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Sein Vater drillte ihn zu einer Golfmaschine, die zwischenzeitlich unbezwingbar schien. Tiger Woods gewann nicht nur Turniere weltweit, er schlug die Konkurrenz vernichtend. Er dominierte seine Sportart, war der erste Golfer afroamerikanischer Herkunft, der das berühmte US Masters in Augusta gewann. Doch dann häuften sich die Skandale abseits des Platzes, und es folgte der rasante Absturz eines Superstars, von zahlreichen schweren Verletzungen begleitet. Aber Tiger Woods wäre nicht Tiger Woods, hätte er nicht gelernt, nie aufzugeben. So kämpfte er sich zurück. Auf dem Platz – und auch im wirklichen Leben.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 440
Veröffentlichungsjahr: 2025
Für Jackie und Jack, ihre Unterstützung,Ermunterung undbedingungslose Liebe
Das Vermächtnis
Die 40
Die Cuts in Folge
Die Stressfrakturen
Der Skandal
Die 85
Die Bahamas
Der Arzt
Das Comeback
Die Krönung
Die Bewunderer
Die Rede
Das zwölfte Loch
Der Sieg
Die Zozo Championship
Das siebenfache Bogey
Der Unfall
Noch ein Masters
Der „Goldene Bär“
Die Swilcan Bridge
Eine Einschätzung zu Tiger Woods’ Major-Erfolgen
Dank
Tiger Woods wollte nichts davon hören. Und als er später erneut darauf angesprochen wurde, machte er unmissverständlich klar, dass man besser das Thema wechseln sollte.
Die Golfwelt wusste, dass er unter Schmerzen litt und erstmals wieder bei einem Turnier antrat. Nach einem relativ harmlosen Eingriff am Knie. Doch niemand wusste, was wirklich Sache war, ausgenommen die wenigen aus Woods’ engstem Umfeld.
Einer davon, sein Caddie Steve Williams, registrierte schockiert, in welch schlechter Verfassung er Woods antraf. Seit dem Masters hatte er ihn nicht mehr gesehen, und jetzt standen die Vorbereitungen für das zweite Major des Jahres, die US Open, an. Zwei Monate war die Operation her, die ein paar Kniebeschwerden lindern sollte und die Woods als Routineangelegenheit eingeschätzt hatte.
Ein paar Tage vor der US Open 2008 in San Diego geriet die erste Übungsrunde in Torrey Pines zum Desaster.
Schlimmer noch: Woods konnte kaum laufen. Bei dem vermeintlich harmlosen Eingriff im linken Knie hatte sich herausgestellt, dass sein vorderes Kreuzband komplett gerissen war und er sofort operiert werden musste. Hinzu kamen zwei Ermüdungsbrüche im linken Schienbein, die er sich während des Aufbautrainings zugezogen hatte.
Das kaputte Knie war schlimm genug, aber die Brüche sorgten bei jedem Schwung und Ballkontakt für ungeheure Schmerzen im Bein. Ebenso wie jeder einzelne Schritt auf dem Golfplatz in Südkalifornien.
Woods lief zum ersten Mal wieder komplette 18 Löcher am Stück. Die Schmerzen, die ihn plagten, waren für jeden sichtbar. Williams, der seit 1999 mit Woods zusammenarbeitete – und gemeinsam mit ihm zwölf Major-Titel errungen hatte –, fragte sich, ob das Ganze eine gute Idee war.
„Ich habe ihn während der Runde dreimal angesprochen, ob es richtig sei, weiterzumachen“, sagt Williams, „und jedes Mal kam die gleiche Antwort: ‚Fuck you, Stevie, ich werde dieses Turnier gewinnen!“‘
Woods wollte von Aufgeben nichts hören.
„Noch mal habe ich nicht gefragt“, sagt Williams.
Es ist diese Leidenschaft, die Woods’ Karriere auszeichnet: das Besondere, das gewisse Extra, neben all dem Talent. Manchmal war diese Haltung auch von Nachteil.
Woods konnte den Ball weiter schlagen, seine Eisen knackiger treffen, Chips näher an die Fahne legen als alle anderen, Putts mit geschlossenen Augen versenken. Allein sein Können hätte ihm zu zahlreichen Siegen verholfen. Doch ohne seine unheimliche Entschlossenheit, seinen Willen, gegen unzählige Verletzungen und Widrigkeiten anzukämpfen, fiele seine Bilanz zweifellos nicht so herausragend aus.
Ohne diese Abgebrühtheit hätte er niemals die US Open in Torrey Pines gewonnen. Oder 142 Cuts in Folge auf der PGA Tour geschafft. Oder beim Masters gesiegt, trotz schwacher 40 Schläge auf den ersten neun Löchern der Eröffnungsrunde. Oder die Golfwelt im Alter von nur 21 Jahren im Sturm erobert. Oder all die Errungenschaften der letzten 30 Jahre gefeiert.
Sein größter Sieg war vielleicht sein Triumph beim Masters 2019, als ihm nach einer schweren Rückenoperation das Aus drohte und er auf großer Bühne Spieler schlug, die mindestens zehn Jahre jünger waren. Der krönende Moment einer Hall-of-Fame-Karriere. Was diesen 15. Major-Titel ausmachte, hallt bis heute nach.
Größtes Durchhaltevermögen war gefordert, besonders hinsichtlich der Verletzungen, die Tiger Woods’ Körper bis dahin schon erlitten hatte. Zudem war eine ganze Generation von jungen Stars herangewachsen, die Tiger zwar immer noch anhimmelten, aber längst keine Angst mehr vor ihm hatten. Weshalb sollten sie? Er war körperlich zweifellos eingeschränkt. Er konnte nicht so oft trainieren und sich so intensiv auf Turniere vorbereiten wie sie. Sein letzter Major-Sieg lag lange zurück, die meisten von ihnen saßen damals noch in der Grundschule.
Obwohl seine Ergebnisse vor dem Masters 2019 solide waren – sieben Monate zuvor hatte Woods die Tour Championship gewonnen –, war ein Sieg auf einem Platz, auf dem er 14 Jahre nicht mehr gewinnen konnte, eher ein Traum. Niemand rechnete eigentlich damit.
Weniger gefeiert, aber ebenso eindrucksvoll war sein Comeback nach dem schrecklichen Autounfall im Februar 2021, bei dem er am rechten Bein, Fuß und Knöchel schwer verletzt wurde.
Woods musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen, konnte monatelang nicht laufen und schaffte es 2022 trotzdem, das Masters zu spielen. Nach einer 71er-Runde zum Auftakt schaffte er sogar den Cut nach 36 Löchern, obwohl er auf dem hügeligen Kurs erkennbar humpelte. Auf dem Masters 2023, seinem gerade einmal fünften nach dem Unfall, bevor er wieder länger aussetzen musste, brachte Woods die Dinge auf den Punkt:
„Reine Sturheit“, sagte er. „Ich bin ziemlich stur. Ich glaube an harte Arbeit und die Früchte, die sie trägt. Ich habe immer hart gearbeitet, an meinen Fähigkeiten gefeilt. Das liebe ich.
Ich hatte mit Verletzungen zu kämpfen, musste mehrere Operationen durchstehen. Aber ich habe mich jedes Mal zurückgekämpft. Das war schwer. Aber die Lust zu gewinnen war immer da, ich habe daran gearbeitet und an mich geglaubt.“
Und weiter: „Mein Antrieb war, wieder in Form zu kommen, um auf höchstem Level spielen zu können. Ich denke, das hat sich in meiner gesamten Karriere gezeigt. Das ist auch ein Grund, warum ich so viele Cuts in Folge schaffen und so viele Turniere gewinnen konnte. Man muss durchhalten und um jeden einzelnen Schlag kämpfen. Es bedeutet etwas. Jeder einzelne Schlag bedeutet etwas.“
Der 4. April 2017 war ein Wendepunkt im Leben von Tiger Woods. Historisch ist das Datum insofern, als etwas, das wie ein Ende aussah, in Wirklichkeit ein Anfang war. Woods selbst kann es kaum geahnt haben – der Mann konnte kaum laufen.
Zum zweiten Mal in Folge und zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren musste er das Masters absagen. Aufgrund von Rückenproblemen, mit denen er seit 2013, vielleicht auch schon viel länger zu kämpfen hatte. Seine Rückkehr in den Turnierbetrieb zum Jahresbeginn 2017 wurde nach insgesamt nur drei Runden abgebrochen. Bei einem Event der European Tour in Dubai, für das er ein stattliches Antrittsgeld kassiert hatte, musste er vorzeitig aufgeben.
