evi stieß sie unsanft mit dem Ellenbogen an. „Wag es dir ja nicht.“ drohte sie ernst.

„Woher kennt ihr euch?“

„Ihre Mutter war eine der besten Freunde deines Onkels. Sie kommt jedes Jahr hierher, seit sie noch im Leib ihrer Mutter heranwuchs. Also halt dich ja zurück, sonst kriegst du Ärger.“

Lisa feixte ihre Tante an. „Was spricht denn dagegen?“

„Dass du sie nicht zu schätzen weißt und sie genau deshalb auch nicht verdient hast.“

Autsch, dachte Lisa, das war deutlich gewesen. Evi fuhr auch einfach unbeeindruckt davon. Okay, eigentlich hatte sie Recht, wusste Lisa. Sie war nicht der Typ für was Festes, aber was sprach gegen ein bisschen Zärtlichkeit?

Tess kam zu ihrem Sommerhaus, wie sie es früher immer genannt hatte. Sie war mit der Kutsche gebracht worden und netterweise brachte man ihr auch die Taschen ins Haus. Die kleinere von beiden packte sie gleich aus, weil sie das sonst nie getan hätte. Die große war auch viel interessanter. Bücher. Jede Menge Bücher, Blöcke, Stifte und ihr Laptop. Der musste sein. Leider.

Sie richtete sich häuslich ein und trat auf die Terrasse. Sie hatte einen herrlichen Blick übers Meer unter ihr. Rechts neben dem Haus führte eine steile Steintreppe nach unten zu einer Bucht, die man nur von hier aus erreichen konnte. Oder mit dem Boot, aber das war hier verboten wegen der Korallen. Schnorcheln würde sie auch gehen, aber nicht gleich.

Sie nahm sich ein Glas Saft aus dem Kühlschrank und legte sich auf einen Liegestuhl auf der Terrasse. Erst mal musste sie einfach gar nichts tun. Sie schloss die Augen und döste vor sich hin. So sah Urlaub aus, dachte sie. Hinter ihr lag der dichte Wald. Der Weg führte nur zu diesem Haus. Selten verirrte sich jemand hierher. Und vor ihr lag die Weite des Meeres. Was wollte sie mehr als diese Ruhe? Das würde der Anzugmann in diesem Urlaub garantiert nicht mehr verstehen. Der würde wohl schon wieder am Telefon hängen...

Zum Abendessen fuhr sie mit dem Fahrrad zu Evi. Sie lehnte es an die Hauswand, klopfte und wurde überrascht. Lisa machte ihr auf.

„Schönen guten Abend.“ lächelte sie süffisant und hob eine Braue. Ihr Blick huschte kurz an Tess hinab zu den nackten Beinen und dann wieder zu ihren blauen Augen. „Komm rein.“

„Lisa.“ stöhnte Evi, als sie angerollt kam. „Kannst du deinen Kopf nicht mal auf den Schultern tragen, statt zwischen deinen Beinen.“

Lisa kniff die Augen zusammen und duckte sich leicht. Die war ja wieder direkt heute.

Tess kicherte. „Hallo Evi. Ich weiß mich schon zu wehren, keine Sorge.“

Toll, dachte Lisa, damit waren ihre Chancen auf etwas Abwechslung wohl gerade geplatzt wie eine Seifenblase.

„Sie ist furchtbar, wenn es um das weibliche Geschlecht geht.“ lachte Evi.

„Danke.“ zickte Lisa lachend. „Du bist unglaublich nett heute zu mir.“

„Ich war ja auch noch nicht fertig, aber abstreiten kannst du es nicht. Und dennoch kannst du sehr lieb sein, solange es um alte Leute und deine Arbeit geht.“

Tess konnte nicht anders als lachen. „Tut mir leid.“ gluckste sie zu Lisa.

„So siehst du aus.“ lächelte sie schief. „Aber sie hat Recht, ich lebe für meine Arbeit. Deswegen sehe ich aber noch lange nicht ein, wie eine Nonne zu leben.“

„Sagt ja auch gar keiner.“

Hatte Lisa vielleicht doch noch eine Chance?

Tess sah die Hoffnung in ihren Augen steigen und setzte gleich fort. „Schlag dir das ganz schnell aus dem Kopf.“

„Schade eigentlich.“ schmunzelte Lisa und ging endlich durch das Haus in den Garten zum Essen.

Tess sah amüsiert zu Evi hinab, die nur die Augen verdrehte. Sie würde wohl zu Lisas Schatten werden müssen, um Tess einen angenehmen Aufenthalt zu bescheren. Dabei war die grundsätzlich ja gar nicht abgeneigt, aber so dreist ließ sie sich nicht abschleppen. Und schon gar nicht im Urlaub.

Im Garten war schon alles fertig und wartete nur noch auf Tess. Hier gab es nur leichte Kost, weil man bei allem anderen in der tropischen Hitze vermutlich geplatzt wäre. Obst und Gemüse war der Hauptbestandteil jeder Mahlzeit, egal zu welcher Uhrzeit.

„Wie ist das passiert?“ wollte Tess wissen und deutete auf Evis geschientes Bein.

