Tierische Begebenheiten - Stefan Ruck - E-Book

Tierische Begebenheiten E-Book

Stefan Ruck

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Beschreibung

"Tierische Begebenheiten" ist ein bunter und unterhaltsamer Mix aus erheiternden aber auch zum Nachdenken anregenden Tiergeschichten. Seit langer Zeit ausgestorbene Dinosaurier, singende Kühe und selbst ein zum Leben erweckter Plüsch-Teddy sind einige der Helden in diesen Erzählungen. Tauche ein in die Welt des Hofhundes Hektor, der auf der Suche nach seinem besten Freund ist, und erlebe spannende Abenteuer mit dem tapferen Igel Hilfmirdoch. Diese und weitere tolle Tiergeschichten finden kleine Abenteuerer in diesem Buch. Zum Vor- und Selberlesen. Von 5 bis 14 Jahre.

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Seitenzahl: 212

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NEPA Verlag

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Originalausgabe 2017

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk darf – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

© 2017 NEPA Verlag, Frauensee

Umschlagbild: Max N. Loß

Illustrationen im Buch: Max N. Loß

E-Book-Umsetzung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN: 978-3-946814-14-6

Der Autor

Stefan Ruck, Jahrgang 1962, lebt und arbeitet in Thüringen. Der Dipl.-Ing. ist verheiratet und Vater eines Sohnes, der im Jahr 2004 das Licht der Welt erblickte.

Zum Schreiben ist er durch seinen Nachwuchs gekommen, dem er vor dem Einschlafen immer eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen oder erzählen musste. Irgendwann kam er dann auf die Idee, sich selbst Geschichten auszudenken und diese zu Papier zu bringen – aus der Idee ist Wirklichkeit geworden!

Mittlerweile ist das Schreiben von Kinder- und Jugendliteratur ein fester Bestandteil seines Lebens geworden. Sein Sohn war von Anfang an ein strenger Kritiker, wenn er ihm die Entwürfe zu neuen Ideen vortrug, und er ist es heute noch. So ist es für den Autor möglich, als Erwachsener einen guten Einblick in die kindliche Gedanken- und Vorstellungswelt zu bekommen und kann sich dementsprechend gezielt bei der Umsetzung neuer Projekte darauf einstellen.

Ziel des Autors ist es, Spannendes, Humorvolles, Abenteuerliches, Unterhaltsames und auch ein wenig Lehrreiches altersgerecht in guten Büchern umzusetzen.

Stefan Ruck

Tierische Begebenheiten

NEPA Verlag

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Die Heimkehr des kleinen Dinosauriers Gildo

Timo begegnet einem Flugsaurier

Der Chor der singenden Kühe

Der tapfere Igel Hilfmirdoch

Der kleine Elch und sein noch kleinerer Freund

Ein geschickter Handel

Wie Hund und Katze – unzertrennliche Freunde

Gunnars wundersame Abenteuer

Die Heimkehr des kleinen Dinosauriers Gildo

Das verwaiste Ei

»Hoppla, was ist denn das …?!«, wundert sich die alte Hausgans Erna zutiefst empört. Gestört zu werden, mag sie nämlich überhaupt nicht. Zumal sie momentan hoch erhobenen Hauptes voller Stolz auf ihren vier prächtigen, weißen Gänseeiern sitzt, die sie unlängst mit flammender Begeisterung selbst gelegt hat und aus denen nun bald ihre kleinen, flauschigen Gänsebabys schlüpfen werden. Sie freut sich schon abgöttisch auf ihren entzückenden Nachwuchs, den sie fürsorglich und mit größter Hingabe aufzuziehen und zu umsorgen gedenkt.

Doch da kommt plötzlich wie aus heiterem Himmel in rasendem Tempo ein weiteres Ei auf Erna zugerollt. Misstrauisch beobachtet die werdende Mama besorgt den unverschämten Störenfried, der immer langsamer wird, je näher er herankommt. Schließlich kullert er bedächtig bis zu der ahnungslosen Gänsedame hin, bleibt genau neben ihr liegen und rührt sich nicht von der Stelle.