Es war einer der wenigen Momente, in denen Woods sein Geld nicht wert war. In Dubai wirkte er alt und humpelte stark. Zudem litt er, obwohl er es nicht zugeben wollte, unter starken Schmerzen. Die Eröffnungsrunde ohne Birdies war ein schlechtes Zeichen. Die Art und Weise, wie Woods lief, wie er sich vorsichtig um die Hügel, Bunker und Abschläge herumbewegte – alles deutete darauf hin, dass etwas nicht stimmte. Nach nur 18 Löchern gab er auf. Er hoffte, in wenigen Wochen zurück zu sein. Doch die Zwangspause sollte Monate dauern, am Ende ein ganzes Jahr.
Woods hatte einen guten Grund für die verlängerte Auszeit: einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule.
Zunächst verkündete Woods’ Agent Mark Steinberg, der Golfer habe Rückenprobleme, die nicht von den drei Wirbelsäulen-OPs der Jahre 2014/15 herrührten. Bald stellte sich jedoch heraus, dass genau dies der Fall war. Die Tatsache, dass eine Operation 2015 nicht ein Mal, sondern insgesamt drei Mal vollzogen worden war – darunter zwei Termine innerhalb von sechs Wochen –, sprach für sich.
Auch die Auszeit über die gesamte Saison 2016 hatte die Probleme nicht beseitigt, geschweige denn die Schmerzen.
Dennoch raffte Woods sich auf, um nach Augusta zum jährlichen Champions Dinner zu fahren, das am Dienstag, den 4. April 2017, stattfand. Dustin Johnson, damals die Nummer eins der Weltrangliste, der kurz zuvor die Match Play Championship gewonnen hatte, war ebenfalls anwesend. Um ihn drehten sich die meisten Gespräche.
Die Spielpaarungen und Startzeiten für die ersten beiden Runden wurden verkündet. Johnson spielte in der Gruppe mit dem amtierenden PGA-Championship-Sieger Jimmy Walker und dem zweifachen Masters-Gewinner Bubba Watson.
Eine Woche zuvor war Woods noch für Interviews im Vorfeld des Turniers eingeteilt gewesen, doch da er wenige Tage vor dem ersten Abschlag seine Teilnahme am Masters abgesagt hatte, richtete sich die Aufmerksamkeit der Presse nun auf andere: Johnson (der kurioserweise in letzter Sekunde absagte, weil er in der Unterkunft schlimm gestürzt war), den Titelverteidiger Danny Willet aus England, frühere Gewinner des Grünen Jacketts wie Adam Scott, Phil Mickelson und Jordan Spieth. Auch Rory McIlroy, Henrik Stenson, Jason Day und Justin Rose waren gefragte Interviewpartner.
„Woods fehlt“, sagte Mickelson, „normalerweise hebt er jedes Turnier auf ein anderes Niveau.“ Ähnlich äußerten sich auch andere Spieler, die zu Woods befragt wurden. Obwohl seine Absage ein herber Schlag war, gewöhnte sich die Golfwelt allmählich daran. Seit Herbst 2015 hatte Woods nur drei Turniere weltweit gespielt; 2016 bis 2017 verpasste er acht Major-Turniere in Folge.
Genau die Plätze, auf denen er früher seine außergewöhnlichen Fähigkeiten präsentiert hatte, mussten ohne ihn auskommen. Beim Masters 2017 wurde Woods vermisst, aber das Turnier lief weiter – zum wiederholten Mal.
Nur wenige wussten, dass Woods an jenem Dienstagnachmittag vor Ort war. Er war extra früh angereist, um sich von dem CBS-Reporter Jim Nantz interviewen zu lassen, der das Masters seit 1986 kommentierte.
Das Interview mit Nantz war nur für das Archiv des Augusta National Golf Club bestimmt und durfte nicht ausgestrahlt werden. Was Nantz damals zu Ohren kam, schockte ihn. Woods klang mutlos, so als sei der Rückzug unvermeidlich. Nantz ging davon aus, dass er nie mehr auf höchstem Level spielen und schon gar keinen Masters-Titel mehr gewinnen würde.
„Ich hatte den Eindruck, dass es ihm sehr schlecht ging“, sagt Nantz. „Jede Bewegung verursachte Schmerzen. Seine Stimme klang resigniert, er sprach in der Vergangenheit, wie im Rückblick, von seiner Karriere. Das hat mich am meisten überrascht: Er redete, als sei er nicht mehr dabei. Er freute sich über seine Errungenschaften, aber ohne einen Funken Hoffnung. Dass es endgültig aus war, sagte er nicht, aber er klang wie jemand, der seine besten Zeiten hinter sich hatte.“
„Bei all den Höhen und Tiefen, die er in seiner Karriere schon erlebt hatte, muss dieser Abend der absolute Tiefpunkt gewesen sein“, so Nantz weiter. „Nur zum Champions Dinner zu erscheinen und anschließend wieder zu verschwinden – das war aus Golfersicht sicher furchtbar. Er sah das Ende kommen.“
Woods gab später zu: „Ich war am Ende.“
Zumindest glaubte er das. Was sollte er an diesem Punkt auch anderes denken?
Er kam die Treppe zum Clubhaus von Augusta kaum hoch. Vorher hatte er starke Medikamente eingeworfen, um das Dinner überhaupt durchzuhalten. Hinterher erzählten die ehemaligen Champions Jack Nicklaus und Gary Player hinter vorgehaltener Hand, Woods‘ Karriere sei vorbei, er sehne sich nur noch nach etwas Lebensqualität. Letztlich war es jedoch ein anderer Champion, der mit der Botschaft an die Öffentlichkeit ging.
Nur 16 Monate später, nachdem Woods bei zwei Major-Turnieren der Saison 2018 auf bemerkenswerte Weise wieder vorn mitgemischt hatte, gab der dreifache Masters-Sieger Nick Faldo in der Dan Patrick Radio Show zu Protokoll, dass Woods bei dem Champions Dinner mitgeteilt habe, seine Karriere sei vorüber.
Die dazugehörigen Details waren verschwommen. Wer hatte wo was zu wem gesagt? Woods ging nicht weiter darauf ein, als die Faldo-Story in die Schlagzeilen geriet. Während der Vorbereitungen auf das Northern Trust Turnier, sein erstes Turnier nach der PGA Championship im Ridgewood Country Club von New Jersey, sprach ich ihn vorsichtig auf das Thema an. Tiger wollte zunächst nichts dazu sagen. Er war genervt, dass die Geschichte überhaupt ans Licht gekommen war, und es war gut möglich, dass er das Gespräch sofort beenden würde. Ich wusste, wie Woods normalerweise auf solche Fragen reagierte, und hatte wenig Hoffnung auf eine klare Antwort.
„Ich wusste damals nicht, wie es mit mir weitergehen könnte“, sagte er zwischen zwei Schlägen auf dem Pro-Am des Turniers. „Für mich gab es keine Zukunft. Ich konnte nicht laufen. Ich konnte nicht sitzen. Nach dem Dinner bin ich zu einem Spezialisten gefahren, um zu erfahren, welche Optionen ich überhaupt noch hatte.“ Sogar dazu gibt es eine Backstory.
Woods arbeitete stets mit einem kleinen, verschworenen Team zusammen, Details aus dem inneren Zirkel drangen selten nach außen. Derjenige, der nun helfen konnte, war sein Physiotherapeut Dan Hellman aus Fort Lauderdale, Florida.
Hellman, selbst begeisterter Golfer, behandelte in seiner Praxis Patienten jeden Alters, Sportler wie Nichtsportler. Im Laufe der Jahre war die Behandlung von Golfverletzungen zu seinem Spezialgebiet geworden.
Hellman hatte bei einem französischen Pionier für Osteopathie gelernt, dessen therapeutische Methoden er anwendete. Das Programm beinhaltete Übungen und ein spezielles Aufbautraining für Spitzensportler. Hellman entwickelte eine Übungsreihe, die speziell auf Tiger Woods abgestimmt war und die 2016 während der Anwendung weiter angepasst wurde. Später in der Saison begleitete er den Profigolfer zur Hero World Challenge, wo Woods einen vielversprechenden Ansatz zeigte. Doch kurz darauf war seine Saison schon wieder vorbei.
