Tödliches Verlangen - Madlen Schaffhauser - E-Book

Tödliches Verlangen E-Book

Madlen Schaffhauser

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Beschreibung

Es ist beängstigend an einem Ort zu erwachen, an den man sich nicht erinnern kann und sich mir der Grund dafür ständig entzieht. Doch schlimmer als die dunkle Lücke sind die qualvollen Erinnerungsfetzen, die sich langsam zu einem schrecklichen Bild zusammenfügen. Ich sollte beruhigt sein, dass meine Wunden so rasch heilen, was jedoch nur meine äusseren Verletzungen betrifft. Denn meine Seele kämpft noch lange nach innerem Frieden. Erst an dem Tag an dem ich den attraktiven, geheimnisvollen Milliardär Alexander kennenlerne, beginnt endlich meine Heilung. Vom ersten Augenblick an knistert eine sexuelle Spannung zwischen uns und auch wenn seine Berührungen für mich eine Gefahr bedeuten, verzehre ich mich nach ihnen, nach seinem Herz und nach etwas Glück...

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Madlen Schaffhauser

Tödliches Verlangen

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

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Impressum neobooks

Zu diesem Buch

Es ist beängstigend an einem Ort zu erwachen, an den man sich nicht erinnern kann und sich mir der Grund dafür ständig entzieht. Doch schlimmer als die dunkle Lücke sind die qualvollen Erinnerungsfetzen, die sich langsam zu einem schrecklichen Bild zusammenfügen.

Widmung

Ich widme diesen Roman meinem Mann Dani, der mein persönlicher Held ist. Danke für deine unermüdliche Unterstützung.

1.

Warum schmerzt mein Rücken und warum fühlt sich mein Kopf so an, als wäre ich gegen einen Baum gerannt? Etwas sticht in meine Seite, so dass es mir beinahe die Luft abdrückt. Ich weiss ich liege im Bett. Nur wo? Bestimmt nicht in meinem eigenen. Denn die Luft schmeckt nicht nach meinem zu Hause und das Laken fühlt sich nicht wie meine Bettwäsche an. Ich versuche meinen rechten Arm zu heben, aber ich zucke bei der kleinsten Bewegung gleich zusammen. Von weit her höre ich jemanden ständig meinen Namen sagen. Ich glaube es ist meine Mutter, bin mir aber nicht ganz sicher. Sie klingt irgendwie fremd. Langsam öffne ich meine Augen. Aus dem Einen sehe ich klar und deutlich meine Mutter, mit ihren schulterlangen, braunen Haaren und neben ihr einen älteren Mann, in einem weissen Kittel, den ich noch nie gesehen habe, vor mir stehen. Das andere Auge bringe ich nur einen Schlitz breit auf. Es tut höllisch weh, während ich einen Versuch starte, es offen zu halten.

Als ich den Kopf vorsichtig nach links drehe, entdecke ich auf dem Fensterbrett, verschiedene Blumensträusse in Vasen stehen. Von wem waren die alle? Warum liege ich in diesem mir unbekannten Zimmer?

Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mit Pam verabredet war und dass es an der Tür klingelte, während ich gerade eines meiner Lieblingssommerkleider überstreifte. Und jetzt liege ich hier in diesem Bett. Was war nur geschehen? Meine Stimme ist nur ein leises Flüstern, als ich mich bemerkbar machen will. Trotzdem dreht sich meine Mutter sofort zu mir um, die mir bis anhin den Rücken zugewandt hatte und stellt sich neben meinem Bett auf. Sie nimmt meine linke Hand in die ihre und drückt sie ganz sanft. Ihren Anblick schockt mich zutiefst. Ihre Augen wirken rot und geschwollen. Hat sie etwa wegen mir geweint? Was nur ist passiert? Ich muss unbedingt wissen, was geschehen ist. Diese Ungewissheit frisst mich beinahe auf.

„Hallo meine Kleine. Endlich bist du wach. Ich warte schon lange auf diesen Moment.“ begrüsst mich meine Mutter und gibt mir einen sanften Kuss auf die Stirn.

„Hallo Mam.“ krächze ich heraus und erwidere ihren Händedruck. „Wo bin ich?“

„Im Kantonsspital.“

„Im Kantonsspital? Warum?“

„Du kannst dich tatsächlich nicht daran erinnern?“

„An was?“ Mein Hals schmerzt, während ich spreche.

„Dr. Stevens hat mir schon erzählt, dass du wahrscheinlich an einem Gedächtnisverlust leidest, aber dass du dich wirklich nicht daran erinnern kannst, kann ich kaum glauben.“

„Gedächtnisverlust? Aber...“ Ich spüre, wie ich nervös und unsicher werde. Was geht hier vor sich? Meine Mutter erhöht ihren Druck um meine Hand und bemerke sogleich, dass meine Rechte in einen weissen Verband eingewickelt ist.

„Beruhige dich meine Kleine. Es wird alles wieder gut.“ sie muss mir meine Verwirrung angesehen haben.

„Mir schmerzt der ganze Körper und ich habe keine Ahnung, was geschehen ist.“ rufe ich mit meiner angeschlagenen Stimme heraus. „Bitte sag mir endlich, warum ich hier bin.“ Ein mulmiges Gefühlt droht mich zu übermannen.

„Wenn ich das könnte.“

„Wie bin ich hierhergekommen?“

„Pam hat dich gefunden.“

„Wo?“

„Bei dir zu Hause.“

Der Mann im weissen Kittel tritt auf mich zu und streckt mir seine Hand entgegen. „Guten Tag Frau Berner. Ich bin ihr zuständiger Arzt Dr. Stevens.“

„Wie lange bin ich schon hier?“

„Seit gut sechzig Stunden.“

„Wie bitte?“ Diese Information bringt mich sofort zum husten, was mir unheimlich weh tut. Die Bewegungen, die in meinem Innern vollführt werden, sind kaum auszuhalten.

„Die Krankenschwestern haben mir mitgeteilt, dass sie immer wieder kurz aufgewacht sind, aber sie waren nie ganz bei Bewusstsein.“

„Warum kann ich mich an nichts erinnern? Ich weiss nur noch, dass ich auf meine Freundin gewartet habe.“

„Sie leiden unter einem Gedächtnisverlust? Einer sogenannten retrograde Amnesie, das durch Ihren Unfall verursacht wurde.“

„Was für einen Unfall?“

„Anscheinend sind Sie die Treppe hinuntergestürzt.“

„Ich... ich...“ Mein Gehirn versucht sich angestrengt an einen Unfall zu erinnern. Aber da ist einfach nichts ausser Dunkelheit und Leere. Pam und ich wollten seit langem wieder einmal um die Häuser ziehen und jetzt liege ich, ohne den Grund zu wissen in einem Krankenhausbett.

„Zoe.“ Mams Stimme erklingt leise neben mir. „Ich kann dir nur erzählen, was Pam gesagt hat.“

„Und das wäre?“

„Als Pam letzten Freitagabend mehrmals bei dir geklingelt hat, versuchte sie die Tür zu öffnen, die zum Glück nicht verschlossen war. Sie sah dich am Ende der Fusstreppe am Boden liegen.“

Ich versuche tief ein und auszuatmen, um zur Ruhe zu kommen, was mir aber gleich wieder einen Stich in den Brustkorb verursacht.

„Ich kann nicht glauben, dass die letzten zweieinhalb Tage aus meinem Gedächtnis verschwunden sein sollen.“ wende ich mich an den Arzt, der immer noch an meinem Bett steht.

„Machen Sie sich nicht verrückt. Kommen Sie zuerst einmal wieder zu Kräften. Danach können wir mit den Gedächtnisübungen beginnen, die ihre Erinnerungen allenfalls wieder zurückbringen werden.“

„Ist das denn möglich?“ frage ich verwundert.

„Bei einer retrograden Amnesie kann es vorkommen, muss aber nicht sein. Ich empfehle Ihnen jetzt erst einmal Ruhe. Wenn Sie etwas benötigen oder Fragen haben, wenden Sie sich bitte an die Krankenschwestern.“

Eigentlich schwirren mir etliche Fragen im Kopf herum, die ich meinem Arzt stellen möchte, aber ich bin viel zu müde dazu.

Der Arzt zeigt auf einen Bändel, der oberhalb von meinem Kopf von einer Stange herunterbaumelt. „Wenn Sie auf diesen roten Knopf drücken, wird sogleich jemand bei Ihnen sein. Ich werde gegen Abend nochmals bei Ihnen vorbeischauen. Gute Besserung Frau Berner.“ mit diesen Worten verabschiedet sich Dr. Stevens und verlässt das Zimmer mit grossen, leisen Schritten.

