Tod im Skriptorium - Peter Tremayne - E-Book
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Tod im Skriptorium E-Book

Peter Tremayne

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Beschreibung

Mord in einer keltischen Abtei.

Irland Mitte des 7. Jahrhunderts. Im Skriptorium einer berühmten keltischen Abtei wird ein altehrwürdiger Gelehrter ermordet. Der König des Nachbarreichs, in dessen Auftrag er in der Abtei forschte, verlangt als Wiedergutmachung ein umstrittenes Grenzgebiet und droht mit Krieg, falls man seine Forderung nicht erfüllt. Schwester Fidelma, eine Nonne königlichen Geblüts, stößt bei ihren Bemühungen, den Mord aufzuklären, auf ein verschlungenes Netz unterschiedlicher politischer und privater Interessen ...

"Tremaynes Keltenkrimis haben weltweit Kultstatus." BuchMarkt.

"Eine brillante und bezaubernde Heldin." Publishers Weekly.

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Seitenzahl: 445

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Peter Tremayne

Tod im Skriptorium

Historischer Kriminalroman

Aus dem Englischen von Friedrich Baadke

Aufbau-Verlag

[Menü]

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel

»Suffer Little Children«

erschien 1995 bei Headline Book Publishing, London.

ISBN E-Pub 978-3-8412-0137-9

ISBN PDF 978-3-8412-2137-7

ISBN Printausgabe 978-3-7466-1526-4

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, 2011

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 bei Aufbau Taschenbuch, einer

Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

Copyright © 1995 by Peter Tremayne

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Preuße & Hülpüsch Grafik Design

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Inhaltsübersicht

HISTORISCHE ANMERKUNG

HAUPTPERSONEN

IN RAE NA SCRÍNE

IN DER ABTEI ROS AILITHIR

MÄNNER DER CORCO LOÍGDE

MÄNNER AUS DEM KÖNIGREICH LAIGIN

IN SCEILIG MHICHIL

IN MOLUAS HAUS

IN DER GROSSEN RATSVERSAMMLUNG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

EPILOG

[Menü]

|5|Meinem alten und sehr lieben Freund Christopher Lowder

Dank Arnold Bennett

und dem »The Six Towns Magazine«

[Menü]

|7|Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht …

Markus 10, 14

So fürchtet euch denn nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar werde, und ist nichts heimlich, das man nicht wissen werde.

Matthäus 10, 26

[Menü]

|11|HAUPTPERSONEN

Schwester Fidelma von Kildare, eine dálaigh oder Anwältin an den Gerichten Irlands im siebenten Jahrhundert

Cass, ein Mitglied der Leibwache des Königs von Cashel Cathal, der sterbende König von Cashel