„Wir arbeiteten sechs bis acht Wochen intensiv und versuchten, ihn dahin zu bringen, dass er ohne OP weitermachen konnte“, berichtet Hellman. „Allerdings war er schon an einem Punkt, an dem wir uns ernsthafte Sorgen machten. Es ging nicht mehr darum, dass er Spitzenleistungen ablieferte, sondern darum, dass er ein normales Leben führen konnte. Golfen war ein Bonus, wenn überhaupt. Ein paar Bierchen auf dem Platz waren das Ziel.“
Hellman überzeugte Woods, sein Team zusammenzurufen, um zu überlegen, was das Beste für die Zukunft sei. „Jeder Arzt der Welt hätte ihn gern operiert“, meint Hellman. „Aber ich wollte nicht derjenige sein, der den Aufruf startet.“ Er wandte sich an einen Kollegen in London, Jon Bowskill, der darauf spezialisiert war, passende Fachärzte für individuelle Bedürfnisse zu finden. Und so unternahm Woods direkt nach einem anstrengenden Spieltag eine äußerst ungemütliche Reise nach London. Dort unterzog er sich einer ganzen Reihe von Tests. Die Wahl fiel auf Dr. Richard Guyer.
Dr. Guyer arbeitete am Texas Back Institute in der Nähe von Dallas. Die angeratene Wirbelkörperverblockung war ein Eingriff, den er schon mehr als tausend Mal durchgeführt hatte. „Ich war nicht sehr zuversichtlich“, erinnert sich Woods. „Zu der Zeit habe ich alles getan, um die Schmerzen loszuwerden. Golf war Nebensache. Ich habe alles ausprobiert: Stammzellen, Lidocain, Marcaine … Nichts hat geholfen.“
Nun wurde nicht mehr abgewartet. Die Operation wurde für den 19. April 2017 anberaumt.
Über die Jahre hat sich Tiger Woods zu einer komplizierten und vielschichtigen Persönlichkeit entwickelt. Er war ein Wunderkind. Angeleitet von einem Vater, der ihm kaum von der Seite wich. Als Jugendlicher brach er sämtliche Rekorde im Amateurbereich und dominierte anschließend als Profi die Konkurrenz. Woods veränderte das Spiel. Er machte Golf-Geeks zu aufmerksamen Beobachtern, Golfinteressierte zu Anhängern und bis dahin eher Gleichgültige neugierig auf den Golfsport.
Die Zahlen sprechen für sich: 82 Siege auf der PGA Tour, was vor ihm nur Sam Snead gelang. 15 Major-Titel, drei weniger als Rekordhalter Jack Nicklaus. Laut Forbes ist Woods Milliardär und hat auf der PGA Tour über 110 Millionen Dollar an offiziellem Preisgeld gewonnen. Eigentlich unterbezahlt, wenn man genau darüber nachdenkt.
Schon vor seinem historischen Masters-Sieg 2019 auf dem Augusta National erreichte Woods Außergewöhnliches und wurde dafür mit Wärme und Bewunderung bedacht. Natürlich gab es Widersacher, die zum Beispiel beanstandeten, dass er immer weiterspielte. Die fast neidisch waren auf all seine Errungenschaften. Zweifellos hat er einen Wandel durchgemacht, ist reifer geworden als Vater zweier Kinder. Dazu kam die Einsicht nach seinem Autounfall im Februar 2021, als er von Glück sagen konnte, dass er noch am Leben war. Und an Turnieren teilnehmen konnte.
Lang liegt die „Hello World“-Kampagne zurück, mit der Nike Woods‘ Debüt als Golfprofi im Jahr 1996 begleitete. Es folgten: der 12-Schläge-Vorsprung bei seinem ersten Masters-Triumph 1997. Der „Tiger-Slam“ von 2000 bis 2001. Eine überragende Form über den gesamten Zeitraum von 2005 bis 2009. Der Skandal von 2010. Die Rückkehr als Nummer eins der Golfrangliste im Jahr 2013. Dann die chronischen Rückenprobleme, die ihn jedoch nicht daran hinderten, einen 15. Major-Titel zu gewinnen und mit Sam Snead gleichzuziehen.
Es ist nicht lange her, dass Woods den schweren Unfall am 23. Februar 2021 auf wundersame Weise überlebte. Laut Bericht des zuständigen Sheriffs war die Unfallursache „überhöhte Geschwindigkeit, den Straßenbedingungen nicht angemessen“. Woods fuhr 82 Meilen pro Stunde (130 km/h) in einer Zone, wo 45 Meilen pro Stunde (72 km/h) erlaubt waren, und flog aus der Kurve. Unklar blieb, ob er überhaupt versuchte zu lenken.
Sein Genesis-SUV fuhr geradeaus, knallte in den Bordstein, zerlegte ein Straßenschild, geriet auf die andere Straßenseite, krachte gegen einen Baum, überschlug sich. Dabei brach sich Woods mehrere Knochen im rechten Bein und zog sich schwere Verletzungen am rechten Fuß und Knöchel zu. So weit der Unfallbericht.
Woods musste mehrmals am rechten Bein operiert werden. Was genau gemacht wurde, ließ er weitestgehend offen, außer dass „jede Menge Metallstifte und Schrauben“ gebraucht wurden, um die Knochen wieder zusammenzuflicken. Man darf davon ausgehen, dass Woods’ rechter Fuß völlig zerschmettert war.
Dennoch trat er ein gutes Jahr später beim Masters 2022 an, wo er am ersten Tag eine 71er-Runde spielte und sogar den Cut nach 36 Löchern schaffte. Außerdem nahm er an der PGA Championship teil, wo er ebenfalls den Cut schaffte und noch die dritte Runde spielte, bevor er aufgeben musste. Irgendetwas stimmte nicht, also flog er direkt im Anschluss nach Kalifornien, um sich mit seinen Ärzten zu beraten. Später erklärte Woods, dass er im Jahr 2022 noch zwei Operationen am rechten Bein hatte. Welche das waren und wann sie stattfanden, sagte er nicht.
Einer dieser beiden Eingriffe erfolgte vermutlich kurz nach der PGA Championship. Später kam noch heraus, dass eine der Schrauben, die seinen Fuß zusammenhielten, sichtbar durch die Haut stach. Woods sagte daraufhin seine Teilnahme an der US Open ab.
Zur Open Championship in St. Andrews war er wieder da. Es war das einzige Ziel, dass er sich für dieses Jahr setzte: Unter allen Umständen wollte Woods bei der 150. Ausgabe des ältesten Turniers der Welt dabei sein, das auf dem Old Course ausgetragen wurde, dem „Home of Golf“. Hier hatte er 1995 schon als Amateur gespielt, hier hatte er 2000 und 2005 triumphiert, hier war er insgesamt sechsmal in seiner Karriere angetreten. Fraglich war nur, ob er dazu noch in der Lage war.
Dass er sich trotz seiner offensichtlichen Beeinträchtigungen überhaupt über den Platz bewegen konnte, wurde eine der Sensationen des Golfjahres. Dass er deutlich über Par lag und den Cut klar verpasste, spielte keine große Rolle.
„Es ist schon verrückt“, sagt Justin Thomas, der sich trotz eines Altersunterschiedes von 18 Jahren mit Woods angefreundet hatte. „Den Cut in Augusta überhaupt zu schaffen, obwohl es ihm zu Saisonbeginn so schlecht ging, ist irre. Er ist mental unglaublich stark, stärker als die anderen. Wenn er auf dem Platz steht, gerade in Augusta, wo die Stimmung gut ist und er viele unvergessliche Momente hatte, ist er ein anderer Mensch.“
Die späteren Jahre ergeben ein etwas anderes Bild. Doch Woods’ Rekorde stehen für immer in den Geschichtsbüchern, und seine überragenden Auftritte bleiben in Erinnerung. Er hat sich seinen Drive bewahrt, diesen inneren Antrieb, diese Gib-niemals-auf-Haltung, die ihm half und das Spiel leicht aussehen ließ. Das fiel umso mehr auf, als ihm Spielen plötzlich nicht mehr leichtfiel.
Woods’ sportliches Vermächtnis ist voller Entschlossenheit und Wiedergutmachungen, voller Leidenschaft und Zielstrebigkeit, voller Antrieb. Außerordentlichem Antrieb. Seine Rückkehr nach einem fast tödlichen Autounfall hebt die Charaktereigenschaften noch einmal anders hervor, die das Fundament für seinen legendären Sieg beim Masters 2019 waren.
„Aus meiner Sicht ist er so erfolgreich“, sagt Woods’ Profikollege Adam Scott, „weil er nie aufgegeben hat. In seiner körperlichen Verfassung hatte er bei diesem Masters eigentlich keine Chance. Aber sein Kopf hat es irgendwie geschafft, ihn davon zu überzeugen, dass er gewinnen kann. Unglaublich, zu was er in der Lage war! Das Comeback 2022 war völlig verrückt.“
Scott weiter: „Er hat immer daran gearbeitet, dass er sich auf ein extremes Level pushen kann. Aus meiner Sicht zeichnet so eine Haltung die größten Sportler aus. Sie machen etwas anders als der Rest. Deshalb gehören sie nicht zum Rest.“
In den Jahren 2016 und 2017 hatte niemand mehr an einen Masters-Sieg geglaubt. Auch 2018, als Woods die Rückkehr auf höchster Ebene gelang, schien ein derartiger Titel völlig außer Reichweite.