Das fremde Ei erweist sich etwas größer als die vier Gänseeier, die Erna zurzeit mit ihrem schützenden Federkleid einmummend wärmt. Erna schaut sich fragend und laut schnatternd in der Runde um. »Woher kommt dieses seltsame Ei?«, schimpft sie entrüstet. »Wem mag es wohl gehören?«

Die Hausgans Erna gehört zu den alteingesessenen Bewohnern auf dem großen Bauernhof mit den vielen Tieren. Sie ist hier geboren und aufgewachsen und sie hat ihr ganzes bisheriges Leben auf diesem ländlichen Anwesen zugebracht. Deshalb glaubt sie felsenfest und resolut, mit allem eierlegenden Federvieh genauestens vertraut zu sein, das hier tagtäglich in reger Betriebsamkeit herumwuselt. Aber ein solches Ei, mit dem sie soeben unfreiwillig zusammengetroffen ist, kann sie keinem einzigen der heimischen und ihr bekannten Tiere zuordnen. Sie vermag sich beim besten Willen nicht daran zu erinnern, so ein Ei schon einmal irgendwo gesehen zu haben.

Kurzentschlossen nimmt sie sich vor, das aufdringliche Ei einfach gar nicht weiter zu beachten. Was geht es sie auch letzten Endes an? Die Gänsemutter hat mit ihren eigenen Eiern genug zu tun. Sollen doch die nachlässigen Eltern selbst auf ihren ausgebüxten Nachwuchs aufpassen und sich darum kümmern, dass er nicht unbemerkt abhandenkommt. So, wie es sich für wahrhaftige Eltern gehört! Den Kopf bockig abgewendet, sitzt sie stur auf ihrem Gelege und brütet stillschweigend vor sich hin.

Aber allzu lange hält es Erna nicht aus, dem überraschenderweise zu ihr gerollten Ei keine Aufmerksamkeit zu schenken. Ihren fürsorglichen, mütterlichen Empfindungen geschuldet, verspürt sie ein tiefes Mitgefühl mit dem winzigen Ding, das sich unter der harten Schale verbirgt. Letztendlich steckt auch in diesem Ei genau wie in ihren ein kleines, gebrechliches Wesen, das allein auf der großen weiten Welt ohne elterliches Geleit nicht zurechtkommen wird. Immer wieder schaut Erna flüchtig zur Seite, um besorgt nachzusehen, ob das Ei noch da ist. Dann schweift ihr Blick ungeduldig in die Ferne. Darauf hoffend, dass die besorgten Eltern ihren verloren gegangenen Schützling nach erfolgreicher Suche endlich finden und ihn überglücklich wieder mit nach Hause nehmen würden. Wo auch immer dieses Zuhause sein mag.

Allerdings scheint es leider so, als ob das verwaiste Ei von gar niemandem vermisst wird. Folglich kann natürlich auch keine besorgte Seele auf der Suche nach ihm sein. Als Erna diese traurige Tatsache bewusst wird, reift in der alten rührigen Gänsemutter ein fester Entschluss, den sie auch sogleich in die Tat umsetzt: Beherzt streckt sie ihren Flügel aus, umfasst das fremde Ei vorsichtig und rollt es behutsam unter sich in das wärmende und schutzbietende Lager, in dem sich bereits vier wohlbehütete Gänseeier befinden.

Die stolze Gänsedame Erna hat nun fünf anstatt nur vier Eier in ihrer heimischen Brutstätte liegen, die sie allesamt und ohne Ausnahme mit stetig wachsender Sorgfalt hegt und pflegt. So können die kleinen Tierbabys, eingebettet in ihren dicken Hüllen, tadellos wachsen und gedeihen, bis der Zeitpunkt gekommen ist, die festen Schalenwände zu durchbrechen und naseweis eine neue aufregende Welt zu erkunden.

Die verzögerte Geburt

Nach einigen Tagen der beschaulichen, manchmal auch etwas langweiligen Stille und Entspannung spürt Erna eines sonnigen Morgens mit großer Zufriedenheit, dass etwas Aufregendes unter ihrem gefiederten Körper vonstattengeht.

