Tödliches Gold - Beate Maxian - E-Book

Tödliches Gold E-Book

Beate Maxian

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Beschreibung

Der neue Krimi zum Genießen von Österreichs Nr. 1-Bestsellerautorin Beate Maxian.

Sonnige Weinberge entlang der Donau, malerische Städtchen umgeben von duftenden Wiesen und kulinarische Köstlichkeiten – die Wachau ist ein Paradies auf Erden. Die ehemalige Polizistin Lou Conrad genießt die Schönheit ihrer Heimat, wo sie einen kleinen Feinkostladen führt. Doch dann rührt ein Mordfall die Idylle auf: Auf dem neu eingeweihten Bienen-Wanderweg wird eine junge Frau tot aufgefunden. Handelt es sich etwa um eine Touristin, die tragischerweise zur falschen Zeit am falschen Ort war? Zusammen mit ihrem Berner Sennenhund Michelin und dem befreundeten Sternekoch Fabio Gerber begibt Lou sich auf die Suche nach Antworten …

Malerische Landschaften, köstlicher Honig und mörderische Machenschaften – ein kulinarischer Krimi vom Feinsten. Mit leckeren Rezepten im Innenteil.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 375

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Sonnige Weinberge entlang der Donau, malerische Städtchen umgeben von duftenden Wiesen und kulinarische Köstlichkeiten – die Wachau ist ein Paradies auf Erden. Die ehemalige Polizistin Lou Conrad genießt die Schönheit ihrer Heimat, wo sie einen kleinen Feinkostladen führt. Doch dann rührt ein Mordfall die Idylle auf: Auf dem neu eingeweihten Bienenwanderweg wird eine junge Frau tot aufgefunden. Handelt es sich etwa um eine Touristin, die tragischerweise zur falschen Zeit am falschen Ort war? Zusammen mit ihrem Berner Sennenhund Michelin und dem befreundeten Sternekoch Fabio Gerber begibt Lou sich auf die Suche nach Antworten …

Weitere Informationen zu Beate Maxian

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Beate Maxian

Tödliches Gold

Kriminalroman

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe September 2025

Copyright © 2025 by Beate Maxian

Copyright © dieser Ausgabe 2025

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich

Pflichtinformationen nach GPSR.)

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der literarischen Agentur Peter Molden, Köln

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: FinePic®, München

Redaktion: Leonora Tomaschoff

Illustration: © 1208710682

KS · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN: 978-3-641-33420-8V001

www.goldmann-verlag.de

Sie sind die Seele des Sommers. Wer sie kennt und liebt, für den wäre ein Sommer ohne Bienen genauso schrecklich und unvollkommen wie ein Sommer ohne Vögel und Blumen.

(Maurice Maeterlinck)

1

Astrid Grund war hier, um eine alte, vor vielen Jahren aufgerissene Wunde endgültig zu schließen. Sie war mit dem ersten Zug von zu Hause losgefahren, in Krems in den Bus umgestiegen und in Unterloiben wieder ausgestiegen. Ungesehen, nur begleitet vom Zwitschern der Vögel, war sie durch den kleinen gleichnamigen Ort gelaufen, über Wege, die sich in Serpentinen in die Weinberge schlängelten, bis zu dem Wanderweg hinauf, auf dem sie jetzt stand. Unterhalb inmitten der Weingärten lag ein einsames Winzerhäuschen. Darüber hinweg erstreckte sich trotz der frühen Stunde ein weiter Blick über das malerische Donautal mit seinen unzähligen Rebstöcken. Ein Bild, das in seiner Schönheit zum Innehalten zwang. Doch sie war nicht hergekommen, um die Landschaft zu bewundern. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Sie nahm den Gneisstein aus ihrer Umhängetasche und betrachtete ihn. Er lag perfekt in ihrer Handfläche, hellgrau und von der Natur mit schwarzen Sprenkeln verziert. Ein kleines Kunstwerk.

»Ruhe in Frieden, Mama«, flüsterte sie und steckte den Stein vorsichtig in eine Lücke in der Steinmauer vor sich. Sie nahm ihre Spiegelreflexkamera aus der Tasche, schaute durch den Sucher und hielt die Rückkehr des Gneissteins fest. Die Konzentration auf das Bild gab ihr innere Ruhe. Sie drückte auf den Auslöser und ließ die Kamera wieder sinken. Auf der Weinterrasse über ihr rankten Rieslingstöcke. Ein leichter Wind strich ihr um die Nase. Astrid war sich sicher, dass ihre Mutter einst den Gneis aus einer anderen Mauer in der Wachau genommen hatte. Die Region war voll von Trockensteinmauern. Diese Steinwände waren essenziell für den Weinbau an den steilen Hängen. Sie wurden allein durch das kunstvolle Übereinanderschichten von Steinen errichtet, ohne jedes Bindemittel. Für Astrid war es der Wille, der zählte. Es spielte keine Rolle, welche Mauer sie wählte. Der Stein hatte lange genug in der Wäschekommode ihrer Mutter gelegen. Vergessen und unbeachtet. Jetzt war er zurückgekehrt. Zurück an seinen Ursprungsort, und damit schloss sich der Kreis.

»Der Tod kann jederzeit vor dir stehen.« Diesen Satz hatte Astrids Mutter oft gesagt. Vor acht Monaten war er für Esther Grund bittere Wahrheit geworden. Weite Teile Niederösterreichs standen unter Wasser, und die Menschen kämpften mit Sandsäcken und allem, was sie zur Verfügung hatten, gegen die rasch steigenden Fluten. Am Ende vergeblich. Viele verloren ihr gesamtes Hab und Gut. Astrids Mutter sogar ihr Leben. Esther hatte es nicht mehr rechtzeitig aus dem Auto geschafft, das von den Wassermassen mitgerissen wurde. Drei Tage später fand man sie. Ein Baumstamm, der den reißenden Fluten getrotzt hatte, hatte den Wagen gestoppt. Feuerwehrleute hatten sie aus dem Wrack geborgen. Stunden später klingelte Astrids Handy, Tausende Kilometer entfernt in Nepal, wo sie sich gerade aufgehalten hatte. Tante Thea hatte ihr mit bebender Stimme von der Gewalt des Unwetters und Esthers Tod berichtet. Ihr Tonfall hatte vorwurfsvoll geklungen, so als würde sie Astrid für das Unglück verantwortlich machen, weil sie nicht zu Hause war, sondern in einem fernen Land. Das war typisch für ihre Tante.

»Bleib, wo du bist«, hatte ihre Mutter ihr geraten, als sie zuletzt über Skype miteinander gesprochen hatten. »So schlimm wird es nicht. Wir haben hier öfter heftige Gewitter, das weißt du. Und das ist noch lange kein Grund für dich zurückzukommen.«

Astrid war geblieben. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ihre Mutter in den Fluten umkommen würde. Tränen liefen ihr über die Wangen. Die vergangenen acht Monate hatten sich angefühlt, als wäre ein Tornado durch ihr Leben gefegt und hätte alles, was sie kannte, in einem Chaos aus Gefühlen, Schmerz und Fragen zerrissen.

»Auf Dunkelheit folgt Sonnenschein.« Noch so ein weiser Spruch ihrer Mutter. Doch auf unerklärliche Weise bewahrheitete er sich. Denn heute schlängelten sich die Flüsse wieder friedlich durch die Landschaft.