„Ich bin einfach zu blöd eine Leiter zu benutzen.“

„Nicht zu blöd, nur zu alt.“ griente Lisa. „Joshi hätte das sicher gern für dich getan, aber da hat garantiert der Stolz gesiegt.“

„Der das einzige ist, was ich mit dir gemeinsam habe.“ lachte Evi.

„Das stimmt nicht. Die Liebe zu dieser Insel verbindet uns ebenso.“

„Stimmt.“ seufzte Evi selig und sah in den Wald hinter ihrem Privathaus. Sie war schon als Kind mit ihren Eltern hierher gekommen. Sie hatten die ganze Anlage aus dem Nichts geschaffen und Evi hatte sie weitergeführt, als ihre Eltern gestorben waren. Nur eigene Kinder hatte sie nicht und wusste noch nicht, wer das irgendwann mal übernehmen würde. Joshi war der Sohn ihres Bruders und Lisa die Tochter ihrer Schwester. Beide zog es immer wieder hierher. Früher noch in den Ferien, um sich das Taschengeld aufzubessern, und später dann im Urlaub, um von ihrem eigenen Job abzuschalten. Oder jetzt, um ihrer Tante zu helfen, bis das Bein wieder heil wäre. Lisa hatte auch noch einen Bruder, aber der kam nur noch selten. Zu viel Arbeit und zu wenig Sinn für die Romantik der Ruhe.

Evi kam zurück in die Realität und lächelte Tess an. „Erzähl. Wie geht’s dir?“

„Geht so.“ schnaufte Tess. „Ich stehe vor den Prüfungen und will hier richtig runterkommen.“

„Dann halte dich fern von Lisa.“

„Hey!“ rief sie empört. „Als wüsste ich nicht, was Entspannung ist.“

„Du kennst vielleicht die Definition laut Lexikon, aber mehr auch nicht.“

Tess musste schon wieder leise vor sich hin kichern. Die beiden schienen sich gut zu kennen und zu lieben, aber auch immer direkt und ehrlich zueinander zu sein. Zumindest Evi war es eigentlich immer. Auch zu ihren Gästen.

„Das stimmt nicht.“ beteuerte Lisa zu Tess. „Ich bin durchaus in der Lage, mich zu entspannen, ich finde nur viel zu selten die Zeit dafür.“

„Wegen Stress, den du dir selbst machst?“ vermutete Tess lächelnd und wurde in dem Moment bestätigt, in dem Lisa leicht die Lippen verzog.

„Vielleicht. Ich liebe meinen Job eben und wüsste nicht, wieso ich mich dafür schämen sollte.“

„Das sagt ja auch gar keiner. Ich liebe mein Studium auch und setze mich auch dem Stress aus, aber ich nehme mir auch regelmäßig die Zeit, mich von dem Stress zu erholen, sonst würde mir der Spaß daran verloren gehen.“

„Irgendwie klappt das bei mir nie.“

„Lass mich raten: Weil du dir jede Minute deiner freien Zeit mit Damen pflasterst?“

Evi fing schallend an zu lachen. Sie hatte eigentlich vorgehabt, Tess ernsthaft zu warnen, aber das schien überflüssig. Sie hatte sehr wohl bereits verstanden.

„Stimmt.“ schmunzelte Lisa.

„Darf ich fragen, was du machst?“ fragte Tess und trank ganz gemütlich von dem Wein. Selbstgemacht aus den Trauben von der Rückseite des Berges.

„Ich bin Anwältin.“ antwortete Lisa und Tess hörte zum ersten Mal in ihrer Stimme echten Stolz. Sie liebte ihren Job wirklich.

„Also wenn ich mal Probleme kriege, weiß ich, wo ich anrufe.“

„Ich würde mich freuen.“ lächelte Lisa.

Das war nur ein weiterer offensichtlicher Versuch des Vorstoßes. Sie beugte sich weit über den Tisch zu Lisa. „Ich sagte, schlag dir das aus dem Kopf. Ich will kein Strich in deiner Liste werden.“

Auch Lisa beugte sich noch ein Stück nach vorn. „Wer hat was von einer Liste gesagt?“

Tess ließ sich gelassen wieder an die Lehne sinken. „Glaub mir, ich hab genügend Frauen von deinem Kaliber kennengelernt. Evi, ist heute wieder Tanzabend?“

„Sicher.“ schmunzelte sie. So eine Abfuhr hatte ihre geliebte Nichte wohl noch nie bekommen. „Wie jeden Abend. Willst du hin?“

„Sicher. Wann hab ich den denn am ersten Abend schon mal verpasst?“

„Mareike steht hinter der Bar.“

„Oh.“ Tess fing an zu grinsen. „Ich kann es gar nicht erwarten. Ist sie noch böse auf mich?“

„Nein, aber ich glaube, sie träumt immer noch von dir.“

„Mareike?!“ platzte Lisa erschrocken hervor. Die war so was von hetero! Sie hatte vor ein paar Monaten geheiratet!

„Punkt für mich.“ stichelte Tess mit einem Grinsen, das verboten gehörte. Sie hatte Mareike nämlich im vergangenen Jahr verführt gehabt. Am Strand...