»Endlich ist es soweit!«, sprudelt es hocherfreut und mit einer Spur der Erleichterung aus ihr heraus. Vor Freude streckt sie sich nach oben und schlägt aufgeregt flatternd mit den Flügeln auf und ab, wobei sie sich im grenzenlosen Freudentaumel unbeabsichtigt leicht vom Boden abhebt. Als sie jedoch erschrocken merkt, dass sie ihre Empfindungen hinterrücks übermannt haben, zwingt sie sich auf der Stelle mit selbst auferlegter Strenge zur umsichtigen Zurückhaltung. Aber wer kann ihr diese kurzzeitige, vulkanartige Explosion der Gefühle wohl verdenken? Auf diesen bedeutsamen Moment hat sie gleichwohl schon lange sehnsüchtig gewartet! Denn das bevorstehende, mit brennendem Verlangen herbeigewünschte Ereignis ist für sie nichts Befremdliches. Im Gegenteil. Sie kennt diese einzigartigen, ergreifenden Empfindungen, die sich nun wie ein wohliger Schauer über sie ergießen, bereits sehr gut. Schließlich durfte sie in der Vergangenheit schon oft an dem unsäglichen Hochgefühl eines beglückenden Kindersegens teilhaben. Aber dennoch ist es für die bereits erfahrene Mutter jedes Mal aufs Neue ein unbeschreiblich rührendes Ereignis, zu erleben, wie sich ihre lieben Kleinen hartnäckig aus den Eierschalen kämpfen, um der sie umgebenden Enge zu entfliehen und in eine neue unbekannte Welt aufzubrechen, die sich ihnen bereitwillig öffnet.

Für Erna, aufgrund ihrer Lebenserfahrung nicht unerwartet, kommt eine sich allmählich steigernde, zappelige Unruhe in das ehemals leblos scheinende Nest. Der fünffache Nachwuchs ist in bemerkenswert kurzer Zeit dermaßen schnell herangewachsen, dass es nun sehr eng wird in den räumlich begrenzten Eiern. Es drängt die aufgeweckten Tierbabys danach, aus der drückenden Beengtheit auszubrechen.

‚Klack‘, ertönt es leise aus einem der Eier. Fast zeitgleich reißt die Schale auf und ein winzig kleiner Vogelschnabel kommt zum Vorschein. ‚Knack!‘. Auch das zweite Ei bricht auf. Und nun geht alles sehr schnell: Wie auf Kommando zerplatzen die Schalen von vier Eiern durch das entschlossene, tatkräftige Vorgehen der darin befindlichen Tierkinder beinahe gleichzeitig, um das kostbare Leben, das sie bisher schützend in ihrer Obhut hielten, freizugeben.

Völlig verängstigt wegen der fremden Umgebung, schnattern die frisch geschlüpften und winzigen Gänseküken, zwischen ihren zerbrochenen, mittlerweile unbrauchbar gewordenen Schalen sitzend, fordernd und klagend in die weite Welt hinaus. Es sind zwei Gänsemädchen und zwei Gänsejungen, wie die stolze Gänsemama Erna glückselig feststellt. Noch sind es klitzekleine, flaumige Geschöpfe. Aber bald schon werden sie zu beachtlichen stattlichen Gänsen im weißen Federkleid herangewachsen sein.

Eigentlich könnte Erna mit ihrem Leben rundum zufrieden sein. Denn ihre aufgeweckten, kerngesunden Kinder sind endlich da! Und in den Augen der vor Liebe entflammten Mutter erscheinen sie als die schönsten und liebreizendsten Gänslein, die zwischen Himmel und Erde zu bewundern sind. Nichts hat sie sich mehr herbeigewünscht als diesen einen unvergesslichen Augenblick!

Aber etwas beunruhigt die alte Gänsedame dennoch und schmälert somit das Hochgefühl der Glückseligkeit: Da ist immer noch jenes Ei, das damals unbeaufsichtigt auf sie zugerollt kam und dem sie sich treu sorgend angenommen hatte, als wäre es ihr eigenes. Es liegt unverändert im Nest und erweckt keineswegs den Anschein, als wollte es in der nächsten Zeit aufbrechen.

»Hoffentlich ist dem Kleinen da drin nichts Schlimmes zugestoßen?«, murmelt Erna bekümmert. Aber ihre Worte verhallen wie Schall und Rauch bei dem ausgelassenen Lärm, den die vier ungezügelten Gänseküken im wilden Treiben veranstalten. »Ruhe!«, gackert Erna erbost in den tobenden Haufen, so laut sie es mit ihrer Stimme vermag. Tatsächlich tritt auch augenblicklich Ruhe ein. Erstaunt blicken die vier Geschwister ihre verärgerte Mutter schweigend an.