Ich wende mich wieder meiner Mutter zu. „Wo ist Dad?“

„Er ist vor einer guten Stunde zur Arbeit. Er lässt dich grüssen. Sowie deine Geschwister und Pam. Ich werde deinem Vater nachher gleich Bescheid geben, dass du erwacht bist.“

„Von wem sind all die Blumen?“

„So wie es scheint, sind die meisten von Noah.“

„Noah? War er auch hier? Hast du ihn gesehen?“

„Er ist mir einmal begegnet, als ich gerade zu dir wollte und er schon wieder auf dem Weg in sein Büro war. Aber warum sollte er nicht hier gewesen sein?“ meine Mam sieht mich fragend an.

Ich versuche ihrem Blick auszuweichen und eine gute Miene zu machen, jedoch entgeht ihr nichts.

„Sag schon, was ist los?“

„Wir haben uns gestritten.“

„Wieso habt ihr euch gestritten?“

„Das weiss ich auch nicht mehr so genau. Wahrscheinlich wieder wegen irgendeiner unnötiger Sache.“ leugne ich ihr vor.

„Wann?“

„Am Abend bevor ich den Unfall hatte.“

„Jetzt verstehe ich auch, warum er so viele Rosensträusse gebracht hat.“

„Wahrscheinlich hat er ein schlechtes Gewissen. Aber das ist mir momentan egal. Soll er doch.“ Ich fühle mich plötzlich total erschlagen und kann mein gesundes Auge kaum noch offen halten. „Mam ich brauche etwas Schlaf. Bist du mir böse?“

„Meine Kleine, natürlich nicht.“ Sie fährt mir mit ihrer zarten Hand über meinen Kopf und streicht mir ein paar meiner langen, braunen Haare aus dem Gesicht. „Erhole dich schnell wieder. Hörst du? Schliesslich ist bald dein dreissigster Geburtstag und den möchten wir gebührend mit dir feiern.“

„Ach ja mein Geburtstag.“

„Freust du dich nicht?“

„Ehrlich gesagt, nein. Im Augenblick sicher nicht. Aber es geht ja noch fast drei Wochen. Zum Glück.“ Meine Lippen bewegen sich bei den letzten Wörtern kaum noch und ich spüre wie mir meine Mutter einen Kuss auf die Stirn drückt, bevor ich in einen unruhigen Schlaf falle.

Langsam öffne ich wieder meine Augen so gut es geht. Ich habe keine Ahnung, wie lange es her ist, seit meine Mutter bei mir war und wie lange ich geschlafen habe. Ich weiss jedoch, dass mich irgendwas aus dem Schlaf geholt haben muss. Nur was? Eine kleine Bewegung neben meinem Bett erweckt meine Aufmerksamkeit.

„Hallo mein Schatz.“ begrüsst mich Noah und küsst mich auf meinen Mund.

Ich erstarre sogleich, als seine Lippen die meinen berühren. Kein Wort schlüpft aus mir heraus. Ich bin einfach nicht fähig irgendwas zu erwähnen. Vor noch nicht allzu langer Zeit genoss ich noch seine Liebkosungen. Doch dies gehört nun der Vergangenheit an. Ich wollte meiner Mam noch nicht erzählen, dass ich mich von Noah getrennt habe. Sie hätte mich mit Fragen durchlöchert. Um diese zu beantworten bin ich noch nicht bereit und habe auch keine Kraft, mich mit der ganzen Situation auseinander zu setzten.

Ich spüre wie Noah meine verbundene Hand in seine Hände nimmt und sanft mit seinen Fingern auf und ab streicht.

„Hast du starke Schmerzen?“ er schaut mir tief in die Augen.

Ich versuche meine Hand wegzuziehen, aber er lässt mich nicht los. „Was willst du hier?“

„Was für eine Begrüssung ist das denn? Habe ich das verdient?“

„Ich will dich nicht mehr sehen. Das weisst du ganz genau. Wir haben Schluss gemacht.“

„Du hast Schluss gemacht.“

„Wo ist da der Unterschied?“

„Ich habe dir gesagt, dass ich nicht bereit bin, dich gehen zu lassen.“

„Was soll das heissen?“

„Genau das was ich sage. Ich werde dir beweisen, dass ich dich für immer lieben werde und du wirst merken, dass ich der Richtige für dich bin.“

„Lass mich endlich in Ruhe.“ Mir wird fast übel bei dem Gedanken, dass er mich nicht gehen lassen will. Noch bis vor einem Jahr war ich die glücklichste Frau auf der Welt. Noah war am Anfang unserer Beziehung so aufmerksam, humor- und rücksichtsvoll, dass ich nicht anders konnte, als ihn zu lieben. Nur leider entpuppte er sich all mehr zu einem kontrollsüchtigen Freak.

Mir wir es ganz anders, als ich zum zweiten Mal versuche meine Hand von seinen zu lösen. Er lässt mich einfach nicht los und ich bin ihm hilflos ausgeliefert. Ich schaue ihn an. „Bitte lass mich in Ruhe und geh. Bitte.“

„Ich will hier bei dir sein und für dich sorgen.“

„Ich brauche dich aber nicht!“ Ich merke, wie sich meine Stimme zu einem schrillen Ton entwickelt. Mich erfasst eine gewisse Panik und lässt mich innerlich erzittern. Wo bleiben nur die Krankenschwestern und Ärzte, wenn man sie braucht? Schiesst es mir durch den Kopf. Ich bin seiner Nähe und seinem durchdringendem Blick, den ich schon seit längerer Zeit verabscheue, ausgeliefert. Fieberhaft überlege ich, wie ich ihn loswerden kann, aber es fällt mir nichts Brauchbares ein.

Ich spüre, wie sich Noah nach vorne beugt und mich küssen will. So schnell es in meinem Zustand möglich ist, drehe ich meinen Kopf zur Seite, so dass er gerade noch mein rechtes Ohr berührt.

„Lass das!“ schreie ich empört auf. Ich merke gar nicht, dass die Zimmertür halb offen steht. Erst als ich Pams Stimme höre und sich Noah versteift, bemerke ich was für eine Angst mich in Noahs Nähe ergriff. Ich atme so gut es geht tief durch und lächle meine Freundin erleichtert an.

„Verschwinde!“ höre ich Pam verärgert rufen.

„Du hast mir gar nichts zu sagen.“ Noah bleibt seelenruhig auf seinem Stuhl sitzen.

„Muss ich es wiederholen oder soll ich gleich jemanden holen, der dich rausbringt? Zoe hat mit dir Schluss gemacht und sie möchte dich nicht mehr sehen, geschweige denn etwas mit dir zu tun haben. Hast du das immer noch nicht begriffen?“

„Woher...?“ weiter kommt Noah nicht, als ihm dämmert, dass ich meiner besten Freundin von unserer Trennung erzählt haben muss. Er sieht mich mit seinem finsteren Blick, den ich in letzter Zeit öfters zu sehen bekam und mir ziemlich Angst einjagt, an. Seine Augen auf meinen geheftet steht er langsam auf. „Ich werde nicht so leicht klein beigeben. Das kannst du mir glauben und ich werde dich zurückbekommen. Das schwöre ich dir.“

Ich sehe ihm nach, wie er mit wütenden Schritten an Pam vorbeigeht und sie für eine Sekunde gereizt anstarrt. Kaum ist er draussen, schliesst Pam die Tür hinter ihm zu und kommt auf mich zu, um neben meinem Bett Platz zu nehmen.

„Ich habe von deiner Mam erfahren, dass du endlich aufgewacht bist. Wie fühlst du dich?“

„Wie sehe ich denn aus?“

„Wie ein verbeulter Apfel.“

„Was?“ frage ich verdattert.

Pam kann kaum an sich halten und fängt schlussendlich an loszulachen. Ich kann nicht anders und muss in ihr Gelächter einstimmen. Obwohl ich überall Schmerzen habe, ist unser Lachen ein wohltuender Klang in meinen Ohren. Pam versteht sich gut darin, mich auf andere Gedanken zu bringen. Sie ist ein wahrer Segen.

Als wir uns etwas erholt haben, wird die Miene meiner Freundin gleich wieder ernst, als sie meine sichtbaren Verletzungen betrachtet.

„Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Weisst du das?“

„Ich kann mich leider an nichts mehr erinnern. An rein gar nichts.“

„Das ist vielleicht auch besser so. Du hast wirklich übel ausgesehen und ich dachte schon, dass ...“ Pams Stimme bricht und als ich ihr in die Augen sehe, bemerke ich Tränen, die sich einen Weg über ihr Gesicht bahnen.

Mir wird ganz flau im Magen, wenn ich daran denke, was sie soeben aussprechen wollte. Ich bin froh, dass ihr die Stimme für einen Moment versagt hat und kämpfe gegen die Tränen an, die sich in mir aufstauen.

Pam wischt sich mit einer energischen Bewegung die Tränen fort und streicht über meine bandagierte Hand.