Lisa hatte ihr verführerisches Lächeln schon wiedergefunden. „Nimmst du mich mit?“

„Nein!“ legte Evi fest.

Tess konnte nicht anders. Sie war Lesbe durch und durch. „Das ist eine freie Insel. Ich werde dich nicht an die nächste Palme fesseln, um dich aufzuhalten.“

Das war eine Einladung, erkannte Lisa. „Dann werde ich den Wunsch meiner geliebten Tante Evi nicht erfüllen und dich begleiten.“

Evi seufzte leise. Hatte sie doch geglaubt, Tess hatte verstanden, schien es wohl doch nicht so. Oder sie spielte Lisas Spiel einfach mit? Das war natürlich auch eine Variante und würde zu Tess passen. Sie ließ sich nicht alles gefallen, aber sie war sehr gefühlvoll. Da sie sich aber nicht gegen die Begleitung wehrte, musste Evi zusehen, wie Lisa ihr folgte.

Tess war mit dem Rad gekommen, also fuhr sie mit dem auch wieder. Lisa musste ihres noch aus dem Schuppen holen und als sie rauskam, war Tess weg. Die war eine echt harte Nuss, musste Lisa zugeben, doch genau deshalb würde sie auch nicht so schnell aufgeben. Sie fuhr ihr einfach nach und holte sie recht schnell ein. Tess fuhr langsam, aber nicht um auf Lisa zu warten, sondern weil sie Urlaub hatte und die Umgebung genoss.

„Du bestätigst mich.“ sagte sie, als Lisa neben ihr auftauchte, würdigte sie aber keines Blickes.

„In welcher Hinsicht?“

„Du setzt dich selbst Stress aus, um bei Frauen zu landen.“

Das musste sie sich wohl gefallen lassen. „Möglich. Warum ist das so schlimm? Ich lebe einfach nur.“

„Ist ja auch in Ordnung, wenn es dich glücklich macht, aber dein Ego braucht dringend einen Denkzettel, also glaube nicht, dass ich mich von dir einlullen lasse.“

„Das heißt aber nicht, dass ich es nicht probieren werde. Ich bin machtlos bei so schönen Frauen.“

„Ich würde mich geschmeichelt fühlen, wenn du es ernst meinen würdest.“

„Tue ich doch. Du siehst bezaubernd aus.“

Tess wurde nicht mal rot und fühlte sich kein bisschen davon angesprochen. „Aber weil du das vermutlich zu jeder sagst, verliert es seinen Charme und ist simple Normalität aus deinem Mund wie die Floskel: Schönes Wetter.“

Sie stellten die Räder in den Ständer vor dem großen Clubhaus. Musik kam ihnen schon entgegen. Tess achtete nicht weiter auf Lisa, obwohl sie ihren heißen Blick im Rücken spürte und durchaus erregt wurde. Vermutlich hätte sie sich von ihr einlullen lassen, wenn sie ihre Draufgängerei nicht so offen herumgetragen hätte.

Sie sah zur Bar und erblickte Mareike. Sie war eine Schönheit durch und durch. Wellendes, dunkles Haar, das im Schein der Fackeln glänzte, weiche Beine, die nie enden wollten, die Haut von zartem Satin in sanftem Braun, volle Brüste, eine süße Stupsnase und ein hinreißendes Lächeln.

Tess ging direkt zu ihr und setzte sich. „Hey.“ griente sie Mareike entgegen.

Sie sah auf und stutzte einen Moment. Dann fing sie verlegen an zu schmunzeln. Ein einziger Augenblick genügte, die heißen Erinnerungen des letzten Jahres aufflammen zu lassen. Es war Nacht gewesen und heiß. Im seichten Wasser der Bucht unterm südlichen Strandhaus hatten sie Abkühlung und Erhitzung gefunden. „Hey. Was machst du denn hier?“

„Urlaub wie jedes Jahr. Evi sagte, du bist hier, also musste ich doch herkommen.“

Lisa setzte sich neben Tess, die sie weiterhin ignorierte. „Hey Mareike.“

„Hey.“ Sie sah gleich wieder zu Tess und lächelte verführerisch. „Was willst du trinken?“

„Sex on the beach vielleicht?“

Das hatte kommen müssen. Mareike konnte ja auch nicht abstreiten, dass Tess fantastisch aussah. Natürliches Blond und leuchtend blaue Augen, sehr zarte Gesichtszüge wie eine Elfe, hohe Wangenknochen, seidenweiche Haut und meistens ein Lächeln auf den Lippen, dem nicht mal eine verheiratete Frau einfach widerstehen konnte. Und die Erinnerung an den vergangenen Sommer ließ alte Hitze in ihr aufsteigen. Sex on the beach …

„Sollst du haben.“

„Jetzt?“

„Im Glas.“ lachte Mareike und machte sich gleich an die Arbeit.