»Macht ihr euch denn überhaupt keine Sorgen um das armselige Geschöpf?«, fragt sie vorwurfsvoll mit längst nicht mehr so strenger Stimme. Denn sie kann ihren geliebten Sprösslingen nicht lange böse sein. Mit dem Schnabel weist sie trübselig in die Richtung des Eies, das wie versteinert und unverändert herumliegt. »Was können wir nur tun…?«, murmelt sie bedrückt.

Erna ist hochgradig verzweifelt. Obgleich es bei ihr sehr selten vorkommt, dass sie einmal unschlüssig ist und überhaupt nicht weiß, was sie tun soll. Meist sind es die anderen Gänse auf dem Bauernhof, die bei ihr Rat suchen und zumeist auch bekommen, wenn sie selbst keinen Ausweg aus ihrer misslichen Lage finden. Sie hat auch keine Zeit mehr, das übrig gebliebene Ei weiterhin auszubrüten. Denn sie muss sich um ihren pünktlich geschlüpften Nachwuchs kümmern, den es nun ganz und gar nicht mehr in dem öden, langweiligen Nest hält. Und so beschließt Erna schweren Herzens, das Ei, das sowieso nicht ihr eigenes ist, seinem Schicksal zu überlassen.

Während sie mit ihrem putzmunteren Nachwuchs lautstark gackernd durch den Bauernhof watschelt, um den anderen Tieren großtuerisch ihre Kinder zu präsentieren, bleibt das fremde Ei ohne einen Hauch von spürbarem Leben einsam und verlassen, von der Ziehmutter einfach aufgegeben, zurück im Nest.

So vergehen einige Tage, ohne dass etwas Besonderes passiert. Doch eines Tages geschieht das Unglaubliche, womit schon fast nicht mehr zu rechnen war: Das verlassene Ei beginnt sich zu bewegen! Langsam kullert es hin und her, mal schnell, mal langsam, mal kreuz und mal quer. Dann bilden sich feine, gezackte Risse in der weißgrauen Schale, welche die Form von gewaltigen Blitzen haben, die man manchmal bei heftigen Gewittern am wolkenverhangenen Himmel sehen kann. Geschwind bricht das Ei mit einem lauten Knacks in der Mitte auseinander.

Das kleine Wesen, das soeben das Licht der Welt erblickt, ist über alle Maßen erstaunt.

»Wo bin ich hier?«, fragt es ängstlich in den stillen Raum. Niemand antwortet ihm. »Mama?«, schaut es sich hilfesuchend um. Seine dünne, belegte Stimme bebt und zittert. Als es enttäuscht feststellen muss, dass es mutterseelenallein ist, kocht ärgerliche Wut in ihm hoch. »Mama, wo bist du?!«, ruft es zornig in die fremde Ferne hinaus. Dann verharrt es eine Weile und lauscht andächtig in die grenzenlose Ruhe. Einige dicke Tränen kullern aus seinen traurigen, mitleidsvollen Augen. Es fühlt sich plötzlich alleingelassen, verstoßen und überdies auch ungeliebt. Wo mag bloß seine Mutter stecken? Warum lässt sie ihren kleinen Sohn im Stich? So etwas tut eine gute Mutter doch nicht! Ist ihr vielleicht gar etwas Schreckliches zugestoßen? Mutlos sackt das winzige Geschöpf zusammen und schläft leise schluchzend ein.

Das Abenteuer beginnt

»Hatschi!« Es sind die lästigen Strahlen der späten Vormittagssonne, die den kleinen, erst am frühen Morgen ausgeschlüpften Winzling frech wecken, bevor der verträumte Schwärmer richtig ausgeschlafen hat. Verwundert blinzelt er gegen das grelle Sonnenlicht. Als ihm bewusst wird, wo er sich befindet, verfinstert sich seine Miene auf der Stelle. Soeben noch trugen ihn seine entzückenden Träume durch eine heile, glückliche Welt. In seiner Fantasie schmiegte er sich an den weichen, wärmenden Körper seiner Mutter, die ihm liebevoll Schutz und Geborgenheit gab. Als er an seine vermisste Mutter denkt, füllen sich seine unschuldigen Augen rasch wieder mit bitteren Tränen der Verzweiflung.

»Mama …«, nuschelt er weinerlich.