„Ich möchte so etwas nie mehr erleben. Hörst du?“

Wir sitzen einige Minuten stumm da, was ich geniesse. Ich fühle mich immer noch müde und niedergeschlagen. Sowas kenne ich gar nicht von mir. Ich schliesse meine Augen und dämmere vor mich hin, bis Pams Stimme mich aus meinen wirren Gedanken reisst.

„Was wollte Noah hier? Du hast doch Schluss gemacht oder ist das schon nicht mehr der Fall?“

„Er will es nicht wahrhaben, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben werden. Sieh dir die vielen Rosensträusse an.“ Ich bewege langsam den Kopf Richtung Fenster. „Anscheinend sind die meisten von ihm.“

„Es gefällt mir nicht, dass er dich besuchen kommt. Er hat irgendwas an sich, dass mir nicht geheuer ist.“

„Du darfst nicht so streng zu ihm sein. Er ist manchmal ein etwas aufgebrachter Typ und stur, aber ansonsten total lieb.“

„Gibst du ihm eine zweite Chance?“

„Eine zweite Chance? Er hatte schon einiges mehr als zwei Chancen und nichts hat sich seit unserer Trennung geändert. Ich habe ihn wirklich von ganzem Herzen geliebt, aber seine ständige Eifersucht und seine Kontrollen, haben alles kaputt gemacht. Mein Leben bestand nur noch aus uns beiden. Wenn ich mit dir ausgehen wollte, hatten wir jedes Mal einen fürchterlichen Streit. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht mit ihm zusammenzog, als er mich darum bat.“

„Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“

„Das war auch erst vor ein paar Tagen."

„Wie hat er darauf reagiert?“

„Nicht so angenehm. Er hat mich angeschrien, geriet völlig ausser sich und hat meine Sachen um sich geschleudert.“

„Der gehört doch in die Klapse.“

„Jetzt bist du etwas unfair.“

„Warum? Weil er dir Angst eingejagt hat oder...?“

„Du weisst, dass er ein ganz liebevoller Mann sein kann." schneide ich ihr das Wort ab. „Er ist zärtlich und kann gut zuhören. Er hat mir sehr über die Zeit hinweggeholfen, als das mit meiner Schwester war.“

„Aber das ist nun schon über zwei Jahre her und sie hat sich ausgezeichnet erholt. Was ich jedoch sehe, ist dass du in letzter Zeit nicht so glücklich gewesen bist, wie du es eigentlich sein solltest.“

„Ich habe nicht gesagt, dass ich zu ihm zurück gehe. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass er auch gute Seiten an sich hat. Sonst wäre ich doch wohl nicht so lange mit ihm zusammen geblieben.“

„Ich möchte dich glücklich sehen. Das ist alles.“

„So wie du mit Ayden?“

Ich sehe, wie sich die Röte in Pams Wangen ausbreitet. Nur schon den Namen ihres Angebeteten verleiht ihr ein kleines Schamgefühl.

„Ja genau.“

„Ich freue mich, dass ihr endlich zueinander gefunden habt. Hat ja eine halbe Ewigkeit gedauert.“

„Ich liebe ihn.“

„Ich weiss.“

Wir lächeln uns an, während sie sich von ihrem Stuhl erhebt.

„Ich lasse dich jetzt alleine, damit du dich ausruhen kannst.“

„Pam.“

Sie dreht sich zu mir um und sieht mich mit einem fragenden Blick an. „Ja?“

„Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt.“

Pams Stirne erhält ein paar Falten. „Für was?“

„Das du mich gefunden und den Krankenwagen gerufen hast.“

„Dafür brauchst du dich gar nicht zu bedanken. Ich bin heilfroh, dass ich zur rechten Zeit gekommen bin und du mehr oder weniger wohlauf bist.“

Sie beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich komme morgen wieder.“

„Grüss Ayden von mir.“

Ich bemerke gerade noch, wie sich ein Lächeln auf Pams Gesicht stiehlt, bevor sich die Tür hinter ihr schliesst.

Erschöpft bleibe ich im Bett liegen. Die Auseinandersetzung mit Noah hat mir mehr zugesetzt, als ich mir wirklich eingestehen will. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich schliesse meine Augen und versuche auf andere Gedanken zu kommen. Vom vielen Nachdenken erhalte ich noch mehr Kopfschmerzen, als dass ich schon habe. Plötzlich spüre ich einen Drang zur Toilette zu gehen. Zum einen, weil ich dringend meine Blase entleeren muss und zum anderen will ich wissen, wie mein Gesicht aussieht. Ich habe den mitleidigen Blick von Mam und Pam nicht übersehen, als sie mich ansahen.

Langsam versuche ich aus meiner Lagerstätte zu steigen. Was mir wahrlich nicht leicht fällt, denn mein Körper zuckt mehrmals vor Schmerz zusammen. Doch irgendwie gelange ich, indem ich mich auf den Infusionsständer stütze, von dem verschiedene Schläuche zu meinem Arm führen und mit einer Nadel darin verschwinden, auf die Toilette, die sich rechts von meinem Bett befindet. Einen kurzen Blick in den Spiegel genügt, um mein zerschundenes Gesicht zu betrachten. Mein linkes Auge ist total zugeschwollen und blau. Etliche Schürfungen durchkreuzen meine Stirn und meine Wangen. Ich getraue mich kaum, mich zu berühren, aber streiche trotzdem vorsichtig über die Verletzungen, die ich mir beim Sturz zugezogen habe. Als ich mich weiter zum Klosett begebe, wird mir wieder klar, dass die Wunden in meinem Gesicht die kleineren Übel sind. Ich schiebe meine Unterhose nach unten und bemerke erst jetzt, dass sich eine grosse Nachtbinde, die voller Blut ist, daran befindet. Verwirrt starre ich darauf und lasse mich auf die WC-Schüssel fallen. Ich starre auf einen Kalender, der vor mir an der Tür hängt, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Mein Gedächtnis versucht sich daran zu erinnern, wann ich meine letzte Menstruation hatte. Ich glaube fast, dass es schon länger her war. Nur möchte es mir nicht einfallen. Aber ich habe sie ja sowieso nie regelmässig. Muss das tatsächlich so sein, dass ich gerade jetzt diese bekloppte Monatsblutung erhalten musste? Aber warum habe ich dieses Mal solche Unterleibsschmerzen? Das hatte ich bis anhin noch nie. Irgendwas stimmt hier nicht.

In einem gewissen Trancezustand wechsle ich die Binde aus und erhebe mich von der Schüssel. Konzentriert mache ich mich auf den Weg zurück zum Bett, der mich sehr viel Kraft kostet. Zum Glück bin ich zur Zeit die einzige Patientin in diesem Zimmer, da ich mich sonst für meine ungelenken Bewegungen schämen müsste. Gekrümmt und wankend mache ich einen Schritt nach dem anderen. Endlich wieder unter der Bettdecke schliesse ich sofort meine Augen und schlafe im selben Moment ein.

„Frau Berner. Sind sie wach?“

„Hmm.“ Mehr als ein Gemurmel bringe ich nicht zustande.

„Ich habe hier ihr Abendessen.“

Irgendwie habe ich Schwierigkeiten meine Traumwelt mit der Realität auseinander zu halten. Schlafe ich noch oder sollte ich meine Augen öffnen? Als ein köstlicher Duft in meine Nase steigt, fängt mein Magen sofort an zu rebellieren. Ich zwinge meine Augen sich zu öffnen und erkenne sogleich eine Frau in einem weissen Kittel, die mir ein Tablett mit Essen auf die schwenkbare Tischplatte stellt.

„Benötigen Sie noch etwas? Vielleicht eine Tasse Kaffee?“

Ich betrachte mein Abendessen und stelle fest, dass alles, was auf dem Tablett steht, meinem Geschmack entspricht. Wie zum Beispiel das Erdbeerjoghurt und ein Glas Orangensaft, das ich meistens am Abend zu mir nehme.

„Ist es Zufall, dass ich alles mag, was Sie mir hier gebracht haben oder hat jemand für mich das Essen ausgewählt?“

„Ihr Freund hat das für Sie angegeben.“

„Mein Freund?“

„Ja, Herr Wellinger.“

Na klar! Mein ach so fürsorglicher Ex-Freund war das, schreit es in meinem Innern. Mein Ex muss sich immer noch einmischen, wo er nur kann. Obwohl mich diese Geste irgendwie freut, nervt es mich trotzdem, dass er sich immer noch um mich kümmern möchte.

Die Krankenschwester steht ungeduldig an meinem Bett und blickt verstohlen auf ihre Armbanduhr. Ich möchte sie nicht länger aufhalten und Lächle sie schwach an.

