Tina läuft ins Glück - Amelia Altenburg - E-Book

Tina läuft ins Glück E-Book

Amelia Altenburg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Ein leises Klopfen weckte Heiner Prinz von Sonderburg aus seinem Schlaf. Er schaute auf die Uhr. Viertel nach drei. Er stöhnte leise. Vorsichtig öffnete sich die Tür zu seinem Schlafzimmer. »Entschuldige, dass ich dich wecke, Heiner. Ich weiß, du hast morgen einen harten Tag. Aber – es geht los.« »Ich komme.« Heiner sprang aus dem Bett, schlüpfte schnell in eine alte Jeans und einen Pullover und folgte seiner Mutter, Isabella Fürs­tin von Sonderburg, durch das Schloss. Sie eilten einen breiten Flur entlang, vorbei an dessen weiß getünchten indirekt beleuchteten Wänden. In gemauerten Alkoven befanden sich Kostbarkeiten aus vielen Jahrhunderten der Familiengeschichte. Großformatige Gemälde, Wandteppiche und Skulpturen wechselten sich ab und erzählten von der Geschichte der fürstlichen Familie, ihren Erfolgen und Kämpfen und ihren Reisen um die Welt. Doch Heiner und seine Mutter, die Fürstin, hatten dafür jetzt keinen Blick übrig. Die hohe Tür zum Jagdzimmer stand offen. Ein kleiner Glutrest leuchtete rötlich im Kamin, eine Leselampe warf ihr Licht auf einen Hundekorb, der neben dem Kamin stand. Das Zimmer wirkte anheimelnd und gemütlich. Als Heiner näher kam, entdeckte er Dessa, die Retrieverhündin. Sie lag schwer und schnell atmend in ihrem Korb. Nun hob sie leicht ihren Kopf und stellte die Ohren auf. Heiner streichelte über ihr schokoladenbraunes glänzendes Fell »Nun, Dessa, gleich wirst du Mama«, flüsterte er leise. »Die Fruchtblase ist schon geplatzt. Es kann jeden Augenblick losgehen«, meinte seine Mutter. »Gut, dass du mich geholt hast. Das möchte ich gern miterleben.« Heiner schaute seine Mutter liebevoll an. »Warst du etwa die ganze Zeit wach?« »Dessa war unruhig, und ich

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Fürstenkrone – 108–

Tina läuft ins Glück

Ein Marathonlauf, ein Sturz und der Traummann ...

Amelia Altenburg

Ein leises Klopfen weckte Heiner Prinz von Sonderburg aus seinem Schlaf. Er schaute auf die Uhr. Viertel nach drei. Er stöhnte leise. Vorsichtig öffnete sich die Tür zu seinem Schlafzimmer.

»Entschuldige, dass ich dich wecke, Heiner. Ich weiß, du hast morgen einen harten Tag. Aber – es geht los.«

»Ich komme.« Heiner sprang aus dem Bett, schlüpfte schnell in eine alte Jeans und einen Pullover und folgte seiner Mutter, Isabella Fürs­tin von Sonderburg, durch das Schloss.

Sie eilten einen breiten Flur entlang, vorbei an dessen weiß getünchten indirekt beleuchteten Wänden. In gemauerten Alkoven befanden sich Kostbarkeiten aus vielen Jahrhunderten der Familiengeschichte. Großformatige Gemälde, Wandteppiche und Skulpturen wechselten sich ab und erzählten von der Geschichte der fürstlichen Familie, ihren Erfolgen und Kämpfen und ihren Reisen um die Welt. Doch Heiner und seine Mutter, die Fürstin, hatten dafür jetzt keinen Blick übrig.

Die hohe Tür zum Jagdzimmer stand offen. Ein kleiner Glutrest leuchtete rötlich im Kamin, eine Leselampe warf ihr Licht auf einen Hundekorb, der neben dem Kamin stand. Das Zimmer wirkte anheimelnd und gemütlich.

Als Heiner näher kam, entdeckte er Dessa, die Retrieverhündin. Sie lag schwer und schnell atmend in ihrem Korb. Nun hob sie leicht ihren Kopf und stellte die Ohren auf.

Heiner streichelte über ihr schokoladenbraunes glänzendes Fell »Nun, Dessa, gleich wirst du Mama«, flüsterte er leise.