„Ich nehme auch einen.“ sagte Lisa und drehte sich zu Tess. „Du kannst ja auch ganz anders.“

„Sicher. Wer hat behauptet, dass ich das nicht könnte?“

„Ich hätte dich eher als Nonne eingestuft.“

„Falsch gedacht, weil du Frauen nicht als Menschen, sondern nur als Objekt der Befriedigung ansiehst.“

Äußerlich völlig unbeeindruckt drehte sie sich, um den Blick über den Raum schweifen zu lassen. Es war heiß und Lisa weckte in ihr nicht weniger Verlangen als Mareike, nur würde sie Lisa nicht ranlassen. Das hieß aber nicht, dass sie etwas gegen nächtlichen Besuch gehabt hätte. Leider hielt sich ihre Begeisterung über das Angebot in Grenzen.

„Lass es dir schmecken.“ lächelte Mareike, als sie Tess das Glas auf den Tresen stellte.

„Werde ich.“ schmunzelte sie. „War ich wirklich so schlecht?“

Mareike stutzte. „Hä?“ Tess deutete auf ihren Finger, an dem eindeutig ein Ehering prangte, und Mareike verstand. „Oh. Äh...“ Sie räusperte sich. „Ich war bereits verlobt.“

„Oh. Muss mir das leidtun?“

„Tut es das?“

„Nein, eigentlich nicht, aber im Gegensatz zu gewissen anderen Personen verfüge ich über Moral.“

„Autsch!“ lachte Lisa, der natürlich klar war, wer hier gemeint war.

„Getroffene Hunde bellen.“ lachte Tess und sah Mareike wieder an. „Ich bin im Strandhaus im Süden, wenn du mich suchst.“

Sie lachte. „Tut mir leid, ich bin eine brave Hausfrau und werdende Mutter.“

„Ach echt?“ strahlte Tess ehrlich begeistert. „Herzlichen Glückwunsch.“

„Vielen Dank. Und mein Mann weiß von dir, also keine Panik.“

„Das beruhigt mich ein bisschen. Oder ist er hier? Sollte ich Angst kriegen?“

„Nein, keine Sorge. Du musst dir nur jemand anders für diesen Sommer suchen.“

Tess seufzte theatralisch. „Das wird schwer.“

Lisa konnte kaum glauben, was sie mit ihren eigenen Augen sah. Tess schien doch ein ganz schönes Luder zu sein, wieso biss Lisa dann so auf Granit bei ihr?

„Ich lass den in deiner Obhut.“ lächelte Tess zu Mareike und deutete auf ihren Cocktail. Sie wollte tanzen und nicht nebenbei ein Glas in der Hand halten oder immerfort im Auge behalten müssen. Mareike stellte es auch gleich hinter den Tresen. Die meisten machten sich vor allem im Urlaub über so was keine Gedanken. Tess war vielleicht ein kleines Luder, aber eines mit Anstand und Würde.

Heiße Rythmen erfüllten das ganze offene Lokal. Es gab kaum Wände, so kroch das Feeling der urwäldlichen Nacht in den Raum hinein und vertrieb trotzdem die Party nicht.

Tess stürzte sich ins Getümmel und tanzte. Sie wusste schon bevor sie aufstand, dass Lisa ihr folgen würde, und behielt Recht. Sie schien ihr ernsthaftes Interesse geweckt zu haben mit ihrer Abfuhr. Lisa kam ihr nicht zu nah, aber ihre Blicke bedeuteten eine gewisse Achtung, die sie wohl vor nicht vielen Frauen hatte. Vor Evi vielleicht. Ihr Blick sagte aber auch, sie würde gern mehr über sie erfahren. Dafür müsste sie sich anstrengen, legte Tess für sich selbst fest. Obwohl es ihr nicht leichtfiel, in dieser Atmosphäre einer schönen Frau zu widerstehen. Der kurze Rock schwang bei den anmutigen Bewegungen um ihre Beine, als würde er mittanzen wollen.

Dennoch blieb sie standhaft und fuhr allein zurück in ihr Strandhaus. Mareike war verheiratet und definitiv Tabu. Hätte sie im letzten Jahr schon von der Verlobung gewusst, hätte sie sie auch nicht angerührt, aber da Mareike es verschwiegen hatte, entzog sich Tess der Verantwortung. Nur die Wiederholung war ausgeschlossen, auch wenn sie mit ihr geflirtet hatte.

„Gute Nacht.“ sagte Lisa, als sich ihre Wege trennten.

„Träum süß.“ zwinkerte Tess mit einem einladenden Lächeln. Ihre Lippen allein waren für Lisa die reinste Verführung, doch sie wusste, sie wäre nicht weitergekommen, wenn sie ihr jetzt gefolgt wäre, daher fuhr sie zum Haus ihrer Tante, um sich ein bisschen Schlaf zu gönnen.

Am nächsten Morgen wurde Tess von der Sonne wachgekitzelt. Sie hatte die breiten Türen ihres Schlafzimmers offen gelassen und roch gleich als erstes die Frische des Meeres und hörte das leise Rauschen. So musste ein Morgen für sie aussehen, wenn er perfekt sein sollte. Na gut, ganz perfekt wäre er gewesen, wenn jemand neben ihr gelegen hätte. Nicht irgendjemand, sondern diese eine, die an ihre Seite gehören würde. Leider gab es die in ihrem Leben nicht.