„Danke.“

„Wenn irgendwas ist, wissen Sie ja, wo sie drücken müssen.“

„Ja. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.“

„Gute Besserung, Frau Berner.“

Ich nicke ihr schwach zu und mache mich über das Abendessen her. „Autsch, verdammt!“ rufe ich laut aus. Denn die Tomatensuppe, die ich soeben vertilgen möchte, ist noch sündhaft heiss. Also mache ich mich über das Erdbeerjoghurt her, das mich mit seiner Frische überwältigt. Ich dachte, ich hätte einen Bärenhunger, aber dem ist anscheinend nicht so. Den letzten Löffel mag ich gerade noch so herunterschlucken, danach fühle ich mich pappsatt. Ich lege das Besteck zur Seite und knipse den Fernseher an. Ohne mich gross auf den Bildschirm zu konzentrieren, zappe ich wahllos durchs Programm. Nur blödes Zeug. Jetzt wäre ich froh, um ein spannendes Buch oder um die Aufträge, die auf meinem Schreibtisch im Büro liegen und noch zu optimieren sind. Ich entschliesse mich Pam eine SMS zu schicken, damit sie mir morgen mein Buch, in dem ich gerade lese, und meinen Laptop bringen soll. Meine Toilettenartikel und frische Kleider habe ich schon, wie ich bei meinem kurzen WC Gang von vorhin, feststellen konnte. Mühsam setzte ich mich auf und öffne die oberste Schublade in dem kleinen Beistelltisch neben meinem Bett. Gerade als ich mein Smartphone in meine Hand nehme, geht die Zimmertür ein weiteres Mal auf. Es ist der Arzt von heute Morgen. Wie hiess er noch mal? Dr. Ste... Ach herrgott. Nicht mal mehr das fällt mir ein.

„Guten Abend Frau Berner.“

Jetzt wo er näher kommt, kann ich auf seinem Schild den Namen lesen. Ach ja, Dr. Stevens.

„Wie ich sehen kann, hatten Sie nicht so einen grossen Appetit.“

„Ich dachte ich hätte grossen Hunger, aber ich kriege nichts mehr hinunter.“

„Das ist ganz normal nach fast drei Tagen Schlaf. Wenigstens haben sie etwas Kleines zu sich genommen. Wie fühlen Sie sich?“

„Ich kann mich kaum bewegen und habe Mühe aufzustehen.“

„Kein Wunder bei Ihren Verletzungen.“

„Die Verletzungen in meinem Gesicht und an meiner rechten Hand habe ich schon gesehen. Aber warum habe ich Schmerzen, wenn ich zu tief Luft hole und mich zu schnell zur Seite drehe?“

„Sie haben sich beim Sturz zwei Rippen gebrochen. Die Heilung braucht ihre Zeit und Sie dürfen in den nächsten Wochen keinen Sport treiben. Etwas Bewegung ist gut, aber ja nicht überanstrengen. Ausserdem weist ihr Oberkörper mehrere blaue Flecken auf, sowie auch ihre Beine.“

Das habe ich noch gar nicht bemerkt und schiebe sogleich mein Krankenhauspyjama hinauf, um mein Körper zu betrachten. „Oh.“

„Die sehen schlimmer aus, als sie sind.“

Ich bedecke mich wieder und lege mich zurück ins Bett. Das Sitzen hat mich ziemlich ermüdet.

„Dass Sie sich keinen Knöchel verstaucht haben, grenzt gerade noch an ein Wunder. Ihr Fuss ist lediglich angeschwollen. Keine Verstauchung und keinen Bruch.

Aber Ihre rechte Hand ist verstaucht. Die Bandage stellt das Handgelenk ruhig und durch den leichten Druck, das sie verübt, sollte die Schwellung rascher abklingen. In zwei Tagen sollten Sie die Bandage abnehmen können.“

„Okay. Das klingt gut. Aber warum habe ich die Erinnerungen an den Sturz verloren?“

„Wir nehmen an, dass Sie einen schweren Schock erlitten haben. Dadurch werden Ihre Erinnerungen an den Unfall verdrängt. Vielleicht können Sie mit gezielten Gedächtnisübungen die offene Lücke füllen. Vorausgesetzt Sie wollen es auch.“

„Es ist ein eigenartiges Gefühl, nicht zu wissen, was passiert ist.“

„Ich kann Frau Dr. Christensen bitten, dass sie sich morgen bei Ihnen meldet. Sie ist wirklich eine ausgezeichnete Ärztin auf diesem Gebiet und hat schon vielen geholfen, die an einer Amnesie litten.“

Ich kann es kaum erwarten, diese Frau Christensen kennenzulernen. Denn ich möchte ein Stück von meinem Leben zurückerhalten, auch wenn es nur ein paar Stunden sind, fehlt mir irgendwas. Hoffentlich ist sie wirklich so gut, wie Dr. Stevens sagt.

„Wie lange muss ich noch hier bleiben?“

„Sie sind erst gerade heute Morgen aus ihrem Bewusstsein erwacht. Wir behalten Sie noch etwas zur Kontrolle hier. Ausserdem können Sie sich kaum auf Ihren eigenen Beinen halten. Sie werden also noch eine paar Tage bei uns bleiben müssen. Schlafen Sie jetzt erst mal und morgen können Sie vielleicht schon wieder eine kleine Runde im Flur umhergehen."

Die nächste Frage ist mir zwar ein wenig peinlich und wäre zum ersten Mal froh, wenn jetzt eine Ärztin statt ein Arzt hier wäre, aber ich möchte wissen, was mit meinem Körper los ist. „Warum habe ich solche Schmerzen in meinem Unterleib und warum blute ich?“

Seine Miene verändert sich und Mitgefühl widerspiegelt sich in seinem Blick. „Eigentlich wollte ich, dass jemand bei Ihnen ist, wenn ich Ihnen diese schlechte Nachricht überbringe.“ er räuspert sich mehrmals und setzt sich auf einen Stuhl, der sich neben meinem Bett befindet.

„Was für eine Nachricht?“ meine Stimme hört sich sogar in meinen eigenen Ohren ganz schrill und fremd an, als ich ihn bitte, mich endlich einzuweihen.

„Frau Berner.“ wieder räuspert er sich „Sie haben ihr Kind verloren. Es tut mir schrecklich leid. Wir konnten es nicht mehr retten. Wir konnten nichts mehr für das Ungeborene tun.“

„Mein Kind?“ geht es noch verwirrter?

Nach meinem Gesichtsausdruck konnte er die Situation richtig beurteilen. „Wussten Sie etwa nicht, dass Sie schwanger waren? Sie waren in der achten Woche.“

„Ich und schwanger? Nein, auf keinen Fall.“ Ich bin froh, dass ich bereits liege, sonst hätten meine Knie bestimmt nachgegeben. Warum sollte ich schwanger sein? Wir haben doch immer auf die Verhütung geachtet. Ich war in der achten Woche und ich habe nichts bemerkt? Oder etwa doch? Meine Gedanken drehen sich ständig im Kreis.

Der Mann im weissen Kittel, der immer noch auf dem Stuhl neben mir sitzt, redet wirres Zeug. Ich kann ihm wahrhaftig nicht folgen, was er von sich gibt. Irgendwas dringt doch noch zu meinem Gehirn durch.

„Was haben Sie gesagt?“

„Mit grosser Wahrscheinlichkeit können Sie keine Kinder mehr bekommen.“

Abermals starre ich ihn verständnislos an. „Was soll das heissen, ich kann keine Kinder mehr bekommen?“

„Sie haben sich durch den Sturz schwere Verletzungen zugezogen und die Gebärmutter wurde ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Auch wenn Sie mich jetzt dafür hassen werden, möchte ich Ihnen keine allzu grosse Hoffnung machen, dass Sie nochmals schwanger werden können. Wenn Sie genauere Informationen Wünschen, wenden Sie sich bitte an Ihren Gynäkologen.“

Ich weiss nicht, wie ich mit diesen Informationen umgehen soll. In den vergangenen Monaten hatte ich überhaupt nicht den Wunsch danach, schwanger zu werden. Aber jetzt wo ich weiss, dass ich ein kleines Geschöpf in mir trug, wird mir ganz eng ums Herz.