Nachdem ihr Vater vor sechs Jahren an Krebs gestorben war, war sie losgezogen und hatte in verschiedenen Ländern gearbeitet. Sie beherrschte vier Sprachen fließend. Spanisch, Englisch, Französisch und Italienisch. Das hatte ihr auf ihren Reisen geholfen, und es hatte ihr geholfen, den Tod ihres Vaters zu verarbeiten. Sie ließ den Blick ein letztes Mal über den Stein gleiten, als wollte sie sich seine Form für immer einprägen. »Du bist wieder zu Hause«, murmelte sie und hoffte, dass die heutige Zeremonie ihr Frieden schenken würde und endlich der Moment kam, den letzten Schritt der Trauer zu gehen: den Schmerz des Verlustes nicht länger zu bekämpfen, sondern ihn als Teil ihres Lebens anzunehmen. Aus unerfindlichen Gründen erschien ihr seit zwei Monaten ihre Mutter. Vor fünf Wochen hatte sie sich ihrer engsten Freundin anvertraut. Gudrun hatte drei Semester Psychologie studiert. Für sie war das normal und Teil des Trauerprozesses. »Es kommt oft vor, dass man in einer fremden Person plötzlich einen Verstorbenen oder eine Verstorbene zu erkennen glaubt. Und manchmal bei einem Geräusch denkt, dass die Person gleich um die Ecke kommt.«

Doch was Astrid sah oder zu sehen glaubte, war alles andere als normal. Es erschien ihr erschreckend real.

»Dein Körper und dein Geist müssen den Schock erst verarbeiten«, hatte Gudrun gesagt, aber ein klein wenig argwöhnisch nachgehakt: »Du hast doch in Nepal keine Drogen genommen, oder?«

»Natürlich nicht! Für wen hältst du mich?«, hatte Astrid empört erwidert. Sie brauchte weder Drogen noch Medikamente, um die Panikattacken in den Griff zu bekommen, die sie seit dem Tod ihrer Mutter begleiteten. Mithilfe einer speziellen Atemtechnik, die sie im Internet entdeckt hatte, gelang es ihr gelegentlich sogar, die Anfälle manchmal abzuwehren: Tief durch die Nase einatmen, bis fünf zählen. Beim Ausatmen durch den Mund zählte sie bis sieben.

Doch jetzt, als sie intensiv an ihre Mutter dachte, glaubte sie, ein leises Flüstern zu hören. Hastig sah sie sich um. Möglich, dass die sanfte Brise die flüsternde Stimme aus dem Haus herauftrug, das unterhalb der Riede lag. Nur konnte sie keine Menschenseele sehen. Dennoch hatte sie das unheimliche Gefühl, dass jemand sie beobachtete. Für einen Moment glaubte sie, zwischen den Weinreben einen Menschen zu erkennen, diesmal war es nicht ihre Mutter, die sie in den vergangenen Wochen einige Male erblickt zu haben glaubte. Doch als sie genauer hinsah, war da nichts. Sie kramte ihr Handy aus der Tasche, suchte die Nummer ihrer Freundin in den Kontakten und rief sie an. Nach dem dritten Klingeln sprang die Mailbox an.

»Gudrun, ich bin’s. Ich drehe wirklich langsam durch, meine Wahnvorstellungen werden immer schlimmer«, murmelte sie. »Ich hoffe, der Urlaub hilft mir, wieder zur Besinnung zu kommen. Ich melde mich bald wieder. Mach’s gut.« Sie drückte auf das rote Anruf-beenden-Symbol ihres Smartphones und wandte der Trockensteinmauer den Rücken zu. Sie atmete tief ein, zählte bis fünf und stieß die Luft ebenso langsam wieder aus. Um sich abzulenken, las sie die Information auf dem Hinweisschild neben der Parkbank:

Hummeln sind ausgezeichnete Bestäuber und tragen bis zu zwanzig Prozent ihres Körpergewichts an Nektar in ihr Nest, manchmal sogar mehr. Sie bevorzugen robuste Blütenkelche mit tief liegendem Nektar sowie gute Anflug- und Sitzmöglichkeiten. Dies bieten Schmetterlingsblütler, Lippen- sowie Rachenblütler. Zum Überleben benötigen sie ein kontinuierliches Blütenangebot vom Frühjahr bis in den Herbst. Leider verhungern viele Hummeln im Sommer, da gemähte Wiesen ihnen die Nahrungsgrundlage entziehen.

Sie lächelte flüchtig. Doch das Gefühl der Erschöpfung kehrte prompt zurück, dazu war ihr auf einmal speiübel.

»Mein Körper trägt Trauer«, murmelte sie, setzte sich hin, löste das Haargummi und schüttelte ihr rotblondes Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. Das nahm ein wenig Druck vom Kopf. Sie schaute in die Weite der Landschaft. Das stärker werdende Licht der Morgensonne verwandelte die gemächlich dahinfließende Donau in einen Spiegel.

Wunderschön, dachte sie. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie presste die Hand auf den Bauch, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Es war still, so mucksmäuschenstill, dass sie glaubte, das Rauschen der Donau zu hören. Oder war es das Blut, das ihr in den Ohren rauschte? Ihr Herz raste. Für einen Moment war ihr schrecklich schwindelig, gleichzeitig fürchtete sie, ohnmächtig zu werden. Panisch riss sie die Augen auf, kramte in ihrer Handtasche nach dem Handy und tippte auf die vorletzte Verbindung.

2

Lou Conrad stand barfuß in der offenen Tür ihres Winzerhäuschens, in der Hand eine dampfende Tasse Kaffee. Das kleine Haus thronte leicht oberhalb von Marienkirchen, umgeben von sanft ansteigenden Weingärten, die sich in saftigem Grün erstreckten. Anfang Mai hatten die Rebstöcke ihre ersten zarten Triebe entfaltet – filigrane Spitzen, die sich hoffnungsvoll dem Morgen entgegenstreckten. Zum Glück waren die Nächte mittlerweile mild. Ein später Frost hätte ihnen übel zugesetzt.

Sie hob den Blick. Der Himmel spannte sich in makellosem Blau über das Land, nur durchzogen von ein paar federleichten Wolken. Weiter unten schlängelte sich die Donau träge durch das sonnenverwöhnte Tal, ihr silbriges Glitzern erinnerte an flüssiges Licht. Lous bernsteinfarbene Locken glänzten im ersten Sonnenlicht, das auch ihre Haut mit einer goldenen Wärme überzog. Sie trug ein goldgelbes T-Shirt und eine helle Leinenhose, ein schlichtes, aber perfektes Ensemble für diesen frühen, verheißungsvollen Tag. Der Wetterbericht im Radio hatte heute Morgen fünfundzwanzig Grad angekündigt.

Lou atmete die kühle Morgenluft ein und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war acht. »In einer Viertelstunde brechen wir auf.« Die Worte richtete sie an ihren Berner Sennenhund Michelin, benannt nach dem gleichnamigen Guide. Nicht weil er ein Feinschmecker war, sondern weil er keine Gelegenheit ausließ, Nahrung aufzunehmen. Gerade steckte sein Kopf in der Futterschüssel vor dem Haus. Logischerweise war es unnötig, ihn zur Eile zu ermahnen. Der Rüde brauchte normalerweise keine Minute, um sein Futter zu vertilgen. Egal, ob es Sonntag oder, wie heute, Montag und somit ein Arbeitstag war. Außerdem verstand er ohnedies nicht, was sie da redete, und so etwas wie Zeitgefühl war ihm fremd. Trotzdem fuhr sie fort. Denn wer sprach nicht mit seinem Haustier? »Ich will Sigrid vor der Besprechung noch das Brot im Laden vorbeibringen.« Gestern hatte Lou den selbst gebauten Brotbackofen vor ihrem Häuschen angeheizt und den Nachmittag mit Backen verbracht. Ihre Freundin und Mitarbeiterin Sigrid Dorfer würde das frische Landbrot in kleine Schnitten schneiden und zusammen mit verschiedenen Marmeladen und Aufstrichen den Kunden zur Verkostung anbieten.