Ein tiefes, lautes Knurren lässt den kleinen traurigen Kerl aufhorchen und die übrigen Sorgen allesamt vergessen. Was ist das? Noch einmal wiederholen sich die beunruhigenden Laute. Entgeistert duckt sich das scheinbare, inzwischen durch den Schreck putzmunter gewordene Opfer Deckung suchend flach auf den Boden. Da stellt es überrascht fest, dass das beängstigende Brummen und Rumoren nunmehr direkt unter ihm ist. Verschreckt schießt es wieder pfeilgeschwind in die Höhe. Und noch einmal rumpelt und gärt es.

»Das bin ja ich!«, platzt der kleine Held unverhohlen heraus, als er erstaunt feststellt, dass die Ursache für das besorgniserregende Grollen bei ihm selbst und niemandem anders zu suchen ist. Forschend schaut er auf seinen Bauch. »Ich habe Hunger!«, bemerkt er schließlich. »Ich brauche etwas zu essen!«

Und so beschließt das elternlose Tierkind, sich allein auf Futtersuche zu begeben. Hurtig verlässt es deshalb das schützende und wärmende Nest, das ihm eine gute Heimstatt war bis zu dem Zeitpunkt des Schlüpfens aus seinem Ei. Aber nun beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Alles Gewesene hinter sich lassend, tapst der Kleine, noch recht unbeholfen aber sorglos von dannen. Nicht wissend, welche ungeahnten Gefahren auf ihn warten.

Er ist noch nicht lange unterwegs, da hat er auch schon die erste Begegnung mit einem für ihn fremdartigen Wesen. Ein absonderliches weißes Tier mit langen gebogenen Hörnern und einem zotteligen Kinnbart steht auf einer dürftigen Wiese und zupft unaufhörlich die dürren Grashalme vom Boden ab. Dabei meckert es unzufrieden ohne Unterbrechung mit vollem Maul kauend. Vom quälenden Hunger getrieben und in der sicheren Gewissheit, das Richtige zu tun, schleicht sich der kleine Schelm leise an sein ahnungsloses Opfer heran und beißt mutig in das knochige Hinterbein des grasenden Tieres.

»Määääh…!« Ein lang gezogener, schmerzverheißender Aufschrei der gepiesackten Ziege ist das Letzte, was unser tapferer Held noch wahrzunehmen vermag. Dann fliegt er im hohen Bogen durch die Luft und knallt mit voller Wucht gegen einen Baum, neben dem er ohnmächtig liegenbleibt. Er hat seine Beute wohl etwas unterschätzt und ist in seiner Unwissenheit vom umtriebigen Jäger selbst zum bezwungenen Opfer geworden.

Währenddessen schüttelt die entrüstete Ziege mürrisch ihr attackiertes Bein aus, mit dem sie den aufdringlichen Angreifer soeben mittels eines ausladenden Trittes schwungvoll davongestoßen hat. Den schwächlichen Biss spürt sie inzwischen kaum noch. Also macht sie sich wieder daran, weiter zu fressen, als wäre nichts geschehen.

In Gewahrsam genommen

»Komm schon, trödle bitte nicht herum, Jonathan!« Der Bauer ist ungehalten. Immer wieder aufs Neue muss er seinen nachlässigen Sohn eindringlich auf dessen Pflichten hinweisen. »Denk bitte dran, du musst noch die Kaninchen ausmisten und füttern!«

»Ja, alles klar!«, antwortet Jonathan genervt. Soeben sind Vater und Sohn völlig verdreckt aus dem Schweinestall gekommen, wo sie die Schweine mit ihren erst vor wenigen Tagen zur Welt gekommenen, ohrenzerreißend quiekenden Ferkeln versorgt haben. Zu allem Überfluss ist auch noch eines der lebhaften Ferkel entwischt, als die Stalltür geöffnet wurde. Als Jonathan es fangen will, rutscht er auf dem glitschigen Boden aus und stürzt der Länge nach in den miefigen, klitschigen Schweinemist. Von oben bis unten besudelt, hat er die Nase gestrichen voll. Zumal die beiden zuvor auf der Pferdekoppel, im Hühner- und Schafstall und auf der Weide bei den Kühen waren, um die Tiere dort zu versorgen.

Manchmal wird Jonathan das alles zu viel. Zumal er sowieso unter keinen Umständen vorhat, wie Mutter und Vater zu leben und einmal ein von täglicher Mühsal geplagter Landwirt zu werden. Obwohl seine Eltern es sehr gern sehen würden, wenn ihr einziger Sprössling den alten Familienbauernhof eines Tages übernimmt und in ihrem Sinne weiterführt. Sie hoffen inständig, dass bei ihm das Interesse für ein Leben in der Landwirtschaft in den nächsten Jahren noch wächst.