Woods’ Sieg auf dem Augusta National im Jahr 1997 war historisch. Sein Triumph bei der US Open von 2000 in Pebble Beach mit 15 Schlägen Vorsprung ist bis heute ein absoluter Rekord. Doch sein Sieg beim Masters 2019 zeigte wie kein anderer jene Eigenschaften, die Woods seit über 30 Jahren zu einem Ausnahmegolfer machen.
Die Entschlossenheit war immer da, wurde allerdings oft nicht genug gewürdigt. Wer schafft heutzutage noch 50 Cuts in Folge, ganz zu schweigen von 142 in Folge? Wer gewinnt die US Open mit mehreren Ermüdungsbrüchen im Bein und einem völlig zerfetzten Knie, das ein paar Tage später wieder zusammengeflickt und rekonstruiert werden muss? Wer schafft es, die Demütigungen eines privaten Skandals wegzustecken und beim ersten Turnier danach – ausgerechnet einem Masters – wieder ganz oben mitzumischen? Wer spielt mit einer 85 die schlechteste Runde seiner Karriere, um am nächsten Tag wieder anzutreten, ganz allein zu spielen und dabei Stolz und Ausdauer zu zeigen? Wer spielt eine 40 auf den ersten neun Löchern und gewinnt trotzdem das Masters?
Und wer kommt nach vier schweren Rücken-OPs einschließlich einer Wirbelversteifung zurück, um ein weiteres Masters zu gewinnen?
Bis zum Masters 2023 trat Woods 85-mal als Profi in einem Major-Turnier an, das erste Mal 1997. Ich schätze mich glücklich, bei seinen 15 Major-Triumphen dabei gewesen zu sein, ebenso wie bei 40 seiner 41 Top-Ten-Platzierungen. Nur einmal verfehlte Tiger knapp einen Sieg: als er 1998 bei der Open Championship in Royal Birkdale das Play-off um einen Schlag verpasste und Dritter hinter seinem Freund und Mentor Mark O’Meara wurde.
Im Jahr 2019 war Tiger nicht mehr Tiger, das war der Unterschied. Auf jeden Fall nicht mehr der jugendliche Tiger zur Zeit seines kometenhaften Aufstiegs. Er hatte sich verändert – nicht nur als Spieler, sondern auch als Mensch, als öffentliche Person. Er war jemand, der sich wohl in seiner Haut fühlte. Noch wollte er nicht die Rolle des Elder Statesman übernehmen. Aber er nahm seine Führungsrolle an und vertrat selbstbewusst seine Meinung.
Im Gegensatz zu früher, als Woods noch als „Killer“ galt, der auf dem Spielfeld mit Scheuklappen unterwegs war, trat er mit 43 Jahren deutlich moderater auf. Als Profi, der glücklich war, überhaupt schmerzfrei spielen zu können. Er nahm jüngere Spieler unter seine Fittiche. Zugleich dienten diese Schützlinge ihm als Motivation, weiter unnachgiebig nach Größe zu streben, trotz aller Schmerzen.
Was gab es noch zu beweisen? Nichts. Woods hatte eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Konnte ein Titel mehr oder weniger daran noch etwas ändern? Allerdings. Drei weitere Siege und ein Masters-Titel sprachen für sich. Tiger Woods war immer ein Spieler, der bewundert und respektiert wurde. Aber ihn zu lieben war nicht einfach. Jahrelang frustrierte es ihn, dass sein langjähriger Rivale Mickelson, dessen Leistungen zwar weit über dem Durchschnitt lagen, aber meilenweit hinter Tigers eigenen Errungenschaften, in der Öffentlichkeit so beliebt war. Phil war der Publikumsliebling – Tiger „nur“ der Champion.
Das änderte sich in den Jahren 2018 und 2019, als Woods nach der Wirbelversteifung zurückkehrte, einer OP, die gut und gern das Aus für ihn hätte bedeuten können. Der Jubel, der Empfang und das Echo rund um dieses Comeback waren emotionaler als bei allen früheren Siegen. Woods gewann den Titel, was für sich genommen schon unglaublich war, doch dieses Mal feuerte ihn die ganze Welt an.
Auch anschließend verebbte der Beifall nicht. Die Menschenmassen, die Woods in der Masters-Woche von 2022 folgten, waren bemerkenswert. Natürlich sind bei den Übungsrunden vor einem Masters immer viele Menschen unterwegs. Aber dieses Mal war der Zulauf außergewöhnlich. Woods sollte am Nachmittag eine Trainingsrunde mit Justin Thomas und Fred Couples spielen. Letzterer feierte 30 Jahre nach seinem Masters-Sieg von 1992 selbst ein Jubiläum. Die Trainingsrunde fühlte sich wie ein Finalrunde an, Massen von Zuschauern entlang der Spielbahnen und Grüns, zehn Reihen tief.
Woods witzelte später, dass „alle nur da waren, um Freddie zu sehen“, was ein Körnchen Wahrheit enthielt, wobei Couples es besser wusste.
„Neun Löcher hat er gestern gespielt“, schwärmte Couples nach der Übungsrunde. „Es ist beeindruckend, was er leistet. Das sage ich nicht nur als Freund. Er gibt alles, um hier zu spielen. Das ist an sich schon beeindruckend. Ihr wisst, wie anstrengend es hier ist, ihr geht ja mit den Spielern mit. Es ist brutal. Dass er 14 Monate nach dem Unfall, nach allem, was er durchgemacht hat, wieder über den Platz gehen kann, ist Wahnsinn!“
Woods trat 2022 nicht nur an, er spielte sogar alle vier Runden. Vielleicht war das Gefühl, auf der 18. Spielbahn entlangzulaufen, nicht das gleiche wie 2019, als er den nicht für möglich gehaltenen Sieg einfuhr. Aber dieses Mal war es auf andere Weise außergewöhnlich. Ein Teil seines Vermächtnisses.
Sean Foley, der Woods von 2010 bis 2014 trainierte, sagt: „Tiger hat die Mentalität der Green Berets und Navy Seals verinnerlicht. Sein Motto ist: Wahre Größe kommt danach. Wenn man so beeinträchtigt ist wie er, zeigt sich Größe darin, wie man sich zurückkämpft. Das kann man gar nicht genug bewundern.“
„Wenn mich vor Jahren jemand gefragt hätte, ob er noch ein Major gewinnen kann, hätte ich Ja gesagt“, so Foley. „Er kann es immer noch. Sein Verstand und sein Nervensystem haben genügend Raum für tolle Schläge und weitere Major-Titel. Es würde mich nicht überraschen, wenn er mit 56 Jahren noch ein Major nach drei Runden anführt. Er ist Tiger Woods! Wer weiß schon, ob er es trotz des rechten Beins nicht wieder schafft? Bisher scheint es ihn nicht zu beeinträchtigen. Er trifft den Ball immer noch gut genug, ist immer noch einer der besten Eisenspieler der Welt. Für ihn geht es einfach darum, eine Golfrunde lang laufen zu können.“
So erfuhr die Golfwelt, wie schwierig scheinbar Selbstverständliches sein kann: über 18 Löcher zu gehen, insgesamt 72 Löcher während einer Turnierwoche. Dazu all die Übungsrunden und Vorbereitungen, die ein Profigolfer im Vorfeld eines Turniers absolvieren muss.
Tiger lächelte die Schmerzen weg und schaffte es irgendwie. So wie er es oft getan hatte, wenn er etwas erreichte, das auf mehr als großem Talent und außergewöhnlichen Fähigkeiten beruhte. Es ging um den inneren Antrieb, wieder einmal.
Woods hat dies möglicherweise selbst am besten formuliert, als er 2021 einigen Prominenten auf dem Rolling Hills Country Club in Rancho Palos Verdes Nachhilfestunden gab. Vor laufender Kamera. Am Folgetag ereignete sich sein schwerer Autounfall.