Lou hatte am Vormittag einen wichtigen Termin im Zusammenhang mit der Eröffnung des Bienenwanderwegs. Andernfalls hätte sie Sigrid freigegeben, die heute Geburtstag feierte, und zwar ihren fünfzigsten. Sie hatte vergangenen Samstag vorgefeiert, da der Ehrentag auf den Montag fiel und die darauffolgenden Wochenenden schon verplant waren. Gemeinsam mit Freunden, Sigrids Bruder Alfred und seiner Frau Roswitha hatten sie ihn im Landhaus Gerber ausgiebig begossen. Sigrid selbst war nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Sie war eine überzeugte Singlefrau. Eine Haltung, die zwar nicht unverrückbar war, aber durch ihre jüngsten Erfahrungen nur noch gefestigt wurde: Ihr letzter Schwarm hatte sich als Mörder entpuppt. Doch anstatt sie in eine Krise zu stürzen, hatte diese schockierende Enthüllung ihre Überzeugung gestärkt. Fabio, der Sternekoch aus der französischen Schweiz, hatte an dem Abend fulminant gekocht und die besten Weine serviert. Er hatte das barocke Landschlösschen, in dem sich sein Restaurant befand, vor zwei Jahren gekauft, restauriert und ein halbes Jahr später eröffnet. Restaurantführer wie Falstaff, Michelin und Gault-Millau lobten seine Küche in den höchsten Tönen.

Lous Handy klingelte. Sie hatte es im Haus auf dem Esstisch liegen lassen. Sie drehte sich um und eilte durch den Flur zurück in die Küche. Den Holzboden unter ihren nackten Füßen zu spüren gab ihr stets ein wohliges Gefühl von Naturverbundenheit.

Auf dem Display las sie Fabios Namen. Lou hatte ihn über eine Jugendfreundin kennengelernt, die mit ihm verheiratet gewesen war. Die Scheidung lag fünfzehn Monate zurück, und Mona lebte mittlerweile in den USA. Aber warum rief er sie jetzt an? Sie würden sich ohnehin gleich treffen, da er sein Restaurant für das Meeting zur Verfügung gestellt hatte.

Sie stellte die Tasse, die sie noch immer in der Hand hielt, auf den Esstisch und nahm das Gespräch an. »Guten Morgen.«

»Morgen. Lorenz hier«, hörte sie die sonore Stimme des fünfundsiebzigjährigen Imkers.

»Lorenz?«, wiederholte sie irritiert. In der Sekunde wurde ihr siedend heiß. Warum rief er von Fabios Smartphone aus an? »Ist etwas passiert?«

»Nein, ich wollte nur hören, ob du pünktlich kommst. Fabio hat mir sein Handy geliehen.«

»Natürlich bin ich pünktlich.« Lou grinste. »Was machst du denn schon bei Fabio? Wir wollten uns doch erst um neun treffen. Jetzt ist es fünf Minuten nach acht.«

»Ich habe Honig geliefert und bin gleich geblieben, um ihm bei den Vorbereitungen zu helfen. Seine Mitarbeiter kommen erst um zehn. Das Restaurant hat ja um diese Uhrzeit noch geschlossen, wie du weißt, und ihr wollt sicher frühstücken«, mutmaßte er. »Zumindest hat die Bürgermeisterin ein Frühstück bei Fabio bestellt.«

Lou hörte die Stimme des Sternekochs im Hintergrund.

»Er lässt dich fragen, ob du ein bisserl früher kommen kannst«, erkundigte sich Lorenz.

Um ihn vor dir und deiner Rastlosigkeit zu retten, schlussfolgerte Lou im Stillen. Sie mochte den alten Imker, den die Einheimischen liebevoll Honig-Lorenz nannten. Normalerweise war er jemand, der in sich ruhte und der seinen Bienen mehr zugetan war als den Menschen. Aber Lou verstand auch seine Geschäftigkeit und Unruhe. Der Bienenwanderweg war sein Baby und würde für immer mit seinem Namen verbunden bleiben.

»Wenn du willst, hole ich dich und Michelin ab«, schlug Lorenz vor.

»Nein«, entfuhr es ihr direkt. »Wir sind schon unterwegs.« Das hatte Lou noch gefehlt, dass sie und ihr Hund sich in Lorenz’ dreirädrigen Lieferwagen quetschen mussten, mit dem der Imker normalerweise durch die Landschaft tuckerte. Und den man schon von Weitem hörte.

»Wie du meinst, aber beeil dich«, brummte er noch und legte dann grußlos auf.

Lou blieb mit dem Handy in der Hand stehen und starrte aus dem Küchenfenster auf den nahen Weingarten.

»Das wird mit Sicherheit kein gemütlicher Vormittag«, murmelte sie.

Seit Wochen war Lorenz wie elektrisiert. Am kommenden Wochenende sollte der Bienenwanderweg eröffnet werden, ein Projekt, das er mit beispiellosem Eifer vorangetrieben hatte. Ursprünglich war dem Imker Dienstag, der zwanzigste Mai, lieber gewesen. Denn das, so hatte er den Entscheidungsträgern mit leuchtenden Augen erklärt, sei das perfekte Datum: der Geburtstag von Anton Janša, dem visionären Begründer der modernen Imkerei im Jahr 1743. Die Eröffnungsfeierlichkeiten an seinem Ehrentag abzuhalten, wäre eine Hommage an die Geschichte gewesen, ein Symbol, das Tradition und Innovation verbinden sollte. Doch wie so oft in der Welt der Kommunalpolitik siegte der Pragmatismus über die Poesie. Ein Dienstag, so hieß es, sei denkbar ungeeignet. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Wachau hatten beschlossen, die Feierlichkeiten auf das Wochenende davor vorzuverlegen. Ein kluger Schachzug, der nicht nur Touristen, sondern auch viele Tagesgäste versprach.

Lorenz hatte die Enttäuschung zähneknirschend hinuntergeschluckt. Wichtiger war, dass das Thema Bienenwanderweg, die bedrohten Bestäuber, die fragile Symbiose von Natur und Mensch, die Aufmerksamkeit bekam, die es verdiente. Denn der Klimawandel mit seinen Wetterextremen setzte den kleinen Nützlingen zu. Hitzewellen führten auch bei den Bienenvölkern zu einem erhöhten Wasserbedarf und einer starken Belastung. Zudem konnten sich durch die Hitze die Blütezeiten von Pflanzen verschieben, und vertrocknete Blüten spendeten keinen Nektar, was die Nahrungsversorgung beeinträchtigte. Mit der Eröffnungsfeier würde eine Hochsaison für Bienen jedweder Art und ihre Rolle im Ökosystem beginnen. Und Lorenz hatte dafür gesorgt, dass alle vorbereitet waren. Wochenlang hatte er mit unermüdlichem Einsatz die Einheimischen mit Informationen und Aufgaben versorgt. Man sprach über Wildbienen und Honig, über Nektarquellen und Insektenhotels, über die richtigen Pflanzen und zerstörerische Pestizide. Es war ihm gelungen, die Dorfgemeinschaft in den Bann seiner Vision zu ziehen. Nicht zuletzt, weil sie spürten, dass es ihm dabei nicht um seine persönlichen Erzeugnisse ging, sondern um etwas Größeres.