„Ich werde Sie jetzt alleine lassen. Morgen werde ich wieder nach Ihnen sehen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, Frau Berner.“

Als der Arzt schon fast bei der Tür ist, dreht er sich nochmals zu mir um. „Einen kleinen Rat hätte ich da noch für Sie. Vielleicht sollten Sie das nächste Mal nicht mehr so hohe Absätze tragen, wenn sie eine Treppe hinuntersteigen wollen. Versuchen Sie etwas zu schlafen. Das wird Ihnen sicherlich gut tun.“

Hohe Absätze? Was soll denn das wieder bedeuten? Ich kann mich nicht an hohe Schuhe erinnern. Stirnrunzelnd nehme ich mein Smartphone in die Hand und tippe eine kurze SMS an Pam. Danach lege ich es auf den Beistelltisch, drehe mich auf die gesunde Seite und schliesse meine Augen. Zwar fühle ich mich total erschöpft und ich versuche einzuschlafen, aber das was Dr. Stevens mir mitgeteilt hat, treibt mir, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte, Tränen in die Augen. Mutter zu werden war in ferner Zukunft nicht mein Ziel und fühle mich auch jetzt noch nicht bereit dazu, aber da ich nun weiss, dass ich wegen meinen hochhackigen Pumps ein Menschenleben vernichtet habe, überfällt mich die Selbstverachtung doppelt so schwer. Ich lasse meine Augen fest geschlossen und hoffe, dass ich endlich in den Schlaf flüchten kann.

2.

Die Sonne blendet mich, als ich mit pochenden Kopfschmerzen erwache. Wo bin ich? Verwirrt schaue ich mich um. Als ich die vielen Blumen sehe, wird mir wieder alles bewusst. Der Sturz, meine Verletzungen und das verlorene Baby. Aus reinem Impuls heraus lege ich die Hände auf meinen Bauch.

Ich merke gar nicht, dass sich langsam die Tür öffnet und meine Schwester mit ihrer süssen Tochter hereinkommt, so sehr bin ich in Gedanken versunken. Als mein Patenkind sich bereits auf mich stürzen möchte, nehme ich meinen Besuch erst wahr.

„Hey Süsse.“ ich strecke meine Hand nach dem Mädchen aus, woraufhin mein Patenkind zu mir aufs Bett klettert und ihren Kopf an meine Schulter schmiegt.

„Hallo Zoe.“ höre ich nun meine Schwester neben mir, die mich mit einem besorgten Blick mustert.

„Hallo Valerie. Schön euch zu sehen.“

„Wie fühlst du dich?“

„Ich bin auf dem Weg der Besserung.“ leugne ich. Doch meine Schwester lässt sich davon nicht beirren.

„Warum sind dann deine Augen so verquollen und rot unterlaufen?“

Die Frage was wäre, wenn ich immer noch das Kind in mir tragen würde, stiehlt sich abermals einen Weg in mein Gehirn, während ich Caroline sanft über ihr Haar streichle, die immer noch eng an mich gedrückt neben mir liegt.

„Das muss von den Schmerzen sein.“

„Aber ja klar.“ Sie drückt mir einen leichten Kuss auf die Stirn, bevor sie einen Stuhl neben das Bett zieht.

Wie soll ich ihr meine Ängste und Sorgen ausdrücken, da ich selbst den Durchblick nicht habe, wie es mir momentan ergeht? Angespannt schaue ich auf die achtjährige Caroline und bewege meinen Kopf langsam hin und her. Ich hoffe Valerie versteht, was ich ihr damit sagen möchte. Das kleine Mädchen braucht nicht meine Geschichte zu hören.

„Sascha sollte nächstens hier sein. Er hat uns beim Eingang aussteigen lassen und sich dann auf die Suche nach einem Parkplatz gemacht. Heute scheinen wohl alle einen Krankenbesuch machen zu wollen.

Danach haben wir sicher etwas Zeit um zu reden.“ Sie zwinkert mir mit einem angedeuteten Lächeln zu.

„Zoe? Warum bist du hier in diesem Bett und nicht bei dir zu Hause?“ ertönt die kindliche Stimme meines Patenkindes.

„Anscheinend habe ich mich nicht auf die Treppe konzentriert, als ich mit hohen Absätzen hinuntergehen wollte.“

„Bist du gefallen?“

„Ja. Ich bin ganz dumm die Treppe hinuntergestürzt. Ich bin das beste Beispiel, dass man die Treppen nicht unterschätzen darf.“

„Warum sagst du anscheinend?“ wollte meine Schwester wissen.

„Ich kann mich nicht an den Sturz erinnern. Der Arzt meinte, dass ich an irgendeiner Amnesie leide. Den genauen Ausdruck habe ich vergessen.“

„Das ist nicht wahr. Wie kann das passieren?“

„Wahrscheinlich habe ich einen Schock erlitten und verdränge so den Sturz. Ich kann noch so krankhaft versuchen, den Abend in meine Erinnerungen zu rufen, aber das Bild verschwindet und es wird alles schwarz vor meinen Augen, sobald es an der Tür klingelte. An das Nächste, was ich mich wieder erinnern kann ist, dass ich hier in diesem Bett liege und Mam mit einem Arzt in diesem Zimmer ist.“

„Und das bleibt so?“

„Dr. Stevens meinte, dass man irgendwelche Übungen machen kann. Dadurch erhält man eine kleine Chance, um Erinnerungen zurückzugewinnen.“

„Was sind das für Übungen?“

„Das weiss ich noch nicht. Wahrscheinlich kommt heute eine Ärztin vorbei, die spezialisiert darauf ist.“

Meine Schwester und ich sehen gleichzeitig auf, als sich die Tür öffnet. Mein Schwager guckt schüchtern durch den kleinen Spalt und als er uns erkennt, tritt er mit leisen Schritten herein.

„Wie geht es meiner Lieblingsschwägerin?“ Sascha beugt sich zu mir und gibt mir sanft einen Kuss auf die Wange. Mit seiner lieben Art, zaubert er doch tatsächlich für eine Sekunde ein Lächeln auf mein Gesicht.

„Du Charmeur. Als hättest du die grosse Auswahl an Schwägerinnen.“

„Na ja. Aber ich möchte dich doch um nichts auf der Welt gegen eine andere Schwägerin austauschen wollen. Du hast uns allen einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Ich bin froh, dass du endlich wieder bei Bewusstsein bist.“

„Tut mir leid.“ flüstere ich.

„Oh nein. So war es ganz und gar nicht gemeint. Ich wollte dir keine Schuldgefühle machen. Ich möchte dir nur sagen, wie wichtig du für uns bist.“ Sascha drückt mich kurz und lässt mich gleich wieder los, als er merkt, dass ich mich vor Schmerzen anspanne. „Komm meine Süsse. Wir lassen deine Mami und Zoe einen kurzen Moment alleine.“ wendet er sich an seine Tochter.

Caroline erhebt sich müde aus dem Bett und sieht mich mit tränenreichen Augen an, als sie sich zu mir umdreht.

„Es wird alles wieder gut, meine Liebe.“ Ich drücke die Hand meines Patenkindes, während ihr Blick auf mich geheftet ist. „Kommst du mich bald wieder besuchen?“

„Ja.“ Sie beugt sich vor und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor sie mit ihrem Vater verschwindet.

Die Tür war kaum geschlossen, als meine Schwester einmal tief Luft holt und die unausweichliche Frage stellt. „Was ist passiert, was ich noch nicht weiss?“ Ganz die Art meiner Schwester. Wie immer kommt sie direkt auf den Punkt.

„Ich bin gestürzt und habe mich ziemlich übel verletzt. Reicht das nicht?“

„Mir wäre es lieber, wenn du gar nicht hier liegen würdest, aber ich sehe dir an, dass dich noch etwas beschäftigt. Nur weiss ich nicht, was es ist. Hat es mit Noah zu tun?“

„Warum mit Noah?“

„Hast du endlich mit ihm gesprochen?“

„Ja, ich habe mich endlich von ihm getrennt. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.“

„Wenn ich die Rosen hier ansehe, bin ich mir da aber nicht so sicher.“ Valerie dreht ihren Kopf zu den vielen Blumensträussen und macht eine Handbewegung darüber. „War er hier?“

„Ja. Gestern. Aber ich habe ihm für allemal gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll. Es ist alles geklärt zwischen uns.“

„Also was ist es dann. Rück endlich mit der Sprache heraus. Warum machst du so einen niedergeschlagenen Eindruck?“

Ich weiss, dass ich meine Schwester nicht länger hinhalten kann. Vielleicht tut es mir sogar gut, wenn ich mit jemandem darüber sprechen kann.

„Ähm.“ versuche ich verzweifelt den Anfang zu machen und starre auf meine linke Hand, die auf meiner rechten bandagierten Hand liegt . Ich ringe nach den richtigen Worten, doch die scheinen nicht erscheinen zu wollen „Ich war in der achten Woche schwanger.“ so, jetzt ist es endlich heraus.

Meiner Schwester hat es doch tatsächlich die Stimme verschlagen. Sie sitzt mit offenem Mund da und starrt mich fassungslos an. Als sie sich wieder gefangen hat, schaut sie mir tief in die Augen.