Colgú, der tánaiste oder Thronfolger von Cashel und Fidelmas Bruder

IN RAE NA SCRÍNE

Intat, ein bó-aire oder örtlicher Machthaber der Corco Loígde

Schwester Eisten, die Waisenkinder versorgt

Cétach und Cosrach, junge Brüder

Cera und Ciar, junge Schwestern

Tressach, ein Waisenknabe

|12|IN DER ABTEI ROS AILITHIR

Abt Brocc, ein Vetter Fidelmas

Bruder Conghus, der aistreóir oder Pförtner

Bruder Rumann, der fer-tighis oder Verwalter der Abtei

Bruder Midach, der leitende Arzt

Bruder Tóla, der Unterarzt

Bruder Martan, der Apotheker

Schwester Grella, die Bibliothekarin

Bruder Ségán, der fer-leginn oder Rektor

Schwester Necht, eine Novizin und Gehilfin im Gästehaus

MÄNNER DER CORCO LOÍGDE

Salbach, der Stammesfürst der Corco Loígde

Scandlán, sein Vetter und Kleinkönig von Osraige

Ross, Kapitän einer barc, eines Küstenseglers

MÄNNER AUS DEM KÖNIGREICH LAIGIN

Der Ehrwürdige Dacán, der Tote

Fianamail, der König von Laigin

Forbassach, sein Brehon oder Richter

Abt Noé, der Bruder des Ehrwürdigen Dacán, Abt von Fearna und Berater Fianamails

Mugrón, Kapitän eines Kriegsschiffes von Laigin

Midnat, ein Matrose aus Laigin

Assíd von den Uí Dego, ein Kaufmann und Schiffskapitän aus Laigin

|13|IN SCEILIG MHICHIL

Pater Mel, Vorsteher des Klosters von Sceilig Mhichil

Bruder Febal, ein Mönch

IN MOLUAS HAUS

Bruder Molua, der ein Waisenhaus leitet

Schwester Aíbnat, seine Frau

IN DER GROSSEN RATSVERSAMMLUNG

Sechnassach, der Großkönig von Irland

Barrán, der Oberrichter von Irland

Ultan, der Erzbischof von Armagh und das religiöse Oberhaupt von Irland

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|17|KAPITEL 1

Das Gewitter brach mit plötzlicher Heftigkeit los. Auf das helle Aufblitzen folgte ein wütender Donnerschlag. Im nächsten Moment setzte der Regen mit schweren, eisigen Tropfen ein.

Das Pferd und die Reiterin hatten gerade den Schutz des Waldes verlassen und hielten auf einer Anhöhe. Vor ihnen erstreckte sich eine weite Ebene. Die Frau war in einen langen braunen Wollmantel mit Kapuze gekleidet, der dick und warm war und sie vor der Kälte des Spätherbstes schützte. Ohne Furcht vor dem Wüten des Sturms sah sie zum Himmel auf. Die dunkelgrauen Wolken jagten niedrig dahin und verhüllten die entfernten Bergspitzen wie ein Nebel. Stellenweise hoben sich von diesem Hintergrund dunklere Wolken ab, deren drohende Schwärze den rollenden Donner barg.

Die Frau kniff die Augen zusammen, als ihr der kalte Regen eisig schmerzend ins Gesicht schlug. Sie war jung und anziehend, ohne hübsch zu sein, und widerspenstige rötliche Haarsträhnen ringelten sich unter der Kapuze über ihre breite Stirn. Auf ihrer hellen Haut zeigten sich ganz leichte Sommersprossen. Die Augen sahen augenblicklich so grau aus wie der düstere Himmel, doch im Licht der |18|Blitze leuchtete ein grünes Feuer in ihnen auf. Sie saß mit jugendlicher Gewandtheit im Sattel, und ihre hohe Gestalt beherrschte das unruhige Pferd sicher. Bei näherer Betrachtung hätte man das silberne Kruzifix entdeckt, das sie am Halse trug, und die Nonnentracht, die der schwere Reitmantel und die Kapuze verbargen.

Schwester Fidelma von der Gemeinschaft der heiligen Brigid von Kildare hatte das Gewitter seit einiger Zeit erwartet und wurde von seinem plötzlichen Ausbruch nicht überrascht. Die Anzeichen waren schon lange zu erkennen. Auf ihrem Ritt hatte sie gesehen, wie sich die Kiefernzapfen schlossen, die Gänseblümchen und der Löwenzahn ihre Blumenblätter einrollten und die Stengel des Wiesenklees anschwollen. Das alles verriet ihrem scharf beobachtenden Blick das Nahen des Regens. Selbst die letzten Schwalben, die sich zum Abflug aus Éirann für die Wintermonate rüsteten, flogen dicht über dem Boden, ein sicheres Anzeichen für ein bevorstehendes Gewitter. Schließlich hatte sie, als sie an einer Holzfällerhütte vorbeiritt, gesehen, wie sich der Rauch des Herdfeuers niederschlug, statt sich aufwärts zu ringeln. Er wurde nach unten gedrückt und zog in kleinen Schwaden um das Gebäude, ehe er sich in der kalten Luft auflöste. Sie wußte aus Erfahrung, daß ein solcher Rauch unweigerlich nahen Regen ankündigte.

Auf das Gewitter war sie also vorbereitet, nur nicht auf seine Heftigkeit. Sie hielt einen Moment an und überlegte, ob sie in den Schutz des Waldes zurückkehren und das Nachlassen des Regengusses abwarten solle. Aber sie war nur wenige Meilen von ihrem Ziel entfernt, und wegen der Dringlichkeit der Botschaft, die sie zum sofortigen Kommen aufgefordert hatte, stieß sie dem Pferd die Hacken in die Seiten |19|und ritt den Pfad hinunter, der über die weite Ebene zu dem fernen Berg führte, der trotz des peitschenden Regens und des dunklen Himmels gerade noch zu erkennen war.