»Die Fruchtblase ist schon geplatzt. Es kann jeden Augenblick losgehen«, meinte seine Mutter.

»Gut, dass du mich geholt hast. Das möchte ich gern miterleben.«

Heiner schaute seine Mutter liebevoll an. »Warst du etwa die ganze Zeit wach?«

»Dessa war unruhig, und ich wollte bei ihr bleiben. Ich habe noch mal Holz im Kamin nachgelegt und mich dann in den Sessel gekuschelt und ein wenig gelesen. Um keinen Preis der Welt will ich die Geburt ihrer Welpen verpassen!«

Heiner schob einen zweiten Ohrensessel dicht an den Kamin. Seine Mutter war wirklich ein herzensguter Mensch. Eine Weile hingen beide ihren Gedanken nach, bis die Fürstin die Stille unterbrach: »Ich bin so gespannt, wie unser Nachwuchs aussehen wird.«

Heiner lachte: »Das heißt, wir wissen immer noch nicht, bei welchem Nachbarshund wir Alimente geltend machen können?«

Fürstin Isabella lächelte. »Vermutlich ist Anko, der Border Collie des Zahnarztes aus dem Dorf, daran beteiligt. Er streunt hier öfter einmal herum. Auf jeden Fall werden es keine reinrassigen Retriever, was einige unserer Bekannten empören wird.« Sie seufzte ein wenig, lachte aber dann schon wieder. »Doch Mischlingshunde sind meis­tens sehr robust, intelligent und immer außergewöhnlich.«

Heiner stand auf und legte einen Holzscheit nach. Er warf einen Blick auf Dessa. Die Hündin lag auf der Seite, ein Hinterbein ragte steif in die Luft. »Ich glaube, es geht los«, sagte er, krempelte sich die Ärmel hoch und kniete sich neben den Korb. »Vielleicht wird ja heute Nacht Dessas großes Liebesgeheimnis gelüftet.«

Nach der nächtlichen Aufregung um Dessa hatte Heinrich Prinz von Sonderburg, den alle nur Heiner nannten, noch etwas geschlafen. Jetzt stand er am Fenster seines Arbeitszimmers in Schloss Süderfall und genoss den Ausblick.

Die Förde glitzerte in der tief stehenden Morgensonne. Vereinzelte Segelboote dümpelten träge in der leichten Brise. Der blaue Himmel hob sich hinter einem grüngelb gesprenkelten Feld. Bald würde dort der Raps sonnengelb leuchten.

Heiner hatte schon viele bemerkenswerte und aufregende Orte in der Welt gesehen, doch hier, auf Schloss Süderfall, dicht am Meer, gefiel es ihm am besten. Hier war sein Zuhause.

Immer, wenn er von einer langen Reise oder auch nur von Hamburg nach Hause kam, sah er schon lange in Gedanken Schloss Süderfall vor sich. Die weißen Wände waren im Karree angeordnet. An den vier Ecken standen Türme, deren graue Schindeldächer in der Sonne glitzerten. Hinter einem der Fenster glaubte er, seine Eltern winken zu sehen. Schon öffnete sich die große Toreinfahrt in den Schlosshof. Jeder war hier willkommen.

Heiner packte einige Papiere und das Notebook in seine Aktentasche. Er musste heute in die Dependenz seiner Rederei nach Hamburg.

Leichtfüßig lief er die Marmortreppe ins Erdgeschoss hinab. Er stellte seinen Aktenkoffer in der Eingangshalle vor den großen goldgerahmten Spiegel und warf kontrollierend einen Blick auf sich. Sein Anzug, ultramarinblau, wie der Schneider anmerkte, betonte Heiners schlanke, großgewachsene Gestalt. Der weiße Hemdkragen stand noch offen. Die Krawatte wartete zusammengerollt in der Jacketttasche auf ihren Einsatz.

Prinz Heiner trug seine goldblonden leicht gewellten Haare nicht modisch kurz, sondern kinnlang, eine Reminiszenz an seine Vergangenheit, als er noch mit seinem Freund Matthias um die Welt gezogen war. Zusammen mit seinen saphirblauen Augen, die im leicht gebräunten Gesicht fröhlich funkelten, wirkte er fast wie ein Wikingerprinz aus früheren Zeiten

Heiner öffnete die Tür zum Frühstückssalon. Jörn, der Butler, hatte die Flügeltüren zum Garten hin geöffnet, sodass das Morgenlicht goldene Strahlen auf das Parkett malte und die Frühlingsluft den Raum erfüllte. In der Mitte des Salons stand ein mit weißem Damast gedeckter Tisch. Eine silberne Kaffeekanne und mehrere Schalen mit Obstsalat, Joghurt und Brötchen luden zum Frühstück ein.