„Das ist wahrhaftig ein Schock. Und wie geht es dir dabei?“

Ich zucke vorsichtig mit meinen Schultern. „Wenn ich das wüsste.“ In ihren Augen schimmern Tränen, was mich dazu veranlasst, meine Eigenen nicht länger zurückhalten zu können. Valerie setzt sich zu mir aufs Bett und hält mich fest an sich gedrückt. Meine zurück gestauten Tränen suchen ihren Weg nach draussen und es dauert lange, bis sie wieder verebben. Ich fühle mich gleich ein klein wenig besser, nachdem ich meinen Gefühlen endlich freien Lauf gelassen habe. Nur leider hält dieses Gefühl der Befreiung nicht lange an.

Sie löst sich von mir und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Kannst... kannst“ ich spüre, wie die nächste Frage in ihrer Kehle stecken bleibt und ich denke, ich weiss, über was sie sich den Kopf zerbricht. Zögernd spricht sie weiter. „du noch Kinder bekommen?“

Da ist es. Natürlich musste sie mir diese Frage stellen. Wieder starre ich ins Leere und versuche meine Gedanken zu sammeln. Es fällt mir schwer darüber zu sprechen, aber früher oder später kann ich dieser Situation nicht mehr ausweichen.

„Mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht. Das Baby wurde durch den Sturz getötet und ich habe anscheinend dadurch ziemliche schlimme Verletzungen zugezogen.“ Ich schlucke ein paar Mal leer, bevor ich weiter reden kann. „Aber es ist schlimmer als es klingt. Ich war ja sowieso nicht bereit für ein Kind. Das ist wohl jetzt die Bestrafung dafür, dass ich nicht mal gespürt habe, dass ein kleines Wesen in mir herangewachsen ist.“

„Hörst du dir eigentlich selber zu? Wem willst du etwas vorgaukeln? Dir oder mir?“ Meine Schwester fährt wie vom Blitz getroffen auf und ist sichtbar aufgebracht. „Hast du dir selbst zugehört? Du vergötterst Kinder und liebst meine Caroline, als wäre sie dein Eigen. Warum nur...“ Abrupt hört sie auf, mich zu verurteilen und setzt sich wieder langsam auf den Stuhl neben meinem Bett. „Es tut mir leid, Zoe. Ich wollte nicht an dir herumnörgeln oder dich kritisieren.“

„Ist schon gut. Ich denke, wenn ich mir nur genug oft einrede, dass ich sowieso keine Kinder wünsche, ist es vielleicht irgendwann nicht so schlimm. Es war immer so selbstverständlich, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt Kinder haben werde.“ Meine Stimme versagt kläglich und wieder brennen Tränen in meinen Augen, die ich kaum zurückhalten kann.

„Weiss sonst schon jemand Bescheid darüber?“

„Nein und ich möchte es auch nicht an die grosse Glocke hängen.“

„Wirst du es Noah erzählen.“

„Ich denke nicht. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Und diese Geschichte würde ihm nur einen Grund geben, um sich um mich sorgen zu wollen.“

„Ach meine Süsse. Irgendwie wird schon alles wieder gut werden. Es wird sich schon eine Lösung finden, wenn du bereit dazu bist. Ich bin immer für dich da. Das weisst du hoffentlich, oder?“

„Danke Valerie. Ich bin froh, dass ich mit dir darüber reden konnte.“

Meine grosse Schwester drückt mir sanft die gesunde Hand und gibt mir einen Kuss auf die Wange, nachdem sie sich erhoben hat.

„Ich werde jetzt mal nachsehen gehen, wo Caroline und Sascha sind. Er muss nachher noch zur Arbeit. Wenn du irgendwas brauchst, ruf mich an. Ich werde sofort kommen.“ Sie dreht sich nochmals um, bevor sie aus dem Zimmer verschwindet. „Ach übrigens. Ich habe deinen Chef angerufen und ihm mitgeteilt, dass du hier bist und dass er in den nächsten Tagen wohl nicht mit dir rechnen muss.“

„Danke. Du bist ein wahrer Schatz. Grüss Caroline von mir und sag ihr, dass wieder alles in Ordnung kommt. Ich möchte nicht, dass sie sich irgendwelche Horrorgeschichten zusammenreimt.“

Nach einem etwas weniger beschwerlichen Gang ins Bad, als beim letzten Mal, tat mir anfangs die Stille in meinem Krankenzimmer gut, nachdem meine Schwester gegangen ist und ich in aller Ruhe meinen Gedanken nachgehen konnte. Aber nun fühle ich mich leer in diesem Zimmer und wünschte es wäre jemand hier.

Mein Wunsch bleibt nicht lange in der Luft liegen. Zwar kommt niemand von meinem Bekanntenkreis ins Zimmer, aber ich bin dennoch froh, dass nun eine Ärztin mit weissem Kittel und einem Stethoskop vor mir steht.

„Guten Tag Frau Berner. Ich bin Frau Dr. Christensen.“ Die schöne, rothaarige Mittdreissigerin lächelt mich mit einem warmen Blick an und reicht mir die Hand.

„Danke, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.“

„Das ist doch selbstverständlich. Nun erzählen Sie mir zuerst einmal, was vorgefallen ist. Ich habe zwar durch Dr. Stevens von Ihrem Unfall erfahren, aber ich möchte von Ihnen wissen, an was Sie sich noch erinnern können.“

„Nun...“ ich drehe meinen Kopf zur Seite und sehe aus dem Fenster, als ich an den besagten Abend denke und der Ärztin neben mir, alles zu schildern versuche. „Ich war endlich wieder einmal mit meiner Freundin Pam verabredet. In letzter Zeit haben wir uns ziemlich selten gesehen und ich freute mich über den gemeinsam Abend. Nachdem ich etwas früher von der Arbeit gegangen bin, habe ich mich zu Hause zurecht gemacht. Gerade als ich mich anzog, klingelte es an der Tür. Und nun liege ich hier. Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin. Pam teilte mir mit, dass sie mich am Ende der Treppe gefunden und sofort den Notruf gerufen hat.“

„Sie müssen einen ziemlichen Schock erlitten haben, dass Sie sich nicht mehr an den Unfall erinnern können. Sie leiden an einer sogenannten retrograde Amnesie. Ihr Gedächtnis versucht dadurch das Erlebte zu verdrängen.“

„Das hat mir Dr. Stevens ebenfalls mitgeteilt.“

„Durch konkrete Gedächtnisübungen können wir vielleicht die Erinnerungen zurückgewinnen. Ich werde ein gezieltes Training für Sie zusammenstellen. Wenn es Ihnen passt, können wir am Donnerstag damit beginnen.“

„Ich habe nichts vor, ausser hier im Bett zu liegen. Viel mehr bleibt mir nicht zu tun. Eigentlich habe ich gehofft, bald möglichst nach Hause gehen zu können. Ich wäre viel lieber in meiner gewohnten Umgebung.“

„Ich kann Sie vollkommen verstehen, aber Ihr Zustand lässt es leider noch nicht zu, dass Sie schon alleine für sich sorgen können.“ Die Ärztin erhebt sich, mit einem Block aus Papier und einem Stift in der Hand und schüttelt mir die Hand. „Also, bis in zwei Tagen. Erholen Sie sich bis dahin gut. Essen Sie genug. So kommen Sie am schnellsten wieder auf die Beine.“

Gerade als Dr. Christensen aus dem Zimmer tritt, taucht eine Krankenschwester, in einen weissen Kittel gekleidet, auf. Diese junge Frau habe ich bis jetzt noch nicht kennengelernt.

„Schön Sie wach zu sehen. Guten Tag Frau Berner. Darf ich mich vorstellen?“

Auch wenn ich ihren Namen gar nicht wissen möchte, kann ich doch wohl schlecht nein sagen, oder? Erschreckt über meine unverschämten Gedanken, versuche ich ein unverkrampftes Lächeln an den Tag zu bringen.

„Mein Name ist Nadja Wulst.“ fährt die Krankenschwester fort „Wie fühlen Sie sich?“

„Besser als noch vor ein paar Stunden.“

„Ich werde Sie jetzt von diesen Schläuchen, die in Ihrem Arm stecken befreien. Diese Infusionen benötigen Sie wohl nicht mehr. Was meinen Sie, kommen Sie ohne diese Gehhilfe zurecht?“ versucht die Krankenpflegerin zu witzeln und lächelt mich voller Freundschaft an. Nur kann ich ihr nicht ganz folgen.

„Wie?“

„Der Infusionsständer war sicher eine gute Stütze.“

„Ach so. Ja das war er. Aber ich bin froh, wenn ich diese Infusionsnadel“ und zeige auf meine linken Arm „nicht mehr benötige. Sie ist äusserst lästig, wenn man sich drehen möchte.“

„Das kann ich Ihnen gut nachvollziehen. Dann werde ich Sie jetzt einmal davon befreien.“

Behutsam löst sie den Kleber, durch den die Nadel an meinem Arm befestigt ist. Danach zieht sie sorgfältig die dünne Nadel heraus, drückt mir eine Mullbinde auf den Einstich und schiebt den Infusionsständer weg. Sie holt ein Pflaster aus dem Schrank und bringt es auf meinem Arm an.