»Das Summen der Bienen soll ein melodischer Klang und zugleich eine Mahnung sein. Ein Ruf zur Verantwortung«, wurde Lorenz nicht müde zu verkünden. Und am kommenden Wochenende, davon war er überzeugt, würde dieses Summen lauter sein als je zuvor.

Die unaufhaltsame Zerstörung der Natur und die schleichende Bedrohung durch den Klimawandel hatten ihn dazu bewogen, den Wachauer Bienenwanderweg ins Leben zu rufen. Für Lorenz war es nicht nur ein Projekt, sondern ein stiller Protest, ein Versuch, den Menschen die fragile Schönheit ihrer Umwelt wieder vor Augen zu führen.

Jetzt, da der Eröffnungstermin näher rückte, war sein Werk überall zu spüren. In den Cafés und den Gasthöfen von Melk bis Marienkirchen lagen die Folder aus, auf den Tresen der Touristeninformationen stapelten sich die druckfrischen Wanderkarten. Jeder Ort, jedes Detail schien zu sagen: Hier gibt es mehr zu sehen als nur Weinstöcke, Marillenbäume und Donauwellen. Hier ist Leben, klein und unermüdlich, das darauf wartet, entdeckt und geachtet zu werden.

Lou und Sigrid hatten keine Mühen gescheut. Lous köstliche Welt, ihr Delikatessengeschäft im Ortskern, war im Augenblick eine Hommage an die Bienen. Die Wände waren mit kunstvoll gearbeiteten Wachswaben geschmückt, vier ganze Regale randvoll mit Honigprodukten, alles, um den Geist des Bienenwanderwegs ins Zentrum von Marienkirchen zu tragen. Den ganzen Winter über hatten unermüdliche Hände an der Gestaltung des Weges gearbeitet. Alte Pfade wurden gesäubert, marode Stufen ausgebessert, Markierungen erneuert. Mit Bedacht hatte man darauf geachtet, den Weg in das bestehende Wandernetz der Wachau zu integrieren, ohne unnötig neue Strecken durch die Weinberge zu schlagen. Es war ein Balanceakt zwischen Bewahren und Verändern.

Nun führte der Bienenwanderweg durch die charakteristische Landschaft der Wachau. Entlang der steilen Weinterrassen, die wie uralte Monumente aus Stein die sonnendurchfluteten Hänge säumten. Selbst die Burgruine Dürnstein, jener geschichtsträchtige Ort, an dem einst der englische König Richard Löwenherz gefangen gehalten wurde, lag auf seiner Route.

Honig-Lorenz hatte in den letzten Wochen wie ein Besessener gearbeitet. Tag und Nacht war er entlang des Weges unterwegs gewesen, um Schilder aufzustellen, kleine Verbesserungen vorzunehmen oder die Arbeit der Handwerker zu beaufsichtigen, was diesen zeitweilig gehörig auf die Nerven gegangen war. Doch sein Eifer hatte sich gelohnt. Unzählige Holztafeln säumten bereits den Weg, jede davon sorgfältig geschnitzt und mit Fakten über Bienen, Hummeln, Honig und die heimische Pflanzenwelt versehen. Die letzten Tafeln würden in den kommenden Tagen pünktlich zur Eröffnung fertiggestellt. Heute stand die abschließende Besprechung auf dem Programm, bei der es um die Details der offiziellen Zeremonie ging. Lorenz hatte wenig Lust, daran teilzunehmen. Er war kein Mann der Worte, schon gar nicht vor einem Publikum. Im Grunde war er ein Eigenbrötler, und die Aussicht, eine Rede zu halten, fiel ihm ausgesprochen schwer. Deshalb hatte er Lou gebeten, das für ihn zu übernehmen. Sie zählte zu den wenigen Menschen, mit denen er sich wirklich verbunden fühlte. Auch Fabio und Sigrid gehörten zu diesem kleinen Kreis. Bei Bürgermeisterin Tanja Zich und Gernot Kirsch, dem Amtsleiter der Gemeinde, war das anders. Die beiden hatten sich zu Beginn vehement gegen das Projekt ausgesprochen. Die Kosten seien zu hoch, hatten sie gesagt, und der Nutzen zu gering. Wieder ein Prestigeprojekt, das den Steuerzahler belasten würde. Erst als sich Lorenz mit seiner unerschütterlichen Hartnäckigkeit durchgesetzt und die Unterstützung der Gemeinde gesichert hatte, waren sie umgeschwenkt, aus Opportunismus, wie Lorenz vermutete. Seitdem bemühte er sich, die Begegnungen mit ihnen auf ein Minimum zu beschränken. Aus diesem Grund fand das Treffen auch nicht im Rathaus statt, sondern im Landhaus Gerber auf neutralem Boden.

Michelin tauchte in der Küche auf und riss Lou aus ihren Gedanken. »Ich weiß, wir sollten uns beeilen«, sagte sie.

Die braunroten Flecken über den Augen des Berner Sennenhundes wanderten nach oben und zogen die schwarze Stirn mit der weißen Blesse in Falten. Lou lachte. Es schien, als wollte er gegen die morgendliche Hektik protestieren. »Tja, mein Großer. So ist das Leben.« Zärtlich kraulte sie seine Ohren. »Zu allem Überfluss müssen wir mal wieder auf vier Pfoten laufen, weil ich Lorenz’ Angebot, uns abzuholen, ausgeschlagen habe.«

Vergangenen Sommer hatte Lou ihren alten Jeep zu Schrott gefahren. Ein mutmaßlicher Mörder hatte die Bremsschläuche manipuliert, und Lou war beim Bergabfahren frontal gegen eine der alten Steinterrassen gekracht, die für die Wachau so typisch sind. Zum Glück hatte sie nur eine leichte Gehirnerschütterung, eine Platzwunde und zwei angebrochene Rippen davongetragen und war wieder genesen. Ihr geliebter Jeep allerdings war völlig hinüber, und ein neues Auto hatte sie sich noch nicht angeschafft. Michelin und sie legten den Weg vom Winzerhäuschen zum Laden seit zehn Monaten zu Fuß zurück. Nur ab und zu borgte sie sich den Wagen ihrer Eltern, wenn sie etwas Schweres transportieren oder eine längere Strecke zurücklegen musste.

Lou liebte ihr Delikatessengeschäft. Noch keine Sekunde hatte sie es bereut, ihren Job als Kriminalermittlerin aufgegeben zu haben, den sie sieben Jahre lang ausgeübt hatte. Nach einer Ausbildung zur Wein- und Genussexpertin hatte sie Lous köstliche Welt eröffnet. Im vergangenen September hatten ihre Familie, Freunde und Kunden den dritten Jahrestag mit einer Genussparty im Laden gefeiert.