Aber Jonathan hat andere Vorstellungen von seiner Zukunft: Er möchte gern als berühmter Paläontologe die noch recht unerforschte Welt der geheimnisvollen Urzeitwesen erforschen. Sein besonderes Interesse gilt dabei den Dinosauriern, die ihn immer wieder tief beeindrucken, wenn er etwas Spannendes über sie liest oder einen wissenswerten Film sieht. Für seine anspruchsvollen Pläne lernt er fleißig und zielstrebig in der Schule, sodass er mittlerweile zu den besten Schülern seiner Klasse gehört. Denn er weiß, dass er gute Noten und ein umfangreiches Wissen benötigt, um sein lebensbestimmendes Vorhaben verwirklichen zu können. Da er jedoch noch ein Kind ist, rücken seine Zukunftsträume ohne Frage in weite Ferne, weil er zu seinem Leidwesen das tun muss, was er von seinen Eltern aufgetragen bekommt. Und das hat mit Urzeitforschung rein gar nichts zu tun. Also heißt es, sich in Geduld zu üben und zu warten, bis die Zeit herangereift ist, um eigene Entscheidungen treffen zu dürfen.

Lustlos schnappt sich Jonathan im Vorbeigehen ein Bündel Stroh als Bodenstreu und schlurft schlaksig in die Richtung des Kaninchenstalls. Er zieht den Strohballen lässig neben sich auf dem Boden her, anstatt ihn zu tragen. Dieses von Gleichgültigkeit und Müßiggang geprägte Fehlverhalten wird ihm sogleich zum Verhängnis: Durch das Schleifen des Strohs auf der unwegsamen Erde löst sich das Gebinde, das Stroh fällt auseinander und verteilt sich großflächig zu Jonathans Füßen.

»Verdammt«, flucht der verärgerte Junge. »So ein Mist!« Wutschnaubend beugt er sich nach unten, um das verstreute Stroh mit beiden Händen wieder zusammenzukratzen. Er weiß, dass es nun noch etwas länger dauern wird, bis er mit seiner Arbeit fertig ist. Als er sein Strohbündel endlich beisammen hat, sucht er beflissen nach dem verloren gegangenen Strick, dem er die alleinige Schuld an dem leidlichen Elend gibt, um ihn wieder fest darumzubinden und dem Ganzen einen beständigen Halt zu geben.

»Was … was ist denn das?« Jonathans Suche nach der Schnur ist zwar erfolgreich, doch just in dem Moment, als er danach greifen will, sieht er etwas Seltsames neben dem uralten Eichenbaum liegen, vor dem er gerade steht. Er schaut genauer hin.

»Das … kann doch nicht … wahr sein!«, stammelt er verwirrt. »Das sieht ja aus wie ein kleiner Dinosaurier!« Jonathans Herz schlägt Purzelbäume. Der konfuse Junge kann es kaum glauben. Sein Verstand sagt ihm zwar, dass es Dinosaurier schon lange nicht mehr gibt. Aber diese kleine Kreatur, die da wie leblos auf der Erde liegt, sieht trotzdem genauso aus wie ein echter Dino!

Jonathan überlegt nicht lange. Entschlossen nimmt er das unbekannte Wesen auf und bettet es vorsichtig in das Stroh, um es zu verstecken. Dann macht er sich eiligst auf den Weg, um die Kaninchen zu versorgen, die bereits ungeduldig auf ihn warten.

Als Jonathan seine ihm aufgetragenen Arbeiten in getriebener Eile erledigt hat, schleicht er sich unbemerkt in sein Zimmer. Unter seiner Jacke verborgen, für Außenstehende nicht im Geringsten erkennbar, befindet sich wohlbehütet ein kleines einsames Dinosaurierbaby.

»Na, du kleiner Dino, bist du endlich aufgewacht?« Jonathans tröstende und zugleich hocherfreute Stimme ist das Erste, was das winzige Saurierkind nach seiner langen, tiefen Ohnmacht zu hören bekommt. Mit großen dunklen Augen blickt es sich neugierig um.