Bei diesen Aufnahmen, über die später in Golf Digest und auf GolfTV berichtet wurde, sagte Woods zu der Schauspielerin Jada Pinkett Smith: „Ich kämpfe immer. Das ist das Einzige, was ich kenne.“
In seiner gesamten Profilaufbahn hatte Tiger Woods mit Widrigkeiten zu kämpfen, auch wenn es angesichts seiner großen Erfolge nicht so aussieht: Es gab Siege mit großem Vorsprung, Siege bei den Majors, Siege auf der regulären PGA Tour. Er kassierte Antrittsprämien und dominierte weltweit. Er gewann Skins Games und Showturniere. Er verpasste keinen Cut. Er spielte selbst nach längeren Auszeiten gut.
Doch zwischen den Zeilen steht eine andere Wahrheit: Der Typ gab einfach nie auf.
Vor dem Masters 2019 vergingen fast elf Jahre, in denen Woods keinen Major-Titel gewann. Eine so lange Zeitspanne zwischen zwei Major-Titeln ist unglaublich selten. Die meisten Golf-Champions sichern sich ihre Major-Titel binnen weniger Jahre.
Arnold Palmer gewann von 1958 bis 1964 zum Beispiel sieben Majors. Tom Watson siegte zwischen 1975 und 1983 achtmal, und Ben Hogan feierte von 1946 bis 1953 neun Major-Triumphe.
Gary Players neun Major-Titel zwischen 1959 und 1978 bilden da eine Ausnahme. Ebenso wie Jack Nicklaus’ 18 Major-Titel im Zeitraum 1962 bis 1986.
Woods gewann 1997 sein erstes Major, das Masters. Beim Masters 2019 feierte er seinen 15. Major-Sieg innerhalb von 22 Jahren. Für die ersten 14 Major-Titel brauchte er nur elf Jahre.
Mit dem Masters 1997 gewann Woods seine Major-Premiere als Pro. Es war sein vierter Sieg auf der PGA Tour und seine dritte Teilnahme am Masters in Augusta. Im Jahr zuvor hatte er den Cut als Amateur noch verpasst. Jack Nicklaus prophezeite 1996 schon nach einer gemeinsamen Übungsrunde, Woods würde einmal „so viele Masters gewinnen wie Arnold [Palmer] und ich zusammen“ – also zehn. Auch wenn das etwas übertrieben war: Tiger Woods war ein herausragendes Talent, und der Kurs des Augusta National passte perfekt zu ihm.
Dennoch war nicht ausgemacht, dass Woods als Profispieler gewinnen musste. Trotz des allgemeinen Hypes bezweifelten Experten, dass er sich sofort durchsetzen würde. Woods hatte als Amateur noch nie um einen Sieg auf einem Profiturnier mitgespielt. 1996 hatte er den Cut beim Masters verpasst, 1995 war er auf Rang 41 der beste Amateur im Spielerfeld. Sein bislang bestes Ergebnis bei einem Major war der 22. Platz bei der Open Championship 1996 in Royal Lytham & St. Annes. Diese Platzierung, sagte Woods später, habe ihn ermutigt, noch im selben Jahr Profi zu werden.
Und dann war da noch der Platz: Augusta National. Spieler, die dort sofort zurechtkamen, waren die Ausnahme. Fuzzy Zoeller war bis dato der Einzige, der das Masters gleich beim ersten Versuch gewinnen konnte, von den ersten beiden Austragungsjahren 1934 und 1935 einmal abgesehen. Um die örtlichen Gegebenheiten wirklich zu verstehen, brauchte es eigentlich Zeit. Woods’ Gegner hatten dort schon viel mehr Erfahrung sammeln können.
Woods investierte, um Augusta National kennenzulernen. Vor seinen Starts als Amateur spielte er Übungsrunden mit Spielern wie Raymond Floyd, Fred Couples, Greg Norman und Seve Ballesteros. Er trainierte zusammen mit Nicklaus und Palmer. Er beschäftigte sich mit Filmaufnahmen, die den Platz zeigten.
Die intensive Vorbereitung schlug sich bei seinen ersten beiden Starts als Amateur in Augusta noch nicht auf den Scorekarten nieder, aber das erwartete auch niemand. Woods war damals noch Student an der Universität in Stanford und spielte College-Turniere. Noch musste er sich nicht mit den Profispielern messen.
Als Woods zum Masters 1997 antrat, hatte er gerade einmal sechs Turnierrunden dort gespielt. Dennoch war er nach drei Titeln in Folge bei der US Amateur 1996 mit großem Tamtam ins Profilager gewechselt, hatte bei den ersten sieben Starts als Profi zweimal gewonnen und fügte seinen dritten Titel zum Saisonanfang 1997 hinzu: Er gewann das Eröffnungsturnier auf dem Platz des La Costa Resort & Spa in Südkalifornien. Für das Turnier der Champions hatte er sich ein paar Monate zuvor durch einen Sieg in Las Vegas qualifiziert.
Woods und Tom Lehman, der die Open im vorherigen Sommer gewonnen hatte, lagen nach 54 Löchern gleichauf. Eine pikante Konstellation vor der letzten Runde – der aktuelle „Champion Golfer of the Year“ und der Nachwuchsstar. Starker Regen und schlechte Wetteraussichten machten die reguläre Austragung der letzten Runde jedoch unmöglich. Daher beschlossen die Organisatoren, das Turnier abzukürzen und den Sieger zwischen den beiden Führenden an einem Loch per sudden death zu ermitteln.
Das siebte Loch wurde ausgewählt. Woods arbeitete weiter an seinem Ruf, indem er ein Sechser-Eisen über 170 Meter vor einer völlig durchnässten Zuschauermenge durch die Luft jagte. Der Ball schlug knapp 2 Meter hinter dem Loch auf und rollte durch den Spin bis auf 20 cm an das Loch heran. Ein leichter Sieg, dieser dritte Titel in seiner PGA-Karriere. Lehman hatte es ihm einfach gemacht, indem er zuerst abschlug und den Ball ins Wasser verzog. Das bedeutete, dass Woods den Ball einfach nur auf das Grün platzieren musste.
„Das war ein großartiger Schlag von Tiger“, sagte ein sichtlich verärgerter Lehman. „Natürlich hatte er keinen großen Druck mehr. Ich habe meinen Ball etwas zu hoch auf der Schlägerfläche getroffen, der Wind hat ihn kassiert, und er ging ins Wasser.“
Beide hatten fünf Schläge Vorsprung vor dem Drittplatzierten Guy Boros.
Anschließend wurde Lehman prophetisch: „Ich bin Spieler des Jahres, aber er wird der Spieler der kommenden Jahrzehnte. Dagegen etwas tun zu wollen wäre so, als wollte man Wasser aus einem sinkenden Boot schöpfen.“
Es war ein großartiger Start in die erste komplette Profi-Saison. Allerdings konnte Woods vor seinem ersten Start als Profi bei einem Major-Turnier keine weiteren Siege einfahren.
Trotzdem: Alles drehte sich um Tiger. Er zählte gemeinsam mit Titelverteidiger Nick Faldo und Norman, der zum damaligen Zeitpunkt die Nummer eins der Weltrangliste war, sogar zu den Favoriten. Woods hatte bis dahin lediglich 16 weltweite Starts als Profi vorzuweisen.
Natürlich gab es bestimmte Vorzeichen. Ein paar Tage vor der Masters-Woche spielte Woods eine 59er-Runde auf seinem Heimatkurs, Isleworth in Orlando. Mark O’Meara, sein Freund und Mentor, hat die nun folgende Geschichte schon so oft zum Besten gegeben, dass er eigentlich Gage dafür kassieren müsste …
Woods hatte sich mit dem 20 Jahre älteren O’Meara angefreundet, der in der Nachbarschaft wohnte. Der Kontakt erwies sich als vorteilhaft für beide. O’Meara zeigte Woods, worauf man als angehender Tourprofi achten musste, und ließ sich selbst von Tigers Spiel inspirieren, was dazu führte, dass er in der Saison 1998 als 42-Jähriger seine ersten beiden Major-Turniere (Masters und Open Championship) gewann.
Eine 59 (32–27) auf dem 6.565 Meter langen Kurs in Isleworth von den hinteren Abschlägen zu spielen war an sich schon herausragend. Doch O’Mearas Lieblingsgeschichte ist, was am nächsten Tag geschah, als die beiden erneut in Isleworth spielten. Sie hatten eine 10-Dollar-Wette laufen, die sich um denselben Betrag erhöhte, falls ein Spieler zurücklag. „One-downs“ nennt sich das Spiel: Jedes Mal, wenn ein Spieler ein Loch verliert, muss er weitere 10 Dollar für die restlichen neun Löcher einsetzen.
Die beiden fingen am zehnten Loch an, Woods machte ein Birdie, ging eins auf und zwang O’Meara, wieder 10 Dollar einzusetzen. An der 11, einem Par 3, schlug Woods zuerst ab, sein Ball landete nach einem Hüpfer direkt zum Ass im Loch.