Dieser auffallende Hügel war ihr Ziel, ein großer Kalksteinblock, der sich mehr als sechzig Meter über die umliegende Ebene erhob. Seine steilen Flanken zeichneten sich manchmal im Licht der Blitze ab. Fidelma spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte, als sie die vertrauten Konturen betrachtete. Sie kannte die befestigten Gebäude, die diese natürliche Festung krönten. Es war Cashel, der Königssitz von Muman, des größten der fünf Königreiche von Éirann. Dort war sie geboren und aufgewachsen.

Während sie weiterritt, den Kopf gegen den scharfen, böigen Wind gesenkt, der ihr den prasselnden Regen entgegentrieb, durchzogen sie widerstreitende Gefühle. Sie war freudig erregt beim Gedanken, ihren Bruder Colgú nach mehreren Jahren wiederzusehen, doch zugleich überlegte sie besorgt, warum er ihr ausrichten ließ, sie solle ihre Gemeinschaft in Kildare verlassen und so schnell wie möglich nach Cashel kommen.

Während des ganzen Ritts hatte diese Frage sie bedrängt. Mehrfach hatte sie sich selbst dafür getadelt, daß sie Zeit und Energie darauf verschwendete. Fidelma war in einer traditionellen Disziplin erzogen worden. Sie erinnerte sich an den Rat ihres alten Lehrers, des Brehon Morann von Tara: »Mach dir keine Gedanken über ungelegte Eier.« Es hatte keinen Zweck, sich mit der Lösung eines Problems abzuplagen, ehe sie nicht die Fragen kannte, die sie stellen mußte.

Also hatte sie versucht, sich solche Sorgen aus dem Kopf zu schlagen, und die Kunst der dercad, der Meditation, zu Hilfe genommen, durch die zahllose Generationen irischer |20|Mystiker den Zustand des sitcháin, des Friedens, erlangt hatten. In Zeiten der Belastung übte sie sich regelmäßig in dieser uralten Kunst, obgleich einige Glaubensgenossen, wie auch Ultan, der Erzbischof von Armagh, sie als heidnisch verurteilten, weil sie noch von den Druiden stammte. Sogar der heilige Patrick selbst, ein Brite, der vor zweihundert Jahren eine hervorragende Rolle bei der Einführung des Glaubens in den fünf Königreichen gespielt hatte, verbot einige der meditativen Künste ausdrücklich. Die dercad jedoch wurde zwar mit Mißtrauen betrachtet, war aber noch nicht verboten. Sie war ein Mittel, den Wirbel der Gedanken in einem verstörten Gemüt zu beruhigen.

Beinahe ohne es wahrzunehmen, erreichte Fidelma die Burg der Könige von Muman.

Am Fuße des Kalksteinblocks war im Schatten der Burg im Laufe der Jahrhunderte ein großer Marktflecken entstanden. Es war erheblich dunkler geworden, denn das Gewitter hielt unvermindert an. Fidelma erreichte den Eingang zur Stadt und ritt durch die engen Straßen weiter. Der durchdringende Geruch von Torffeuern drang ihr in die Nase, und sie sah viele flackernde Laternen. Plötzlich trat ein hochgewachsener Krieger aus dem dunklen Schatten; einen Speer locker, doch kampfbereit in der Schildhand, hob er mit der anderen eine Laterne hoch und rief sie an.

»Wer bist du und was hast du hier in Cashel zu tun?«

Schwester Fidelma zügelte ihr Pferd.

»Ich bin Fidelma von Kildare«, antwortete sie laut, um im Brausen des Sturms gehört zu werden. Dann berichtigte sie sich: »Ich bin Fidelma, die Schwester Colgús.«

Der Krieger stieß einen leisen Pfiff aus und nahm Haltung an.

|21|»Reite in Sicherheit weiter, Lady. Wir haben Auftrag, dich zu erwarten.«

Er zog sich in den Schatten zurück und nahm seinen unbequemen Dienst als Wächter vor den Gefahren der Nacht wieder auf.