Sie packte die vier Brotlaibe, die auf der Küchenanrichte lagen, in ihren großen Wanderrucksack und trat in den Flur. Dort griff sie nach Michelins neuem Brustgeschirr mit den drei Sternen und dem Aufdruck »Gourmet«, das an der Garderobe hing, und zog es dem Hund über das weiße Brustkreuz und das schwarze Kreuz, bevor sie es sicher festzurrte. Sie schnallte sich den Rucksack auf den Rücken und hängte sich die Handtasche quer über die Brust. Dann trat sie nach draußen, schloss die Haustür ab und machte sich auf den Weg. Michelin lief freudig voraus, seine Rute wippte im Takt seiner Schritte. Etwa auf der Hälfte des Pfads, der sich zwischen den Weinbergen zur Straße hin schlängelte, hielt Lou inne und leinte den Rüden an. »Nicht dass du am Ende des Weges noch vor ein Auto läufst«, sagte sie liebevoll.

Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie Sigrid, die auf ihrem blauen Citybike den Feldweg hinaufstrampelte. Wie üblich trug sie ein geblümtes Kleid und Sneaker. Ihre dunklen Haare hatte sie zusammengebunden.

»Was machst du denn hier?«, fragte Lou, als ihre Freundin vor ihr zum Stehen kam. Sie ließ die Leine fallen. Der Berner Sennenhund sprang freudig um Sigrid herum und riss sie dabei fast um. Er hatte nun mal die Begeisterung eines Kleinkindes, gepaart mit der Kraft eines Kleinlastwagens.

»Ich wollte die Brote bei dir abholen, damit du sie nicht vor dem Meeting ins Geschäft schleppen musst«, erklärte Sigrid, während sie abstieg, um den Rüden gebührend zu begrüßen. Lous Freundin war dafür bekannt, bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Selbst Schnee und Regen hielten sie nicht davon ab.

»Das ist lieb von dir – noch dazu an deinem Geburtstag«, entgegnete Lou. »Happy Birthday!«

»Merci. Und nochmals danke für euer Geschenk.«

Lou, Hedwig und Franziska hatten ihr einen Transportanhänger für ihr Fahrrad geschenkt, sodass sie ihre Einkäufe und etwaige Gegenstände bequem befördern konnte.

»Es hätte mir nichts ausgemacht, die Brote vor dem Treffen abzuliefern. Sind ja nur ein paar Schritte vom Geschäft zum Landhaus Gerber.«

Sigrid zwinkerte verschwörerisch. »Ich dachte, es schadet nicht, wenn du ein bisschen früher als die anderen da bist.« Lou verstand sofort. Hedwig Ast, die mit ihrem Mann Ernst die Bäckerei in Marienkirchen betrieb, Franziska Liber, die Konditorin aus dem Café gegenüber von Lous köstliche Welt, und Sigrid gaben die Hoffnung nicht auf. Sie waren fest davon überzeugt, dass Fabio und sie ein Paar werden würden.

Lou ignorierte die Bemerkung, nahm den Rucksack ab, stellte ihn in den Korb am Fahrradlenker und zog einen Laib Brot heraus. »Den schenk ich Fabio. Als Dankeschön, dass er uns heute Morgen bei sich aufnimmt. Ich sehe zu, dass ich so schnell wie möglich in den Laden komme.«

Sigrid lächelte schief. »Lass dir Zeit.« Sie winkte beiläufig ab. »Und amüsiert euch gut. Wir sehen uns später.« Dann wendete sie ihr Rad, schwang sich darauf und fuhr davon.

»Danke!«, rief Lou ihr hinterher, aber Sigrid war längst außer Hörweite.

Lou nahm die Leine wieder in die Hand und ging mit Michelin an der Seite weiter.

3

Schon von Weitem sah Lou den dreirädrigen Lieferwagen von Lorenz. Er parkte vor dem ehemaligen Landschlösschen, in dessen Erdgeschoss sich das Restaurant Landhaus Gerber befand. Das Obergeschoss hatte Fabio zu einem behaglichen Wohnbereich im maritimen Stil umgestaltet. Kaum hatte Lou das barocke Gebäude erreicht, öffnete Lorenz die Eingangstür. Er sah aus wie immer: wettergegerbte Haut und graues Haar, das ihm wild vom Kopf abstand.

»Da seids ja. Griaß di, Lou.«

»Servus, Lorenz.« Sie trat ins Foyer.

Der Imker schloss die Tür hinter ihr.

»Hallo, Michelin.« Lorenz strich dem Rüden ein paarmal sanft über den Kopf.

Lous Blick fiel auf die Glasvitrine. Dort präsentierte sie regionale Produkte aus ihrem Sortiment, um für ihr Geschäft zu werben. Das Konzept hatte sich bewährt. Fabios Gäste kauften entweder gleich direkt im Restaurant oder besuchten Lous Feinkostladen, um tiefer in ihre kulinarische Welt einzutauchen. Ein Marmeladenglas stand schief, wie ein ungezogenes Kind in einer Reihe artiger Geschwister. Das passte ihr gar nicht, sie wollte es geraderücken. Doch der Schaukasten war verschlossen, und der Schlüssel lag in einer Schublade in ihrem Geschäft. Zudem notierte sie im Kopf: Spiralnudeln aus Emmer auffüllen, zwei Flaschen Marillenbalsamico und die Gläser ordentlich arrangieren. Solche kleinen Details waren wichtig. Sie wandte den Blick von der Vitrine ab und konzentrierte sich wieder auf Lorenz.

»Du bist heute aber richtig schick«, stellte sie fest und deutete auf sein blau kariertes Hemd, das er zu einer grauen Bundfaltenhose trug. So herausgeputzt hatte sie ihn noch nie gesehen. Üblicherweise sah man Lorenz nur in Arbeitskleidung. Doch statt auf das Kompliment einzugehen, verzog der ehemalige Fremdenführer bloß das Gesicht und öffnete die Tür zum Restaurant. »Ich will nicht, dass die Zich bei der Eröffnung lange herumquatscht.«

»Wir können der Bürgermeisterin nicht vorschreiben, wie lange sie reden darf«, entgegnete Lou. Die Eröffnungsfeier würde am Samstag um elf Uhr vormittags stattfinden. Spätestens am Freitag sollte das Zelt vor dem Rathaus stehen.

»Aber Lou, schau, es weiß doch jeder: Bei einer Eröffnung will keiner langweiliges Blabla hören.« Lorenz schob die Hände in die Hosentaschen und sah sie eindringlich an. »Auf dich hören die Leute. Du bist schließlich eine Respektsperson in Marienkirchen!«

Lou lachte. »Wie schmeichelhaft, dass du mich für so wichtig hältst, dass …«

»Ich will doch bloß, dass du’s jetzt dann ansprichst«, unterbrach Lorenz sie leicht ungeduldig. »Egal wie. Reicht eh, dass der Pfarrer davor noch eine Messe hält und nach der Eröffnungsfeier das Projekt segnet.« Der alte Imker verdrehte die Augen, er und der Glaube waren wie Honig und Essig. »Aber was willst machen? Wir sind hier auf dem Land, da kannst einen Geistlichen nicht ausladen.«

Die Kirche war nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt und damit in der Nähe des Festzeltes.

»Bitte Lou, du kannst das viel geschickter formulieren als ich. Ich müsste der Zich direkt sagen, dass sie sich nicht wichtigmachen soll.«

Lou ahnte, dass er genau das tun würde. Fingerspitzengefühl war nicht gerade Lorenz’ Stärke. »Okay, ich versuch’s anzusprechen. Aber ich verspreche nichts.«

Dass die Gemeindevertreterin zuletzt eine ordentliche Summe für den Weg aus der Tasche gezogen hatte und sich damit vermutlich im Recht sah, eine epische Rede zu halten, verschwieg Lou lieber. Das würde die Diskussion nur unnötig in die Länge ziehen.

