Todesfuge - Biographie eines Gedichts - Thomas Sparr - E-Book

Todesfuge - Biographie eines Gedichts E-Book

Thomas Sparr

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Beschreibung

Zum Celan-Jahr 2020

Kein anderes Gedicht hat nach 1945 solche Berühmtheit erlangt wie Paul Celans »Todesfuge«. Entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck der Ermordung seiner Eltern durch die Nationalsozialisten, gilt es als eines der frühesten literarischen Zeugnisse im Angesicht der Shoah. Thomas Sparr zeichnet die Geschichte dieses Gedichts nach, das wie kein zweites deutschsprachiges Werk in der Nachkriegszeit eine ganze Epoche ins Bild setzt und eine enorme, bis heute andauernde internationale Wirkungsgeschichte entfaltet. Er spannt den Bogen von seiner Entstehung über seine zunächst kontroverse Aufnahme in den 1950er Jahren bis hin zu den Literaten und Künstlern, die sich bis in unsere Tage davon inspirieren lassen. Seine Erzählung zeigt auch, dass das Gedicht auf besondere Weise die Biographie Celans birgt. Bedruckter Vorsatz, Lesebändchen, Abbildungen.

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Seitenzahl: 407

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Zum Buch

Kein anderes Gedicht hat nach 1945 solche Berühmtheit erlangt wie Paul Celans »Todesfuge«. Entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck der Ermordung seiner Eltern durch die Nationalsozialisten, gilt es als eines der frühesten literarischen Zeugnisse im Angesicht der Shoah. Thomas Sparr zeichnet die Geschichte dieses Gedichts nach, das wie kein zweites deutschsprachiges Werk in der Nachkriegszeit eine ganze Epoche ins Bild setzt und eine enorme, bis heute andauernde internationale Wirkungsgeschichte entfaltet. Er spannt den Bogen von seiner Entstehung über seine zunächst kontroverse Aufnahme in den 1950er Jahren bis hin zu den Literaten und Künstlern, die sich bis in unsere Tage davon inspirieren lassen. Seine Erzählung zeigt auch, dass das Gedicht auf besondere Weise die Biographie Celans birgt.

Zum Autor

Thomas Sparr, Jahrgang 1956, war nach dem Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie in Marburg, Hamburg und Paris von 1986 bis 1989 an der Hebräischen Universität in Jerusalem tätig, anschließend im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Von 1990 bis 1998 leitete er den Jüdischen Verlag, war Cheflektor des Siedler Verlags und arbeitet heute als Editor-at-Large im Suhrkamp Verlag in Berlin. Er ist mit Arbeiten zu Paul Celan hervorgetreten. Zuletzt erschien von ihm Grunewald im Orient. Das deutsch-jüdische Jerusalem.

Thomas Sparr

Todesfuge

Biographie eines Gedichts

Deutsche Verlags-Anstalt

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Copyright © 2020 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München

ISBN978-3-641-21609-2V003

www.dva.de

Inhalt

Todesfuge

Einleitung

»Die Landschaft, aus der ich zu Ihnen komme«

Czernowitz 1944

Bukarest 1945

Wien 1947

Paris 1948

Niendorf 1952

Stuttgart 1952

New York 1955

Scheveningen 1957

Darmstadt 1960

Budapest 1961

Lübeck 1963

Stockholm 1966

Moskau 1967

Westberlin 1967

Jerusalem 1969

Stuttgart 1970

Ostberlin 1986

Bonn 1988

Das Jahrhundert Paul Celans

Dank

Zeittafel

Anmerkungen

Bibliographie

Register

Bildnachweis

Todesfuge

Die »Todesfuge« in einem frühen Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen von Paul Celan, das 1947 im Besitz von Alfred Margul-Sperber blieb. Heute im Literaturmuseum Bukarest

Literaturmuseum Bukarest

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends

wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts

wir trinken und trinken

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei

er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde

er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete

Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt

er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau

stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland

er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft

dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland

wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau

er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft

er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith

Einleitung

Paul Antschel um 1941

Photographie im Besitz von Ruth Lackner; aus: Israel Chalfen: Paul Celan. Eine Biographie seiner Jugend, Frankfurt am Main 1979, Abb. 15.

Kaum ein Gedicht der Weltliteratur, erst recht keines des 20. Jahrhunderts, hat es zu solcher Berühmtheit gebracht wie die »Todesfuge« von Paul Celan. Generationen von Schülern haben es wenn nicht auswendig gelernt, so doch gelesen oder rezitiert gehört. Die »schwarze Milch der Frühe«, die wir trinken, oder dass der Tod »ein Meister aus Deutschland« sei, wird wieder und wieder zitiert, mehr oder weniger deutlich erwähnt. Wolfgang Emmerich hat die »Todesfuge« ein »Jahrhundertgedicht« genannt, ein Gedicht, das die grundlegende Erfahrung des 20. Jahrhunderts in sich aufnimmt und weitergibt.