Der Prinz hängte sein Jackett über die Stuhllehne und schenkte sich einen Kaffee ein. Nach der letzten Nacht konnte er den jetzt gebrauchen. Genüsslich sog er den Kaffeeduft ein. Sein Blick schweifte über den Garten mit seiner großen Rasenfläche, die es gewohnt war, dass bei Feiern viele festlich gekleidete Menschen darüberschlenderten. Seitlich und am Ende des Gartens befanden sich Springbrunnen, dessen Wasserspiele wie Diamanten in der Sonne funkelten. Heiner liebte diese schlichte Eleganz.

»Einen schönen guten Morgen, Durchlaucht.« Jörn, der Butler, betrat leise den Raum. »Was darf ich Ihnen bringen?«

»Guten Morgen, Jörn. Mir reichen Kaffee und etwas Obstsalat. Ich werde sicherlich nachher im Hamburger Büro noch ein zweites Frühstück angeboten bekommen. Wissen Sie schon, dass wir heute Nacht Nachwuchs bekommen haben?«

»Ja, Ihre Durchlaucht hat es mir schon berichtet: fünf Welpen. Wir haben das Jagdzimmer schon mit alten Teppichen und Tüchern ausgelegt. Da wird ja bald das Leben toben.«

Der Butler schenkte Prinz Heiner Kaffee ein.

»Das klingt so, als hätte meine Mutter noch nicht geschlafen?«

»Ihre Durchlaucht war wie immer die Erste auf den Beinen. Heute ist sie ohne Dessa durch die Ställe gegangen und hat die Pferde versorgt.«

»Sie sollte sich ein wenig mehr Ruhe gönnen. So wie mein Vater, er genießt seine neue Freiheit.«

»Guten Morgen, die Herren!«, rief da eine fröhliche Frauenstimme aus dem Garten. Isabella Fürstin von Sonderburg stand in der geöffneten Flügeltür, in der gleichen Jeans und dem zu weiten Pullover wie letzte Nacht. Es sah aus, als wollte die zierliche, zarte Frau in der robusten Arbeitskleidung versinken. Doch die Fürstin strahlte so viel Lebensfreude und Energie aus, dass sich niemand ihrer mitreißenden Ausstrahlung entziehen konnte.

Sie zupfte an ihrem Pullover und verzog das Gesicht.

»Entschuldige bitte meinen Aufzug, Heiner. Aber nicht jede Nacht kann man sich als Hundehebamme betätigen. Und bei den Pferden war ich auch schon.« Isabella seufzte müde, aber glücklich. »Ich gehe mich schnell duschen und umziehen. Schließlich will ich dir zum Abschied noch winken.«

Heiner sah versonnen seiner Mutter nach, die durch den Garten zum Kücheneingang eilte. Er war seinen Eltern für ihre Fürsorge und ihre Großzügigkeit dankbar. Sie waren ihm ein großes Vorbild. Er hatte sich vorgenommen, ihnen so viel wie nur möglich von ihrer Liebe zurückzugeben.

Deshalb war er jetzt, mit 32 Jahren, sesshaft geworden. Es war Zeit, seinen Vater bei der Leitung der Reederei zu entlasten. Heute musste er deshalb nach Hamburg. Dort gab es Probleme bei der Reparatur eines Frachtschiffs.

Heiner trank den Rest seines Kaffees. Er wollte noch einmal nach Dessa und ihren Welpen sehen, bevor er für einige Tage wegfuhr.

Die Glut im Kamin des Jagdzimmers war erloschen. Das Fenster stand offen, und die Frühlingsluft vertrieb die Gerüche der Nacht. Dessa hatte die Ohren gespitzt, als sie Heiner hörte, ihre Schwanzspitze schlug leicht wedelnd gegen den Korbrand. Heiner kraulte das Fell hinter ihren Ohren und sah sich die Kinderschar an. Fünf winzige Fellbündel krabbelten unbeholfen und blind umeinander und übereinander. Sie waren alle dunkelbraun oder schwarz, nur einer fiel aus der Rolle. Er hatte zum braunen Fell eine weiße Vorderpfote. Es sah aus, als hätte ihm jemand eine weiße Socke übergezogen.