Fidelma lenkte ihr Pferd durch die dunklen, engen Straßen der Stadt. Gelegentlich hörte sie Gelächter und lebhafte Musik aus den Häusern, an denen sie vorbeiritt. Sie überquerte den Marktplatz und schlug den Pfad ein, der sich zum Gipfel des Felsens emporwand. Er war seit unvordenklichen Zeiten bewohnt. Fidelmas Vorfahren, die Eóganachta, die Söhne Eoghans, hatten sich vor mehr als dreihundert Jahren dort niedergelassen, als sie die Königswürde von Muman für sich beanspruchten, und den Felsen zu ihrem politischen und später auch kirchlichen Zentrum gemacht.

Fidelma kannte hier jeden Schritt, denn ihr Vater, Failbe Fland, war einst König von Cashel gewesen.

»Nicht weiter!« kreischte eine dünne, schrille Stimme und riß Fidelma aus ihren Gedanken.

Sie parierte ihr Pferd scharf und starrte überrascht auf die formlose Gestalt hinab, die vor den Hufen aufgesprungen war. Nur die Stimme verriet Fidelma, daß dieses Bündel von Fellen und Lumpen eine Frau war. Sie stand gebeugt und vom Regen durchnäßt da und lehnte sich schwer auf einen Stock. Fidelma musterte sie durchdringend, konnte aber ihre Gesichtszüge nicht erkennen. Alt war sie offensichtlich, alles andere aber war schwer zu ausmachen, nur im Licht der Blitze war weißes Haar zu sehen, das der Regen ihr ins Gesicht klebte.

»Wer bist du?« fragte Fidelma.

»Das tut nichts zur Sache. Reite nicht weiter, wenn dir dein Leben lieb ist!«

|22|Fidelma hob eine Augenbraue vor Verblüffung über diese Antwort.

»Womit drohst du mir, Alte?« sagte sie schroff.

»Ich drohe dir nicht, Lady«, kicherte das alte Weib. »Ich warne dich bloß. In dem düsteren Palast da oben hat sich der Tod eingenistet. Der Tod ereilt alle, die da reingehen. Verlaß diesen elenden Ort, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Ein plötzlicher Blitz und rollender Donner lenkten Fidelma für einen Moment ab, denn sie mußte ihr unruhiges Pferd zügeln. Als sie sich wieder umwandte, war die Alte verschwunden. Fidelma preßte die Lippen zusammen und zuckte die Achseln. Dann lenkte sie ihr Pferd den Pfad entlang zum Tor des Palasts der Könige von Muman. Noch zweimal wurde sie von Wachen angerufen, und auf ihre Antwort hin gaben die Krieger respektvoll den Weg frei.

Ein Stallbursche lief herbei und nahm ihr das Pferd ab, nachdem sie schließlich in dem steingepflasterten Hof abgestiegen war. Ihn erleuchteten schimmernde Laternen, deren Licht im Winde geheimnisvoll tanzte. Fidelma strich noch rasch dem Pferd über die Nüstern und ergriff ihre Satteltasche, dann eilte sie der Haupttür des Gebäudes zu. Sie öffnete sich vor ihr, noch bevor sie anklopfen konnte.

Sie betrat eine weite Halle, die von einem lodernden Feuer im Mittelkamin erwärmt wurde, der fast so groß war wie ein kleines Zimmer. In der Halle befanden sich mehrere Leute, die sich nach ihr umwandten und untereinander flüsterten. Ein Diener kam herbei, nahm ihr die Tasche ab und half ihr aus dem Reisemantel. Sie warf das regendurchweichte Kleidungsstück von den Schultern und ging eilig zum Feuer, um sich zu erwärmen. Der Diener erklärte ihr, ein anderer bringe Colgú die Nachricht, daß sie eingetroffen sei.

|23|Unter den Leuten, die in der großen Halle des Palastes herumstanden und ihre durchnäßte Gestalt neugierig musterten, fand Fidelma nicht ein freundliches, vertrautes Gesicht. Es herrschte eine Atmosphäre gezwungener Feierlichkeit. Ja, sie meinte eine gewisse Melancholie, sogar Feindseligkeit zu spüren. Ein düster dreinblickender Mönch stand mit wie zum Gebet gefalteten Händen neben dem Feuer.