Und doch steht die Bekanntheit und Verbreitung des Gedichts in einem eigenartigen Missverhältnis zur Erkenntnis des Ganzen wie zur Kenntnis im Einzelnen. Das Ungefähre überwiegt, wenn es um die Entstehung des Textes geht, um seine Wirkung und deren Wandlungen.

Auf Deutsch geschrieben, erschien die »Todesfuge« zuerst auf Rumänisch unter einem anderem Titel, kam bald darauf in dem Gedichtband Der Sand aus den Urnen in Wien heraus, den Celan rasch einstampfen ließ, weil er zu viele Druckfehler enthielt. Anfang 1951 erschien das Gedicht unter dem Titel »Fugue de la Mort« auf Französisch, bis es schließlich im Dezember 1952 in dem Band Mohn und Gedächtnis bei der Deutschen Verlags-Anstalt in Stuttgart herauskam.

Paul Celan schrieb dieses Gedicht, wie wir heute vermuten, Ende 1944, Anfang 1945 in Czernowitz oder aber wenige Monate später in Bukarest. Ort und Zeit sind darin eingegangen, haben sich dem Text eingeprägt. Und doch reicht es über den Ort hinaus. Wenn wir die »Todesfuge« heute lesen, lesen wir ihre Wirkungsgeschichte mit, vermutlich so sehr, dass wir ihre Entstehung oder vielmehr die Frage danach allzu leicht vergessen. Denn alle Begriffe, mit denen wir diesen Text deuten – Lyrik nach Auschwitz, ein Gedicht über den Holocaust, ein frühes Zeugnis der Shoah –, sind dem Gedicht erst viel später zugewachsen oder genauer: Sie sind aus ihm erwachsen. Was wir mit Bezeichnungen wie Auschwitz, Holocaust, Shoah verbinden, hat die »Todesfuge« auf besondere Weise mitbeeinflusst. Seinen 1951 publizierten und berühmt gewordenen Satz, nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch, hätte Adorno vielleicht auch gesagt, wenn er die »Todesfuge« bei der Niederschrift 1949 schon gekannt hätte; wir wissen es nicht. Das Verständnis des Gedichts hat dieser Satz jedenfalls stark bestimmt, wie das Gedicht wiederum auf das Verständnis von Adornos Satz zurückgewirkt hat.

Im 20. Jahrhundert habe die Geschichte die Geographie »aufgefressen«, soll Celan gesagt haben. Das betrifft seine Herkunft wie die Entstehung seines Werkes. Der Schatten dessen, der aus »dem Osten« kam, der in Wirklichkeit die Mitte Europas war, hat Celan nahezu sein ganzes Leben begleitet. »Die Landschaft, aus der ich – auf Umwegen! aber gibt es das denn: Umwege? – zu Ihnen komme, dürfte den meisten von Ihnen unbekannt sein«, bemerkt er seinen Zuhörern gegenüber, als er 1958 für den Bremer Literaturpreis dankt.

Und auch als ich, ein Schüler in Lübeck, ganz nah an der deutsch-deutschen Grenze, Paul Celans Gedichte zu lesen begann und mich später als Student mit seinem Werk beschäftigte, war diese Welt im Osten noch ganz verschlossen; nur ausnahmsweise durfte man dorthin reisen. Einunddreißig Jahre nach Celans Dankesrede aber hat die Geschichte die Geographie wieder »ausgespuckt«: 1989 fiel der Eiserne Vorhang, Grenzen wurden niedergerissen, Räume geöffnet. Auch Czernowitz und die Bukowina wurden zugänglich, weithin unbekannte Orte, die es allererst zu erforschen galt.

Paul Celan wäre beim Fall des Eisernen Vorhangs gerade einmal 69 Jahre alt gewesen. Kurze Zeit später löste sich die Sowjetunion auf. Man stelle sich für einen Augenblick vor, er hätte diese epochale Wende erlebt und wäre in die Stadt seiner Herkunft zurückgekehrt. Unsere Perspektive hat sich grundlegend verändert, erweitert: War »Czernowitz« vor 1989 ein beiläufiger Topos oder nur eine unbekannte Größe, ist es heute eine vielfach bereiste, historisch neu vermessene Stadt in der Ukraine. Die »nun der Geschichtslosigkeit anheimgefallene Provinz der Habsburgermonarchie«, von der Celan 1958 sprach, wurde einige Jahrzehnte später zu einer Metropole der Literaturgeschichte und der Literatur. Seit 2010 versammelt das Festival »Meridian« dort an jedem zweiten Septemberwochenende im Jahr Lyriker, Kritiker und Literaturwissenschaftler aus aller Welt zu Lesungen, Diskussionen, Gesprächen. Der Name des Festivals geht unmittelbar auf Paul Celan zurück, der 1960 seiner Dankesrede zur Verleihung des Büchner-Preises in Darmstadt diesen Titel gab, Maßstäbe setzend für sein Werk, die Lyrik seiner Zeit, aber auch die zukünftige, die unserer Gegenwart.