„Das wäre geschafft. Wie sieht es mit Ihren Blutungen aus? Haben Sie nachgelassen?“

Völlig baff, dass sie mich auf die Blutungen anspricht, starre ich sie an. „Ähm, ja.“

„Sie brauchen sich nicht dafür zu schämen.“

„Ich schäme mich nicht. Es ist nur so, dass hier jeder von meinem Missgeschick Bescheid weiss und dass ich dabei mein Baby verloren habe. Jeder wusste es schon, bevor ich es überhaupt erfahren habe.“

„Das braucht Sie keinesfalls zu beunruhigen. Am wichtigsten ist, dass Sie wieder auf die Beine kommen. Alles andere wird sich ergeben.“

„Das sagen Sie so leicht.“

„Ich kann nicht leugnen, dass Sie etwas sehr schicksalhaftes erlebt haben, aber lassen Sie sich bitte nicht unterkriegen. Sie sind noch sehr jung und man weiss nie, was einem das Leben noch alles bringen kann.“

„Leider hat mir der Arzt keine so rosige Zukunft vorausgesagt.“

„Wenn Ihr Kinderwunsch so gross ist, können Sie sich immer noch überlegen, ob Sie allenfalls für eine Adoption fähig sind. Oder ob eine Leihmutter in Frage käme. Aber lassen Sie sich Zeit und verdauen Sie zuerst das, was Ihnen widerfahren ist.“

„Woher nehmen Sie bloss diese Zuversicht?“

„Mein Beruf lehrt es mich. Kommt Ihr Freund noch vorbei?“

„Ich habe keinen Freund.“

„Bin ich etwa schon wieder in ein Fettnäpfchen getreten?“ schuldbewusst schaut mich die Krankenschwester an.

„Ist schon gut. Es stimmte schon seit längerer Zeit nicht mehr zwischen uns. Nur will er es nicht wahrhaben.“ und ich schaue auf die vielen Rosensträusse, die anscheinend von ihm sind. Ich muss zugeben, dass er in diesem Fall Geschmack bewiesen hat. Nur ist das noch lange kein Grund, bei ihm zu bleiben.

„Eine weitere Patientin wartet auf mich. Sie drücken den Knopf, wenn irgendwas ist?“

Ich nicke nur mit dem Kopf. „Darf ich das Zimmer verlassen?“ Ich spüre plötzlich eine innere Unruhe und habe das Verlangen aus diesen vier Wänden zu kommen, in denen ich mich nun schon seit über vier Tagen befinde.

„Wenn Sie sich stark genug fühlen, dürfen Sie das gerne tun. Bitte teilen Sie jeweils mir oder einer anderen Krankenschwester mit, wenn Sie die Etage verlassen.“

„Ich brauche etwas Abwechslung. Wo befindet sich das Café?“

„Im Erdgeschoss. Warten Sie kurz. Ich bin gleich zurück.“

In der Zwischenzeit gehe ich kurz ins Bad und werfe einen Blick in den Spiegel. Mein geschwollenes Auge sieht nicht mehr so schlimm aus wie gestern, aber es ist immer noch ziemlich dick und der Bluterguss verfärbt sich ganz langsam gelblich. Meine Haare stehen wirr von meinem Kopf ab. Mit ein paar Bürstenstriche bringe ich es einigermassen in Ordnung. Nun noch ein Haargummi um meine langen, braunen Haare und ich sehe gleich etwas präsentabler aus.

Gerade als ich mich auf die Bettkante zurücksetzte, kommt die nette Krankenpflegerin mit einer Krücke in der Hand zu mir zurück. Ich erwarte sie bereits sitzend auf meinem Bett und starre sie entgeistert an. „Muss das sein?“

„Da Sie jetzt den Infusionsständer nicht mehr als Stütze haben, bleibt ihnen wohl nichts anderes übrig, als diese hier zu nehmen. Ich kann auch einen Rollstuhl besorgen, wenn Ihnen das lieber ist.“

Mir wird schnell klar, dass ich ohne diese Krücke nicht weit kommen werde. Wenn ich also mein Zimmer endlich mal verlassen möchte, habe ich keine andere Wahl, als diese Gehhilfe zu benützen. „Sie haben mich überredet.“ Ich schenke der Frau vor mir ein schwaches Lächeln, schnappe meine Handtasche, die sich im Beistelltisch befindet und folge mit vorsichtigen Schritten der Krankenschwester zum Aufzug.

„Kommen Sie alleine klar?“

„Ich denke schon.“ Die Pflegering verlässt mich, während ich auf den Lift warte und mich auf dem Flur umsehe. Ein langer nicht enden wollender Gang erstreckt sich vor mir und etliche Türen gehen davon ab. Ich vermute, dass hinter jeder dieser Tür mindestens eine Patientin liegt. Plötzlich frage ich mich, was diese Frauen wohl gerade durchmachen müssen. Haben Sie vielleicht ein ähnliches Schicksal wie ich zu verdauen? Mir wird es eng um die Brust, als ich mich wieder an meinen Verlust denken muss und bin froh, dass sich endlich die Aufzugtüren vor mir öffnen, damit niemand meine gläserne Augen sehen kann. So schnell es meine Kraft und mein Körper zulässt, gehe ich hinein und drücke auf den Knopf, der das Erdgeschoss anzeigt. Zum Glück habe ich mir noch schnell die Etage gemerkt, auf der sich mein Zimmer befindet. Wäre schön peinlich, wenn ich beim Empfang nach meinem Zimmer fragen müsste.

Unten angekommen sehe ich mich zuerst einmal in alle Richtungen um. In die eine Richtung sieht dieser Flur fast so aus, wie meiner. In die andere Richtung deutet ein Pfeil, der das Café und den Ausgang anzeigt, was ich auch am Ende des Ganges entdecke. Wie soll ich nur diesen weiten Weg schaffen? Meine Kraft droht mich jetzt schon zu verlassen. Langsam mache ich einen Schritt vor den Anderen und komme meinem Ziel immer näher.

Ich sehe einige leere Tische. Also gehe ich gleich zum Getränkeautomaten und suche mir etwas schmackhaftes aus. In meiner Tasche suche ich nach meinem Portemonnaie, um mir ein paar Münzen herauszunehmen, damit ich den Automaten damit füttern kann. Nur zu blöd, dass sich darin kein Kleingeld befindet. Bleibt mir wohl nichts anderes übrig als mich an der Theke bedienen zu lassen.

„Was darfs sein?“

„Ich möchte ein Rivella.“

„Gerne.“ Die Frau hinter der Kasse kommt sogleich mit einer Flasche Rivella und einem Glas zurück.

„Darfs sonst noch was sein?“

„Den Blick. Das wäre dann alles.“ Ich drücke ihr eine Zehnernote in die Hand und verstaue das Portemonnaie wieder in meiner Tasche.

„Ich bringe Ihnen die Sachen zum Tisch.“

„Oh. Vielen Dank.“

„Wo möchten Sie sitzen?“

Eigentlich habe ich gehofft, auf dem Gartensitzplatz sitzen zu können, um etwas frische Luft einatmen zu können. Aber da es aus allen Eimern zu regnen scheint, entschliesse ich mich im Innern zu bleiben. Also deute ich auf einen freien Tisch, der sich neben einem Fenster befindet. So kann ich wenigstens hinaussehen.

Endlich kann ich wieder sitzen. Diese wenigen Minuten, die ich auf den Beinen waren, kosteten mich mehr Kraft, als ich gedacht habe. Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Rivella und schlage die Zeitung auf. Obwohl ich versuche mich auf den Text zu konzentrieren, schweifen meine Gedanken immer wieder zu meinem nicht vorhandenen Unfall zurück. Irgendwann bin ich soweit, dass ich es aufgebe und die Zeitung zur Seite lege. Stattdessen krame ich ein weiteres Mal in meiner Handtasche und nehme mein iPhone in die Hand.

Schockiert sehe ich eine ganze Menge ungelesener SMS. Während ich mich durch die Meldungen lese, bemerke ich, dass mich ein Mann, der mit einer Frau und zwei düster dreinblickenden Muskelprotz an einem Tisch sitzt, unverhohlen beobachtet. Unbeeindruckt tippe ich mich durch die Nachrichten. Die meisten sind gute Genesungswünsche. Sogar mein Chef hat sich gestern gemeldet. Es sind nur noch drei ungelesene Nachrichten. Die drittletzte ist von Pam. Bin nun unterwegs zu dir. Die zweitletzte von Janosch. Hai Sista. Morgen um ein Uhr bei dir. In Ordnung? Ach ja, wir waren ja am Samstag zum shoppen verabredet. Mein Bruder braucht wieder einmal eine Beratung beim Kleider kaufen.