»Gott schenke dir einen guten Tag, Bruder«, grüßte Fidelma ihn lächelnd in dem Versuch, ein Gespräch anzuknüpfen. »Warum sieht man hier so viele lange Gesichter?«

Der Mönch wandte sich um und starrte sie an, wobei seine Miene noch kummervoller wurde.

»Du erwartest doch wohl keine Lustbarkeiten in einer Zeit wie dieser, Schwester?« erwiderte er tadelnd und wandte sich ab, ehe sie eine Erklärung verlangen konnte.

Fidelma war einen Moment verblüfft, dann sah sie sich nach einer gesprächigeren Person um.

Sie bemerkte, daß ein Mann mit einem spitzen Gesicht sie arrogant anstarrte. Als sie seinem hochmütig prüfenden Blick begegnete, kam ihr eine Erinnerung. Bevor sie sie aussprechen konnte, kam der Mann auf sie zu.

»Aha, Fidelma von Kildare«, sagte er mit spröder Stimme und ohne Wärme, »also hat wohl dein Bruder Colgú dich kommen lassen?«

Fidelma war überrascht von seinem unfreundlichen Ton, doch antwortete sie mit einem Lächeln, als sie den Mann erkannte.

»Ich begrüße dich als Forbassach, Brehon des Königs von Laigin. Was machst du so weit von Fearna entfernt?«

Der Mann erwiderte ihr Lächeln nicht.

»Du hast ein gutes Gedächtnis, Schwester Fidelma. Ich |24|habe von deinen Taten am Hofe des Königs Oswy von Northumbrien gehört und von dem Dienst, den du in Rom geleistet hast. Aber in diesem Königreich wird dir dein Talent nichts nützen. An dem Urteil wird deine berühmte Schlauheit nichts ändern können.«

Fidelma merkte, wie ihr Lächeln einfror. Es war ihr, als sei sie in einer fremden Sprache angeredet worden. Brehon Morann von Tara hatte sie ermahnt, daß ein guter Anwalt niemals seinen Gegner erraten lasse, was er denke, und Forbassach gab ihr deutlich zu verstehen, daß er ihr Gegner sei, doch in welcher Hinsicht, das war ihr nicht klar.

»Ich bin sicher, Forbassach von Fearna, daß deine Worte einen tiefen Sinn haben, nur verstehe ich ihn nicht«, antwortete sie langsam und deutete wieder ein Lächeln an.

Forbassachs Gesicht rötete sich.

»Wirst du unverschämt, Schwester? Du bist Colgús leibliche Schwester, und doch tust du so, als ob …«

»Verzeihung, Forbassach.«

Eine ruhige männliche Stimme unterbrach den aufsteigenden Zorn in der Stimme des Brehons.

Fidelma blickte auf. Neben ihr stand ein junger Mann ungefähr in ihrem Alter. Er war hochgewachsen, fast sechs Fuß groß, und trug Kriegertracht. Er war glattrasiert, hatte welliges dunkles Haar und schien auf den ersten Blick auf eine rauhe Art hübsch zu sein. Seine Züge waren angenehm und anziehend. Sie hatte keine Zeit, ihn genauer zu betrachten. Sie bemerkte, daß er einen Halsreifen von gedrehtem Gold mit reichen Verzierungen trug, der ihn als Mitglied des Ordens vom Goldenen Halsreifen auswies, der ausgewählten Leibgarde der Könige von Muman. Er wandte sich mit einem freundlichen Lächeln an sie.

|25|»Verzeihung, Schwester Fidelma. Ich habe den Auftrag, dich in Cashel willkommen zu heißen und dich sofort zu deinem Bruder zu führen. Wenn du so gut sein würdest, mir zu folgen …?«

Sie zögerte, doch Forbassach hatte sich grollend einer kleinen Gruppe zugewandt, die murmelnd zusammenstand und Blicke in ihre Richtung warf. Fidelma war ratlos. Doch sie ging darüber hinweg, folgte dem jungen Krieger durch die Halle und beeilte sich, um mit seinem ruhigen, aber ausladenden Schritt mitzuhalten.