Danach gab O’Meara sofort auf.
„Ich gab ihm 100 Dollar auf die Hand und sagte: Wir sehen uns auf der Range!“, erinnert sich O’Meara lächelnd. „Du liegst 16 unter Par auf 20 Löchern. Mir reicht’s. Ich hau mal besser ab.“
Unter den vielen beeindruckenden Momenten in Woods’ Karriere erklärt die erste Runde beim Masters 1997 seinen Aufstieg besonders gut. Natürlich gab es im Vorfeld einige Amateursiege und drei Titel auf der PGA Tour, zudem einen Werbevertrag über mehrere Millionen Dollar. Doch dass er als gerade einmal 21-Jähriger die Golfwelt in Atem hielt, war der Beweis, welch unglaubliches Potenzial er hatte.
Woods spielte die erste Runde zusammen mit dem Titelverteidiger, dem Engländer Nick Faldo. Der sechsfache Major-Champion hatte bei seinem letzten Start das Turnier im Riviera Country Club (Los Angeles) gewonnen.
Um 13.34 Uhr schlugen beide ab, und alle Augen richteten sich auf Woods. Nach einem mäßigen Start zeigte der sich schon am ersten Abschlag nervös und traf das Fairway nicht. Auf der ersten Spielbahn puttete er seinen Ball sogar vom Grün herunter und musste sich mit einem Bogey begnügen.
Er verpasste ein Birdie auf dem zweiten Loch, einem Par 5. Am dritten Loch, einem Par 3, kassierte er ein weiteres Bogey, nachdem er seinen Abschlag so weit nach rechts verzogen hatte, dass er erst im Bambus landete. Am achten Loch, einem weiteren Par 5, verzog er noch einmal seinen Abschlag und musste seitlich aus den Bäumen heraus chippen; es folgten ein schwacher Annäherungsschlag und ein weiteres Bogey. Und am neunten Loch noch eins. Keine Birdies, vier Bogeys.
40 Schläge.
Nach neun Löchern lag er bereits vier über Par – normalerweise ein Desaster, kaum noch Siegeschancen. Er versenkte auf dem neunten Grün einen langen Putt zum Bogey, um das Schlimmste zu verhindern. So spielte kein Wunderkind, vom dem viel erwartet wurde. Sein Selbstvertrauen schien erschüttert, und das auf dem Augusta National, wo Tausende die Spielbahnen säumten und ein Millionenpublikum am Fernseher mit jedem seiner Schläge mitfieberte! Nirgends Platz, sich zu verkriechen.
In seiner kurzen Laufbahn hatte Woods allerdings bewiesen, dass er mit solchen Umständen umgehen konnte. Beispielsweise bei seinem ersten Titelgewinn bei der US Amateur drei Jahre zuvor, als er im Finale über 36 Löcher bereits nach 13 Spielbahnen sechs down lag und am Ende doch noch Trip Kuehne abfing.
Ein Jahr zuvor, beim US-Amateurfinale 1996, war es ähnlich gewesen: Er lag nach den ersten 18 Löchern fünf down, konnte am vorletzten Loch ausgleichen und gewann am zweiten Loch im Stechen gegen Steve Scott. Das war der Höhepunkt einer einzigartigen Serie von sechs USGA-Titeln in Folge, begonnen 1991 mit einem US-Junior-Sieg und beendet mit drei Titeln hintereinander bei der US Amateur.
Dennoch: Damals war es die US Amateur. Dies hier war das Masters.
Woods lief die Strecke vom neunten Loch zum zehnten Abschlag, knapp 100 Meter, zu beiden Seiten Unmengen von Zuschauern und ordentlich viel Sicherheitspersonal. „Ich spürte, dass alle Augen auf mich gerichtet waren“, schreibt er in seinem Buch Das Masters 1997: Meine Geschichte. „Mir war klar, dass einige schon munkelten, dieses Turnier sei für mich gelaufen.“
Später sagte Woods, dass er in diesem Moment versuchte, sich die 59er-Runde ins Gedächtnis zu rufen, die er eine Woche zuvor in Florida gespielt hatte. Den kurzen Weg zwischen dem neunten Grün und dem zehnten Abschlag nutzte er, um sich zu sammeln und neu einzustellen. Er versetzte sich zurück in Zeiten, in denen er große Rückstände überwunden und Amateurtitel gewonnen hatte.
„Vor dem Turnier wurde ich dauernd gefragt: ‚Was hältst du von Tiger?‘“, erinnert sich Nick Faldo. „Niemand fragte mich, wie es mir geht. Alles drehte sich nur um Tiger. Es war unglaublich, richtig nervig. Von Anfang an zog er alle Aufmerksamkeit auf sich. Das nutzte er zu seinem Vorteil. Kein Spieler hatte vorher acht Polizisten dabei, wenn er zum ersten Abschlag lief. Mit einem Mal beschloss Tiger, dass er eigene Sicherheitsleute brauchte. Dadurch umgab ihn eine völlig andere Aura, jede seiner Bewegungen wurde beobachtet und jedem Wort gelauscht. Jeder wollte ein Stück von ihm haben. Das war schon beeindruckend.“
Was folgte, war ein früher Beweis von Woods’ innerer Stärke. Schon klar: Er war unglaublich talentiert. Er besaß die Fähigkeit, Schläge zu kreieren, die weich vom Himmel fielen und alle mit offenen Mündern zurückließen. Die Abschläge, die sauberen Eisen, das Putten – Woods sollte all diese Fähigkeiten auf den zweiten neun Löchern zeigen. Doch an diesem Punkt lief nicht alles nach Plan. Er musste auf Widrigkeiten reagieren. Woods war nach einem Rückstand schon oft zurückgekommen, aber wie würde er sich dieses Mal verhalten – unter dem großen Druck, dem er ausgesetzt war?
Nach eigener Aussage war Woods „verwirrt und wütend“ über den Start in sein erstes Major als Profi.
Er schlug am zehnten Abschlag mit einem Zweier-Eisen die Spielbahn entlang und begriff etwas: Sein Rückschwung war auf den ersten neun Löchern zu lang gewesen. Er musste das Problem lösen. „Ich musste den richtigen Weg finden, indem ich mehr mit den Armen arbeitete, im Gegensatz zur Hüfte, die die Arme nachzog“, schreibt er in seinem Buch. „Wenn man so schwingt, muss das Timing genau stimmen. Aber darauf konnte ich mich in dem Augenblick nicht verlassen.“
Den eigenen Schwung in einer laufenden Runde korrigieren können die wenigsten. Beim Golf passiert so viel auf einmal, dass es unheimlich schwer ist, Anpassungen vorzunehmen, gerade wenn man unter Druck steht. Aber Woods war umsetzungsstark. Schnell fand er zu der Leichtigkeit zurück, mit der er den Ball sonst schlug. Wie in der Woche zuvor, als er daheim mit O’Meara spielte.
Der Ärger, der in ihm aufgestiegen war, als er vom neunten Grün ging, verflog. Noch 63 Löcher waren zu spielen. Der Schlag mit dem Eisen 2 hatte ihm gezeigt, dass alles im Rahmen war. „Genau dieser Moment, der war es“, so Woods.
Sein Ziel war es, wieder auf Even Par zu kommen. Auf den beiden Par-5-Löchern mussten Birdies her. Und zwei weitere Birdies auf den anderen Löchern. Anspruchsvoll, aber machbar.
Er spielte ein Birdie am zehnten Loch, nachdem er ein Eisen 8 auf 2,5 Meter neben das Loch schlug, und chippte am zwölften Loch, einem Par 3, vom hinteren Grünrand zum Birdie ein. Nach Faldos Einschätzung war dieser Schlag „der Anfang seiner eigentlichen Karriere“.
Auf Loch 13 (Par 5) lag er nach dem zweiten Schlag mit einem Sechser-Eisen auf dem Grün und machte ein Birdie, um auf eins über Par zurückzukommen. Auf dem 15. Loch (Par 5) hatte er nach dem Abschlug nur noch 150 Yards (138 Meter) zur Fahne. Er schlug ein Pitching Wedge gut einen Meter neben das Loch und puttete zum Eagle ein. Jetzt lag er zum ersten Mal unter Par. Am 17. Loch kam noch ein Birdie für eine 30 auf den zweiten neun dazu. Von 40 auf 30 – nach einer Runde von 70 Schlägen war er wieder im Rennen. Unter den 30 Schlägen gab es höchstens einen schlechten Schlag, den Abschlag am zwölften Loch (Par 3). Das war’s.