Nun noch die Letzte und Älteste. Sorry Zoe, aber es wird etwas später. Ich mache so schnell ich kann. Jetzt hast du wenigstens noch Zeit deine Lieblingsserie anzusehen. Bis später. Pam.

Müde schaue von meinem iPhone auf und blicke aus dem Fenster. Irgendwann fangen meine Gedanken an, sich zu überschlagen. Irgendwas erscheint mir merkwürdig an Pams SMS. Ich lese es ein drittes und viertes Mal durch. Plötzlich klingelt es in meinem Kopf und ich weiss, was mich an der Nachricht stört. Wann hat mir Pam gesimst? Ich schaue auf die Uhrzeit. Sie hat mir kurz nach halb sieben geschrieben. Aber um diese Zeit war sie doch schon lange bei mir? Ich bin mir fast sicher, dass ich auf meine Uhr sah, bevor ich zur Tür ging. Und diese zeigte knapp nach sechs an.

Ich schliesse meine Augen, um meine Gedanken so besser festhalten zu können und um sie neu zu ordnen. Das Bild steigt mir vor das innere Auge, wie ich mich in mein Lieblingsoutfit schäle und aufsehe, als es klingelt. Ich sehe, wie ich die Treppe hinuntergehe und mit leichtem Schritt zur Tür gehe und sie öffne.

Mit einem Mal wird mir speiübel. Mein Körper fängt an zu zittern. Nur mühsam tippe ich eine SMS an Pam. Meine Finger wollen mir kaum gehorchen. Obwohl ich mir nun über einiges im Klaren bin, möchte ich mich trotzdem versichern.

Kaum habe ich die Nachricht gesendet, vibriert mein Smartphone in meiner Hand. Ich muss mich richtig konzentrieren, damit die Buchstaben nicht vor meinem Augen verschwinden.

„Es war mindestens halb acht, als ich bei dir war. Warum willst du das wissen?“

Mein Herz fängt wie wild an zu rasen. Meine Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Ich kriege kaum Luft und versuche mich ganz normal zu verhalten. Da höre ich schon eine Stimme neben mir.

„Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“

Es ist der Mann, der mich vorher schon begafft hat. Was wollte denn der jetzt von mir?

„Ja alles bestens.“ bringe ich leise heraus.

„Ist Ihnen nicht gut?“

Mir ist überhaupt nicht wohl. Ich suche das Café nach einem WC ab und erhebe mich von meinem Stuhl.

„Entschuldigen Sie mich.“ Ich schnappe meine Krücke und versuche so rasch wie möglich zur Toilette zu kommen. Ich gerate langsam in Panik. Mein Zufluchtsort befindet sich viel zu weit weg. Zu meiner Überraschung hebt mich der fremde Mann auf seine Arme, als würde ich keine fünfundfünfzig Kilo wiegen und läuft mit schnellen Schritten zu meinem Ziel. Ich bemerke gar nicht, wie uns die anderen Besucher des Cafés anstarren und wie die zwei Männer von seinem Tisch, uns in kurzem Abstand folgen.

Eigentlich müsste ich mich gegen diesen Unbekannten wehren und ihm deutlich machen, dass er mich wieder auf den Boden stellen soll, aber ich habe absolut keine Kraft dazu. Ich bin sogar enorm froh, dass mich der dunkelblonde Fremde zur Toilette trägt. Er stösst die Tür auf und lässt mich auf meine Füsse nieder. Ich stürze in die erstbeste Kabine und kann gerade noch den Deckel heben, bevor ich mich übergeben muss.

Ich habe keine Ahnung wie lange ich schon vor dieser Schüssel knie und mich meinen niederschmetternden Gefühlen hingebe. Umso deutlicher spüre ich die Schmerzen, die meinen ganzen Körper beherrschen. Langsam löse ich mich aus meiner verzweifelten Position und hebe mich auf die Füsse. Überraschenderweise befindet sich meine Krücke an der Wand gegenüber meiner Toilette. Ich bin mir sicher, dass ich die irgendwo unterwegs habe liegen lassen. Wie kam sie also hierher? Hat sie etwa der Mann, der mir vorhin geholfen hat, hierher gebracht? Ist ja auch egal. Ich bin nur dankbar, dass ich meine Gehilfe wieder habe und mich nicht an einen anderen Menschen wenden muss.

Vor dem Waschbecken und dem darüber hängendem Spiegel bleibe ich stehen. Ich drehe den Wasserhahn auf und spritze mir mehrmals kaltes Wasser ins Gesicht und wische dann mit einem Papiertuch mein Gesicht ab. Danach trinke ich ein paar Schlucke und richte meine Haare. Ich versuche meine Gedanken und Ängste auszublenden, die mich vor wenigen Minuten überfielen, was mir überhaupt nicht gelingen will. Nachdem ich mich etwas erholter und präsentabler fühle, verlasse ich die Damentoilette und hoffe ungesehen in mein Zimmer zu kommen. Aber noch bevor sich die Tür hinter mir schliesst, steht der dunkelblonde Mann neben mir.

„Geht es Ihnen besser?“

„Alles bestens.“ und gehe weiter.

„Wem wollen Sie etwas vormachen?“

„Niemandem.“

„Haben Sie einen Wunsch?“

„Ich möchte nur auf mein Zimmer.“

„Darf ich Sie begleiten?“

„Warum?

„Ich möchte Ihnen nur behilflich sein. Seien Sie mir nicht böse, aber Sie sehen so aus, als würden Sie nächstens in Ohnmacht fallen.“

„Das kann Ihnen doch egal sein.“

„Da haben Sie vollkommen recht.“

Wir gehen ein paar Schritte nebeneinander her, bis er das Schweigen abermals unterbricht.

„Übrigens, ich heisse Alexander.“ Er streckt mir die Hand entgegen und ich nicke nur leicht mit dem Kopf. Als er merkt, dass ich nicht weiter darauf reagiere, nimmt er seine Hand zurück und steckt sie in seine Hosentasche.

„Wollen Sie etwas Gesellschaft?“

„Nein.“ antworte ich etwas zu schroff und füge besänftigend hinzu. „Ich brauche meine Ruhe.“

„Wer hat Ihnen das angetan?“

Verblüfft über Alexanders Frage, starre ich ihn an. Obwohl ich genau weiss, was er meint, stelle ich mich so an, als hätte ich keine Ahnung. „Was meinen Sie damit?“

Er deutet auf meine bandagierte Hand und mein linkes Auge. „Das sind noch lange nicht die schlimmsten Verletzungen, stimmts?“

Mein Mund klappt auf, aber es kommt kein Ton heraus. Ich bin einfach zu verblüfft über seine Wahrnehmungsfähigkeit.

„Ich bin anscheinend die Treppe hinuntergestürzt.“ Das wurde mir jedenfalls erzählt, füge ich stumm dazu.

„Anscheinend?“

„Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was passiert ist. Ich muss einen ziemlichen Schock erlitten haben.“ Hoffentlich spürt er nicht, wie ich ihm etwas verheimliche. Aber warum sollte mich das auch stören, denn schliesslich bin ich diesem Mann keine Rechenschaft schuldig. Wir sind uns ja erst gerade das erste Mal begegnet.

Noch ein paar Schritte, dann bin ich beim Lift, denke ich mir. Danach kann ich endlich seinen Fragen und diesen wunderschönen, olivgrünen Augen entkommen, die mich zu durchlöchern versuchen. Ich betrachte ihn eingehender. Erst jetzt sehe ich, was für ein bildschöner Mann mir vor Kurzem geholfen hat. In diesen Armen habe ich gelegen, geht es mir durch den Kopf und ich fühle, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Ein Räuspern holt mich zurück auf den Boden.

„Verraten Sie mir Ihren Namen?“

„Zoe.“

„In welchem Stock befindet sich ihr Zimmer, Zoe?“

„Im siebten.“ Ich habe nicht einmal bemerkt, dass der Lift schon angekommen ist, da ich keine Taste gedrückt habe.

„Ich wünsche Ihnen eine gute und schnelle Genesung. Passen Sie gut auf sich auf.“ Er drückt nochmals meinen linken Arm und lässt mich alleine im Fahrstuhl zurück. Während sich die Aufzugtüren schliessen, überkommt mich eine seltsame Enttäuschung, dass sich dieser gutaussehende Mann schon jetzt von mir verabschiedet hat. Noch bevor mir bewusst wird, was ich tue, hebe ich die Krücke, um zu verhindern, dass sich die Türen ganz schliessen. Ich bringe ein verlegenes „Danke“ heraus.

„Für was?“