»Das verstehe ich nicht, Krieger.« Sie keuchte ein wenig im Bestreben, neben ihm zu bleiben. »Was tut Forbassach von Fearna hier? Weshalb ist er so verärgert?«

Der Krieger gab einen Laut von sich, der sehr einem verächtlichen Schnaufen ähnelte.

»Forbassach ist der Gesandte des neuen Königs von Laigin, des jungen Fianamail.«

»Das erklärt weder seine unfreundliche Begrüßung noch die Tatsache, daß alle so trübsinnig sind. Cashel war früher immer ein Palast, den Lachen erfüllte.«

Der Krieger wirkte verlegen.

»Dein Bruder wird dir erklären, wie es steht, Schwester.«

Er erreichte eine Tür, doch bevor er klopfen konnte, wurde sie von innen aufgerissen.

»Fidelma!«

Ein junger Mann kam eilig aus der Tür heraus. Schon ein flüchtiger Blick verriet, daß er und Fidelma verwandt waren. Sie waren von dem gleichen hohen Wuchs, hatten das gleiche rote Haar und die wandelbaren grünen Augen, und sie besaßen die gleiche Gesichtsstruktur und Bewegungshaltung.

Bruder und Schwester umarmten sich herzlich. Atemlos |26|hielten sie sich dann auf Armeslänge und betrachteten einander prüfend.

»Die Jahre sind gut zu dir gewesen, Fidelma«, stellte Colgú mit Befriedigung fest.

»Auch zu dir, Bruder. Ich machte mir Sorgen, als ich deine Botschaft erhielt. Es sind viele Jahre vergangen, seit ich zuletzt in Cashel war. Ich fürchtete, dir könnte ein Unglück zugestoßen sein. Aber du siehst gesund und munter aus. Doch diese Leute in der großen Halle, weshalb sind sie so düster und melancholisch?«

Colgú mac Failbe Fland zog seine Schwester in das Zimmer und wandte sich zu dem hochgewachsenen Krieger um: »Ich lasse dich später holen, Cass«, sagte er, ehe er die Tür schloß. Sie befanden sich in einem Empfangsraum, in einer Ecke glomm ein Feuer. Ein Diener trat mit einem Tablett auf sie zu, auf dem zwei Becher mit Glühwein standen. Leichter Dampf stieg von dem heißen Getränk auf. Der Diener stellte das Tablett auf den Tisch und zog sich unauffällig zurück, während Colgú Fidelma zu einem Stuhl vor dem Feuer führte.

»Wärme dich auf nach dem langen Ritt von Kildare«, meinte er, während draußen nach wie vor der Donner rollte. »Der Tag ist immer noch zornig auf sich selbst«, schloß er, nahm einen Becher mit Glühwein und reichte ihn seiner Schwester.

Fidelma lächelte schelmisch, als sie den Becher hob.

»So ist es. Aber trinken wir auf künftige bessere Tage.« »Dazu sage ich ›amen‹, kleine Schwester«, stimmte Colgú ihr zu.

Fidelma kostete genießerisch den Wein.

»Es gibt viel zu besprechen, Bruder«, sagte sie. »Viel ist geschehen, seit wir uns zuletzt gesehen haben. Ich bin viel |27|gereist, nach der Insel Colmcille, ins Land der Angelsachsen und sogar nach Rom.« Sie hielt inne, weil sie merkte, daß er sie etwas nachdenklich und besorgt ansah. »Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet. Warum herrscht eine so melancholische Stimmung im Palast?«

Ihr Bruder runzelte die Stirn.

»Du hast schon immer scharf beobachtet, kleine Schwester«, seufzte er.

»Was ist, Colgú?«

»Ich fürchte, ich habe dich nicht zu einem Familientreffen herkommen lassen«, gestand er leise.

Fidelma sah ihren Bruder an und wartete auf weitere Erklärungen. Als sie nicht kamen, sagte sie ruhig: »Damit hatte ich auch nicht gerechnet. Was ist los?«

Colgú blickte sich beinahe ängstlich um, als wolle er sichergehen, daß ihn niemand hören könne.