»Gut.« Lorenz nickte zufrieden. »Dann geh ich gleich wieder zur Tür und warte auf Ihre Hoheit. Mit Sicherheit hat sie ihren Speichellecker Kirsch im Schlepptau.«

»Bestimmt begleitet er sie«, sagte Lou. »Er setzt ja dann um, was wir heute hier ausklügeln.«

Lorenz murmelte: »Kurt Stammler kommt übrigens auch mit Frau und Tochter. Juliane ist neuerdings für die Events im Wellness-Resort Stammler zuständig. Kurt soll bei der Eröffnung ebenfalls reden, stellvertretend für alle privaten Unterstützer.«

»Gute Idee«, bemerkte Lou.

Kurt und Priska Stammler betrieben zwischen Marienkirchen und Dürnstein am Donau-Ufer und mit Blick auf das gegenüberliegende Südufer ein Vier-Sterne-Wellness-Hotel. Mit zwei Indoor-Pools, Saunen, Dampfbad sowie Kosmetik- und Massagestudio, einer Boutique, einer Vinothek und einem Restaurant. Im Außenbereich gab es zusätzlich einen beheizten Pool und eine Außenbar. Das Ehepaar hatte eine beachtliche Summe für die Instandsetzung des Weges zur Verfügung gestellt. Lou hatte mit Juliane die Volksschule und die Unterstufe des Gymnasiums besucht, ehe ihre ehemalige Schulfreundin auf eine Tourismusschule gewechselt war.

Lorenz verschwand durch die Tür ins Foyer. Lou ließ ihren Blick durchs Restaurant schweifen, während sie an den weiß gedeckten Tischen vorbeiging, die bereits für die Mittagsgäste vorbereitet waren. Die Messinglampen an der Decke tauchten den Raum in ein warmes Licht. In den geschmackvoll platzierten Kübeln breiteten Philodendren und Palmen ihre Blätter aus und bildeten einen grünen Kontrast zu den braungoldenen Stühlen, die sich perfekt ins Gesamtbild fügten. Hinter der nussbraunen Bar entdeckte Lou Fabio. Er klopfte gerade konzentriert das Espressosieb aus. Als er sie sah, hielt er inne, legte das Sieb beiseite und kam mit einem Lächeln auf sie zu.

»Salut, Lou«, begrüßte er sie mit ruhiger Stimme. Dann beugte er sich vor und küsste sie auf beide Wangen. Der frische Duft von Duschgel hüllte sie für einen Moment ein. Lou musste sich zusammenreißen, um nicht in seinen Augen zu versinken – diesem tiefen Blau, das an einen ruhigen Ozean erinnerte. Sein Dreitagebart war akkurat gestutzt, das dunkelblonde Haar wie immer ein wenig zerzaust, als wäre er sich gerade erst mit den Fingern durchgefahren. Er wirkte entspannt, gelassen – doch Lou wusste, dass sich hinter dieser Fassade oft mehr verbarg, als er preisgab.

»Guten Morgen.« Sie drückte ihm den Brotlaib in die Hand.

»Merci. Aber wofür?«

»Als Dankeschön für das Frühstück.«

»Das zahlt die Bürgermeisterin, also auch du mit deinen Gemeindeabgaben.«

Lou zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich wollt einfach nicht mit leeren Händen kommen.«

Er schnupperte daran. »Das duftet köstlich und schmeckt sicher auch so.« Er legte den Laib auf die Bar und streichelte Michelin mit beiden Händen. Der forderte schon ungeduldig seine Aufmerksamkeit, indem er mit der rechten Vorderpfote gegen Fabios Bein stieß. »Für dich gibt’s später auch etwas Feines, mon Grand.«

Lou wusste, dass Fabio mindestens fünf Futternäpfe besaß, denn Hunde waren im Landhaus Gerber willkommen. Zwei standen gerade vor der Bar, einer war mit Wasser gefüllt.

»Er hat schon gefressen«, bemerkte Lou.

»Und?«, fragte Fabio mit Unschuldsmiene. »Er ist hier in einem Restaurant und soll hungern, während wir schlemmen?« Mit einem belustigten Funkeln in den Augen sah er Lou an. Michelin ließ sich mit einem tiefen Seufzer vor der Bar nieder.

Fabio lachte. »Schau, wie erschöpft er ist.«

Lou stimmte in das Lachen ein. »Er ist wirklich ein verdammt guter Schauspieler.«

Fabio ging wieder hinter die Bar und wusch sich die Hände. »Kaffee?«

»Nein, danke«, lehnte Lou ab. »Aber sag mal, ist Lorenz wirklich schon seit acht Uhr hier?«

Fabio rollte mit den Augen. »Mon Dieu, Lou! Der Mann treibt mich noch in den Wahnsinn. Seit einer Stunde wuselt er hier herum, räumt um, gibt Ratschläge – als wäre ich nicht in der Lage, meine eigene Küche zu führen.« Er seufzte gespielt dramatisch. »Ich finde das ja nett, aber Brot und Semmeln in einen Korb legen, das schaffe ich wirklich allein.« Er deutete auf einen Tisch nahe der Bar, der fürs Frühstück eingedeckt war. In der Mitte thronte eine Tortenplatte mit Fuß, darauf ein runder Kuchen mit einer glänzenden, karamellisierten Mandelkruste.

»Janet hat gestern extra noch einen Bienenstich gebacken. Passend zum Thema.«

»Natürlich hat sie das.« Lou zwang sich zu einem Lächeln, in dem mehr Säure als Freundlichkeit steckte. Sie wusste, woran sie war: Janet hatte ein Auge auf Fabio geworfen und ließ sie bei jeder Gelegenheit spüren, dass sie in ihr eine Konkurrentin sah. Lou war sich jedoch noch nicht sicher, ob sie diese Rolle überhaupt spielen wollte.

»Lorenz ist halt supernervös, der Bienenwanderweg ist sein Baby, und er will, dass bei der Eröffnung alles passt. Ist doch verständlich«, antwortete Lou. »Außerdem muss er sich mit der Zich und dem Kirsch arrangieren, und du weißt ja, dass es nicht gerade seine Stärke ist, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.«

Fabio kippte den Espresso in einem Zug hinunter. »Naturellement«, stimmte er ihr gedankenverloren zu und zog einen Zettel hinter der Bar hervor. »Aber eigentlich wollte ich dir das schon vorher zeigen. Ab morgen nehmen wir das Thema Honig für die gesamte Saison in unsere Karte auf, zu Ehren des Bienenwegs.« Er reichte ihr das Papier. »Mich interessiert deine Meinung.«

Lou nahm die Speisekarte entgegen und senkte den Blick. Unter den Vorspeisen fand sich als Erstes eine Feigen-Schafskäse-Tarte mit Rosmarin und Honig, gefolgt von Chèvre chaud mit Salat. Obwohl Lou kein Französisch sprach, wusste sie, dass es sich um gebackenen Ziegenkäse auf Brotscheiben mit Honig handelte, serviert auf Blattsalat. Die Hauptgerichte boten gegrillte Lachsforelle mit Senf-Honig-Soße und Petersilienerdäpfeln, Huhn mit Dörrzwetschgen, Honig und Zimt sowie Lammkoteletts in Balsamico-Honig. Zum Dessert hatte Fabio zwei Kreationen vorbereitet: Honig-Thymian-Parfait und Buchteln mit Vanille-Honig-Butter und Marillenkompott.