»Gut gemacht, Dessa«, sagte Heiner leise. Dessa seufzte, und es klang für Heiner, als wäre sie sehr zufrieden über das Lob.

»Sorge gut für deine Kleinen, damit ich mit ihnen spielen kann, wenn ich wiederkomme.« Als Heiner sich erhob und gehen wollte, winselte die Hündin leise zum Abschied.

Isabella Fürstin von Sonderburg wartete in der Eingangshalle auf ihren Sohn. Sie trug jetzt ein apricotfarbenes Seidenkleid, das das Grau ihrer Augen hervorhob und ihre schlanke Figur schmeichelnd umfloss. Ihre goldblonden Haare hatte sie hochgesteckt. Die Brillanten an ihren Ohren blitzten mit ihren Augen um die Wette.

Sie nahm Heiner kurz in den Arm. »Bitte richte Matthias ganz herzliche Grüße von mir aus. Ich wünsche ihm alles Gute für seinen ersten Marathon.« Die Fürstin zögerte ein wenig. »Wirst du Sonja wiedersehen?«

»Nein, Mama. Das Kapitel habe ich abgeschlossen. Ich habe lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen, dass sie nicht mich liebte, sondern mein Geld und meinen Stand. Das hat sehr wehgetan. Beim nächsten Mal werde ich vorsichtiger sein.« Heiner lächelte. »Ich hoffe doch, dass es ein nächs­tes Mal geben wird.«

Isabella nahm seine Hand und drückte sie fest. »Das wünsche ich dir, mein Lieber. Nun fahr los. Morgen kommt dein Vater von seinem Törn zurück und bringt seine Segelfreunde mit. Da habe ich noch viel vorzubereiten.«

*

Tina Hellwege ließ sich zufrieden in ihren Schreibtischstuhl plumpsen. Am liebsten hätte sie vor Freude und Erleichterung laut gejauchzt.

»Gut gemacht, mein Mädchen«, sagte sie zu sich selbst, griff zum Telefonhörer und drückte eine Kurzwahltaste.

»Hallo, Rike. Mein Vortrag war perfekt. Der Vorstand war begeis­tert. Die viele Arbeit hat sich gelohnt. Ich bin immer noch völlig aufgeregt.«

»Das merke ich«, meinte Rike trocken. »Hol mal tief Luft und zähle langsam bis zehn.«

»Wie wär’s, wenn ich gleich noch bei dir in der ›Arche‹ auf ein Gläschen Sekt vorbeikomme? Den Erfolg müssen wir feiern.«

»Gern. Ich glaube, nach dieser Woche haben wir beide einen schönen Start ins Wochenende verdient.«

Tina legte auf, atmete tief durch und zählte tatsächlich langsam bis zehn. Ihr Herz pochte noch immer viel zu stark. Sie ließ ihren Blick aus ihrem Bürofenster aus dem zehnten Stock von ›Hanse-Energie‹ schweifen. Unter ihr auf den Straßen drängte sich Auto an Auto. Es war Freitagnachmittag. Die Menschen wollten nach Hause. Weiter hinten hinter den Bürohochhäusern mit ihren funkelnden Glasfassaden glitt lautlos eine S-Bahn, dahinter sah Tina das noch zarte Frühlingsgrün des Stadtparks, in der Ferne im leichten Dunst lag der Hafen mit der Elbe.

Übermorgen würde sie durch diese herrliche Stadt laufen, ihr fünfter Marathon in Hamburg! Tina hatte sich Hamburg als Wahlheimat ausgesucht und es nie bereut. Sie erinnerte sich, wie sie zum ersten Mal bei ›Hanse-Energie‹ in die große gläserne Halle trat, unter dem Arm die Bewerbungsunterlagen, mit dem festen Willen, hier einen Arbeitsplatz zu erhalten. Nicht ihre exzellenten Zeugnisse und Studienabschlüsse, sondern ihre Leistungsbereitschaft und ihr Teamgeist hatten sie schnell die Karriereleiter aufsteigen lassen. Der heutige Tag war der bisherige Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn.