Sie musste an Lisa denken. Auch sie hatte am Abend nicht die Uniform des Hotels getragen, sondern ein leichtes Sommerkleid mit tiefen Einblicken. Tess wurde schon heiß, wenn sie nur an den Anblick dachte. Es war nicht leicht gewesen, sie zu Evi gehenzulassen. Vor allem mit gestiegenem Alkoholpegel hatte sie schwer zu kämpfen gehabt, der leibhaftigen Versuchung zu widerstehen und ihrem Vorsatz treu zu bleiben.

Sie stand auf und kochte sich Kaffee, um sich dann in die Sonne zu legen. Klamotten brauchte sie dafür nicht. Sie war schließlich allein hier und Touristen auf Inselerkundung würden ja wohl nicht bis auf ihre Terrasse kommen.

So hatte sie sich das gedacht. Sie saß noch nicht lange, hatte gerade mal drei Seiten ihres Buchs gelesen, da rief schon jemand nach ihr. Lisa.

„Guten Morgen!“

„Terrasse!“ rief Tess zurück, sah aber nicht von ihrem Buch auf.

Lisa kam außen um das Haus herum. Sie hatte ihr Rad vorn abgestellt und lief mit frischen Brötchen im Beutel zur Terrasse. Doch sie blieb stocksteif einen Moment stehen, als sie Tess sah. Splitterfasernackt lag dieser einladende Körper in der Sonne und strahlte regelrecht. Lisa war so unvorbereitet getroffen worden, dass sie zu nichts imstande war, außer den sanften Zügen ihres Körpers zu folgen. Sie hielt ein Buch in der Hand und ihr Arm verdeckte den Großteil ihrer Brust im Profil. Nur der Ansatz war zu sehen. Danach folgte ein flacher Bauch und ein aufgestelltes Bein, das Lisa verfluchte. Könnte es nicht lang liegen und mehr preisgeben?

Und wieso drehte sich Tess nicht zu ihr um? Es war ja gut, sonst hätte Lisa wohl ausgesehen wie ein Volltrottel, wie sie sie anstarrte, aber die schien sich kein bisschen für ihren Besucher zu interessieren.

Tess sah amüsiert auf. „Was ist? Hast du noch nie eine Frau nackt gesehen?“

Sofort legte sich das flirtende Lächeln wieder auf Lisas Lippen, als sie näher kam. „Selten eine so schöne.“

Tess verdrehte die Augen und sah wieder in ihr Buch. „Was kann ich denn für dich tun?“

„Ich hab dir Frühstück gebracht.“

„Seit wann gibt es hier Zimmerservice?“

„Seit heute.“

Noch immer sah sie Lisa nicht an. „Und du benutzt es nur als weiteren Versuch, deine Gelüste zu befriedigen.“

„Nein, eigentlich wollte ich dir nur Frühstück bringen.“

„Wenn dem wirklich so wäre, hättest du mit Evi gesprochen, die dir gesagt hätte, ich frühstücke nicht. Nur Kaffee und den hab ich bereits.“

Eiskalt, dachte Lisa. Das war nicht zu fassen. Sie las in ihrem Buch und sah sie nicht an. Sie würdigte sie keines einzigen Blickes.

Lisa stellte den Beutel auf den Tisch. „Ich wollte dir wirklich nur Brötchen bringen.“

Sie wandte sich ab zu gehen und Tess hob doch den Blick. „Lisa?“

„Mh?“ Unwillig drehte sie sich um. Selten blitzte sie so kaltherzig ab. Eigentlich noch nie!

„Wenn du mich nicht nur als Objekt betrachten würdest, würde ich dich auf der Stelle vernaschen.“

Lisas Herz machte einen Satz und ihre Mundwinkel hoben sich, doch das sah Tess schon gar nicht mehr. Sie las unbeeindruckt weiter und sah auch das Aufflammen des Ehrgeizes nicht in Lisas Augen. Sie war vom Grunde her ja offensichtlich nicht abgeneigt, also würde Lisa es schon noch schaffen. Erst einmal musste sie aber das Feld räumen und ging wieder.

Tess schmunzelte. Das hatte gesessen und sie wusste das. Sie hatte sie angestachelt und machte sich einen Spaß daraus, Lisa an ihrem empfindlichen Ego zu treffen. Die Wochen hier würden wohl aufregender werden, als sie geglaubt hatte.

Der negative Nebeneffekt: Sie war abgelenkt. Was hatte sie da eben gelesen? Seit Lisa angekommen war, hatte sie keines der gelesenen Wörter aufgenommen. Das war nicht zu glauben!

Am Nachmittag trieb sie dann aber ein ernsthaftes Problem zum großen Hotel. Joshi stand allein an der Rezeption wie meistens. Lisa gesellte sich nur zu ihm, wenn die neuen Touristen mit der Fähre kamen, um sie nicht so lange warten zu lassen.

„Hey.“ lächelte Tess.