An diesem Tag war er einer von nur sieben der insgesamt 84 Spieler, die unter Par spielten. Nach einer kleinen Session auf der Driving Range feierte Woods das Ergebnis mit Freunden aus Stanford bei Arby’s an der Washington Road. Das Schnellrestaurant lag gleich neben der Auffahrt zum Augusta National.
Ein erstaunliches Comeback: der Auftakt zu allem, was an diesem Wochenende noch kommen sollte.
Faldo über Woods: „Er eröffnete mit einer 40 und kam mit einer 30 zurück ins Clubhaus. Danach sahen wir ihn die nächsten 14 Jahre nicht mehr von vorn. Er hat uns im Staub zurückgelassen. Es war ein besonderer Tag. Mit einer 40 zu starten, um später doch noch mit zwölf Schlägen Vorsprung zu gewinnen – das war, als würde man aus der ersten Kurve fliegen und dann nur noch eine Staubwolke sehen. Genau so verlief diese Woche.“
Nach seiner Aufholjagd auf den zweiten neun avancierte Woods vom Flop zum Titelanwärter. Er lag nur drei Schläge hinter dem führenden John Huston zurück und spielte die zweite Runde in der vorletzten Paarung mit Paul Azinger, der seinen einzigen Major-Titel 1993 errungen hatte.
Dieses Mal gelang Woods ein besserer Start. Seine 66 beinhaltete einen Eagle-Birdie-Birdie-Lauf vom 13. bis zum 15. Loch, der ihn mit drei Schlägen Vorsprung vor Colin Montgomerie an die Spitze katapultierte.
Mit einem Eagle an der 13 setzte er sich erstmals an die Spitze des Leaderboards, und Jim Nantz verkündete im Sender CBS: „Wir können festhalten, dass Tiger Woods an diesem Freitag um kurz nach halb sechs die Führung beim Masters übernommen hat.“
Woods ließ Montgomerie nach einer 65 in der dritten Runde weit hinter sich. Der deutlichen Führung folgte in der letzten Runde ein lockerer Spaziergang unter Pinien, was dieses Turnier endgültig zu einem denkwürdigen Ereignis machte.
„Ich werde nie vergessen, was ich erlebt habe“, sagt Montgomerie. „Ich war ja ganz nah dran. Es war etwas ganz Besonderes, mit jemandem zu spielen, der plötzlich auf einem so hohen Level agierte. Er spielte eine 65, und zwar die lockerste 65er-Runde, die ich je erlebt habe. Das war etwas völlig Neues. Zu was er in der Lage war, ahnte ich nicht. Ich dachte, ich hätte einen Vorteil, weil ich mehr Erfahrung hatte. Ich lag total daneben. Alle lagen daneben. Keiner konnte richtig einschätzen, dass dies ein Vorgeschmack auf die nächsten 20 Jahre war. Ich schätze mich glücklich, die Tiger-Ära miterlebt zu haben.“
Woods war der erste Spieler nicht weißer Hautfarbe, der das traditionsreiche Turnier für sich entschied – ein Turnier, an dem der erste dunkelhäutige Spieler, Lee Elder, bis 1975 nicht teilnehmen durfte. Es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Weltruhm.
Lee Elder verfolgte die historische Finalrunde als Zuschauer. Spontan beschloss er, von seinem Zuhause in Florida zum Augusta National zu fahren, und kassierte auf dem Highway I-20 einen Strafzettel wegen überhöhter Geschwindigkeit. Viel später, im Jahr 2021, gehörte Elder zu den Ehrenstartern, die das Turnier symbolisch mit einem Abschlag eröffneten. Zum Masters 1997 sagte er: „Nichts konnte mich davon abbringen, dort hinzufahren. Ich wollte hin, um Geschichte zu erleben. Nach diesem Tag wird niemand mehr den Kopf schütteln, wenn ein schwarzer Mann zum ersten Abschlag schreitet.“
Für Woods war der Titel ein Meilenstein mehr. Davon gab es damals schon einige. Wie er die ganze Aufregung allerdings beiseiteschob, wie er nach einem katastrophalen Auftakt kämpfte und die Weltelite deklassierte, war bleibendes Kapital für härtere Zeiten. Unglaubliche Siege folgten, und 22 Jahre später sollte Woods an gleicher Stelle einen Triumph feiern, den viele als den größten von allen einschätzen.
Gesetzt den Fall, Tiger Woods wollte seine Stimmung aufhellen oder Zukunftsängste im Zaum halten, könnte er Dutzende, wenn nicht Hunderte von Ereignissen in seiner Karriere heraufbeschwören.
Seine Zeit als Profigolfer war gespickt mit geschmeidigen Siegen, stürmischen Comebacks, außergewöhnlichen Putts, Abschlägen und Eisenschlägen, eingelochten Chips, eingelochten Schlägen, Assen … der ganzen Palette.
Der Sieg beim Masters 1997 machte Woods in der ganzen Welt bekannt. Ein Jahr später setzte er dann zu einem in der Öffentlichkeit zunächst kaum wahrgenommenen Traumlauf an, der insgesamt sieben Jahre dauerte. Ein weiteres Exempel seiner Stärke, gern übersehen, von manchen vergessen und ganz bestimmt unterschätzt: seine unglaubliche Cut-Serie.
Von 1998 bis 2005 schaffte Woods 142 Cuts in Folge auf der PGA Tour, konnte sich also stets für die letzten beiden Runden eines Turniers qualifizieren.
Auf der PGA Tour werden Turniere mit mehr als 100 Teilnehmern gewöhnlich nach 36 Löchern halbiert, damit das Teilnehmerfeld am Wochenende übersichtlicher wird. Nur wer sich für die Finalrunden am Wochenende qualifiziert, kann Preisgeld einstreichen. In Woods’ aktiver Zeit musste man die Top 70 oder den geteilten 70. Platz erreichen, um den Cut zu schaffen. (Inzwischen hat die PGA Tour den Cut auf die 65 besten Spieler plus Schlaggleiche reduziert.) Beim Masters, dem Major mit dem kleinsten Spielerfeld, sind es die besten 50 plus Schlaggleiche, bei den US Open die besten 60 und Schlaggleiche.
Auf den ersten Blick mag es einfach erscheinen, den Cut zu schaffen. Doch die Tatsache, dass kein anderer Spieler im Verlauf von Woods’ Karriere auch nur annähernd dessen Bestmarke an geschafften Cuts in Serie erreicht hat, zeugt davon, wie schwer das ist.
Allerdings fanden in dem genannten Zeitraum auch Turniere statt, bei denen es keinen Cut gab. Etwa die World Golf Championship (WGC), wo Woods 18-mal gewann, oder das Tournament of Champions. Das Gleiche gilt für die beiden letzten FedEx Cup Playoffs und das FedEx-Finale mit den verbleibenden 30 Spielern. Unter den 142 Cuts in Folge waren 31 Turniere ohne Cut.
Dies soll Woods’ Leistung keineswegs schmälern. Alle Spieler, die in diesen Events gegen ihn angetreten sind, hatten die gleichen Voraussetzungen und schafften es dennoch nicht.
Die meiste Zeit spielte Woods ohnehin so gut, dass der Cut nach 36 Löchern kein Thema war. Doch es gab auch Zeiten, in denen er spielerisch nicht auf der Höhe war. Eine Woche mit schlechten Abschlägen. Runden, in denen keine Putts fielen. Einen verstauchten Rücken oder ein verletztes Handgelenk oder eine angeschlagene Schulter. Es gibt Dutzende von Gründen, warum ein Spieler am Cut scheitern kann, die öffentlich kaum Beachtung finden.
Die mentale Stärke, die Voraussetzung ist, mehr als 36 Löcher im Turnier zu spielen, hat Woods 2022 erneut bewiesen. Bei der PGA Championship im Southern Hills Country Club in Tulsa, Oklahoma, humpelte er bei anspruchsvollsten Bedingungen auf dem rechten Fuß – eine Folge seines schlimmen Autounfalls. Nachdem er eindrucksvoll den Cut beim Masters geschafft hatte, war es erst sein zweites Turnier in diesem Jahr.
Woods fand in der zweiten Runde nur schwer ins Spiel. Alles sah danach aus, dass er sich für das Wochenende nicht qualifizieren würde.
Dass er dennoch den Cut schaffte – zum zweiten Mal nach seinem Comeback nur fünf Wochen zuvor –, kann man gar nicht hoch genug bewerten. Seine 69er-Runde auf dem Par-70-Kurs nach 74 Schlägen am ersten Tag ergab 143 Schläge, insgesamt drei über Par, und den geteilten 53. Rang.