Das Gedicht, das ihn berühmt machte, hat ihn ein Vierteljahrhundert begleitet. Die erste, halböffentliche Lesung auf der Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 in Niendorf an der Ostsee war nach dem Urteil des einladenden Hans Werner Richter ein »Reinfall«. Celan hat es nach einigen weiteren öffentlichen Lesungen später nie wieder vorgetragen, sich von 1961 an sogar gegen dessen Abdruck in Anthologien gesperrt. Und doch hat sich das Gedicht immer weiter verbreitet und wurde nach Hermann Hesses »Stufen« zum ­meistübersetzten Gedicht deutscher Sprache. Ich spreche von der Biographie eines Gedichts, weil Celans »Todesfuge« an den Knotenpunkten seiner Biographie immer wieder auftaucht, gerade dann, wenn man sie nicht vermutet, unmittelbar wie vermittelt, explizit oder verborgen. Celan selber bezieht sich später auf sein frühes Gedicht, am intensivsten in »Engführung« von 1958, das man als Erwiderung auf die »Todesfuge« und deren Erweiterung lesen kann.

Nicht nur die Zeitläufte haben sich in den letzten dreißig Jahren gravierend verändert, auch die Erforschung von Celans Werk hat dies getan: Wir verfügen über zwei Gesamtausgaben, die Bonner und die Tübinger, eine historisch-kritische, eine kritische, zahlreiche Einzelausgaben. Die Briefwechsel, angefangen mit dem von Nelly Sachs von 1993, geben Aufschluss über biographische Konstellationen, die umfangreiche Korrespondenz von Paul Celan mit seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange, 2001 von Bertrand Badiou, unterstützt von Eric Celan, herausgegeben, erschließen zwei Jahrzehnte seines Lebens in Paris auf ganz neue Weise. Wir können heute nahezu jeden Tag in Celans späterem Leben verorten. Die kommentierte Ausgabe der Gedichte von Barbara Wiedemann enthält nicht nur weithin präzise Daten und Orte zur Entstehung des jeweiligen Textes. Dessen Kontext lässt sich heute genauer fassen als je zuvor.

Auch wenn man so viel an Wissen hinzugewonnen hat, es bleiben noch Fragen offen: Wir haben weniger Kenntnis vom historischen Kontext, in dem Paul Celan publiziert hat, weniger auch von der weiter reichenden Wirkung seiner Gedichte, nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus. Auch die Verfolgungsgeschichte der Familie von Paul Celan müssen wir heute genauer erforschen.

Das soll anhand des Gedichts versucht werden, das die weiteste Verbreitung gefunden hat. In diesem Buch treten Orte und Jahreszahlen zusammen. Bei einem Dichter, für den Daten eine so entscheidende Rolle spielten, aber auch die Orte – auf jedem Brief von ihm vermerkte er beides –, versteht sich das fast von selbst. Celans Poetik der Orte und Daten1 reicht von Czernowitz 1944 über Bukarest 1945, Wien 1947, Paris, Stuttgart, New York, Scheveningen, Bremen bis nach Budapest, Ostberlin, Stockholm, immer wieder Paris und Jerusalem 1969. Es sind Zeiträume, die einen entscheidenden Ort und ein bestimmtes Datum nennen, doch zugleich darüber hinausreichen. Stockholm 1966 greift einen Moment in Zürich 1960 auf, Budapest 1962 hat mit Madrid und Paris zu tun, und Stuttgart im Dezember 1952 stellt Weichen für die kommenden Jahre, während Lübeck 1963, als Ort eher vom Zufall gefügt, nach Czernowitz zurückführt. Orte und Daten verbinden sich zu thematischen Konstellationen, exemplarisch seien genannt die »Todesfuge« vor Gericht, die »Todesfuge« im Film oder als Krankheit.

Dabei kann es nicht darum gehen, Celans »Todesfuge« »eigentlich«, das heißt autoritativ und endgültig, zu deuten. Sein ganzes Werk wendet sich gegen solche Eigentlichkeit. Es legt Spuren der Deutung durch präzise Daten und Orte. Die Lesenden müssen ihr genaues Verständnis selber finden. Auch die »Todesfuge« kann, da sie eine Erscheinungsform der Sprache und damit ihrem Wesen nach dialogisch ist, in Celans Bild »eine Flaschenpost sein, aufgegeben in dem – gewiss nicht immer hoffnungsstarken – Glauben, sie könnte irgendwo und irgendwann an Land gespült werden, an Herzland vielleicht«.2

Bedeutende Philologen und Philosophen haben sich Paul Celan und seinem Werk zugewandt, Beda Allemann, Peter Szondi, Jean Bollack, Hans-Georg Gadamer, Jacques Derrida, Bernhard Böschenstein, Werner Hamacher, um nur sie zu nennen. Aber es scheint, dass dieser Dichter etwas Inkommensurables, Geheimnisvolles behält. Zum Glück!