»Allein beim Lesen läuft mir schon das Wasser im Mund zusammen«, sagte sie und hob den Blick von der Karte.

»Ist es nicht zu übertrieben?«, fragte er skeptisch, doch sie bemerkte das kurze Aufflackern in seinem Blick, das ihr verriet, wie viel ihm ihre Worte bedeuteten.

Sie lächelte. »Der ganze Ort steht im Zeichen von Bienen, Hummeln, Honig und Co. Wie könnte deine Karte da übertrieben sein?« Lou gab ihm das Blatt zurück. »Auch in meinem Laden gibt es kaum eine Ecke mehr, die das Thema nicht widerspiegelt.«

»Bon«, erwiderte er zufrieden. »Dann machen wir es so.«

In dem Moment öffnete sich die Tür des Restaurants, und die Bürgermeisterin erschien. Tanja Zich hielt ihr Handy ans Ohr und sprach mit gedämpfter Stimme, weshalb Lou nichts verstand. Die rundliche Endfünfzigerin beendete das Gespräch und kam auf sie zu. Das roséfarbene Kostüm und die weiße Perlenkette passten gut zu ihren kurz geschnittenen beigeblonden Haaren, fand Lou.

Fabio kam hinter der Bar hervor und raunte Lou zu: »Lasst die Spiele beginnen.«

Sie begrüßten das Gemeindeoberhaupt mit einem Händeschütteln. Der Amtsleiter erschien, gefolgt von Priska, Juliane und Kurt Stammler, und schließlich kam auch Lorenz herein.

»Wir haben leider nur eine Stunde Zeit«, verkündete die Hotelbesitzerin. In der linken Hand hielt sie eine Kollegmappe und wirkte, als hätte sie das Treffen selbst initiiert. Ihr silbergrauer, kinnlanger Bob war perfekt frisiert, das bordeauxrote Dirndl war nahezu faltenfrei und ihr mit Sicherheit auf den Leib geschneidert.

»Meine Mutter steht ständig unter Strom«, murmelte Juliane und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr langes kastanienbraunes Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern, durchzogen von feinen goldblonden Strähnen, die im Licht schimmerten. Der dunkelblaue Hosenanzug war perfekt geschnitten und wirkte edel. Ein Stück, das zweifellos aus einer Designerboutique stammte. In ihrer Hand hielt sie eine schmale Ledermappe, die sie mit einem fast beiläufigen Griff an sich drückte.

»Selbstständig zu sein bedeutet, nie wirklich abschalten zu können«, bemerkte Kurt trocken. »In unserer Branche gibt es kaum so etwas wie Freizeit.« Seine Stimme klang fest, beinahe ein wenig resigniert.

Juliane verzog kaum merklich den Mund, ließ die Bemerkung ihres Vaters jedoch unkommentiert. Stattdessen umarmte sie Lou kurz. »Ich freue mich, dich endlich mal wiederzutreffen.« Ihre Begeisterung wirkte ehrlich. Dann wandte sie sich an Fabio: »Lou und ich – wir haben zusammen die Schulbank gedrückt.« Ein Hauch von Wehmut schwang in ihren Worten mit.

Fabio nickte.

»Unser berühmter Sternekoch«, sagte Kurt anerkennend und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Danke, dass du uns heute dein Restaurant zur Verfügung stellst. Als gefeierter Gastronom hast du sicher Besseres zu tun, als Frühstücksgäste zu bewirten. Aber unser Hotel ist voll belegt, und vermutlich würde ich alle paar Minuten von einem meiner Angestellten gestört, wenn wir das Meeting bei uns abhalten würden.«

In Marienkirchen kannte man sich und war zumeist per du. Egal, in welcher Position man sich befand. Dann streckte er Lou die Hand entgegen. »Schön, dich wieder mal zu sehen.«

»Ganz meinerseits.« Lou schlug ein.

Der Händedruck des Achtundsechzigjährigen war trocken, fest – eine Spur zu fest vielleicht. Kurt war von mittlerer Größe und kahlköpfig, hatte aber überraschend weiche Gesichtszüge. Aber seine Augen – ein kühles, fast leuchtendes Grün – ließen ihn jünger erscheinen. Und die Designerbrille, flaschengrün, rund, massiv, wirkte wie ein Statement. Ein Detail, das im Gedächtnis blieb.

Michelin schenkte den Neuankömmlingen keinerlei Beachtung.

Priska jedoch verzog den Mund zu einem misstrauischen Lächeln, als sie den Berner Sennenhund erblickte. »Ist der gefährlich?«, fragte sie mit einer Mischung aus Neugier und sichtlicher Abneigung.

»Meine Mutter hat panische Angst vor großen Hunden«, erklärte Juliane und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch. Ihr Vater ließ sich neben sie fallen. Ihn schien die Angst seiner Frau nicht zu interessieren.

»Er mag zwar wie ein Bär aussehen, aber er ist ein freundlicher.« Lou kniete sich neben ihn und strich ihrem massigen Begleiter kurz über das dichte Fell. »Ignorier ihn, dann ignoriert er dich.« Dennoch legte sie ihm routiniert die Leine an und befestigte sie an einem schweren Stuhl, den Fabio ihr hinschob. Natürlich hätte ihr Riese das Möbelstück locker umwerfen können, sollte er sich entschließen zu gehen. Aber vielleicht würde das Priska ein wenig beruhigen.

Michelin öffnete ein Auge mit der Trägheit eines gelangweilten Grenzbeamten und gab ein tiefes Brummen von sich, das irgendwo zwischen einem Seufzen und einem sehr unmotivierten Murren lag.

»Oh, er brummt … was bedeutet das?«, fragte die Hotelbesitzerin. Ihre Stimme klang unsicher, als fürchtete sie, er könnte sie augenblicklich angreifen.

»Vermutlich will er Fabio an sein Versprechen erinnern, den Futternapf zu füllen. Denn das wäre für ihn im Moment der einzige Grund, sich zu bewegen«, beruhigte Lou.

Michelin schloss das eine Auge wieder und schnaufte müde. Er hatte seinen Teil zur Begrüßung der Fremden beigetragen.

Priska setzte sich so an den Tisch, dass sie den Hund im Blick hatte.

4

Zehn Minuten später waren sie in die Diskussion vertieft, während Fabio an der Kaffeemaschine arbeitete und Michelin genüsslich gekochte Fleischreste verspeiste.

»Der Pressereferent des Rathauses und ich haben einen Ablaufplan für die Eröffnungsreden erstellt«, erklärte Gernot. Er war eher klein gewachsen für einen Mann. Lou schätzte ihn auf höchstens ein Meter siebzig. Die Stirnglatze und die raspelkurzen, grau melierten Haare ließen den fünfundvierzigjährigen Amtsleiter älter aussehen. Der Blick hinter seiner randlosen Brille war konzentriert, und er wirkte, als nähme er seine Rolle im Ablauf des Tages sehr ernst – vielleicht ein bisschen zu ernst. »Die Marienkirchner Blasmusik wird das Eröffnungsfest feierlich umrahmen«, sagte er mit pathetischer Stimme und reichte mit generöser Geste jedem einen Zettel. »Du, Lou, machst anstelle von Lorenz den Anfang und stellst das Projekt Bienenwanderweg vor. Dann folgt Kurt stellvertretend für alle Sponsoren, und unsere Bürgermeisterin hat natürlich das letzte Wort.«

Tanja schmierte sich lächelnd Butter und Marmelade auf eine Semmelhälfte. Lou, die neben Lorenz saß, drehte den Kopf in seine Richtung und nippte am Kaffee.