„Hey kleine Tess.“ grinste er frech. „Alles in Ordnung?“

„Geht so. Ich stand gerade unter der Dusche und hab den Schock meines Lebens bekommen. Ich hab kein warmes Wasser.“

„Oh. Tut mir leid.“

„Kein Thema, aber kriegst du das wieder hin?“

„Sicher, warte kurz.“ Er ging in das Hinterzimmer der Rezeption und scheuchte seine Cousine heraus.

„Was soll denn das?“ schimpfte Lisa und klatschte ihm auf die Finger, die sie nach draußen - weg von ihrem Kaffee - trieben.

„Du musst kurz die Stellung halten.“ feixte Joshi. „Tess hat kein warmes Wasser, das können wir doch nicht so stehenlassen.“

Lisas Augenbraue hob sich, als sie Tess angrinste. „Ich kann es dir auch warm machen.“

„Das bezweifle ich nicht, aber eine Dusche sorgt nicht nur für körperliche Wärme.“ antwortete sie kalt, drehte um und ging. Sie hörte Joshi und Evi noch lauthals lachen, nur von Lisa kam nichts mehr. Die schwor sich, sie würde diesen Eisklotz noch zum Schmelzen bringen.

Joshi fand den Fehler zwar schnell, aber ihm fehlte die Ausbildung als Klempner und der würde erst am nächsten Tag wieder da sein.

„Komm einfach ins Hotel oder zu Evi.“ sagte Joshi. „Tut mir echt leid.“

„Kein Problem.“ lächelte Tess verständnisvoll. Probleme traten immer und überall mal auf, selbst im Paradies. Und dass der Klempner der Insel ausgerechnet heute bei der Zeugnisvergabe seines Sohnes war, war eben einfach Pech.

Oder Schicksal.

Am Abend, bevor sie sich ins Bett legen wollte, fuhr Tess mit dem Rad zu Evi, das war nicht so weit wie zu dem großen Haupthaus. Und sie wusste, sie würde dort genauso eine heiße Dusche finden.

„Klar.“ sagte Evi auch sofort und ließ Tess herein. Ein Handtuch und frische Kleider hatte sie sich natürlich mitgebracht, so war es wirklich nur die Dusche, die sie nutzte. Und den Spiegel.

Mit nassen, zerzausten Haaren kam sie aus dem Badezimmer und lief Lisa in die Arme. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die wollte auch gerade unter die Dusche und die beiden Frauen rannten sich halb über den Haufen.

„Gott.“ keuchte Tess erschrocken.

„Alles klar?“ kicherte Lisa, die nicht weniger erschrocken war.

„Ich glaube, ich brauch noch eine Dusche.“ Ihr Herz mochte sich gar nicht mehr beruhigen.

Lisa hob ihre Waschtasche auf, die sie hatte fallenlassen, und reichte sie ihr. „Ich würde dir ja anbieten, dir behilflich zu sein, aber das legst du nur wieder falsch aus, also werde ich es nicht aussprechen.“

Tess nahm die Tasche mit einem Lächeln und kurz zuckenden Brauen. „Vielleicht bist du ja doch noch lernfähig. Ich würde mich freuen, wenn du es schaffst, bevor mein Urlaub vorbei ist.“

Sie schob sich an Lisa vorbei, ließ es sich aber nicht nehmen, ihre Hand über Lisas Hintern streifen zu lassen. Über ihre Schulter zwinkerte sie Lisa noch mal mit einem verführerischen Lächeln und blitzenden Augen zu, und verschwand dann um die Ecke herum. Damit stand fest, Lisa brauchte kein warmes Wasser. Eiskalt war gerade immer noch zu heiß. Seit wann ließ sie sich denn so reizen? Seit wann ließ sie denn so mit sich spielen? Sonst tat sie das immer...

Tess wünschte sich auch gleich die nächste Dusche, doch die würde sie nicht bekommen. Auf dem Fahrrad zurück zu ihrem Haus rieb sie sich wie automatisch am Sattel, dachte an Lisa und war feucht, ehe sie angekommen war. Großartig, dachte sie, was war denn hier nur los?

Schon den nächsten Tag wollte Tess nun endlich richtig ihrer Arbeit widmen. Sie fuhr mit dem Rad zum Hotel, nahm sich eines der Pferde und ritt durch den dichten Wald zu Stellen, die sonst kaum einer erreichte. Kurz unterhalb der Spitze des Berges, auf dem sich immer genügend Touristen tummelten, gab es einen versteckten Aussichtspunkt, der nur zu erreichen war, wenn man den Weg verließ und sich auskannte. Ihr Pferd band sie an das Geländer und setzte sich auf den Felsvorsprung. Ihr Blick ging in weite Ferne und sie träumte eine Weile, bis sie aus ihrer Tasche ihren Block zottelte.

Vor ihr lag ein leerer Block, ein Bleistift kreiselte in ihrer Hand und wartete auf seinen Einsatz. Doch ihr fiel nichts ein. Nichts. Sie war wie blockiert. Das war ihr hier noch nie passiert. Nicht eine Zeile wollte sich in ihrem Kopf formulieren lassen. Nicht mal Ideen flammten auf, obwohl ein weißes Blatt Papier sonst immer genügte, um ihre Synapsen heißlaufen zu lassen. Nicht so an diesem Tag.