Zusammen mit einigen Kollegen hatte sie in den letzten Wochen und Monaten ein neues Projekt zur Energiegewinnung entwickelt.

Heute war der große Tag der Präsentation gewesen. Tina hatte sich gut auf ihren Vortrag vorbereitet. Sie punktete mit Zahlen und Fakten, Tabellen und Kalkulationen.

Die Konferenzteilnehmer hatten geklatscht. Ihre Chefin, Frau Meyer-Nissen, nickte sehr zufrieden in Tinas Richtung und unterhielt sich dann angeregt mit ihrem Nachbarn. Was hatte das zu bedeuten?

Mit einem Seufzer riss sich Tina von ihrer Erinnerung los. Sie räumte die letzten Unterlagen von ihrem Schreibtisch. Der Feierabend wartete mit Rike und mit einem Gläschen Sekt.

Tina parkte vor der ›Arche‹, einer alten zweigeschossigen Backsteinvilla in Altona, die schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Aus dem Kofferraum ihres Autos hievte sie einen zusammengeklappten Kinderwagen heraus, faltete ihn auseinander und holte vom Rücksitz mehrere prall gefüllte Plastiktüten, die sie in den Kinderwagen legte. Dazwischen stopfte sie ihre Handtasche und eine Flasche Sekt.

Rike erwartete sie schon. Groß und schlank stand sie in der Tür. Ihre Haare fielen ihr bis auf die Hüften und glänzten kastanienbraun in der Abendsonne. Als sie sah, wie bepackt Tina war, kam sie ihr entgegen und half ihr mit dem vollbeladenen Kinderwagen die Eingangsstufen hinauf.

»Wo hast du den denn aufgetrieben?«, wollte sie wissen.

»Ich habe ihn von meiner Nachbarin. Und dazu noch mehrere Tüten voll mit Babywäsche. Ich dachte, wir geben es Lara. Wie geht es ihr?«

Rike zögerte mit ihrer Antwort, als wenn sie Tina nicht mit ihren Sorgen belasten wollte. »Lara geht es nicht gut, sie ist sehr unglücklich. Sie hat versucht, mit ihren Eltern zu reden, aber die wollen mit ihrer schwangeren Tochter nichts zu tun haben. Sie sei eine Schande für die ganze Familie, haben sie zu ihr gesagt.«

»So dumme, verbohrte Eltern!«, rief Tina wütend. »Mit dieser Einstellung wollen sie ihr Ansehen retten. Dabei zerstören sie das Leben ihrer Tochter, das des Babys und letztendlich auch ihr eigenes!«

Rike schaute Tina erstaunt an. »Reg dich doch nicht jedes Mal wieder so auf. Es gibt ja auch viele Eltern, die in solch einer Situation zu ihrer Tochter halten.«

Sie stellten den Kinderwagen zu den anderen in den Flur. Aus den Zimmern hörte man leise Gespräche, hier und da das Weinen eines Babys. Es roch nach Babyöl und altem Holz.

Rike und Tina gingen in die geräumige, blitzblank geputzte Wohnküche. Hier konnten die jungen Frauen Essen zubereiten und am großen Tisch zusammensitzen. In der Ecke war eine Hängematte aufgespannt. Daneben, in der ehemaligen Vorratskammer, hatte Rike sich ihr Büro eingerichtet. Von dort leitete sie die ›Arche‹, ein Heim für in Not geratene schwangere junge Frauen.

Tina öffnete die Sektflasche, während Rike aus dem Schrank zwei Gläser holte und auf den Tisch stellte.

»Prost! Auf unseren Erfolg!« Beide erhoben ihr Glas. Rike nahm einen großen Schluck und drehte dann das Glas nachdenklich zwischen den Fingern.

»Mein Erfolg hat neuerdings zwei Seiten. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem wir niemanden mehr aufnehmen können. Wir platzen hier aus allen Nähten. Doch das Sozialamt kann kein weiteres Geld für ein größeres Haus aufbringen. Zum Teil wohnen schon vier Mädchen in einem Zimmer. Wenn dann auch noch die Babys angekommen sind, kommen weder die Mütter noch die Kinder zur Ruhe.«

»Wir brauchen wieder eine Wohltätigkeitsveranstaltung mit vielen großzügigen Spendern«, schlug Tina vor.