»Der König …«, begann er. »König Cathal ist von der Gelben Pest befallen worden. Er liegt in seinem Zimmer im Sterben. Die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit.«

Fidelma schloß die Augen, doch im Innersten war sie von der Neuigkeit nicht überrascht. Seit zwei Jahren verbreitete sich die Gelbe Pest nun schon durch Europa und dezimierte die Bevölkerung. Zehntausende waren ihr zum Opfer gefallen. Sie verschonte weder den niederen Bauern noch den selbstbewußten Bischof, noch die erhabenen Könige. Erst vor achtzehn Monaten, als die Pest Éirann erreichte, waren die gemeinsam regierenden Großkönige von Irland, Blathmac und Diarmuid, beide innerhalb weniger Tage in Tara daran gestorben. Vor wenigen Monaten war Fáelán, der König von Laigin, ihr erlegen. Und die Pest wütete unvermindert weiter. Im ganzen Land gab es zahllose |28|Waisenkinder, deren Eltern die Pest hinweggerafft hatte und die nun hilflos verhungerten. Einige Glaubensmänner, wie der Abt Ultan von Ardbraccan, hatten Waisenhäuser eingerichtet und die Pest bekämpft, während andere sich verhielten wie Colmán, der Rektor der Hochschule des heiligen Finnbarr in Cork, der einfach seine fünfzig Schüler genommen hatte und mit ihnen auf eine einsame Insel geflohen war, um der Pest zu entgehen. Fidelma wußte sehr gut, was für eine Geißel die Gelbe Pest war.

»Hast du mich deshalb kommen lassen?« fragte sie. »Weil unser Vetter stirbt?«

Colgú schüttelte rasch den Kopf.

»König Cathal hat mir befohlen, dich holen zu lassen, noch bevor ihn das Fieber der Pest ergriff. Jetzt kann er dir keine Anweisungen mehr geben, das fällt nun mir zu.«

Er berührte ihren Ellbogen. »Aber erst mußt du dich von der Reise ausruhen. Danach ist immer noch Zeit dafür. Komm, ich habe dir dein altes Zimmer herrichten lassen.«

Fidelma versuchte einen Seufzer der Ungeduld zu unterdrücken.

»Du kennst mich gut genug, Bruder. Du weißt, daß ich nicht ruhen kann, solange es ein Geheimnis zu enträtseln gibt. Du stachelst meine Phantasie nur noch an. Komm, erklär mir, worum es sich handelt, dann kann ich mich ausruhen.«

Colgú setzte zum Sprechen an, als man zornig erhobene Stimmen vernahm. Man hörte ein Handgemenge, und Colgú war aufgesprungen, um zu sehen, was da vor sich ging, als die Tür aufflog und Forbassach von Fearna ihm entgegentrat. Er war rot im Gesicht und atmete schwer vor Anstrengung.

|29|Hinter ihm stand der junge Krieger Cass und hatte sein hübsches Gesicht ärgerlich verzogen.

»Verzeihung, Mylord. Ich konnte ihn nicht aufhalten.«

Colgú betrachtete den Gesandten des Königs von Laigin mit Mißfallen.

»Was hat dieses unhöfliche Benehmen zu bedeuten, Forbassach? Hast du dich vergessen?«

Forbassach reckte arrogant und verachtungsvoll das Kinn vor.

»Ich brauche eine Antwort, die ich Fianamail, dem König von Laigin, überbringen kann. Dein König liegt im Sterben, Colgú. Deshalb ist es an dir, auf die Vorwürfe von Laigin zu antworten.«

Fidelma machte eine undurchdringliche Miene, um ihren Ärger darüber zu verbergen, daß sie den Sinn dieser Konfrontation nicht verstand.

Colgú errötete vor Zorn.

»Noch lebt Cathal von Muman, Forbassach. Solange er lebt, ist er es, der auf deine Vorwürfe antwortet. Du hast soeben die Gastfreundschaft dieses Hofes verletzt. Als Thronfolger verlange ich, daß du diesen Ort verläßt. Wenn der Hof von Cashel dir etwas mitzuteilen hat, wird er dich rufen lassen.«

Forbassachs schmale Lippen verzogen sich zu einem herablassenden Lächeln.