Genervt schob sie ihr Vorhaben beiseite und nahm sich nun doch ihr Hobby vor. Sie schrieb schon seit einigen Monaten an einem Roman und brauchte noch den richtigen Schwenker zum Ende hin. Eine Szene oder ein Kapitel - irgendwas, das sie dem geplanten Finale näher brachte. Der Block vor ihr rief förmlich nach der Miene des Bleistiftes, um Ideen zu sammeln, doch es kam nicht eine einzige.

„Das gibt’s doch nicht.“ grummelte sie leise vor sich hin. Wäre gerade jemand in ihrer Nähe gewesen, hätte sie denjenigen vermutlich angepampt, ohne dass er etwas dafür könnte. Zum Glück war da niemand außer dem Pferd und das schien sich nicht angegriffen zu fühlen.

Sie lehnte sich auf ihrem Fels zurück und fing eben an zu zeichnen. Da ihr auf Anhieb nicht mal etwas einfiel, das sie hätte aus ihrer Phantasie auf ein Blatt Papier hätte bringen wollen, zeichnete sie, was sie sah. Eine herrliche Landschaft...

Das gelang ihr ganz gut und sie war zumindest ein bisschen befriedigt. Dennoch war sie ziemlich mies drauf, als sie das Pferd wieder in den Stall brachte. Der Tag hatte so ergebnisreich werden sollen, doch mehr als ein paar Kritzeleien hatte sie nicht zustandegebracht.

Schuld daran war nicht nur Lisa, obwohl auch die eine Rolle spielte. Vivien geisterte durch ihren Kopf. Sie waren getrennt, aber Vivi schien das noch nicht so richtig verstanden zu haben. Und im Gegensatz zu Lisa kannte sie Tess auf einer Ebene, die es ihr manchmal unmöglich machte, ihr zu widerstehen. Schon landeten sie wieder im Bett und Vivien machte sich neue Hoffnungen, die Tess nur ungern zerstörte, weil es Vivi das Herz brach.

Das durfte so nicht weitergehen, zumal sich Tess im Nachhinein jedes Mal irgendwie gekauft vorkam. Vivien wusste um ihre Schwächen und spielte die schamlos an, um sie ins Bett zu kriegen, dort einzuschlafen und am Morgen mit ihr aufzuwachen wie in alten Zeiten...

Tess entschied sich für das Clubhaus. Dort gab es Musik und genügend Leute, zwischen denen sie sich nicht so einsam fühlte und doch allein sein würde.

„Whiskey on the Rocks.“ gab sie an der Bar ihre Bestellung auf, ohne auch nur aufzusehen.

Mareike stellte ihr das Glas vor. „Was treibt dir denn die Falten auf die Stirn?“

„Keine Ahnung.“ seufzte Tess. „Ich komme nicht weiter.“

„In welcher Hinsicht?“

„Mit meinem Job und meinem Leben.“

„Oh je. Aber weißt du, die Menschen hinter einer Bar sind die besten Helfer, um Probleme zu lösen, also lass uns mit dem Job anfangen.“

Tess schmunzelte. „Bist du wirklich verheiratet?“

„Ja.“ grinste Mareike stolz.

„Schade eigentlich, dich hätte ich entführt.“

„Du meinst wohl eher verführt.“

„Auch, aber hauptsächlich entführt.“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.“ verkündetet sie singend, wurde aber gleich wieder ernst. „Also schieß los, was ist passiert?“

„Keine Ahnung. Ich bin wie blockiert. Mehr als Kritzeleien hab ich heute den ganzen Tag nicht hinbekommen.“

„Was hätte es denn werden sollen?“ fragte Lisa auf einmal und setzte sich zu ihr.

Tess hörte ausnahmsweise mal aufrichtiges Interesse, deshalb antwortete sie auch. „Ich muss ein Naturgedicht schreiben, dabei liegt mir das nicht gerade.“

„Gedicht?“ staunte Lisa ehrlich überrascht.

Tess lächelte schief. „Ich studiere Literatur, Hauptfach Dichtkunst und Schriftstellerei.“

„Wow. Da gibt es viele Facetten, oder? Ich meine, meine Paragraphen sind da eindeutiger.“

„Stimmt.“ lachte sie. „Aber ich liebe die Literatur und das Studium.“

„Und woran scheiterst du hier?“ fragte Mareike.

„Keine Ahnung. Ich krieg den Kopf nicht frei. Ich hatte gehofft, das hier hinzukriegen, und schieb das schon seit Monaten vor mir her.“

„Dann solltest du mit dem Kopf anfangen.“ meinte Mareike und stellte ihr eine Schale Erdnüsse vor die Nase. „Sonst kommst du weder mit deinem Leben, noch mit deinem Job weiter.“

„Das ist wohl wahr, aber solange ich mein Leben nicht wieder im Griff habe, werde ich meinen Kopf wohl nicht frei kriegen. Du erkennst das Dilemma?“

„Es schreit mich an.“ bestätigte Mareike nachdenklich. Welcher Schritt war denn nun am sinnvollsten als erster zu tun?