»Du musst keine Angst haben. Jetzt wird alles gut«, redet Jonathan beruhigend auf sein neues Haustier ein, das vor Furcht zittert wie Espenlaub. Besitzergreifend und vom unaufhaltsamen Forscherdrang getrieben, hat der Junge das fremdartige Geschöpf in einen geräumigen Meerschweinchenkäfig gesperrt, den er extra aus der hintersten Ecke des Kellers geholt und neu aufpoliert hat. Seine drei Meerschweinchen, die einst darin wohnten, gibt es bereits seit zwei Jahren nicht mehr. »Ich habe dir auch schon einen Namen ausgesucht. Du sollst ‚Gildo‘ heißen!«

Auf einen kleinen Holzspieß aufgesteckt, schiebt Jonathan, gespannt auf das Kommende, ein Bröckchen rohes Fleisch zwischen den Gitterstäben hindurch. Mit ungeahnter Wildheit und gefährlich knurrend, stürzt sich der hungrige Käfiginsasse gefräßig darauf. Er lässt nicht das kleinste Krümelchen übrig. Jonathan strahlt vor Aufregung wie ein Honigkuchenpferd.

»Habe ich also doch recht mit meiner Vermutung: Du bist ein Fleischfresser! Stimmt’s? Aber wie kommst du hierher?«, fragt er dann nachdenklich. »Eigentlich müsstet ihr doch alle schon längst ausgestorben sein.«

Die folgenden Tage verlaufen für den kleinen Dinosaurier Gildo trist und öde. Zwar wird er von Jonathan sorgsam gehegt und gepflegt. Aber dennoch ist er bedauerlicherweise eingesperrt und ein graues Dasein in langweiliger Gefangenschaft ist nun einmal nicht zu vergleichen mit dem strahlendbunten Lebensgefühl in der grenzenlosen Freiheit. Jonathan hingegen zeigt sich überglücklich. Schließlich kennt er sonst keinen einzigen Menschen auf der ganzen Welt, der einen echten Dinosaurier sein Eigen nennen darf. Wenngleich er bisher niemandem etwas von seinem außergewöhnlichen Fund berichtet hat. Aus Angst, man könnte ihm seinen neuen Gefährten wegnehmen und ihn vielleicht sogar für Forschungszwecke verwenden.

Jeden Morgen, nachdem Jonathan aufgestanden ist, sieht er zuallererst fürsorglich nach seinem schnell heranwachsenden Schützling. Er füttert ihn mehrmals am Tag reichlich mit rohen Fleischhäppchen. Einmal versucht er sogar, dem nimmersatten Dinokind vom Mittagessen übrig gebliebenes, gut durchgebratenes Fleisch anzupreisen. Aber das lässt der anspruchsvolle Feinschmecker einfach unbeachtet liegen. Schließlich fressen Raubdinosaurier kein vom Menschen zubereitetes Fleisch. Manchmal, wenn es Jonathans Zeit nach der Schule und nach den täglichen Pflichten zu Hause erlaubt, geht er heimlich auf die Pirsch, um Fliegen, Spinnen, Käfer, Würmer und sonstiges fliegendes, krabbelndes oder kriechendes Getier zu fangen, damit er es Gildo als lebendige, willkommene Abwechslung anbieten kann. Begierig fällt die unersättliche Fressmaschine jedes Mal hemmungslos über seine Beute her und verschlingt sie unbezähmbar fauchend und grollend.

Auch wenn der kleine Bursche dem ersten Anschein nach noch so liebenswert herüberkommt und vor dem ahnungslosen Betrachter lammfromm erscheinen mag, so ist Gildo doch ein angriffswütiges und zugleich unberechenbares Raubtier, das man nicht unterschätzen und mit dem zu spaßen man sich ernsthaft überlegen sollte. Das kann Jonathan auch selbst einmal am eigenen Leibe spüren, als er die übliche Mahlzeit nicht wie gewöhnlich auf einem Holzspieß aufgesteckt serviert. Stattdessen hält er die Nahrung einfach leichtsinnig zwischen Daumen und Zeigefinger fest und führt sie selbstbewusst ohne Schutz in Richtung des Käfiginneren. Er vertraut Gildo. Denn er glaubt, dass sich die beiden inzwischen lange genug kennen, um ihre Freundschaft besiegeln zu können. Blitzschnell schießt Gildo auf Jonathans Hand zu und reißt ihm den Fleischbrocken rücksichtslos aus den Fingern.