Er versenkte zwei Birdies auf den letzten Löchern, nachdem er auf dem elften Loch ein Double-Bogey gespielt hatte, was normalerweise das Aus bei diesem Turnier bedeutet. Die Birdies gelangen ihm auf den Bahnen 13 und 16 – Letzteres ein 476 Meter langes Par 4, an dem er seinen zweiten Schlag, ein Eisen 5, aus 191 Metern einen Meter neben die Fahne legte. Ein Ergebnis, mit dem die meisten Spieler des Turniers hochzufrieden gewesen wären.
Es war eine eindrucksvolle Vorstellung, und alle freuten sich auf das Wochenende mit Woods. Nach der dritten Runde musste er jedoch verletzt aufgeben.
„Unglaublich, dass er es nach dem Cut in Augusta auch hier geschafft hat“, sagte Rory McIlroy, der die ersten beiden Runden mit Woods unterwegs war. „Ich habe Joey [LaCava, Woods’ Caddie] schon gefragt, warum er nicht bei der Honda oder Valspar Championship [beides in Florida] angetreten ist, auf den eher flachen Plätzen der Tour. Das wäre sicher einfacher gewesen. Aber nein, er sucht sich zwei der anspruchsvollsten Kurse überhaupt aus!“
McIlroy weiter: „Er hat eine wahnsinnige Widerstandsfähigkeit und mentale Kraft. Ich konnte das aus nächster Nähe verfolgen. Ihm tat alles weh, bei jedem Schwung. Auf den zweiten neun hat er sich zurückgekämpft. Klar hat er ein paar Eisen verzogen, aber er hat das Up and Down immer geschafft, wenn er musste. Und das Birdie auf der 16 hat ihn dann in die Lage versetzt, den Cut zu machen.“
„Leute, er ist der ultimative Pro“, lautete das Fazit des Konkurrenten. „Das habe ich gestern erlebt. Wenn ich das gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich aufgegeben und wäre nach Hause gefahren. Aber nicht Tiger, der ist anders. Das war eine herausragende Leistung.“
Musste sich Woods zu diesem Zeitpunkt immer noch beweisen? Infos zu den Prozeduren seiner Turnierroutine drangen kaum nach außen, doch es hieß, dass er lange Eisbäder über sich ergehen lassen musste, damit die Schwellungen zurückgingen. Mehrere Physiotherapeuten waren damit beschäftigt, ihn irgendwie in Wettkampfform zu bringen. Bestimmte Schwungbewegungen verursachten ihm große Schmerzen. Nach der Eröffnungsrunde sagte Woods, dass er Schwierigkeiten habe, sein Gewicht beim Aufschwung aufs rechte Bein zu verlagern. Jede Drehung schmerzte, ebenso wie jeder Schritt, den er laufen musste.
Doch er war wieder da. Auch beim zweiten Major des Jahres erlebte er einen Triumph, der die Schmerzen wert war. „Gut zu wissen, dass ich wieder Golf spiele und bei den großen Events dabei sein kann“, sagte Woods anschließend. „Wie bereits erwähnt, will ich in Zukunft noch ein paar Turniere spielen. Das werden die größten sein. Ich will bei den Majors antreten. Ich liebe es, da zu spielen. An den Ort zurückzukehren, wo man Erfolg hatte [sein 13. Major-Titel bei der PGA Championship 2007], und sich mit den Besten der Welt zu messen, das wollen wir doch alle. Zum Glück habe ich es irgendwie geschafft. Mein großartiges Physioteam hat meinen Humpty-Dumpty-Rücken so weit hinbekommen. Morgen versuchen wir es wieder, und dann hoffe ich, das Gleiche zu leisten wie Bubba heute.“
Damit meinte Woods Bubba Watson, der sich mit einer 63er-Runde an die Spitze gespielt hatte. So hat Woods immer getickt, selbst in völlig aussichtslosen Situationen. Deshalb war die Antwort auf die Frage, mit welchem Mindset er den Cut erneut geschafft hatte, die gleiche wie auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Alles geben, um an der Spitze zu stehen. Woods musste gar nichts groß verändern.
„Na ja, man kann nicht gewinnen, wenn man den Cut nicht schafft“, sagte er noch. „Ich habe schon Turniere gewonnen, zwar keine Majors, aber andere, auf denen ich den Cut auf den Schlag genau überstanden hatte. Darum kämpft man so – damit man sich die Chance für das Wochenende erhält. Man weiß nie, wann man gerade heiß läuft.“
Dieses Turnier auf dem Southern-Hills-Kurs gewann Woods nicht. Über Nacht hatte sich das Wetter gedreht. Es war ungewöhnlich kalt und regnerisch für die Jahreszeit. Als Woods am Samstagmorgen zur dritten Runde antrat, war bereits klar, dass es ein schwieriger Tag für ihn werden würde. Am Ende stand die schlechteste Runde, die er je bei einer PGA Championship gespielt hatte. Eine 79, neun über Par, darunter fünf Bogeys hintereinander und ein Triple-Bogey – ein Novum für ihn bei einem Major.
Woods teilte der Turnierleitung mit, dass er zur letzten Runde nicht antreten würde. Tags darauf flog er mit seiner Privatmaschine nach Los Angeles, wo er sich wahrscheinlich von denselben Ärzten untersuchen ließ, die ihn bereits nach dem Autounfall behandelt hatten.
Später im Jahr 2022 gab Woods zu, dass er zwei weitere Operationen am rechten Bein über sich ergehen lassen musste. Wann und wo die Eingriffe vollzogen wurden, sagte er nicht. Beim Masters 2023 erläuterte Jason Day schließlich, warum Tiger Woods allen Grund dazu gehabt hatte, bei der PGA Championship 2022 aufzugeben.
„Ende letzten Jahres habe ich mit ihm darüber gesprochen. Er sagte, dass der Grund für den Rückzug am Samstag, oder wann immer das damals war, eine Schraube im Knochen war, die sich durch die Haut bohrte“, sagte Day, nachdem er erfahren hatte, dass Woods zu den finalen Masters-Runden 2023 nicht mehr antreten würde. „Ich weiß nicht, wie schlimm es dieses Mal ist. Mist, dass er nicht mehr dabei ist.“
Dies geschah lange nach Woods’ unglaublicher Cut-Serie. Ein Rekord wurde dennoch aufgestellt: Bevor Woods beim Master 2023 aufgeben musste, hatte er zum 23. Mal in Folge den Cut beim Masters geschafft, was vor ihm nur Gary Player und Fred Couples gelungen war. Woods blieb seiner Devise treu: Du kannst nicht gewinnen, wenn du den Cut nicht schaffst. Egal wie schmerzhaft und schwierig das ist.
Von Woods erwartete jeder, dass er gewann, egal unter welchen Umständen.
Die Serie begann 1998 beim Buick-Invitational-Turnier, das Woods insgesamt siebenmal gewann, in dieser Woche jedoch als Dritter beendete. (Möglicherweise hätte er dieses Mal auch gewonnen, wenn das Turnier wegen schlechten Wetters nicht auf 54 Löcher verkürzt worden wäre.) Die nächsten sechs Jahre und weit in das siebte Jahr hinein sollte er keinen Cut verpassen.
„Er setzte eine Bestmarke nach der anderen“, erinnert sich Adam Scott, der 2012 bis 2015 selbst 45 Cuts in Folge schaffte. „Fast alle sind sich einig, dass diese Cut-Serie ein Rekord ist, der einfach nicht gebrochen werden kann. Heutzutage kommt keiner auch nur ansatzweise an diese Leistung heran.“
„Golf wird inzwischen anders gespielt“, so Scotts Einschätzung. „Nichts gegen die Leistungen von heute, aber so eine Serie ist einfach unwahrscheinlich. Der Cut liegt heutzutage nach zwei Tagen meist bei sechs oder sieben unter Par. Man kann zwei Tage lang ziemlich gut spielen und trotzdem nicht sechs oder sieben unter Par liegen.“
Und weiter zu Woods: „Allein die Tatsache, dass er sieben Jahre lang keinen Cut verpasst hat! Er hat vielleicht etwas weniger gespielt als andere, aber 142 Cuts – das sind verdammt viele. Bei den meisten ist heute nach 30 Schluss. Das sind zwei Jahre am Stück. Das Niveau ist hoch, war es früher auch, aber diese Erfolgsserie ist unglaublich.“
Im Laufe der Jahre zog Woods an den Spielern vorbei, die auf der PGA Tour bis dahin die meisten Cuts hintereinander geschafft hatten.