„Du solltest eine Entscheidung treffen.“ meinte Lisa ernsthaft und riss die beiden anderen Damen aus ihren Gedanken.

Tess sah verwundert auf. „Wieso eine Entscheidung?“

„Ich hab zwar keine Ahnung, um was genau es geht, aber ich habe einen Fühler für Menschen, die mit einer Entscheidung kämpfen, sonst wäre ich keine so erfolgreiche Anwältin. Und ich bin der Meinung, wenn du für dich keine Entscheidung getroffen hast, wirst du deinen Kopf nie zur Ruhe kriegen.“

Tess kippte ihren Drink hinter. „Noch ein paar mehr davon, dann krieg ich das vielleicht hin.“

Kichernd füllte Mareike das Glas wieder. „Das sollte aber nicht die Lösung sein. Andererseits kannst du sicherlich auch hier schlafen, wenn du nicht mehr zu deinem Haus kommst.“

Tess lachte auf. „Wenn dann bei Evi. Die kuriert den Kater wieder weg.“

Lisa nahm sich eine Handvoll Nüsse und warf sich die erste in den Mund. „Wo ist das Problem? Brauchst du Hilfe?“ fragte sie ernsthaft.

„Jede Menge, aber keine, die du mir geben könntest.“

Lisa verdrehte die Augen. „Ich meine als Anwältin, Frau und Freundin, also ganz locker.“

„Ich sprach von der Anwältin.“ schmunzelte Tess. Lisa schien sich schon wieder angegriffen zu fühlen, dabei war das ausnahmsweise kein Denkzettel gewesen.

„Sprich es aus, Kleines.“ forderte Mareike liebevoll.

„Ihr dürft nur einmal raten.“ stöhnte Tess und kippte den nächsten hinter. Sie schüttelte sich leicht und bekam Gänsehaut. „Noch einen.“

„Oh je.“ seufzte Mareike. „Eine Frau. Wenn ich für jede Antwort einen Drink ausschenken muss, bist du voll bis oben hin, ehe wir alles wissen.“

„Ich werde sie einfach nicht los.“

„Willst du sie denn loswerden?“ fragte Lisa.

„Ja, genau das will ich.“ Tess lächelte sie nur halb an. „Aber sie kennt mich gut und spielt meine Schwachstellen immer wieder an.“

„Danke. Du gibst mir ja kaum eine Chance, dich kennenzulernen.“

„Weil du nur ans Vögeln denkst.“

„Und sie nicht?“

„Vivi? Nein.“ Tess verlor den Blick für die Realität und träumte an Lisa vorbei. „Sie ist eine absolute Träumerin. Musikerin. Aber sehr emotional.“

„Und eine Wucht im Bett.“ vermutete Mareike lachend.

„Auch.“ feixte Tess zufrieden. „Selten hab ich so was erlebt.“ Ihre Mundwinkel sanken wieder. „Und genau das nutzt sie immer wieder aus.“

„Sie verführt dich also, um dich an sie zu binden.“ erkannte Lisa.

Wieder musste Tess ihr Glas leeren. „Genau das. Und ich kann ihr genauso wenig widerstehen, wie ich mich an sie binden will.“

Mareike stützte sich auf den Tresen. „Na da hast du dir ja was eingebrockt.“

„Danke.“ zickte Tess und schob ihr das Glas noch mal vor.

„Ich bin dagegen.“ sagte Mareike und deutete auf die Flasche Whiskey in ihrer Hand.

„Zur Kenntnis genommen.“

Mareike seufzte, füllte aber erneut das Glas und gab noch einen Eiswürfel dazu.

„Hast du für dich eine Entscheidung getroffen?“ wollte Lisa wissen. Wieso sie sich für die Probleme einer eigentlich Fremden interessierte, könnte sie nicht mal sich selbst beantworten. Nicht dass ihr die Frage aufgekommen wäre … Ihr Kopf schien nur nach der Lösung für Tess zu suchen.

„Eigentlich schon, ja.“ Warum sie die nicht halten konnte, wusste Tess selbst nicht so genau.

„Wie bringt sie dich zum einknicken?“ fragte Mareike.

Tess fühlte sich endlich wie zu Hause. Sie hatte das Gefühl, hier mit Freunden zu sitzen und fand offene Ohren. Das war so was von angenehm. Sie fühlte sich nicht mehr so erschlagen.

„Keine Ahnung. Stell dir unschuldige Augen vor, die dich bitten, sie in deinen Arm zu nehmen und zu trösten, wenn sie einen schlechten Tag hatten. Ich kenne sie und weiß, dass sie eine Kleinigkeit schon aufwühlen kann. Ich kann nicht anders, als ihr den Halt zu geben, den sie in dem Moment braucht. Und schon ist es passiert...“ fügte Tess gereizt hinzu und leerte wieder ihr Glas.

„Sie spielt mit dir.“ stellte Lisa trocken fest.

„Ich weiß.“ zischte Tess angepisst. Das war ihr schließlich klar, deswegen ersäufte sie ihren Frust ja in Whiskey.

„Hey, nun geh mich nicht an. Ich verstehe nur nicht, wieso du so mit dir spielen lässt, wenn du es doch weißt.“