Der Imker presste die Kiefer aufeinander. »Logisch«, brummte er. »Die Tanja hat ja so viel für den Weg getan. Vor allem war sie von Anfang an Feuer und Flamme für das Projekt.«

Gernot kniff die Augen zusammen. »Die Gemeinde und der Tourismusverband haben eine beträchtliche Summe in den Ausbau des Weges gesteckt, falls du darauf anspielst.«

»Eh«, erwiderte der Imker. »Nachdem ich euch die Summe um die Ohren gehauen hab, die von privaten Sponsoren eingegangen ist. Das hat euch Pfennigfuchser ganz schön blamiert.« Er verzog den Mund zu einem bissigen Lächeln. »Ihr wusstet, dass ich die Sache mit dem Bienenwanderweg durchziehen würde, mit oder ohne euch. Vielleicht nicht in der Dimension, aber durchgezogen hätte ich es.«

»Ich habe mir erlaubt, eine kleine Kostprobe unterschiedlicher Honigsorten aus Lorenz’ Bienenstöcken anzurichten, zum Thema passend«, warf Fabio ein, mit bewusst gelassener Stimme und einem diplomatischen Lächeln, um die Gemüter zu beruhigen. Er stellte ein Holzbrett mit kleinen Brotstücken und Glasschälchen mit Honig in verschiedenen Farbnuancen auf den Tisch und zählte die Sorten auf. »Marillenblütenhonig, Cremehonig, Kastanienhonig und Blütenhonig mit Waldviertler Graumohn.« Neben jedem Schälchen lag ein kleiner Holzlöffel.

»Natürlich alles Bio«, ergänzte Lorenz.

Fabio legte seine Hand auf die Schulter des Imkers. »Er versorgt mich regelmäßig mit naturreinem Bienengold, und das köstliche Brot kommt von Lou.«

Kurt griff sofort nach dem Glas mit Graumohnhonig. »Woher kommt der Mohn dafür?«, fragte er neugierig, während er den Holzlöffel in den Honig tauchte und diesen dann auf ein Stückchen Brot träufelte.

»Aus Armschlag«, verriet Lorenz.

Ein Leuchten trat in Kurts Augen, als hätte er sich plötzlich an die berühmte Mohnbauregion erinnert. »Das ist ja keine dreißig Kilometer von uns entfernt, im Bezirk Zwettl.«

»Ich arbeite nur mit regionalen Produkten«, merkte Lorenz an. Kurt steckte sich das kleine Stück auf einmal in den Mund und kaute. Die angespannte Stirn glättete sich, und in seinen Mundwinkeln zeigte sich ein Hauch von Zustimmung. Man sah ihm an, dass es schmeckte.

»Soweit ich weiß, haben Mönche im Waldviertel die Pflanze schon im 13. Jahrhundert angebaut und daraus Heilmittel hergestellt«, sagte Lou.

Fabio warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Wir vergessen oft, welch lange Geschichte unsere Lebensmittel haben. Mohn ist eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt.«

»Vor allem der Zwettler Graumohn ist berühmt. In den 1930er-Jahren wurde er sogar an der Londoner Produktenbörse gehandelt«, fügte Lorenz hinzu.

»Später ist der Mohnanbau im Waldviertel leider in Vergessenheit geraten. Erst in den 1980er-Jahren wurde die alte Tradition wiederbelebt. Mit großem Erfolg übrigens. Heute zieht das leuchtende Blütenmeer der Mohnblumen auf den Feldern im Juli unzählige Besucher an.« Lou nahm sich vor, im Sommer selbst in die Anbauregion zu fahren, um dieses beeindruckende Naturschauspiel mit eigenen Augen zu sehen.

Juliane nahm ein Stück Brot und strich ebenfalls den besagten Honig darauf. »Wenn ich deinen Blick richtig deute, Papa, dann bestellen wir bei Lorenz einige Gläser.«

»Können wir für den Anfang zehn Kilo bekommen? Hast du so viel übrig?«, fragte Kurt, was einer Zustimmung gleichkam.

»Kannst du morgen haben«, erwiderte der Imker. Seine Stimme blieb rau, doch ein beinahe zufriedener Blick glitt über sein Gesicht.

»Gut, ich lasse die Gläser dann abholen.« Damit war die Sache besiegelt. Kurt schob sich noch ein weiteres Stück Honigbrot in den Mund.

»Das ist ja alles wunderbar.« Tanja trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch. »Aber können wir jetzt wieder zum eigentlichen Thema kommen? Ich habe, genau wie Priska, nicht ewig Zeit.«

Der Hotelier tauchte den kleinen Löffel noch einmal in das Schälchen, steckte sich die dritte Kostprobe in den Mund und machte eine Geste wie ein König, der seinen Untertanen erlaubt, fortzufahren.

Die Bürgermeisterin wandte sich an Lorenz. »Also, es geht doch nicht allein darum, wer wie viel Geld für den Weg lockergemacht hat«, stellte sie versöhnlich fest. »Vielmehr …«

»Ach wirklich? Worum geht’s dir dann?« Der Tonfall des Imkers klang herausfordernd. »Ums Prestige? Um eine Machtdemonstration? Die Bürgermeisterwahlen sind schließlich erst wieder in drei Jahren.«

Tanjas Mundwinkel zuckten kurz, doch sie ging nicht auf die Provokation ein. »Wie auch immer. Ich …«

»Sollte mich kurz fassen«, unterbrach Lorenz sie erneut. »Denn eigentlich sollte Kurt das letzte Wort haben. Er war einer der ersten Sponsoren und hat viel Geld zugeschossen, damit der Weg so wird, wie er sein soll.«

Kurt war inzwischen zum Marillenblütenhonig übergegangen, probierte ihn auf einem Stück Brot. Man sah ihm an, dass er nur mehr mit einem Ohr zugehört hatte. Aber er hob zumindest die Schultern und schüttelte den Kopf.

»Ich finde, niemand sollte eine Redezeit von zehn Minuten überschreiten«, warf Lou rasch ein, bevor die Stimmung wieder hochkochte. »Die Leute wollen feiern und keine Reden hören. Ich werde mich auf jeden Fall kurz halten.«

»Das unterstütze ich.« Juliane lächelte Lou aufmunternd an und schüttelte dann ihre Haare, als hätte sie etwas Unsichtbares durcheinandergebracht. »Am Ende reden eh alle nur darüber, was es zu essen und zu trinken gab und ob es geschmeckt hat.« Demonstrativ nippte sie an ihrer Kaffeetasse. Gegessen hatte sie bislang nichts, von der Kostprobe einmal abgesehen.

»Gut erkannt«, sagte Lorenz und machte sich über das Stück Bienenstich her, das ihm Lou hinschob.

»Deshalb werden unsere Köche fürs leibliche Wohl der Ehrengäste sorgen«, erklärte Priska. »Auch wenn unser Fabio hier ein Sternekoch ist. Aber mit deinem Restaurant hast du sicher genug zu tun und wohl kaum Kapazitäten, ein Catering für hundert Gäste zu organisieren«, fügte sie hinzu und schlug die Mappe auf, die vor ihr auf dem Tisch lag.