»Au!«, schreit der schmerzgeplagte Junge mit Tränen in den Augen laut auf und zieht erschrocken mit hochrotem Gesicht seine zitternde Hand zurück. »Du undankbares Biest!«, zetert er jammernd. Blut schießt aus seinem Finger, denn Gildos messerscharfe Zähne haben ganze Arbeit geleistet. Der kleine Dino hingegen ist rundum zufrieden. Für ihn ist die Welt in Ordnung. In der hintersten Käfigecke kauernd, verschlingt er eiligst seine tapfer erkämpfte Beute, die ihm in diesem Moment mehr bedeutet als alles andere.

Nach diesem schmerzlichen und zugleich auch frustrierenden Ereignis festigt sich in Jonathan der Gedanke, dass Gildo bedauerlicherweise für immer ein wildes, unberechenbares Tier bleiben wird, dessen zügellose Handlungen nicht vorhersehbar und überdies auch höchst gefahrbringend sind. Ihn zu zähmen und somit zu einem zutraulichen Haustier zu machen, wie man es von Hund und Katze kennt, scheint auch in der Zukunft unmöglich. Aber trotz alledem hegt und umsorgt der rührige Junge seinen kleinen Schützling mit großer Hingabe, damit dieser ungestört wachsen und gedeihen kann. Aber stets mit sicherem Abstand und der gebotenen Vorsicht.

Die Flucht in die Freiheit

Gildo ist mit seinem monotonen Leben hinter den freiheitsraubenden, für ihn undurchdringbaren Gitterstäben zutiefst unzufrieden. Jeden Tag nur gelangweilt in diesem mittlerweile ziemlich eng gewordenen Käfig herumsitzen, das übermäßige Fressen verschwenderisch ins Maul geschoben bekommen und ansonsten auf der faulen Haut liegen und gar nichts tun, macht ihn extrem trübsinnig. Das einzige lebendige Wesen, das ihn regelmäßig besucht und ihn mehr als ausreichend mit üppiger Nahrung vollstopft, ist dieser seltsame Zweibeiner namens Mensch, dem er sein unliebsames Leben in Gefangenschaft zu verdanken hat.

Inzwischen ist Gildo aber schnell aus seinem Baby- und Kleinkindgewand herausgewachsen und als nunmehr junger Raubdinosaurier von der Größe eines ausgewachsenen Kaninchens bereit, leibhaftig den reizvollen Nervenkitzel gefahrvoller Abenteuer zu erleben. Der verlockende Ruf der grenzenlosen Freiheit hat ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel heimgesucht und eine quälende Sehnsucht nach einem anderen, ausfüllenden Leben in ihm geweckt. Er möchte eigene Jagdgebiete einnehmen und allein für sich entscheiden können, was als Nächstes zu tun ist. Es liegt ihm im Blut, unentwegt durch die unbekannte Natur zu streifen und die unerforschten Gebiete um sich herum zu erobern.

Eines Tages beschließt Gildo kurzerhand, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen und neue, unbekannte Wege zu gehen. Er will einfach der tristen Eintönigkeit, die ihn unerbittlich gefangen hält, mit allen Mitteln entfliehen. Denn er spürt, dass das Leben noch viele ungeahnte Überraschungen für ihn bereithält.

Jonathan ist gerade mit der täglichen Reinigung des Dinokäfigs beschäftigt. Dazu streift er sich neuerdings sicherheitshalber immer ein Paar dicke Handschuhe über, um auf mögliche Überraschungsangriffe von Gildo vorbereitet zu sein. Obgleich der Dino von Anfang an keinen Bezug zu seinem umsichtigen Betreuer findet, ist er in letzter Zeit ihm gegenüber noch grantiger und angriffslustiger geworden. Dass Dinos und Menschen niemals Freunde sein können, weil sie sich einfach nicht verstehen, ist eine wichtige Erkenntnis, die Jonathan inzwischen gewonnen hat und von deren Richtigkeit er felsenfest überzeugt ist. Aber andererseits denkt er, ist er wahrscheinlich sowieso der einzige Mensch, der jemals einen lebendigen Dinosaurier zu Gesicht bekommen hat. Und dass in Zukunft außer ihm irgendjemand die Bekanntschaft mit einem derartigen Urzeitwesen macht, ist kaum anzunehmen. Also kann es den Menschen und ihrer Nachwelt demzufolge vollkommen egal sein, ob sich Dinos und Menschen verstehen oder nicht.