»Ich weiß, daß du die Antwort nur hinauszögern willst, Colgú. Sobald ich sah, daß deine Schwester Fidelma von Kildare angekommen ist, war mir klar, daß du versuchen wirst, uns hinzuhalten und Ausflüchte zu machen. Das wird dir nichts nützen. Laigin verlangt immer noch eine Antwort. Laigin verlangt Gerechtigkeit!«

|30|Colgú konnte sichtlich nur mühsam seinen Zorn beherrschen.

»Fidelma, erkläre mir das Gesetz.« Er sprach seine Schwester an, ohne den Blick von Forbassach abzuwenden. »Dieser Abgesandte von Laigin hat, meine ich, die Grenzen des geheiligten Gastrechts überschritten. Er ist eingedrungen, wo er es nicht durfte, und er hat uns beleidigt. Darf ich befehlen, daß er mit Gewalt von diesem Hof entfernt wird?«

Fidelma sah den hochmütigen Brehon von Fearna an.

»Entschuldigst du dich für dein unberechtigtes Eindringen in ein privates Gemach, Forbassach?« fragte sie. »Und tust du Abbitte für dein beleidigendes Verhalten gegenüber dem Thronfolger von Cashel?«

Forbassach reckte das Kinn noch höher, und seine Miene verdüsterte sich noch mehr.

»Ich doch nicht.«

»Dann müßtest du als Brehon das Gesetz kennen. Du mußt diesen Hof sofort verlassen.«

Colgú sah den Krieger namens Cass an und nickte ihm kaum merklich zu.

Der hochgewachsene Mann legte Forbassach die Hand auf die Schulter.

Der Abgesandte von Laigin wand sich unter seinem Griff, und sein Gesicht rötete sich.

»Fianamail von Laigin wird von dieser Beleidigung erfahren, Colgú. Sie wird deine Schuld noch vergrößern, wenn du von der Ratsversammlung des Großkönigs in Tara gerichtet wirst!«

Der Krieger hatte den Abgesandten von Laigin ohne sichtbare Gewaltanwendung herumgedreht und ihn zur Tür hinausgeschoben. Dann schloß er sie hinter ihm mit einer entschuldigenden Geste zu Colgú.

|31|Fidelma wandte sich an ihren Bruder, der nun seine steife Haltung lockerte.

»Ich glaube, es wird Zeit, daß du mir erklärst, was sich hier wirklich abspielt«, sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit.

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KAPITEL 2

Colgú schien die Antwort erneut aufschieben zu wollen, doch als er das Funkeln in den Augen seiner jüngeren Schwester sah, überlegte er es sich anders.

»Na schön«, antwortete er. »Aber gehen wir lieber da hin, wo wir offener sprechen können und nicht noch mal unterbrochen werden. Es gibt viele Lauscher, die den Königen von Muman übel gesonnen sind.«

Fidelma hob überrascht die Augenbrauen, sagte aber nichts dazu. Sie wußte, daß ihr Bruder nicht zu Übertreibungen neigte.

Sie folgte ihm wortlos aus dem Zimmer und durch die Korridore des Palastes, deren Steinwände mit reichen Teppichen verkleidet und mit Kunstgegenständen geschmückt waren, die die Eóganacht-Könige im Laufe der Jahrhunderte gesammelt hatten. Colgú führte sie durch einen großen Raum, den sie als die Tech Screptra, das oder die Bibliothek des Palastes, kannte, wo sie als kleines Mädchen lesen und schreiben gelernt hatte. Neben eindrucksvollen illustrierten Pergamenttexten enthielt die Tech Screptra einige der alten Bücher von Muman. Darunter befanden sich die »Stäbe der Dichter«, Stöcke aus Espen- oder Haselholz, in die die Schreiber der Vorzeit ihre Sagas, Gedichte und Geschichten in Ogham eingeritzt hatten, der alten Schrift, die noch in Teilen von Muman in Gebrauch war. In dieser Tech Screptra waren die Phantasie und der Wissensdurst des kleinen Mädchens wachgerufen worden.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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